Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Dritter Theil. Der Staat
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Der Staat

Sokrates • Glaukon • Polemarchos • Thrasymachos • Adeimantos • Kephalos

Sokrates erzählt

Erstes Buch

(327) Ich ging Gestern mit Glaukon dem Sohne des Ariston in den Peiraieus hinunter, teils um die Göttin anzubeten, dann aber wollte ich auch zugleich das Fest sehen, wie sie es feiern wollten, da sie es jetzt zum ersten Mal begehen. Schön nun dünkte mich auch unserer Einheimischen Aufzug zu sein, nicht minder vortrefflich jedoch nahm sich auch der aus, den die Thrakier geschickt hatten. Nachdem wir nun gebetet und die Feier mit angeschaut hatten, gingen wir fort nach der Stadt. Wie nun Polemarchos der Sohn des Kephalos uns von fern nach Hause zu steigen sah, hieß er seinen Knaben laufen und uns heißen ihn erwarten. Der Knabe also faßte mich von hinten beim Mantel und sprach, Polemarchos heißt euch ihn erwarten. Ich wendete mich um und fragte, wo denn er selbst wäre. Hier sprach er kommt er hinter euch, wartet nur. – Nun ja, wir wollen warten sagte Glaukon. – Und bald darauf kam denn Polemarchos und Adeimantos der Bruder des Glaukon, und Nikeratos der Sohn des Nikias und einige Andere auch wie von dem Feste her. Polemarchos nun sagte, O Sokrates Ihr scheint mir nach der Stadt zuzuschreiten, als wolltet ihr fortgehn. – Du vermutest nicht Unrecht sprach ich. – Siehst du nun uns wohl, sprach er, wieviel unserer sind? – Wie sollte ich nicht? – Entweder nun, sprach er, überwältigt diese, oder bleibt hier. – Ist denn nicht sagte ich noch eins übrig, wenn wir euch nämlich überzeugen, daß Ihr uns lassen müßt? – Könnt ihr auch wohl, entgegnete er, überzeugen die nicht hören? – Keinesweges, antwortete Glaukon. – So denkt nur sicher, sprach er, daß wir nicht hören werden. – Und Adeimantos fiel ein, Ihr wißt wohl auch nicht einmal, daß gegen Abend noch ein Fackelzug sein wird zu Pferde der Göttin zu Ehren? Zu Pferde? (328) sprach ich, das ist ja neu. Sie werden also Fackeln halten und sie einander hinreichen im Wettstreit zu Pferde? oder wie meinst du es? – Gerade so sprach Polemarchos, und überdies werden sie noch eine Nachtfeier veranstalten, die sehr lohnen wird zu sehen. Wir werden also nach der Mahlzeit uns aufmachen und mit vielen jungen Leuten dort zusammensein und Gespräch pflegen. Bleibt also und tut ja nicht anders. – Da sagte Glaukon, Es scheint wir werden bleiben. – Wenn du meinst sprach ich, müssen wir wohl so tun.

Wir gingen also mit zu dem Polemarchos, und fanden dort den Lysias und Euthydemos die Brüder des Polemarchos, dann auch Thrasymachos den Chalkedonier und Charmantides den Päanier und Kleitophon den Sohn des Aristonymos. Es war aber auch des Polemarchos Vater Kephalos darinnen, der mir sehr alt vor kam, wie ich ihn denn auch seit langem nicht gesehn hatte. Er saß aber bekränzt in einem großen Sessel mit einem Kopfkissen, denn er hatte im Hofe geopfert. Wir setzten uns also zu ihm, denn es standen dort mehrere Sessel im Kreise herum. – Gleich nun wie mich Kephalos sah, begrüßte er mich und sagte, O Sokrates, du kommst auch gar nicht fleißig zu uns herunter in den Peiraieus. Du solltest aber doch. Denn wenn ich noch genug bei Kräften wäre, um leicht nach der Stadt zu gehn: so hättest du nicht nötig hieher zu kommen, sondern wir kämen zu dir. Nun aber solltest du häufiger hieher kommen. Denn wisse nur, je mehr die andern Vergnügungen, die vom Leibe herrühren, für mich welk werden, um desto mehr wachsen mir Freude und Lust an Reden. Also tue es nicht anders, und halte nicht nur mit diesen jungen Leuten hier zusammen, sondern besuche auch uns fleißig als gute Freunde und die dir sehr zugetan sind. – Auch ich, sprach ich, o Kephalos, pflege sehr gern Gespräch mit Alten. Denn mich dünkt, da sie ja einen Weg vorausgegangen sind, den auch wir vielleicht werden zu gehen haben, müssen wir von ihnen erforschen, wie er doch beschaffen ist, ob rauh und beschwerlich oder leicht und bequem. Und so hörte ich auch von dir gern, wie dir wohl dieses erscheint, da du doch jetzt in den Jahren bist von denen die Dichter das an der Schwelle des Alters brauchen, ob auch schwer zu leben oder was du darüber aussagest. – Ich will dir, sprach er, beim Zeus wohl sagen o Sokrates wie (329) es mir vorkommt. Denn öfters kommen unserer einige von fast gleichem Alter zusammen um das alte Sprüchwort bei Ehren zu erhalten. Die meisten von uns nun jammern, wenn wir beisammen sind, indem sie der Vergnügungen der Jugend sehnsüchtig gedenken, der Liebeslust und des Trunks und der Gastmähler und was damit noch sonst zusammenhängt, und sind verdrießlich als ob sie nun großer Dinge beraubt wären, und damals zwar herrlich gelebt hätten, nun aber kaum noch lebten. Einige beschweren sich auch über die üblen Behandlungen des Alters von Seiten der Angehörigen und stimmen aus diesem Ton vorzüglich ihre Klagelieder an, wievieler Übel Ursache es ihnen ist. Mich aber dünkt o Sokrates, daß diese nicht das Schuldige beschuldigen; denn wenn dieses Schuld daran wäre, so würde mir ja eben dasselbe begegnen von meines Alters wegen, und eben so den Übrigen insgesamt, so viele ihr Alter bis hieher gebracht haben. Nun aber habe ich doch auch schon Andere angetroffen, mit denen es nicht so stand, und bei dem Dichter Sophokles war ich einmal eben als er von einem gefragt wurde, Wie steht es doch Sophokles um die Liebeslust? kannst du wohl noch einer Frau beiwohnen? Der sprach Stille doch, lieber Mensch! wie gern bin ich davon losgekommen, als käme ich von einem tollen und wilden Herrn los. Die Rede gefiel mir schon damals sehr, und auch jetzt noch nicht minder. Denn auf alle Weise hat man vor dergleichen im Alter große Ruhe und Freiheit. Und wenn die Begierden aufgehört haben zu treiben und nun nachlassen: so ist das auf alle Weise wie es Sophokles ausdrückt, man wird gar vieler und toller Gebieter erlediget. Aber die Klagen hierüber sowohl als über die Angehörigen haben einerlei Ursache; nicht das Alter, o Sokrates, sondern die Sinnesart der Menschen. Denn wenn sie gefaßt sind und gefällig, so sind auch des Alters Mühseligkeiten nur mäßig: wenn aber nicht, o Sokrates, einem solchen wird Alter sowohl als Jugend schwer durchzumachen.

Ich nun hatte meine Freude an ihm, wie er dieses sagte; und da ich wollte, daß er weiter spräche, so regte ich ihn auf und sprach, O Kephalos ich glaube doch die Meisten, wenn du das sagst, werden es dir nicht gelten lassen, sondern meinen du tragest das Alter so leicht, nicht deiner Sinnesart wegen, sondern weil du ein großes Vermögen besitzest, denn die Reichen, sagen sie, hätten immer viele Erleichterungen. – Du hast Recht, sagte er, sie lassen es auch nicht gelten; und sie sagen da zwar etwas, aber doch nicht soviel als sie denken, sondern das Wort des Themistokles ist sehr wahr, der dem Seriphier, der ihn schmähen wollte, und sagte, er sei nicht durch sich selbst, sondern durch seine Vaterstadt berühmt, antwortete, auch er würde freilich als Seriphier nicht sein berühmt worden, (330) aber nur jener auch nicht als Athener. Und diese Rede schickt sich auch auf die, welche nicht reich sind und das Alter schwer ertragen, weil auch der wohlgesinnte das Alter wohl nicht ganz leicht ertragen kann in Armut, der nicht wohlgesinnte aber auch, wenn er reich ist, sich gewiß darin nicht gefallen wird. – Hast du wohl o Kephalos sprach ich von deinem Vermögen das meiste ererbt oder dazugewonnen? – Was werde ich dazu gewonnen haben o Sokrates? sprach er. Ich stehe als Gewerbsmann in der Mitte zwischen meinem Großvater und meinem Vater. Nämlich mein Großvater, der auch einerlei Namen mit mir führte, hatte etwa ein eben so großes Vermögen als das meinige jetzt ist ererbt, und es um viele Male vergrößert; mein Vater Lysanias aber machte es noch kleiner als es jetzt ist; ich aber bin zufrieden, wenn ich es diesen nur nicht kleiner hinterlasse, sondern noch um etwas weniges größer als ich es empfangen. – Eben deshalb fragte ich, sprach ich, weil du mir nicht gar sehr scheinst das Geld zu lieben. So aber halten es meistens die, welche es nicht selbst geschafft haben; die Erwerber aber lieben es wohl noch eins so sehr als die Anderen. Denn wie die Dichter ihre Werke und die Väter ihre Kinder lieben, auf dieselbe Weise hängen zuerst auch die Erwerber an dem erworbenen als ihrem Werk; dann aber auch des Nutzens wegen wie die Anderen. Darum ist auch schwer mit ihnen leben, weil sie nichts loben wollen als nur den Reichtum. – Du hast Recht, sprach er. – Freilich, sagte ich. Aber sage mir nur noch dieses. Was ist der größte Vorteil, den du davon gehabt zu haben glaubst, daß du ein großes Vermögen besitzest? – Was mir wohl, sprach er, nicht viele glauben werden, wenn ich es sage. Denn wisse nur, o Sokrates, fuhr er fort, daß, wenn einem das nahe tritt, daß er glaubt zu sterben, ihn dann Furcht ankommt und Sorge um was er zuvor keine hatte. Denn teils die Erzählungen von der Unterwelt, daß wer hier ungerecht gewesen ist dort Strafe leiden muß, die er oft gehört aber bis dahin verlacht hat, gehen ihm dann im Sinne herum, ob sie nicht wahr sind, teils auch er selbst sei es nun aus Schwäche des Alters, oder auch weil er jenen Dingen schon näher ist, sieht sie deutlicher. Er wird also voll Besorgnis und Beängstigung, und rechnet nach und sinnt zurück, ob er wo einem Unrecht getan hat. Welcher nun viele Verschuldungen in seinem Leben findet, der wird auch aus dem Schlaf häufig aufgeschreckt wie die Kinder, und ängstet sich und lebt in der übelsten Erwartung. Welcher sich aber nichts ungerechtes bewußt ist, der hat immer angenehme und gute Erwartung (331) gegenwärtig, als Alterspflegerin wie auch Pindaros sagt. Denn sehr artig o Sokrates sagt jener dieses, daß wer nur gerecht und fromm das Leben verbracht hat, den die süße das Herz schwellende Alterspflegerin Hoffnung geleitet, die zumeist der Sterblichen wandelreichen Sinn regiert. Richtig sagt er das gar wunderbar sehr. Und hiezu meine ich, ist der Besitz des Reichtums am meisten wert, nicht zwar jedem aber dem wohlgesinnten. Denn daß er nicht leicht wider Willen jemanden übervorteilt oder hintergeht oder auch einem Gott irgend Opfergaben oder einem Menschen Geld schuldig bleiben und so in Furcht davon gehn muß, dazu kann ihm der Besitz des Reichtums gar vieles beitragen. Er hat freilich auch sonst vielerlei Nutzen, doch aber eins gegen das andere gerechnet möchte ich sagen, daß dieses gerade nicht das geringste sei, wozu einem vernünftigen Menschen o Sokrates der Reichtum sehr nützlich ist. – Vortrefflich, sprach ich, sagst du das o Kephalos. Aber eben dieses, die Gerechtigkeit, sollen wir sagen so ganz einfach, sie sei Wahrheit und Wiedergeben was einer von einem empfangen hat? oder ist auch eben dieses bisweilen zwar Recht bisweilen aber auch Unrecht zu tun? Ich meine nämlich so. Jeder wird wohl sagen, wenn einer von einem Freunde der ganz bei besonnenem Mute war, Waffen empfangen hat, und dieser sie im Wahnsinn wieder fordert, er ihm dergleichen weder verpflichtet ist wiederzugeben, noch selbst Recht täte wenn er sie ihm wiedergäbe, oder in einem solchen Zustande ihm von allen Dingen die Wahrheit sagte. – Du hast Recht, sagte er. – Also ist das auch nicht die rechte Erklärung der Gerechtigkeit, Wahrheit reden und was man empfangen hat wiedergeben. – Allerdings doch o Sokrates, sagte Polemarchos die Rede aufnehmend, wenn man doch dem Simonides etwas glauben darf. – Ei wohl sagte Kephalos, jedoch übergebe ich euch nun die Rede, denn ich muß jetzt für die heiligen Dinge Sorge tragen. – Ist nun nicht, sprach ich, Polemarchos der Erbe des deinigen? – Freilich sagte er lächelnd und ging zugleich hinaus nach dem Opfer.

Sprich also, sagte ich, du Erbe der Rede, was sagt doch Simonides, das du richtig gesagt behauptest über die Gerechtigkeit? – Daß, antwortete er, einem jeden das schuldige zu leisten gerecht ist; dieses sagend scheint er mir richtiges zu sagen. – Freilich wohl, sagte ich, ist es schwer dem Simonides nicht zu glauben, denn weise und göttlich ist der Mann; was er aber hiemit eigentlich meint, siehst du o Polemarchos vielleicht ein, ich aber verstehe es nicht. Denn offenbar will er nicht das sagen, was wir eben sagten, wenn jemand etwas bei einem niedergelegt hat, dies irgend wem, der es auf unvernünftige Weise wieder fordert, zurückzugeben, wiewohl man hier freilich dasjenige schuldig ist, was einer niedergelegt hat. Nicht wahr? – Ja. – Wiedergegeben aber darf es auf keine Weise (332) werden, wenn einer es unvernünftigerweise abforderte? – Richtig sagte er. – Etwas anderes also als dergleichen, wie es scheint, meint Simonides, wenn er sagt, schuldiges abgeben sei gerecht. – Etwas anderes beim Zeus, sprach er. Freunden nämlich meint er seien Freunde schuldig gutes zu tun, böses aber nichts. – Ich verstehe, sagte ich, daß nämlich nicht Schuldiges abgibt, wer einem niedergelegtes Geld abgibt, im Fall Abgabe und Empfang verderblich ist, und der Empfangende und Abgebende Freunde sind. Sagst du nicht, so meine es Simonides? – Allerdings. – Und wie? Feinden muß man, was es auch sei, schuldiges abgeben? – Auf alle Weise freilich, sagte er, was man ihnen ja schuldig ist. Schuldig aber ist, denke ich, der Feind dem Feinde, wie es sich ja auch gebührt, etwas übles. – Also hat Simonides, sprach ich, wie es scheint gar dichterisch versteckt angedeutet, was das Gerechte ist. Er dachte nämlich wie sich zeigt, das sei gerecht jedem das gebührende abzugeben, und dies nannte er das schuldige. – Aber was denn meinst du? sagte er. – Beim Zeus sprach ich, wenn ihn nun jemand fragte, o Simonides, die wem doch was schuldiges und gebührendes abgebende Kunst heißt Heilkunst? Was glaubst du würde er uns antworten? – Offenbar, sagte er, die dem Leibe Arzenei und Speise und Trank. – Und die wem doch was schuldiges und gebührendes abgebende Kunst heißt Kochkunst? – Die den Speisen das Schmackhafte. – Wohl! Also die wem doch was abgebende Kunst soll nun Gerechtigkeit heißen? – Wenn man, sprach er, dem vorhergesagten folgen darf, die Freunden und Feinden Nutzen und Schaden abgebende. – Also Freunden gutes tun und Feinden böses sagt er sei Gerechtigkeit. – So dünkt mich. – Wer ist nun wohl am meisten im Stande kranken Freunden wohl zu tun und Feinden übel in Absicht auf Gesundheit und Krankheit? – Der Arzt. – Und wer Schiffenden in Absicht auf die Gefahren zur See? – Der Steuermann. – Wie aber der Gerechte? Durch welche Handlung und in Absicht auf welches Geschäft ist er vorzüglich im Stande Freunden zu nutzen und Feinden zu schaden? – Durch Kriegführung und Bundesgenossenschaft, dünkt mich. – Wohl! Nicht Kranken aber, lieber Polemarchos ist doch der Arzt unnütz? – Richtig. – Und Nichtschiffenden der Steuermann? –Ja. – Ist also etwa auch denen die nicht Krieg führen der Gerechte unnütz? – Dieses dünkt mich wohl nicht ganz. – Also auch im Frieden ist die Gerechtigkeit nützlich? – Nützlich. – Auch wohl der Ackerbau? oder nicht? – Ja. – Zur Gewinnung der Früchte? – Ja. – Aber doch auch die Lederarbeit? – Ja. – Zur Gewinnung (333) der Schuhe glaube ich würdest du sagen? – Freilich! – Wie nun aber die Gerechtigkeit, zu welches Dinges Gebrauch oder Erwerb würdest du sagen daß die im Frieden nützlich sei? – Zu Verhandlungen o Sokrates. – Unter Verhandlungen meinst du doch Verkehr und Genossenschaften, oder etwas anderes? – Freilich Genossenschaften. – Ist nun etwa der Gerechte der gute und nützliche Genosse um im Brettspiel zu ziehn oder der Brettspieler? – Der Brettspieler. – Aber um Ziegel und Werkstücke zu setzen ist der Gerechte etwa ein nützlicherer und besserer Genosse als der Bauverständige? – Keinesweges. – Aber in welcher Gemeinschaft ist dann der Gerechte ein besserer Genosse als der Kitharenspieler, so wie dieser ein besserer als der Gerechte ist zum Schlagen der Kithara? – In Geldsachen dünkt mich. – Ausgenommen doch wohl o Polemarchos das Geld anzuwenden, wenn man gemeinschaftlich für Geld ein Pferd kaufen soll oder verkaufen! Denn dann denke ich doch der Bereiter. Nicht wahr? – Das scheint. – Und wenn ein Schiff, dann der Schiffszimmerer oder der Steuermann? – Das versteht sich. – Wenn man also wozu doch Geld oder Silber gemeinschaftlich anwenden soll ist der Gerechte nützlicher als Andere? – Wenn man es niederlegen will und sicher sein o Sokrates. – Also meinst du, wenn man es gar nicht anwenden will, sondern hinlegen? – Freilich. – Also wenn das Geld unnütz ist, dann ist die Gerechtigkeit nützlich dazu? – So scheint es beinahe. – Und wenn man die Hippe verwahren soll, dann ist die Gerechtigkeit nützlich insgemein und jedem für sich, wenn aber gebrauchen, dann die Winzerkunst? – So zeigt es sich. – Und so wirst du auch sagen vom Schilde und von der Leier, wenn man sie aufheben wolle und zu nichts nutzen, dann sei die Gerechtigkeit nützlich? wenn aber nutzen dann die Fechtkunst und die Tonkunst? – Notwendig. – Und so auch in Absicht auf alle andere Dinge sei die Gerechtigkeit wenn ein jedes genutzt wird unnütz, in der Unnützlichkeit aber nützlich. – So scheint es. – Keinesweges also Freund wäre wohl die Gerechtigkeit etwas sehr wichtiges, wenn sie nur in Bezug auf das unnütze nützlich ist. Das aber laß uns überlegen. Ist nicht der geschickteste Schläge auszuteilen im Gefecht im Ringen oder einem andern auch der geschickteste sie abzuwehren? – Freilich. – Auch wohl wer sich vor Krankheit versteht zu hüten und sie nicht zu bekommen, ist der geschickteste sie einem anzutun? – Das dünkt mich wenigstens. – Auch im Lager ist derselbe gut als Wächter, der auch gut ist die Ratschläge und anderen Handlungen der Feinde auszukundschaften? – Freilich. – Was einer also gut hüten kann das kann er auch (334) gut abstehlen? – So zeigt es sich. – Wenn also der Gerechte sich darauf versteht Geld zu hüten, versteht er sich auch darauf es unterzuschlagen. – Wie die Rede wenigstens andeutet, sagte er. – Als ein Listiger also, wie sich zeigt, ist uns der Gerechte zum Vorschein gekommen; und du magst das wohl von Homeros gelernt haben, denn auch dieser lobt des Odysseus mütterlichen Großvater Autolykos, und sagt von ihm, daß er hoch vor den Menschen berühmt war durch Verstellung und Schwur. So scheint also die Gerechtigkeit nach dir sowohl als nach dem Homeros und dem Simonides eine Überlistung zu sein, und zwar zum Nutzen der Freunde und zum Schaden der Feinde. Sagtest du nicht so? – Nein beim Zeus sprach er! Aber ich weiß selbst nicht mehr was ich sagte. Nur das dünkt mich noch immer, daß die Gerechtigkeit den Freunden nutzt, den Feinden aber schadet. – Freunde aber nennst du die, welche jedem scheinen gutartig zu sein, oder die es sind, wenn sie es auch nicht scheinen? und Feinde eben so? – Natürlich ist doch, sprach er, daß einer, die er für gutartig hält liebt, die aber für bösartig haßt. – Fehlen aber nicht die Menschen eben darin, daß viele ihnen scheinen gutartig zu sein, die es nicht sind, und so auch umgekehrt? – Sie fehlen. – Diesen also sind die Guten verhaßt und die Schlechten lieb? – Freilich. – Doch aber ist es für diese dann gerecht den Bösen zu nützen und den Guten zu schaden? – So scheint es. – Aber die Guten sind doch gerechte, und solche die nicht Unrecht tun? – Richtig. – Nach deiner Rede also kann es gerecht sein denen die kein Unrecht tun übles zu tun? – Keinesweges doch sprach er o Sokrates! denn das wäre ja offenbar eine arge Rede. – Also den Ungerechten, sprach ich, zu schaden ist gerecht den Gerechten aber zu nutzen? – Diese Rede ist offenbar schöner als jene. – Vielen also o Polemarchos, die sich eben geirrt haben, wird es begegnen, daß für sie gerecht ist ihren Freunden zu schaden, denn sie haben schlechte, ihren Feinden aber zu nutzen, denn diese sind gut. Und so werden wir gerade das Gegenteil von dem sagen, was wir behaupteten daß Simonides sage. – Freilich, sprach er, kommt es so heraus. Laß uns also ändern; denn wir mögen wohl den Freund und Feind nicht richtig bestimmt haben. – Als wir wie doch bestimmten o Polemarchos? – Daß der gutartig scheinende Freund sei. – Nun aber, sprach ich, wie wollen wir ändern? – Daß, sprach er, wer gutartig scheint und es auch ist, Freund ist; wer es aber scheint ohne es zu sein, auch nur Freund scheint, es aber nicht ist. Und über den Feind gelte dieselbe (335) Bestimmung. – Freund also, wie sich zeigt, wird nach dieser Rede der gute sein, Feind aber der böse. – Ja. – Heißt du uns also auch zu dem Gerechten noch eine andere Bestimmung hinzufügen als wie wir zuerst sagten, als wir sagten gerecht sei dem Freunde wohltun und dem Feinde übel, und nun noch außerdem sagen, daß gerecht sei dem Freunde, weil er gut ist, wohltun, und dem Feinde, weil er böse ist, schaden? – Allerdings, sprach er, scheint es mir so schön gesagt zu sein. – Ist es aber wohl, sprach ich, des Gerechten Sache auch nur irgend einem Menschen zu schaden? – Freilich doch, sprach er, Bösen und Feinden muß man schaden. – Und wenn man Pferden schadet, werden sie besser oder schlechter? – Schlechter. – Und das in Bezug auf die Tüchtigkeit der Hunde oder der Pferde? – Auf die der Pferde. – Werden nun nicht auch Hunde, wenn man ihnen schadet, schlechter in Bezug auf die Tüchtigkeit der Hunde und nicht auf die der Pferde? – Notwendig. – Und von Menschen, Freund, sollen wir nicht eben so behaupten, daß sie durch zugefügten Schaden schlechter werden zur menschlichen Tüchtigkeit und Tugend? – Allerdings wohl. – Aber ist nicht die Gerechtigkeit menschliche Tugend? – Auch das notwendig. – Auch das also o Freund ist notwendig, daß Menschen, denen man Schaden zufügt, ungerechter werden? – So zeigt es sich. – Können nun wohl die Tonkünstler durch ihre Tonkunst andere untonkünstlerisch machen? – Unmöglich. – Oder die Reiter durch ihre Reitkunst andere unberitten? – Das geht nicht. – Aber die Gerechten durch ihre Gerechtigkeit andere ungerecht? oder überhaupt die Guten durch ihre Tugend andere schlecht? – Das ist ja unmöglich. – Denn es ist auch nicht die Sache der Wärme abzukühlen, sondern ihres Gegenteiles. – Ja. – Auch nicht der Trockenheit anzufeuchten, sondern ihres Gegenteils. – Freilich. – Also auch nicht des Guten zu schaden, sondern seines Gegenteils. – Das ist offenbar. – Und der Gerechte ist doch gut? – Freilich. – Also ist es nicht die Sache des Gerechten zu schaden o Polemarchos nicht nur seinem Freunde nicht, sondern auch sonst keinem, sondern seines Gegenteils, des Ungerechten. – Auf alle Weise dünkst du mich recht zu reden o Sokrates! sagte er. – Wenn also jemand behauptet, das Schuldige jedem abzugeben sei gerecht, und denkt dabei dieses, den Feinden sei der Gerechte Schaden schuldig und den Freunden Nutzen: so war der nicht weise, der dieses sagte, denn er hat nicht wahres gesagt. Denn es hat sich uns gezeigt, daß es auf keine Weise gerecht sein könne irgend jemand Schaden zuzufügen. – Das gebe ich zu, sagte er. – Bestreiten also wollen wir es gemeinschaftlich, sprach ich, du und ich, wenn jemand behauptet, Simonides habe dieses gesagt oder Bias oder Pittakos oder irgend ein anderer von den weisen und gepriesenen Männern. – Ich wenigstens, sagte er, bin bereit mich dir beizugesellen zum Streit. – Aber weißt du wohl, sprach ich, wem mir jener Spruch anzugehören (336) scheint, welcher behauptet, gerecht sei den Freunden nutzen und den Feinden schaden? – Wem doch, sagte er. – Ich meine er gehört dem Periandros oder Perdikkas oder Xerxes oder Ismenias dem Thebäer oder sonst einem reichen und sich viel vermögend dünkenden Mann. – Vollkommen recht, sprach er, hast du darin. – Wohl, sagte ich! Da sich nun aber gezeigt hat, daß auch dieses nicht die Gerechtigkeit ist noch das Gerechte, was soll denn einer sonst sagen, daß es sei?

Thrasymachos nun war, auch schon während wir mit einander redeten, oft im Begriff gewesen in die Rede einzugreifen, war aber von den Anwesenden verhindert worden, welche gern unsere Rede zu Ende hören wollten. Nun wir aber inne hielten, nachdem ich dies gesagt hatte, konnte er nicht länger Ruhe halten, sondern raffte sich auf, und kam auf uns los, recht wie ein wildes Tier um uns zu zerreißen, so daß ich und Polemarchos ganz außer uns waren vor Schreck. Er aber rief mitten hinein und sagte, In was für leerem Geschwätz seid ihr doch schon lange befangen o Sokrates? und was für Albernheiten treibt ihr mit einander, indem ihr euch immer nur schmiegt und biegt einer vor dem andern? Sondern wenn du in der Tat wissen willst, was das gerechte ist: so frage nicht nur und setze etwas darein zu widerlegen, wenn einer etwas geantwortet hat, weil du wohl weißt, daß fragen leichter ist als antworten; sondern antworte auch selbst, und sage was du behauptest, daß das Gerechte sei. Und daß du mir nur nicht sagst, es sei das pflichtmäßige noch das nützliche noch das zweckmäßige noch das vorteilhafte noch das zuträgliche; sondern deutlich und genau sage was du davon sagst. Denn ich werde es nicht gelten lassen, wenn du dergleichen Geschwätz vorbringst. – Ich nun war ganz verzagt als ich das hörte, und sein Anblick machte mir Furcht, ja ich glaube, wenn ich ihn nicht eher angesehen hätte als er mich, würde ich stumm geworden sein. Nun aber hatte ich ihn, wie er nur anfing von der Rede wild zu werden, gleich zuerst angesehen, so daß ich im Stande war ihm zu antworten, und ihm wiewohl mit Zittern sagte, O Thrasymachos sei uns nicht böse! denn wenn wir gefehlt haben in der Untersuchung, ich und dieser: so wisse nur, daß wir ungern gefehlt haben. Denn glaube nur nicht, daß wir zwar, wenn wir Geld gesucht hätten, gewiß nicht gern so vor einander uns würden geschmiegt haben beim Suchen und uns den Fund verderbt, nun wir aber Gerechtigkeit suchen, eine Sache die so viel herrlicher ist als vieles Geld, wir so unverständig einander sollten geschont und uns nicht auf das eifrigste bemüht haben, daß sich hätte zeigen müssen, was sie recht ist. Sondern ich glaube wir können eben nicht. Und so wäre es denn weit billiger von euch ihr trefflichen uns zu bemitleiden (337) als uns zu zürnen. – Er nun, als er das hörte, lachte er laut auf sehr spöttisch und sagte, O Herakles das ist ja jene bekannte Verstellung des Sokrates! Aber das habe ich auch diesen schon vorhergesagt, daß du gewiß nicht würdest antworten wollen, sondern wieder Rückhalt suchen in der Verstellung und eher alles andere tun als antworten, wenn dich einer fragte. – Du bist eben weise, sprach ich, o Thrasymachos, und darum wußtest du recht gut, daß wenn du einen fragtest, wieviel zwölf ist, und ihm beim Fragen gleich vorhersagtest. Aber daß du mir nur nicht etwa sagst, Mensch, zwölfe sei zweimal sechs noch auch dreimal vier noch sechsmal zwei noch viermal drei, denn ich werde es dir nicht gelten lassen, wenn du dergleichen salbaderst: so war dir, denke ich, sehr gewiß, daß niemand dem antworten würde der so fragte. Aber wenn er nun zu dir sagte, O Thrasymachos, wie meinst du das? ich soll dir nichts antworten von dem was du genannt hast? etwa auch nicht, du wunderbarer, wenn es doch eines davon ist? sondern etwas anderes soll ich sagen als das wahre? oder wie meinst du? Was würdest du ihm hierauf antworten? – Sehr gut! sprach er. Als ob dies etwa jenem ähnlich wäre! – Das hindert ja nichts, sprach ich. Und wenn es auch nicht ähnlich ist, aber es erscheint doch dem Gefragten so: meinst du, daß er deshalb weniger antworten wird wie es ihm erscheint, mögen wir es ihm nun verbieten oder nicht? – Also sprach er nicht wahr, du willst es auch so machen? Du willst von dem, was ich dir verboten habe, etwas antworten? – Es sollte mich nicht wundern, sprach ich, wenn es mir bei näherer Überlegung so schiene. – Wie nun, sagte er, wenn ich eine andere Antwort aufstelle über die Gerechtigkeit, weit von allen diesen insgesamt, und eine bessere als diese, was soll dir dann widerfahren? – Was sonst, sprach ich, als was sich gebührt, das dem Nichtwissenden widerfahre. Es gebührt ihm aber zu lernen von dem Wissenden, und das möge mir auch widerfahren. – Du bist klug, sagte er. Aber außer dem Lernen zahle auch Geld. – Ja wenn ich welches haben werde, sprach ich. – Das hast du schon, sagte Glaukon. Also des Geldes wegen o Thrasymachos rede nur. Denn wir alle wollen dem Sokrates zuschießen. – Das glaube ich wohl! sagte er. Damit Sokrates es mache wie gewöhnlich, selbst nicht antworte, und wenn ein anderer antwortet, die Rede nehme und widerlege! – Wie aber o Bester, sprach ich, soll einer denn antworten, der zuerst nicht weiß und auch nicht behauptet zu wissen, und dem dann noch, wenn er auch eine Meinung hätte über diese Dinge, von einem gar nicht schlechten Mann verboten ist irgend etwas von dem zu sagen, was er für wahr hält? Also ist es ja weit billiger, daß du redest, denn du behauptest ja, daß du es weißt und daß du es vortragen kannst. Tue also ja nicht anders, sondern sei auch mir gefällig (338) durch deine Antwort, und entziehe es auch dem Glaukon nicht ihn zu belehren und die übrigen.

Als ich nun dieses gesagt, baten auch Glaukon und die andern ihn ja nicht anders zu tun. Und Thrasymachos, sah man ganz deutlich, hatte große Lust zu reden um sich Beifall zu erwerben, weil er glaubte eine gar schöne Antwort zu haben, zugleich aber stellte er sich an es durchsetzen zu wollen, daß ich der Antwortende sein sollte. Endlich gab er denn auch nach; und sagte dann, Dies ist die Weisheit des Sokrates, selbst will er nichts lehren, aber bei Andern geht er umher um zu lernen, und weiß es ihnen dann nicht einmal Dank. – Daß ich, sprach ich, von den Andern lerne, daran hast du recht gesagt o Thrasymachos; daß du aber behauptest, ich erstatte ihnen keinen Dank, daran falsch. Denn ich erstatte ihn soviel ich nur kann; ich kann aber nichts tun als nur sie loben; denn Geld habe ich nicht. Wie bereitwillig ich aber das tue, wenn jemand mir scheint gut zu reden, das wirst du gewiß sehr bald erfahren, wenn du deine Antwort gegeben hast, denn ich glaube du wirst gut reden. – Höre denn, sprach er. Ich nämlich behaupte das gerechte sei nichts anders als das dem Stärkeren zuträgliche. Aber warum lobest du es nicht? Du wirst gewiß nicht wollen. – Wenn ich nur erst verstanden habe was du meinst! denn jetzt weiß ich es noch nicht. Das dem Stärkeren Zuträgliche behauptest du, sei gerecht. Und dieses o Thrasymachos, wie meinst du es? Denn du behauptest doch nicht dergleichen, wie, wenn Polydemus der Hauptkämpfer stärker ist als wir und ihm nun Rindfleisch zuträglich ist für seinen Leib, diese Speise deshalb auch uns den Schwächeren als das jenem zuträgliche zugleich gerecht sei? – Du bist eben boshaft o Sokrates, sagte er, und fassest die Rede so auf, wie du sie am übelsten zurichten kannst. – Keinesweges o Bester, sagte ich, sondern sage nur deutlicher was du meinst. – Weißt du etwa nicht, sprach er, daß einige Staaten tyrannisch regiert werden, andere demokratisch und noch andere aristokratisch? – Wie sollte ich nicht? – Und dieses Regierende hat doch die Gewalt in jedem Staat? – Freilich. – Und jegliche Regierung gibt die Gesetze nach dem was ihr zuträglich ist, die Demokratie demokratische, die Tyrannei tyrannische und die andern eben so. Und indem sie sie so geben, zeigen sie also, daß dieses ihnen nützliche das gerechte ist für die Regierten. Und den dieses Übertretenden strafen sie als gesetzwidrig und ungerecht handelnd. Dies nun o Bester ist das, wovon ich meine, daß es in allen Staaten dasselbige gerechte ist, das der bestehenden (339) Regierung zuträgliche. Diese aber hat die Gewalt, so daß also, wenn einer alles richtig zusammennimmt, herauskommt, daß überall dasselbe gerecht ist, nämlich das dem Stärkeren zuträgliche. – Nun, sprach ich, habe ich verstanden was du meinst, ob es aber wahr ist oder nicht, das will ich erst versuchen zu erfahren. Das zuträgliche freilich o Thrasymachos hast du auch geantwortet sei gerecht, obgleich du mir verbotest, ich solle das nicht antworten; nur hier ist noch dabei das dem stärkeren. – Das ist also etwa wohl nur ein kleiner Zusatz! sprach er. – Noch ist nicht klar auch nicht ob es ein großer ist; aber daß wir dieses überlegen müssen, ob du es auch wahr gesprochen hast, das ist klar. Denn da, daß das Gerechte ein zuträgliches ist, auch ich eingestehe, du aber hinzusetzend behauptest es sei das dem stärkeren, und ich dies nicht weiß, so müssen wir es also überlegen. – Überlege es nur, sagte er. – Das soll geschehen, sprach ich. Und sage mir nur, behauptest du nicht auch, den Regierenden zu gehorchen sei gerecht? – Ich freilich. – Sind nun aber die Regierenden unfehlbar in jeglichem Staat oder solche, daß sie auch wohl etwas fehlen? – Auf alle Weise wohl, sagte er, solche, daß sie auch wohl etwas fehlen. – Also wenn sie unternehmen Gesetze zu geben: so geben sie einige zwar richtig, andere aber auch nicht richtig? – Das meine ich freilich. – Und ist nun richtig, wenn sie das ihnen selbst zuträgliche festsetzen, nicht richtig, aber wenn das unzuträgliche? Oder wie meinst du es? – So. – Was sie aber festsetzen, müssen die Regierten tun, und das ist das Gerechte? – Wie sollte es nicht! – Also nicht allein das dem Stärkeren zuträgliche zu tun ist gerecht nach deiner Rede, sondern auch das Gegenteil das nicht zuträgliche. – Was sagst du? sprach er. – Was du sagst, denke ich wenigstens; laß uns aber noch besser zusehen. Ist es nicht eingestanden, daß, indem die Regierenden den Regierten befehlen einiges zu tun, sie bisweilen des für sie besten verfehlen; was aber auch die Regierenden befehlen mögen, das sei für die Regierten gerecht zu tun? ist das nicht eingestanden? – Das glaube ich freilich, sagte er. – Glaubst du nun also, sprach ich, eingestanden zu haben, auch das den Regierenden und Stärkeren unzuträgliche zu tun sei gerecht, wenn die Regierenden wider Wissen was ihnen übel ist anordnen, und du doch sagst, diesen sei gerecht zu tun was jene angeordnet haben? Kommt es also nicht alsdann notwendig so heraus o weisester Thrasymachos, daß es gerecht ist, das Gegenteil von dem zu tun, was du sagst? Denn das den Stärkeren unzuträgliche wird dann den Schwächern anbefohlen zu tun. – Ja beim Zeus o Sokrates, sprach Polemarchos, das ist ganz offenbar. – Wenn du ihm freilich einzeugst, sagte Kleitophon (340) das Wort nehmend. – Was bedarf es denn, sprach jener, eines Zeugen? Denn Thrasymachos selbst gesteht ja ein, daß die Regierenden bisweilen, was für sie selbst übel ist, anordnen, und daß den Regierten gerecht sei dieses zu tun. Denn das von den Regierenden befohlene zu tun o Polemarchos hat Thrasymachos festgesetzt, daß es gerecht sei. Und auch das dem Stärkeren zuträgliche hat er gesagt sei gerecht. Und nachdem er dieses beides gesagt, hat er wiederum zugestanden, daß die Stärkeren bisweilen das ihnen selbst unzuträgliche den Schwächeren und Regierten befehlen zu tun. Und nach diesen Zugeständnissen nun wäre das dem Stärkeren zuträgliche um nichts mehr gerecht als das nicht zuträgliche. – Aber, sagte Kleitophon, unter dem dem Stärkeren zuträglichen hat er doch gemeint, was der Stärkere für ihn selbst zuträglich hielte, dieses müsse der Schwächere tun, und dies hat er als das gerechte festgesetzt. – Aber so, sprach Polemarchos, wurde doch nicht gesagt. – Das macht nichts aus o Polemarchos! sprach ich; sondern wenn Thrasymachos jetzt so erklärt, so wollen wir es so von ihm annehmen. Sage mir also o Thrasymachos, war es dieses, als was du das Gerechte beschreiben wolltest, das dem Stärkeren als ihm zuträglicher erscheinende, es mag ihm nun wirklich zutragen oder nicht? sollen wir sagen so meinest du es? – Ganz und gar nicht, sprach er. Aber meinst du denn, ich nenne den Stärkeren den der sich irrt, eben wenn er sich irrt? – Das glaube ich freilich, sagte ich, meintest du, als du eingestandest, die Regierenden seien nicht unfehlbar, sondern verfehlten auch manchmal etwas. – Du bist eben ein Verdreher o Sokrates, sprach er, in Reden. Denn gleich dieses, nennst du etwa den einen Arzt, der sich irrt in Absicht der Kranken, eben in Bezug auf das, worin er sich irrt? oder einen Rechenmeister, der im Rechnen fehlt, dann wann er fehlt in Bezug auf eben diesen Fehler? Aber ich meine, wir sagen wohl so in gemeiner Rede, der Arzt hat sich geirrt, der Rechenmeister hat sich geirrt und der Sprachmeister; ich meine aber ein jeder von diesen, sofern er das wirklich ist was wir ihn nennen, fehlt doch niemals. So daß nach der genauen Rede, weil doch auch du es so genau nimmst, kein Meister jemals fehlt. Denn nur wenn die Wissenschaft ihn im Stich läßt, fehlt der fehlende, in so fern als er kein Meister ist. So daß kein Meister oder Weiser oder Herrscher irgend fehlt dann wann er Herrscher ist. Aber jeder wird doch sagen, der Arzt hat gefehlt und der Regent hat gefehlt. Und dem ähnliches denke also, das auch ich dir jetzt geantwortet habe. Das ganz genaue aber ist jenes, daß der Regent, in so fern er Regent ist, nirgend fehlt, und wenn er nicht fehlt, das für ihn selbst beste festsetzt. Und dieses hat (341) der Regierte dann zu tun. Also, wie ich auch von Anfang an sagte, gerecht nenne ich das dem Stärkeren zuträgliche tun. – Wohl sprach ich, o Thrasymachos. Denkst du nun ich verfälsche und verdrehe? – Allerdings, sagte er. – Du denkst also ich habe hinterhältischerweise um dich in der Rede zu überlisten gefragt, was ich gefragt habe? – Das weiß ich sehr gut, sagte er, und es soll dir nichts helfen. Denn weder wirst du mir entgehn, wenn du überlisten willst, noch, wenn du mir nicht entgangen bist, mich mit Gewalt überwinden können in der Rede. – Auch möchte ich das gar nicht unternehmen du vortrefflicher, sprach ich. Allein damit uns nicht wieder so etwas begegnet: so bestimme nun, ob du den Regenten und Stärkeren meinst, wie man gewöhnlich redet, oder den nach der genauen Rede wie du jetzt sagtest, dessen als des Stärkeren, zuträgliches dem Schwächeren gerecht sein soll zu tun. – Den, sprach er, der nach der allergenauesten Rede der Regent ist. Und dagegen nun richte etwas an und verdrehe wenn du etwas kannst. Ich verbitte mir nichts von dir; aber es hat wohl keine Not daß du es können solltest. – Du meinst also wohl, sprach ich, ich könne so unsinnig sein, daß ich versuchte eine Löwen zu scheren oder den Thrasymachos in Reden zu übervorteilen? – Jetzt eben wenigstens, sagte er, hast du es versucht; aber freilich es war damit auch nichts. – Genug, sprach ich, von dergleichen. Aber sage mir, der Arzt nach der genauen Rede, von dem du jetzt sprachst, ist der ein Gelderwerber oder ein Versorger der Kranken? Und sprich mir nur von dem wahrhaften Arzt. – Der Kranken Versorger, sagte er, ist er. – Und wie der Steuermann? ist der wahre Steuermann der Schiffsleute Regent oder ein Schiffender? – Der Schiffsleute Regent. – Denn dies, denke ich, darf man nicht in Anschlag bringen, daß er mit in dem Schiffe fährt, noch ihn deshalb einen Schiffenden nennen. Denn nicht sofern er fährt heißt er Steuermann, sondern wegen seiner Kunst und seinem Regiment über die Schiffenden. – Richtig, sprach er. – Nun gibt es doch für jeden von diesen ein zuträgliches? – Freilich. – Ist nicht auch die Kunst, sprach ich, eben dazu da, um das jedem zuträgliche zu suchen und darzureichen? – Eben dazu, sagte er. – Gibt es nun etwa auch für jede Kunst noch ein anderes zuträgliches, dessen sie bedarf, oder ist jede selbst für sich hinreichend, um möglichst vollkommen zu sein? – Wie so fragst du das? – So wie, sagte ich, wenn du mich fragtest, ob der Leib wohl genug daran habe Leib zu sein, oder ob er noch sonst etwas bedürfe, ich sagen würde, allerdings bedarf er. Eben dazu ist ja die Kunst, die wir jetzt gefunden haben, die Heilkunst, weil der Leib elend ist und nicht zufrieden damit ein solcher zu sein. Damit sie nun diesem das zuträgliche darreiche, dazu ist die Kunst eingerichtet. Scheine ich dir nun, sagte ich, richtig zu sprechen, indem ich so sage, oder nicht? – Richtig, sprach er. – Wie aber (342) ist auch die Heilkunst selbst elend? oder ist irgend eine Kunst noch sonst einer Vollkommenheit bedürftig, wie die Augen der des Gesichtes und die Ohren der des Gehörs, so daß eben deshalb ihnen eine Kunst Not tut, die das zuträgliche hiezu ihnen aussinnt und verschafft? Ist so auch in der Kunst selbst eine Elendigkeit, daß jeder Kunst wieder eine andere Kunst Not tut, die ihr das zuträgliche aussinnt? und der aussinnenden wiederum eine andere solche? und geht das ins unendliche fort? oder wird jede schon selbst ihr zuträgliches besorgen? oder bedarf sie überhaupt weder ihrer selbst noch einer andern, um das für ihre Schlechtigkeit zuträgliche zu besorgen, weil ja nämlich gar keine Schlechtigkeit oder Fehler in gar keiner Kunst zu finden ist, noch auch einer Kunst zukommt für irgend etwas anderes das zuträgliche zu suchen als für das dessen Kunst sie ist, selbst aber ist jede als richtig auch ohne Fehl und ohne Tadel, so lange nämlich jede genau ganz ist was sie ist. Und untersuche nur nach jener genauen Rede, ob es sich so oder anders verhält. – So, sprach er, offenbar. – Also, sagte ich, besorgt auch die Heilkunst nicht das der Heilkunst zuträgliche, sondern das dem Leibe. – Ja, sagte er. – Noch die Reitkunst das der Reitkunst, sondern das den Pferden, noch auch irgend eine andere Kunst das ihr selbst, denn sie bedarf nichts weiter, sondern dem dessen Kunst sie ist. – So, sagte er, zeigt es sich. – Allein, o Thrasymachos, die Künste regieren doch und haben Gewalt über jenes, dessen Künste sie sind? – Hier gab er noch zu, aber sehr mit Mühe. – Also keine Wissenschaft besorgt oder befiehlt das dem Herrschenden zuträgliche, sondern das dem Schwächeren und von ihr selbst beherrschten. – Auch das gab er freilich am Ende zu, er suchte aber doch erst darum zu streiten. Nachdem er es nun eingestanden, sagte ich, nicht wahr also auch kein Arzt als Arzt sieht auf das dem Arzt zuträgliche noch befiehlt es, sondern das dem Kranken? Denn von dem wahrhaften Arzt ist eingestanden, er sei der über die Leiber die Regierung führt, aber nicht der Gelderwerber. Oder ist das nicht eingestanden? – Er bejahte es. – Nicht auch von dem wahrhaften Steuermann, daß er der die Schiffsleute regierende ist, und nicht der Schiffende? – Es ist eingestanden. – Nicht also wird ein solcher Steuermann und Befehlshaber das dem Steuermann zuträgliche bedenken und anordnen, sondern das dem Schiffenden und unter seinem Befehl stehenden. – Das bejahte er mit Not. – Also, sprach ich, o Thrasymachos bedenkt auch wohl kein anderer in keinem Amt, sofern er ein Regierender ist, das ihm selbst zuträgliche noch befiehlt es, sondern das dem Regierten und von ihm selbst gemeisterten; und auf dieses sehend und das diesem zuträgliche und angemessene sagt er was er sagt, und tut er alles insgesamt was er tut.

Als wir nun hier waren in der Rede und Allen schon offenbar (343) war, daß die Erklärung des gerechten sich in das Gegenteil umgesetzt hatte, hub Thrasymachos anstatt zu antworten an, Sage mir doch, o Sokrates, hast du wohl eine Amme? – Was doch? sprach ich. Solltest du nicht lieber antworten als dergleichen fragen? – Weil sie doch, sagte er, übersieht, daß du den Schnupfen hast und dich nicht ausschneuzt, da du es doch sehr nötig hast, wenn du ja nicht einmal weißt was Hirten sind und Schafe. – Weshalb doch recht? fragte ich. – Weil du glaubst, daß die Schäfer und Hirten das Gute für die Schafe und Rinder bedenken, und wenn sie sie fett machen und pflegen auf etwas anderes sehen, als was gut ist für ihre Herren und für sie selbst, und so auch von den Herrschern in den Städten die wahrhaft regieren meinst, daß sie anders gegen die beherrschten gesinnt sein wie einer auch gegen seine Schafe gesinnt ist, und etwas anderes bedenken bei Tag und bei Nacht, als wie sie doch sich selbst den meisten Vorteil schaffen können. Und so weit bist du ab mit deinen Gedanken von der Gerechtigkeit und dem gerechten, und der Ungerechtigkeit und dem ungerechten, daß du noch nicht weißt, daß die Gerechtigkeit und das gerechte eigentlich ein fremdes Gut ist, nämlich des Stärkeren und Herrschenden Nutzen, des Gehorchenden und Dienenden aber eigner Schade; die Ungerechtigkeit aber ist das Gegenteil, und herrscht über die in der Tat Einfältigen und Gerechten, die Beherrschten aber tun was jenem dem Stärkeren zuträglich ist, und machen ihn glücklich, indem sie ihm dienen, sich selbst aber auch nicht im mindesten. Du mußt dir aber, o einfältigster Sokrates, die Sache darauf ansehen, daß der Gerechte überall schlechter daran ist als der Ungerechte. Zuerst nämlich in allen Geschäften unter sich, worauf nur immer ein solcher mit einem solchen sich einlassen mag, wirst du niemals finden, wenn das Geschäft beendigt ist, daß der Gerechte mehr hat als der Ungerechte, sondern weniger; dann auch in denen mit der Stadt, wenn es irgend Beiträge gibt, so trägt von gleichem der Gerechte mehr bei, der andere aber weniger; und wenn Einnahmen, so gewinnt jener nichts, dieser aber viel. So auch wenn sie beide ein Amt verwalten, so hat auch davon der Gerechte, wenn auch keinen andern Schaden, doch daß seine eignen Angelegenheiten durch Vernachlässigung schlechter stehn, und daß er vom Staate gar keinen Vorteil zieht, weil er gerecht ist, und überdies noch, daß er sich bei seinen Verwandten und Bekannten verhaßt macht, wenn er ihnen in nichts gefällig sein will gegen die Gerechtigkeit; dem Ungerechten aber widerfährt von alle dem das Gegenteil. Ich meine nämlich den, welcher im Großen zu übervorteilen versteht. Diesen also betrachte, wenn du beurteilen willst, wieviel mehr es einem jeden für sich austrägt, wenn er ungerecht ist (344) als wenn gerecht. Am allerleichtesten aber wirst du es erkennen wenn du dich an die vollendetste Ungerechtigkeit hältst; welche den der Unrecht getan zum glücklichsten macht, die aber das Unrecht erlitten haben und nicht wieder Unrecht tun wollen zu den elendsten. Dies aber ist sogenannte Tyrannei, welche nicht im Kleinen sich fremdes Gut mit List und Gewalt zueignet, heiliges und unheiliges, Gemeingut und Eigentum, sondern gleich insgesamt alles, was wenn es einer einzeln veruntreut und dabei entdeckt wird, ihm die härtesten Strafen und Beschimpfungen zuzieht. Denn Tempelräuber und Seelenverkäufer und Räuber und Betrüger und Diebe heißen, die einzeln eine von dergleichen Übeltaten begehen. Wenn aber einer außer dem Vermögen seiner Mitbürger auch noch sie selbst in seine Gewalt bringt und zu Knechten macht, der wird anstatt dieser schlechten Namen glückselig und preiswürdig genannt, nicht nur von seinen Mitbürgern, sondern auch von den Andern, sobald sie nur hören daß er die ganze Ungerechtigkeit begangen hat. Denn nicht aus Furcht ungerechtes zu tun sondern zu leiden schimpft die Ungerechtigkeit, wer sie schimpft. Auf diese Art, o Sokrates, ist die Ungerechtigkeit kräftiger und edler und vornehmer als die Gerechtigkeit, wenn man sie im großen treibt; und wie ich von Anfang an sagte, das dem Stärkeren zuträgliche ist das gerechte, das Ungerechte aber ist das jedem selbst vorteilhafte und zuträgliche. Als Thrasymachos dieses gesagt, hatte er im Sinn fortzugehn, nachdem er uns wie ein Bader viel und reichlich Rede über die Ohren gegossen hatte. Allein die Anwesenden ließen ihn nicht, sondern nötigten ihn zu bleiben und Rede zu stehn über das Gesagte. Und auch ich meinerseits bat ihn gar sehr und sagte, o herrlicher Thrasymachos, was für eine Rede hast du uns hingeworfen, und gedenkst doch nun fortzugehn, bevor du hinreichend gezeigt hast oder erfahren, ob es sich so oder anders verhält! Oder meinst du, es ist eine Kleinigkeit, die du unternommen hast zu bestimmen, und nicht die Einrichtung des ganzen Betragens, wie es jeder von uns einrichten muß, um das zweckmäßigste Leben zu leben? – Ich glaube wohl etwa, sprach Thrasymachos, daß es sich anders verhält! – Du scheinst fast so, sprach ich, oder doch um uns dich gar nicht zu kümmern noch etwas daraus zu machen, ob wir besser leben oder schlechter, da wir ja nicht wissen, was du zu wissen behauptest. Also, o Guter, gib dir die Mühe es auch uns zu zeigen. Es wird dir ja auch nicht schlecht angelegt sein, was du so vielen als (345) wir sind Gutes erweisest. Denn gleich ich meines Teils sage dir, daß ich dir nicht glaube noch der Meinung bin, die Ungerechtigkeit sei vorteilhafter als die Gerechtigkeit, auch nicht, wenn einer sie ganz losläßt, und sie gar nicht hindert zu tun was sie nur will. Sondern, Bester, es sei einer ungerecht und vermöge auch unrecht zu tun, sei es nun versteckter Weise oder indem er es durchsetzt, dennoch überredet er mich nicht, daß das mehr Gewinn bringe als die Gerechtigkeit. Eben so nun ergeht es vielleicht noch manchem unter uns, nicht mir allein. Überzeuge uns also, du Vortrefflicher, hinreichend, daß wir uns nur schlecht beraten, indem wir die Gerechtigkeit höher halten als die Ungerechtigkeit. – Und wie, sagte er, soll ich dich überzeugen? denn wenn du durch das eben gesagte nicht überzeugt bist, was soll ich dir noch tun? Kann ich dir denn die Rede in die Seele hineintragen und sie da fest machen? – Nein beim Zeus, sprach ich, das ja nicht. Sondern zuerst, was du gesagt hast, dabei bleibe; oder, wenn du es umänderst, so ändere es offenbar um und hintergehe uns nicht. Nun aber siehst du wohl, o Thrasymachos, denn laß uns noch einmal das vorige betrachten, daß wie du zuerst den wahrhaften Arzt bestimmtest, du den wahrhaften Hirten hernach nicht geglaubt hast genau eben so festhalten zu müssen; sondern du glaubst, er hüte die Schafe, sofern er Hirt ist, nicht auf das Beste der Schafe sehend, sondern wie ein Gastgeber der ein Mal ausrichten will auf den Schmaus, oder auch auf den Kaufpreis wie ein Handelsmann nicht wie ein Hirt. Der Hirtenkunst liegt aber doch gar nichts anders ob, als daß sie dem, worüber sie gesetzt ist, das Beste darreiche; denn ihr eignes, daß sie ganz gut sei, ist ja schon hinreichend besorgt, so lange ihr nämlich nichts daran fehlt die Hirtenkunst zu sein. So glaube ich nun meines Teils müßten wir eben eingestehen von jeder Regierung, sofern sie Regierung ist, daß sie keines Andern Bestes bedenke als eben jenes des regierten und gepflegten, sowohl von der bürgerlichen Regierung als von irgend einer besonderen Oberaufsicht. Und glaubst du denn daß die Regierenden in den Städten, die wahrhaften nämlich, gern regieren? – Nein beim Zeus, sagte er, sondern ich weiß es ganz bestimmt. – Und wie, o Thrasymachos, sagte ich, siehst du denn nicht, daß jedes andere Regiment niemand gern führen will, sondern daß sie Lohn dafür fordern? weil nämlich nicht ihnen aus dem Herrschen ein Vorteil hervorgehn wird, sondern dem Beherrschten. Denn sage mir nur dieses, nennen (346) wir nicht jedesmal jede Kunst deshalb eine andere, weil ihr ein anderes Vermögen zukommt? Und Bester antworte ja nichts gegen deine Meinung, damit wir doch etwas zu Stande bringen. – Freilich deshalb, sagte er, eine andere. – Gewährt nun nicht auch jede von ihnen uns irgend einen besonderen Nutzen, nicht aber alle einen gemeinschaftlichen, wie die Heilkunst Gesundheit und die Steuermannskunst Sicherheit bei der Schiffahrt, und die anderen eben so? – Freilich. – Nicht auch so die Lohndienerei Lohn? denn dies ist ihr Vermögen. Oder nennst du Heilkunst und Steuermannskunst dieselbe? oder, wenn du nämlich genau bestimmen willst wie du ja angenommen hast, wirst du doch gewiß nicht, wenn ein Steuermann gesund ist weil das Seefahren ihm wohl bekommt, deshalb seine Kunst Heilkunst nennen? – Freilich nicht. – Und eben so wenig denke ich die Lohndienerei, wenn jemand auch beim Lohndienst gesund ist? – Freilich nicht. – Wie aber die Heilkunst Lohndienerei, wenn einer auch für das Heilen Lohn nimmt? – Nein, sagte er. – Und wir sind doch übereingekommen, daß der Nutzen jeder Kunst ein besonderer sei? – Das sei so, sagte er. – Welchen Nutzen also alle Künstler gemeinschaftlich erlangen, den müssen sie auch von etwas haben, was sie alle einer wie der andere außerdem anwenden. – Das ist deutlich, sagte er. – Sollen wir also sagen, der Lohn, den die Künstler als Nutzen davon tragen, komme ihnen daher, weil sie die lohndienerische Kunst noch dazu anwenden? – Er stimmte kaum bei. – Nicht also von eines jeden eigner Kunst kommt ihm dieser Nutzen, der Empfang des Lohns; sondern wenn man es genau erwägen will, bewirkt die Heilkunst die Gesundheit, und die lohndienerische Kunst den Lohn, die Baukunst das Haus, und die sie begleitende lohndienerische Kunst den Lohn. Und die andern insgesamt bewirken eben so jede ihr eignes Werk, und bringen dem Vorteil, worüber sie gesetzt sind. Und wenn nun kein Lohn damit verbunden ist, hat dann wohl der Meister einen Vorteil von der Kunst? – Es zeigt sich nicht, sagte er. – Also bringt sie ihm auch wohl keinen Vorteil dann, wann er sie umsonst ausübt? – Ich glaube es auch. – Also, o Thrasymachos, dies ist schon klar, daß keine Kunst oder Regierung ihren eignen Nutzen besorgt, sondern, was wir schon lange sagten, den des Regierten besorgt sie, und ordnet alles an auf das jenem zuträgliche sehend, welcher ja der Schwächere ist, und nicht auf das dem Stärkeren. Deshalb nun, o lieber Thrasymachos, sagte ich auch vorher, daß niemand gern daran gehe etwas zu regieren und fremdes Übel über sich nehme wieder in Ordnung zu bringen, sondern Lohn dafür fodere, weil derjenige, welcher seine Kunst gut ausüben will, niemals sein eignes Bestes besorgt, wo er nach seiner Kunst etwas anordnet, sondern dessen was er (347) regiert; weshalb denn, wie einleuchtet, ein Lohn da sein muß für die, welche sollen regieren wollen, sei es nun Geld oder Ehre, oder eine Strafe, falls sie es nicht tun. – Wie meinst du das, o Sokrates? sagte Glaukon. Denn jene beiden Arten des Lohnes kenne ich wohl, was für eine Strafe du aber meinst, die du als Lohn anrechnest, das habe ich nicht verstanden. – Also gerade den Lohn der Besten, sprach ich, verstehst du nicht, um dessentwillen die Rechtschaffensten regieren? Oder weißt du nicht daß ehrgeizig und geldgeizig zu sein für einen Schimpf gehalten wird und es auch ist? – Das wohl, sagte er. – Deshalb nun, sprach ich, mögen die Guten weder des Geldes wegen regieren noch der Ehre wegen. Denn sie wollen weder offenbar für ihre Amtsführung sich Lohn bedingen und Mietlinge heißen, noch wenn sie heimlich Gewinn davon machten Betrüger; und eben so wenig tun sie es der Ehre wegen, denn sie sind nicht ehrgeizig. Also muß ein Zwang für sie vorhanden sein und eine Strafe, wenn sie sollen regieren wollen; daher denn freiwillig an die Regierung gehen und nicht eine Notwendigkeit abwarten, beinahe für schändlich gehalten wird. Die größte Strafe aber ist, von Schlechteren regiert werden, wenn einer nicht selbst regieren will; und aus Furcht vor dieser scheinen mir die Rechtschaffenen zu regieren, wenn sie regieren. Und dann gehen sie an die Regierung, nicht als stände ihnen etwas gutes bevor, oder als dächten sie sich dabei sehr wohl zu befinden, sondern als an etwas notwendiges, weil sie weder Bessere, als sie selbst sind, haben um denen die Regierung zu überlassen, noch auch ihnen gleiche. Denn es scheint, wenn es eine Stadt von rechtschaffenen Männern gäbe, würde man sich um das Nichtregieren eben so streiten wie jetzt um das Regieren, und daraus würde dann offenbar sein, daß der in der Tat wahrhafte Herrscher nicht in der Art hat das ihm selbst zuträgliche zu bedenken, sondern das dem Regierten. Daher auch jeder Verständige vorziehn wird sich von Andern Nutzen bringen zu lassen, als sich viel zu schaffen zu machen um Andern zu nutzen. Dieses nun also gebe ich dem Thrasymachos keinesweges zu, daß das Gerechte das dem Stärkeren zuträgliche sei. Doch dieses wollen wir hernach noch betrachten. Noch weit wichtiger aber scheint mir das zu sein, was Thrasymachos jetzt sagt, indem er behauptet des Ungerechten Leben sei besser als des Gerechten. Du also, sprach ich, o Glaukon, welches wählest du? und was scheint dir richtiger gesagt zu sein? – Ich meines Teils, sagte er, daß des Gerechten Leben zweckmäßiger ist. – Hast du auch wohl gehört, sprach ich, was für Gutes Thrasymachos uns jetzt an dem des Ungerechten vorgerechnet hat? – Ich habe es zwar (348) gehört, sagte er, aber ich glaube es nicht. – Sollen wir ihn also, wenn wir irgend einen Weg dazu ausfinden können, überzeugen, daß er nicht richtig redet? – Wie sollte ich das nicht wollen? antwortete er. – Wenn wir nun zu seiner Rede eine entsprechende Gegenrede anlegen wollten, wieviel Gutes es wiederum hat gerecht zu sein, und dann er wieder eine und wir eine andere: so würde man die Güter zählen und messen müssen, die wir jeder dem andern vorhalten, und wir würden schon irgend Richter bedürfen, welche zwischen uns entschieden. Wenn wir aber wie bisher in der Untersuchung einander zum Eingeständnis zu bringen suchen: so würden wir selbst zugleich Richter und Redner sein. – Freilich. – Welches von beiden, sprach ich, gefällt dir nun am besten? – Das letzte, sagte er. –

So komm denn, sprach ich, o Thrasymachos, antworte uns von vorn an. Behauptest du, daß die vollständige Ungerechtigkeit förderlicher sei als die vollständige Gerechtigkeit? – Allerdings, sagte er, behaupte ich dies, und habe auch erklärt weshalb. – Wohlan! wie erklärst du dich denn was dieses betrifft über sie? Du nennst doch die eine von ihnen Tugend und die andere Laster? – Wie sollte ich nicht? – Also doch die Gerechtigkeit Tugend und die Ungerechtigkeit Laster? – Läßt sich das wohl denken, sagte er, du süßester? nachdem ich ja erklärt habe, daß die Ungerechtigkeit wohl förderlich sei, die Gerechtigkeit aber nicht? – Also wie denn? – Gerade das Gegenteil, sagte er. – Also die Gerechtigkeit Laster? – Das nicht, aber höchst gutartige Einfalt. – Also nennst du die Ungerechtigkeit Bösartigkeit? – Nein, sondern Klugheit, sagte er. – Dünket dich denn, o Thrasymachos, die Ungerechtigkeit auch vernünftig zu sein und gut? – Die sich recht vollkommen auf das Unrechttun verstehn, sagte er, ja, und die ganze Städte und Völker von Menschen wissen unter sich zu bringen. Du aber denkst vielleicht ich meine die Beutelschneider. Auch dergleichen ist freilich nützlich, sagte er, wenn es verborgen bleibt; aber dies ist nicht der Rede wert, sondern nur jenes was ich eben sagte. – Dieses, sagte ich, ist mir nicht unverständlich, wie du es meinst. Das aber wundert mich, wie du doch die Ungerechtigkeit auf die Seite der Weisheit und Tugend stellst, die Gerechtigkeit aber auf die entgegengesetzte. – So stelle ich sie allerdings. – Dieses, sprach ich, ist nun schon derber, o Freund, und nicht leicht etwas zu haben, was einer darauf sagen kann. Denn hättest du nur festgesetzt die Ungerechtigkeit nutze, zugleich jedoch eingestanden sie sei Laster und schändlich, wie einige Andere: so hätten wir gewußt was zu sagen, und hätten von angenommenem ausgehn können. Nun aber sieht man ja deutlich, du wirst auch sagen sie sei edel und kräftig, und ihr alles beilegen, was wir dem gerechten beilegen, nachdem du schon gewagt hast sie (349) auch in die Reihe der Tugend und Weisheit zu stellen. – Ganz richtig, sagte er, weissagst du. – Dennoch aber, sprach ich, muß man es nicht aufgeben der Rede untersuchend zuzusetzen, so lange ich nur noch glauben kann, daß du sagst was du denkst. Denn du scheinst mir jetzt ordentlich nicht Scherz zu treiben, o Thrasymachos, sondern was du von der Wahrheit der Sache selbst hältst, zu sagen. – Was, sprach er, liegt dir daran, ob ich so davon denke oder nicht, und warum hältst du dich nicht an die Rede? – Nichts freilich, sprach ich. Aber das versuche mir noch zu dem bisherigen zu beantworten. Ein Gerechter dünkt dich der gern mehr haben zu wollen als ein anderer Gerechter? – Keinesweges, sagte er. Sonst wäre er ja nicht so gutmütig wie er nun ist, und so einfältig! – Aber wie? mehr als die gerechte Handlung? – Auch nicht mehr als die. – Wollte er aber wohl vor dem Ungerechten sich einen Vorteil machen, und würde das für gerecht halten oder nicht? – Er würde es wohl dafür halten und es wollen; aber er kann es nicht. – Aber darnach, sprach ich, frage ich nicht; sondern nur, ob nicht der Gerechte zwar vor dem Gerechten nichts würde voraus haben wollen, wohl aber vor dem Ungerechten? – So verhält es sich freilich, sprach er. – Wie aber der Ungerechte? möchte der gern etwas voraus haben vor dem Gerechten und der gerechten Handlung? – Wie sollte er nicht, sagte er, da er ja über Alle Vorteil zu haben wünscht! – Also auch vor ungerechten Menschen und solchen Handlungen wird der Ungerechte voraus haben wollen und wetteifern, um unter allen immer selbst am meisten zu haben? – So ist es. – Wir sagen demnach so, sprach ich. Der Gerechte will vor dem Ähnlichen nichts voraus haben, aber vor dem Unähnlichen; der Ungerechte hingegen vor dem Ähnlichen und Unähnlichen. – Sehr gut ausgedrückt, sagte er. – Und, sprach ich, verständig und gut ist doch der Ungerechte, der Gerechte aber keines von beiden. – Auch das, sagte er, ist richtig. – Also, sprach ich, ist wohl auch der Ungerechte dem Verständigen und Guten ähnlich, der Gerechte aber nicht ähnlich? – Wie sollte denn nicht, sagte er, der selbst ein solcher ist auch solchen ähnlich sein, der aber nicht ein solcher auch nicht? – Richtig. Ein solcher also ist jeder von ihnen, wie die denen er gleicht. – Freilich, wie sollte er nicht? sprach er. – Wohl o Thrasymachos. Nennst du nicht einen tonkünstlerisch und einen andern untonkünstlerisch? – Das tue ich. – Welchen von beiden nun verständig und welchen unverständig? – Den Tonkünstlerischen doch wohl verständig und den Untonkünstlerischen unverständig. – Und so weit verständig auch gut, so weit unverständig aber schlecht? – Ja. – Wie mit dem Heilkundigen? nicht auch so? – Eben so. – Glaubst du also wohl bester, daß ein tonkünstlerischer Mann, der seine Leier stimmt, in der Anspannung und Nachlassung der Saiten vor einem andern tonkünstlerischen werde voraus haben wollen, und etwas darüber hinaus suchen? – Ich wohl nicht. – Aber über den untonkünstlerischen? – Notwendig, sagte er. – Und wie ein Heilkundiger, würde der in Essen und Trinken über einen heilkundigen Mann oder solche Handlung (350) hinaus wollen? – Wohl nicht. – Aber über den Nichtheilkundigen? – O ja. – Und nun sieh zu in jeder Wissenschaft und Unwissenschaftlichkeit, ob dir irgend ein Wissender scheint vor dem andern Wissenden voraus haben zu wollen in Tun oder Reden, und nicht vielmehr ganz dasselbe, was der ihm ähnliche in demselben Geschäft? – Es ist wohl notwendig, sprach er, daß dieses ja sich so verhält. – Wie aber der Unkundige? will der nicht gleicherweise vor dem Kundigen voraus haben und vor dem Unkundigen? – Vielleicht wohl. – Der Kundige aber ist doch der Weise. – Das denke ich. – Und der Weise der Gute? – Das denke ich. – Der Gute also und Weise wird vor dem Ähnlichen nichts voraus haben wollen, sondern nur vor dem Unähnlichen und entgegengesetzten. – So zeigt es sich, sagte er. – Der Schlechte aber und Törichte vor dem Ähnlichen und dem entgegengesetzten. – Offenbar. – Und nicht wahr der Ungerechte, sprach ich, o Thrasymachos will uns doch vor dem Ähnlichen und Unähnlichen voraus haben? oder sagtest du nicht so? – Ich freilich, sagte er. – Der Gerechte aber wird vor dem Ähnlichen nicht voraus haben wollen, sondern nur vor dem Unähnlichen. – Ja. – So gleicht also, sprach ich, der Gerechte dem Weisen und Guten, der Ungerechte aber dem Schlechten und Törichten. – So scheint es wohl. – Aber wir waren doch einig darüber, daß welchem jeder von beiden ähnlich sei, ein solcher sei auch jeder selbst. – Darüber waren wir einig. – Der Gerechte also hat sich uns bewiesen als der Weise und Gute, und der Ungerechte als der Törichte und Schlechte.

Thrasymachos nun gestand dies zwar alles ein, aber nicht so leicht als ich es jetzt erzähle, sondern nur dazu gezogen und mit Mühe und unter gewaltigem Schweiß, wie denn auch damals heißer Sommer war, und da sah ich, vorher aber nie, den Thrasymachos erröten. Nachdem wir nun dieses in Richtigkeit gebracht hatten, daß die Gerechtigkeit Tugend und Weisheit sei, die Ungerechtigkeit aber Schlechtigkeit und Torheit: so sprach ich, Wohl! dieses stehe nun so fest. Wir haben aber auch gesagt, die Ungerechtigkeit sei stark. Oder erinnerst du dich dessen nicht o Thrasymachos? – Ich erinnre es mich wohl, sagte er; aber auch was du jetzt sagst gefällt mir gar nicht, und ich hätte wohl dagegen zu sagen. Wenn ich es nun vortrüge: so weiß ich wohl würdest du sagen, ich hielte eine Rede wie vor dem Volk. Entweder also laß mich reden so viel ich will; oder wenn du fragen willst so frage, und ich werde dir wie die Kinder den Mütterchen die ihnen Märchen erzählen nur Gut antworten und zunicken, oder Verneinung schütteln. – Nur ja nicht, sprach ich gegen deine Meinung. – Damit ich dir nur den Gefallen tue, sagte er, weil du mich doch nicht reden läßt. Oder was willst du sonst noch? – Nichts beim Zeus, sprach ich! Sondern wenn du dies nur tun willst: so tue es, und ich will fragen. – Frage also. – Ich frage also dieses was auch vorher, damit wir doch die Sache in der Ordnung durchnehmen, wie sich wohl die Gerechtigkeit zur Ungerechtigkeit verhält? Denn gesagt ist, die Ungerechtigkeit sei sowohl mächtiger als (351) auch stärker als die Gerechtigkeit. Nun aber, sprach ich, wenn doch die Gerechtigkeit Weisheit und Tugend ist, wird sich, denke ich, sehr leicht zeigen, daß sie auch stärker ist als die Ungerechtigkeit, da ja diese Torheit ist. Das kann wohl niemand mehr verkennen. Aber ich begehre es gar nicht so schlechtweg, o Thrasymachos, sondern so zu betrachten. Du sagest eine Stadt sei ungerecht und strebe andere Städte unrechtmäßig sich zu unterwerfen, und habe sie sich auch unterworfen, viele auch halte sie in ihrer Gewalt nach der Unterwerfung. – Wie sollte sie nicht? sprach er. Und zwar wird die beste das am meisten tun, da sie ja auch am vollkommensten ungerecht ist. – Ich verstehe wohl, sagte ich, daß dies deine Rede war. Aber dies bedenke nur noch dabei, ob die Stadt, die mächtiger als andere geworden ist, diese Gewalt ohne Gerechtigkeit handhaben wird, oder notwendig mit Gerechtigkeit? – Wenn, sagte er, wie du eben sagtest, die Gerechtigkeit Weisheit ist, dann mit Gerechtigkeit; wenn es aber ist wie ich sagte, mit Ungerechtigkeit. – Das ist ja herrlich, sagte ich, o Thrasymachos, daß du nicht nur zuwinkst und abschüttelst, sondern auch gar schön antwortest. – Ich tue es dir eben zu Gefallen, sagte er. – Wohl tust du daran! Aber tue mir auch dieses zu Liebe und sage mir, Glaubst du daß wenn eine Stadt oder ein Heer oder auch Räuber und Diebe oder irgend anderes Volk, gemeinschaftlich etwas ungerechterweise angreift, solche irgend etwas werden ausrichten können, wenn sie sich auch unter einander Unrecht tun? – Wohl gewiß nicht, sagte er. – Wie aber wenn sie sich nicht Unrecht tun? dann wohl besser? – Freilich. – Denn die Ungerechtigkeit, o Thrasymachos, verursacht ihnen Zwietracht und Haß und Streit unter einander; die Gerechtigkeit aber Eintracht und Freundschaft. Nicht wahr? – So soll es sein, sprach er, damit ich nicht von dir abgehe. – Daran tust du wohl Bester. Aber sage mir dieses: Wenn nun dies das Werk der Ungerechtigkeit ist, Haß hervorzubringen wo sie ist: wird sie nicht auch, wenn sie sich unter Freie und Knechte mischt, machen, daß diese einander hassen und sich entzweien und unvermögend sind gemeinschaftlich miteinander etwas auszurichten? – Freilich. – Und wie? wenn sie sich unter zweien findet, werden nicht auch die uneins sein und sich hassen, und einander feind sein eben wie den Gerechten? – Sie werden es, sprach er. – Wenn nun aber du wunderbarer die Ungerechtigkeit in Einem wohnt, wird sie dann ihre Kraft verlieren? oder sie um nichts minder auch behalten? – Sie möge sie um nichts minder behalten, sagte er. – Scheint sie nun aber nicht eine solche Kraft zu haben, daß sie, wem sie einwohnt, sei es nun einer Stadt oder einem Geschlecht, einem Heere oder wem nur sonst, dieses zuerst unfähig macht etwas auszurichten mit sich selbst, wegen der Zwietracht und Streitigkeiten, (352) dann aber auch es mit sich selbst verfeindet und mit allem entgegengesetzten und dem gerechten. Ist es nicht so? – Freilich. – Und auch wenn sie in Einem ist, glaube ich wird sie alles dasselbige tun was sie in der Art hat zu bewirken, zuerst wird sie ihn unfähig machen etwas auszurichten, weil er im Zwiespalt ist und nicht einig mit sich selbst, dann auch feind sich selbst und den Gerechten. Nicht wahr? – Ja. – Und gerecht, lieber, sind doch wohl auch die Götter? – Das mögen sie sein, sprach er. – Auch den Göttern also wird der ungerechte feind sein, o Thrasymachos, der Gerechte aber freund. – Laß dir die Rede nur wohl schmecken in guter Ruhe! sagte er. Denn ich will dir gewiß nicht zuwider sein, damit ich mich diesen nicht verhaßt mache. – Wohl denn! sprach ich, füge auch noch das letzte zu meiner Bewirtung, indem du mir antwortest wie auch jetzt. Denn daß die Gerechten sich als weiser und besser und auch mächtiger im Handeln zeigen, die Ungerechten aber nichts mit einander auszurichten vermögen; ja daß auch, wenn wir von welchen sagen, daß sie gemeinschaftlich mit einander irgend etwas kräftig vollbringen wiewohl ungerecht, wir dieses nie vollkommen richtig sagen, indem sie ja auch einander nicht in Ruhe lassen würden, wenn sie vollkommen ungerecht wären, sondern noch etwas Gerechtigkeit in ihnen sein mußte welche sie bewog nicht auch einander, eben wie denen gegen welche sie gingen, unrecht zu tun, und durch welche sie eben verrichteten was sie verrichteten, nur daß sie auf ein ungerechtes Ziel losgingen aus Ungerechtigkeit als halbschlechte, weil ja die ganz Bösen und vollkommen Ungerechten auch vollkommen unvermögend sind etwas auszurichten, daß dieses alles sich so verhält, und nicht wie du es zuerst festgesetzt hast, verstehe ich schon: ob aber die Gerechten auch besser leben als die Ungerechten und glückseliger sind, welches wir uns zum andern zu erwägen vorgesetzt haben, das müssen wir erwägen. Sie zeigen sich freilich auch jetzt schon so, wie mir wenigstens scheint, aus dem was wir gesagt haben; dennoch aber wollen wir es noch genauer erwägen. Denn es ist nicht von etwas gemeinem die Rede, sondern davon, auf welche Weise man leben soll. – So erwäge denn, sprach er. – Das tue ich, sprach ich. Und sage mir also, dünkt dich wohl etwas das Geschäft des Pferdes zu sein? – O ja. – Und würdest du nicht das als das Geschäft des Pferdes und so auch jedes andern Dinges aufstellen, was einer entweder nur mit jenem allein, oder doch mit ihm am besten verrichten kann? – Ich verstehe nicht, sagte er. – Aber so. Kannst du wohl mit etwas anderm sehen als mit den Augen? – Wohl nicht. – Und wie? mit etwas anderem hören als mit den Ohren? – Keinesweges. – Mit Recht also würden wir dies für die Geschäfte dieser Teile erklären? – Freilich. – Und wie? könntest du nicht eine Weinrebe auch mit dem Schwerte abschneiden oder mit der Schere und vielen (353) andern Dingen? – Wie sollte ich nicht? – Aber mit nichts, glaube ich, doch so gut als mit der Hippe, die hiezu ausdrücklich gemacht ist. Sollen wir also nicht dies als das Geschäft von dieser feststellen? – Das wollen wir freilich. – Und nun glaube ich kannst du besser verstehen was ich eben fragte, als ich wissen wollte, ob nicht das eines jeden Geschäft wäre, was jedes entweder allein oder doch unter allen am besten verrichtet? – Jetzt, sagte er, freilich verstehe ich es, und mich dünkt dies eines jeden Dinges Geschäft zu sein. – Wohl, sprach ich. Und scheint dir nicht auch jegliches eine Tugend zu haben, dem ein Werk aufgetragen ist? Laß uns nur wieder auf dasselbe zurückgehn. Die Augen sagen wir haben ein Geschäft? – Das haben sie. – Gibt es nun nicht auch eine Tugend der Augen? – Auch eine Tugend. – Und wie nun mit allen andern? nicht eben so? – Eben so. – Halt nun! können wohl jemals die Augen ihr eigentümliches Geschäft gut verrichten wenn sie ihre eigentümliche Tugend nicht haben, sondern statt der Tugend Schlechtigkeit? – Und wie doch? sagte er. Denn du meinst doch wohl Blindheit statt der Scharfsichtigkeit. – Welches auch, sprach ich, ihre Tugend sein möge; denn darnach frage ich noch nicht; sondern ob durch seine eigentümliche Tugend jedes auch sein eigentümliches Geschäft gut verrichtet, was eines zu verrichten hat, durch Schlechtigkeit aber schlecht? – Ganz richtig sagst du dieses doch gewiß. – Also werden auch Ohren ihrer eigentümlichen Tugend beraubt ihr Geschäft schlecht verrichten? – Freilich. – Setzen wir nun auch alles andere nach derselben Regel? – Das dünkt mich. – Wohl denn, nächst diesem erwäge dies. Hat auch die Seele ihr Geschäft, was du mit gar keinem andern Dinge verrichten könntest? wie eben dergleichen, besorgen, beherrschen, beraten und alles dieser Art, könnten wir dies mit Recht irgend etwas anderem zuschreiben als der Seele, und behaupten daß es jenem eigentümlich sei? – Keinem anderen. – Wie nun aber leben? wollen wir dies auch für ein Geschäft der Seele erklären? – Ganz vorzüglich ja, sagte er. – Also auch sagen, daß es eine Tugend der Seele gebe? – Das sagen wir. – Wird also wohl jemals, o Thrasymachos, die Seele ihre Geschäfte gut verrichten können, wenn sie ihrer eigentümlichen Tugend beraubt ist? oder ist das unmöglich? – Unmöglich. – Eine schlechte Seele also wird notwendig auch schlecht beherrschen und besorgen, die gute aber alles dieses gut verrichten? – Notwendig. – Nun aber sind wir doch übereingekommen, die Tugend der Seele sei Gerechtigkeit, ihre Schlechtigkeit aber sei die Ungerechtigkeit? – Darin sind wir übereingekommen. – Die gerechte Seele also und der gerechte Mann wird gut leben, schlecht aber der Ungerechte. (354) – Das geht wohl hervor, sprach er, aus deiner Rede. – Und wer wohl lebt, ist der nicht preiswürdig und glückselig, wer aber nicht, das Gegenteil? – Wie könnte es anders sein! – Der Gerechte also ist glückselig und der Ungerechte elend. – Das mögen sie sein, sagte er. – Elend sein aber fördert nicht, sondern glückselig sein. – Das versteht sich. – Niemals also, o vortrefflicher Thrasymachos, ist die Ungerechtigkeit förderlicher als die Gerechtigkeit. – Hiermit also, sprach er, o Sokrates sollst du bewirtet sein zu den Bendideen[Das Fest der thrakischen Mondgöttin Bendis]! – Von deinetwegen, sprach ich, o Thrasymachos, da du mir milde geworden bist und aufgehört hast mir böse zu sein. Aber ich bin nicht gar herrlich bewirtet worden durch meine Schuld nicht durch deine! Sondern wie die Lecker immer zugreifen um von dem eben aufgetragenen zu kosten, ehe sie noch das vorige gehörig genossen haben: so komme ich mir auch vor, als ob ich, ehe noch gefunden war was wir zuerst suchten, nämlich, was doch das gerechte sei, von diesem abgelassen und mich zu jenem gewendet habe, zu der Untersuchung, ob es wohl eine Schlechtigkeit ist und Torheit oder eine Weisheit und Tugend; und als hernach wieder eine andere Rede dazwischen fiel, daß die Ungerechtigkeit vorteilhafter sei als die Gerechtigkeit, konnte ich mich nicht enthalten auch gleich wieder von jener zu dieser zu gehen. So daß ich jetzt durch das ganze Gespräch doch nichts gelernt habe. Denn so lange ich nicht weiß, was das gerechte ist, hat es gute Wege, daß ich wissen sollte ob es eine Tugend ist oder nicht, und ob der welcher es an sich hat nicht glückselig ist oder glückselig.


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