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Laczi-bácsi.

Er saß auf dem Bänkchen vor seiner Hausthür, schmauchte sein Pfeifchen und sah zu, wie vor ihm die barfüßige, kurzgeschürzte, slovakische Magd im Abendscheine die Beete des Gärtchens begoß, das sich den Abhang des Hügels hinaberstreckte. Mühsam mußte es gewesen sein, dies Gärtchen den ungünstigen Bodenverhältnissen abzugewinnen, aber treue Pflege war nicht ohne Lohn geblieben. Die zahlreichen Zwergobstbäumchen, zierlich in Reihen gepflanzt, hingen voll halbreifer Früchte; das frischeste, üppigste Küchengrünzeug deckte die Beete, die Blumenrabatten aber, welche die schmalen Wege einfaßten, standen im reichsten Flor und durch die reine Luft drang von dort her gar köstlicher Duft bis herauf zu dem niederen Häuschen.

Aus der Thüre des letzteren trat jetzt eine kleine, dunkelgekleidete alte Frau. »Sie kommt wirklich, Herr Laczi!« rief sie erregt.

»Nein! – aber nein!« Er stand auf. »Die Mariska! Woher wissen Sie es, Frau Komrodi?«

»Heut früh wurden im Castell schon die Zimmer gelüftet; der Verwalter erzählte es selbst dem Peter.«

»Nein das! Wirklich! Die Mariska kommt!« Er legte das ausgebrannte Pfeifchen auf die Bank und begann mit auf den Rücken gelegten Händen den kleinen Vorplatz vor dem Hause auf und ab zu schreiten. »Daß ich die Mariska wieder sehen soll! – Wie sie wohl jetzt aussieht?! Was meinen Sie, Frau Komrodi?« fragte er, vor der alten Frau stehen bleibend, die sich inzwischen auf der Bank niedergelassen hatte, »wie sieht sie wohl jetzt aus?«

»So nicht mehr wie damals, als sie da zwischen den Beeten umhersprang!« sagte die Gefragte mit leiser Wehmuth. »Daß sie sehr schön geworden sein soll und eine glänzende, verwöhnte Dame, das wissen Sie ja. – Gar jung kann sie übrigens nimmer sein; rechnen Sie einmal nach, Herr Laczi.«

Er rechnete nicht nach. »Sehr schön, sehr glänzend! Was sie nur hier suchen mag, die verwöhnte Mariska, in unseren armen Bergen, in dem halbverfallenen Hause ihrer Väter?«

»Nun, es ist doch schön bei uns«, bemerkte Frau Komrodi fast mit Empfindlichkeit. »Und dann wird das eine Laune sein; die momentane Laune einer Weltdame.«

In ihn fuhr eine lebhafte Unruhe. »Ich sollte vielleicht – glauben Sie nicht, Frau Komrodi, –« er hielt inne und fing dann noch einmal an: »vielleicht sollte ich in's Castell hinüberlaufen und fragen, wann sie erwartet wird und sie empfangen? Sie ist eigentlich fremd geworden in der Gegend.«

»Sie hat Ihnen ja nicht geschrieben, daß sie kommt, Herr Laczi.«

Er schlug die Hände zusammen. »Aber nein! Du lieber Gott! was Sie da sagen, Frau Komrodi! es versteht sich doch von selbst, daß sie mich total vergessen hat. Ein Kind, das sie war; warum sollte sie noch etwas von mir wissen?«

»Sie waren sehr gut für sie, Herr Laczi, wie sie das gegen alle Menschen sind, und gar gegen alle Kinder«, sagte Frau Komrodi sachte.

»Ach was, dummes Zeug!«

»Ja, ich glaube gegen die Mariska waren Sie noch besonders gut; sie that ihnen leid. Damals, beim Tod ihrer Eltern.«

Er sah still in die allmählig hinter den Bergen versinkende Sonne.

»Armes Kind! Wem hätt' sie nicht leid gethan«, sagte er leise. – »Nun, die Tante liebte sie in ihrer Art. Und dann hat sie so viele gute Freunde in der Welt.«

»Die haben die Reichen immer«, meinte Frau Komrodi. Dabei stand sie auf und strich ihre Schürze glatt. »Ich will heute noch Erbsen brechen; ich sah sehr viele reife Schoten; es wäre Schade, wenn sie welkten.«

Mit zierlichen, kleinen Schritten, wie sie ihr eigen waren, trippelte sie dem Garten zu. Herr Laczi blickte noch eine Weile in Gedanken versunken vor sich hin, nahm dann sein Pfeifchen von der Bank, klopfte es aus und ging – er trat breit und schwer auf, wie Männer auftreten, die stets auf dem Lande leben, wo man viel Platz hat zum Ausschreiten – und ging in's Haus, um frischen Tabak zu holen.

In dem Zimmer zu ebener Erde, das er betrat, war es schon recht dunkel, denn durch die kleinen, vergitterten Fenster drang selbst bei Tag nur spärliches Licht ein. Da er sich aber in dem Raume gut auskannte, fand er dennoch unschwer, was er suchte. Eben wollte er sich auf den Rückweg begeben, als die Thür aufging und ein breiter Strom der Abendröthe von draußen in die Stube hereinfluthete.

Den Tabakbeutel in der einen, die Pfeife in der anderen Hand, blieb Herr Laczi wie versteinert stehen.

Wer war das dort auf der Schwelle im Rahmen der niederen Thür, umflossen von dem leuchtenden, rothen Scheine? Diese schlanke, feine, unaussprechlich vornehme, unaussprechlich schöne Erscheinung, von der es selber wie ein Leuchten ausging: wer war's? wer konnte es sein!

Auch sie stand gleich ihm einen Augenblick unbeweglich; nur ihre Augen lächelten ihm zu.

»Kennst Du mich noch?«

»Mariska!«

In der nächsten Secunde hing sie an seinem Halse.

»Laczi-bácsi!«

Außer sich preßte er sie an sein Herz, wagte es aber nicht sie zu küssen. Nur die kleinen, behandschuhten Hände führte er wiederholt an seine Lippen, so zart, so vorsichtig, als wären sie »gebrechliche Waare«.

»Nein! Mariska! Nein das! Du hast den Onkel Laczi nicht vergessen.«

Sie lächelte blos. »Wo sind die Vögel?« fragte sie.

Da traten ihm die hellen Thränen in die Augen, stumm faßte er sie bei der Hand und führte sie in ein Nebenzimmer.

Dort standen vor beiden Fenstern große, hohe Bauer, wahre Vogelpaläste, und darinnen saßen, sämmtlich schon die Köpfchen zur Nachtruhe unter die Flügel geduckt, zahlreiche Hänflinge, Canarienvögel, Rothkehlchen und andere kleine Sänger, bunt durcheinander.

»Die ist noch dieselbe!« rief Mariska fröhlich, nach dem einen Bauer weisend, »diese altdeutsche Burg aus Draht mit ihren Thürmchen, ihren Erkern, das ist dieselbe, die ich als Kind so sehr bewunderte. – Oder hast Du eine neue machen lassen, Laczi-bácsi?«

»Es ist dieselbe«, sagte er weich.

Sie begann die verschiedenen Vögel zu betrachten.

»Die Bewohner sind andere; von denen, die mich in Kinderzeiten entzückten, kann keiner mehr da sein!«

Er nickte. »Solche kleine Vögel leben nicht so lange!«

»Du kaufst immer noch alle auf, wo Du sie findest – bei nachlässigen Leuten, bei Vogelhändlern, schlecht gepflegt, in engen und niederen Käfigen?«

Er nickte wieder. »Die Freiheit kann man ihnen nicht geben. Der Sclaverei gewohnt, wüßten sie nichts mit ihr anzufangen; so mögen die armen Creaturen wenigstens eine erträgliche Gefangenschaft genießen«, meinte er heiter.

Sie ließ ihren Blick auf ihm ruhen. Dann wendete sie sich zum andern Zimmer zurück. »Ich möchte Deine Bilder sehen, Laczi-bácsi, die Kupferstiche und Lithographien, die Du mir so oft erklärt hast.«

»Wie Du noch alles weißt!« staunte er entzückt.

»Freilich weiß ich noch alles. Ah, da sind sie, genau an denselben Stellen hängen sie, wie vor fünfzehn Jahren! Da ist die heilige Cäcilie, und da das Colosseum und das Pantheon und die Peterskirche.«

»Wie Du noch Alles weißt!« wiederholte er.

»Italien, ist das noch immer Deine Sehnsucht, Laczi-bácsi?«

»Noch immer.«

»Und warst nie dort?«

»War nie dort.«

»Warum?«

»Ich kam nicht dazu«, sagte er unsicher.

Wieder ruhte ihr Blick auf ihm. Dann suchte sie unter den Bildern. »Dies hier ist das Porträt Deiner Schwester, nicht wahr? – Es geht ihr gut, drüben in Amerika?«

»Ja, ja«, sagte er hastig, »mein Schwager ist jetzt ein ordentlicher Mensch. Wirklich. – Und die Kinder gedeihen und sind brav.«

Sie nickte. »Gottlob!« Plötzlich zuckte sie leise zusammen und trat hastig vor eine erblaßte Photographie, die ein Brautpaar darstellte. Sie sagte nichts, sah aber lange hin. Ihm war nicht ganz behaglich zu Muthe, als er es bemerkte, er suchte nach etwas, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Mit einem Mal fuhr er seinerseits zusammen und schlug sich heftig vor die Stirn. »Nein! aber nein! wie man so kopflos sein kann! Du mußt doch auch essen, Mariska; Du mußt etwas bei mir nehmen.«

Sie wandte sich ihm lächelnd zu. »Wahrhaftig, ich möchte gern bei dir essen, Laczi-bácsi!«

Er war schon bei der Thür, er hatte sie schon aufgerissen. »Frau Komrodi! Frau Komrodi!« schrie er aus Leibeskräften.

Die alte Frau kehrte soeben aus dem Garten zurück mit einer Schürze voll Erbsen. »Was gibt es? Um Gotteswillen, was gibt es, Herr Laczi?«

Er packte sie bei der Hand und zog sie in die Stube.

Vom Schrecken befreit, fiel sie in eine große Verwirrung. Es zuckte ihr in den Armen, sie hätte sie gern ausgebreitet; aber das dort war die reiche Baronin Mariska und sie, wenn sie sich auch aus gutem Hause wußte und was auf sich halten durfte, nun, sie war eigentlich doch nur die Beschließerin des Herrn Laczi.

Allein während diese Gedanken ihr durch das überraschte Hirn wirbelten, hatte die Andere sie schon längst umarmt und auf die welken Wangen geküßt. »Die kleine Mariska ist wieder da, Frau Komrodi, die Ihnen so oft nachzappelte in Küche und Speisekammer und die Sie vom Besten naschen ließen, was es dort gab.«

»Ach, du mein Gott!« stammelte die alte Frau. Dabei ließ sie mit einer unwillkürlichen Bewegung den einen Schürzenzipfel fahren – die Erbsen lagen auf der Erde.

Im Nu kniete die elegante Mariska hin und las sie auf. Neben ihr stürzte Herr Laczi zu Boden, eifrig bemüht, ihr die Mühe abzunehmen, aber sich in der Hast sehr ungeschickt erweisend.

Frau Komrodi stand entsetzt. »Um Gotteswillen! Aber meine Herrschaften! Ich bitte Sie! Die Anka ist ja draußen, ich rufe gleich die Anka.«

»Wozu denn? Halten Sie nur jetzt den Zipfel fest, Frau Komrodi, sonst geschieht das große Malheur noch einmal«, lachte Mariska, indem sie ihr die letzten Schoten in die Schürze legte.

»Ich danke, ich bitte um Verzeihung – ich danke tausendmal!«

»Sorgen Sie für ein Souper, Frau Komrodi«, keuchte Herr Laczi, während er sich vom Boden aufrichtete und den Schweiß von der Stirne wischte, »ein gutes, ein ausgezeichnetes Souper, ich bitte Sie! So gut als wir's irgend können.«

»Natürlich! Gleich! Aber natürlich. Ich danke noch vielmals. Das Allerbeste was da ist! Natürlich!«

Und ihre gefüllte Schürze krampfhaft an sich pressend, trippelte die alte Frau eiligst hinaus.

Lächelnd sah ihr Mariska nach; dann nahm sie ihre Zimmerinspection wieder auf. »Dieselben Möbel«, sagte sie, um sich blickend, »und an denselben Plätzen! Als wäre hier die Zeit still gestanden! – Wie gut ich den Bücherkasten kenne, da beim Fenster; als Kind stieg ich oft auf einen Sessel, um die Büchertitel zu entziffern.«

Und wie sie einst gethan haben mochte, so las sie auch jetzt laut, so weit das Halbdunkel hie und da die goldenen Buchstaben erkennen ließ. »Goethe, Shakespeare, Homer, Dante.«

»Du liebst die Dichter, auch das weiß ich noch; als Kind fand ich Dich oft vertieft in eines dieser Bücher.«

»Nun ja, siehst Du: die Welt wäre sonst ein bischen zu klein hier oben. Mit guten Büchern zur Gesellschaft, da geht es. Freilich: die Sehnsucht nach der Kunst, nach dem Lande der Kunst, die kam mir auch aus den Büchern! Nun vielleicht wird ihr doch einmal Befriedigung.«

In Mariska stieg eine andere Erinnerung auf. »Und Dein Herbarium, wo ist es?«

Er wies auf einen zweiten Schrank. »Das mußt Du Dir bei Tageslicht besehen, mein Herzchen.«

Sie nickte. »Ich hörte in Pest die ersten Fachleute mit der größten Achtung von Dir sprechen. Du solltest Dein Werk über die Flora der Karpathen veröffentlichen, sagten sie; es sei das vollständigste und beste, das wir besäßen.«

Herr Laczi wurde roth wie ein Schuljunge. »O – das! – Laienarbeit, weißt Du; nichts daran. – Willst Du nicht die Aussicht betrachten? Die Aussicht ist wirklich schön.«

Mariska sah ihn lächelnd an und trat zum Fenster, wie er es wünschte. Ein »Ah!« entfuhr ihr. Diese Aussicht hatte sie vergessen; sie mochte dem Kinde keinen Eindruck gemacht haben.

Die Sonne war hinunter, aber hie und da schwebte noch ein rosiges Wölkchen über den schneebedeckten Firnen der hohen Tátra. Wie eine himmelragende Mauer thürmte sich das Gebirge, eine Spitze neben der anderen, die Lomnitzer, die Gerlsdorfer alle überragend; in den tieferen Regionen aber breitete sich dichter, dunkler Tannenwald und ganz unten zogen sich frischgrüne Matten hin.

»Wirklich! Deine Heimat gefällt Dir!« rief Herr Laczi voller Freude.

»Wie sollte sie mir nicht gefallen!«

Sie blickte eine Weile still hinaus.

»Was meinst Du, Laczi-bácsi, können wir noch ein wenig in's Freie gehen? Der Abend ist so schön!«

»Freilich können wir! Warum sollten wir nicht können? Ich zeige Dir den Garten. Wenn das Souper fertig ist, wird man uns rufen.«

Und er beeilte sich sie hinauszuführen. Auf den schmalen Wegen zwischen den Beeten gingen sie hin und wieder; sie nahm ihr Kleid zusammen, um damit nicht an die frischbegossenen Pflanzen zu streifen, und er riß unbarmherzig die schönsten Blumen ab, zum Strauße für sie.

Als sie zurückkehrten, stand in der Stube mit den Bildern der Tisch gedeckt, in einfacher, altmodischer Art. Frau Komrodi erschien nicht, für gewöhnlich aß sie wohl in Herrn Laczi's Gesellschaft, aber wenn er Gäste hatte, zog sie sich stets zurück. Sie war dann nicht nur Beschließerin, sondern zugleich Oberköchin, und dies Amt ließ sie sich heute weniger nehmen noch als sonst.

Eine reinlich gekleidete Magd trug die Schüsseln auf.

Nach altungarischer Sitte brach die Tafel unter der Last der Speisen. »Mein Gott! Laczi-bácsi, so vielerlei kann ich nicht essen«, lachte Mariska, da er sie fortwährend nöthigte.

»Suche Dir aus, mein Herzchen, was Dir schmeckt. Dieses Hühnchen vielleicht? Oder der kalte Schweinskopf? Oder von der Wildente?« Und trotz ihres Protestirens legte er ihr von Allem vor, so daß ihr Teller ganz voll war. Sie lachte immer mehr, indem sie darauf niederblickte und zwang sich zu essen, um ihm Freude zu machen.

Sein Gesicht strahlte. Er selbst genoß fast nichts; er hatte zu viel zu thun, ihr zuzusehen und für sie zu sorgen.

»Trinken mußt Du aber auch. Da, dieser Tokayer ist nicht schlecht. – Aber nein! Du lieber Himmel! Wir haben doch Champagner im Keller, vom besten französischen!« Er sprang auf und rannte zur Thür. »Frau Komrodi, wir haben doch Champagner! Schicken Sie den Champagner!«

Das schäumende Naß perlte in den Gläsern. »Auf Dein Wohl, Mariska! Auf Dein Wohl!« Sie nickte ihm lächelnd zu, während sie anstieß; »auf das Deine, Laczi-bácsi.« Und beim zweiten Zusammenklingen: »Unsere Heimat!«

»Du bist eine gute Ungarin geblieben, draußen in der Welt?« fragte er freudig.

»Gewiß!«

»Du kennst alle Großstädte«, sagte er, das Glas niedersetzend. »In Pest hast Du auch gelebt: wie fandest Du es da?«

»So wie anderswo. Nicht viel anders wenigstens.«

»Und die Menschen?«

»Auch wie anderswo.«

Er sah sie verstohlen an, mit einem stillen Gedanken, den er an diesem Abende schon zwanzig Mal gedacht hatte. Sie ist so viel herumgekommen; sie kennt die Männer aller Länder, in allen Ländern wird man um sie geworben haben. Warum hat sie nicht geheiratet?

Mariskas Augen ruhten auf der Photographie des Brautpaares, das ihrem Platze gegenüber hing. Es war ein schönes Paar; er, ein vollendeter Cavalier, sie schlank und fein mit großen, dunklen Augen, der Tochter unverkennbar ähnlich.

»Sag einmal, Laczi-bácsi, Du hast meine Eltern gut gekannt? Sie brachten ja den Sommer meistens hier zu?«

»Ja«, antwortete er befangen.

Sie schwieg und sah eine Weile vor sich hin. Plötzlich schlug sie die Augen voll zu ihm auf. »Ich mochte bisher mit Niemandem davon reden«, sagte sie langsam, »meine Mutter war sehr unglücklich, nicht wahr? Der Vater heiratete sie blos des Geldes wegen; sie erfuhr's in der ersten Woche nach der Hochzeit, durch die Bosheit einer Verschmähten?«

Er wurde roth vor Bestürzung »Nun das – mein Gott – wer weiß.«

»Sie ist wohl am Gram gestorben?« fuhr Mariska beharrlich fort; »die Leute nannten's ein Herzleiden. Ich glaube, sie liebte den Vater und hoffte immer seine Liebe noch zu gewinnen?«

Sie schwieg und wartete einen Augenblick, allein er nickte blos schweigend.

»Man hat mir die Geschichte nie genau erzählt. Aber ich entsinne mich der Mama sehr gut; sie war immer blaß und leidend und sie küßte mich oft heftig. – Ein paar Tage vor ihrem Tod ist der Vater im Duell gefallen, nicht wahr? Und das Duell hatte er wegen einer andern Frau. Erfuhr auch das die Mutter, eh' sie starb? – Gab dies ihr den Tod?«

»Ich weiß nicht«, stammelte Herr Laczi unbeholfen. Seine Stimme klang sehr weich. »Wollen wir nicht lieber diese traurigen Geschichten« – er stockte; im nächsten Augenblicke stand er auf und brachte sein Pfeifchen: »Als Kind hast Du es mir gern angezündet – möchtest Du nicht auch heut – zur Feier des Wiedersehens«. – Er sah sie fast flehend an.

Da lächelte sie und that wie er verlangte. Ihre Augen hatten in diesem Moment einen eigenthümlich tiefen Blick.

Etwas später dann brachte er sie nach Hause. Der Mond stand am Himmel, als sie durch die Tannen gingen, durch das kleine Wäldchen, das ihre Besitzungen trennte.

Als er allein zurückkehrte, setzte er sich auf einen abgehauenen Baumstamm am Wege und blieb eine ganze Weile dort sitzen. Wie das ist? dachte er; wir sind gar nicht verwandt, das heißt, so schon, wie fast alle ungarischen Familien untereinander verwandt sind, aber nicht anders. – Und ob mir mein Kind lieber sein könnte?!

Frau Komrodi wurde besorgt, weil der Hausherr ungewöhnlich lange nicht heimkam; sie mochte sich nicht zur Ruhe begeben, obschon sie müde war. »Ich wollte eben die Knechte mit Fackeln ausschicken«, sagte sie aufgeregt, als er endlich erschien.

Da erlebte sie, daß er ärgerlich wurde. »Ich bin doch kein Kind, Frau Komrodi, das im Wald verloren geht!«

»Aber in der Nacht«, stotterte sie, schwieg jedoch sogleich und ging in ihre Stube.

Am nächsten Morgen, dessen war sie gewiß, würde er doppelt freundlich mit ihr sein.

Aber am nächsten Morgen wußte Herr Laczi gar nichts mehr von dieser Geschichte; am nächsten Morgen hatte er nur den einen Gedanken, in's Castell hinüberzugehen und nachzufragen, wie Mariska unter dem Dache ihrer Väter geruht habe?

Seine Toilette, die er sonst sehr vernachlässigte, bereitete ihm Sorgen.

»Wie ich aussehe«, sagte er sich selber; »wie ein Bauer! Ich muß mir neue Kleider kommen lassen.«

Noch eine andere, schwerer wiegende Besorgniß quälte ihn unterwegs. Gestern, in der Ueberraschung und Aufregung war er nicht dazu gekommen, daran zu denken. »Ich bin so ungeschickt, so läppisch! Beinahe dumm! Einen Abend lang – das geht; aber wenn sie länger bleibt, da wird sie dahinter kommen!«

Als er in den Schloßhof trat, entdeckte er sofort ein Fenster mit geschlossener Jalousie. Und gerade vor diesem Fenster vollführten Hühner und Gänse, denen man dort das Futter gestreut hatte, einen unverschämten Lärm. Herr Laczi wurde wüthend; eiligst zog er sein Taschentuch heraus und begann damit das gefiederte Gesindel auseinanderzujagen: »Sch, sch! wollt ihr wohl da weggehen!«

Die Jalousie knarrte. »Was machst Du denn, Laczi-bácsi?« lächelte Mariska von oben.

»Mein Gott! Du kannst ja nicht schlafen bei solchem Spectakel!«

Sie lachte. »Ich danke Dir. Wie du siehst, schlafe ich nicht mehr; ich bin schon ganz fertig. Warte ein bischen, ich komme gleich hinunter; unten ist's schöner.«

Sie gingen miteinander in den verwilderten Park. »Wie's da aussieht! Man sollte ein bischen Ordnung machen.«

»Damit wollen wir gleich heute anfangen«, sagte er eifrig.

Beim hellen Tageslicht konnten die Beiden einander genauer in's Auge fassen als gestern im Halbdunkel und bei Lampenbeleuchtung.

Er dachte, daß sie ermüdet und angegriffen aussehe und weniger jung als gestern, aber gleichwohl auch heute sehr schön; ihr fiel auf, daß sein reiches Haar noch fast ganz blond war.

»Wie alt bist Du, Laczi-bácsi?«

»Wie alt ich bin? Nein, diese interessante Frage! Ich war achtzehn als die kleine Mariska zur Welt kam.«

»Ich bin siebenundzwanzig; das gibt fünfundvierzig, wenn ich richtig zählen kann.«

»Es wird so sein«, meinte er heiter.

»Ich habe Dich mir älter gedacht, Laczi-bácsi«, sagte sie mit einem schwachen Erröthen, das er nicht bemerkte.

Er lachte. »So. – Wahrscheinlich weil ich nie jung gewesen bin, schon damals nicht, als du mich kanntest. Ich war mein Leben lang der Laczi-bácsi, der Allerweltsonkel.«

»Das ist aber nicht recht.«

»Was?«

Anstatt zu antworten stellte sie dieselbe Frage an ihn, die ihm in Bezug auf sie gestern so viel zu schaffen gemacht hatte. »Warum hast Du nicht geheiratet, Laczi-bácsi?«

Er war sehr verblüfft. »Das – ah! Siehst du, ich weiß eigentlich nicht. – Ein einfaches, armes Mädchen hätte ich vielleicht bekommen. – Ich habe nie so recht daran gedacht.« Er lachte herzlich. »Nein, wirklich, ich habe nicht daran gedacht.«

»Weil Du überhaupt nie an Dich gedacht hast«, sagte sie mit einer ihr sonst fremden Weichheit, beinahe träumerisch. »Die Schwester, nicht wahr? Und der Schwager – und die Kinder – das war Dein Leben!«

»Nun ja«, meinte er zögernd und verlegen, »das ist doch natürlich. Das eigene Blut –«

»Und darum bist Du auch nie nach Italien gekommen, obwohl Du oft hättest hinreisen können.«

Er sah sie überrascht an. Woher wußte sie denn, was Niemand wußte? – Freilich, einmal hatte das Geld schon dagelegen in seinem Tische, das Geld für Italien, mühsam zusammengespart durch Jahre; da kam sein Schwager mit einem neuen dringenden Schuldschein – er konnte doch nicht zugeben, daß die Schwester gepfändet würde!

Davon sagte er nichts, sondern er stotterte blos: »Ach was!«

Dann fragte er angelegentlich, ob Mariska ganz allein lebe; in der Nacht war es ihm eingefallen.

Nein, sie lebte nicht allein. Der Welt wegen hatte sie seit dem Tode der Tante eine ältliche Engländerin bei sich. Aber auf dem Lande gab es für die Miß Ferien, sie saß auf ihrem Zimmer oder ging ihre eigenen Wege. Mariska brauchte keine Kinderfrau.

Er lachte mit dem ganzen Gesicht. Nein, sie brauchte keine Kinderfrau! Sie, die so selbstständig war, so sicher in sich, nicht nur wie eine verheiratete Frau, – wie eine Prinzessin.

»Ich bin eine alte Jungfer«, sagte sie und lächelte dabei ein klein bischen mit dem linken Mundwinkel, während er in ein schallendes Gelächter ausbrach, wie über den besten Witz. –

Frau Komrodi wußte gar nicht mehr, was sie von ihrem Herrn denken sollte. Fragte sie ihn z. B. »soll der Peter heute oder morgen in die Stadt fahren? ich brauche Zucker und Kaffee«, so antwortete er: »Ich gehe am Nachmittag«. Sie erstaunt: »Um Zucker und Kaffee?« Er: »Was Sie wieder reden! Ist das Castell ein Kaufladen?«

Seine Bekannten im Comitate machten ähnliche Erfahrungen. Der Vicegespan und der Stadtphysikus und andere Herren kamen manchmal für einen Abend heraus in das kleine Häuschen auf dem Hügel. Dann saß man dort in der Regel bei einer gemüthlichen Tarokpartie beisammen. Herr Laczi war nie ein sehr guter Spieler gewesen, aber jetzt stellte er die Geduld seiner Partner auf geradezu unerhörte Proben. Mond und Sküß in der Hand haben und es nicht bemerken war das wenigste. »Laczi-bácsi, mit Dir ist kein Auskommen mehr«, erklärte der Vicegespan, der am befreundetsten mit ihm war, eines Abends feierlich, indem er die Karten niederlegte. »Ich schlage vor: spielen wir schwarzen Peter um Fisolen.«

Inzwischen waren die neuen Kleider für Herrn Laczi angekommen. Auf sehr schlaue Weise hatte er sich, ohne seine Absicht zu verrathen, die Adresse des ersten Herrengeschäftes in Pest verschafft und dort das beste und theuerste bestellt. Bei verriegelten Thüren packte er aus. Ja freilich! Elegant war das Alles, fein war das Alles, und so genau nach dem Maß gemacht, daß die Anzüge wie angegossen paßten. Aber als er nun stolz und erfreut in den Spiegel blickte, sah er darinnen sein Gesicht sehr roth werden.

»Nun ja! Das ist wieder so eine von deinen colossalen Dummheiten! Was würde sie wohl denken, wenn du daher kämst, angethan wie ein Geck, wie ein großstädtischer Stutzer, du, der Laczi-bácsi!« Zornig und beschämt warf er das elegante Zeug wieder von sich, sperrte es in einen Kasten, zog den Schlüssel ab und fuhr in die Stadt zu seinem alten Schneider, um sich dort Kleider zu bestellen, wie er sie immer trug.

Mariska schien nicht zu bemerken, ob er einen neuen Anzug an hatte oder einen alten. Sie war immer gleich lieb und herzlich mit ihm. »Ein Engel ist nichts gegen sie; Frau Komrodi, habe ich nicht Recht?« – Die Alte nickte. »Sie ist ganz dieselbe geblieben, gestern ging sie wieder mit mir in die Vorrathskammer.«

Die anderen Leute sagten von Mariska, daß sie sehr hochmüthig sei, weil sie sich nirgends zeigte und mit Niemandem verkehrte, außer mit Herrn Laczi, ihrem Nachbar. Sie war aber blos müde und hatte für eine Weile die Menschen satt, selbst die guten.

Einmal erschien ein Graf aus Pest, stieg im Gasthof des Städtchens ab und fuhr Vormittags nach dem Castell, um dort einen Besuch abzustatten. Er wurde aber nicht angenommen und mußte abreisen, ohne die Baronin gesehen zu haben.

»Ich weiß nichts Schlechtes von ihm«, sagte Mariska zu Herrn Laczi. »Vielleicht ist's ihm wirklich nicht blos um mein Geld zu thun; aber ich habe einmal kein Vertrauen – zu gar keinem, als nur zu einem Einzigen.«

Er getraute sich nicht zu fragen, wer dieser Eine sei, obwohl es ihn seither oft quälte.

Am Abend desselben Tages, an welchem jenes Gespräch stattfand, ging er mit ihr spazieren. Da kamen sie an einen Bach, der durch Regengüsse stark angeschwollen war. »Da ich ein Kind war, hast Du mich einmal hier hinüber getragen«, sagte Mariska in der Erinnerung lächelnd. »Ich trag' Dich auch jetzt«, rief er eifrig, »Du bist meinen Armen auch heute nicht schwer!« Aber sie wich lachend zurück und war schon hinüber, wobei sie sich das eine Stiefelchen naß machte. Auf ihrem blaßen Gesicht lag ein leichtes Roth, als sie sich wieder aufrichtete, nachdem sie den Schaden untersucht hatte.

Der Sommer ging zur Neige. Herr Laczi dachte jeden Tag voll Verzweiflung daran. Denn natürlich würde sie nun bald zurückkehren in die Welt!

Wenn einmal der Wind durch das Thal sauste und die Spitzen der hohen Tátra sich tiefer und tiefer in ihre weißen Mäntel hüllten, was sollte sie dann noch hier bleiben?

Es war ein sehr schöner Morgen im beginnenden Herbste. Ueber den Tannen lag tiefe Stille. Hie und da ein schwaches Knacken, fern im Gezweig ein Eichhörnchen, das von Ast zu Ast sprang; hie und da ein leiser, piepsender Ton, ein Vögelchen, das schlaftrunken aus dem Neste guckte, was wohl für Wetter sei; sonst nichts.

Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich den Weg durch das Dickicht. Perlen gleich glänzten die Thautropfen in den Gräsern; wie träumend standen die Blumen.

Da begegneten einander auf dem schmalen Waldpfade zwei Menschen, beide erstaunt, sich zu so früher Stunde hier zu sehen.

»Schon auf?!«

»Nicht auf dem Feld bei der Ernte?!«

»Es ist so schön hier zu dieser Zeit«, sagten sie alle Beide.

»Ja.«

Mariska setzte sich auf einen Baumstamm, Herr Laczi warf sich zu ihren Füßen in's Moos, ohne zu beachten, daß es naß sei; das schadete ihm nichts und seiner Kleidung auch nicht.

Sie sprachen kein Wort, horchten nur der Stille ringsum. Plötzlich sagte Mariska: »Ich muß nun bald abreisen.«

Da war's!

Er blieb ganz still, schaute nicht auf, riß Moosbüschel aus dem Boden und schleuderte sie weit fort.

Sie wartete eine Weile; dann sagte sie müde: »Ich weiß nicht recht, soll ich nach Wien gehen oder nach Pest oder nach Paris?«

Er schwieg auch jetzt. Seine Rechte hatte nicht mehr die Kraft, das zarte Moos zu entwurzeln, so sehr zitterte er. Er gab es auf, erhob sich mühsam und begann:

»Wo – es – am schönsten –«, da warf er sich wieder hin auf den Boden und verbarg sein Antlitz: »Ich will nicht mehr leben«, murmelte er; »wenn Du gehst, will ich nicht mehr leben!«

Sie beugte sich über ihn. »Und hältst mich doch nicht!« sagte sie leise.

Er zuckte zusammen und starrte sie an. »Mariska! Was meinst du?! – Spottest Du meiner?!«

»Und hältst mich doch nicht«, wiederholte sie bebend, während Thränen in ihre Augen traten.

Er richtete sich auf und faßte sich beim Kopf wie einer, der zu träumen glaubt. »Mariska! – Du kannst – nein! Du kannst mich nicht lieben!«

»Und warum sollte ich den besten, den allerbesten Menschen nicht lieben können?« fragte sie leise, ohne ihn anzusehen.

»Gott! – Gott!«

Er kniete vor ihr und barg sein Haupt in ihrem Schooße. – Und da sagte er das Dümmste, das er je gesagt hatte in seinem ganzen Leben: »Mariska, – ich spreche nicht einmal gut deutsch! Ich spreche es nur so, wie man es hier spricht.«

Sie lachte hell auf, mitten in ihren Thränen. »Wir werden ungarisch mit einander reden, wie bisher. Und dann kannst Du auch von mir deutsch lernen, wenn Du willst.«

Er sah zaghaft nach ihr. Plötzlich lachte er selbst. Im nächsten Moment hielt er sie umschlossen und küßte das erröthende Weib zum ersten Male.

Als er sie später auf seinen Armen über die Schwelle seines Häuschens trug, setzte er sie in Frau Komrodi's Stube fein säuberlich in den Lehnstuhl der alten Frau, vor diese hin. »Sehen Sie sie gut an, Frau Komrodi«, sagte er übermüthig, »ob Sie errathen, wer das ist? – Ihre zukünftige Herrin!«

»Nein, Herr Laczi, daß ich das erlebe!«


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