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Charmides.Charmides, der Vater des Lesbonikus, landet, aus Seleucia zurückkehrend, glücklich bei Athen.
Ich lese: Jovis fratri aetherei, Neptuno.
Bring' ich jubelnd laut mein Lob dar, weiß dir Dank und den salzigen Fluten,
Deren Macht all meine Habe, ja, mein Leben heimgestellt war,
Daß ihr mich aus eurem Reich in Stadt und Mauern heimgeleitet!
Und so bring' ich dir vor allen Göttern hohen Dank, Neptunus.
Denn dich schelten Alle grausam, unersättlich, allverschlingend,
Feindlich, unflatvoll, unleidlich, rasend: ich erfuhr es anders.
Denn gelind und gnädig warst du mir zur See stets, wie ich's wünschte.
Wohl vernahm ich früher schon
Deinen Ruhm mit meinen Ohren, der in alle Welt erschollen,
Daß du der Armen zu schonen pflegst, die Reichen niederwirfst und züchtigst.
Ja, das lob' ich, du weißt, wie's recht ist, uns zu behandeln; das ziemt Göttern;
Flehenden Armen warst du allzeit treu, du, den sie treulos schelten.
Ohne dich, wohl weiß ich's, hätten
Deine TrabantenDie Trabanten des Neptunus sind die Wellen und die Winde. mich Armen im Meere kläglich zerfleischt und schmählich zerrissen,
Und mit mir all meine Habe weithin zerstreut in den blauen Wogen.
Also, gleich Seehunden, standen um das Schiff im Wirbel die Winde;
Regengüsse, Fluten, wilde Stürme brausten, zerbrachen den Mastbaum,
Stürzten die Rahe, zerrissen die Segel, wenn nicht deine Huld erschienen.
Scheide nun! Beschlossen ist's: jezt will ich ruh'n. Genug erwarb ich,
Während ich so mit Mühen mich abrang und dem Sohne Reichthum schaffte.
Doch wer ist das, der in die Gasse tritt in dem seltsamen Kleid und Aufzug?
Wenn mich auch nach Haus verlangt, doch will ich warten, was der vorhat,
(er tritt auf die Seite.)
Charmides. Der Gauner.
Der Gauner. Diesen Tag will ich den DreierVgl. die Anmerkung zum Prolog V. 20. nennen; denn mein Tagewerk
Hab' ich heut zu Schelmenstücken um drei Drachmen ausgespielt.
Aus Seleucia komm' ich, Asien, Thracien und Arabien,
Die mein Auge nie geseh'n hat, die mein Fuß niemals berührt.
Ha, wozu treibt doch die Armuth einen armen Schlucker oft,
Wenn mich heut drei Drachmen zwingen, daß ich diese Briefe hier
Soll von einem Menschen haben, den ich nie mit Augen sah,
Ja, von dem ich nicht genau weiß, ob er nur geboren ist.
Charmides. Der gehört zum Stamm der Pilze; ganz vom Kopf ist er bedeckt.Der Gauner ist nichts als Kopf wegen des großen Reisehutes, den er trägt.
Ein Illyrer nach dem Ausseh'n; kommt er doch in solchem Kleid.
Der Gauner. Der, an den ich mich verdungen, führte mich mit sich nach Haus,
Sagte, was er haben wollte, lehrte, wies mich an zuvor,
Wie ich Jedes machen sollte. Thu' ich jezt noch was hinzu,
Fährt mein Miethsherr um so besser, hat er größern Spaß mit mir.
Wie er mich herausgepuzt hat, steh' ich hier. Das macht das Geld.
Diesen Anzug nahm er vom ChoragenDer Chorage ist bei den Griechen der Führer und Einüber eines Chores, der an öffentlichen Festen seine Künste zeigen soll. Er hatte zugleich alles Schaugeräth und alle Anzüge, welche für die einzelnen Rollen nothwendig waren. Die Römer, welche das bessere Schauspielwesen von den Griechen überkamen, behielten meistens hier griechische Benennungen bei, und nannten denjenigen, welcher im Auftrage und unter dem Oberbefehl des Curulädilen Vorsteher und Leiter des Schauspieles war, gleichfalls choragus, und den Ort im Schauspielhause, wo die nöthigen Kleidungsstücke und die übrigen Requisiten aufbewahrt wurden (die Garderobe), das choragium. Köpke. auf sein Risico.
Will jezt seh'n, ob ich den Menschen um den Anzug prellen kann,
Daß er selbst den rechten ächten Gauner doch in mir erkennt.
Charmides. Der, je mehr ich ihn betrachte, desto mehr mißfällt er mir.
Traun, es kann ein Nachtgesell nur, nur ein Beutelschneider sein.
Er besieht sich Alles, schaut sich um, und mustert Haus um Haus.
Glaube gar, er späht den Ort aus, wo er demnächst mausen will.
Muß ihn um so mehr belauern, was der Kerl im Schilde führt.
Der Gauner. Dieser Ort ist's, den mein Miethsherr mir vorhin bezeichnet hat.
Hier bei diesem Hause soll sich meine Gaunerei ergeh'n.
Klopf' ich denn!
Charmides. Er geht gerades Weges dar auf unser Haus.
Nun, fürwahr, bei meiner Heimkehr muß ich Nachts hier Wache steh'n!
Der Gauner. Aufgemacht hier! Aufgemacht! He, wer bewacht die Thüre da?
Charmides. Junger Mensch, was suchst du, willst du, daß du polterst an die Thür?
Der Gauner. Alter, ich bin aufgezeichnet, seit ich vor dem Censor stand.Bei dem Censor hatten die Fremden ihren Namen, ihr Vaterland und ihre Geschäfte anzugeben. Er heißt in der römischen Urschrift jurator, weil er ihnen über ihre Aussagen einen Eid abnehmen mußte. Dem Censor, will der Gauner sagen, habe ich über meine Person, über mein Leben und Treiben Rede und Antwort gegeben; dir bin ich keine Rechenschaft schuldig.
Einen Lesbonikus such' ich, (wohnen soll er hier herum)
Einen Jüngling, und 'nen Andern, einen Graukopf so wie du;
Kallikles nannt' ihn mit Namen, der mir diese Briefe gab.
Charmides. (für sich)
Meinen Sohn, den Lesbonikus, sucht ja der und meinen Freund,
Dem ich Kinder und Vermögen anbefahl, den Kallikles.
Der Gauner. Weißt du, wo die Leute wohnen, laß mich's wissen, Väterchen.
Charmides. Wer, von wannen bist du? Woher kommst du? Weßhalb suchst du sie?
Der Gauner. Vielgefragt in Einem Athem! Was beantwort' ich zuerst? –
Fragst du mich Eins um das Andre ruhig und geduldig ab,
Sollst du meinen Namen wissen, mein Geschäft und meinen Weg.
Charmides. Wie du willst. Wohlan, vor Allem sage deinen Namen mir.
Der Gauner. Du beginnst mit etwas Großem.
Charmides. Und warum?
Der Gauner. Weil, Väterchen,
Wenn vom Anfang meines Namens du, bevor der Morgen graut,
Ziehst hinaus, es Schlafenszeit wird, ehe du zum Schluß gelangst.
Charmides. Dann bedarf's zu deinem Namen Fakeln wohl und Reisegeld.
Der Gauner. Einen andern hab' ich noch, nicht größer als das kleinste Faß.
Charmides. (bei Seite)
Sicher ist der Mensch ein Gauner. (laut)
Junger Freund, noch Eins!
Der Gauner. Was soll's?
Charmides. Sag' einmal, ob dir die Leute, die du suchst, was schuldig sind.
Der Gauner. Nun, des jungen Lesbonikus Vater gab die Briefe mir;
Der gehört zu meinen Freunden.
Charmides. (für sich) Den ertappt' ich auf der That.
Ich gab ihm die Briefe, sagt er. Warte, Mensch! Du sollst mir dran!
Der Gauner. Gibst du Acht, dann red' ich weiter.
Charmides. Gut, ich merke schon auf dich.
Der Gauner. Diesen Brief hier soll ich Lesbonikus bringen, seinem Sohn,
Diesen andern seinem Freunde Kallikles, befahl er mir.
Charmides. (für sich)
Wenn er seinen Spaß mit mir treibt, treib' ich wieder Spaß mit ihm.
(laut)
Wo befand er sich?
Der Gauner. Erwünscht.
Charmides. Wo? frag' ich.
Der Gauner. In Seleucia.
Charmides. Gab er dir die Briefe selbst?
Der Gauner. Aus seiner Hand in meine Hand.
Charmides. Und sein Aeußres?
Der Gauner. Anderthalb Fuß länger mag er sein, als du.
Charmides. (für sich)
Halt! Da stockt's: an fremden Orten bin ich länger, als daheim
(laut)
Kennst du ihn?
Der Gauner. Wie schnackisch fragst du! Speis' ich täglich doch mit ihm.
Charmides. Und sein Name?
Der Gauner. Wie man einen braven Mann zu nennen pflegt.
Charmides. Möcht' ihn hören.
Der Gauner. (sich besinnend) Nun, er heißt – er heißt – Ich armer Tropf!
Charmides. Was ist's?
Der Gauner. Eben schluckt' ich unversehens seinen Namen hinterwärts.
Charmides. Mir gefällt nicht, wer die Freunde zwischen seinen Zähnen hält.
Der Gauner. Und im Augenblicke schwebt' er mir noch auf der Lippen Rand.
Charmides. (für sich)
Den ertappt' ich heut zu rechter Zeit.
Der Gauner. (für sich) Ich Thor verrieth mich selbst!
Charmides. (laut)
Fandst du jezt den Namen wieder?
Der Gauner. (für sich) Schäme mich vor Gott und Welt.
Charmides. Wie du doch den Mann so gut kennst!
Der Gauner. Wie mich selbst! So geht es meist:
Was die Hand hält, was das Auge sieht, das sucht man. Doch vielleicht
Führt der Buchstab mich darauf. C— damit fängt der Namen an.
Charmides. Callias?
Der Gauner. O nein!
Charmides. Calippus?
Der Gauner. Auch nicht.
Charmides. Callidemides?
Der Gauner. Auch nicht.
Charmides. Callinicus?
Der Gauner. Auch nicht.
Charmides. Callimarchus?
Der Gauner. Alles nichts!
Und fürwahr, mich schiert es wenig, weiß ich ihn nur selbst für mich.
Charmides. Lesbonike gibt es viele: kannst du des Vaters Namen nicht
Nennen, kann ich auch die Leute dir nicht zeigen, die du suchst.
Sprich: wie klingt er? Durch Vermuthung finden wir ihn doch vielleicht.
Der Gauner. So wie »Char« –
Charmides. Wohl Charidemus? Chares? Oder Charmides?
Der Gauner. Ja, der ist es. Gott verdamm' ihn!
Charmides. Sagt' ich dir nicht schon vorhin,
Besser wär's, du wünschtest einem Freunde Glück, und nicht den Fluch?
Der Gauner. Was verkroch sich mir der Schurke zwischen Zähn' und Lippen auch?
Charmides. Fluche nicht dem fernen Freunde.
Der Gauner. Was verbarg sich denn der Lump
Hier vor mir?
Charmides. Er gab dir Antwort, riefst du ihn bei'm Namen an.
Doch wo ist er?
Der Gauner. Ich verließ ihn bei Rhadamanth im Affenland.Ich lese: in Ceropia.
Charmides. (bei Seite)
Wer kann dümmer sein, als ich bin, selbst zu fragen, wer ich sei?
Doch es kann hier gar nicht schaden. (laut)
Nun?
Der Gauner. Was?
Charmides. Was ich fragen will:
Welche Lande sahst du?
Der Gauner. Ganz entsezlich wunderseltsame.
Charmides. Wenn dir's nicht beschwerlich fällt, so nenne sie.
Der Gauner. Das thu' ich gern.
Allererst ging's nach dem Pontus in das Land Arabien.
Charmides. Hoho!
Liegt Arabien auch im Pontus?
Der Gauner. Nicht das, wo der Weihrauch wächst,
Das Arabien, wo der Wermuth, wo das Hühnerkraut gedeiht.
Charmides. (bei Seite)
Welch ein ganz durchtriebner Schwäzer! Doch bin ich noch alberner,
Den zu fragen, wo ich herkam, was ich weiß und er nicht weiß.
Aber das erführ' ich gerne, wie der Wirrwarr enden wird.
(laut)
Sage mir, wie ist dein Name, junger Mensch?
Der Gauner. Ich heiße Patsch
Für den Alltagsbrauch.
Charmides. Fürwahr, ein Name, recht zu Spiel und Spaß!
Grad' als riefst du, wenn ich dir was anvertraut: »Patsch, Alles weg!«
Aber sprich, wo kamst du sonst hin?
Der Gauner. Merkst du auf, erzähl' ich dir's.
An den Strom, der aus dem Himmel unter'm Thron des Zeus entspringt.
Charmides. Unter'm Thron des Zeus?
Der Gauner. So sagt' ich.
Charmides. Aus dem Himmel?
Der Gauner. Mitten drin.
Charmides. Ei, ei!
Stiegst du gar zum Himmel auf?
Der Gauner. In einem Kahne, wo wir stets
Frisch dem Strom entgegenfuhren.
Charmides. Ei, so sahst du gar den Zeus?
Der Gauner. Auf dem Landgut theilt' er, hieß es, ihre Kost den Knechten aus.
Weiter –
Charmides. Weiter will ich nicht mehr, daß du mir noch weiter sagst.
Der Gauner. Immerhin, wenn ich dir lästig bin –
Charmides. Ein Mensch, ganz ohne Scham,
Muß es sein, der von der Erde je hinauf zum Himmel flog.
Der Gauner. Lass' ich dich, weil du's zu wünschen scheinst; doch weise mir zuvor
Noch die Leute, die ich suche, denen ich die Briefe hier
Bringen soll.
Charmides. Was meinst du? Sähst du jezt denselben Charmides,
Der die Briefe, wie du sagst, dir übergab, erkenntest du
Wohl den Menschen?
Der Gauner. Alle Götter! Hältst du mich denn für ein Thier,
Daß ich den nicht kennen soll, mit dem ich stets zusammen war?
Wär' er wohl so thöricht, daß er tausend PhilippsstückePhilippsstücke, Goldstücke, von König Philippus (von Macedonien) geprägt. mir
Anvertraute, daß ich diese seinem Sohn und Kallikles
Bringen soll, dem Freunde, dem er, wie er sagt, sein Gut befahl?
Würd' er mir das anvertrauen, kennt' er mich nicht ganz genau?
Charmides. (für sich)
Wahrlich, diesem Schelmen spiel' ich heute selbst ein Schelmenstück,
Wenn ich ihm die tausend Philippsstücke nur abführen kann,
Die ich, sagt er, ihm gegeben. Einem mir ganz fremden Kerl,
Welchen ich bis heute nie geseh'n, dem sollt' ich Gold vertrau'n?
Keinen Heller würd' ich ihm vertrau'n, und gält' es meinen Kopf!
Doch ich muß mit List ihn angeh'n. (laut)
Nur noch auf drei Worte, Patsch!
Der Gauner. Auf dreihundert.
Charmides. Hast du denn das Gold, das Charmides dir gab?
Der Gauner. Und Philippusstücke, die er selbst mir auf den Tisch gezählt:
Tausend Stücke.
Charmides. Von ihm selbst, von Charmides, empfingst du sie?
Der Gauner. Nicht vom Ahn und nicht vom Urahn, die vorlängst begraben sind.
Charmides. Junger Mensch, gib mir das Gold her.
Der Gauner. Ich dir geben? Welches Gold?
Charmides. Das ich dir gab, wie du sagtest.
Der Gauner. Das du mir gabst?
Charmides. Allerdings.
Der Gauner. Wer bist du?
Charmides. Der dir die tausend Stücke gab, bin Charmides.
Der Gauner. Nein, der bist du nicht, noch wirst du's heute – was dies Gold betrifft.
Fort, du Schelm! Auf Deinesgleichen zählst du bei dem Schelmenstreich.
Charmides. Ich bin Charmides.
Der Gauner. Das hilft dir gar nichts; bring' ich doch kein Gold.
Allzulistig schlichst du dich in dies Gelegenheitchen ein,
Als ich Gold zu bringen vorgab, wardst du plözlich Charmides.
Früher warst du's nicht, bis ich von meinem Golde sprach. – Umsonst! –
So wie du dich charmidirt hast, so entcharmidire dich.
Charmides. Nun – wer bin ich, wenn ich nicht bin, der ich bin?
Der Gauner. Was schiert es mich?
Bist du nur nicht, was ich nicht will, sei für mich, was dir beliebt.
Was du warst, das warst du früher nicht; jezt wardst du, was du sonst
Nicht gewesen.
Charmides. Mach doch!
Der Gauner. Was denn?
Charmides. Gib das Gold her.
Der Gauner. Greis, du träumst.
Charmides. Du bekennst, daß Charmides das Gold dir gab?
Der Gauner. Auf dem Papier.
Charmides. Eilst du dich aus diesen Räumen fortzupacken, Nachtgesell?
Wenn du säumst, so wirst du schmählich durchgebläut auf mein Geheiß!
Der Gauner. Und warum?
Charmides. Weil ich es selbst bin, Charmides, von dem du logst,
Daß er dir die Briefe mitgab.
Der Gauner. Du bist der, ich bitte dich?
Charmides. Freilich.
Der Gauner. Sage mir: du bist es selbst?
Charmides. Gewiß.
Der Gauner. Du bist es selbst?
Charmides. Charmides, so sag' ich, selbst.
Der Gauner. Du also selbst?
Charmides. Ich selber selbst. –
Fort aus meinen Augen!
Der Gauner. Weil du denn zu spät hier angelangt,
Kriegst du Schläg' auf meinen Antrag nach Befehl der Polizei.Der Vers enthält eine komische Anspielung auf die Verhältnisse der Schauspieler. Wer später auftritt, als es seine Rolle erheischt, oder sein Stichwort verlangt, bekommt, wie überhaupt die römischen Schauspieler abgerichtete Sklaven sind, zur Strafe die Peitsche. Charmides ist nach der Fabel des Stückes später aus Asien zurückgekehrt, als man ihn erwartete, und hat eben durch seine verspätete Rückkehr den ganzen Inhalt des Lustspiels veranlaßt. Diese lange Abwesenheit des Vaters machte den Sohn lüderlich, und zwang den Kallikles zu einer List, welcher der Gauner als Werkzeug dienen mußte. Es fehlt daher diesem wizigen Einfalle nicht an Vergleichungspunkten.
Charmides. Was? Du schimpfst noch?
Der Gauner. Freilich wohl, und nun du glücklich angelangt,
Strafe Gott mich, wenn mich's kränkte, wärst du längst der Hölle Raub!
Meine Müh' ist mir bezahlt: dir wünsch' ich Unheil auf den Kopf.
Wer du sonst bist oder nicht bist, schiert mich keinen Pfifferling.
Nun zu dem, der mir die Drachmen zahlte! Kundthun will ich's ihm,
Daß er weiß, sie sind verloren. Lebe schlimm, so schlimm du kannst!
Daß die Götter gleich zur Ankunft dich verderbten, Charmides!
(geht ab.)
Charmides. (allein)
Nun der davon ist, kam mir doch Gelegenheit
Und Muße, dünkt mir, endlich für ein freies Wort.
Schon lange stach mich's in der Brust, dem Stachel gleich,
Was der vor meinem Hause da zu schaffen hat.
Denn jener Brief und die Philippusstücke zieh'n
Viel Furcht zusammen in meiner Brust: was will er nur?
Nie wahrlich klingt doch einer Glocke Klang von selbst;
Wenn man daran nicht rührt und zieht, so bleibt sie stumm.
Doch wer ist das, der rennend hier in die Gasse läuft?
Ich muß doch lauschen, was er will: hier tret' ich hin.
(er tritt auf die Seite.)
Stasimus. Charmides.
Stasimus. (etwas betrunken und taumelnd, ohne den Charmides zu bemerken)
Stasimus, tummle dich fort und eile, laufe nach Hause zum Herrn zurück,
Daß um deiner Tollheit willen nicht dein Rücken zittern muß.
Eile, verdopple den Schritt! Du bist so lange schon von Hause weg.
Hüte dich, daß nicht der Farrenziemer klipp klapp dich beklatscht,
Wenn du fortbist und der Herr dich sucht: laß nicht zu laufen ab!
Stasimus, was für ein Lümmel bist du, daß du gar bei'm warmen Wein,Der Vers beginnt mit Daktylen, wie Daktyle zum Theil auch in den anderen Versen, die Stasimus spricht, die Tribrachen der Urschrift vertreten.
Da du dir die Gurgel wärmtest, deinen Ring vergessen hast!
Laufe zurück, und hol' ihn zurück, noch ist es Zeit!
Charmides. Der, wer es sei,
Ging bei'm Kornwurm in die Schule: ja, der lehrt ihm seinen Lauf.
Stasimus. Wie, Gesell, du schämst dich gar nicht? Hast du schon bei'm dritten Glas
Dein Gedächtniß ganz vertrunken? Weil du dort mit ehrlichen
Leuten trankst, die nie nach fremdem Gut die Finger spizten? Mit
Cerconicus, mit Theruchus, Collabus, Cercobolus,Vielleicht Namen damals berüchtigter Spizbuben.
Kettenreibern, Galgenvögeln, Beutelschneidern, Diebespack?
Und von solchen Schandgesellen willst du deinen Ring zurück,
Deren Jeder einem Läufer noch im Lauf die Sohle stiehlt?
Charmides. (für sich)
Traun, ein recht durchtriebner Dieb!
Stasimus. Was lauf' ich dem Verlornen nach?
Gäb' ich doch den Spott zum Schaden obenein noch in den Kauf.
Glaube mir, verloren ist verloren! Wende dich zurück!
Fort zum Herrn!
Charmides. Ausreißer ist er nicht; er denkt an seinen Herrn.
Stasimus. Wollte Gott, daß alte Sitten, daß die alte Sparsamkeit
Hier in größern Ehren stünden, als die Sittenlosigkeit!
Charmides. Großer Gott! Der fängt in königlichem Ton zu reden an!
Altes will er, Altes liebt er, Sitten nach der Väter Art.
Stasimus. Denn die Welt fragt heute nicht: »was darf ich?« nein: »was lüstet mich?«
Aemtersucht gilt jezt als heilig; kein Gesez hemmt ihr den Weg.
Vor dem Feinde flieh'n, den Schild wegwerfen, das ist Mode jezt.Wer auf der Flucht seinen Schild wegwarf, galt nach griechischen Gesezen für ehrlos.
Durch die Schandthat Ehre suchen, ist der Welt Lauf.
Charmides. Böse Welt!
Stasimus. Wackre Männer übergehen, ist der Welt Lauf.
Charmides. Welche Schmach!
Stasimus. Mode hat sich das Gesez längst unterthan gemacht, und mehr
Muß es ihr zu Willen sein, als Eltern oft den Kindern sind.
Ja, mit Eisenklammern nagelt man das arme Strafgesez
An die MauerPolizeiliche und andere Verordnungen wurden zu Rom auf Tafeln abgefaßt und an öffentlichen Pläzen angeschlagen. , wo das Laster aufzuhängen billig war.
Charmides. Wünschte wohl ihn anzusprechen; doch ich hör' ihn gar zu gern.
Wenn ich ihn anrede, fürcht' ich, kommt er auf was Anderes.
Stasimus. Kein Gesez ist heilig mehr, weil das Gesez der Mode dient.
Unbedenklich raubt die Mode Staatsgefäll und Tempelgut.
Charmides. Wahrlich, dann verdient die Mode, daß man ihr den Rücken bläut.
Stasimus. Fand ich's so nicht aller Orten? Diese böse Menschenart
Führt mit allen Menschen Krieg, und spielt dem ganzen Volke mit.
Da sie keine Treue halten, bringen sie Schuldlose selbst
Um's Vertrau'n; denn nach sich selber messen sie der Andern Thun.
Wie ich kam auf die Gedanken, hat die That mich heut gelehrt.
Wenn du was auf Borg gegeben, sieh es als verloren an.
Forderst du's zurück, so wandelt flugs der Freund zum Feind sich um.
Suchst du's ernstlich einzutreiben, bleibt dir nur die Eine Wahl:
Was du hinliehst, geht verloren, oder du verlierst den Freund.
Charmides. Das ist Stasimus ja, mein Sklave.
Stasimus. Für mein Geld, das ich verlieh,
Hab' ich einen Feind erhandelt, und verhandelt einen Freund.
Doch ich bin recht thöricht, daß ich um den Staat mich kümmere,
Und nicht, was mir doch zunächst liegt, meinen Rücken sichere.
Fort nach Haus!
Charmides. He! Bleibe steh'n!
Stasimus. Ich bleibe nicht.
Charmides. Ich aber will's.
Stasimus. Und ich will nicht, daß du's willst.
Charmides. Ei, nicht so trozig, Stasimus!
Stasimus. Willst du befehlen, kaufe dir Einen.
Charmides. Nun, ich that's und gab das Geld.
Wenn er aber nicht gehorcht, was thu' ich dann?
Stasimus. So prügl' ihn durch.
Charmides. Gut gerathen: also thu' ich!
Stasimus. Wenn du nicht ihn schonen mußt.
Charmides. Taugt er was, so schon' ich ihn, wo nicht, befolg' ich deinen Rath.
Stasimus. Was geht mich's an, ob du gute Diener, ob du schlechte hast?
Charmides. Weil du deinen Theil am Guten und am Schlechten hast.
Stasimus. So nimm
Einen denn für dich, den andern, guten, überlasse mir.
Charmides. Wenn du das verdient, gescheh' es! Sieh her! Ich bin Charmides.
Stasimus. Ha, Wer ist es, der mir hier des besten Mannes Namen nennt?
Charmides. Er, der Beste selbst.
Stasimus. O Meere, Himmel, Erde, Götter, helft!
Seh' ich recht mit meinen Augen? Ist er's oder nicht? Er ist's.
(er betrachtet den Charmides von allen Seiten)
Ja, er ist's: er ist es wirklich! O mein langersehnter Herr,
Sei gegrüßt!
Charmides. Auch du.
Stasimus. Es freut mich, dich gesund –
Charmides. Ich glaube dir's.
Doch laß Andres: sage jezt nur, wie es meinen Kindern geht,
Die ich hier ließ, Sohn und Tochter.
Stasimus. Sind am Leben, sind gesund.
Charmides. Beide?
Stasimus. Beide.
Charmides. Nun, die Götter segnen sichtbar mein Geschick.
Alles Andre frag' ich drinnen, wenn wir erst bei Muße sind.
Geh'n wir: folge mir!
Stasimus. Wohin denn?
Charmides. Nun – wohin sonst, als in's Haus?
Stasimus. Glaubst du denn, wir wohnten hier noch?
Charmides. Wo denn könnt' es anders sein?
Stasimus. Dieses Haus –
Charmides. Nun?
Stasimus. Ist nicht unser mehr.
Charmides. Was hör' ich da von dir?
Stasimus. Hat es doch dein Sohn verkauft.
Charmides. Weh!
Stasimus. Für gezähltes baares Geld.
Charmides. Um wie viel?
Stasimus. Um vierzig Minen.
Charmides. Gott! Ich bin des Todes! Wer
Kauft' es?
Stasimus. Kallikles, derselbe, dem du Hab' und Gut befahlst.
Der zog ein, um hier zu wohnen, und warf uns zur Thür hinaus.
Charmides. Und mein Sohn? Wo wohnt denn der jezt?
Stasimus. Hier, in diesem Hinterhaus.
Charmides. Weh mir, weh.
Stasimus. Daß dich die Kunde schmerzen würde, dacht' ich wohl.
Charmides. In dem kleinsten KahneFür meis periclis lesen wir mit Bothe minumis vehiculis. fuhr ich durch die größten Meere hin
Mit Gefahr selbst meines Lebens, kämpfte mich durch Räuber durch,
Kehrte glücklich heim, und soll nun durch die Schuld derselben hier
Untergeh'n, für die ich mein ergrautes Haupt mit Noth belud!
Ach, der Gram raubt mir die Sinne. Stasimus, halte mich!
Stasimus. Soll ich dir
Wasser holen?
Charmides. Das that noth, als meine Hab' in Flammen stand.
Kallikles. Charmides. Stasimus.
Kallikles. Ha, welchen Lärmen hör' ich hier vor meinem Haus?
Charmides. O Kallikles, o Kallikles, o Kallikles!
Welch einem Freund vertraut' ich meine Güter an!
Kallikles. Nun, einem braven, sichern und von fester Treu.
Willkommen! Freut mich, daß du wohl zurückgekehrt.
Charmides. Das glaub' ich alles, ist es also, wie du sagst.
Doch welchen Aufzug hast du da?
Kallikles. Dies hörst du gleich.
Ich grub den Schaz im Hause, deiner Tochter die
Mitgift davon zu schaffen. Doch das will ich dir
Nebst Andrem drinnen sagen. Komm!
Charmides. He, Stasimus!
Stasimus. Nun?
Charmides. Laufe flugs zum Hafen, lauf' in Einem Zug!
Du wirst das Schiff dort finden, das uns hergebracht.
Sangario soll, was ich seiner Hut befahl,
An's Land besorgen lassen, und du gehst mit ihm.
Dem Zollbeamten ist der Zoll bereits bezahlt.
Stasimus. Ich säume nicht.
Charmides. Geh, eile! Komm auch bald zurück.
Stasimus. In Einem Zug hin und zurück!
Kallikles. (zu Charmides) Du komm hinein!
Charmides. Wohl.
(Beide gehen hinein.)
Stasimus. (allein) Der allein ist meinem Herrn ein treuer Freund
Geblieben, hat in seiner Treue nie gewankt,
Obwohl er mancher Mühe sich um meinen Herrn
Und seiner Kinder wegen unterzogen hat.