Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Dritter Theil. Der Staat
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Zweites Buch

(357) Ich nun glaubte zwar, als ich dieses gesagt, weiterer Rede überhoben zu sein; es war aber, wie sich zeigte, nur der Eingang gewesen. Denn Glaukon ist immer sehr rüstig in allem, und so ließ er es auch damals bei des Thrasymachos Rückzug nicht bewenden, sondern sagte, O Sokrates willst du nur scheinen uns überführt zu haben oder uns wirklich überführen, daß es auf alle Weise besser ist gerecht sein als ungerecht? – Euch wirklich überführen, sprach ich, möchte ich gern, wenn es bei mir stände. – So tust du denn nicht, sagte er, was du willst. Denn sage mir, glaubst du es gebe ein solches Gut, welches wir haben möchten, nicht aus Verlangen nach irgend dessen Folgen, sondern weil wir es selbst um sein selbst willen lieben; wie Wohlbefinden und alle unschädliche Vergnügungen, wenn auch für die folgende Zeit uns nichts weiter daraus entsteht als daß wir vergnügt sind dabei? – Mich dünkt allerdings, sprach ich, daß es ein solches gebe. – Wie aber? auch was wir teils sein selbst wegen lieben, teils auch wegen des daraus entstehenden, wie wiederum das Vernünftigsein und das Sehen und das Gesundsein? Denn dergleichen ist uns doch aus beiden Gründen genehm. – Ja, sagte ich. – Siehst du auch noch eine dritte Art des Guten, sagte er, wohin die Leibesübungen gehören, und daß man mit Arzenei in der Krankheit bedient wird, und so auch die Ausübung der Heilkunst und aller andere Gelderwerb? Denn dies, würden wir sagen, ist beschwerlich aber es nutzt uns; und um sein selbst willen möchten wir es nicht haben, sondern wegen des Lohnes und dessen was uns sonst noch daraus entsteht. – Es gibt allerdings, sagte ich, auch dieses dritte. Aber was weiter? – Zu welchem von diesen, sprach er, rechnest du nun die Gerechtigkeit? – Ich denke, sprach ich, zu dem schönsten was sowohl um sein selbst willen als wegen dessen was daraus erfolgt, dem der glückselig sein (358) will wünschenswert ist. – So scheint es indessen, sagte er, den meisten nicht; sondern sie rechnen sie zu der mühseligen Art, wonach man sich nur des Lohns und des Ruhms wegen um der Meinung willen bemühen muß, an und für sich aber es fliehen, weil es beschwerlich ist. – Ich weiß wohl, sprach ich, daß sie ihnen so scheint, und auch schon immer von Thrasymachos als ein solches getadelt, die Ungerechtigkeit aber gelobt wird. Aber ich bin eben, wie es scheint, von schwerem Verstände. – Wohl denn! sprach er, höre auch mich an, wenn dir etwa dasselbe recht ist. Thrasymachos nämlich hat sich, wie es mir scheint, früher als billig, von dir einkirren lassen wie eine Schlange. Mir aber ist die Beweisführung von beiden Seiten noch gar nicht nach meinem Sinne gewesen. Denn ich begehre zu hören, was jedes ist, und was für eine Kraft es an und für sich hat, so wie es in der Seele ist, den Lohn aber dafür und die Folgen davon ganz bei Seite zu lassen. So also will ich es machen, wenn es dir auch recht ist. Ich werde des Thrasymachos Rede aufs neue vortragen und zuerst erklären, was sie sagen, daß die Gerechtigkeit sei und woher entstanden, zweitens aber, daß alle die sich ihrer befleißigen sie nur ungern ausüben als etwas notwendiges und nicht als etwas gutes, und drittens, daß sie daran recht tun, denn weit vorzüglicher sei das Leben des Ungerechten als des Gerechten; wie sie ja sagen, denn mir o Sokrates scheint es gar nicht so. Ich weiß jedoch keinen Rat, weil ich die Ohren ganz voll habe von dem was Thrasymachos und tausend Andere sagen, die Rede aber für die Gerechtigkeit, daß sie besser sei als die Ungerechtigkeit, habe ich noch von niemand so gehört, wie ich es wünsche. Ich wünsche sie nämlich an und für sich selbst gepriesen zu hören; und am ersten denke ich noch dies von dir zu vernehmen. Darum werde ich mit dem größten Eifer in meiner Rede das Leben des Ungerechten loben; und dadurch werde ich dir denn zugleich gezeigt haben, wie ich wiederum wünsche dich zu hören die Ungerechtigkeit tadeln und die Gerechtigkeit loben. Also sieh zu, ob dir ansteht was ich sage. – Vor allem andern ja! sprach ich, denn wovon sollte wohl je ein vernünftiger Mensch lieber reden und hören? – Sehr schön gesprochen! sagte er. Was ich also zuerst abhandeln zu wollen sagte, darüber höre mich, was sie nämlich meinen, daß die Gerechtigkeit sei, und woher entstanden.

Von Natur nämlich sagen sie, sei das Unrechttun gut, das Unrecht leiden aber übel; das Unrecht leiden aber zeichne sich aus durch größeres Übel als durch Gutes das Unrechttun. So daß wenn sie Unrecht einander getan und von einander gelitten und beides gekostet haben, es denen die nicht vermögend sind das Eine zu vermeiden und nur das andere zu wählen vorteilhaft erscheint, sich gegenseitig darüber zu vertragen, weder (359) Unrecht zu tun noch zu leiden. Und daher haben sie denn angefangen Gesetze zu errichten und Verträge unter einander, und das von dem Gesetz aufgelegte das gesetzliche und gerechte zu nennen. Und dies also sei die Entstehung sowohl als auch das Wesen der Gerechtigkeit, welche in der Mitte liege zwischen dem vortrefflichsten, wenn einer Unrecht tun kann ohne Strafe zu leiden, und dem übelsten wenn man Unrecht leiden muß, ohne sich rächen zu können. Das Gerechte aber mitten inne liegend zwischen diesen beiden, werde nicht als gut geliebt, sondern durch das Unvermögen Unrecht zu tun sei es zu Ehren gekommen. Denn wer es nur ausführen könnte, und der wahrhafte Mann wäre, würde auch nicht mit Einem den Vertrag eingehn weder Unrecht zu tun noch sich tun zu lassen; er wäre ja wohl wahnsinnig.

Die Natur der Gerechtigkeit also, o Sokrates, ist diese und keine andere, und dies ist es woraus sie entstanden ist, wie die Rede geht. Daß aber auch, die sich ihrer befleißigen nur aus Unvermögen des Unrechttuns und ungern sie ausüben, das würden wir am besten merken, wenn wir so etwas tun in Gedanken. Wir geben jedem von beiden Macht zu tun was er nur will, dem Gerechten und dem Ungerechten, und dann gehen wir ihnen nach um zu sehen wohin die Begierde jeden von beiden führen wird. Dann würden wir gewiß den Gerechten auf frischer Tat ertappen, daß er ganz nach demselben strebt wie der Ungerechte des Mehr haben wollens wegen, nach welchem jedes Wesen pflegt als nach einem Gute zu trachten, und nur durch das Gesetz und mit Gewalt abgelenkt wird zur Hochhaltung des Gleichen. Die Macht aber die ich meine, kann am liebsten eine solche sein, wenn ihnen dieselbe Kraft zu Teil würde, die einst Gyges der Ahnherr des Lydiers soll gehabt haben. Dieser nämlich soll ein Hirt gewesen sein, der bei dem damaligen Beherrscher von Lydien diente. Als nun einst großes Ungewitter gewesen und Erdbeben, sei die Erde gespalten und eine Kluft entstanden in der Gegend wo er hütete. Wie er nun dies mit Verwunderung gesehen und hineingestiegen sei, habe er dort vieles andere was sie wunderbares erzählen und auch ein hohles ehernes mit Fenstern versehenes Pferd gefunden, durch die er hineingeschaut und darin einen Leichnam gesehen, dem Anschein nach größer als nach menschlicher Weise. Dieser nun habe nichts anderes an sich gehabt als nur an der Hand einen goldenen Ring, welchen jener ihm dann abgezogen habe und wieder herausgestiegen sei. Als nun die Hirten ihre gewöhnliche Zusammenkunft gehalten, worin sie dem König monatlich berichteten, was bei den Herden vorgegangen, sei auch jener erschienen den Ring am Finger. Wie er nun unter den andern gesessen, habe es sich getroffen, daß er den Kasten des Ringes nach der innern Seite der Hand zu umgedreht, und als dieses geschehen, sei er den dabei sitzenden unsichtbar gewesen, daß sie von ihm geredet als von einem (360) Abwesenden: darüber habe er sich gewundert, den Ring wieder angefaßt und den Kasten nach außen gedreht, und sobald er ihn so umgekehrt sei er sichtbar gewesen. Wie er das nun gemerkt, habe er den Ring versucht ob er wirklich diese Kraft habe, und es sei ihm immer so geschehen, daß sobald er den Kasten nach innen gedreht er unsichtbar geworden, nach außen aber sichtbar. Als er dieses inne geworden, habe er sogleich bewirkt unter die Boten aufgenommen zu werden, die der König um sich hielt, und so sei er gekommen, habe dessen Weib zum Ehebruch verleitet, dann mit ihr dem Könige nachgestellt, ihn getötet und die Herrschaft an sich gerissen. Wenn es nun zwei solche Ringe gäbe, und den einen der Gerechte anlegte den andern aber der Ungerechte: so würde doch wohl keiner, wie man ja denken müsse, so stahlhart sein, daß er bei der Gerechtigkeit bliebe und sich darauf setzte sich fremden Gutes zu enthalten und es nicht anzurühren, da es ihm frei stände, teils vom Markt ohne alle Besorgnis zu nehmen was er nur wollte, teils in die Häuser zu gehen und beizuwohnen wem er wollte, und zu töten oder aus Banden zu befreien wen er wollte, und so auch alles andere zu tun recht wie ein Gott unter den Menschen. Wenn er nun so handelte, so täte er nichts von dem andern verschiedenes, sondern beide gingen denselben Weg. Und dies müsse doch jedermann gestehen sei ein starker Beweis dafür, daß niemand mit gutem Willen gerecht ist, sondern nur aus Not, weil es eben für keinen an sich gut ist. Denn wo jeder nur glaube, daß er werde unrecht tun können, da tue er es auch. Denn jedermann glaubt, daß ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit, und glaubt auch recht, wie der sagt, der sich dieser Rede annimmt. Denn wenn einer dem eine solche Macht zufiele gar kein Unrecht begehen wollte noch fremdes Gut berühren: so würde er denen die es merkten als der allerelendeste vorkommen und als der aller unverständigste; wiewohl sie sich einander betrügen und ihn einer vor dem andern loben würden aus Furcht vor dem Unrecht leiden.

So ist nun dieses. Das Urteil aber über die Lebensweise der beiden, von denen wir reden, werden wir im Stande sein richtig zu fällen, wenn wir den Gerechtesten und den Ungerechtesten recht gegeneinanderstellen; wenn aber nicht, dann nicht. Wie macht sich nun diese Gegeneinanderstellung? So; wir wollen nicht das geringste abnehmen, weder dem Ungerechten von der Ungerechtigkeit noch dem Gerechten von der Gerechtigkeit, sondern sie jeden in seinem Bestreben vollendet setzen. Zuerst also, der Ungerechte soll es machen wie die recht tüchtigen Meister. Wie der rechte Schiffsmeister und Arzt wohl zu unterscheiden weiß was unmöglich ist für seine Kunst und was möglich, dieses also unternimmt und jenes läßt; und, wenn er auch ja einmal etwas versieht, doch im Stande ist es wieder (361) gut zu machen: so muß auch der Ungerechte, weil er seine Taten verständig unternimmt, mit seinen Ungerechtigkeiten verborgen bleiben, wenn er uns recht tüchtig ungerecht sein soll; wer sich aber fangen läßt, den muß man nur für einen schlechten halten. Denn die höchste Ungerechtigkeit ist, daß man gerecht scheine ohne es zu sein. Dem vollkommen Ungerechten müssen wir also auch die vollkommenste Ungerechtigkeit zugestehn, und ihm nichts davon abziehn, sondern ihm zugeben, daß er sich nach den ungerechtesten Taten den größten Ruf der Gerechtigkeit erworben habe, und wenn er auch einmal etwas versehen hat, daß er im Stande sei es wieder gut zu machen, indem er geschickt ist überzeugend zu reden wenn irgend von seinen Verbrechen etwas verlauten will, und wozu es der Gewalt bedarf, das mit Gewalt durchzusetzen durch Stärke und Tapferkeit, und weil er sich hat Freunde und Vermögen zu verschaffen gewußt. Nachdem wir nun diesen so gesetzt, so laßt uns den Gerechten neben ihn stellen in unserer Rede, den schlichten und biedern Mann nach Aischylos der nicht gut scheinen will sondern sein. Das Scheinen muß man ihm also nehmen. Denn wenn er dafür gilt gerecht zu sein: so werden ihm Ehren und Gaben zufallen, weil er als ein solcher erscheint. Also wird es ungewiß sein, ob er des Gerechten wegen oder der Gaben und Ehren wegen ein solcher ist. Er werde also von allem entblößt außer der Gerechtigkeit, und in einen ganz entgegengesetzten Zustand versetzt als der vorige. Ohne irgend Unrecht zu tun habe er nämlich den größten Schein der Ungerechtigkeit, damit er uns ganz bewährt sei in der Gerechtigkeit, indem er auch durch die üble Nachrede und alles was daraus entsteht nicht bewegt wird, sondern unverändert bleibe er uns auch bis zum Tode, indem er sein Lebenlang für ungerecht gehalten wird und doch gerecht ist, damit beide an das Äußerste der eine der Gerechtigkeit der andere der Ungerechtigkeit gelangt, beurteilt werden können, welcher von ihnen der glückseligere ist. – Weh! sprach ich lieber Glaukon, wie gründlich säuberst du uns wie Statuen zur Ausstellung jeden der beiden Männer. – So sehr ich nur immer kann, sprach er. Da sie nun so beschaffen sind, wird es, denke ich, nichts schweres mehr sein nachzuweisen, was für ein Leben jeden von ihnen erwartet. Das muß also geschehen; und wenn es zu derb herauskommt, o Sokrates, so bedenke nur, daß ich es nicht sage, sondern die, welche die Ungerechtigkeit vor der Gerechtigkeit loben. Sie sagen aber so, daß der so gesinnte Gerechte wird gefesselt, gegeißelt, gefoltert, geblendet werden an beiden Augen, und zuletzt, nachdem er alles mögliche Übel erduldet, wird er noch aufgeknüpft werden, und (362) dann einsehen daß man nicht muß gerecht sein sondern scheinen wollen. Des Aischylos Wort aber wäre weit richtiger von dem Ungerechten gesagt worden. Denn der Ungerechte, werden sie sagen, da er ja einer Sache nachstrebt, in der Wahrheit ist, und nicht auf den Schein hinlebt, will in der Tat ungerecht nicht scheinen sondern sein, die tiefe Furche nutzend im Gemüt woraus Ihm edle Frucht, Entschluß und Rat emporgedeiht, zuerst nämlich, daß er in seiner Stadt Gewalt ausübt, weil er für gerecht gilt, dann heiratet woher er will, und verheiratet an wen er will, sich verbinden und Gemeinschaft haben kann mit wem er Lust hat, und überdies noch in allen Dingen gefördert wird, indem er Gewinn davon zieht, daß er das Unrechttun nicht scheut. Geht er also irgend zum Kampf, sei es für sich oder in gemeiner Sache, so wird er seine Feinde besiegen und den Vorteil über sie davon tragen; und weil er überall den Vorteil hat, wird er reich sein und seinen Freunden wohltun, seinen Feinden aber schaden, und den Göttern hinreichende Opfer und Gaben prachtvoll darbringen und weihen, ja weit herrlicher als der Gerechte den Göttern dienen und auch den Menschen, welchen er will, so daß ihm auch zukommt weit gottgefälliger zu sein nach Billigkeit als der Gerechte. So sagen sie, daß sowohl von Seiten der Götter als der Menschen dem Ungerechten ein weit besseres Leben bereitet sei als dem Gerechten. –

Nachdem Glaukon dieses gesagt, hatte ich im Sinne etwas darauf zu erwidern; sein Bruder Adeimantos aber nahm das Wort und sagte, Du glaubst doch nicht, o Sokrates, daß befriedigend geredet worden ist über den Satz? – Wie denn? fragte ich. – Gerade das, sprach er, ist nicht gesagt worden, was vor allen Dingen mußte gesagt werden. – Also, sprach ich, nach dem Sprichwort, dem Manne doch helfe sein Bruder. Auch du daher, wenn dieser irgend nachbleibt, hilf ihm aus. Wiewohl auch was dieser gesagt schon hinreicht mich zu besiegen und mir unmöglich zu machen, daß ich der Gerechtigkeit helfe. – Darauf sagte er, das ist nun gar nichts gesagt; aber höre auch noch dieses. Wir müssen nämlich auch die entgegengesetzten Reden noch durchgehn, welche die Gerechtigkeit loben und die Ungerechtigkeit tadeln, damit das noch deutlicher werde, was mir Glaukon zu wollen scheint. Denn Väter sprechen zu Söhnen und ermahnen sie, und so auch alle die irgend für Andere zu sorgen haben, daß man gerecht sein müsse, nicht indem sie die Gerechtigkeit selbst loben, sondern den daraus entstehenden guten Ruf, damit dem der gerecht (363) zu sein scheint, aus diesem Scheine obrigkeitliche Macht zuwachse und häusliche Verbindungen, und was sonst Glaukon eben vorerzählt hat, daß es dem Gerechten durch seinen guten Ruf werde. Und noch weiter reden diese immer nur von dem, was mit der Meinung Anderer zusammenhängt. Denn sie werfen uns den Beifall der Götter mit hinein, und haben unzähliges Gute vorzutragen was die Götter den Frommen geben sollen, wie der ehrliche Hesiodos und Homeros sagen, jener daß die Götter den Gerechten die Eichen bereiten, oben von Eicheln erfüllt in der Mitte von Bienen, und zu der Schur gehn Schafe, sagt er, mit wolligem Vließe belastet, und viel anderes Gutes was damit zusammenhängt; Ähnliches auch der andere. Wie des Königes selbst, sagt er, der gut und die Götter verehrend, auch die Gerechtigkeit schätzt. Ihm trägt die dunkele Erde Weizen und Gerste in Menge, und voll sind die Bäume des Obstes. Häufig gebärt auch das Vieh und das Meer gibt reichliche Fische. Musaios aber und sein Sohn verheißen den Gerechten noch herrlichere Dinge von den Göttern. Sie führen sie nämlich in ihrer Rede in die Unterwelt, lassen sie dort niedersitzen und bereiten ein Gastmahl der Frommen, wo sie sie nun die ganze Zeit bekränzt und vollauf trinkend zubringen lassen, meinend der schönste Lohn für die Tugend sei ewiger Trunk. Andere aber ziehen den Lohn von den Göttern noch mehr in die Länge, indem sie sagen daß Kindeskinder und ein ganzes folgendes Geschlecht nachbleibe von dem Gerechten und Treuen. Hierüber nun und über anderes dergleichen preisen sie die Gerechtigkeit; die Gottlosen aber und Ungerechten verscharren sie irgendwo in den Kot in der Unterwelt, und zwingen sie Wasser in Sieben zu tragen, ja auch noch lebend bringen sie sie in üblen Ruf und dieselben Qualen, welche Glaukon von den für ungerecht gehaltenen Gerechten anführte, eben diese erzählen sie von den Ungerechten, anderes aber wissen sie nicht. Dies ist das Lob und der Tadel von beiden Seiten. Außerdem aber, Sokrates, erwäge noch eine andere Art von Reden über die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, welche in gemeiner Sprache und auch von den Dichtern vorgebracht werden. Alle nämlich singen aus einem Munde, wie (364) schön zwar Besonnenheit und Gerechtigkeit sei, jedoch schwer und mühselig, Ungebundenheit aber und Ungerechtigkeit süß zwar und leicht zu haben aber, wiewohl freilich nur der Meinung und dem Gesetze nach, schändlich. Nützlicher als das Gerechte sei das Ungerechte gewöhnlich, sagen sie; und Böse, die reich oder sonst vielvermögend sind, glücklich zu preisen und zu ehren wird ihnen gar leicht sowohl öffentlich als sonst, wie sie denn auch solche gern geringschätzen und übersehen, die etwa unangesehn und arm sind, wiewohl gestehend, daß sie besser sind als die andern. Am wunderbarsten aber sind von allen diesen die Reden von den Göttern und der Tugend, daß die Götter nämlich auch viele Guten Unglück und ein schlechtes Leben zugeteilt haben, den entgegengesetzten aber ein entgegengesetztes Los. Und Gaukler und Wahrsager kommen vor die Türen der Reichen und überreden sie, ihnen sei von den Göttern die Kraft verliehen durch Opfer und Besprechungen, wenn sie selbst oder ihre Vorältern etwa eine Verschuldung auf sich hätten, sie zu heilen mitten unter Freuden und Festen; und wenn einer einem Feinde etwas antun wollte, könnten sie für geringe Kosten dem Gerechten so gut als dem Ungerechten Schaden zufügen, indem sie durch zauberische Anlockungen und Verschlingungen die Götter bereden könnten ihnen zu dienen. Und für alle diese Reden rufen sie die Dichter zu Zeugen, wie sie bald die Schlechtigkeit leicht machen, weil du das Böse vermagst auch scharweis dir zu gewinnen ohne Bemühen, denn kurz ist der Weg und nahe dir wohnt es. Vor die Trefflichkeit setzten den Schweiß die unsterblichen Götter und einen langen und steilen Weg hinauf. Andere aber berufen sich darüber, daß die Götter sich von Menschen ablenken lassen, auf den Homeros, weil auch er gesagt hat, denn lenksam sind selber die Götter. Diese vermag durch Räuchern und demutsvolle Gelübde, durch Weinguß und Gedüft der Sterbliche umzulenken, Flehend, nachdem sich einer versündiget oder gefehlet. Und scharenweise haben sie vom Musaios und Orpheus, den Sprößlingen der Selene und der Musen, wie sie sagen, Bücher bei der Hand nach denen sie ihre Gebräuche verrichten, und nicht nur einzelne Menschen sondern ganze Städte überreden, daß es Lösungen und Reinigungen von Verbrechen durch Opfer und ergötzliche Spiele gebe, und zwar für Lebende nicht nur, sondern auch noch für Verstorbene, welche die Sühnungen heißen, und welche uns von den dortigen (365) Übeln befreien; wer aber nicht opfere den erwarte schreckliches. Alles dieses, o lieber Sokrates, sagte er, was in dieser Art so vielfältig gesagt wird von der Tugend und dem Laster, wie Götter und Menschen beides belohnen, was meinst du wohl daß es in den Seelen der zuhörenden Jünglinge wirkt, die nämlich tüchtiger Art sind und fähig über allem gesagten gleichsam hinschwebend daraus zusammenzufolgern, wie wohl einer sein und wie wandeln müsse um sein Leben aufs beste durchzuwandeln? Nämlich nach aller Wahrscheinlichkeit wird er zu sich jenes Pindarische sagen. Ob ich durch das Recht die höhere Feste oder durch schlängelnden Betrug ersteigend und so mich beschützend lebe? Denn was mir verheißen wird, wenn ich gerecht bin, falls ich es zugleich nicht scheine, das, sagen sie, sei gar nichts nutz, sondern offenbare Pein und Verlust, bin ich aber ungerecht und weiß mir nur den Schein der Gerechtigkeit zu verschaffen, so wird mir ein göttliches Leben verheißen. Wenn also das Scheinen, wie auch die Weisen bekunden, die Wahrheit selbst bewältiget, und das ist wovon die Glückseligkeit abhängt: so muß ich mich denn ganz zu diesem wenden. Als Vorhof also und Außenseite muß ich rings um mich her einen Abriß der Tugend beschreiben, aber des allerweisesten Archilochos gewinnkundigen und verschlagenen Fuchs muß ich hinterher ziehen. Aber wird einer sagen, es ist nicht leicht immer verborgen bleiben, wenn man böse ist. Aber auch nichts anderes ist leicht, wollen wir antworten, was groß ist; also demohnerachtet, wenn wir glückselig sein wollen, müssen wir dieses Weges gehn, wie die Spuren der Reden uns führen. Denn um verborgen zu bleiben wollen wir Verschwörungen und Parteien stiften; es gibt auch Lehrer der Überredung, welche Geschick in den Volksversammlungen und vor den Gerichten beibringen, und dadurch wollen wir teils in der Güte teils mit Gewalt bewirken, wenn wir auch übervorteilen keine Strafe geben zu dürfen. Aber die Götter kann man doch weder hintergehen noch bezwingen. Also wenn es etwa keine gibt oder sie sich um menschliche Dinge nicht kümmern: so brauchen auch wir uns nicht darum zu bekümmern wie wir ihnen verborgen bleiben. Gibt es aber Götter und führen sie Aufsicht: so kennen wir sie doch nirgend anders her noch haben von ihnen gehört als durch die Sage und durch die ihre Verwandtschaften beschreibenden Dichter. Diese selbigen aber sagen auch, daß sie empfänglich sind durch Räuchern und demutsvolle Gelübde und Weihgeschenke überredet zu werden und umgelenkt. Denn nun müssen wir entweder beides oder keines von beiden glauben. Ist ihnen zu glauben: so laß uns Unrecht tun und dann von unsern Ungerechtigkeiten opfern. Denn gerecht seiend werden wir immer (366) nur ohne Strafe sein von den Göttern, aber den Gewinn aus dem Unrecht stoßen wir von uns; ungerecht aber ziehen wir den Gewinn, und werden doch durch Flehen, auch wenn wir übertreten und gesündiget haben, sie überreden und ungestraft davon kommen. Aber in der Unterwelt werden wir für das hier begangene Unrecht entweder selbst Strafe leiden müssen oder die Kinder unserer Kinder. Allein, o Bester, wird einer sagen der seine Rechnung macht, die Sühnungen vermögen auch wieder viel und die lösenden Götter, wie ja die größten Städte behaupten, und die Göttersöhne, welche Dichter und Propheten der Götter gewesen, welche uns kund machen daß es sich so verhalte. Nach welcher Voraussetzung also sollten wir wohl noch die Gerechtigkeit der größten Ungerechtigkeit vorziehn? durch welche wir ja, wenn wir sie nur mit einer unächten Sittsamkeit zu verbinden wissen bei Göttern und Menschen alles nach unserm Sinne ausrichten werden im Leben und im Tode, wie ja der meisten und zuverlässigsten Rede lautet. Nach allem jetzt vorgetragenen also, wie wäre es wohl möglich, o Sokrates, daß einer die Gerechtigkeit sollte ehren wollen, der nur irgend etwas vermag durch Geistesgaben oder Vermögen oder Leibesstärke oder Abkunft, und nicht vielmehr lachen, wenn er sie rühmen hört! Daher gewiß, wenn einer nun nachweisen kann, daß was wir gesagt haben falsch ist, und er vollkommen einsieht, die Gerechtigkeit sei das Beste, der hat viel Nachsicht mit den Ungerechten und zürnt ihnen nicht, sondern weiß, daß wenn nicht etwa einer, weil er vermöge einer göttlichen Natur das Unrechttun verschmäht, oder auch weil er zu vollkommner Wissenschaft gelangt ist, sich dessen enthält, sonst von den übrigen keiner mit seinem guten Willen gerecht ist, sondern nur aus Unmännlichkeit oder Altershalben oder aus irgend einer andern Schwäche das Unrechttun tadelt, weil er unvermögend dazu ist. Wie so, das ist offenbar. Denn der erste von diesen der zu Kräften kommt, ist auch der erste der Unrecht tut, soviel er nur irgend vermag. Und an diesem allen ist nichts anderes schuld als eben jenes, wovon diesem sowohl als mir die ganze Rede an dich ausgegangen ist, o Sokrates, daß von euch allen, du wunderbarer, die ihr Lobredner der Gerechtigkeit zu sein vorgebt, von den uranfänglichen Heroen an, von denen nur irgend noch die Rede geht, bis auf die heutigen Menschen, noch nie einer die Ungerechtigkeit getadelt oder die Gerechtigkeit anders gelobt hat, als immer nur um den Ruhm, die Ehren, die Gaben, die ihnen daraus entspringen; jede von beiden aber an sich nach der eigentümlichen Kraft mit der sie der Seele einwohnt, auch wenn sie Göttern und Menschen entgeht, hat noch nie einer weder in Dichtung noch in gemeiner Rede hinreichend dargestellt, die eine als das größte Übel, welches die Seele nur in sich selbst haben kann, und die Gerechtigkeit als das größte Gut. Denn wenn ihr insgesamt von Anfang an so gesprochen (367) und uns von Jugend auf so überredet hättet: so dürften wir nicht einer den andern hüten kein Unrecht zu tun; sondern jeder würde sein eigner bester Hüter sein, aus Furcht, wenn er Unrecht handelte, mit dem ärgsten Übel behaftet zu sein. Dieses nun, o Sokrates, und auch wohl noch mehr als dieses konnten leicht Thrasymachos und auch wohl andere für die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sagen, wobei sie das Wesen beider auf eine gemeine Art verdrehen, wie mich wenigstens dünkt. Ich aber, denn ich gedenke dir nichts zu verbergen, habe nur aus Verlangen von dir das Gegenteil zu hören, mit allem Eifer der mir nur möglich gewesen geredet. Zeige uns also in deiner Rede, nicht nur daß Gerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit; sondern wozu jede von beiden den der sie hat machend an und für sich selbst die eine ein Übel ist und die andere ein Gut. Alles aber was sich auf den Ruf bezieht lasse nur weg, worauf auch Glaukon schon gedrungen hat; denn wenn du nicht von beiden Seiten den richtigen Schein hinwegnimmst und den falschen an die Stelle setzest: so werden wir sagen du lobst nicht die Gerechtigkeit sondern den Schein davon, und tadelst nicht das ungerecht sein sondern das scheinen, und wollest nur ermahnen unbemerkt ungerecht zu sein, seist also mit dem Thrasymachos einig, daß das gerechte ein fremdes Gut ist, nämlich das dem Stärkeren zuträgliche, das Ungerechte aber diesem selbst zuträglich und vorteilhaft ist, und nur dem Schwächeren unzuträglich. Da du nun aber behauptet hast, die Gerechtigkeit gehöre unter die größten Güter, welche sowohl ihrer Folgen wegen wert sind besessen zu werden als auch um ihrer selbst willen, wie das Sehen, Hören, Bewußtsein und Gesundsein, und was für andere Güter sonst noch durch ihre eigne Natur wirksam sind und nicht durch die Meinung: so lobe uns also eben dieses an der Gerechtigkeit, was sie an und für sich dem der sie hat hilft und was die Ungerechtigkeit schadet; Lohn aber und Ruf überlaß Andern zu loben. Denn von Andern konnte ich es noch eher aushalten, wenn sie die Gerechtigkeit so loben und die Ungerechtigkeit tadeln, daß sie immer nur den Ruf derselben und den Lohn verherrlichen und verunglimpfen; von dir aber nicht, wenn du es nicht ausdrücklich verlangst, weil du dein ganzes Leben lang an nichts anderes gedacht hast als eben hieran. Zeige uns also in deiner Rede nicht nur, daß Gerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit, sondern wozu jede den der sie hat machend, an und für sich, mag sie nun Göttern und Menschen verborgen bleiben oder nicht, die eine gut ist und die andere schlecht. –

Nachdem ich nun dieses gehört, wie ich denn schon immer auf des Glaukon und Adeimantos Natur sehr viel gehalten, war ich auch damals besonders sehr erfreut, und sagte, Nicht (368) unrecht hat auf Euch ihr Söhne jenes Mannes der Liebhaber des Glaukon den Anfang seiner Elegien gedichtet, nachdem ihr euch in dem Megarischen Gefecht so ausgezeichnet, wenn er sagt, Göttlich Geschlecht ihr Söhne des herrlichen Mannes Ariston. Dies ihr lieben scheint mir ganz richtig, denn gar etwas göttliches muß euch begegnet sein, wenn ihr nicht überzeugt seid daß die Ungerechtigkeit besser ist als die Gerechtigkeit, da ihr doch so habt dafür reden gekonnt. Und in Wahrheit ich glaube nicht daß ihr davon überzeugt seid; ich schließe es aber aus eurer ganzen übrigen Weise; denn freilich nach den Reden allein würde ich es euch nicht glauben. Je mehr ich es euch aber glaube, um desto mehr bin ich ratlos was ich machen soll. Denn ich weiß weder wie ich helfen soll, ich scheine es mir nämlich nicht zu können, und der Beweis davon ist, daß was ich zum Thrasymachos sagte, und wodurch ich glaubte zu beweisen, daß die Gerechtigkeit besser sei als die Ungerechtigkeit, dieses ihr mir nicht habt gelten lassen; noch auch weiß ich wieder wie ich nicht helfen soll. Denn ich fürchte es möchte doch frevelhaft sein, zugegen sein wo die Gerechtigkeit geschmäht wird, und sich von ihr lossagen ohne ihr zu helfen, so lange man noch Atem hat und einen Laut von sich geben kann. Das beste wird also sein, daß ich ihr so gut ich eben kann Beistand leiste. – Glaukon nun und die Andern baten mich auf alle Weise ihr zu helfen und die Rede nicht loszulassen, sondern auszuforschen was jedes von beiden sei, und wie es sich mit ihrem Nutzen nach der Wahrheit verhalte. – Ich sagte also, wie ich dachte, daß die Untersuchung die wir unternehmen nichts geringes wäre, sondern ein sehr scharfsichtiger dazu gehöre wie mir scheint. Da wir nun dazu nicht tüchtig genug sind, dünkt es mich gut, sprach ich, die Untersuchung darüber so anzustellen, wie wenn uns jemand befohlen hätte sehr kleine Buchstaben von weitem zu lesen, da wir nicht eben sehr scharf sehen, und dann einer gewahr würde, daß dieselben Buchstaben auch anderwärts größer und an größerem zu schauen wären, es uns offenbar, denke ich, ein großer Fund sein würde, nachdem wir diese zuerst gelesen, dann erst die kleineren zu betrachten, ob sie wirklich dieselben sind. – Allerdings wohl, sagte Adeimantos. Aber was siehst du ähnliches, o Sokrates, bei der Untersuchung über das Gerechte? – Das will ich dir sagen, sprach ich. Gerechtigkeit sagen wir doch findet sich an einem einzelnen Manne, findet sich aber auch an einer ganzen Stadt. – Freilich, sagte er. – Und größer ist doch die Stadt als der einzelne Mann? – Größer, sagte er. – Vielleicht also ist wohl mehr Gerechtigkeit in dem größeren und leichter zu erkennen. Wenn ihr also wollt, so untersuchen wir zuerst an den Staaten was sie wohl ist, und dann wollen wir sie so auch an den Einzelnen betrachten, indem wir an der Gestalt des Kleineren die Ähnlichkeit mit dem Größeren aufsuchen. – (369) Das dünkt mich sehr richtig gesagt, sprach er. – Und nicht wahr, sagte ich, wenn wir in Gedanken eine Stadt entstehen sehen, so würden wir dann auch ihre Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit mit entstehen sehen? – Vielleicht wohl, sagte er. – Und wenn nun dies geschehen ist, dürfen wir wohl erwarten das bequemer zu sehen was wir suchen? – Bei weitem. – Dünkt euch nun, daß wir versuchen müssen dies durchzuführen? denn ich glaube freilich es wird kein kleines Geschäft sein. Erwägt also. – Es ist schon erwogen, sprach Adeimantos. Tue nur ja nicht anders.

Es entsteht also, sprach ich, eine Stadt, wie ich glaube, weil jeder einzelne von uns sich selbst nicht genügt, sondern gar vieles bedarf. Oder glaubst du, daß von einem andern Anfang aus eine Stadt angesiedelt wird? – Von keinem andern, sagte er. – Auf diese Weise also wenn einer den andern den zu diesen und den wieder zu jenem Bedürfnis hinzunimmt, und sie so vieler bedürftig auch viele Genossen und Gehülfen an Einen Wohnplatz versammeln, ein solches Zusammenwohnen nennen wir eine Stadt. Nicht wahr? – Allerdings. – Einer aber teilt dem andern mit, wenn er ihm etwas mitteilt oder empfängt in der Meinung daß dies für ihn selbst besser sei. – Freilich. – Wohlan, sprach ich, laß uns also in Gedanken eine Stadt von Anfang an gründen. Es gründet sie aber, wie sich zeigte unser Bedürfnis. – Was wohl sonst! – Aber das erste und größte aller Bedürfnisse ist die Herbeischaffung der Nahrung des Bestehens und Lebens wegen. – Auf alle Weise. – Das zweite aber die Wohnung; das dritte Bekleidung und dergleichen. – So ist es. – Wohlan denn, sprach ich, wie wird eine Stadt uns genügen für alle diese Erfordernisse? Nicht wahr der Ackersmann ist Einer, Einer der Baumeister, ein anderer der Weber, oder wollen wir gleich auch den Schuhmacher hinzufügen oder sonst einen von denen die für den Leib arbeiten? – Freilich wohl. – So bestände also die notdürftigste Stadt aus vier oder fünf Männern. – So scheint es. – Wie nun? soll jeder von diesen sein eigenes Werk Allen gemeinsam darbieten; wie des Ackersmann als Einer Nahrung für Viere herbeischaffen, und vierfache Zeit und Mühe wenden auf die Hervorbringung des Getreides, und es dann den Andern mitteilen? oder um diese sich nichts kümmernd nur für sich allein den vierten Teil dieses Getreides ziehen in dem vierten Teil der Zeit, von den übrigen dreien aber einen auf den Bau des Hauses verwenden, einen andern um sich Kleidung noch einen um sich Schuhe zu machen; (370) und nicht durch Verkehr mit Andern sich Weitläuftigkeit machen, sondern allein für sich selbst das seinige alles verrichten? – Und Adeimantos sagte, Vielleicht, o Sokrates, ist wohl das erste leichter als das andere. – Das ist auch, sprach ich, beim Zeus nichts wunderbares; denn ich bemerke schon selbst indem du es sagst, daß zuerst jeder einzelne dem andern nicht gar ähnlich geartet ist; sondern von Natur verschieden auch jeder zu einem andern Geschäft geeignet. Oder meinst du nicht? – Ich auch. – Und wie? wird einer wohl etwas besser verrichten wenn einer vielerlei Künste ausübt, oder wenn jeder nur eine? – Wenn jeder nur eine, sagte er. – Aber ich denke auch das ist deutlich, daß wenn einer die rechte Zeit für eine Sache vorüber gehn läßt, sie ihm zu Grunde geht. – Deutlich freilich. – Denn ich denke was zu verrichten ist pflegt nicht auf die Muße dessen der es tun soll zu warten, vielmehr muß dieser dem was getan werden soll ordentlich nachgehn und nicht nur beiläufig. – Notwendig. – Hiernach also wird alles reichlicher zu Stande kommen, und schöner und leichter wenn Einer Eines seiner Natur gemäß und zur rechten Zeit mit allem andern unbefaßt verrichten. – Auf alle Weise freilich. – Wir bedürfen also, o Adeimantos, viel mehr Bürger als vier zu den Erfordernissen die wir anführten. Denn der Ackersmann, wie es scheint, wird sich nicht selbst den Pflug machen können, wenn er recht gut sein soll, noch auch die Hacke und die andern zum Ackerbau gehörigen Werkzeuge. Eben so wenig der Baumeister, und auch dieser bedarf vielerlei. Desselbengleichen der Weber und der Schuhmacher. Oder nicht? – Richtig. – Wenn nun also auch Holzarbeiter und Schmiede und viele dergleichen Handwerker, Genossen unseres Städtchens werden: so werden sie es schon bedeutend machen. – Allerdings. – Aber es wird immer noch nicht sehr groß sein, wenn wir auch noch Rinderhirten, Schäfer und die andern die mit dem Vieh zu tun haben hinzufügen, damit doch die Ackersleute zum Pflügen Ochsen haben und die Baumeister zum Anfahren sich mit den Ackersleuten zusammen des Zugviehs bedienen können, und die Weber und Schuhmacher Häute und Wolle haben. – Auch klein, sprach er, ist die Stadt nicht mehr, wenn sie dies alles hat. – Allein, sprach ich, die Stadt an einem solchen Orte anzulegen wo sie gar keiner Zufuhre von auswärts bedürfte, möchte fast unmöglich sein. – Unmöglich freilich. – Also wird sie auch noch Anderer bedürfen, die ihr aus anderen Städten zuführen was sie bedarf. – Das wird sie. – Doch aber wenn der Diener leer hinkommt nichts mitbringend was jene bedürfen, von denen geholt werden soll was sie selbst brauchen; so wird er auch leer wieder (371) abziehn. Nicht wahr? – Das dünkt mich. – Also müssen sie zu Hause nicht nur für sich selbst genug schaffen, sondern was und soviel als sie jenen bringen müssen, welche ihnen mitteilen sollen, was sie bedürfen. – Das müssen sie. – Mehrere Ackersleute also und andere Handwerker brauchen wir in unserer Stadt. – Mehrere freilich. – Und auch wohl die andern Diener welche alles einführen und ausführen. Dies sind aber die Handelsleute. Nicht wahr? – Ja. – Also auch Handelsleute brauchen wir? – Freilich. – Und wenn der Handel zur See geführt wird, werden wir noch gar mancher Andern bedürfen, die dessen kundig sind was zum Seewesen gehört. – Gar mancher gewiß. – Wie aber nun in der Stadt selbst? wie sollen sie einander mitteilen was jeder gefertiget hat, weshalb sie doch eigentlich die Gemeinschaft eingegangen sind und die Stadt gegründet haben? – Offenbar, antwortete er, durch Kauf und Verkauf. – Hieraus wird uns also ein Markt und Münze als bestimmtes Zeichen zum Behuf des Tausches entstehen. – Allerdings. – Wenn nun der Landmann der etwas von seinen Erzeugnissen zu Markte bringt, oder auch ein anderer Arbeiter, nicht zur selbigen Zeit da ist, wie die welche seine Ware einzutauschen bedürfen: so wird er von seiner eigentlichen Arbeit feiernd auf dem Markt sitzen. – Ganz und gar nicht, sagte er, sondern es finden sich schon welche, die dies absehend sich selbst zu diesem Dienste bestimmen, welches in wohleingerichteten Städten fast immer die körperlich schwächsten sind, die nicht taugen irgend ein anderes Geschäft zu verrichten. Diese müssen das auf dem Markt abwarten, und das eine für Geld eintauschen von denen die etwas verkaufen wollen, den Andern aber wieder gegen Geld vertauschen, die etwas zu kaufen nötig haben. – Dieses Bedürfnis nun, sagte ich, erzeugt uns die Krämer in der Stadt. Oder nennen wir die nicht Krämer, die Kaufs und Verkaufs wegen dienstleistend auf dem Markt ausstehn, die aber in die Städte umherreisen Handelsleute? – Allerdings. – Es gibt aber auch noch, wie ich glaube, andere dienstleistende, die von Seiten des Verstandes wohl nicht sehr in die Gemeinschaft gezogen zu werden verdienen, aber hinreichende körperliche Stärke haben zu allerlei schweren Arbeiten, welche denn den Gebrauch ihrer Kräfte verkaufen und den Preis derselben Lohn nennen, selbst aber wie ich denke Taglöhner genannt werden. Nicht wahr? – Allerdings. – Ein ergänzender Teil der Stadt sind also wie sich zeigt auch die Tagelöhner. – Das scheint wohl. – Ist uns nun wohl, o Adeimantos, die Stadt schon so weit herangewachsen, daß sie vollständig ist? – Vielleicht. – Wo ist nun aber wohl in ihr die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit? und mit welchem von denen, die wir betrachtet haben zugleich entstanden? – Das sehe ich eben nicht, sagte er, o Sokrates, wenn nicht etwa in irgend einem gegenseitigen Verkehr eben dieser (372) unter einander. – Vielleicht, sprach ich, hast du daran ganz recht, wir müssen wenigstens zusehen und es nicht aufgeben. Zuerst nun laß uns erwägen auf welche Weise wohl die so ausgerüsteten leben werden. Nicht wahr sie werden Getreide und Wein ziehen, Kleider und Schuhe machen und Häuser bauen, dabei im Sommer zwar oft unbeschuht und ziemlich entblößt arbeiten, im Winter aber hinlänglich bekleidet und beschuht. Und nähren werden sie sich, indem sie aus der Gerste Graupe bereiten und aus dem Weizen Mehl, und dies kneten und backen, und so die schönsten Kuchen und Brote auf Rohr und reinen Baumblättern vorlegen und selbst mit ihren Kindern schmausen, auf Streu von Taxus und Myrten gelagert, des Weines dazu trinkend und bekränzt den Göttern lobsingend, und werden sehr vergnüglich einander beiwohnen, ohne über ihr Vermögen hinaus Kinder zu erzeugen aus Furcht vor Armut oder Krieg. – Hiebei unterbrach mich Glaukon und sagte, Also ohne Zukost scheint es läßt du die Männer bewirten? – Richtig erinnert! sprach ich. Ich vergaß, daß sie auch Zukost haben werden, Salz ja gewiß und Oliven und Käse; und Zwiebeln und Kohl und was vom Felde kann eingekocht werden, werden sie sich einkochen. Auch Nachtisch wollen wir ihnen aufsetzen von Feigen Erbsen und Bohnen, und Myrtenbeeren und Kastanien werden sie sich in der Asche rösten und mäßig dazu trinken. So werden sie ihr Leben friedlich und gesund hinbringen, und aller Wahrscheinlichkeit nach wohlbetagt sterben ihren Nachkommen ein eben solches Leben hinterlassend. – Darauf sagte er, Und wenn du eine Stadt von Schweinen angelegt hättest, o Sokrates, könntest du sie wohl anders als so abfuttern? – Aber was soll ich denn, o Glaukon? sprach ich. – Was Gebrauch ist, antwortete er. Daß, denke ich, die nicht ganz jämmerlich leben sollen, doch auf Polstern liegen werden und von Tischen speisen und Zukost und Nachtisch haben, wie man sie jetzt hat. – Wohl! sprach ich, ich verstehe. Es scheint, wir wollen nicht nur sehen wie eine Stadt entsteht, sondern auch eine üppige Stadt. Vielleicht ist das auch gar nicht unrecht; denn auch, wenn wir eine solche betrachten, können wir wohl Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit erblicken, wie sie sich in den Staaten bilden. Die rechte Stadt nun scheint mir die zu sein, die wir eben beschrieben haben, und die gleichsam gesund ist. Wenn ihr aber wollt, daß wir auch eine aufgeschwemmte Stadt betrachten sollen: so ist nichts dagegen. Denn dieses wird wohl einigen, wie es scheint, (373) nicht Genüge leisten, auch nicht die Lebensart selbst; sondern es sollen Polster da sein und Tische und anderes Hausgerät, und Zukost und Salben und Räucherwerk und Freudenmädchen und Backwerk, dies alles aufs mannigfaltigste. Ja auch was wir vorher aufstellten gilt nun nicht mehr nämlich das notwendige auszubedingen, Häuser, Kleider und Schuhe; sondern man muß die Malerei in Bewegung setzen und die bunte Weberei, und Gold und Elfenbein und alles dergleichen muß angeschafft werden. Nicht wahr? – Ja, sagte er. – Also müssen wir die Stadt wiederum größer machen? denn jene gesunde ist nicht mehr hinreichend, sondern sie muß sich nun anfüllen mit einem Haufen Volks, das nicht mehr des notwendigen wegen in der Stadt ist, wie zum Beispiel alle Jäger und Schaukünstler, viele die es mit Gestalten und Farben zu tun haben, viele auch mit der Tonkunst, Dichter und deren Diener Rhapsoden, Schauspieler, Tänzer, Unternehmer und Handwerker zu allerlei Gerätschaften, unter andern auch für den weiblichen Putz. Ja auch mehrere Diener werden wir bedürfen. Oder meinst du nicht, daß wir auch werden Kinderwärter nötig haben und Wärterinnen, Kammermädchen und Putzmacherinnen, Bartscherer und dann wieder Bäcker und Köche? Auch Schweinehirten werden wir noch brauchen. Denn dies Tier hatten wir nicht in unserer ersten Stadt, denn es war uns zu nichts nutz; in dieser aber werden wir auch das nötig haben, und des andern zahmen Viehs werden wir auch sehr viel brauchen, was einer nur essen kann. Nicht wahr? – Wie sollten wir nicht? – Und auch Ärzte werden wir gewiß nun weit häufiger nötig haben bei dieser Lebensweise als bei der vorigen? – Bei weitem. – Und auch der Grund und Boden, welcher damals hinreichte die damaligen zu ernähren, wird nun zu klein sein und nicht mehr groß genug. Oder wie sollen wir sagen? – So, sprach er. – Also werden wir von der Nachbarn Land abschneiden müssen, wenn wir genug haben wollen zur Viehweide und zum Ackerbau? und sie auch wieder von unserm, wenn sie sich auch gehn lassen und die Grenzen des notwendigen überschreitend nach ungemeßnem Besitz streben. – Ganz unumgänglich, o Sokrates, sagte er. – Von nun an werden wir also Krieg zu führen haben, o Glaukon? oder wie wird es gehen? – Allerdings so, sagte er. – Und laß noch gar nicht die Rede davon sein, sprach ich, ob der Krieg Übles oder Gutes bewirkt, sondern nur soviel, daß wir den Ursprung des Krieges gefunden haben in demjenigen, woraus vorzüglich den Staaten sowohl insgemein als auch den Einzelnen darin viel Übles entsteht, wenn es vorhanden ist. – Allerdings. – Noch größer also, mein lieber, muß nun unsere Stadt werden, und zwar (374) nicht um eine Kleinigkeit, sondern um ein ganzes Heer, welches auszieht und für das gesamte Vermögen, und alles was wir eben erwähnten, mit den Angreifenden sich schlägt. – Wie doch? sprach er, können sie denn das nicht selbst? – Nein, sprach ich, wenn nämlich du und wir alle insgesamt vorher richtig behauptet haben, als wir zuerst unsere Stadt anlegten. Wir behaupteten nämlich, wenn du dich erinnerst, es sei unmöglich daß Einer viele Künste zugleich gut ausüben könne. – Du hast Recht, sagte er. – Wie also? sagte ich, scheint dir der kriegerische Kampf kein kunstmäßiger zu sein? – Gar sehr, sagte er. – Sollte man also wohl für die Schuhmacherei mehr Sorge tragen als für das Kriegswesen? – Keinesweges. – Aber den Schuhmacher hielten wir doch zurück, daß er nicht versuchen sollte zugleich Landmann zu sein oder Weber oder Baumeister, sondern nur Schuster, damit uns sein Werk gut geriete. Und so auch jedem von den Andern wiesen wir nur eines zu, wozu jeder sich von Natur am meisten schickte, und womit er nun, von allem andern feiernd und ohne daß er günstige Zeiten brauchte vorbeizulassen sich sein ganzes Leben beschäftigen sollte um es recht schön auszuführen. Was aber zum Kriege gehört, ist daran nicht vorzüglich viel gelegen, daß es schön ausgeführt werde? Oder ist es so leicht, daß auch erst einer von den Ackersleuten zugleich kann ein Kriegsmann sein, oder von den Schustern oder mit irgend einer andern Kunst beschäftigten, da doch auch im Brettspiel und Würfelspiel nicht leicht einer es zu etwas bringt, der sich nicht von Kindheit an damit beschäftigt, sondern es nur beiläufig getrieben hat? Und ein Schild zwar oder irgend ein anderes von den kriegerischen Werkzeugen und Waffen braucht einer wohl nur in die Hand zu nehmen, um dann schon selbigen Tages im Gefecht des schweren Fußvolkes oder sonst einem andern was im Kriege vorkommt, ein tüchtiger Streiter zu ein, das doch unter den andern Werkzeugen, keines einen sobald er es nur ergreift, zum Kämpfer oder Meister macht, sondern dem nichts nutz ist, der sich nicht von allem einzelnen hinreichende Erkenntnis erworben und hinreichende Mühe darauf gewendet hat? – Da wären ja auch, sprach er, die Werkzeuge gar viel wert! – Also, sprach ich, je wichtiger das Geschäft der Wehrmänner ist, um desto mehr erfordert es Feier von allem andern, und auch wiederum desto mehr Kunst und Sorgfalt. – Das glaube ich wohl, sagte er. – Nicht auch eine zu dem Geschäft besonders geeignete Natur? – Wie sollte es nicht. – Unsere Sache also würde sein, wenn wir es nur im Stande sind, auszusuchen, was für Naturen und um weswillen geeignet sind zur Bewachung der Stadt. – Freilich wohl! – Beim Zeus! sprach ich, da haben wir also keine kleine Sache angeregt. Dennoch müssen wir nicht verzagen, so lange wir (375) nur irgend noch Kräfte spüren. – Freilich nicht. – Glaubst du nun wohl, sprach ich, daß die Natur eines edlen Hundes weit unterschieden ist von der eines wohlgearteten Jünglinges? – Worin meinst du? – Nun scharf müssen sie doch wohl einer wie der andere sein im Wahrnehmen, und schnell um das Wahrgenommene zu ergreifen, und wiederum stark um im Notfall das ergriffene zu verfechten? – Das alles, sprach er, müssen sie sein. – Und doch auch tapfer? wenn er doch gut fechten soll! – Gewiß. – Wird aber wohl tapfer sein wollen was nicht eiferig ist, mag es nun ein Pferd sein, oder ein Hund, oder was sonst für ein anderes Tier? Oder hast du nicht bemerkt, wie ganz unbezwinglich und unüberwindlich der Eifer ist, mit welchem ausgerüstet jede Seele furchtlos ist bei allem und unbesiegbar? – Das habe ich wohl bemerkt. – Wie also dem Leibe nach der Wehrmann beschaffen sein muß, das ist offenbar. – Ja. – Und auch wie der Seele nach, nämlich eifrig. – Auch das. – Aber, sprach ich, o Glaukon, wie werden sie nun nicht heftig sein untereinander und gegen andere Bürger, wenn sie so beschaffen sind von Natur? – Beim Zeus, sagte er, das ist nicht leicht. – Aber sie müssen doch wohl gegen alle Befreundete sanft sein und nur den Feinden hart. Wo aber nicht, so werden sie nicht erst auf Andere warten dürfen, die sie aufreiben, sondern sie werden es schon eher selbst tun. – Richtig, sagte er. – Was sollen wir also machen? sprach ich. Wo sollen wir eine zugleich sanfte und hocheifrige Gemütsart auffinden? denn die sanftmütige Natur ist ja derjenigen entgegengesetzt, in welcher der Eifer vorherrscht. – Offenbar wohl. – Und doch kann, wem eines von diesen beiden fehlt, kein guter Wächter sein. Dies aber scheint unmöglich, und so wäre denn auch ein guter Wehrmann etwas unmögliches. – Das scheint beinahe, sagte er. – Wie ich nun ratlos war und mir das vorige alles zusammenhielt, sprach ich, Mit Recht sind wir in Verlegenheit, lieber! denn wir haben uns von dem Bilde, welches wir uns vorgehalten hatten, abgewendet. – Wie meinst du das? – Wir haben nicht gemerkt, daß es wirklich solche Naturen gibt, wie wir nicht glaubten, die dieses entgegengesetzte vereinigen. – Wo doch? – Auch unter andern Tieren könnte man sie wohl finden, am leichtesten aber wohl bei dem, welches wir dem Wehrmann verglichen. Denn du weißt wohl, daß das edler Hunde Art ist, von Natur gegen Hausgenossen und Bekannte so sanft zu sein als nur möglich, gegen Unbekannte aber ganz das Gegenteil. – Das weiß ich wohl. – Dies, sprach ich, ist also möglich; und es ist nichts widernatürliches, daß wir einen Wehrmann suchen, der so sei. – Es scheint wohl nicht. – Dünkt dich nun auch dies noch nötig für einen der sich zum Wächter schicken soll, daß er nächst dem eifrigen auch noch philosophisch sei von Natur? – Wie doch? sprach er; denn ich (376) verstehe nicht. – Auch dieses, sprach ich, kannst du an den Hunden sehn, und es ist gewiß sehr wunderbar an dem Tiere. – Was doch? – So wie es einen Unbekannten sieht, ist es ihm böse, ohne daß jener ihm zuvor irgend etwas zu leide getan; wenn aber einen Bekannten, ist es ihm freundlich, wenn er ihm auch niemals irgend etwas gutes erwiesen. Oder ist dir das noch niemals aufgefallen? – Ich habe, sagte er, bis jetzt eben noch nicht darauf gemerkt; aber daß sie es so machen ist offenbar. – Aber dies ist doch gewiß eine herrliche Beschaffenheit seiner Natur und wahrhaft philosophisch. – Weshalb doch? – Weil er, sprach ich, an nichts anderm einen befreundeten Anblick und einen widerwärtigen unterscheidet, als daß er den einen kennt und der andere ihm unbekannt ist. Wie sollte wohl nicht lernbegierig sein, wer durch Verstehen oder Nichtverstehen das verwandte und fremdartige bestimmt? – Auf keine Weise, sagte er, kann es anders sein. – Und, sprach ich, lernbegierig und philosophisch ist doch dasselbige? – Freilich dasselbe. – Also laß uns dreist auch für den Menschen festsetzen, wenn einer seiner Natur nach nur gegen Angehörige und Bekannte sanftmütig sein soll, müsse er auch philosophisch und lernbegierig sein? – Das wollen wir festsetzen. – Also philosophisch, und eifrig, und rasch und stark muß uns von Natur sein, wer ein guter und tüchtiger Wächter der Stadt sein soll. – Auf alle Weise gewiß, sagte er. – So sei uns also dieser beschaffen. Auf welche Weise aber sollen uns solche auferzogen und gebildet werden? Und gehört uns wohl auch diese Untersuchung zur Sache, um das zu finden weshalb wir alles andere betrachten, nämlich auf welche Weise Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Staat entstehe? damit wir weder das gehörige auslassen, noch auch vielerlei durcheinander abhandeln. – Da sagte des Glaukon Bruder, Auf alle Weise erwarte ich, daß diese Untersuchung sehr förderlich sein wird hierzu. – Beim Zeus, sprach ich, lieber Adeimantos, so dürfen wir also nicht davon abstehen, und wenn es auch gar weitläuftig wäre. – Freilich, sagte er. –

Komm also, und als wenn wir uns bei voller Muße etwas erzählten, laß uns die Erziehung dieser besprechen. – Das wollen wir. – Welches ist also ihre Erziehung? oder ist es wohl schwer eine bessere zu finden als die durch die Länge der Zeit gefundene? und da ist doch die für den Leib die Gymnastik und die für die Seele die Musik? – So ist es. – Sollen wir nun nicht bei der Musik früher die Erziehung anfangen als bei der Gymnastik? – Warum nicht? – Wenn du aber Musik sagst, meinst du darunter auch Reden oder nicht? – Ich gewiß. – Und Reden gibt es doch zweierlei, wahre nämlich und falsche? – (377) Ja. – Gebildet müssen sie werden durch beide, zuerst aber durch die falschen. – Ich verstehe nicht, sprach er, wie du das meinst? – Du verstehst nicht, sagte ich, daß wir den Kindern zuerst Märchen erzählen? und diese sind doch um sie im Ganzen zu bezeichnen Falsches, es ist aber auch Wahres darin. Und eher beschäftigen wir die Kinder mit Märchen als mit Leibesübungen. – So ist es. – Dies also meinte ich damit, daß man die Musik eher angreifen müsse als die Gymnastik. – Richtig, sagte er. – Nun weißt du doch wohl, daß der Anfang eines jeden Geschäftes das wichtigste ist, zumal bei irgend einem jungen und zarten Wesen. Denn da wird vornehmlich das Gepräge gebildet und angelegt, welches man jedem einzeichnen will. – Offenbar freilich. – Sollen wir es also so leicht hingehn lassen, daß die Kinder Märchen wie sie sich eben treffen und von wem es sich traf erfunden anhören, und so in ihre Seelen Vorstellungen aufnehmen, meistenteils denen entgegengesetzt, welche sie, wenn sie erwachsen sind, unserer Meinung nach werden haben sollen? – Das wollen wir keinesweges hingehen lassen. – Zuerst also, wie es scheint, müssen wir Aufsicht führen über die, welche Märchen und Sagen dichten, und welches Märchen sie gut gedichtet haben, dieses einführen, welches aber nicht, das ausschließen. Die eingeführten aber wollen wir Wärterinnen und Mütter überreden den Kindern zu erzählen, um so noch weit sorgfältiger die Seele durch Erzählungen zu bilden, als mit ihren Händen den Leib. Von denen aber, die sie jetzt erzählen, sind wohl die meisten zu verwerfen. – Welche doch? fragte er. – An den größern Märchen, sprach ich, können wir auch die kleineren beurteilen. Denn größere und kleinere müssen dieselbe Art und Abzweckung haben. Oder meinst du nicht? – Ich wohl auch, sagte er, aber ich verstehe noch nicht einmal welche große du meinst. – Nun, sprach ich, welche Hesiodos und Homeros und die andern Dichter uns erzählt haben. Denn diese haben doch für die Menschen unwahre Erzählungen zusammengesetzt und vorgetragen, und tragen sie auch noch vor. – Welche aber, fragte er, meinst du, und was tadelst du daran? – Was man, sprach ich, zuerst und vorzüglich tadeln muß, zumal wenn die Unwahrheit nicht sehr schön vorgetragen wird. – Welches nur? – Wenn einer unrichtig darstellt in seiner Rede von Göttern und Heroen wie sie geartet sind, wie wenn was ein Maler malt dem gar nicht gleicht, dem er sein Gemälde doch ähnlich machen wollte. – Gewiß, sagte er, ist es richtig dergleichen zu tadeln. Aber wie ist das nur gemeint, und wovon sprichst du? – Zuerst, sagte ich, die größte Unwahrheit und über die größten Dinge hat der gewiß gar nicht löblich gefälscht, welcher gesagt hat, Uranos solle getan haben was Hesiodos von ihm erzählt, und auch (378) Kronos so Rache an ihm genommen. Aber des Kronos Taten und was ihm wieder von seinem Sohne begegnet, sollte wohl, denke ich, auch wenn es wahr wäre, unverständigen und jungen Leuten nicht so unbedacht erzählt werden, sondern am liebsten verschwiegen bleiben; wenn aber eine Notwendigkeit wäre es zu erzählen, müßten es nur so wenige als möglich auf geheimnisvolle Weise erfahren, nachdem sie nicht etwa ein Schwein geopfert, sondern irgend ein gar großes und unerhörtes Opfer, damit nur recht wenige dazu kommen könnten es zu erfahren. – Freilich, sagte er, sind diese Reden hart. – Und nicht zuzulassen, sprach ich, o Adeimantos, in unserer Stadt, noch einem Jünglinge vorzusagen, wenn er das äußerste Unrecht begehe, tue er nichts besonderes, auch nicht wenn er seinen Vater für begangenes Unrecht auf jede Weise strafe, sondern er tue immer nur was auch die ersten und größten Götter. – Nein beim Zeus, sprach er, auch mir selbst scheint es nicht angemessen dies zu sagen. – Auch wohl überhaupt nicht, sagte ich, daß Götter Göttern nachstellen und mit ihnen Krieg führen und fechten, wie es ja auch nicht einmal wahr ist; wenn doch die, welche unsere Stadt zu verteidigen haben, es ja für das schändlichste halten müssen, leicht unter einander in Feindschaft zu geraten. Und weit gefehlt, daß man ihnen von Riesenkriegen vorerzählen sollte, noch diese abbilden, noch von den vielen und mancherlei andern Fehden der Götter und Heroen mit ihren Verwandten und Angehörigen. Sondern wenn wir sie irgend überzeugen wollen, daß nie kein Bürger den andern feind zu sein pflegt und dies auch nicht fein wäre: so muß auch dergleichen schon von Anfang an zu den Kindern gesagt werden von den Altvätern und Mütterchen und allen älteren Personen, und auch die Dichter muß man nötigen in demselben Sinne ihre Reden einzurichten. Aber daß Hera von ihrem Sohne gebunden und Hephaistos von seinem Vater heruntergeworfen worden ist, weil er der geschlagenen Mutter beistehn wollte, und alle Götter-Gefechte, welche Homeros gedichtet hat, diese sind nicht zuzulassen in unserer Stadt, mag nun ein verborgener Sinn darunter stecken oder auch keiner. Denn der Jüngling ist nicht im Stande zu unterscheiden, was dieser verborgene Sinn ist und was nicht; aber was er in diesen Jahren in seine Vorstellung aufnimmt, das pflegt schwer auszuwaschen und umzuändern zu sein. Weshalb eben dieses fast für alles zu rechnen ist, daß was sie zuerst hören auf das sorgfältigste mit Bezug auf die Tugend erzählt sei. – Das hat allerdings Grund, sagte er. Aber wenn uns nun jemand weiter fragte, was denn dieses wohl wäre, und welche Erzählungen solche: was würden wir sagen? – Darauf erwiderte ich, O Adeimantos, wir sind keine Dichter in diesem Augenblick du und ich, sondern Städtegründer; und solchen (379) gebührt zwar die Grundzüge zu kennen, nach denen die Dichter erzählen müssen, und sie nicht zuzulassen, wenn sie von diesen abweichen, nicht aber selbst Märchen zu dichten. – Richtig, sagte er. Aber nun eben diese Grundzüge in Bezug auf die Götterlehre, welches wären sie? – Diese eben, sagte ich. Wie Gott ist seinem Wesen nach, so muß er auch immer dargestellt werden, mag einer im Epos von ihm dichten oder in Liedern oder in der Tragödie. – So muß es sein. – Nun ist doch Gott wesentlich gut, und auch so darzustellen! –Wie sollte er nicht! – Allein nichts was zum guten gehört ist doch verderblich. Nicht wahr? – Nein dünkt mich. – Kann nun wohl was nicht verderblich ist schaden? – Mit nichten. – Und was nicht schadet irgend böses tun? – Auch das nicht. – Was aber gar nichts böses tut, das kann auch wohl nicht irgend an etwas bösem Ursache sein. – Wie sollte es? – Wie aber? förderlich ist doch das Gute? – Ja. – Also Ursache des Wohlbefindens? – Ja. – Nicht also von allem ist das Gute Ursache, sondern was sich gut verhält, davon ist es Ursache; an dem üblen aber ist es unschuldig. – Vollkommen freilich, sagte er. – Also auch Gott, weil er ja gut ist, kann nicht an allem Ursache sein, wie man insgemein sagt, sondern nur von wenigem ist er den Menschen Ursache, an dem meisten aber unschuldig. Denn es gibt weit weniger gutes als böses bei uns; und das Gute zwar darf man auf keine andere Ursache zurückführen, von dem Bösen aber muß man sonst andere Ursachen aufsuchen, nur nicht Gott. – Vollkommen richtig, sagte er, scheinst du mir zu reden. – Also ist es nicht anzunehmen, weder vom Homeros noch von irgend einem andern Dichter, wenn einer so unvernünftig fehlt in Bezug auf die Götter, daß er sagte, es sein zwei Fässer gestellt an der Schwelle Kronions, Voll das eine von Gaben des Wehs, das andere des Heiles. Und wem nun vermischt Zeus von beiden gibt, Solchen trifft abwechselnd ein böses Los und ein gutes; wem aber nicht, sondern unvermischt das eine, Diesen verfolgt herznagende Not auf der heiligen Erde; noch auch daß Zeus uns ein Spender ist des Guten so wie des Bösen. Und die Zerreißung der Schwüre und Verträge die Pandaros veranlaßte, wenn jemand sagen will, die sei durch Athene und Zeus geschehen, den wollen wir nicht loben. Noch auch der Götter Streit und Entscheidung durch (380) Themis und Zeus; noch auch was Aischylos sagt muß man die Jünglinge hören lassen, Verschuldung läßt Gott wachsen bald, wenn er zu Boden schmettern will ein Haus. Sondern wenn einer, worin ja diese Jamben sich finden, die Schicksale der Niobe oder der Pelopiden oder die troischen oder anderes dergleichen dichten will, so lasse man sie ihn entweder gar nicht als Gottes Taten erzählen; oder wenn als solche, dann muß er die Rede ohngefähr dafür auffinden, die wir jetzt suchen, und sagen daß Gott nur was gerecht und gut war getan hat, und sie Nutzen gehabt haben von der Strafe; daß aber die Strafeleidenden unselig sind, und doch der sie ihnen angetan hat Gott war, das muß man den Dichter nicht sagen lassen. Allein wenn sie sagen wollten, daß als unselige die Bösen der Strafe bedurft hätten, und dadurch, daß sie Strafe litten ihnen von Gott geholfen worden sei, dies kann man lassen. Zu behaupten aber, daß Gott irgend jemanden Ursache des Bösen geworden ist, da er doch gut ist, dies muß man auf alle Weise abwehren, daß es nicht jemand sage in seinem Staat wenn er gut soll regiert werden, noch auch jemand höre weder jung noch alt, und weder in gemessener Rede noch in ungemessener vorgetragen, weil es weder fromm wäre, wenn es einer sagte, noch uns zuträglich, noch auch mit sich selbst übereinstimmend. – Ich stimme mit dir, sagte er, für dieses Gesetz und es gefällt mir. – Dies also, sprach ich, wäre eines von den Gesetzen und Vorschriften, in Bezug auf die Götter, kraft dessen nur so darf geredet und gedichtet werden, daß Gott nicht an allem Ursache ist, sondern nur an dem Guten. – Dies reicht auch hin, sagte er. – Wie aber nun dieses zweite? Meinst du daß Gott ein Zauberer ist, und wie aus dem Hinterhalt bald in dieser bald in jener Gestalt erscheint, bald wirklich selbst viele Gestalten annehmend und seine eigne dagegen vertauschend, bald nur uns hintergehend und machend daß wir dergleichen von ihm glauben müssen? Oder meinst du daß er ganz einfach ist und am allerwenigsten aus seiner eigenen Gestalt herausgeht? – Das weiß ich so jetzt gleich nicht zu sagen, sprach er. – Wie aber dieses? Ist es nicht notwendig, wenn ja etwas aus seiner eigenen Gestalt heraustritt, daß es entweder durch sich selbst oder durch ein anderes muß verwandelt werden? – Notwendig. – Wird aber nicht jedes vortrefflichste am wenigsten von einem andern verändert und bewegt, wie der Leib von Speise, Trank und Anstrengung, und jedes Gewächs von Hitze, Sturm und dergleichen Einwirkungen, wird nicht jedes gesundeste und stärkste davon am wenigsten verändert? – (381) Allerdings wohl. – Und die Seele selbst, wird nicht die tapferste und vernünftigste am wenigsten von irgend einer äußeren Einwirkung erschüttert und verändert? – Ja. – Und so gewiß auch alles zusammengesetzte Geräte und Gebäude und Bekleidungen werden nach derselben Regel, je besser sie gearbeitet sind und geraten, um desto weniger von der Zeit und andern Einwirkungen verändert. – So ist es allerdings. – Also alles vollkommene von Natur oder durch Kunst oder durch beides nimmt die wenigste Veränderung durch anderes an. – So zeigt es sich. – Aber Gott und was Gottes ist muß doch in jeder Hinsicht vollkommen sein. – Unumgänglich. – Auf diese Weise also könnte wohl am wenigsten Gott vielerlei Gestalten bekommen. – Am wenigsten gewiß. – Aber vielleicht daß er sich selbst verwandelt und verändert! – Offenbar, sagte er, wenn er nämlich verändert wird. – Verwandelt er sich nun wohl in besseres oder schöneres oder in schlechteres und häßlicheres als er selbst ist? – Notwendig, sagte er, in häßliches, wenn er sich verändert. Denn wir können doch nicht sagen, daß Gott an irgend einer Schönheit oder Tugend Mangel leide. – Vollkommen richtig gesprochen! sagte ich. Und da es sich so verhält, Adeimantos, glaubst du wohl, daß jemand sich freiwillig in irgend einer Hinsicht schlechter machen wird als er ist, sei es nun ein Gott oder ein Mensch? – Unmöglich, sagte er. – Also ist es auch für Gott unmöglich, daß er sich selbst sollte verwandeln wollen; sondern jeder von ihnen bleibt, wie es scheint, da er so schön und trefflich ist als möglich, auch immer ganz einfach in seiner eignen Gestalt. – Das scheint mir wenigstens durchaus notwendig, sagte er. – Keiner also von den Dichtern, sprach ich, sage uns, o Bester, daß Götter in wandelnder Fremdlinge Bildung jede Gestalt nachahmend durchgehn die Gebiete der Menschen. Auch den Proteus und die Thetis verläumde niemand, noch führe uns jemand weder in Tragödien noch anderen Gedichten die Hera vor, wie sie in eine Priesterin verwandelt für des Argeiischen Flusses Inachos lebenspendende Kinder Gaben sammelt, und noch viel anderes dergleichen mögen sie uns nicht vorlügen, noch auch sollen von ihnen überredet die Mütter ihre Kinder zu fürchten machen, indem sie die Märchen schlecht erzählen, als ob Nachts gewisse Götter allerlei wunderlichen Fremdlingen ähnlich sich sehen ließen, damit sie nicht zugleich die Götter lästern und zugleich auch ihre Kinder feigherziger machen. – Freilich nicht, sagte er. – Aber, sprach ich, vielleicht sind die Götter selbst wohl so daß sie sich nicht verwandeln, machen uns aber glauben, als ob sie in so vielerlei Gestalten erschienen, indem sie uns nämlich hintergehen und bezaubern? – Vielleicht wohl, sagte er. – Und wie? sprach ich. Sollte denn Gott lügen (382) wollen, indem er in Wort oder Tat uns ein leeres Schattenbild darstellt? – Ich weiß nicht, sagte er. – Du weißt nicht, sprach ich, daß die wahre Lüge, wenn es anders möglich ist so zu reden, alle Götter und Menschen hassen? – Wie meinst du das? sagte er. – So, sprach ich, daß das vorzüglichste in sich selbst und über das vorzüglichste niemand mit Willen täuschen will, sondern am allermeisten fürchtet dort die Unwahrheit zu haben. – Auch so, sprach er, verstehe ich es noch nicht. – Du denkst eben, sagte ich, daß ich etwas sehr hohes sage; ich meine aber nur, daß in der Seele über das was ist sich zu täuschen und getäuscht zu haben und törigt zu sein, und dort die Unwahrheit zu haben und zu besitzen, Alle am wenigsten wünschen, sondern sie vielmehr dort vorzüglich hassen. – Bei weitem, sagte er. – Aber mit vollkommnem Recht kann man doch das eben beschriebene die wahre Unwahrheit nennen, ich meine die Unwissenheit in der Seele des Getäuschten. Denn die in den Reden ist nur eine Nachahmung jenes Ereignisses in der Seele und ein später entstandenes Abbild, nicht mehr die unvermischte Unwahrheit. Oder ist es nicht so? – Freilich. – Die eigentliche Unwahrheit wird also nicht nur von Göttern sondern auch von Menschen gehaßt. – Das dünkt mich. – Wie nun aber die Unwahrheit in Reden, wann und wozu ist die doch nützlich, so daß sie den Haß nicht verdient? Nicht gegen die Feinde? und auch der sogenannten Freunde wegen, wenn diese im Wahnsinn oder aus irgend einer Unvernunft etwas arges zu tun unternehmen, wird sie dann nicht als ein ableitendes Mittel nützlich? und auch in den eben erwähnten Dichtungen, da wir nicht wissen wie sich die alten Begebenheiten in Wahrheit verhalten, bilden wir der Wahrheit die Unwahrheit so genau als möglich nach, und machen sie dadurch gar sehr nützlich. – Gewiß, sprach er, verhält es sich so. – In welcher von diesen Beziehungen nun soll wohl Gott die Unwahrheit nützlich sein? Soll er etwa weil ihm das altertümliche unbekannt ist, um doch etwas ähnliches darzustellen Unwahrheiten vorbringen? – Das wäre ja lächerlich, sagte er. – Also ein unwahrer Dichter ist in Gott nicht zu suchen? – Nein dünkt mich. – Aber aus Furcht vor seinen Feinden könnte er wohl lügen? – Weit gefehlt. – Oder wegen Unverstandes und Wahnsinns derer, denen er zugetan ist? – Aber, sagte er, kein Unvernünftiger und Wahnsinniger ist je von Gott geliebt. – Es gibt also nichts um des willen Gott lügen könnte. – Es gibt nichts. – In jeder Hinsicht also ist das dämonische und göttliche ohne Falsch. – Auf alle Weise gewiß, sagte er. – Offenbar also ist Gott einfach und wahr in Wort und Tat, und verwandelt sich weder selbst, noch hintergeht er Andere weder in Erscheinungen noch in Reden, noch indem er ihnen Zeichen sendet weder im Wachen noch (383) im Schlaf. – So, sprach er, leuchtet es auch mir selbst ein durch deine Reden. – Du räumst also ein, daß dieses die zweite Vorschrift ist nach der von den Göttern muß geredet und gedichtet werden, daß sie weder selbst als Zauberer sich verwandeln, noch auch uns durch Täuschungen verleiten in Wort und Tat. – Ich räume es ein. – Wenn wir also noch so viel anderes am Homeros loben, so wollen wir doch das nicht loben, wie Zeus dem Agamemnon den Traum sendet, noch vom Aischylos wenn Thetis sagt Apollon habe singend bei ihrer Hochzeitsfeier gepriesen ihr schönes Mutterglück der Söhne krankheitloses spätes Lebensziel. Und dies gesagt bekräftet sein Päan zuletzt mein gottbegünstigt Schicksal mich ermutigend. Da hofft ich truglos werde Phoibos Göttermund mir sein der kunstreich Weissagungen sprudelnde. Er aber selbst der Sänger, der selbst dieses sprach, Er selbst von damals Hochzeitsgast, ist selber nun des Sohnes Mörder. Wenn einer dergleichen sagt von den Göttern, wollen wir zürnen und ihm keinen Chor geben, noch leiden, daß ein Lehrer solches zum Unterricht der Jugend gebrauche, wenn unsere Wächter sollen gottesfürchtig und gottähnlich werden, so weit es dem Menschen nur irgend möglich ist. – Auf alle Weise, sagte er, nehme ich diese Vorschriften an, und möchte sie als Gesetze gebrauchen.


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