Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Dritter Theil. Der Staat
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Viertes Buch

Darauf nahm Adeimantos das Wort und sprach, Wie aber, o Sokrates, wirst du dich verteidigen, wenn jemand sagte, du machtest diese Männer eben nicht sehr glücklich, und das durch ihre eigne Schuld, denen zwar eigentlich zu reden die Stadt gehört, sie haben aber nicht das mindeste von dem Guten der Stadt zu genießen, wie doch die Andern welche Ländereien besitzen, und große und schöne Häuser bauen und eine diesen geziemende Einrichtung anschaffen, und den Göttern ihre eigenen Opfer darbringen, und Fremde bei sich aufnehmen, und ja auch, was du eben sagtest, Gold und Silber besitzen, und alles was denen zukommt, die glücklich sein sollen; sondern ganz offenbar, möchte einer sagen, tun sie wie gemietete Hülfstruppen nichts in der Stadt als Wache stehn. – Ja, (420) sprach ich, und noch dazu sind sie nur Kostgänger, und bekommen nicht außer der Kost auch noch Lohn, wie die andern; so daß auch nicht einmal, wenn sie für sich zu verreisen Lust hätten, ihnen dieses frei stehn wird, noch Mädchen zu beschenken oder sonst irgend anders wozu etwas aufzuwenden, wie die, welche für glücklich gehalten werden, doch aufwenden. Dieses und mancherlei anderes der Art übergehst du noch in der Beschuldigung. – Gut, sprach er, so sei auch dieses noch mit einbegriffen. – Und wie wir uns verteidigen wollen, meinst du? – Ja. – Wenn wir nun, sprach ich, auf demselben Stege fortgehen, werden wir, wie ich meine, wohl finden was zu sagen ist. Wir wollen nämlich sagen, es würde zwar gar nichts wunderbares sein, wenn auch so diese die allerglücklichsten wären; wir sähen jedoch bei der Einrichtung unserer Stadt gar nicht darauf, daß irgend Ein Stamm ausgezeichnet glücklich sei, sondern daß die ganze Stadt es sei so sehr als möglich. Denn wir gedächten in der so eingerichteten am meisten die Gerechtigkeit zu finden, und wiederum in der am schlechtesten eingerichteten die Ungerechtigkeit, und wenn wir diese betrachtet, über das zu entscheiden, was wir schon so lange untersuchen. Jetzt also, wie wir glauben, bilden wir uns die glückselige, nicht als wollten wir abschneidend nur Einige wenige solche in ihr setzen, sondern sie selbst ganz. Hernach aber wollen wir die entgegengesetzte betrachten. Wie nun, wenn jemand, indem wir Statuen malten, herzuträte und uns tadelte, daß wir den schönsten Teilen des Körpers nicht auch die schönsten Farben auflegten, weil die Augen, als das schönste, doch nicht mit Purpur würden bestrichen sein, sondern mit Schwärze, – wie wir glauben würden uns ganz angemessen gegen diesen zu verteidigen, wenn wir sagten, Du wunderlicher, verlange nur nicht, daß wir so schöne Augen malen sollen, daß sie gar nicht mehr als Augen erscheinen, und so auch die andern Glieder; sondern sieh nur darauf, ob wir bei jedem das gehörige anbringen und so das Ganze schön machen. So also auch jetzt nötige uns nicht unsern Wächtern eine solche Glückseligkeit beizulegen, die eher alles andere aus ihnen machen wird als Wächter. Denn das verständen wir wohl auch recht gut die Ackersleute mit Prachtkleidern zu behängen und mit Gold, und ihnen zu heißen die Erde zu ihrem Vergnügen anbauen, und die Töpfer recht artig ums Feuer herumzulagern, schmausend und zechend die Scheibe bei der Hand habend um zu drehen so viel sie eben Lust haben, und so auch die andern alle auf ähnliche Weise beglückt zu machen, damit uns die ganze Stadt in Freuden lebe. Allein sinne uns das nicht an, weil, wenn wir dir folgen, weder der Landmann mehr Landmann sein wird, noch der Töpfer Töpfer, noch irgend ein anderer irgend etwas von dem darstellen wird, woraus doch die (421) Stadt besteht. Auf die übrigen nun kommt freilich weniger an. Denn wenn uns auch die Riemenschneider schlecht geworden und verdorben sind, hat es noch keine Not mit der Stadt. Aber die Hüter der Gesetze und der Stadt, wenn die es nicht sind, sondern nur scheinen: so siehst du wohl, wie sie uns die ganze Stadt von Grund aus verderben und dann gute Muße haben sich für sich allein gut einzurichten und sich wohl zu befinden. Wenn wir nun wahrhafte Verteidiger stellen, die nichts weniger als der Stadt gefährlich sind, wer aber jenes sagt Landbesitzer eigentlich und wie auf einem allgemeinen Volksfeste nicht aber in der Stadt überglückliche Gastgeber: so muß dieser wohl von etwas anderem reden als einer Stadt? Also müssen wir doch erwägen, ob wir darauf sehen sollen bei Anstellung der Wächter, daß ihnen selbst so viel Glückseligkeit als möglich werde, oder ob wir dieses vielmehr für die ganze Stadt uns zum Augenmerk machen sollen, und zusehn wie ihr dies werde, die Gehülfen aber und Wächter vielmehr nötigen sollen jenes zu tun, und sie bewegen, daß sie nur so trefflich als möglich ihr eigenes Werk verrichten, und mit den übrigen insgesamt eben so; und ob wir nicht, wenn nur der ganze Staat gedeiht und gut eingerichtet ist, es schon gehen lassen sollen, wie für jede einzelne Abteilung die Natur es mit sich bringt an der gemeinen Glückseligkeit Teil zu nehmen. – Allerdings, sprach er, scheinst du mir Recht zu haben. – Wird dir also auch, sprach ich, das hiermit verschwisterte verständig gesagt vorkommen? – Was doch recht? – Die andern Arbeiter betrachte nun wieder, ob dieses sie verdirbt, daß sie ganz schlecht werden. – Was nur? – Reichtum, sprach ich, und Armut. – Wie doch? – So. Wenn ein Töpfer reich geworden ist, glaubst du, daß er sich dann noch wird um seine Kunst bekümmern wollen? – Mit nichten, sagte er. – Sondern er wird immer fauler und nachlässiger werden? – Gar sehr. – Also wird er ein schlechterer Töpfer werden? – Auch das, sagte er, immer mehr. – Aber auch, wenn er sich seine Werkzeuge nicht anschaffen kann aus Armut oder sonst etwas zur Kunst gehöriges, wird er sowohl seine Arbeit schlechter machen als auch seine Söhne, oder wen er sonst in der Lehre hat, zu schlechteren Arbeitern aufziehn, – Wie sollte er nicht! – Durch beides also, Armut und Reichtum, werden sowohl die Werke der Arbeiter schlechter als auch sie selbst. – Das leuchtet ein. – Noch etwas anderes also, wie es scheint, haben wir für die Wächter aufgefunden, was sie auf alle Weise hüten müssen, daß es nicht ihnen unbemerkt sich in die Stadt einschleiche. – Was doch? – Reichtum, sprach ich, und Armut, indem jener Aufwand und Faulheit und Neuerung mit sich bringt, diese aber Niederträchtigkeit (422) und Untauglichkeit außer der Neuerung. – Freilich wohl! sagte er. Aber dieses, o Sokrates, überlege doch, wie uns die Stadt wohl im Stande sein wird Krieg zu führen, wenn sie keine Reichtümer besitzt, zumal wenn sie gegen eine große und reiche genötigt würde Krieg zu führen. – Offenbar, sprach ich, gegen eine wohl schwerer, gegen zwei solche aber leichter. – Wie meinst du das? sprach er. – Zuerst doch, antwortete ich, wenn sie fechten müssen, werden sie etwa nicht als im Kriege geübte Kämpfer fechten mit reichen Männern? – Ja, das wohl, sagte er. – Wie nun, sprach ich, o Adeimantos? Ein Fechter, aufs vollkommenste hierauf eingerichtet, meinst du nicht, daß der mit zweien, die nicht Fechter sind aber reich und fett, sehr leicht fechten werde? – Vielleicht doch wohl nicht auf einmal, sagte er. – Auch nicht, sprach ich, wenn es ihm frei stände zu entschlüpfen, und dann gegen den, der ihm jedesmal zuerst nahe kommt, sich zu wenden und auszuschlagen, und wenn er dies mehrmals tun könnte in der Hitze und in der Kälte? könnte dann nicht ein solcher auch mehrere solche überwinden? – Offenbar, sprach er, wäre das gar kein Wunder. – Aber glaubst du nicht, daß die Reichen noch mehr Kenntnis haben und Übung in der Fechtkunst als in der Kriegskunst? – Gewiß. – Leicht also werden aller Wahrscheinlichkeit nach unsere Kämpfer auch mit der doppelten und dreifachen Anzahl das Gefecht bestehen. – Das will ich dir einräumen, sagte er, denn du scheinst mir recht zu haben. – Und wie, wenn sie eine Gesandtschaft in die andere Stadt schickten, und dieser ganz die Wahrheit sagen ließen, nämlich Wir bedienen uns nicht Goldes oder Silbers, es ist uns auch nicht erlaubt; euch aber. Fechtet also mit uns, und nehmet das der Andern: glaubst du wohl, daß irgend welche, wenn sie dieses vernommen haben, lieber werden wollen gegen starke und magre Hunde Krieg führen, als mit diesen Hunden gegen feiste und weichliche Schafe? – Das dünkt mich wohl, sagte er; aber wenn nun aller Reichtum der Andern in Eine Stadt zusammenfließt, so siehe nur zu, daß nicht dieses der nicht reichen Gefahr bringe. – Du bist sehr unschuldig, antwortete ich, daß du meinst es verdiene irgend eine andere, daß man sie eine Stadt nenne, außer nur eine solche, wie wir eingerichtet haben. – Aber warum denn nicht? sagte er. – Die andern, sprach ich, muß man vornehmer benennen. Denn eine jede von ihnen ist gar viele Städte, aber nicht Eine Stadt, wie es im Spiel heißt. Denn zweie sind nun schon auf jeden Fall darin einander feind, eine der Armen und eine der Reichen, und in jeder von diesen wiederum gar viele, so (423) daß, wenn du sie als Eine behandeln wolltest, du gewiß ganz fehlgreifen würdest, wenn aber als viele und du den Einen der Andern Macht und Reichtum gäbest, oder auch ihre Mitglieder selbst, du immer viel Bundesgenossen haben wirst und wenig Feinde. Und so lange die Stadt sich mäßig hält, so wie sie eben ist eingerichtet worden, wird sie immer die größte sein, ich meine nicht dem Ansehn nach in welchem sie steht, sondern buchstäblich und in der Tat die größte, und wenn sie auch nur tausend waffenführende Männer stellte. Denn so groß wirst du wohl nicht leicht Eine Stadt weder unter Hellenen noch Barbarei antreffen, gar viele aber freilich, die gar vielmal größer scheinen als diese. Oder bist du anderer Meinung? – Nein beim Zeus, sagte er. – So wird auch wohl, sprach ich, dieses die sicherste Grenzbestimmung sein für unsere Befehlshaber, wie weit sie die Stadt ausdehnen, und wieviel Land sie ihr nach ihrer Größe beilegen sollen, um mehreres aber sich nicht bekümmern. – Was für eine Grenze? fragte er. – Ich denke wenigstens, sprach ich, diese. So lange sie wachsend noch Eine bleiben will, sie zu vergrößern, weiter aber nicht. – Ganz richtig wohl, sagte er. – Und wollen wir nicht auch noch diese andere Aufgabe unsern Hütern aufgeben, dies auf alle Weise zu verhüten, daß die Stadt weder klein noch groß scheine, sondern als eine genügsame und als Eine. – Das ist ja wohl etwas geringes, sagte er, was wir ihnen da aufgeben. – Und etwas noch geringeres als dieses, sprach ich, wird jenes sein, dessen wir auch vorher schon gedacht haben, als wir sagten, man müsse, wenn von den Wehrmännern irgend ein schlechter Sprößling sich zeigte, ihn zu den Andern entlassen, und wenn aus den Andern ein edler, diesen zu den Wehrmännern herüberholen. Dieses sollte aber andeuten, daß man auch die andern Bürger jeden zu dem Einen Geschäft, wozu er geeignet ist, hinbringen müsse, damit jeglicher des Einen ihm eigentümlichen sich befleißigend nicht Viele sondern Einer werde; und so auch die gesamte Stadt uns zu Einer erwachse und nicht zu vielen. – Freilich, sprach er, ist dies noch kleiner als jenes. – Auch, sprach ich, mein guter Adeimantos, schreiben wir ihnen gar nicht, wie einer wohl glauben könnte, dieses als vielerlei großes vor, sondern es ist alles gering, wenn sie nur das Eine große, wie man zu sagen pflegt, oder vielmehr genügende statt große recht beobachten. – Welches doch? fragte er. – Den Unterricht, sprach ich, und die Erziehung. Denn wenn sie durch gute Erziehung Männer geworden sind, die das rechte Maß halten: so werden sie dies alles leicht selbst einsehen und noch vieles andere, was wir jetzt übergehen, das Heiraten und die Ehe und Kindererzeugung, daß sich dies alles nach dem Sprichwort möglichst gemeinsam (424) unter Freunden machen muß. – Am richtigsten wäre das wohl, sprach er. – Denn, fuhr ich fort, eine Staatsverfassung, wenn sie einmal den rechten Ansatz genommen hat, geht sie immer wachsend wie ein Kreis. Denn tüchtige Erziehung und Unterricht aufrecht erhalten bildet gute Naturen, und wiederum tüchtige Naturen von solcher Erziehung unterstützt gedeihen noch trefflicher als die früheren sowohl in anderer Hinsicht als auch für die Erzeugung, wie wir das auch an andern lebenden Wesen sehen. – Natürlich wenigstens, sagte er. – Um es also in kurzem zu sagen, hierauf müssen die Vorsteher der Stadt halten, daß es nicht ihnen unvermerkt in Verfall gerate, sondern sie dieses ja vor allen Dingen verhüten, daß nichts geneuert werde in der Gymnastik und Musik gegen die Einrichtung, vielmehr sie diese aufs möglichste aufrecht halten; und wenn einer sagt, es ehre den Gesang das lauteste Lob der Menschen, welcher den Hörenden rings der neueste immer ertönet, sich wohl vorsehn, daß nicht etwa einer glaube, der Dichter meine nicht bloß neue Gesänge, sondern neue Gattungen des Gesanges und lobe dieses. Dergleichen darf man aber nicht loben und es auch so nicht verstehen. Denn Gattungen der Musik neu einzuführen, muß man scheuen, als wage man dabei alles; weil nirgends die Gesetze der Musik geändert werden, als nur zugleich mit den wichtigsten bürgerlichen Ordnungen, wie Dämon sagt und ich auch gern glaube. – Auch mich, sagte Adeimantos, setze unter die, welche davon überzeugt sind. – Hier also, sprach ich, müssen sich, wie es scheint, unsre Wächter ihre Hauptwacht erbauen, in der Musik. – Wenigstens, sagte er, schleicht diese Gesetzwidrigkeit sich gar leicht ein und unbemerkt. – Ja, sagte ich, als wenn es nur Scherz wäre, und gar nichts böses daraus entstände. – Es entsteht auch, sagte er, nichts anderes daraus, als daß sie nach und nach sich festsetzend allmählig in die Sitten und Gewöhnungen einfließt, aus diesen dann versteigt sie sich schon größer in die Geschäfte der Bürger mit einander, und von diesen Geschäften, o Sokrates, kommt sie dann an die Gesetze und die Verfassung in großem Übermut und Üppigkeit, bis sie endlich alles, das gemeinsame Leben und das besondere, umgekehrt hat. – Wohl! sprach ich, verhält sich nun dieses so? – Das dünkt mich, sagte er. – Also, wie wir anfänglich sagten, schon die Spiele müssen gesetzlicher sein, an denen unsere Kinder teil haben, weil, wenn diese gesetzlos sind und also auch die Knaben solche, es unmöglich ist, daß gesetzliche und ernste Männer aus ihnen erwachsen. – Wie (425) könnte es anders sein, sagte er. – Wenn aber die Knaben schon beim Spiel auf die gehörige Art angefangen haben, und gute Ordnung durch die Musik in sich aufgenommen; so wird auch, ganz im Gegensatz mit jenen, diese sie überall begleiten und mit ihnen wachsend auch das berichtigen, was etwa vorher im Staat in Unordnung geraten war. – Richtig gewiß, sagte er. – Und das für geringer gehaltene gesetzliche, fuhr ich fort, erfinden sich diese selbst, was die vorherigen ganz in Verfall gebracht hatten. – Was doch recht? – Dergleichen, daß die Jüngeren vor den Älteren schweigen, wie es sich ziemt, und sich verneigen und aufstehen, und die Achtungsbezeigungen gegen die Eltern, und wie man sich schert und trägt und beschuht und das ganze äußerliche Ansehn, und was noch sonst dergleichen ist. Oder meinst du nicht? – Ich auch. – Gesetze darüber zu geben, halte ich aber für einfältig. Denn es geschieht doch nicht und würde sich auch nicht erhalten, wenn wörtlich und buchstäblich vorgeschrieben. – Wie sollte es! – Es scheint wenigstens, sprach ich, o Adeimantos, wie einer von seiner Erziehung her anfängt, eben so auch das andere zu folgen. Oder ruft nicht immer ähnliches das ähnliche herbei? – Wie sollte es nicht! – Und so gestaltet es sich, werden wir denke ich sagen, am Ende in ein vollständiges und ausgebildetes, es sei nun gutes oder das Gegenteil. Denn wie anders? – Gar nicht, sprach er. – Ich also wenigstens, fuhr ich fort, würde dieserhalb gar nicht erst versuchen über dergleichen Gesetze zu geben. – Natürlich, sagte er. – Und wie, um der Götter willen, sagte ich, diese Marktsachen wegen des Verkehrs das sie auf dem Markt mit einander treiben, und auch so, wenn du willst, über der Handarbeiter Verkehr und Beschimpfungen und Beleidigungen, und die Anstellung der Klagen und die Einsetzung der Richter, oder wenn wo Zölle notwendig sind einzutreiben und aufzulegen auf dem Markt oder im Hafen, oder insgesamt was irgend Marktrecht ist oder Stadtrecht oder Hafenrecht oder sonst dergleichen, wollen wir uns damit abgeben darüber Gesetze zu geben? – Es lohnt ja nicht, sagte er, rechtlichen und tüchtigen Männern dergleichen erst vorzuschreiben. Denn wie sie dergleichen einzurichten haben, werden sie leicht selbst finden. – Ja, lieber, sagte ich, wenn Gott ihnen Erhaltung derjenigen Gesetze verleiht, die wir vorher durchgenommen haben. – Und wo nicht, sagte er, so werden sie gar viel dergleichen festzusetzen und wieder zu berichtigen haben ihr Lebenlang in der Meinung so das Beste zu ergreifen. – Du meinst, sagte ich, diese werden leben wie solche Kranke, die aus Unmäßigkeit nicht Lust haben von ihrer schädlichen Lebensweise abzulassen. – Allerdings. – Und diese leben freilich sehr anmutig. Denn durch alles Heilenlassen (426) richten sie nichts aus, als daß sie ihre Krankheit immer bunter und größer machen, und immer hoffen, so oft ihnen einer ein neues Mittel anrät, durch dieses gesund zu werden. – Grade so, sagte er, geht es solchen Kranken. – Und wie, sprach ich, ist das nicht anmutig, daß sie den für ihren ärgsten Feind halten, der ihnen die Wahrheit sagt, daß, ehe sie nicht aufhören im Übermaß zu trinken und zu essen und der Liebe zu pflegen und faul zu sein, weder Arzenei noch brennen noch schneiden noch auch Besprechungen und Amulette oder irgend dergleichen etwas das mindeste helfen können? – Nicht sehr anmutig, sagte er. Denn auf den Wohlmeinenden unwillig sein, darin ist keine Anmut. – Du bist also, sprach ich, wie es scheint, kein Lobredner solcher Leute. – Nein beim Zeus. – Also auch, wenn die gesamte Stadt, wie wir eben sagten, so verfährt, wirst du sie nicht loben. Oder scheinen dir nicht offenbar eben so wie solche Menschen alle Staaten zu Werke zu gehn, welche schlecht eingerichtet sind und ihren Bürgern ansagen, an der gesamten Verfassung der Stadt ja nicht zu rühren, denn wer dieses tue, werde sterben müssen? wer sie aber in dieser ihrer Verfassung am angenehmsten pflegt, und sich durch Dienstfertigkeit einschmeichelt, ihre Wünsche im voraus abmerkt, und es durchsetzen kann sie zu befriedigen, dieser wird der tüchtige Mann sein und weise in großen Dingen und wird von ihnen geehrt werden. – Dasselbe, sagte er scheinen sie mir allerdings zu tun, und ich lobe sie auch nicht im mindesten. – Wie aber die, welche solchen Staaten dienen wollen und sich recht um sie beeifern, bewunderst du die nicht über ihre Tapferkeit und Gefälligkeit? – Allerdings, sagte er; außer die von ihnen hintergangen sind, und sich einbilden in Wahrheit Staatsmänner zu sein, weil sie von der Menge gelobt werden. – Wie meinst du? sprach ich. Das siehst du den Männern nicht nach? oder hältst du es für möglich, wenn einer nicht messen kann, und viele Andere eben solche ihm sagen, er sei sechs Fuß hoch, daß er das nicht von sich selbst glauben wird? – Nein sagte er, das nicht. – Nun so zürne auch nicht. Denn es sind ja die besten Männer von der Welt, welche immerfort Gesetze geben wie wir eben durchgegangen sind, und immer daran bessern, in der Meinung ein Ende zu machen mit den Betrügereien im Handel und allem was ich vorher anführte, ohne zu wissen daß sie in der (427) Tat nur an der Hydra schneiden. – Gewiß, sagte er, anders tun sie nichts. – Ich also meines Teils, sprach ich, war der Meinung, daß mit dieser Art von Gesetzen und Einrichtungen weder in einem gut noch in einem schlecht eingerichteten Staat der wahre Gesetzgeber sich sonderlich abgeben müsse; in dem einen, weil sie unnütz sind und nichts dabei herauskommt, in dem andern, weil einiges daran wohl jeder finden kann, anderes aus den vorher bestehenden Einrichtungen von selbst folgt. – Was also, sagte er, wäre uns noch übrig von der Gesetzgebung? – Und ich antwortete, Uns wohl nichts; dem Delphischen Apollon aber noch die größten, schönsten und ersten aller Anordnungen. – Was für welche doch? sprach er. – Die Einrichtungen der Tempel und Opfer und andern Verehrungen der Götter, Dämonen und Heroen; und die Beisetzung der Verstorbenen, und was man denen dort leisten muß um sie günstig zu haben. Denn dergleichen verstehen wir ja selbst nicht, und werden auch, indem wir die Stadt gründen, keinem andern darin folgen, wenn wir Vernunft haben, noch uns eines andern Ratgebers bedienen als des vaterländischen. Denn dieser Gott ist in dergleichen Dingen allen Menschen der vaterländische Ratgeber, weil er inmitten der Erde auf ihrem Nabel sitzend seine Sprüche erteilt. – Sehr wohl gesprochen, sagte er, und so wollen wir es machen. –

Gegründet also sprach ich, wäre dir nun schon, o Sohn des Ariston, die Stadt. Nächstdem aber schaue nun in ihr umher mit hinlänglichem Lichte versehen du selbst und rufe auch deinen Bruder und den Polemarchos und die Andern herbei, ob wir etwa sehen können, wo nun wohl die Gerechtigkeit ist und wo die Ungerechtigkeit, und wie sie von einander verschieden sind, und welche von beiden nun der besitzen muß, der glückselig sein soll, mag er nun auch allen Göttern und Menschen verborgen bleiben oder nicht. – Nichts gesagt! erwiderte Glaukon, denn du hast versprochen selbst suchen zu wollen, weil es von dir frevelhaft wäre der Gerechtigkeit nicht nach Vermögen zu helfen auf alle Weise. – Ganz recht, sagte ich, erinnerst du mich, und so soll es sein; aber auch ihr müßt mit Hand anlegen. – Wohl denn! sagte er, das wollen wir tun. – Ich hoffe also, sprach ich, es auf diese Weise zu finden. Ich denke unsere Stadt, wenn sie anders richtig angelegt ist, wird ja auch wohl vollkommen gut sein. – Notwendig, sagte er. – Offenbar also ist sie weise und tapfer und besonnen und gerecht. – Offenbar. – Also welches von diesen wir auch in ihr mögen gefunden haben, das übrige wird allemal das nicht gefundene sein. – Freilich. – Wie nun, wenn wir von anderen (428) vier Dingen Eines in irgend etwas suchten, wir, wenn wir eben dieses zuerst erkennten, gleich zufrieden gestellt sein würden; wenn wir aber die drei andern zuerst erkennten, eben dadurch doch auch das Gesuchte erkannt wäre – denn es kann offenbar nichts anderes sein als das übriggebliebene? – Richtig gesprochen, sagte er. – Also müssen wir wohl auch bei diesen, da sie ja gleichfalls viere sind, auf dieselbe Weise suchen? – Offenbar. –

Zuerst nun scheint mir in ihr die Weisheit offenbar zu werden. Und es zeigt sich etwas wunderbares dabei. – Was doch? sprach er. – Weise nämlich dünkt mich doch die Stadt zu sein, die wir beschrieben haben; denn sie ist wohlberaten. Nicht wahr? – Ja. – Und eben dieses ist doch offenbar eine Erkenntnis. Denn nicht durch Unwissenheit, sondern durch Erkenntnis ist man wohlberaten. – Offenbar. – Es sind aber gar viele und vielerlei Erkenntnisse in der Stadt. – Wie sollten sie nicht? – Ist nun etwa vermittelst der Erkenntnis der Baumeister die Stadt weise und wohlberaten zu nennen? – Keinesweges wohl vermittelst dieser, sagte er, sondern bauverständig. – Also nicht vermöge der Erkenntnis von hölzernen Gefäßen, indem sie Rat pflegt, wie diese am besten sein können, ist die Stadt weise zu nennen? – Gewiß nicht. – Wie aber? etwa vermöge der von ehernen oder irgend einer andern ähnlichen? – Auch nicht wegen Einer solchen, sagte er. – Wohl auch nicht durch die von Erzielung der Früchte aus der Erde, sondern nur landwirtschaftlich? – So dünkt mich. – Wie aber, sprach ich, gibt es etwa eine Erkenntnis in der eben von uns eingerichteten Stadt bei einigen Bürgern, welche nicht über irgend etwas von dem in der Stadt Rat gibt, sondern über sie selbst ganz, auf welche Weise sie mit sich selbst und mit andern Städten am besten umgehn soll? – Die gibt es freilich. – Welche, sprach ich, und bei wem? – Eben diese, sagte er, die Obhut tragende und bei eben diesen unsern Befehlshabern, die wir nur eben die vollkommenen Hüter genannt haben. – Wegen dieser Erkenntnis also, wie nennst du die Stadt? – Wohl beraten, sagte er, und in Wahrheit weise. – Was meinst du nun wohl, sprach ich, werden sich in unserer Stadt mehr Schmiede finden oder mehr von diesen wahrhaften Hütern? – Bei weitem mehr Schmiede. – Auch wohl, sprach ich, unter allen übrigen, welche, weil sie eine gewisse Erkenntnis haben auf gewisse Weise benannt werden, werden diese immer die wenigsten sein. – Bei weitem. – Also vermöge der kleinsten Zunft und Abteilung derselben, und der dieser einwohnenden Erkenntnis, der nämlich, welche vorsteht und befiehlt, wäre die ganze naturgemäß eingerichtete Stadt weise. Und dieses, wie sich zeigt, ist von Natur der kleinste Teil, dem es zukommt an dieser Erkenntnis Teil zu haben, welche allein unter allen Erkenntnissen (429) Weisheit genannt zu werden verdient. – Vollkommen wahr gesprochen, sagte er. – Dieses eine also unter den vieren haben wir, ich weiß selbst nicht wie, gefunden, was es ist und wo in der Stadt es seinen Sitz hat. – Mir wenigstens, sagte er, scheint es ganz befriedigend erklärt zu sein. –

Aber die Tapferkeit sowohl selbst, als auch wo in der Stadt sie sich befindet, um welches willen dann die ganze Stadt so zu nennen wäre, ist wohl gar nicht schwierig zu sehen. – Wie so? – Wer möchte wohl, sprach ich, auf irgend etwas anderes sehend die Stadt feige oder tapfer nennen, als auf den Teil derselben, der sie verficht und für sie zu Felde zieht? – Niemand gewiß, sagte er, auf etwas anderes. – Denn ich glaube nicht, fuhr ich fort, daß durch die Andern in ihr, mögen sie nun feige oder tapfer sein, sich entscheidet, ob auch sie selbst das eine ist oder das andere. – Freilich nicht. – Also auch tapfer ist die Stadt durch einen Teil ihrer selbst. Deshalb nämlich, weil sie in diesem eine solche Kraft hat, welche beständig in Beziehung auf das furchtbare die Meinung aufrecht halten wird, es sei das und derlei was und welcherlei der Gesetzgeber in der Erziehung dafür erklärt hat. Oder nennst du das nicht Tapferkeit? – Ich habe nicht völlig verstanden, sagte er, was du meintest, also erkläre es noch einmal. – Ich meine also, antwortete ich, die Tapferkeit sei eine Bewahrung und Aufrechthaltung. – Was für eine Aufrechthaltung doch? – Die der von dem Gesetz durch die Erziehung eingeflößten Meinung über das furchtbare, was und welcherlei es ist. Und ich nannte sie eine beständige Aufrechthaltung, weil sowohl wer in Schmerzen ist sie durchführen soll als wer in Lust, und in Begierde sowohl als in Furcht, und sie nicht fahren lassen. Ich will sie dir aber vergleichen, womit sie mir Ähnlichkeit zu haben scheint, wenn du willst. – Freilich will ich. – Du weißt doch, sprach ich, daß die Färber, wenn sie Wolle in feinen Purpur färben wollen, zuerst aus so vielen Farben der Wolle nur die eine Art aussuchen, die weiße, und dann durch gar vielfältige Zubereitungen sie so bearbeiten, wie sie bestmöglichst die Farbe annehmen kann, und so färben sie dann. Und was auf diese Weise gefärbt ist, das wird dann ächt, und alles Waschen ohne oder mit Lauge kann die Farbe daraus nicht ausziehn; was aber nicht so, das weißt du wohl wie es wird, es mag einer nun auf anderen Grund den Purpur aufsetzen, oder auch auf diesen aber ohne vorherige Bearbeitung. – Ich weiß, sagte er, daß das nur Waschfarben sind und ganz schlechte. – Dergleichen nun nimm an, daß wir auch nach Vermögen getan haben, als wir die Kriegsmänner aussuchten und durch Musik und Gymnastik erzogen, und glaube nicht, daß wir irgend (430) etwas anderes damit beabsichtigt haben als nur, daß sie so bearbeitet die Gesetze wie dort die Farbe recht gründlich einsaugen und annehmen möchten, damit ihre Vorstellung ächt werde die von dem furchtbaren sowohl als alle übrigen, weil sie nämlich sowohl die rechte Natur haben als auch die rechte Erziehung genossen haben, und auch solche Laugen nicht im Stande sein mögen ihnen die Farbe auszuwaschen, die sonst wohl tüchtig ausspülen, wie Wollust, die stärker hierin ist als alle Pottasche und Kalkerde, und Schmerz und Furcht und Begierde, die es mehr sind als jede andere Lauge. Diese solche Kraft und durchgängige Aufrechthaltung der richtigen und gesetzlichen Vorstellung von dem was furchtbar ist und was nicht nenne und erkläre ich für Tapferkeit, wenn du nicht etwas anderes darunter verstehst. – Nichts anderes, sagte er. Du scheinst mir nämlich die richtige Vorstellung hierüber, die ohne Bildung entstanden ist, so wie auch die tierische und die knechtische nicht für recht gesetzmäßig zu halten, und auch anders als Tapferkeit nennen zu wollen. – Ganz richtig, sprach ich, verstehest du mich. – Ich nehme also an, daß dieses Tapferkeit ist. – Nimm auch nur an, sprach ich, daß es die bürgerliche wenigstens ist, und du wirst ganz recht annehmen. Ein andermal aber wollen wir, wenn du willst, dies noch genauer durchgehen; denn jetzt suchen wir nicht sie, sondern die Gerechtigkeit, und um diese zu suchen, reicht, wie ich glaube, das bisherige zu. – Sehr wohl gesprochen, sagte er. –

Zweierlei also, sprach ich, ist uns noch übrig, was wir im Staate auffinden müssen, die Besonnenheit und die Gerechtigkeit, um derentwillen wir alles andere mit suchen. – Allerdings. – Wie können wir also wohl die Gerechtigkeit finden, damit wir nicht erst noch Weitläuftigkeiten haben mit der Besonnenheit. – Ich meines Teils, sagte er, weiß es nicht, und möchte auch gar nicht, daß sie sich eher zeigte, da wir uns hernach um die Besonnenheit nicht mehr kümmern würden; sondern, wenn du mir gefällig sein willst, so laß uns diese eher als jene betrachten. – Das will ich ja wohl gern, sprach ich, wenn ich nicht unrecht tue. – Untersuche sie also, sagte er. – Das soll geschehen, antwortete ich. Und von hier aus anzusehen scheint sie mehr als das vorige einem gewissen Einklang und Zusammenstimmen zu gleichen. – Wie das? – Ein gewisser Anstand ist doch, sprach ich, die Besonnenheit und eine Mäßigung gewisser Lüste und Begierden wie sie sagen; und stärker als er selbst pflegen sie ihn, ich weiß nicht recht auf welche Weise, zu nennen, und noch einige andere ähnliche Spuren gleichsam werden von ihr angegeben. Nicht wahr? – Ganz richtig, sagte er. – Nun ist doch das stärker als er selbst lächerlich. Denn wer stärker als er selbst wäre, wäre doch offenbar auch schwächer als er selbst, und der Schwächere stärker; denn es ist doch immer derselbige der in allen diesen Redensarten auf beiden Seiten aufgeführt wird. – Freilich (431) wohl. – Allein mir scheint diese Erklärung sagen zu wollen, daß es in dem Menschen selbst an der Seele irgend ein besseres gibt und ein schlechteres; und wenn nun das von Natur bessere über das schlechtere Gewalt hat, dies nennt sie stärker sein als er selbst, denn dies lobt sie ja; wenn aber durch schlechte Erziehung oder Behandlung von der Menge des schlechteren das kleinere bessere überwältigt wird, dieses scheint sie als einen Schimpf zu tadeln, und dies schwächer sein als er selbst zu nennen und den so gestimmten einen zügellosen. – So zeigt es sich freilich, sagte er. – Sieh also her, sprach ich, auf unsere neue Stadt, und du wirst das eine von diesen beiden in ihr finden. Denn daß sie Herr ihrer selbst sei, wirst du sagen müssen, könne man ihr mit vollem Recht beilegen, wenn doch das Ganze, dessen besseres das schlechtere beherrscht, besonnen zu nennen ist und Herr seiner selbst. – Ich sehe her, sagte er, und du hast Recht. – Und die vielen und vielerlei Begierden und Lüste und Unlüste findet einer doch wohl überall am meisten bei Weibern und Gesinde, unter den sogenannten freien Leuten aber nur bei dem großen und gemeinen Haufen. – Allerdings. – Einfache und mäßige aber, die von Vernunft und richtiger Vorstellung verständig geleitet werden, wirst du nur bei Wenigen antreffen, und zwar bei den bestgearteten und besterzogenen. – Wahr, sagte er. – Nun siehst du doch, daß du dieses alles auch in der Stadt hast, hier aber die Begierden in den Vielen und Schlechten beherrscht von den Begierden und der Vernunft in den Wenigeren und Edleren. – Das sehe ich, sagte er. – Wenn man also einen Staat Herrn der Lüste und Begierden und also auch sein selbst nennen darf, so ist es dieser. – Auf alle Weise gewiß, sagte er. – Also auch wohl, wenn in einer anderen Stadt dieselbige Vorstellung einwohnt den Regierenden und den Regierten darüber, wer regieren soll, würde sich dasselbige auch in dieser finden. Oder meinst du nicht? – Freilich, sagte er, gar sehr. – In welcher von beiden Abteilungen der Bürger wirst du nun sagen sei die Besonnenheit, wenn sie sich so verhalten? in den herrschenden oder in den beherrschten? – In beiden doch wohl, sagte er. – Siehst du also, sprach ich, daß wir vorhin ganz richtig geahndet haben, die Besonnenheit sei einer Zusammenstimmung zu vergleichen? – Wie das? – Weil nicht, wie die Tapferkeit und die Weisheit jede nur in einem Teile einwohnend die ganze Stadt die eine weise die andere tapfer machten, (432) eben so auch diese die ganze Stadt besonnen macht, vielmehr ist sie ganz durch sie verbreitet, und nach dem vollkommensten harmonischen Gesetz macht sie die in derselben Beziehung schwächsten zusammenstimmen mit den stärksten und mittleren, seien sie es nun an Einsicht oder an Stärke oder auch an Zahl oder Reichtum oder was dergleichen du sonst willst. So daß wir also vollkommen richtig sagen können, diese Einmütigkeit sei Besonnenheit, nämlich des von Natur Besseren und Schlechteren Zusammenstimmung darüber, welches von beiden herrschen soll, in der Stadt sowohl als in jedem Einzelnen. – Das dünkt mich völlig eben so. –

Wohl! sprach ich, diese drei also können wir ja wohl annehmen, daß wir ansichtig geworden sind in der Stadt. Aber die noch übrige Art, durch welche die Stadt an der Tugend teilnehmen kann, was wäre wohl die? Denn offenbar ist diese doch die Gerechtigkeit. – Offenbar. – Nun also, Glaukon, müssen wir wie Jäger den Busch rings umstellen, daß uns die Gerechtigkeit nicht etwa entschlüpfe, und dann, wenn sie einmal verschwunden ist, nicht wieder zum Vorschein komme. Denn offenbar ist sie hier irgendwo. Sieh also zu und beeifere dich recht, ob du sie etwa eher als ich erblicken und mir anzeigen kannst. – Wenn ich doch könnte! sagte er. Vielmehr aber, wenn du mich als einen behandelst, der da folgen und das gezeigte auch wahrnehmen kann, wirst du mich ganz angemessen behandeln. – So folge mir denn, sprach ich, nach gemeinsam verrichtetem Gebet. – Das will ich tun, sprach er, führe du nur an. – Freilich, fuhr ich fort, scheint mir der Ort gar unzugänglich und überwachsen, wenigstens ist er dunkel und schwer zu durchstreifen; aber wir müssen dennoch gehen. – Das müssen wir! sagte er. – Nachdem ich nun etwas erblickt, rief ich aus Ju Ju Glaukon! es scheint daß wir eine Spur haben und ich glaube sie soll uns nun gewiß nicht entkommen. – Das ist ja eine gute Nachricht, sprach er. – Wahrhaftig, sagte ich, etwas albern ist es uns doch ergangen. – Wie so? – Schon lange, du bester, liegt sie uns von Anfang an vor den Füßen, und wir haben sie nur nicht gesehen, sondern waren ganz lächerlich, wie bisweilen Leute die etwas in der Hand haben dasselbe suchen was sie haben; so haben auch wir nicht auf den Fleck gesehn, sondern irgend wohin ins weite, daher sie uns denn natürlich entgehen mußte. – Wie, fragte er, meinst du das? – So, antwortete ich, daß mich dünkt wir haben schon lange davon gesprochen und gehört, und nur uns selbst nicht verstanden, daß wir eben davon handelten. – Lange Vorrede, sagte er, für einen der begierig ist zu hören! – Also, sprach ich, höre ob etwas daran ist. Nämlich was wir von Anfang an festgesetzt (433) haben, was jeder durchgängig tun müßte als wir die Stadt gründeten, eben dieses, oder doch eine Art davon, ist wie mich dünkt die Gerechtigkeit. Denn wir haben ja festgesetzt und oftmals gesagt, wenn du dich des erinnerst, daß jeder sich nur auf eines befleißigen müsse von dem was zum Staate gehört, wozu nämlich seine Natur sich am geschicktesten eignet. – Das haben wir freilich gesagt. – Und gewiß, daß das seinige tun und sich nicht in vielerlei mischen Gerechtigkeit ist, auch das haben wir von vielen Andern gehört und gewiß auch öfters selbst gesagt. – Gewiß haben wir es gesagt. – Dieses also, o lieber, sprach ich, wenn es auf gewisse Weise geschieht, scheint die Gerechtigkeit zu sein, daß jeder das seinige verrichtet. Weißt du woher ich das schließe? – Nein, sondern sage es! antwortete er. – Mich dünkt nämlich, sprach ich, das noch übrige in der Stadt, außer dem was wir schon betrachtet haben, der Besonnenheit, Tapferkeit und Vernünftigkeit, müsse dasjenige sein, was jenen insgesamt die Kraft gibt da zu sein, und müsse auch jenes, nachdem es nun da ist, erhalten so lange es selbst vorhanden ist. Nun aber sagten wir doch, die Gerechtigkeit müsse dasjenige sein, was noch fehle, wenn wir die drei andern würden gefunden haben. – Und das ist auch notwendig so, sagte er. – Aber doch, sprach ich, wenn man nun entscheiden sollte, welche von diesen wohl vorzüglich unsere Stadt gut mache durch ihre Anwesenheit: so möchte schwer zu entscheiden sein, ob die Eigentümlichkeit der Herrschenden und Beherrschten, oder der gesetzmäßigen Vorstellung von dem was furchtbar ist oder nicht Aufrechthaltung unter den Kriegsmännern, oder die den Herrschenden einwohnende Einsicht und Obhut, oder ob das sie vorzüglich gut macht, wenn sich bei Kindern und Weibern, Knechten und Freien, gemeinen Arbeitern und Herrschenden und Beherrschten dieses findet, daß jeder, wie er Einer ist, auch nur das seinige tut und sich nicht in vielerlei mischt! – Schwer zu entscheiden, sagte er, allerdings. – Es wetteifert also in Bezug auf die Tugend der Stadt mit der Weisheit und Besonnenheit und Tapferkeit diese Eigenschaft, daß jeder in ihr das seinige tut. – Gar sehr, sagte er. – Und du würdest doch wohl nur der Gerechtigkeit einen Wettstreit mit jenen in Bezug auf die Tugend der Stadt zugestehen? – Allerdings. – Erwäge aber auch von dieser Seite, ob es dir so scheint. Wirst du wohl den Herrschenden in der Stadt auftragen die Rechtssachen zu schlichten? – Wem anders? – Werden sie nun wohl nach irgend etwas anderem mehr streben bei ihren Entscheidungen als darnach, daß einem jeden weder fremdes zugeteilt noch ihm das seinige genommen werde? – Nein, sondern danach. – Als nach dem gerechten? – Ja. – Auch so demnach würde, daß jeder das seinige und gehörige hat und tut, als Gerechtigkeit anerkannt werden. – So ist es. – Sieh nun zu, ob du noch weiter (434) meiner Meinung bist. Wenn der Zimmermann sich beigehn läßt des Schuhmachers Werke zu verrichten oder der Schuhmacher des Zimmermanns, mögen sie nun ihre Werkzeuge und ihren Lohn wechseln, oder mag auch einer und derselbe beides zu verrichten unternehmen, alles andere hiernach umgestellt, meinst du daß das in der Stadt großen Schaden anrichten wird? – Nicht eben, antwortete er. – Allein wenn ein Handwerker, oder einer der sonst ein Gewerbsmann ist seiner Natur nach, hernach aufgebläht durch Reichtum oder Verbindungen oder Stärke oder etwas dergleichen sucht in die Klasse der Krieger überzugehn, oder einer von den Kriegern in die der Berater und Hüter, ohne daß er es wert ist, und diese dann ihre Werkzeuge und ihre Ehrenstellen gegen einander vertauschen, oder einer und derselbe dies alles zu verrichten unternimmt: dann denke ich wirst auch du der Meinung sein, daß solcher Tausch und Vieltuerei hierin der Stadt zum Verderben gereicht. – Auf alle Weise freilich. – Also dieser drei Klassen Einmischerei in ihr Geschäft und gegenseitiger Tausch ist der größte Schaden für die Stadt und kann mit vollem Recht Frevel genannt werden? – Offenbar. – Und den größten Frevel gegen die eigene Stadt, wirst du den nicht Ungerechtigkeit nennen? – Wie sollte ich nicht! – Dies ist also die Ungerechtigkeit. Und so laß uns wiederum so erklären, der erwerbenden, beschützenden und beratenden Klasse Geschäftstreue, daß nämlich jede von diesen das ihrige verrichtet in der Stadt, würde das Gegenteil von jenem also Gerechtigkeit sein, und die Stadt gerecht machen. – Nicht anders scheint es auch mir, sprach er, sich zu verhalten als so. – Laß es uns nur, sagte ich, noch nicht allzufest behaupten; sondern wenn auch auf jeden einzelnen Menschen angewendet dieser selbige Begriff auch dort dafür anerkannt wird Gerechtigkeit zu sein, dann wollen wir es einräumen, – denn was wollten wir auch weiter sagen? wenn aber nicht, dann wollen wir etwas anderes ersinnen. Jetzt aber laß uns die Untersuchung vollenden, die wir in der Meinung angefangen haben, daß, wenn wir zuvor in irgend einem größeren, welches auch Gerechtigkeit an sich hat, diese anzuschauen versuchten, wir dann auch leichter an dem einzelnen Menschen sehen würden, was sie ist. Und ein solches schien mir der Staat zu sein, und so haben wir denn einen so trefflich als möglich eingerichtet, wohl wissend, daß in einem guten wenigstens sie sich finden müsse. Was sich uns also dort gezeigt hat, das laß uns auf den Einzelnen übertragen; und wenn es übereinstimmt, soll es gut sein, wenn sie sich aber in dem Einzelnen als etwas anderes zeigt, so wollen wir wieder auf die Stadt zurückgehn, um die Sache noch einmal zu prüfen. Und vielleicht, wenn wir so beides gegeneinander betrachten (435) und reiben, werden wir doch wie aus Feuersteinen die Gerechtigkeit herausblitzen machen, und, wenn sie uns klar geworden ist, sie recht bei uns selbst befestigen. – Das ist ganz in der Ordnung, entgegnete er, wie du es sagst, und so müssen wir es machen. –

Ist nun wohl, sprach ich, was einer dasselbige nur größer oder kleiner nennt, insofern unähnlich, inwiefern es doch dasselbige heißt, oder ähnlich? – Ähnlich, sagte er. – Also auch ein gerechter Mann wird von einem gerechten Staat in Beziehung auf eben diesen Begriff der Gerechtigkeit nicht verschieden, sondern ihm ähnlich sein? – Ähnlich, sagte er. – Aber der Staat schien uns doch gerecht zu sein, sofern drei ihm einwohnende Arten von Naturen jede das ihrige verrichteten; besonnen aber und tapfer und weise durch eben jener drei Arten anderweitige Zustände und Eigenschaften. – Richtig, sagte er. – Auch von dem Einzelnen also, lieber, werden wir eben so dafür halten, daß eben diese drei Arten in seiner Seele sich finden, und er derselben Zustände wegen wie dort auch dieselben Namen erhalte wie der Staat. – Ganz notwendig, sagte er. – Da sind wir ja wiederum, o Wunderbarer, sprach ich, auf eine schlimme Untersuchung gestoßen in Absicht der Seele, ob sie eben diese drei Arten in sich hat oder nicht. – Gar nicht scheint mir, sagte er, daß es eine schlimme ist. Vielleicht ist aber, o Sokrates, das Sprichwort wahr, daß das Schöne schwer ist. – Das zeigt sich, sagte ich. Und wisse nur, o Glaukon, daß nach meiner Meinung wir dergleichen durch ein solches Verfahren, wie wir jetzt in unsern Reden beobachten, niemals genau erhalten werden, sondern der Weg, der dazu führt, ist weiter und größer, vielleicht aber doch erhalten wir es so, wie es sich zu dem vorher erklärten und erwogenen schickt. – Sollen wir damit nicht zufrieden sein? sagte er, mir wenigstens würde es für jetzt so hinreichend sein. – Aber mir, sprach ich, ganz gewiß vollkommen. – Werde also nicht müde, sagte er, sondern untersuche weiter. – Ist es nun nicht uns ganz notwendig, sprach ich, zu gestehen, daß in einem jeden von uns diese nämlichen drei Arten und Handlungsweisen sich finden, wie auch im Staat? Denn nirgends anders her können sie ja dorthin gekommen sein. Denn es wäre ja lächerlich, wenn jemand glauben wollte, das mutige sei nicht aus den Einzelnen in die Staaten hineingekommen, die vorzüglich diese Kraft in sich haben, wie die in Thrakien und Skythien und fast überall in den oberen Gegenden, oder das Wißbegierige, was man vorzüglich unsern Gegenden zuschreiben kann, oder das Erwerblustige, (436) wovon man sagen könnte, daß man es nicht am schlechtesten bei den Phoinikiern und Ägyptern antrifft. – Allerdings, sagte er. – Dies also verhält sich so, sprach ich, und ist nicht schwer einzusehen. – Freilich nicht. – Das ist aber wohl schwer, ob wir mit diesen selbigen alles verrichten, oder von dreien mit jeglichem ein anderes, mit einem von dem was in uns ist lernen, mit einem andern uns mutig erweisen, und mit einem dritten wiederum die mit der Ernährung und Erzeugung verbundene Lust begehren, und was dem verwandt ist, oder ob wir mit der ganzen Seele jegliches von diesen verrichten, wenn wir auf eins gestellt sind? Dieses wird das sein, was schwierig ist auf eine genügende Weise zu bestimmen. – Das dünkt mich auch, sagte er. – Auf diese Art also laß uns versuchen zu bestimmen, ob es unter sich dasselbe ist oder ob verschiedenes. – Auf welche? – Offenbar ist doch daß dasselbige nie wird zu gleicher Zeit entgegengesetztes tun und leiden, wenigstens nicht in demselben Sinne genommen und in Beziehung auf eins und dasselbige. So daß, wenn wir etwa finden sollten, daß in diesen dies vorkommt, wir wissen werden, daß sie nicht dasselbige waren, sondern mehreres. – Das sei so. – Erwäge also, was ich sage. – Sprich nur, sagte er. – Ist es wohl möglich, fuhr ich fort, daß dasselbige zugleich in demselben Sinne still steht und sich bewegt? – Keinesweges. – Verständigen wir uns noch genauer darüber, damit wir nicht etwa im weiteren Verfolg uns uneins finden. Denn wenn jemand von einem Menschen, welcher steht aber seinen Kopf und seine Hände bewegt, sagen wollte, daß derselbe zugleich steht und sich bewegt; so werden wir, denke ich, nicht annehmen, daß man so sagen dürfe, sondern daß einiges von ihm stillsteht und anderes sich bewegt. Nicht so? – So. – Nicht auch wenn, wer dies behauptet, noch artiger scherzen wollte und uns vortragen, daß doch die Kreisel ganz zugleich stehn und sich bewegen, wenn sie mit der Spitze an einem und demselben Orte haftend sich herumdrehen, oder was sonst im Kreise sich bewegend dies an derselben Stelle bleibend tut: so würden wir es nicht annehmen, weil dergleichen Dinge alsdann nicht in Bezug auf dasselbige in ihnen still stehn und sich bewegen; sondern wir würden sagen, sie hätten grades und kreisförmiges in sich, und in Bezug auf das Grade ständen sie still, denn sie neigten sich nach keiner Seite hin, in Bezug auf das kreisförmige aber bewegten sie sich. Wenn aber zugleich mit dieser Bewegung auch die grade Richtung zur rechten oder linken oder nach vorn oder hinten abweicht, dann ist keinerlei Art von Stillstand mehr zu denken. – Ganz richtig, sagte er. – Nichts dergleichen also wird uns verwirren, wenn es vorgebracht wird, noch uns irgend mehr überreden, als ob jemals etwas dasselbige bleibend zugleich in demselben Sinne und in Bezug auf dasselbe könne entgegengesetztes erleiden oder (437) sein oder auch tun. – Mich gewiß nicht, sagte er. – Dennoch aber, sprach ich, damit wir nicht nötig haben alle dergleichen Einwendungen durchzugehn und weitläufig zu beweisen, daß sie unrichtig sind, so laß uns in der Voraussetzung, daß sich dieses so verhält, weiter gehen und uns anheischig machen, wenn uns dies jemals anders erschiene als so, so solle alles, was uns hieraus folgt, für nichtig erklärt sein. – So, sagte er, müssen wir es freilich machen. – Nun aber, sprach ich, wirst du doch das Gewähren dem Abschlagen und das Trachten etwas zu bekommen dem Ablehnen, und das An sich ziehn dem Von sich stoßen alles dergleichen für einander entgegengesetztes, es sei nun Tun oder Leiden, erklären, denn von dieser Seite wollen wir keinen Unterschied machen? – Allerdings für entgegengesetzt, sagte er. – Wie also? fuhr ich fort, Hungern und Dursten und überhaupt die Begierden und so auch das Wollen und Wünschen, setzest du nicht alles dieses unter jene eben angeführten Begriffe? wirst du z. B. nicht immer sagen, daß die Seele des begehrenden darnach trachtet, was sie begehrt, oder daß sie das an sich zieht, wovon sie wünscht, daß es ihr werde? oder wiederum, sofern sie will daß ihr etwas gereicht werde, daß sie dies bejahend zu sich her winkt, gleichsam als ob jemand sie sähe danach streben, daß es ihr werde? – Ich gewiß. – Und wie? das Verwerfen und Nicht wollen noch begehren, wollen wir nicht sagen, daß dies zu dem Abstoßen und Von sich weg treiben, und zu allem, was jenem entgegengesetzt ist, gehöre? – Wie sollten wir nicht? – Nachdem nun dieses sich so verhält, sagen wir doch, es gebe etwas, das wir Begierden nennen, und die stärksten unter diesen seien, die wir Durst und Hunger nennen? – Das sagen wir, sprach er. – Und die eine ist des Getränks Begierde, die andere der Speise? – Ja. – Ist nun wohl, sofern Durst ist, noch nach etwas mehrerem, als wir sagten, Begierde in der Seele? – Nein. – Ich meine, ist Durst wohl Durst nach warmem Getränk oder kaltem, oder nach vielem oder wenigem, oder auch mit einem Worte nach einem bestimmten Getränk? oder wird nur, wenn Wärme außer Durst da ist, diese die Begierde nach dem kalten dazu hervorbringen; und wenn Kälte die des Warmen, wenn aber wegen Zugesellung der Vielheit der Durst viel ist, diese die Begierde des vielen, wenn er aber gering ist, dann die des wenigen; das Dursten selbst aber niemals die Begierde nach irgend etwas anderem werden, als worauf es seiner Natur nach geht, auf das Getränk selbst, und eben so auch das Hungern auf die Speisen? – So, antwortete er, jede Begierde auf dasjenige allein an und für sich, worauf sie ihrer Natur nach geht; auf das so oder so desselben aber nur das hinzukommende. – Daß uns aber nur nicht einer, sprach ich, unversehens damit (438) beunruhige, daß niemand Trank schlechthin begehrt, sondern genießbaren Trank und nicht Speise, sondern genießbare Speise, weil ja alle das Gute begehren. Wenn also der Durst eine Begierde ist, müsse er auf gutes gehn, sei es nun Getränk oder worauf sonst die Begierde geht, und die andern eben so. – Der könnte wohl scheinen, antwortete er, etwas zu sagen der dies sagte. – Aber doch, sprach ich, was von der Art ist, daß es sich auf etwas bezieht, das bezieht sich so und so beschaffen auch auf ein so oder so beschaffenes, wie mich dünkt, an und für sich aber auch nur jedes auf das seinige an und für sich. – Das habe ich nicht verstanden, sagte er. – Hast du nicht verstanden, sagte ich, daß das größere von der Art ist, daß es größer ist als etwas? – Freilich wohl. – Und zwar als das kleinere? – Ja. – Und das weit größere doch als das weit kleinere? Nicht wahr? – Ja. – Nicht auch das ehedem größere auch als ein ehedem kleineres, und das künftig größere als ein künftig kleineres? – Als was sonst? sagte er. – Auch wohl das mehre zu dem wenigeren und das doppelte zu dem halben und alles dergleichen, und eben so das schwerere zu dem leichteren und das schnellere zu dem langsameren und ferner das warme zu dem kalten und alles dem ähnliche verhält sich eben so? – Allerdings. – Und wie mit der Erkenntnis? ist es nicht dieselbe Weise? Die Erkenntnis überhaupt ist Erkenntnis eines überhaupt Erkennbaren, oder wie man das nennen will worauf die Erkenntnis sich bezieht; eine gewisse und irgendwie beschaffene Erkenntnis aber nur eines gewissen und irgendwie beschaffenen Erkennbaren. Ich meine nämlich dergleichen. Ist nicht die Erkenntnis, wenn sie die von dem Bau eines Hauses ist, so von den übrigen Erkenntnissen unterschieden, daß sie Baukunst heißt? – Ohne Zweifel. – Nicht weil sie nun eine so bestimmte ist, wie keine von den übrigen? – Ja. – Und weil eines irgendwie bestimmten, ist sie selbst eine irgendwie bestimmte? und eben so auch die andern Künste und Wissenschaften? – So ist es. – Dieses also, sprach ich, glaube daß ich damals habe sagen gewollt, wenn du es denn jetzt verstanden hast, daß, was immer von einem andern ist was es ist, es an und für sich auch nur von jenem an und für sich ist, von dem irgendwie bestimmten, aber auch nur das selbst irgendwie bestimmte. Und ich sage nicht, daß es selbst so wie jenes, worauf es sich bezieht, bestimmt ist, so daß die Erkenntnis des gesunden und kranken selbst gesund und krank wäre, und die des guten und bösen selbst gut und böse; sondern nur daß, weil sie nicht mehr dessen an und für sich, worauf Erkenntnis geht, Erkenntnis war, sondern eines irgendwie bestimmten solchen, und das war eben das gesunde und krankhafte, sie auch selbst eine irgendwie bestimmte geworden ist, und dies nun gemacht hat, daß sie nicht mehr Erkenntnis schlechthin heißt, sondern, da ein bestimmtes hinzugekommen ist, Heilkenntnis. – Ich verstehe, sagte er, und (439) es scheint mir sich so zu verhalten. – Und den Durst, sprach ich, wirst du den nicht unter diejenigen Dinge setzen, die, was sie sind, auf etwas gehend sind? er ist aber doch Durst? – Ja, sprach er, nämlich auf Getränk. – Also auch auf ein gewisses Getränk nur ein gewisser Durst, Durst aber an und für sich weder auf vieles oder weniges, noch auf gutes oder schlechtes, noch mit einem Wort auf irgendwie bestimmtes Getränk, sondern Durst an und für sich seiner Natur nach nur auf Getränk an und für sich. – Auf alle Weise freilich. – Des Durstenden Seele also, in wie fern er durstet, will nichts anders als trinken; dieses begehrt sie und danach strebt sie. – Offenbar ja. – Und nicht wahr, wenn jemals irgend etwas sie zurückzieht, wenn sie durstet, so wäre dies etwas anderes in ihr als das durstende und sie wie ein Tier zum Trinken antreibende selbst? Denn es kann ja nicht, sagen wir, dasselbe dem für es selbigen in Bezug auf dasselbe zugleich entgegengesetztes tun. – Freilich nicht. – Wie es, glaube ich, von einem Schützen nicht richtig gesagt ist, daß seine Hände zugleich den Bogen losschnellen und anspannen, sondern daß die eine Hand die losschnellende ist und die andere die anspannende. – Allerdings freilich, sagte er. – Ob wir nun wohl sagen sollen, daß bisweilen einige, welche dursten, doch nicht trinken wollen? – Wohl, sagte er, gar viele und oftmals. – Was also, sagte ich, soll einer hievon wohl sagen? Nicht daß in ihrer Seele zwar das zu trinken befehlende sei, in ihrer Seele aber auch das verhindernde, und zwar als ein anderes und welches über jenes befehlende Gewalt hat? – Das dünkt mich wenigstens, sagte er. – Und kommt nun nicht das dergleichen verbietende, wenn es kommt, durch Überlegung, das treibende und ziehende aber ist da vermöge eines leidentlichen und krankhaften Zustandes? – Das ist deutlich. – Nicht mit Unrecht also, sprach ich, wollen wir dafür halten, daß diese ein zwiefaches und von einander verschiedenes sind, und das, womit die Seele überlegt und ratschlagt, das denkende und vernünftige der Seele nennen, das aber, womit sie verliebt ist und hungert und durstet und von den übrigen Begierden umhergetrieben wird, das gedankenlose und begehrliche, gewissen Anfüllungen und Lüsten befreundete. – Gewiß nicht mit Unrecht, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit, sagte er, werden wir dieses annehmen. – Diese zwei Arten also, sprach ich, seien uns bestimmt als in der Seele einwohnend. Aber der Mut, und das womit wir uns ereifern, ist dieses eine dritte? oder welcher von jenen beiden wäre es gleichartig? – Vielleicht doch, sagte er, dem einen, dem begehrlichen. – Aber, sprach ich, ich habe einmal etwas gehört und glaube dem, wie nämlich Leontios, der Sohn des Aglaion einmal aus dem Peiraieus an der nördlichen Mauer draußen herauf kam und merkte, daß beim Scharfrichter (440) Leichname lägen, er zugleich Lust bekam sie zu sehen, zugleich aber auch Abscheu fühlte und sich wegwendete, und so eine Zeitlang kämpfte und sieh verhüllte, dann aber von der Begierde überwunden mit weitgeöffneten Augen zu den Leichnamen hinlief und sagte, Da habt ihr es nun, ihr unseligen, sättiget euch an dem schönen Anblick! – Das habe ich auch gehört, sagte er. – Diese Erzählung nun, sprach ich, deutet darauf, daß der Eifer bisweilen gegen die Begierde streitet als ein anderes gegen ein anderes. – Darauf deutet sie freilich, sagte er. – Merken wir nun nicht auch anderwärts oftmals, sagte ich, wenn jemanden Begierden gegen seine Überlegung zwingen, daß er selbst schimpft und sich ereifert über das zwingende in ihm? und daß also in dem Aufstande beider gegen einander der Eifer eines solchen ein Verbündeter der Vernunft wird? daß er sich aber zu den Begierden gesellen sollte, wenn die Vernunft ausspricht, daß man etwas nicht tun soll, dieses glaube ich wirst du nicht sagen können, daß du jemals bei dir selbst bemerkt hättest daß es geschehen sei, noch bei einem andern. – Nein beim Zeus, sagte er. – Und wie? fuhr ich fort, wenn einer glaubt Unrecht getan zu haben, ist er nicht je edler um desto weniger im Stande zu zürnen, wenn er auch Hunger und Durst oder sonst etwas dieser Art von dem leiden muß, von dem er glaubt daß er ihm dieses mit Recht antue? und ist es nicht so wie ich sage, daß sein Eifer sich gegen diesen nicht erheben will? – Richtig, sagte er. – Wie aber, wenn jemand unrecht zu leiden glaubt, gärt er nicht in diesem und wird wild und verbündet sich mit dem was ihm gerecht dünkt, mag er auch Hunger und Durst und Kälte und alles dergleichen erleiden müssen, und siegt durch Beharrlichkeit und macht seiner edlen Bestrebungen kein Ende, bis er es entweder durchgeführt hat oder drauf geht, oder wie der Hund von dem Hirten so von der bei ihm wohnenden Vernunft zurückgerufen und besänftiget wird? – Ganz so, sagte er, ist es wie du sagst, wie ja auch wir in unserer Stadt die Helfer gleichsam als Hunde den Herrschern als den Hirten der Stadt unterwürfig gemacht haben. – Sehr schön, sprach ich, merkst du was ich sagen will. Aber gewahrst du außer dem wohl auch noch dieses? – Welches doch? – Daß es uns ganz entgegengesetzt erscheint mit dem mutartigen als nur eben. Denn damals meinten wir es sei auch ein begehrliches; jetzt aber sagen wir, weit gefehlt, sondern vielmehr ergreife es in dem Zwiespalt der Seele die Waffen für das vernünftige. – Allerdings. – Etwa auch als ein von diesem verschiedenes? oder als eine Art des vernünftigen, so daß nicht dreierlei, sondern nur zweierlei in der Seele wäre, das vernünftige und das begehrliche? oder, wie in der Stadt drei verschiedene Arten sie zusammenhielten, die erwerbende, die helfende und (441) die beratende, ist so auch in der Seele dieses ein drittes das eifrige, von Natur dem vernünftigen beistehend, wenn es nicht etwa durch schlechte Erziehung verdorben ist? – Notwendig, sagte er, ein drittes. – Ja, sprach ich, wenn es sich auch von dem vernünftigen verschieden zeigt, wie es sich von dem begehrlichen unterschieden gezeigt hat. – Das ist wohl nicht schwer zu zeigen, sagte er. Denn das kann ja einer schon an den Kindern sehen, daß sie nur eben geboren schon voll Eifers sind, von Nachdenken aber scheinen mir wenigstens einige gar niemals etwas zu bekommen, und die meisten nur sehr spät. – Ja beim Zeus, sprach ich, das hast du schön gesagt. Und auch noch an den Tieren kann man sehen was du meinst, daß es sich so verhält. Und außerdem wird auch das homerische, was wir oben schon irgendwo angeführt haben, Zeugnis davon geben, das Aber er schlug an die Brust und strafte das Herz mit den Worten; denn hier hat Homeros ganz deutlich als eines von dem andern verschieden das über das bessere und schlechtere nachdenkende dem gedankenlos sich ereifernden zuredend gedichtet. – Offenbar, sagte er, hast du ganz Recht. – Dieses also, sprach ich, haben wir mit Mühe durchgemacht; und es steht uns nun zur Genüge fest, daß dieselben Verschiedenheiten wie in der Stadt auch in eines jeden Einzelnen Seele sich zeigen, und gleich an Zahl. – So ist es. – Nun ist also wohl auch jenes schon notwendig, daß, wie die Stadt weise war und wodurch, so auch und eben dadurch der Einzelne weise ist. – Notwendig. – Und wodurch der Einzelne tapfer und wie, dadurch auch die Stadt tapfer sei und eben so, und daß auch in allem übrigen, was die Tugend betrifft, beide sich auf gleiche Weise verhalten. – Notwendig. – Auch gerecht also, o Glaukon, denke ich, werden wir sagen müssen, sei ein Mann auf dieselbe Weise wie auch der Staat gerecht war. – Auch das ist ganz notwendig. – Aber wir haben doch wohl das noch nicht vergessen, daß jene dadurch gerecht war, daß jede von jenen drei Gattungen in ihr das ihrige tat? – Wir scheinen es, sagte er, ja wohl nicht vergessen zu haben. – Also müssen wir bedenken, daß auch ein jeder von uns, in welchem sie jede das ihrige tun, gerecht sein wird und das seinige verrichtend. – Allerdings, sagte er, müssen wir das bedenken. – Nun gebührt doch dem vernünftigen zu herrschen, weil es weise ist und für die gesamte Seele Vorsorge hat? dem eifrigen aber diesem folgsam zu sein und verbündet? – Freilich. – Und wird nun nicht, wie wir sagten, die rechte Mischung der Musik und Gymnastik sie zusammenstimmend machen, indem sie das eine anspornt und nährt durch schöne Reden und Kenntnisse, das andere aber zuredend und besänftigend (442) durch Wohlklang und Zeitmaß mildert? – Offenbar ja, sprach er. – Und diese beiden nun so auferzogen und in Wahrheit in dem ihrigen unterwiesen und gebildet werden dann dem begehrlichen vorstehen, welches wohl das meiste ist in der Seele eines jeden und seiner Natur nach das unersättlichste; welches sie dann beobachten werden, damit es nicht etwa durch Anfüllung der sogenannten Lust des Leibes groß und stark geworden unternehme anstatt das seinige zu verrichten vielmehr die andern zu unterjochen und zu beherrschen, was ihm nicht gebührt, und so das ganze Leben Aller verwirre. – Allerdings, sagte er. – Werden nun nicht, sprach ich, auch den äußeren Feind diese beiden am besten abhalten, wenn für das gesamte Seele und Leib jenes beratet dieses wehrt, dem herrschenden aber folgt und durch Tapferkeit das beschlossene vollzieht? – So ist es. – Auch tapfer also, meine ich, nennen wir jeden einzelnen vermöge dieses Teils, wenn sein mutartiges durch Lust und Unlust hindurch immer treu bewahrt was von der Vernunft als furchtbar ist angekündiget worden, und was als nicht. – Richtig, sagte er. – Und weise durch jenen kleineren Teil, welcher in ihm herrscht und dieses verkündiget, indem auch in dem Einzelnen dieser Teil in sich hat die Erkenntnis dessen, was einem jeden und dem ganzen aus allen dreien gemeinsamen zuträglich ist. – Allerdings. – Und wie? besonnen nicht durch die Freundschaft und Zusammenstimmung eben dieser? wenn das herrschende mit dem beherrschten einmütig ist darüber, daß das Vernünftige herrschen soll und sie nicht mit einander im Streit sind? – Nichts anderes, sprach er, ist ja wohl Besonnenheit des Staates und des Einzelnen. – Also auch gerecht, wie wir nun schon oft gesagt haben, wird er durch dasselbe und auf dieselbe Weise sein? – Ganz notwendig. – Wie aber, fuhr ich fort, schwebt uns nicht dunkel irgend etwas vor, als ob doch die Gerechtigkeit etwas anderes sein müsse, als wofür wir sie im Staat erkannten? – Mir meines Teils, sagte er, scheint es nicht. – Auf die Art wenigstens, sprach ich, können wir der Sache vollkommen gewiß werden, falls etwa in unserer Seele noch irgend etwas zweifelhaft ist, wenn wir nämlich jenes gewöhnliche daran versuchen. – Welches doch? – Wie wenn wir uns erklären sollten über jenen Staat und den ihm ähnlich gearteten und gebildeten einzelnen Mann, ob wohl von ihm zu glauben ist, daß ein solcher, wenn Gold und Silber bei ihm niedergelegt wäre, es unterschlagen werde. Wer glaubst du wohl werde der Meinung sein, daß dieser dies eher tun werde als die, welche nicht so sind? – Niemand, antwortete er. – Also auch von (443) Tempelraub und Diebstahl und Verräterei gegen besondere Freunde sowohl als gegen das gemeine Wesen wird ein solcher fern sein? – Fern. – Und auch wohl nicht im mindesten untreu in Eidschwüren und andern Verträgen? – Wie sollte er wohl! – Und Ehebruch oder Gleichgültigkeit gegen die Eltern oder Vernachlässigung der Götter kommt ja wohl jedem anderen eher zu als diesem? – Gewiß jedem, sagte er. – Und von dem allen ist doch die Ursache, daß von dem, was in ihm ist, jegliches das seinige verrichtet in Absicht auf Herrschen und Beherrschtwerden? – Dieses freilich und nichts anderes. – Wie also? begehrst du daß die Gerechtigkeit noch etwas anderes sei als dieses Vermögen, welches einzelne Menschen sowohl als Staaten zu solchen macht? – Nein beim Zeus, sprach er, ich nicht. – So ist uns also der Traum vollständig erfüllt, von dem wir sagten, daß er uns vorschwebe, daß wir gleich im Anfang der Begründung unseres Staates durch Gunst irgend eines Gottes auch in den Anfang und die Grundzüge der Gerechtigkeit scheinen eingeschritten zu sein. – Auf alle Weise freilich. – Und jenes also, o Glaukon, war, weshalb es sich ja auch heilsam zeigt, eine Art von Schattenbild der Gerechtigkeit, daß der von Natur schusterhafte auch Recht tue nur Schuhe zu machen und nicht anderes zu verrichten, und der zimmermännische nur zu zimmern und die andern eben so. – Das leuchtet ein. – In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit, wie sich zeigte, zwar etwas dieser Art, aber nicht an den äußeren Handlungen in Bezug auf das was dem Menschen gehört, sondern an der wahrhaft innern Tätigkeit in Absicht auf sich selbst und das seinige, indem einer nämlich jegliches in ihm nicht läßt fremdes verrichten, noch die verschiedenen Kräfte seiner Seele sich gegenseitig in ihre Geschäfte einmischen, sondern jeglichem sein wahrhaft angehöriges beilegt, und sich selbst beherrscht und ordnet und sein selbst Freund ist, und die drei in Zusammenstimmung bringt, ordentlich wie die drei Hauptglieder jedes Wohlklangs den Grundton und den gedritten und gefünften, und wenn noch etwas zwischen diesen liegt, auch dies alles verbindet und auf alle Weise Einer wird aus Vielen besonnen und wohl gestimmt, und so erst verrichtet, wenn er etwas verrichtet, es betreffe nun Erwerb des Vermögens oder Pflege des Leibes oder auch bürgerliche Geschäfte und besondere Verhandlungen, daß er in dem allen diejenigen für gerechte und schöne Handlungen hält und erklärt, welche diese Beschaffenheit unterhalten und mit hervorbringen, und für Weisheit die diesen Handlungen vorstehende Einsicht, so wie für ungerecht die Handlungen, welche diese Beschaffenheit aufheben, und für Torheit die solchen vorstehende Meinung. (444) – Auf alle Weise, sprach er, o Sokrates, hast du Recht. – Wohl denn! sprach ich, wenn wir nun behaupteten den gerechten Mann und Staat, und was die Gerechtigkeit in ihnen ist, gefunden zu haben, würden wir uns, denke ich, wohl nicht sehr zu täuschen scheinen. – Beim Zeus wohl nicht, sagte er. – Wir wollen es also behaupten? – Das wollen wir. –

So sei es denn! sprach ich. Nächst diesem aber, denke ich, müssen wir die Ungerechtigkeit in Betrachtung ziehn. – Offenbar. – Muß sie nun nicht ihrerseits ein Zwiespalt eben dieser dreie sein, und eine Vieltuerei und Fremdtuerei und ein Aufstand irgend eines Teiles gegen das Ganze der Seele um in ihr zu herrschen, da es ihm nicht zukommt, sondern er ein solcher ist von Natur, daß es ihm gebührt, dem, welches von dem herrschaftlichen Geschlecht ist, zu dienen. Dergleichen denke ich, werden wir sagen, und eben dieser Kräfte Verwirrung und Verirrung sei nun die Ungerechtigkeit und Ungebundenheit und Feigheit und Unvernunft und insgesamt alle Schlechtigkeit. – Eben dieses gewiß, sagte er. – Also ist nun auch, sprach ich, das Ungerecht handeln und Unrecht tun und eben so das Rechttun alles dieses wohl schon ganz deutlich bestimmt, wenn ja auch Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit es sind. – Woher das? – Weil sie, sprach ich, gar nicht unterschieden von dem gesunden und ungesunden, was dieses für den Leib ist, für die Seele sind. – Wie so? fragte er. – Das gesunde bewirkt doch Gesundheit und das ungesunde Krankheit? – Ja. – Bewirkt nicht auch das Rechttun Gerechtigkeit und das Unrechttun Ungerechtigkeit? – Notwendig. – Gesundheit bewirken heißt aber das leibliche in ein naturgemäßes Verhältnis des Beherrschens und von einander Beherrschtwerdens bringen, und Krankheit, in ein naturwidrig Herrschen und Beherrschtwerden eins vom andern. – Das heißt es. – Nicht auch wiederum, sprach ich, Gerechtigkeit bewirken, das in der Seele in ein naturgemäßes Verhältnis bringen des Herrschens und von einander Beherrschtwerdens? Ungerechtigkeit aber in ein naturwidriges Herrschen und Beherrschtwerden eines vom andern? – Offenbar, sagte er. – So wäre denn die Tugend, wie es scheint, eine Gesundheit und Schönheit und Wohlbefinden der Seele, die Schlechtigkeit aber Krankheit und Häßlichkeit und Schwäche. – So ist es. – Führen nun nicht auch schöne Beschäftigungen zum Besitz der Tugend, häßliche aber zur Schlechtigkeit? – Notwendig. –

So wäre uns denn nun noch übrig zu untersuchen, welches von beiden wohl zweckmäßig ist, ob Rechttun und um schönes sich bemühen und gerecht sein, mag es nun verborgen bleiben oder nicht, daß man ein solcher ist, oder ob Unrechttun und (445) ungerecht sein, wenn man nämlich keine Strafe leidet und nicht zur Besserung gezüchtiget wird. – Aber, o Sokrates, sagte er, ganz lächerlich scheint mir wenigstens nun schon diese Untersuchung zu werden, wenn man doch, sobald die Natur des Leibes verderbt ist, glaubt nicht leben zu müssen, auch nicht mit allen Speisen und Getränken und allem Reichtum und aller Gewalt; wenn aber die Natur dessen, wodurch wir eigentlich leben, in Unordnung und verderbt ist, ob man dann leben soll, wenn einer nur alles andere tun kann, was er will, außer das nicht, wodurch er eben die Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit los werden und zur Gerechtigkeit und Tugend gelangen könnte, da doch beide uns so erschienen sind, wie wir sie jetzt beschrieben haben. – Lächerlich freilich, sprach ich. Aber dennoch, da wir einmal bis hieher gekommen sind, so deutlich als nur möglich ist einzusehen, daß sich dies wirklich so verhält, so dürfen wir ja nicht ablassen. – Alles, lieber, beim Zeus, sprach er, nur nicht ablassen. – So komm denn her, sprach ich, damit du sehest wieviele Arten meines Bedünkens die Schlechtigkeit hat, die nämlich des Ansehns wert sind. – Ich folge, sagte er, sprich nur. – Nämlich wie von einer Warte herab, sprach ich, zeigt sich mir nun, nachdem wir bis hieher in unserer Rede gestiegen sind, daß es nur Eine Gestalt der Tugend gibt, unzählige aber der Schlechtigkeit, unter welchen sich jedoch gewisse viere auszeichnen als bemerkenswert. – Wie meinst du das? fragte er. – Soviel, sprach ich, als es Arten der Staatsverfassung gibt; soviel mögen auch wohl Gestalten der Seele sein. – Wieviel also? – Fünf, sprach ich, der Staatsverfassungen und fünf der Seele. – Erkläre, sagte er, was für welche. – Ich erkläre also, fuhr ich fort, die eine ist diese nämliche von uns beschriebene Art und Weise der Staatsverfassung; sie kann aber zwiefach benannt werden. Denn wenn unter den Herrschenden ein einzelner sich ausgezeichnet findet, heißt sie das Königtum, wenn aber mehrere, dann die Aristokratie. – Richtig, sagte er. – Dieses also, sprach ich, ist mir die eine Gestalt. Denn weder die Mehreren noch der Eine würde an den wesentlichen Ordnungen des Staates rühren, wenn der Erziehung und Unterweisung teilhaftig geworden, die wir beschrieben haben. – Wahrscheinlich wohl nicht, sagte er.


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