Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Dritter Theil. Der Staat
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Zehntes Buch

(595) Und gewiß, sprach ich, auch an vielem anderen bemerke ich in diesem Staate, wie wir ihn vortrefflich angelegt haben, nicht am schwächsten aber behaupte ich dies, wenn ich an die Dichtkunst gedenke. – An was doch? fragte er. – Daß wir auf keine Weise aufnehmen was von derselben darstellend ist. Denn daß diese ganz vorzüglich nicht aufzunehmen sei, das zeigt sich, wie mich dünkt, jetzt noch deutlicher, seitdem wir die verschiedenen Teile der Seele einzeln von einander gesondert haben. – Wie meinst du das? – Um es nur zu euch zu sagen – denn ihr werdet mich doch nicht angeben bei den Tragödiendichtern und den übrigen darstellenden insgesamt – mir scheint dergleichen alles ein Verderb zu sein für die Seelen der Zuhörer, so viele ihrer nicht das Heilmittel besitzen, daß sie wissen wie sich die Dinge in der Wirklichkeit verhalten. – In welcher Hinsicht sagst du dieses? – Ich muß mich wohl erklären, sprach ich, wiewohl eine Liebe und Scheu, die ich von Kindheit an für den Homeros hege, mich hindern will zu reden. Denn er mag doch wohl aller dieser trefflichen Tragiker erster Lehrer und Anführer gewesen sein. Aber kein Mann soll uns doch über die Wahrheit gehen; also muß ich wohl sagen was ich denke. – Auf alle Weise, sagte er. – So höre denn, oder vielmehr antworte. – Frage nur. – Was Darstellung überhaupt ist, weißt du mir das wohl zu sagen? denn ich selbst sehe noch nicht recht was sie sein will. – Und, sagte er, da soll ich es wohl sehen? – Das wäre ja, sprach ich, gar nichts (596) sonderbares, denn schon oft haben stumpfsichtige etwas eher gesehen als scharfsichtigere. – Das ist wohl richtig, sagte er; aber in deiner Gegenwart könnte ich nicht einmal das Herz fassen zu sagen was mir etwa einfiele; also sieh du nur selbst zu. – Willst du also daß wir die Betrachtung hiebei anfangen nach der gewohnten Weise? Nämlich Einen Begriff pflegen wir doch jedesmal aufzustellen für jegliches Viele, dem wir denselben Namen beilegen. Oder verstehst du mich nicht? – Wohl verstehe ich. – Nehmen wir also was du willst von solchem Vielen! Wie, wenn es dir recht ist, gibt es doch viele Bettgestelle und Tische? – Wie sollte es nicht. – Aber Begriffe gibt es doch nur zweie für diese Geräte, der eine das Bett, der andre der Tisch. – Ja. – Und pflegen wir nicht zu sagen, daß die Verfertiger jegliches dieser Geräte auf den Begriff sehend so der eine die Bettgestelle macht der andere die Tische, deren wir uns bedienen, und eben so auch alles andere? Denn den Begriff selbst verfertiget doch keiner von diesen Meistern; wie sollte er auch? – Auf keine Weise. – Aber sieh einmal zu, nennst du auch diesen einen Meister? – Welchen doch? – Der alles macht, was jeder von diesen Handwerkern. – Das ist ja ein außerordentlicher und wundervoller Mann! – Noch eben nicht; aber bald wirst du es wohl noch stärker ausdrücken. Denn dieser selbige Handwerker ist im Stande nicht nur alle Geräte zu machen, sondern auch alles insgesamt, was aus der Erde wächst, macht er, und alle Tiere verfertigt er, die andern wie auch sich selbst, und außerdem noch den Himmel und die Erde und die Götter, und alles im Himmel und unter der Erde im Hades insgesamt verfertigt er. – Einen ganz wunderbaren Sophisten, sagte er, beschreibst du da. – Glaubst du es etwa nicht? sprach ich; und sage mir, dünkt es dich überall keinen solchen Meister zu geben, oder daß einer nur auf gewisse Weise alle diese Dinge verfertigt, auf andere aber wieder nicht? oder merkst du nicht, daß auch du selbst im Stande bist auf gewisse Weise alle diese Dinge zu machen? – Und, fragte er, was ist doch dies für eine Weise? – Gar keine schwere, sprach ich, sondern die vielfältig und in der Geschwindigkeit angewendet wird. Am schnellsten aber wirst du wohl, wenn du nur einen Spiegel nehmen und den überall umhertragen willst, bald die Sonne machen und was am Himmel ist, bald die Erde, bald auch dich selbst und die übrigen lebendigen Wesen und Geräte und Gewächse, und alles wovon nur so eben die Rede war. – Ja scheinbar, sagte er, jedoch nicht in Wahrheit seiend. – Schön, sprach ich, und wie es sich gebührt triffst du die Rede. Nämlich einer von diesen Meistern, meine ich, ist auch der Maler. Nicht wahr? – Wie sollte er nicht? – Aber du wirst sagen, meine ich, er mache nicht wahrhaft was er macht. Wiewohl auf gewisse Weise macht auch der Maler ein Bettgestell. Oder nicht? – Ja, sagte er, ein scheinbares auch er. – (597) Wie aber der Tischer? Sagtest du nicht doch eben, daß auch er ja den Begriff nicht macht, der doch eigentlich, wie wir behaupten, das Bettgestell ist, sondern ein Bettgestell mache er? – Das sagte ich freilich! – Also wenn er nicht macht was ist: so macht er auch nicht das seiende, sondern nur dergleichen etwas wie das seiende; seiendes aber nicht? und wenn jemand behaupten wollte, das Werk des Tischers oder sonst eines Handwerkers sei im eigentlichsten Sinne seiend, der schiene wohl nicht richtig zu reden? – Freilich nicht, sagte er, wie es wenigstens denen vorkommen würde, die sich mit dergleichen Reden beschäftigen. – So wollen wir uns demnach nicht wundern, wenn auch dieses etwas trübes ist gegen die Wahrheit. – Freilich nicht. – Willst du nun, daß wir eben hiervon auch den Nachbildner aufsuchen, wer er wohl ist? – Wenn du willst, sagte er. – Also dieses werden uns drei Bettgestelle, die eine, die in der Natur seiende, von der wir, denke ich, sagen würden, Gott habe sie gemacht. Oder wer sonst? – Niemand, denke ich. – Eine aber der Tischer. – Ja, sagte er. – Und eine der Maler. Nicht wahr? – So sei es. – Maler also, Tischer, Gott, diese drei sind Vorsteher der dreierlei Bettgestelle. – Ja, drei. – Gott aber, wollte er nun nicht oder war eine Notwendigkeit für ihn nicht mehr als Ein Bettgestelle zu machen, so machte er auch nur Eins allein, jenes was das Bettgestelle ist. Zwei solche aber oder mehrere sind von Gott nicht eingepflanzt worden, und werden es auch nicht werden. – Wie so? sagte er. – Weil, sprach ich, wenn er auch nur zwei gemacht hätte: so würde sich doch wieder Eine zeigen, wovon jene beiden die Gestalt an sich hätten, und so wäre dann jene, was das Bettgestelle ist, und nicht die Zweie. – Richtig! sagte er. – Dieses nun wissend, denke ich, hat Gott, weil er wahrhaft der Verfertiger des wahrhaft seienden Bettgestells sein wollte und nicht eines Bettgestells noch auch ein Tischer, sie als Eine dem Wesen nach gebildet. – So scheint es ja. – Sollen wir diesen also den Wesenbildner hievon nennen oder ohngefähr so? – Das ist ja wohl billig, sagte er, da er ja dieses und alles andere dem Wesen nach gemacht hat. – Und wie den Tischer? nicht den Werkbildner des Bettgestelles? – Ja. – Nennen wir auch wohl den Maler Werkbildner und Verfertiger desselben? – Keinesweges. – Aber was denn sagst du, daß er von dem Bettgestelle sei? – Ich denke, entgegnete er, am schicklichsten nennen wir ihn Nachbildner desselben, wenn jene die Werkbildner sind. – Sei es! sprach ich. Des dritten Erzeugnisses Vorsteher von dem Wesen ab nennst du also Nachbildner. – Allerdings, sagte er. – Dieses also wird auch der Tragödiendichter sein, wenn er doch Nachbildner ist, ein dritter von dem Könige und dessen wahrem Wesen, und so auch alle andern Nachbildner. – So scheint es. – Über den Nachbildner also (598) sind wir eins; sage mir aber vom Maler noch dieses. Dünkt er dich darauf auszugehn von jeglichem jenes Eine in der Natur nachzubilden oder die Werke der zweiten Bildner? – Die der Werkbildner, sagte er. – Und wie sie sind, oder wie sie erscheinen? denn auch dieses unterscheide mir wohl. – Wie meinst du? sagte er. – So. Ein Bettgestelle, wenn man es von der Seite sieht oder von grade über oder wie sonst, ist es deshalb von sich selbst verschieden oder das zwar gar nicht, es erscheint aber anders? Und mit allem andern eben so? – So ist es, sagte er; es erscheint anders, ist aber nicht verschieden. – Nun betrachte mir eben dieses. Auf welches von beiden geht die Malerei bei jedem? das seiende nachzubilden, wie es sich verhält oder das erscheinende, wie es erscheint, als eine Nachbildnerei der Erscheinung oder der Wahrheit? – Der Erscheinung, sagte er. – Gar weit also von der Wahrheit ist die Nachbildnerei; und deshalb, wie es scheint, macht sie auch alles, weil sie von jeglichem nur ein weniges trifft und das im Schattenbild. Wie der Maler, das läugnen wir doch nicht, der wird uns Schuster Tischer und die andern Handwerker nachbilden ohne irgend etwas von diesen Künsten irgend zu verstehen; aber doch, ist er nur ein guter Maler, und zeigt, wenn er einen Tischer gemalt hat, ihn nur hübsch von fern, so wird er doch Kinder wenigstens und unkluge Leute anführen, daß sie das Gemälde für einen wirklichen Tischer halten. – Wie sollte er nicht! – Aber dieses, meine ich, o Freund, müssen wir doch von Allen dieser Art denken, wenn uns jemand von einem berichtet, er habe einen Menschen angetroffen der alle Handwerke verstehe, und alles andere, was sonst jeder nur einzeln weiß, verstehe er um nichts weniger genau als irgend einer, den muß man doch gleich darauf anreden, daß er ein einfältiger Mensch ist, den ein Taschenspieler oder ein Nachbildner angeführt hat, daß er ihn wirklich für allweise hält, weil er selbst nämlich nicht fähig ist Erkenntnis und Unkenntnis und Nachbildung zu sichten. – Vollkommen richtig, sagte er. – Nächstdem, sprach ich, laß uns nun die Tragödie vornehmen und ihren Anführer Homeros, weil wir ja doch immer von Einigen hören, daß diese Dichter alle Künste verstehen, und alles menschliche was sich auf Tugend und Schlechtigkeit bezieht, und das göttliche dazu. Denn notwendig müsse der gute Dichter, wenn er worüber er dichtet gut dichten solle, als ein Kundiger dichten, oder er werde nicht im Stande sein zu dichten. Wir müssen also zusehn, ob diese etwa von diesen Nachbildnern hintergangen worden sind, und wenn sie ihre (599) Werke sehen nicht merken, daß diese um das gedritte von der Wahrheit abstehen, und leicht sind auch einem der Wahrheit nicht kundigen zu dichten, weil sie nämlich Erscheinungen dichten nicht wirkliches, oder ob sie vielleicht Recht haben, und die guten Dichter das alles wirklich verstehen, wovon sie den Meistern scheinen gut zu reden. – Allerdings, sagte er, müssen wir das untersuchen. – Meinst du nun wohl, wenn einer beides machen könnte, das nachzubildende und das Schattenbild, er sich gestatten würde viel Mühe auf die Verfertigung der Schattenbilder zu wenden, und dieses an die Spitze seines Lebens zu stellen als das beste was er habe? – Ich wohl nicht. – Sondern, denke ich, wenn er doch der Wahrheit dieser Dinge kundig wäre, welche er nachbildet: so würde er ja weit eher seine Mühe an die Werke selbst wenden als an die Nachbildungen, und würde versuchen viele und treffliche Werke als Denkmale von sich zurückzulassen, und würde weit lieber wollen der Gepriesene sein als der Lobredner. – Das denke ich, sagte er; denn nicht gleich ist die Ehre sowohl als der Vorteil. – Über das übrige nun wollen wir nicht erst Rechenschaft fordern vom Homeros oder welchem Dichter sonst, daß wir sie fragten, wenn einer von ihnen wirklich heilkundig wäre, und nicht nur ein Nachbildner heilkundiger Reden, wen denn wohl ein alter oder neuer Dichter gesund gemacht haben solle wie Asklepios, oder was für Schüler in der Heilkunde einer hinterlassen habe, wie jener seine Nachkommen? Auch über die andern Künste wollen wir sie nicht erst befragen, sondern das gut sein lassen; über das größte und herrlichste aber, wovon Homeros zu handeln unternimmt, Kriege und Führung von Feldzügen Anordnung der Städte und Bildung der Menschen ist es doch billig ihn ausforschend zu fragen, Lieber Homeros, wenn du denn was Tugend anlangt nicht der dritte von der Wahrheit abstehende Verfertiger des Schattenbildes bist, wie wir den Nachbildner bestimmt haben, sondern doch der zweite, und wirklich zu erkennen vermochtest, durch welche Bestrebungen die Menschen besser werden oder schlechter im häuslichen Leben sowohl als im öffentlichen: so sage uns doch welche Stadt denn durch dich eine bessere Einrichtung bekommen hat, wie Lakedaimon durch den Lykurgos und so viele andere große und kleine Städte durch Andere mehr? Welche Stadt führt dich denn auf als einen tüchtigen Gesetzgeber, und der ihr Wohl begründet habe? denn Italien und Sikelien nennt den Charondas und wir den Solon; dich aber welche? wird er wohl eine angeben können? – Ich denke nicht, sagte Glaukon; auch wird ja dergleichen nicht einmal von den Homeriden selbst behauptet. – Aber wird wohl irgend eines Krieges aus Homeros Zeiten gedacht, der unter (600) seiner Anführung oder Beratung glücklich zu Ende gebracht worden? – Keiner. – Aber doch als eines menschlicher Werke kundigen Mannes werden viele und brauchbare Erfindungen in den Künsten oder zu andern Verrichtungen von ihm angeführt, wie von dem Milesischen Thaies oder dem Skythen Anacharsis? – Ganz und gar dergleichen nichts. – Wenn also nicht öffentlich, so wird doch wohl Homeros Einigen einzeln der Anführer in ihrer Ausbildung gewesen sein, welche sich an seinem Umgang erfreuten und den Nachkommen eine homerische Lebensweise überliefern konnten, wie Pythagoras selbst vorzüglich deshalb gesucht war, und auch jetzt noch die Späteren, die ihre Lebensweise die pythagorische benennen, für ausgezeichnet vor allen Andern gelten? – Auch dergleichen, sagte er, wird nichts gerühmt; denn Kreophylos des Homeros Freund wäre ja noch lächerlicher seiner Bildung nach als sein Name, wenn das wahr ist was vom Homeros erzählt wird. Es wird nämlich erzählt, daß man sich erstaunlich wenig um ihn bekümmert bei eben jenem als er dort lebte. – Das wird freilich erzählt. Aber meinst du wohl, o Glaukon, wenn Jemand wirklich im Stande gewesen wäre Menschen auszubilden und besser zu machen als einer der hierin nicht nur Nachbildner war, sondern Einsicht davon hatte, daß er sich nicht würde gar viele Freunde gemacht haben und von ihnen geehrt und geliebt worden sein? Sondern Protagoras der Abderit und der Keische Prodikos sollten durch ihren Umgang ihre Zeitgenossen zu dem Glauben haben bringen können, daß sie weder ihr Hauswesen noch ihren Staat gut zu verwalten würden im Stande sein, wenn nicht sie ihre Bildung leiteten, und diese zwar werden solcher Weisheit halber so sehr geliebt, daß nicht viel fehlt ihre Freunde trügen sie überall auf den Schultern umher: den Homeros aber, wenn er im Stande gewesen wäre ihnen zur Tugend förderlich zu sein, oder den Hesiodos hätten ihre Zeitgenossen umherziehen lassen bänkelsängern, und würden nicht viel mehr an ihnen gehangen haben als an ihrem Gelde und sie genötiget bei ihnen daheim zu bleiben, oder wenn sie sie nicht überreden konnten, sollten sie nicht mit ihren Kindern ihnen nachgezogen sein, wohin jene nur gingen bis sie der Bildung genug gehabt hätten? – Auf alle Weise, sagte er, scheinst du mir vollkommen recht zu haben! o Sokrates. – Wollen wir also feststellen, daß vom Homeros an alle Dichter nur Nachbildner von Schattenbildern der Tugend seien und der andern Dinge worüber sie dichten, die Wahrheit aber gar nicht berühren; sondern wie wir eben sagten, der Maler werde etwas machen was man für einen Schuhmacher hält ohne selbst etwas von der Schusterei zu verstehen, und für die welche nichts davon verstehen sondern nur auf Farben und Umrisse sehen? – Das sagten wir. – Eben so denke ich, wollen wir auch von dem Dichter sagen, daß er Farben gleichsam von jeglicher Kunst in Wörtern und Namen auftrage, ohne daß er etwas verstände als eben nachbilden; so daß Andere solche, wenn sie die Dinge nach seinen Reden betrachten, mag er nun von der (601) Schusterei handeln in gemessener wohlgebauter und wohlklingender Rede, glauben müssen daß es vollkommen richtig gesetzt sei, oder mag er vom Kriegswesen oder was du sonst irgend willst handeln, so einen gewaltigen Reiz habe eben dieses von Natur. Denn wie die Werke der Dichter entkleidet von den Farben dieser Tonkunst an und für sich vorgetragen sich zeigen, das denke ich weißt du; du hast es ja wohl einmal wahrgenommen. – Das habe ich freilich, sagte er. – Nicht wahr, sprach ich, sie gleichen jugendlichen aber nicht schönen Gesichtern, wie die anzusehen sind, wenn ihre Blütezeit vorüber ist? – Vollkommen, sagte er. – So komm, und betrachte auch noch dieses! Der Verfertiger des Schattenbildes, der Nachbildner sagen wir doch verstehe von dem was wirklich ist nichts, sondern nur davon wie jedes erscheint. Nicht so? – Ja. – Dieses nun laß uns nicht halb gesagt liegen, sondern laß es uns vollständig betrachten. – Sprich nur, sagte er. – Der Maler, sagen wir, kann uns Zaum und Gebiß malen? – Ja. – Machen aber wird sie der Riemer und der Kupferschmidt? – Freilich. – Wie nun Zügel und Stange beschaffen sein müssen, versteht das der Zeichner? oder nicht einmal der Kupferschmidt und der Riemer, der sie macht, sondern nur jener allein, der sich derselben zu bedienen weiß, der Reiter? – Vollkommen richtig. – Wollen wir nun nicht sagen, daß es sich mit allem so verhalte? – Wie? – Daß es für jedes diese drei Künste gibt, die gebrauchende, die verfertigende, die nachbildende? – Ja. – Nun aber bezieht sich doch eines jeglichen Gerätes und Werkzeuges so wie jedes lebenden Wesens und jeder Handlung Tugend Schönheit und Richtigkeit auf nichts anderes als auf den Gebrauch, wozu eben jegliches angefertigt ist oder von der Natur hervorgebracht. – Richtig. – Notwendig also ist auch der gebrauchende immer der erfahrenste, und muß dem Verfertiger Bericht erstatten, wie sich das was er gebraucht gut oder schlecht zeigt im Gebrauch. Wie der Flötenspieler muß dem Flötenmacher Bescheid sagen von den Flöten welche ihm gute Dienste tun beim Blasen, und muß ihm angeben wie er sie machen soll, dieser aber muß Folge leisten. – Natürlich. – Der eine also als Wissender gibt an was gute und schlechte Flöten sind, der andre aber verfertigt sie als glaubender? – Ja. – Von demselben Gerät also hat der Verfertiger einen richtigen Glauben wie es schön sei oder schlecht, weil er (602) mit dem Wissenden umgeht und genötiget wird auf diesen Wissenden zu hören; die Wissenschaft davon aber hat der Gebrauchende. – Freilich. – Der Nachbildner aber wird der von wegen des Gebrauchs eine Wissenschaft haben dessen was er zeichnet, ob es schön und richtig ist oder nicht? oder hat er eine richtige Meinung vermöge notwendigen Umganges mit dem Wissenden, und weil dieser ihm befiehlt, wie er zeichnen soll? – Keines von beiden. – Also weder Einsicht wird der Nachbildner haben noch richtige Vorstellung von dem was er nachbildet, was Güte und Schlechtigkeit anlangt. – Es scheint nicht. – Trefflich also ist der in der Nachbildung begriffene Nachbildner in der Kunde von dem was er macht? – Nicht sonderlich. – Aber doch wird er drauf los nachbilden, ohne zu wissen wie jedes gut oder schlecht ist, sondern, wie es scheint, was dem Volk und den Unkundigen als schön erscheint, das bildet er nach. – Was auch sonst! – Dieses also, wie sich zeigt, ist uns ziemlich klar geworden, daß der Nachbildner nichts der Rede wertes versteht von dem was er nachbildet, sondern die Nachbildung eben nur ein Spiel ist und kein Ernst, und daß, die sich mit der tragischen Dichtung beschäftigen in Jamben sowohl als in Hexametern, insgesamt Nachbildner sind so gut als irgend einer. – Allerdings.

Beim Zeus, sprach ich, dieses Nachbilden gehörte doch zu dem dritten von der Wahrheit ab. Nicht so? – Ja. – Aber worauf im Menschen äußert es denn die Kraft, die es hat? – Wovon meinst du denn? – Nun hievon. Dieselbe Größe erscheint uns doch durch das Gesicht wahrgenommen von nahebei und von ferne nicht gleich? – Nein freilich. – Und dasselbige als krumm und grade, je nachdem wir es im Wasser sehen oder außerhalb, und als ausgehöhlt und erhoben wegen der Täuschungen die dem Auge durch die Farben entstehen. Und so ist dies insgesamt eine große Verwirrung in unserer Seele, auf welche Beschaffenheit unserer Natur dann die Schattierkunst lauert und keine Täuschung ungebraucht läßt, so auch die Kunst der Gaukler und viele andere dergleichen Handgriffe. – Richtig. – Haben sich nun nicht Messen Zählen und Wägen als die dienstlichen Hülfsmittel hiegegen erwiesen? so daß das scheinbare größere oder kleinere oder mehrere und schwerere nicht in uns aufkommt, sondern das rechnende messende und wägende? – Natürlich. – Aber dies ist doch das Geschäft des Verstandes in der Seele. – Dessen allerdings. – Wenn einer aber auch noch so sehr gemessen hat, und nun bestimmt, daß einiges größer sei oder kleiner als anderes oder gleich groß: so erscheint ihm doch dasselbige zugleich entgegengesetzt. – Ja. – Sagten wir aber nicht, dasselbige könne (603) nicht von demselbigen zugleich entgegengesetztes vorstellen? – Und ganz mit Recht behaupteten wir dieses. – Was also in der Seele unbekümmert um das Maß urteilt, kann nicht dasselbe sein mit dem nach dem Maß urteilenden. – Freilich nicht. – Aber doch ist wohl, was dem Maß und der Rechnung vertraut, das beste der Seele. – Wie sonst! – Was also mit diesem im Widerspruch steht, das gehört zu dem schlechteren in uns. – Notwendig. – Weil ich nun dieses feststellen wollte, sagte ich, daß die Malerei und die Nachbildnerei überhaupt, wie sie in großer Ferne von der Wahrheit ihr Werk zu Stande bringt, so auch mit dem von der Vernunft fernen in uns ihr Verkehr hat, und sich mit diesem zu nichts gesundem und wahrem befreundet. – Ganz gewiß wohl, sagte er. – Selbst also schlecht, und mit schlechtem sich verbindend erzeugt die Nachbildnerei auch schlechtes. – Das scheint wohl. – Und etwa nur die es mit dem Gesicht zu tun hat, oder auch die mit dem Gehör, welche wir die Dichtkunst nennen? – Wahrscheinlich wohl, sagte er, auch diese. – Laß uns jedoch nicht, sprach ich, der Wahrscheinlichkeit allein vertrauen, welche uns aus der Malerei entsteht, sondern zu demjenigen selbst in der Seele hinzutreten, womit die dichtende Nachbildnerei zu tun hat, und zusehen ob es schlecht oder edel ist. – Das müssen wir freilich. – Legen wir es denn so dar! Diese Nachbildnerei bildet uns doch handelnde Menschen nach, freiwillig oder gezwungen, und welche durch diese Handlungen glauben sich gutes oder schlimmes erhandelt zu haben, und in dem allen betrübt sind oder erfreut. Tut sie wohl noch sonst etwas außer diesem? – Nichts. – Ist nun in alle diesem der Mensch etwa einstimmig mit sich? Oder wie er in Sachen des Gesichtes uneins war und über dieselben Gegenstände zu gleicher Zeit entgegengesetzte Vorstellungen in sich hatte, schwankt er nicht eben so auch in seinen Handlungen, und liegt selbst mit sich im Streit? Doch ich erinnere mich, daß wir hierüber jetzt gar nicht nötig haben etwas abzumachen, denn wir haben in unseren Reden schon oben alles dieses zur Genüge nachgewiesen, daß unsere Seele von viel tausend solchen gleichzeitig vorhandenen Widersprüchen voll ist. – Richtig! sagte er. – Richtig freilich, sprach ich; aber was wir damals ausgelassen haben, das dünkt mich tut uns jetzt Not nachzuholen. – Welches doch? sagte er. – Ein rechtschaffener Mann, sprach ich, den ein solches Geschick betroffen hat, daß er einen Sohn verloren hat oder sonst etwas ihm vorzüglich wertes, wird dieses, das sagten wir wohl schon damals, bei weitem leichter ertragen als Andere. – Freilich. – Nun aber laß uns dieses erwägen, ob es ihn denn gar nicht schmerzen wird, oder ob dieses zwar unmöglich ist, er sich aber mäßiger beweisen wird (604) in der Betrübnis. – Das letztere lieber, sagte er, wenn man bei der Wahrheit bleiben soll. – Nun sage mir aber dieses von ihm, glaubst du daß er stärker gegen die Betrübnis ankämpfen und ihr entgegenstreben wird, wenn von seines gleichen gesehen, oder dann wenn er in der Einsamkeit es nur mit sich selbst zu tun hat? – Bei weitem wohl mehr, sagte er, wenn er gesehen wird. – In der Einsamkeit aber, meine ich, wird er vielerlei vorbringen, worüber er sich schämen würde, wenn ihn einer hörte, und vielerlei tun, worüber er nicht möchte von einem betroffen werden. – So ist es, sagte er. – Und was ihm gebietet Widerstand zu leisten, das ist doch Vernunft und Gesetz; was ihn aber zur Betrübnis hinzieht, das ist die Leidenschaft? – Richtig. – Entsteht aber in dem Menschen zu gleicher Zeit in derselben Beziehung ein solcher entgegengesetzter Zug: so sagen wir ist notwendig auch zweierlei in ihm. – Notwendig. – Und das eine ist doch bereit dem Gesetze zu folgen, wohin dieses führt? – Wie so? – Das Gesetz sagt ja doch, es sei am schönsten möglichst ruhig zu sein bei Unfällen und sich nicht zu erzürnen, weil ja weder offenbar ist was hieran gut ist oder übel, noch auch für die Zukunft irgend ein Vorteil aus dem unwilligen Ertragen entstehen kann, noch auch auf irgend etwas von solchen menschlichen Dingen großer Wert zu legen ist, gewiß aber demjenigen, wozu wir am meisten jeden Augenblick bereit sein müssen, die Betrübnis hinderlich wird. – Was denn meinst du? sprach er. – Die Beratung über das geschehene, sprach ich; und daß wir wie beim Würfelspiel unsere Angelegenheiten dem Wurf gemäß so stellen, wie die Vernunft es als das Beste vorzieht, nicht aber wenn wir uns gestoßen haben, wie Kinder die schmerzhafte Stelle halten und beim Schreien bleiben, sondern immer die Seele gewöhnen, daß sie so schnell als möglich dazu schreite das zerstoßene und krankhafte zu heilen und in Ordnung zu bringen und die Klagelieder durch Heilkunst zu beschwichtigen. – Am richtigsten, sprach er, würde man wenigstens auf diese Art den Unfällen entgegengehen. – Und das beste, sagen wir doch, will diesem vernünftigen folgen. – Offenbar. – Was aber zu schmerzlosen Erinnerungen und Klagen hinzieht und nicht genug davon haben kann, wollen wir nicht sagen das sei unvernünftig und träge und der Feigheit befreundet? – Das werden wir freilich sagen. – Für dieses unwillige nun gibt es gar viele und mancherlei Nachbildung; die vernünftige und ruhige Gemütsfassung aber, welche ziemlich immer sich selbst gleich bleibt, diese ist weder leicht nachzubilden noch auch die Nachbildung leicht zu verstehen, zumal für eine große Versammlung und die verschiedenartigsten Menschen, wie sie sich vor den Schaubühnen zusammenfinden. Denn es (605) wäre eine Nachbildung eines ihnen fremden Zustandes. – Allerdings freilich. – Offenbar also, daß der nachbildende Dichter nicht für dieses in der Seele geartet ist, und seine Kunst sich nicht daran hängen darf diesem zu gefallen, wenn er Ruhm haben will bei der Menge, sondern für die gereizte und wechselreiche Gemütsstimmung eignet er sich, weil diese leicht ist nachzubilden. – Offenbar. – Können wir ihn also nicht jetzt mit vollem Recht angreifen, und ihn als ein Seitenstück zu dem Maler aufstellen? Denn darin, daß er schlechtes hervorbringt, wenn man auf die Wahrheit sieht, gleicht er ihm; und daß er sich an eben solches in der Seele wendet und nicht an das Beste, auch darin sind sie einander ähnlich. Und so sind wir wohl schon gerechtfertigt, wenn wir ihn nicht aufnehmen in eine Stadt, die eine untadelige Verfassung haben soll, weil er jenes in der Seele aufregt und nährt, und indem er es kräftig macht das vernünftige verdirbt, wie im Staat, wenn einer den Schlechten die Gewalt verschaffend den Staat verrät und die Besseren herunterbringt, eben so werden wir sagen, daß der nachbildende Dichter jedem eine schlechte Verfassung in seiner Seele aufrichtet, indem er dem unvernünftigen darin, welches nicht einmal großes und kleines unterscheidet, sondern dasselbe bald für groß hält bald für klein, sich gefällig beweiset und ihm Schattenbilder hervorruft, von der Wahrheit aber ganz weit entfernt bleibt. – Allerdings. –

Und doch haben wir die größte Anklage gegen sie noch nicht vorgebracht; denn daß sie im Stande ist auch die Wohlgesinnten, einige gar wenige ausgenommen, zu verderben, das ist doch gar arg. – Ganz gewiß, wenn sie dies nur wirklich tut. – So höre und überlege. Auch die besten von uns, wenn wir den Homeros hören oder einen andern Tragödiendichter, wie er uns einen Helden darstellt in trauriger Bewegung, eine lange Klagerede haltend oder auch singende und sich heftig gebärdende: so wird uns wohl zu Mute, wir geben uns hin und folgen mitempfindend, und die Sache sehr ernsthaft nehmend loben wir den als einen guten Dichter, der uns am meisten in diesen Zustand versetzt. – Das weiß ich; wie sollten wir auch nicht? – Wenn aber einen von uns ein eigner Kummer trifft: so merkst du doch, daß wir dann ganz im Gegenteil unseren Ruhm darin setzen, wenn wir im Stande sind ruhig zu sein und auszuharren, weil das die Sache eines Mannes sei, jenes aber weibisch, was wir damals lobten? – Das merke ich, sagte er. – Ist das nun wohl ein feiner Ruhm, wenn man jemanden sieht, so wie man selbst nicht sein möchte sondern sich schämen würde, davor sich nicht zu ekeln, sondern sich daran zu freuen und es zu loben? – Das scheint, sagte er, beim Zeus (606) wohl nicht vernünftig. – Gewiß, sprach ich, wenn du es auch noch so betrachten wolltest. – Wie? – Wenn du bedenken wolltest, daß das damals bei eigenen Unfällen mit Gewalt zurückgehaltene und gleichsam ausgehungerte, indem es sich nicht hat satt weinen und zur Genüge ausjammern können, da es doch von Natur so geartet ist hiernach zu begehren, daß grade dieses dann von den Dichtern befriedigt wird und sich wohl befindet; das von Natur beste aber in uns, weil noch nicht hinreichend durch Wort und Sitte gebildet, in der Achtsamkeit auf dieses tränenreiche nachläßt, weil es ja nur fremde Zustände betrachtet, und für es selbst ja nichts schmähliches darin liegt, wenn ein Anderer, der sich für einen trefflichen Mann gibt, unzeitig trauert, diesen zu loben und Mitleid mit ihm zu haben; sondern jene Lust wird für baren Gewinn genommen, und man möchte sie nicht gern missen, das ganze Gedicht verwerfend. Denn so glaube ich pflegen nur Wenige zu rechnen, daß man doch von dem fremden notwendig etwas zu genießen bekommt für das eigene, und daß wenn man aus jenem das trübselige genährt und gestärkt hat, es bei eigenen Unfällen nicht leicht sein wird im Zaum zu halten. – Sehr wahr, sagte er. – Und verhält es sich etwa mit dem lächerlichen nicht eben so? wenn du einen Schwank, den du dich schämen würdest selbst zu machen, doch, hörst du ihn in dem öffentlichen Lustspiel oder in einem kleinen Kreise, gewaltig belachst und nicht als etwas schlechtes abweisest: so tust du dasselbe wie dort bei den Klagen. Was du durch Vernunft zurückhieltest, wenn es in dir selbst Schwänke machen wollte, weil du doch den Ruf eines Possenreißers scheutest, das läßt du nun wieder los; und hast du es dort aufgefrischt, so wirst du unvermerkt bald auch in deinem eigenen Kreise so weit ausschlagen, daß du einen Spaßmacher vorstellst. – Sehr leicht wohl, sagte er. – Und auch mit dem Geschlechtstrieb und dem Unwillen und allem was es der Begierde angehöriges oder der Lust und Unlust verwandtes in der Seele gibt, wie wir denn zugeben daß dieses uns durch alle Verhältnisse begleitet, ist es dann so, daß uns die dichterische Nachbildung dergleichen antut. Denn sie nährt und begießt alles dieses, was doch sollte ausgetrocknet werden, und macht es in uns herrschen, da es doch müßte beherrscht werden, wenn wir bessere und glückseligere statt schlechtere und elendere werden sollen. – Ich weiß nichts dagegen zu sagen, sprach er. – Also, sagte ich, o Glaukon, wenn du Lobredner des Homeros antriffst, welche behaupten, dieser Dichter habe Hellas gebildet, und bei der Anordnung und Förderung aller menschlichen Dinge müsse man ihn zur Hand nehmen um von ihm zu lernen, und das ganze eigene Leben nach diesem Dichter einrichten und durchführen: so mögest du sie dir gefallen (607) lassen, und mit ihnen, als die so gut sind wie sie nur immer können, vorlieb nehmen, auch ihnen zugeben, Homeros sei der dichterischste und erste aller Tragödiendichter, doch aber wissen, daß in den Staat nur der Teil von der Dichtkunst aufzunehmen ist, der Gesänge an die Götter und Loblieder auf treffliche Männer hervorbringt. Wirst du aber die süßliche Muse aufnehmen, dichte sie nun Gesänge oder gesprochene Verse: so werden dir Lust und Unlust im Staate das Regiment führen statt des Gesetzes und der jedesmal in der Gemeine für das Beste gehaltenen vernünftigen Gedanken. – Sehr wahr, sagte er. – Dieses also sei zu unserer Verteidigung gesagt, weil wir der Dichtkunst wieder gedachten, daß wir sie mit gutem Rechte damals aus der Stadt verwiesen, da sie eine solche ist; denn die Vernunft nötigte es uns ab. Wir wollen ihr aber zureden, daß sie uns nicht einer Härte und Unartigkeit zeihe, weil ja ein alter Streit ist zwischen der Philosophie und Dichtkunst. Denn jener »lärmige gegen die Herren anklaffende Hund« und »groß in der Toren Leerrednereien« und »der Gottweisen herrschendes Volk« und »die zart die Gedanken verspinnenden, weil sie eben hungern« und tausenderlei dergleichen sind Zeichen des alten Haders unter diesen beiden. Dennoch sei ihr gesagt, daß wir ja, wenn nur die der Lust dienende Dichtung und Nachbildnerei etwas anzuführen weiß, weshalb auch ihr ein Platz zukomme in einem wohlverwalteten Staate, sie mit Freuden aufnehmen würden, da wir es uns bewußt sind, wie auch wir von ihr angezogen werden. Aber was uns wahr dünkt preiszugeben, wäre doch nicht ohne Frevel. Nicht wahr, Freund, zieht sie dich nicht auch an, und am meisten wenn sie dir im Homeros erscheint? – Dann bei weitem. – Können wir also nicht mit Recht verlangen, daß sie herabsteige um sich zu verteidigen, sei es nun in Strophen oder anderm Sylbenmaß? – Allerdings. – Doch wollen wir auch ihren Schutzmännern, so viele deren nicht selbst Dichter sind sondern nur Dichterfreunde, gern vergönnen auch in ungebundener Rede für sie sprechend zu beweisen, daß sie nicht nur anmutig sei, sondern auch förderlich für die Staaten und das gesamte menschliche Leben, und wir wollen unbefangen und wohlmeinend zuhören. Denn es wäre ja unser eigner Vorteil, wenn sich zeigte, sie sei nicht nur angenehm sondern auch heilsam. – Wie sollte es nicht unser Vorteil sein! sagte er. – Wenn aber etwa nicht, lieber Freund: dann werden wohl auch wir, wie diejenigen die einmal verliebt waren, wenn sie glauben, daß ihnen die Liebe nicht mehr förderlich sei, sich mit Mühe zwar aber doch zurückziehen, so auch wir, wegen der Liebe die wir früher vermöge unserer Erziehung in so trefflichen Staaten (608) zu dieser Dichtung hegten, ihr zwar wohlwollend helfen, um ins Licht zu setzen daß sie gar vortrefflich und vollkommen wahr sei; so lange sie aber ihre Verteidigung nicht zu Stande bringt, wollen wir, indem wir ihr zuhören, mit dieser Rede und diesem Zauberspruch uns selbst besprechen aus Furcht wieder in jene kindische und gemeine Liebe zurückzufallen, und wollen als sicher annehmen, daß man sich um diese Dichtkunst nicht ernsthaft bemühen dürfe, als ob sie selbst ernsthaft sei und die Wahrheit treffe, daß vielmehr der Hörer, der um die richtige Verfassung seiner selbst besorgt ist, sich gar sehr vor ihr zu hüten habe, und so von der Dichtkunst zu denken, wie wir es ausgesprochen haben. – In allen Stücken, sprach er, stimme ich dir bei. – Denn groß, fuhr ich fort, o lieber Glaukon, groß und nicht wie es gewöhnlich genommen wird, ist der Kampf darum, ob man gut werde oder schlecht; so daß weder durch Ehre noch Geld noch irgend eine Gewalt ja auch nicht einmal durch die Dichtkunst aufgeregt, jemand sollte die Gerechtigkeit und die übrige Tugend vernachlässigen. – Ich stimme dir bei, sagte er, vermöge alles dessen was wir auseinandergesetzt haben, und glaube, auch jeder andere werde es tun. –

Und doch haben wir die größten Aussichten und vorgesteckten Preise für die Tugend noch nicht auseinandergesetzt. – Du muß wohl, sagte er, eine ungeheure Größe im Sinne haben, wenn es anderes größeres als das gesagte geben soll. – Was kann aber, sprach ich, in kurzer Zeit großes geschehen? Denn diese ganze Zeit von der Kindheit bis zum Alter ist doch gegen die ganze insgesamt eine gar kurze. – So gut wohl als gar nichts, sagte er. – Wie also? meinst du ein unsterbliches Wesen solle sich um so weniger Zeit willen abgemüht haben, und nicht vielmehr wegen der ganzen? – Ich glaube es wenigstens, sagte er, aber wie meinst du dieses? – Bist du das nicht inne geworden, sprach ich, daß unsere Seele unsterblich ist und niemals umkommt? – Da sah er mich an, und sagte verwundert, Beim Zeus, ich nicht! Du aber kannst dies behaupten? – Wenn ich nicht ganz irre bin, sprach ich. Aber ich denke du auch, denn es ist gar nichts schweres. – Mir gewiß! sagte er. Aber von dir möchte ich gar zu gern dieses gar nicht schwere vernehmen. – So höre denn, sprach ich. – Rede nur, sagte er. – Nennst du, begann ich, etwas gut und böse? – Ich gewiß. – Denkst du nun auch darüber so wie ich? – Worin? – Daß alles verderbende und zerstörende das böse ist, das erhaltende aber und fördernde das Gute. – So denke ich, sagte er. – Und (609) wie? Setzest du auch für jegliches ein gutes und böses? Wie für die Augen die Fistel und für den gesamten Leib die Krankheit, für das Korn den Brand, für das Holz die Fäulnis, für Eisen und Erz den Rost, und wie ich sage setzest du für alles und jedes fast seine besondere ihm angestammte Krankheit und sein Böses? – Das setze ich, sagte er. – Und nicht wahr, wenn dies zu einem Dinge kommt, so wird das schlecht bei dem es sich eingestellt hat, und zuletzt kommt es ganz um und wird zerstört? – Wie sollte es nicht. – Das einem jeden angestammte böse also und die Schlechtigkeit zerstört jedes; und wenn diese es nicht zerstört, so gibt es nichts was etwas verderben kann. Denn das gute könnte doch wohl nie irgend etwas zerstören, und das was weder gut noch böse ist eben so wenig. – Wie könnte es wohl! sagte er. – Wenn wir also so etwas fänden, welches freilich auch sein böses hat, wodurch es schlecht wird, nicht so jedoch, daß dieses im Stande wäre es zerstörend aufzulösen: werden wir dann nicht schon wissen, daß es für das so beschaffene keinen Untergang gebe? – So scheint es wohl, sagte er. – Wie also? sprach ich; hat die Seele nicht auch etwas das sie schlecht macht? – Ei freilich, sagte er, dies alles wovon wir gehandelt haben, die Ungerechtigkeit und Unbändigkeit und die Feigheit und der Unverstand. – Kann nun wohl etwas von diesen sie auflösen und zerstören? Und merke nur wohl, daß wir uns nicht etwa täuschen und denken, wenn ein ungerechter und unvernünftiger Mensch bei der Ungerechtigkeit ergriffen wird, so komme er dann um durch die Ungerechtigkeit, als welche die Schlechtigkeit der Seele ist. Sondern stelle die Sache so! so wie die Krankheit, welche die Schlechtigkeit des Leibes ist, den Leib verzehrt und aufreibt und dahin bringt, daß er gar nicht mehr Leib ist; und alles so eben angeführte durch das eigentümliche Böse, indem es ihm zerstörend anhaftet und einwohnt, dahin kommt nicht zu sein. Nicht so? – Ja. – So komm denn und betrachte die Seele auf dieselbe Weise. Kann wohl Ungerechtigkeit und sonst andere Untugend, die in ihr ist, sie dadurch, daß sie in ihr ist und ihr anhaftet, verderben und verzehren bis sie sie zum Tode bringt und vom Leibe trennt? – Dieses doch auf keine Weise, sagte er. – Und jenes war doch ungereimt, sprach ich, daß die Schlechtigkeit eines anderen etwas verderben solle, die eigene aber nicht. – Ungereimt. – Denn bedenke nur, o Glaukon, daß wir auch nicht glauben, an der Schlechtigkeit des Getraides, sofern sie nur dieses ist, sei es nun Alter oder Fäulnis oder was es sonst für eine sein mag, müsse der Leib verderben, sondern dann zwar, wenn des Getraides Schlechtigkeit in dem Leibe des Leibes Elend hervorbringt, werden wir sagen, er sei um jener willen an seiner eigenen Schlechtigkeit, welches die Krankheit ist, untergegangen; daß aber an des Getraides Schlechtigkeit, welches ja etwas ganz anderes ist, der ganz etwas anderes seiende Leib, also an einem fremden (610) bösen welches nicht in ihm das seiner Natur anhaftende Böse hervorbringt, untergehen könne, werden wir niemals behaupten. – Vollkommen richtig gesprochen, sagte er. – Nach derselben Regel, sprach ich, wenn nicht des Leibes Schlechtigkeit in der Seele ihre eigene Schlechtigkeit hervorbringt, wollen wir nie glauben, daß an einem fremden Übel ohne eigene Schlechtigkeit die Seele untergehe, sie als ein ganz anderes an dem Übel eines anderen. – Das ist richtig gefolgert, sagte er. – Entweder also müssen wir dieses widerlegen, daß es nicht richtig war, oder so lange es unwiderlegt steht laß uns nie behaupten, daß am Fieber oder sonst einer Krankheit oder auch am Schwert, und wenn einer auch den ganzen Leib in die kleinsten Stückchen zerschnitte, deshalb auch nur im geringsten die Seele untergehe, ehe nicht jemand nachweiset, daß wegen dieser Zustände des Leibes jene selbst ungerechter und unheiliger werde. So lange also nur in einem andern ein fremdes Übel, in jeglichem aber sein eigentümliches nicht entsteht: so wollen wir weder von der Seele noch von sonst irgend etwas gelten lassen, daß es auf diese Weise untergehe. – Dieses aber, sagte er, wird doch wohl niemals irgend jemand zeigen können, daß die Seelen der Sterbenden des Todes wegen ungerechter werden. – Wenn aber doch einer, entgegnete ich, dreist genug ist gerade drauf los zu gehen, und, damit er nicht nötig habe zuzugeben, daß die Seelen unsterblich sind, behauptet, der Sterbende werde schlechter und ungerechter: so werden wir doch annehmen, wenn jener Recht hat mit seiner Behauptung, daß die Ungerechtigkeit dem der sie hat tödlich sei wie eine Krankheit, und daß diejenigen, welche eine solche Krankheit bekommen, wenn diese sie tötet, jeder seiner eigenen Natur gemäß sterben, die einen sehr früh, die anderen weit später, nicht aber so wie jetzt für die Ungerechtigkeit Andere es den Ungerechten als Strafe auflegen zu sterben. – Beim Zeus, sagte er, so zeigte sich dann ja die Ungerechtigkeit als etwas gar nicht so schreckliches, wenn sie dem, der sie bekommt, tödlich wird; denn so wäre sie ja eine Ablösung von allen Übeln. Vielmehr aber glaube ich sie wird sich auf ganz entgegengesetzte Art zeigen, als Andere tötend wenn sie kann, den aber, der sie hat, stellt sie gar lebenslustig dar, und außerdem daß er lebenslustig ist auch noch wachsam; so weit, wie man ja sieht, ist sie davon entfernt tödlich zu sein. – Sehr richtig, sagte ich, bemerkst du dies. Wenn denn also die eigene Schlechtigkeit und das eigene Böse nicht im Stande ist die Seele zu töten und zu zerstören, so hat es wohl keine Not, daß ein einem andern zum Verderben gesetztes Übel die Seele oder sonst etwas anderes als das dem es dazu gesetzt ist zerstören sollte. – Keine Not, sagte er, wie man ja schließen muß. – Also wenn doch gar kein Übel weder eigenes noch fremdes sie (611) zerstört: so ist ja offenbar, daß sie notwendig etwas immer seiendes ist; und wenn immer seiend dann unsterblich. – Notwendig, sagte er. –

Dieses also, sprach ich, verhalte sich so! Wenn aber: so siehst du wohl, daß die Seelen auch immer werden dieselbigen sein. Denn weder weniger können ihrer werden, wenn keine untergeht, noch auch mehrere. Denn wenn etwas von den unsterblichen Dingen mehr würde, so weißt du wohl, daß es aus dem toten entstehen müßte, und so wäre zuletzt alles unsterblich. – Richtig gesprochen. – Allein, sprach ich, weder dieses laß uns glauben, denn die Vernunft läßt es nicht zu, noch auch wiederum, daß die Seele ihrer wahrhaftesten Natur nach vieler Mannigfaltigkeit und Unähnlichkeit und Verschiedenheit voll sei an und für sich. – Wie meinst du das? fragte er. – Nicht leicht, sprach ich, wird ewig sein, wie sich uns doch jetzt die Seele gezeigt hat, was aus vielem zusammengesetzt ist und sich nicht der allervortrefflichsten Zusammensetzung erfreut. – Man sollte freilich nicht denken. – Daß nun die Seele unsterblich ist, erweiset sowohl die gegenwärtige Rede als auch die übrigen. Was sie aber der Wahrheit nach ist, das muß man nicht an ihr sehen wollen, verunstaltet wie wir sie jetzt nur sehen durch die Gemeinschaft mit dem Leibe und durch andere Übel; sondern so wie sie ist, wenn sie sich reinigt, so müssen wir sie mit dem Verstande aufmerksam in Augenschein nehmen, und viel schöner wirst du sie dann finden, und daß sie viel bestimmter Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit unterscheidet und alles was wir nur eben besprochen haben. Jetzt aber haben wir zwar richtig von ihr geredet, wie sie gegenwärtig erscheint; wir sehen sie aber nur in solchem Zustande, wie die welche den Meergott Glaukos ansichtig werden, doch nicht leicht seine ehemalige Natur zu Gesicht bekommen, weil sowohl seine alten Gliedmaßen teils zerschlagen, teils zerstoßen und auf alle Weise von den Wellen beschädigt sind, als auch ihm ganz neues zugewachsen ist Muscheln Tang und Gestein, so daß er eher einem Ungeheuer ähnlich sieht als dem was er vorher war. Eben so nur sehen auch wir unsere Seele von tausenderlei Übeln übel zugerichtet. Aber, o Glaukon, dorthin müssen wir unsere Blicke richten. – Wohin? fragte er. – Auf ihr wissenschaftliebendes Wesen, und müssen bemerken wonach dieses trachtet und was für Unterhaltungen es sucht als dem göttlichen und unsterblichen und immer seienden verwandt, und wie sie sein würde, wenn sie ganz und gar folgen könnte von diesem Antriebe emporgehoben aus der Meerestiefe, in der sie sich jetzt befindet und das Gestein und (612) Muschelwerk abstoßend, welches ihr jetzt, da sie auf der Erde festgeworden ist, erdig und steinig bunt und wild durch einander angewachsen ist von diesen sogenannten glückseligen Festen her. Und dann erst würde einer ihre wahre Natur erkennen, ob sie vielartig ist oder einartig und wie und auf welche Weise sie sich verhält. Ihre jetzigen Verschiedenheiten aber und Zustände in dem menschlichen Leben haben wir, denke ich, deutlich genug auseinandergesetzt. – Auf alle Weise gewiß, sagte er. – Und nicht wahr, sprach ich, alles anderen haben wir uns in der Rede entschlagen, und nichts von dem Lohn und dem Ruhm der Gerechtigkeit herbeigezogen, wie ihr vom Hesiodos und Homeros sagtet, sondern die Gerechtigkeit an und für sich, fanden wir, sei für die Seele an und für sich das beste, und das gerechte müsse sie tun, möchte sie nun den Ring des Gyges haben oder nicht haben, und außer solchem Ringe auch noch des Hades Helm. – Vollkommen richtig, sagte er. – Nun aber o Glaukon, sprach ich, ist es doch ohne Gefährde, der Gerechtigkeit und der übrigen Tugend außer jenem auch noch den Lohn beizulegen, was für welchen und wie großen sie der Seele verschafft bei Göttern sowohl als Menschen, schon während der Mensch noch lebt und auch nach seinem Tode. – Allerdings wohl! sagte er. – Gebt ihr also auch zurück, was ihr in der Rede geborgt habt? – Was doch recht? – Ich gab euch zu, der Gerechte solle für ungerecht gehalten werden und der Ungerechte für gerecht. Denn ihr wäret der Meinung, wenn es auch nicht möglich sei, daß dies Göttern und Menschen entgehen könne, so müsse man es doch der Untersuchung wegen zugeben, damit die Gerechtigkeit an und für sich könne mit der Ungerechtigkeit an und für sich verglichen werden. Oder erinnerst du dich nicht? – Sehr unrecht, sagte er, hätte ich, wenn nicht! – Nachdem also beide verglichen sind, fordere ich dieses im Namen der Gerechtigkeit zurück, daß wie wirklich bei Göttern und Menschen von ihr gehalten wird, so ihr auch zugestehet daß von ihr gehalten werde, damit sie nun auch die Siegesehren, welche sie durch die Meinung erwirbt, davon trage und denen sie besitzenden austeile, nachdem sich ja gezeigt hat, daß sie ihnen auch durch ihr Sein und Wesen gutes verleiht, und diejenigen nicht hintergeht, welche sie in sich aufnehmen. – Gerecht, sagte er, ist was du forderst. – Dieses also, sprach ich, gebt ihr mir wohl zuerst zurück, daß den Göttern doch gewiß nicht verborgen bleibt wie jeder von diesen beiden beschaffen ist? – Das wollen wir zurückgeben, sagte er. – Können sie aber nicht verborgen bleiben: so wäre ja wohl der eine den Göttern lieb, der andere aber ihnen verhaßt, wie wir auch von Anfang an eingestanden haben. – So ist es. – Und von dem, welcher den Göttern lieb ist, wollten wir nicht zugeben, daß ihm alles was doch von den (613) Göttern herkommt auch auf das möglichst beste zukomme; es müßte ihm denn aus früherer Sünde noch ein notwendiges Übel herstammen? – Ganz gewiß! – So müssen wir demnach denken von dem gerechten Manne, mag er nun in Armut leben oder in Krankheit, oder was sonst für ein Übel gehalten wird, daß ihm ja auch dieses zu etwas gutem ausschlagen werde im Leben oder auch nach dem Tode. Denn nicht wird wohl der je von den Göttern vernachlässigt, der sich beeifern will gerecht zu werden, und indem er die Tugend übt so weit es dem Menschen möglich ist Gotte ähnlich zu sein. – Wohl ist vorauszusetzen, sagte er, daß ein solcher nicht von dem Ähnlichen vernachlässigt werde. – Und nicht wahr, von dem Ungerechten muß man sich doch das Gegenteil hievon vorstellen? – Gar sehr gewiß. – Solcherlei also wären die von den Göttern dem Gerechten verliehenen Siegesehren. – Meiner Meinung nach wenigstens! sagte er. – Und wie, sprach ich, steht es bei den Menschen? Verhält es sich nicht so, wenn man doch, was wirklich ist, aufstellen soll? Machen es nicht die Gewaltigen und Ungerechten wie jene Läufer, welche hinaufwärts zwar vortrefflich laufen, herabwärts aber nicht? Zuerst laufen sie mit großer Schnelligkeit aus, zuletzt aber werden sie ausgelacht, wenn sie die Ohren zwischen die Schultern stecken und sich unbekränzt davon machen. Die rechten Laufkünstler aber, welche bis zu Ende aushalten, erlangen den Preis und werden bekränzt. Läuft es nicht oftmals mit den Gerechten eben so ab? Am Ende jedes Geschäfts und Verhältnisses und des Lebens selbst werden sie gepriesen, und tragen auch bei den Menschen den Preis davon? – Ja wohl. – Du wirst es also schon leiden, wenn ich von ihnen dasselbe sage, was du von den Ungerechten sagtest. Ich will nämlich sagen, die Gerechten, wenn sie nur erst älter geworden sind, erhalten in ihrer Vaterstadt welches Amt sie nur wollen, heiraten aus welchen Familien sie wollen, und geben ihre Töchter aus, wohin sie nur wollen; und alles was du damals von jenen, behaupte ich jetzt von diesen. Und so auch wiederum von den Ungerechten, daß die meisten von ihnen, wenn sie auch in der Jugend unbemerkt bleiben, doch am Ende des Laufes ergriffen und ausgelacht werden, und im Alter jämmerlich verhöhnt von Fremden und Einheimischen und ausgepeitscht und wovon du weiter sagtest es sei grob, woran du auch ganz recht hattest, daß sie gefoltert und gebrannt werden. Jenes alles nimm nun an auch von mir gehört zu haben, daß es ihnen begegnet. Also, wie gesagt, siehe zu ob du es gelten läßt. – Gar sehr, sagte er, denn du hast Recht. –

(614) Was also, sprach ich, dem Gerechten bei seinem Leben von Göttern und Menschen für Preis Lohn und Gaben zu Teil werden außer jenen Gütern, welche die Gerechtigkeit an und für sich ihm darbietet, dies wären nun solcherlei. – Und gar treffliches, sagte er, und zuverlässiges. – Dieses aber, sagte ich, ist dennoch nichts in Menge und Größe mit demjenigen verglichen, was jeglichen von beiden nach dem Tode erwartet. Auch dieses aber müssen wir vernehmen, damit jeder von beiden vollständig zu hören bekomme, was ihm die Rede schuldig ist. – Sage es nur, sprach er, und glaube, daß es nicht viel anderes gibt was ich lieber hörte. – Ich will dir indessen keine Erzählung des Alkinoos mitteilen, sondern von einem gar wackern Manne, nämlich Er dem Sohn des Armenios, dem Geschlecht nach ein Pamphylier; welcher einst im Kriege tot geblieben war, und als nach zehn Tagen die Gebliebenen schon verwest aufgenommen wurden, ward er unversehrt aufgenommen und nach Hause gebracht um bestattet zu werden. Als er aber am zwölften Tage auf dem Scheiterhaufen lag, lebte er wieder auf und berichtete sodann was er dort gesehen. Er sagte aber, nachdem seine Seele ausgefahren, sei sie mit vielen andern gewandelt und sie wären an einen wunderbaren Ort gekommen, wo in der Erde zwei an einander grenzende Spalten gewesen und am Himmel gleichfalls zwei andere ihnen gegenüber. Zwischen diesen seien Richter gesessen, welche, nachdem sie die Seelen durch ihren Richterspruch geschieden, den Gerechten befohlen hätten den Weg rechts nach oben durch den Himmel einzuschlagen, nachdem sie ihnen Zeichen dessen, worüber sie gerichtet worden, vorne angehängt, den Ungerechten aber den Weg links nach unten, und auch diese hätten hinten Zeichen gehabt von allem was sie getan. Als nun auch er hinzu gekommen, hätten sie ihm gesagt er solle den Menschen ein Verkündiger des dortigen sein, und hätten ihm geboten alles an diesem Orte zu hören und zu schauen. Er habe nun dort gesehen wie durch den einen jener Spalte im Himmel und in der Erde die Seelen, nachdem sie gerichtet worden, abgezogen seien, von den andern beiden aber seien aus dem in der Erde Seelen hervorgekommen voller Schmutz und Staub, durch den andern hingegen seien reine Seelen vom Himmel herabgestiegen. Und die ankommenden hätten jedesmal geschienen wie von einer langen Wanderung herzukommen, und sich, sehr zufrieden daß sie auf diesen Matten verweilen konnten, wie zu einer festlichen Versammlung hingelagert. Die einander bekannten haben sich dann begrüßt und die aus der Erde kommenden von den andern das dortige erforscht, und so auch die aus dem Himmel von jenen das ihrige; und so haben (615) sie einander erzählt, die einen heulend und weinend, indem sie gedachten welcherlei und wie großes sie erlitten und gesehen während der unterirdischen Wanderung, die Wanderung aber sei tausendjährig, die aus dem Himmel hingegen hätten von ihrem Wohlergehen erzählt und der unbegreiflichen Schönheit des dort zu schauenden. Vielerlei nun davon erfordere viel Zeit zu erzählen, die Hauptsache aber sei dieses, daß sie jeder für alles, was sie jemals und wenn immer unrechtes getan, einzeln hätten Strafe geben müssen zehnmal für jedes, nämlich immer wieder nach hundert Jahren als welches die Länge des menschlichen Lebens sei, damit sie so zehnfach die Buße für das Unrecht ablösten. So wenn Einige vielfältigen Todes schuldig gewesen, weil sie Städte verraten oder Heere in die Knechtschaft gestürzt oder sonst großes Elend mitverschuldet hatten, so mußten sie von dem allen für jedes zehnfache Pein erdulden; hatten sie aber wiederum auch Wohltaten gespendet und sich gerecht und heilig erwiesen, so empfingen sie auch dafür nach demselben Maßstabe den Preis. Die aber anlangend, welche nach ihrer Geburt nur kurzer Zeit leben, sagte er anderes, so nicht nötig hier zu erwähnen. Für Ruchlosigkeit aber und Frömmigkeit gegen Götter sowohl als Eltern und für eigenhändigen Mord gebe es noch größeren Lohn. Denn er sei zugegen gewesen als einer von dem andern gefragt worden, wo denn Ardiaios der große sei, welcher nämlich in einer Pamphylischen Stadt vor damals schon tausend Jahren als Tyrann geherrscht, nachdem er seinen betagten Vater und älteren Bruder getötet und viel anderen Frevel verübt hatte der Sage nach. Der gefragte also habe gesagt, er ist nicht hier und wird wohl auch nicht hieher kommen. Denn auch dieses haben wir gesehen unter andern graunvollen Gesichten. Als wir nahe an der Mündung waren im Begriff auszusteigen, nachdem wir das andere alles erduldet, so sahen wir plötzlich jenen mit anderen, von denen die meisten auch Tyrannen waren, nur einige darunter waren keine Staatsmänner, hatten aber sonst großes verbrochen. Als diese meinten eben auszusteigen, nahm die Öffnung sie nicht auf, sondern erhob großes Gebrülle so oft einer von den so unheilbaren in der Schlechtigkeit, oder der noch nicht hinreichend Strafe gegeben, versuchen wollte heraufzusteigen. Und gleich waren auch, fuhr er fort, gewisse wilde Männer bei der Hand, ganz feurig anzusehen, welche den Ruf verstanden und einige davon besonders wegführten; dem Ardiaios aber und Anderen banden sie Hände (616) und Füße und Kopf zusammen, warfen sie nieder und, nachdem sie sie mit Schlägen zugedeckt, zogen sie sie seitwärts vom Wege ab, wo sie sie mit Dornen schabten und den Vorbeigehenden jedesmal andeuteten, weshalb diese solches litten, und daß sie abgeführt würden um in den Tartaros geworfen zu werden. Und so sei denn, sagte er, nachdem ihnen so viel und mancherlei furchtbares begegnet, diese Furcht die schlimmste von allen gewesen für jeden, daß wenn er hinaufsteigen wollte der Schlund brüllen möchte, und mit der größten Zufriedenheit seien sie dann hinaufgestiegen, wenn er geschwiegen habe. Solcherlei also seien die Büßungen und Strafen, und eben so die Erquickungen, jenen als Gegenstück entsprechend. Nachdem aber jedesmal denen auf der Wiese sieben Tage verstrichen, müßten sie am achten aufbrechen und wandern, und kämen den vierten Tag hin, wo man von oben herab ein grades Licht wie eine Säule über den ganzen Himmel und die Erde verbreitet sehe, am meisten dem Regenbogen vergleichbar aber glänzender und reiner. In dieses kämen sie eine Tagereise weiter gegangen hinein, und sähen dort mitten in dem Lichte vom Himmel her seine Enden an diesen Bändern ausgespannt; denn dieses Licht sei das Band des Himmels, welches wie die Streben an den großen Schiffen den ganzen Umfang zusammenhält. An diesen Enden aber sei die Spindel der Notwendigkeit befestigt, vermittelst deren alle Sphären in Umschwung gesetzt werden, und an dieser sei die Stange und der Haken von Stahl, die Wulst aber gemischt aus diesem und anderen Arten. Beschaffen aber sei diese Wulst folgendermaßen. Die Gestalt, so wie hier; aus dem aber was er sagte war abzunehmen, sie sei so als wenn in einer großen und durchweg ausgehöhlten Wulst eine andere eben solche kleinere eingepaßt wäre, wie man Schachteln hat, die so in einander passen, und eben so eine andere dritte und eine vierte und noch vier andere. Denn acht Wülste seien es insgesamt, welche in einander liegend ihre Ränder von oben her als Kreise zeigen, um die Stange her aber nur Eine zusammenhangende Oberfläche einer Wulst bilden; diese aber sei durch die achte mitten durchgetrieben. Die erste und äußerste Wulst nun habe auch den breitesten Kreis des Randes, der zweite sei der der sechsten, der dritte der der vierten, der vierte der der achten, der fünfte der der siebenten, der sechste der der fünften, der siebente der der dritten, der achte der der zweiten. Und der der größten sei bunt, der der siebenten der glänzendste, der der (617) achten erhalte seine Farbe von der Beleuchtung der siebenten, der der zweiten und fünften seien einander sehr ähnlich gelblicher als jene, der dritte habe die weißeste Farbe, der vierte sei rötlich, der zweite aber übertreffe an Weiße den sechsten. Indem nun die Spindel gedreht werde, so kreise sie zwar ganz immer in demselben Schwunge, in dem ganzen umschwingenden aber bewegten sich die sieben inneren Kreise langsam in einem dem Ganzen entgegengesetzten Schwung. Von diesen gehe der achte am schnellsten; auf ihn folgen der Schnelle nach zugleich mit einander der siebente, sechste und fünfte; als der dritte seinem Schwunge nach kreise wie es ihnen geschienen der vierte, als vierter aber der dritte und als fünfter der zweite. Gedreht aber werde die Spindel im Schoße der Notwendigkeit. Auf den Kreisen derselben aber säßen oben auf jeglichem eine mitumschwingende Sirene, eine Stimme von sich gebend, jede immer den nämlichen Ton, aus allen achten aber insgesamt klänge dann ein Wohllaut zusammen. Drei Andere aber, in gleicher Entfernung rings her jede auf einem Sessel sitzend, die weiß bekleideten am Haupte bekränzten Töchter der Notwendigkeit, die Moiren Lachesis, Klotho und Atropos, sängen zu der Harmonie der Sirenen, und zwar Lachesis das geschehene, Klotho das gegenwärtige, Atropos aber das bevorstehende. Und Klotho berühre von Zeit zu Zeit mit ihrer Rechten den äußeren Umkreis der Spindel und drehe sie mit, Atropos aber eben so die inneren mit der Linken, Lachesis aber berühre mit beiden abwechselnd beides das äußere und innere. Sie nun, als sie angekommen, haben sie sogleich gemußt zur Lachesis gehen, Ein Prophet aber habe sie zuerst der Ordnung nach aus einander gestellt, dann aus der Lachesis Schoß Lose genommen und Grundrisse von Lebensweisen, dann sei er auf eine hohe Bühne gestiegen, und habe gesagt : Dies ist der Tochter der Notwendigkeit, der jungfräulichen Lachesis Rede. Eintägige Seelen! ein neuer totbringender Umlauf beginnt für das sterbliche Geschlecht. Nicht euch wird der Dämon erlosen, sondern ihr werdet den Dämon wählen. Wer aber zuerst erloset hat, wähle zuerst die Lebensbahn, in welcher er dann notwendig verharren wird. Die Tugend ist herrenlos, von welcher, je nachdem jeglicher sie ehrt oder geringschätzt, er auch mehr oder minder haben wird. Die Schuld ist des Wählenden; Gott ist schuldlos. Dieses gesprochen habe er die Lose unter allen hingeworfen; und jeder habe das ihm zufallende aufgehoben, nur er nicht, ihm habe er es nicht verstattet. Wer es aber nun aufgehoben, dem sei kund geworden die (618) wievielste Stelle er getroffen habe. Gleich nach diesem nun habe er die Umrisse der Lebensweisen vor ihnen auf dem Boden ausgebreitet in weit größerer Anzahl als die der Anwesenden. Deren nun seien sehr vielerlei, die Lebensweisen aller Tiere nämlich und auch die menschlichen insgesamt. Darunter nun seien Zwingherrschaften gewesen, einige lebenslänglich andere mitten inne zu Grunde gehend und in Armut Verweisung und Dürftigkeit sich endigend; eben so auch Lebensweisen wohl angesehener Männer, die es teils ihrer Persönlichkeit wegen waren, der Schönheit halber oder sonst wegen körperlicher Stärke und Kampftüchtigkeit, Andere aber ihrer Abkunft und vorelterlicher Tugenden wegen, und auch unberühmter eben so, gleichermaßen auch von den Frauen. Eine Rangordnung der Seelen aber sei nicht dabei gewesen, weil notwendig, welche eine andere Lebensweise wählt, auch eine andere wird. Alles andere sei unter einander und mit Reichtum und Armut Krankheit oder Gesundheit gemischt; einiges auch zwischen diesen mitten inne. Hierauf nun eben, o lieber Glaukon, beruht alles für den Menschen, und deshalb ist vorzüglich dafür zu sorgen, daß jeder von uns mit Hintansetzung aller anderen Kenntnisse nur dieser Kenntnis nachspüre und ihr Lehrling werde, wie einer dahin komme zu erfahren und aufzufinden wer ihn dessen fähig und kundig machen könne, gute und schlechte Lebensweise unterscheidend aus allen vorliegenden immer und überall die beste auszuwählen, alles eben gesagte und untereinander zusammengestellte und verglichene, was es zur Tüchtigkeit des Lebens beitrage, wohl in Rechnung bringend, und zu wissen was zum Beispiel Schönheit wert ist mit Armut oder Reichtum gemischt und bei welcher Beschaffenheit der Seele sie gutes oder schlimmes bewirkt, und was gute Abkunft und schlechte, eingezogenes Leben und staatsmännisches, Macht und Ohnmacht, Vielwisserei und Unkunde, und was alles dergleichen der Seele von Natur anhaftendes oder erworbenes mit einander vermischt bewirken, so daß man aus allen insgesamt zusammennehmend auf die Natur der Seele hinsehend die schlechtere und die bessere Lebensweise scheiden könne, die schlechtere diejenige nennend welche die Seele dahin bringen wird ungerecht zu werden, die bessere aber, welche sie gerecht macht, um alles andere aber sich unbekümmert lassen; denn wir haben gesehen, daß für dieses Leben und für das nach dem Tode dieses die beste (619) Wahl ist. Und eisenfest auf dieser Meinung haltend muß man in die Unterwelt gehen, um auch dort nicht geblendet zu werden durch Reichtümer und solcherlei Übel, und nicht, indem man auf Tyranneien und andere dergleichen Taten verfällt, viel unheilbares Übel stifte und selbst noch größeres erleide, sondern vielmehr verstehe in Beziehung auf dergleichen ein mittleres Leben zu wählen und sich vor dem übermäßigen nach beiden Seiten hin zu hüten, sowohl in diesem Leben nach Möglichkeit als auch in jedem folgenden. Denn so wird der Mensch am glückseligsten. Daher denn auch damals der Bote von dorther verkündet, der Prophet habe also gesagt, Auch dem letzten, welcher hinzunaht, wenn er mit Vernunft gewählt hat und sich tüchtig hält, liegt ein vergnügliches Leben bereit, kein schlechtes. Darum sei weder, der die Wahl beginnt, sorglos, noch der sie beschließt mutlos. Nachdem jener nun dieses gesprochen, sagte er, sei der, welcher das erste Los gezogen, sogleich darauf zu gegangen und habe sich die größte Zwingherrschaft erwählt; aus Torheit und Gierigkeit aber habe er gewählt ohne alles genau zu betrachten, und so sei ihm das darin enthaltene Geschick, seine eigenen Kinder zu verzehren und anderes Unheil entgangen. Nachdem er es nun mit Muße betrachtet, habe er auf sich losgeschlagen und seine Wahl bejammert, nicht beachtend was der Prophet vorhergesagt. Denn er habe nicht sich selbst dieses Unheils Schuld beigelegt, sondern das Glück und die Götter und alles eher als sich selbst angeklagt. Er sei aber einer von den aus dem Himmel kommenden gewesen, der in einer wohlgeordneten Verfassung sein erstes Leben verlebt, und nur durch Gewöhnung ohne Philosophie an der Tugend Teil gehabt. So daß er auch sagte, es hingen sich an solcherlei Dinge nicht wenigere von den aus dem Himmel gekommenen, weil sie nämlich in Mühseligkeiten unerfahren seien, wohingegen von denen aus der Erde gar Viele, weil sie selbst Mühseligkeiten genug gehabt und auch Andere darin gesehen, ihre Wahl nicht so auf den ersten Anlauf machten. Daher denn, so wie freilich auch durch den Zufall des Loses, den meisten Seelen ein Wechsel entstehe zwischen Übel und Gutem. Denn wenn jemand jedesmal, wenn er in diesem Leben ankäme, sich der Weisheit wahrhaft befleißige, und ihm dann das Los zur Wahl nur nicht unter den allerletzten falle: so würde er wohl dem dort angekündigten zufolge nicht nur hier glückselig sein, sondern auch seinen Weg von hier dorthin und von dorther zurück nicht unterirdisch und rauh zurücklegen, sondern glatt und himmlisch. Denn dies Schauspiel sei wert gewesen es zu sehen, wie die (620) Seelen jede für sich ihre Lebensweise wählten; denn es sei jämmerlich zu sehen gewesen, und lächerlich und wunderbar. Die meisten nämlich hätten der Erfahrung ihres früheren Lebens gemäß gewählt. So habe er gesehen, daß die Seele, die einmal des Orpheus gewesen, ein Schwanenleben gewählt, indem sie aus Haß gegen das weibliche Geschlecht, wegen des von ihm erlittenen Todes, nicht habe gewollt vom Weibe geboren werden; und die des Thamyris habe eine Nachtigall gewählt. So habe auch ein Schwan sich durch seine Wahl zum menschlichen Leben umgewendet, und eben so andere tonkünstlerische Tiere, wie leicht zu denken. Eine Seele, welche geloset, habe sich das Leben eines Löwen gewählt, und dies sei die des telamonischen Aias gewesen, welche eingedenk des Spruches wegen der Waffen vermeiden wollte ein Mensch zu werden. Nächstdem die des Agamemnon, und auch diese habe aus Haß gegen das menschliche Geschlecht wegen des erlittenen das Leben eines Adlers eingetauscht. Mitten inne habe auch die Seele der Atalante geloset, und da sie große Ehrenbezeugungen für einen kampfkünstlerischen Mann gefunden, habe sie nicht widerstehen können, sondern dieses gewählt. Nach dieser habe er die des Panopier Epeios sich in der Natur einer kunstreichen Frau begeben sehen, und weiter unter den letzten den Possenreißer Thersites einen Affen anziehen. Zufällig sei die Seele des Odysseus durch das Los die letzte von allen gewesen, und so hinzugegangen um zu wählen. Da sie sich aber im Angedenken der früheren Mühen von allem Ehrgeiz erholt, so sei sie lange Zeit umhergegangen um eines von Staatsgeschäften entfernten Mannes Leben zu suchen, und mit Mühe habe sie es von allen Andern übersehen irgendwo liegen gefunden, und als sie es gesehen, habe sie gesagt, sie würde eben so wie jetzt gehandelt haben, auch wenn sie das erste Los gezogen hätte, und habe mit Freuden dieses Leben gewählt. Gleichermaßen seien nun auch von den Tieren welche zu den Menschen übergegangen und eine Art in die andere, indem ungerechte sich in wilde verwandelt, gerechte aber in zahme, und allerlei dergleichen Wechsel seien vorgekommen. Nachdem nun aber alle Seelen ihre Lebensweisen gewählt, seien sie nach der Ordnung wie sie geloset zur Lachesis hinzugetreten, und jene haben jedem den Dämon, den er sich gewählt zum Hüter seines Lebens und Volkstrecker des gewählten mitgesendet. Dieser nun habe sie zunächst zur Klotho, unter deren Hand wie sie eben den Schwung bewirkend an der Spindel drehte, geführt, um das von jeden gewählte Geschick zu befestigen; und nachdem er diese berührt, habe er sie zur Spinnerei der Atropos geführt, um das angesponnene (621) unveränderlich zu machen. Von da sei er ohne sich umzuwenden in der Notwendigkeit Thron getreten, und durch diesen hindurchgegangen, nachdem auch die andern insgesamt dies getan, seien sie dann insgesamt durch furchtbare Hitze und Qualen auf das Feld der Vergessenheit gekommen, denn es sei entblößt von Bäumen und allem was die Erde trägt. Dort haben sie sich, da der Abend schon herangekommen, an dem Flusse Sorglos gelagert, dessen Wasser kein Gefäß halten könne. Ein gewisses Maß nun von diesem Wasser sei jedem notwendig zu trinken; die aber durch Vernunft nicht bewahrt würden, tränken über das Maß, und wie einer getrunken habe, vergesse er alles. Nachdem sie sich nun zur Ruhe gelegt und es Mitternacht geworden, habe sich Ungewitter und Erdbeben erhoben, und plötzlich seien sie dann hüpfend wie Sterne der eine hierhin, der andere dorthin getrieben worden, um eben ins Leben zu treten. Er selbst habe des Wassers zwar nicht trinken dürfen, wie aber und auf welche Weise er wieder zu seinem Leibe gekommen, wisse er doch nicht, sondern nur daß er plötzlich des Morgens aufschauend sich schon auf dem Scheiterhaufen liegend gefunden.

Und diese Rede, o Glaukon, ist erhalten worden und nicht verloren gegangen, und kann auch uns erhalten, wenn wir ihr folgen; und wir werden dann über den Fluß der Lethe gut hinüberkommen und unsere Seele nicht beflecken. Sondern wenn es nach mir geht, wollen wir, in der Überzeugung die Seele sei unsterblich und vermöge alles Übel und alles Gute zu ertragen, uns immer an den oberen Weg halten und der Gerechtigkeit mit Vernünftigkeit auf alle Weise nachtrachten, damit wir uns selbst und den Göttern lieb seien, sowohl während wir noch hier weilen als auch wenn wir den Preis dafür davon tragen, den wir uns wie die Sieger von allen Seiten umher einholen, und hier sowohl als auch auf der tausendjährigen Wanderung, von der wir eben erzählt, uns wohl befinden.


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