Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 1. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Don Melchior de Susa.

Eine spanische Novelle.

Don Melchior de Susa bewohnte seine urväterliche Burg auf einem waldichten Hügel des leonischen Gebürges. Er hatte alles, was die Thurnierfähigkeit eines Landjunkers beurkunden konnte: alte Pergamente und alte Schulden. Er behauptete, von einem der H. drei Könige abzustammen und bewies es mit seinem Taufnamen, welchen zehn seiner Ahnen geführt hatten, und durch seinen Geschlechtsnamen, der offenbar von der Residenz der alten Könige in Persien entlehnt war. Zum Unglücke reichte sein Stammbaum und sein Archiv nicht höher hinauf, als bis zu den Zeiten des Prinzen Pelagius, und da er seine Sippschaft schlechterdings bis zu Don Melchior dem Ersten, das ist, bis ins Jahr Christi Eins ergänzen wollte, so machte ihm diese diplomatische Arbeit so viel Kopfbrechens, daß sein Gehirn dadurch eben so sehr als das seines Jugendfreundes, des Helden von Mancha, durch das Studium der Ritterbücher, verschoben wurde. Was ihn aber noch mehr kränkte, war die Erlöschung seines Mannsstammes, denn, ach! er hatte nur eine einzige Tochter, und Donna Ximena, seine eheliche Hälfte, hatte hereits vor zehn Jahren die Wiege und den Gängelwagen, als einen hinfort unnöthigen Hausrath, auf 140 den Speicher tragen lassen. Sie war übrigens eine wackere, angenehme und kluge Matrone, welche die Grillen und Launen ihres Eheherrn gelassen ertrug, und so gut es nur immer möglich war, vor der Welt, das ist, vor den drei bis vier Nachbaren, die sie jährlich ein paarmal besuchten, zu verbergen wußte. Seine Tochter Blanka war, ohne es zu wissen, die schönste weibliche Figur, die seit Melchior dem Ersten die Familiengallerie geziert hatte: ein ächt römisches Profil, mit dunkelbraunen Locken und grossen schwarzen Augen, die jetzt noch nichts sagten, aber einst viel zu sagen versprachen. Die Farbe der Unschuld glänzte auf ihrer offenen Stirne, und die Farbe der Gesundheit auf ihren atlasglatten Wangen. Schlank, wie die junge Ceder, war ihr Wuchs, und wenn sie des Abends im Schloßwäldchen lustwandelte, so würde selbst Ovid sie für eine Nymphe der Diana gehalten haben. Ihre Mutter, einst die Helena des Gaues, gab sich alle Mühe, der Natur nachzuhelfen und die Reize des Mädchens durch alle Annehmlichkeiten zu erhöhen, womit sie selbst ehedem das Herz des Junkers gefesselt hatte. Blanka konnte die Zitter schlagen, mit lieblicher Stimme fünfzehn Romanzen dazu singen, und obendrein fertig lesen und schreiben, ja sogar ihr Credo und ihr Ave in lateinischer Sprache herbeten. Hiemit hielt die Mutter ihre Erziehung für vollendet, sie fühlte, daß 141 sie ihr nichts mehr geben konnte, und glaubte daher, daß sie nichts mehr brauchte. So großes Unrecht hatte sie eben nicht. Blanka war wirklich ein liebes, gutes Geschöpf, das nichts wünschte, als was es hatte, und in argloser Heiterkeit seine einsamen Tage verlebte.

So hatte sie ihr fünfzehntes Jahr zurückgelegt, als ihre Tante, Donna Elvira, die Wittwe eines alten Generals, ihre Eltern besuchte, um die letzten Wochen des Herbstes bei ihnen zuzubringen. Blanka, die sie sieben Jahre lang nicht gesehen hatte, fesselte beim ersten Anblicke ihr Auge und in den ersten Tagen ihr Herz. Das liebevolle Mädchen wußte sich durch sein unschuldiges, gefälliges Wesen und durch die kunstlose Anmuth, womit es seine kindlichen Dienste begleitete, so sehr einzunehmen, daß sie den Eltern um die Erlaubniß anlag, es mit sich nach Leon führen zu dürfen, wo sie ihren Wittwensitz hatte. Donna Ximena, welche das Glück ihrer Tochter auf das Testament dieser Schwester gründete, konnte ihr diese Gefälligkeit um so weniger abschlagen, da sie gar wohl einsah, daß der Aufenthalt in der Hauptstadt der Provinz dem Mädchen manchen Vortheil gewähren würde, den sie ihm auf dem Lande nicht verschaffen konnte, und Don Melchior ließ sich endlich auch dazu bewegen, als seine Schwägerin ihn versicherte, daß diese Reise ihn 142 keinen Maravedi kosten sollte. Blanka, die in ihrem Leben nicht aus dem Burgbanne ihres Vaters gekommen war, und sich keinen Begriff von einer Stadt machen konnte, wußte sich vor Freuden über diese Aussicht in eine neue Welt kaum zu fassen, und überhäufte ihre Tante mit den zärtlichsten Liebkosungen.

Drei kleine Tagreisen brachten sie nach Leon, wo Donna Elvira mit mütterlicher Sorgfalt bemüht war, ihrer Nichte eine auserlesene Gesellschaft und zugleich jede andere Gelegenheit zu verschaffen, ihre guten Anlagen zu entwickeln.

Drei Monate waren verstrichen, als die Geburt eines königlichen Prinzen den Statthalter veranlaßte, diese frohe Begebenheit durch ein Stiergefechte zu feiern. Der sämtliche benachbarte Adel wurde zu diesem Feste eingeladen, und da die Tochter des Statthalters eine von den Gespielinnen der jungen Blanka war, so wurde auch dieser eine Stelle auf dem Altan des Pallastes angewiesen, der dem Kampfplatze gegenüber stand. Das Schauspiel hatte für die empfindsame Seele des unverdorbenen Landmädchens wenig Reiz; es ward ihr erst wieder wohl, als die Kämpfer in den Versammlungssaal des Pallastes eintraten, um die errungenen Preise und die Glückwünsche der Gesellschaft zu empfangen. Don Diego de Castro, der Neffe des Statthalters, wurde von Donna 143 Blanka gekrönt. Seine Gefährten empfiengen den Lohn der Tapferkeit mit der Miene eines Gläubigers, der eine Schuld einzieht, und er, mit der liebenswürdigen Schaamröthe des Helden, den sein Verdienst in Verlegenheit setzt. Das Fest wurde mit einem Balle beschlossen, wobei Don Diego keinen Anlaß versäumte, sich der schönen Blanka zu nähern, und soviel der ernste Wohlstand erlaubte, sich mit ihr zu unterhalten. Es vergiengen keine zwo Stunden, so sah er nur sie, und Blanka vergaß über seinem Gespräche den Tanz, den sie seit ihrer Verpflanzung mit Leidenschaft liebte. Zum erstenmale fiel ihr der Gehorsam gegen ihre Muhme schwer, als diese ihr sagte, daß es Zeit sey, aufzubrechen. Sie folgte ihr, ohne ein Wort zu reden; aber nicht ohne einen Blick auf Don Diego zurückzuwerfen, der sie bis an ihre Sänfte begleitete. Tiefsinnig und unruhig legte sie sich zu Bette und verließ es sobald es tagte, ohne ein Auge geschlossen zu haben. Dieser Morgen war der erste, an dem sie nicht frisch, wie eine Rose, aus ihrer Kammer hervortrat, sondern mit bleichen Wangen und umwölkter Stirne ihrer Pflegemutter die Hand küßte. Diese hatte ihre Nichte zu scharf beobachtet, und wußte zu wohl, was in ihrem Herzen vorgieng, als daß ihre Klugheit erlaubt hätte, nach der Ursache ihres Trübsinnes zu fragen. Nach zween Tagen ließ Don Diego 144 sich bei ihr anmelden; Blanka, die sich in dem Zimmer befand, bemühte sich vergebens, ihre Verwirrung zu verbergen. Dieser Besuch, sagte die Tante, scheint Dich in Verlegenheit zu setzen: Wohlan, mein Kind, ich erlaube Dir, auf Dein Zimmer zu gehen, wenn ich glaube, daß Du Deine Kräfte gesammelt hast und Deine Gegenwart nöthig ist, werde ich Dich rufen lassen. Blanka wußte nicht, ob sie mehr über sich selbst oder über ihre Muhme zürnen sollte, und verließ mit einer stummen Verbeugung ihr Zimmer. Sie schmeichelte sich, daß der Besuch des Don Diego nicht sowohl die Muhme, als die Nichte gelte, und hierinn betrog sie sich nicht. Dieser junge Edelmann war zwar aus Leon; aber daselbst nur zween Tage vor dem Feste von Madrid angekommen, wo er unter der königlichen Leibwache diente. Seine Baase, Donna Isabella, hatte den Eindruck bemerkt, den ihre Freundin Blanka bei dem Ball auf ihn gemacht hatte, und ihm soviel von ihrem Lobe gesagt, daß er sie nach zween Tagen so gut kannte, als ob er ganze Wochen in ihrer Gesellschaft gelebt hätte. Man darf sich also nicht wundern, daß sein erster Besuch bei Donna Elvira eine Anwerbung um ihre Nichte war. Die gute Matrone, welche die Familie und das große Vermögen des jungen Mannes kannte, gab seinem Antrage ein desto geneigteres Gehör, da ihr wohlseliger Gemahl, 145 ein alter Waffenbruder des Statthalters, ihr seinen Neffen immer als einen edlen und liebenswürdigen Offizier gerühmt hatte. Sie erklärte ihm, daß sie den Werth dieser Verbindung zu schätzen wisse, daß aber Blanka von ihren Eltern abhänge, bei denen sie seine Wünsche mit Vergnügen unterstützen wolle. Bei meiner Nichte, setzte sie lächelnd hinzu, kann ein Mann von Don Diegos Verdiensten keine ungünstige Aufnahme befürchten; zumal da ich weiß, daß ihr Herz von keinem fremden Gegenstand eingenommen ist. Nun wurde Blanka gerufen: sie hatte Zeit gehabt, sich zu fassen, und empfieng ihren Freyer mit jener holdseligen Majestät der Unschuld, welche den alten Germanen eine Jungfrau zu einem geheiligten Wesen machte. Sie setzte sich neben ihre Tante auf den Sofa, und nun folgte eine stumme Szene, bei welcher die Herzen der beiden Liebenden nicht stumm blieben, und die endlich von Elviren unterbrochen wurde. Schöner kann selbst ein Corregio die Wangen einer Madonna bei dem Gruße Gabriels nicht erröthen lassen, als Blanka erröthete, da ihre Tante sie von den Absichten des Don Diego unterrichtete. Ein süßes Erstaunen band ihr einige Augenblicke die Zunge; dann sagte sie halbleise: meine Eltern haben über mich zu gebieten und mich noch nie des Ungehorsams beschuldigt. Das Herz des Don Diego 146 machte ihm über diese Antwort einen zu günstigen Commentar, als daß er es für nöthig gefunden hätte,. einen von Blanka zu fordern. Die Tante nahm die Anwerbung bei den Eltern über sich; und da sie den Schwager Melchior kannte, so hielt sie es fürs Beste, die Unterhandlung mündlich zu betreiben. Nach einigen Tagen, wovon jeder mit einem Besuche von Don Diego bezeichnet war, der ihm von dem Gehorsam seiner Geliebten die süsseste Hofnung gab, machte die gute Tante, von ihrer Nichte begleitet, sich auf den Weg und langte ohne das mindeste Abentheuer auf der ritterlichen Burg an. Sie war mit Blanka übereingekommen, sich vor allen Dingen mit ihrer Mutter über den Gegenstand ihrer Gesandtschaft zu besprechen. Denn ob sie gleich von Seiten des Junkers keinen Korb fürchtete, so wußte sie noch gar wohl, daß Seine orientalische Durchlaucht, wie viele hohe Häupter vor und nach ihm, sich in seinen Audienzen bisweilen etwas unwirsch gebehrdete. Donna Ximena war über den Antrag ihrer Schwester vor Freuden außer sich; das Glück ihrer Blanka war ihre größte irdische Sorge, und dabei kützelte sich ihre Eitelkeit an dem Gedanken, einen der reichsten und angesehensten Hidalgos von Leon zum Eidame zu haben. Die Unterredung mit dem Junker ward auf den folgenden Morgen festgesetzt, und Blanka bekam den Auftrag, 147 für das Frühstück zu sorgen, durch welches die Conferenz eröffnet werden sollte. Das holde Mädchen verrichtete das Geschäfte mit einem so glücklichen Erfolge, daß der Vater ihr eine zwote Tasse Chocolade forderte und kein Auge von ihr verwandte, als sie ihm mit der Anmuth einer Hebe sie einschenkte. Ihr müsset gestehen, Don Melchior, sagte seine Schwägerin, als die Nichte sich hinweg begeben hatte, daß der Aufenthalt in der Stadt unserer Blanka nicht nachtheilig war. Sie hat an innern und äussern Reizen gewonnen, und ich darf sagen, daß sie bei dem letzten Feste jedermanns Bewunderung auf sich zog.

Don Melchior. Alles schön, alles gut. Allein wird sich das Mädchen wohl wieder an das schlechte Landleben gewöhnen können?

Donna Ximena. Warum nicht? sobald ihr Vater sie in die Einsamkeit zurück ruft.

Donna Elvira. Ueberdieses kömmt es nur auf ihren Vater an, sie in der Stadt versorgt zu sehen und sie dort so oft zu besuchen, oder hier so oft von ihr besucht zu werden, als sein Herz es verlangen kann.

Don Melchior. Wie meynet Ihr das?

Donna Elvira. Ich meyne, daß ein edler, liebenswürdiger und reicher Freier sich für Eure Tochter zeigt, der nur auf Eure Erlaubniß wartet, um Euch seine Wünsche vorzutragen. 148

Don Melchior. So! und wer ist dieser Freier?

Donna Elvira. Don Diego de Castro, der Neffe des Statthalters.

Hier zog des Junkers Stirne sich in tiefe Furchen; düstere Wolken ruhten auf seinen Augbraunen; er warf seine Habichtsnase empor, die sein Knebelbart gleich einer Parenthese umklammerte.

Don Melchior. Diego de Castro? der ist kein Gemahl für meine Tochter; Blanka ist noch wohl eines alten Christen werth, und man weiß ja, daß der Ururältervater dieses Diego ein Maure war.

Donna Elvira. Wer wird sich bei dem Ururenkel an den Ururältervater erinnern? Diego galt in ganz Spanien für einen guten Hidalgo, und wenn ich mich nicht betrüge, so stammte dieser Ururältervater, der Euch so sehr ärgert, aus dem Geblüte der Könige von Granada.

Don Melchior. Ganz recht; und diese Könige von Granada waren Heiden, und ihre Weiber waren weiter nichts als Sklavinnen.

Donna Ximena. Allein, mein lieber Gemahl, es ist von dem Glücke unsrer Tochter die Rede. Diego ist Hauptmann bei der königlichen Leibwache; er hat schon glänzende Proben seiner Tapferkeit abgelegt und besitzt ein ansehnliches Vermögen.

Don Melchior. Und wenn er alle Schätze Indiens besässe, so könnten sie den Schandfleck 149 seiner Geburt nicht zudecken. Mit einem Worte, ich will nichts mehr von dieser Heirath hören.

Der Junker sprach diesen Epilog in einem so derben Tone, daß die Damen das Herz nicht hatten, die Unterredung fortzusetzen.

Blanka konnte ihre Thränen nicht verbergen, als ihre Muhme sie von dem schlechten Fortgang ihrer Unterhandlung benachrichtigte. Doch gab sie noch nicht alle Hofnung auf, und erwartete eine glückliche Revolution von der persönlichen Erscheinung des Freiers, der, laut genommener Abrede, in drei bis vier Tagen eintreffen sollte. Unterdessen versuchte es Donna Ximena, ihrem Eheherrn die Vortheile zu schildern, welche für ihre Tochter und für ihn selbst aus dieser Verbindung erwachsen würden. Allein er blieb dabei, daß Blanka nur einem alten Christen und alten Edelmanne ihre Hand reichen könne. Endlich kam Don Diego auf dem Schlosse an. Die beiden Matronen befanden sich eben im Garten, und liessen ihn, da der Junker zum Glücke wieder an seiner Stammtafel arbeitete, durch die Kammerfrau der Donna Elvira zu sich führen. Diese stellte ihn ihrer Schwester vor, die bei der Freundlichkeit, womit sie ihn bewillkommte, den Kummer nicht verbergen konnte, der an ihrem Herzen nagte. Donna Elvira benutzte den ersten Augenblick, um ihn beiseite zu nehmen, und ihn 150 von den günstigen Gesinnungen der Mutter und von der grillenhaften Widersetzlichkeit des Vaters seiner Geliebten zu unterrichten. Seyd gutes Muths, sagte sie endlich, Blanka muß Euch werden; und wenn mein aberwitziger Schwager der Vernunft kein Gehör geben will, so werden wir andere Mittel finden, Euer Glück und das Glück seiner Tochter zu befördern. Nun wurde Donna Ximena vorangeschickt, um dem Junker den fremden Gast anzumelden. Es kostete nicht wenig Mühe, bis sie ihn bewegen konnte, ihn vor sich zu lassen. Wüßte ich seine Absichten nicht, sagte er, so würde er mir als Neffe des Statthalters willkommen seyn. Er empfieng den jungen Mann mit feierlicher Gravität, und als die ersten Complimente vorbei waren, sagte er ihm ohne Umschweif: Ich weiß, Don Diego, was Euch hieher führt; es ist unnöthig, daß ich Euch den Bescheid wiederhole, den ich meiner Schwägerin gegeben habe. Mein Entschluß ist unabänderlich; lieber würde ich meine Tochter in ein Kloster sperren, als sie mit einem neuen Christen vermählen. Don Diego wußte nicht, ob er über den Thoren lachen oder zürnen sollte. Der Gedanke, daß er der Vater seiner Blanka sey und die Erinnerung an das Versprechen der Donna Elvira erstickten in ihm beides, die Versuchung zum Spotte und zum Unwillen, und gaben ihm die Kraft, eine 151 gleichgültige Unterredung anzufangen, welche die beiden Damen, so gut sie konnten, belebten. Die Abendmahlzeit war kurz und traurig. Blanka hatte sich durch eine Unpäßlichkeit entschuldigen lassen, dabei zu erscheinen; des folgenden Morgens aber fand sie sich auf dem Zimmer ihrer Tante ein, mittlerweile ihre Mutter den Junker unter allerhand Vorwänden auf dem seinigen gefangen hielt. Don Diego benutzte diesen Augenblick, um der Gebieterin seines Herzens, in Beiseyn ihrer Muhme, die Gelübde seiner Zärtlichkeit zu erneuern; und diese, durch die Gegenwart einer so ehrwürdigen Zeugin, und selbst durch die Härte ihres Vaters mit ungewöhnlichem Muthe beseelt, schwur ihm eine unverbrüchliche Gegenliebe. Hierauf verfügte Donna Elvira sich zu ihrem Schwager, um ihn zu fragen, ob er auf seinem gestrigen Entschlusse beharre? und als er bei seinen Ahnen betheuerte, daß nichts ihn davon abbringen solle, erklärte sie ihm, daß sie gesonnen sey, in Don Diego's Begleitung noch denselben Morgen ihre Rückreise anzutreten. Blanka soll hier bleiben, unterbrach sie der gestrenge Junker; das soll sie, erwiederte die Muhme, ich habe ihr bereits meinen Abschiedskuß gegeben. Das arme Mädchen lag trostlos auf dem Bette, als der Wagen davonrollte, der den Gegenstand und die Beschützerin ihrer Liebe hinwegführte, und es vergieng mehr als ein Tag, 152 bis die Liebkosungen ihrer Mutter und ein Briefchen ihres Geliebten, das Donna Elvira ihr zuschickte, ihr die Kraft gaben, das Zimmer zu verlassen. Ihre Hofnung fieng bereits an wieder zu wanken, und selbst Donna Ximena wußte sich das Stillschweigen ihrer Schwester nicht zu erklären, als eines Abends ein Fremder sich bei Don Melchior anmelden ließ, und eine geheime Audienz bei ihm begehrte. Der Junker verschloß sich mit ihm in seinen Ahnensaal, so nannte er die rauchigte Stube, darin die Bildnisse seiner Vorfahren auf ein großes, in 32 Felder abgetheiltes Brett geklext, aufgehangen waren. Drei Stunden hatte die geheime Conferenz gedauert, als Don Melchior mit einem wonnestrahlenden Gesichte seine Gespons aufsuchte und ihr den gemessenen Befehl gab, den fremden Gast auf das beste zu bewirthen. Darf man fragen, wer er ist? antwortete Ximena. Ein Wundermann, dem das ganze Reich der Todten zu Gebote steht, und der mir durch eine kabbalistische Operation meine Ahnentafel ergänzen will. In diesem Augenblicke ist er mit der Beschwörung eines meiner dienstbaren Geister beschäftigt, der ihm den großen Tag offenbaren soll, welcher alle meine mühsamen Nachforschungen endigen und mich zum ältesten Hidalgo der christlichen Welt machen wird. Ob nun gleich Ximena sich überzeugt hielt, daß ihr 153 Gemahl in das Netz eines Betrügers gerathen war, so wagte sie es doch nicht, ihm ein Wörtchen einzureden, sondern versprach ihm, seinen Befehl zu befolgen. Erst nach einer Stunde ließ der Thaumaturg den Junker wieder vor sich, und bedeutete ihm mit einer geheimnißvollen Miene, daß die große Offenbarung in neun Tagen vor sich gehen werde. Nun führte Don Melchior seinen Gast in das Speisezimmer, wo seine Gemahlin und Tochter sie schon lange erwarteten. So sehr jene sich Gewalt anthat, dem Zauberer ein freundliches Gesicht zu machen, so entwischten ihr doch einige Blicke der Verachtung, die seinem Falkenauge nicht entgiengen. Ueber dem Nachtische besann sich der Junker, daß er vergessen hatte, dem Don Merlino, so nannte sich der Fremde, sein tausendjähriges Familiensiegel, das den Stern der heiligen drei Könige im blauen Felde vorstellte, vorzuweisen, und stund eilends auf, es zu holen. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, so sagte Merlino zu Donna Ximena, indem er ihr ein Briefchen zustellte: es kömmt von Donna Elvira. Dieses mündliche Supplement war nothwendig, indem Ximena sich bereits in Positur setzte, die Hand des vermeynten Gauners von sich zu stossen. Der geschäftige Junker ließ ihr kaum Zeit, das Briefchen zu verbergen und dem Ueberbringer ein Wort der Entschuldigung 154 zuzuflüstern. Er kam mit dem Siegel zurück, das er wie eine Reliquie vor die Brust hielt, indem er zugleich die Frage aufwarf, ob der Stern der heiligen drei Könige ein Planet, ein Comet, oder ein Fixstern gewesen sey? Der Astrolog erklärte sich für das letzte, und sein Schüler gab ihm Beifall, weil der Stern auf seinem Siegel weder einen Bart, noch einen Schwanz hatte. Donna Ximena und ihre Tochter mußten sich nun alle Gewalt anthun, um ihren schleunigen Uebergang von der Traurigkeit zur Freude zu verbergen, und kaum war die Tafel aufgehoben, so begaben sich beide hinweg, um das Handbriefchen der Donna Elvira zu öffnen. »Ehe wir, hieß es, durch einen gerichtlichen Schritt, der Deinen Gemahl dem öffentlichen Spotte aussetzen würde, ihm seine Einwilligung in das Glück seiner Tochter abnöthigen, wollen wir ein Mittel versuchen, das seiner Thorheit schmeicheln und, wie wir hoffen, unsere Absicht eben so sicher befördern wird. Der Ueberbringer dieses Blatts verdient Dein ganzes Vertrauen. Lege seinem Plane keine Hindernisse in den Weg. Für das übrige wird er sorgen. Suche ihn allein zu sprechen.«

Elvira.

Dieser letzte Punkt war keine leichte Sache. Mutter und Tochter berathschlagten sich vergebens bis Mitternacht über ein Mittel, sich mit Merlino 155 zu unterreden, als Blanka, die von ungefehr an das Fenster trat, ihn im Garten erblickte. Sie erriethen seine Absicht und schlichen beide durch eine Wendeltreppe hinunter, welche von dem Schlafgemache des Junkers weit entfernt war. Merlino kam ihnen entgegen und ward in eine Laube geführt, die der junge Frühling eben anfieng, mit frischem Geißblatt zu decken. Ich werde Morgen verreisen, gnädige Frau, und in neun Tagen mit einem Begleiter wiederkommen, den Ihr in der Alkove des Ahnensaals verbergen müsset. Dieses kann während der geheimen Unterredung geschehen, die ich an einem andern Orte mit Don Melchior veranstalten werde. Fasset guten Muth; alles wird nach Wunsche gehen. Itzt beurlaubte sich der Zauberer, und die Dame kehrte auf ihr Zimmer zurück. Des folgenden Morgens reiste er ab, nachdem ihm der Junker wohl zehnmal eingeschärft hatte, keinen Augenblick über den gesetzten Termin auszubleiben. In dieser Zwischenzeit herrschte nichts als Heiterkeit auf dem Schlosse. Der Junker trug sich mit dem süssen Gedanken herum, ein Werk, das für ihn der Stein der Weisen war, nach so vieljährigen vergeblichen Versuchen in kurzem vollendet zu sehen. Die Damen, besonders Blanka, fanden in den Verheissungen des Magiers eine um so reitzendere Nahrung für ihre Einbildungskraft, da das Geheimniß, 156 worein er sich hüllte, schon an sich ihren Vorwitz aufs höchste spannen mußte.

Als der große Tag erschien, an dem Merlino wieder kommen sollte, lauerte der Junker beständig an einem Tagloche seines Speichers, das ihm die Aussicht nach dem Wege öffnete, der durch den Wald auf seine Burg führte. Allein die Nacht brach ein, ohne daß er sich blicken ließ, und der Alte hatte bereits eine Stunde seinen Posten mit traurigem Unwillen verlassen, als drei Schläge an das Hofthor ihm die Ankunft seines Gastes verkündigten. Don Melchior empfieng ihn mit der Ehrerbietung eines Clienten, und wollte ihn in den Ahnensaal führen. Nein, gestrenger Herr, sagte der Zauberer, ehe die Stunde schlägt, da die Beschwörung vor sich gehen kann, dürfen wir die Stätte nicht betreten, die Euere erlauchten Vorfahren sich zum Orte ihrer Erscheinung gewählt haben. Wir müssen diesen Augenblick ohne Licht, in einem Zimmer gegen Aufgang der Sonne, erwarten. Der Junker führte ihn in sein Cabinet, welches auf der dem Saale gerade entgegengesetzten Seite lag, und Merlino unterhielt ihn in einem feierlichen Tone von dem großen Schauspiel, das er zu gewarten, und von dem strengen Stillschweigen, das er bei Gefahr seines Lebens während der ganzen Szene zu beobachten habe.

Unterdessen lauschten die Damen auf seinen 157 Begleiter, der sie nicht lange harren ließ. Es war ein schwarzer, langbärtiger Mann mit einem Kasten auf dem Rücken und einem Glöckchen in der Hand, womit er das abgeredete Losungszeichen gegeben hatte. Donna Ximena öffnete ihm die Thüre, und Blanka gieng mit einer Blendlaterne voran, um ihm den Weg nach dem Ahnensaale zu weisen. Der Fremde sprach kein Wort, bis er an Ort und Stelle war, nun riß er seinen Bart vom Kinne, warf sich der Donna Blanka zu Füßen, und sagte zu den erschrockenen Damen: Don Melchiors Eigensinn nöthigt mich zu einer List, die ich mir nicht erlauben würde, wenn ich mir nicht schmeicheln dürfte, mit meinem Glücke zugleich das Glück meiner Geliebten und ihrer würdigen Mutter zu gründen. Vergebt mir diesen Stolz, gnädige Frau, sagte er zu Donna Ximena; ich hoffe, ihn, ehe es noch einmal Abend wird, wenigstens zum Theil, zu rechtfertigen. Nun muß ich vor allen Dingen meine Zubereitungen machen. Don Diego wurde in den Alkoven geführt, er bat um ein paar Wachskerzen und um die Blendlaterne, womit Donna Blanka ihm geleuchtet hatte. Während er seinen Kasten auspackte, erzählte er den Damen, daß Merlino ein geschickter italiänischer Mahler sey, den er mit sich von Madrid nach Leon gebracht, und mit Genehmhaltung der Donna Elvira zum Vertrauten 158 einer Liebe gemacht habe. Dieser sey der Urheber des Planes, zu dessen Ausführung sie beide angekommen wären, nachdem sie sich schon über acht Tagen mit den nöthigen Zurüstungen auf einem benachbarten Meierhofe der Donna Elvira beschäftigt hätten. Suchet, so schloß er seine Erzählung, von dem Junker die Erlaubniß auszuwirken, der Geisterbeschwörung beizuwohnen; da Ihr nun die Zauberer kennet, so wäre es überflüßig, Euch zu versichern, daß alles ganz natürlich zugehen wird. Nun verliessen die Damen den Saal, und bald darauf erschien der Junker mit Merlino auf ihrem Zimmer, wo laut gegebenen Befehl ein Abendbrod und eine Flasche Sekt sie erwartete, davon Blanka nicht ermangelt hatte, die Competenz ihres Liebhabers abzuziehen. Die Mahlzeit war kurz; Don Melchior juckte beständig auf seinem Stuhle, und Merlino aß und sprach wenig, wie einem Manne ziemet, der im Begriffe steht, sich mit den Geistern der Vorwelt zu unterhalten. Als man vom Tische aufstand, wagte Donna Ximena bei ihm die Bitte, der magischen Operation beiwohnen zu dürfen, wovon ihr Gemahl seit seinem letzten Besuche ihr eine so große Erwartung beigebracht habe. Der Junker schüttelte den Kopf, und sagte: Dergleichen Dinge dürfen Weiber sich zwar erzählen lassen, aber nicht selbst mit ansehen. Merlino schwieg einen 159 Augenblick stille., dann sprach er in einem richterlichen Tone: Don Melchior, Euere Ahnen sind auch die Ahnen Euerer Tochter; es wird gut seyn, ihr junges Herz mit der Durchlauchtigkeit ihrer Abkunft zu erfüllen, und es dadurch gegen jede unedle Neigung zu bewaffnen. Recht so, mein weiser Freund, erwiederte der Junker, der in dieser Rede ein wahres Orackel fand: es wird auch ihrer Mutter nichts schaden, von meinen großen Vorfahren eine Lehre zu empfangen, die ich ihr seit einiger Zeit vergebens einzuschärfen suchte. Mit diesen Worten ergriff er einen Leuchter, und stieg mit wallender Ungeduld nach dem mystischen Saale voran, wohin ihm die Gesellschaft folgte. Hier fehlt noch etwas, sagte Merlino, es liegt in der Natur der Geister, an den Mauern hin zu wallen; sie lieben die weiße Farbe, und diese bräunliche Wand würde den Glanz der ehrwürdigen Schatten verdunkeln; sie muß mit einem weißen Lacken bekleidet werden. Flugs befahl der Junker seiner Gemahlin, das niederländische Betttuch herbeizuholen, auf welchem er sein Beilager gefeiert hatte, und in wenig Minuten war die rußigte Mauer damit tapeziert. Nun zog Merlino einen mit den zwölf himmlischen Zeichen bemalten papiernen Kreis aus seiner Reisetasche, legte ihn auf die Erde, und befahl dem Junker, sich hinein zu stellen. Die Damen mußten sich in einiger 160 Entfernung niedersetzen, und die beiden Ende eines grünen Bandes anfassen, auf welches er zuvor einige Charaktere gezeichnet hatte. Die vorwitzige Blanka wollte es näher betrachten, und las darauf die Worte: Es lebe Blanka de Castro! Hätte der Zauberer nicht in diesem Augenblicke das Licht ausgeblasen, so würde der Junker die unbeschreibliche Freude bemerkt haben, die wie ein Blitzstrahl über ihr Gesicht hinzückte. Itzt gebot er der Gesellschaft noch einmal das tiefste Stillschweigen, gieng dreimal um den Kreis herum, darin der Junker stand, schlug dreimal mit seinem schwarzen Stabe die Erde, und rief hierauf mit feierlicher Stimme. Ariel, mein dienstbarer Engel! ich gebiete Dir, die Geister der erlauchten Ahnen des Hauses Susa in aufsteigender Linie vor den Augen ihres Enkels vorbei gehen zu lassen. Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, so sahe der Junker mit einem Erstaunen, das ihm die Zunge gelähmt hätte, wenn er sie auch hätte brauchen dürfen, das Bild seines Vaters in voller Rüstung, so wie es auf der Ahnentafel stand, an der weißen Wand erscheinen. Die Züge waren so ähnlich, daß selbst Donna Ximena, welche ihren Schwiegervater noch gekannt hatte, ungeachtet sie von dem Betruge unterrichtet war, sich alle Gewalt anthun mußte, um einen lauten Schrei zu ersticken. So stiegen in Zeit von einer halben Stunde die zehen 161 Melchiore sowohl als die übrigen Helden der zwei und dreißig Quartiere in so kenntlicher Gestalt vor den Augen der starrenden Zuschauer vorbei, als ob jedes Bild des Familiengemäldes eine lebendige Seele bekommen hätte.

Je nachdem die Helden tiefer aus dem Alterthume hervortraten, wuchs das Entzücken und die Erwartung des Junkers, und als der Zeitgenosse des Prinzen Pelagius vorüberschwand, rieb er sich die Augen aus, um seine ihm noch unbekannten Großväter desto schärfer zu betrachten. Der erste, der sich darstellte, erschien in saracenischer Tracht; ein Turban deckte sein Haupt, ein goldnes Kreuz schmückte seine Brust, ein lazurner Schild hieng an seinem Arme, auf welchem die blitzenden Worte zu lesen waren: Mahumed, nachher Pedro, erster christlicher Ritter von Susa. Don Melchior wurde von diesem Anblicke versteinert. Heilige Jungfrau! flisterte er zwischen den Zähnen, ich, ein Abkömmling eines Unglaubigen? Merlino befahl seinem unsichtbaren Geiste, den Namen dieses Helden und aller seiner nachkommenden Vorfahren aufzuzeichnen. Auf ihn folgten noch drei saracenische Magnaten mit ihren Namen auf den Schilden. Dann erschienen auf einmal zween brüderliche Schatten, die einander an Bildung und Anzug 162 vollkommen ähnlich waren. Sie nannten sich Osmin und Abdul, und hielten sich fest umschlungen, als wollte ein unsichtbarer Arm sie trennen. Ihre Miene war traurig, und ihr ernstes Auge schien finstere Blicke auf den Junker zu schiessen. Diesem fieng es an bange zu werden, und sein Schrecken stieg aufs höchste, als die Zwillingsgestalt gar nicht von der Stelle weichen wollte. Jetzt nahm der Zauberer das Wort und sprach: Ich beschwöre Euch, ins Todtenreich zurück zu kehren und meinem Diener Ariel Euer Anliegen zu eröffnen. Sie neigten ihre Häupter und verschwanden. Ihr Vater war der letzte, der das Mahlzeichen des Muhamed auf der Stirne trug. Nun änderte sich die Scene; seine Nachfolger traten in weißen persischen Talaren mit goldenen Gürteln auf, so wie man die Magier zu mahlen pflegt. Zween unter ihnen, Orobazes und Phraortes, trugen Binden um ihre Schläfe, gleich den Fürstensöhnen der Vorwelt. Endlich erschien ein königlicher Greis in einem purpurnen Gewande und mit einer Krone auf dem Haupte. In seiner Linken hielt er eine Urne mit Gold und Weihrauch gefüllt, in seiner Rechten ein Zepter, über dessen Spitze ein blendender Stern flimmerte. Auf seinem breiten silbernen Gürtel stunden mit goldenen Lettern die Worte: Melchior der Erste, Prinz von Susa. Melchior der Zwölfte wollte flugs aus seinem Kreise 163 springen, um sich seinem Ahnherrn zu Füßen zu werfen; allein dieser machte mit seinem Zepter eine Bewegung, als wollte er ihn von sich stoßen, und schoß einen so drohenden Blick auf ihn, daß dem armen Junker die Haut schauderte. Strafe ihn nicht, beleidigter Schatten! rief Merlino, strafe deinen Enkel nicht, sondern belehre ihn, wie er die Sünde seiner Unwissenheir aussöhnen kann. Der Schatten verschwand und kam in einem Augenblicke wieder. Er hatte die Urne und den Zepter weggelegt und führte mit seiner Rechten einen blühenden Jüngling in ritterlicher Rüstung; mit seiner Linken eine reizende Jungfrau im fürstlichen Brautschmucke. Zuerst erschien die Gruppe ihm etwas dunkel; plötzlich umgab sie eine schimmernde Glorie. Der Junker schlug die Hände zusammen, die Damen stießen einen Schrei aus, ein Donnerschlag erscholl aus dem Alkoven und das Bild war verschwunden. Die sämtlichen Zuschauer hatten zu gleicher Zeit in dem jungen Ritter die Züge des Don Diego, und in der Braut das leibhaftige Ebenbild der Donna Blanka erkannt. Alles ist vorbei, sagte Merlino; Ihr, gestrenger Junker, könnet nun aus dem Kreise treten, und Ihr, edle Damen, gebt mir Euer Band zurück; Ihr müsset alle dieses Gemach verlassen, wo ich allein meinen Diener Ariel beschwören will, um das begehrte Verzeichniß von ihm zu erhalten. Ehe Don Melchior den Kreis 164 verließ, schlug er dreimal ein Kreuz vor sich und stieg sodann im Dunkeln mit seiner Gespons und Tochter in das Speisezimmer hinab, wo der Zauberer eine brennende Lampe zurückgelassen hatte. Nach einer Viertelstunde kam dieser nach und überreichte dem Junker ein himmelblaues Pergament, das mit einem Sternenkranz eingefaßt war, und mit goldenen Zügen alle die Namen enthielt, welche das Supplement seines Stammbaumes ausmachten. Die Zwillingsbrüder, Osmin und Abdul, waren zusammengeklammert, und hinter ihren Namen stunden die Worte: Sie waren die Stifter der beiden Aeste von Castro und von Susa, deren Wiedervereinigung eine feindselige Hand hindern will. Der Junker verstummte, als er diese Randglosse las. Merlino schien es nicht zu bemerken, und befahl ihm, das Pergament wohl zu verwahren. Er verschloß es zu dem Familiensiegel in die eiserne Kiste des Nebenzimmers, welche schon lange aufgehört hatte, Dukaten und Piaster zu beherbergen. Nun brach Merlino auf. Mitternacht ist vorbei; es ist Zeit, daß wir uns zur Ruhe begeben. Die Damen verfügten sich auf ihr Zimmer; der Junker warf sich, ohne sich auszukleiden, auf sein Bette, um den großen Offenbarungen nachzudenken, die seine ganze Seele ausfüllten. Der Zauberer kehrte in den Ahnensaal zurück, wo er seinen Gefährten mit dem Raritätenkasten aus 165 der Gefangenschaft erlößte und ihn, durch die kleine Schloßpforte, zween seiner Bedienten zuführte, die in einem Gebüsche seine Rückkunft erwarteten. Wäre auch Ritter Melchior besser unter dem Helme verwahrt gewesen, so würde er dennoch den Schlüssel zu Merlinos Wunderwerken vergeblich gesucht haben. Vermittelst eines Geheimnisses, das jetzt kein Geheimniß mehr ist, wußte er sich von des Junkers Ahnentafel bei seinem ersten Besuche einen Abdruck zu verschaffen, wovon er jede einzelne Figur auf Glas copirte. Eben dieses that er mit den Bildnissen des Don Diego und der Donna Blanka, welche letztere ihre Tante gleich nach ihrer Ankunft in Leon durch einen geschickten Künstler hatte mahlen lassen. Die Zauberlaterne, wozu diese Glasgemählde gebraucht wurden, war damals in Spanien, zumal in den Provinzen, wenig oder gar nicht bekannt, und wenn Merlino mit seinem erlauchten Spießgesellen ihre magischen Operationen in einer Dorfschenke, oder auf dem Jahrmarkte eines Landstädtchens gemacht hätte, so würden sie unfehlbar als Schwarzkünstler der heiligen Inquisition in die Klauen gefallen seyn. Der Junker brachte die ganze Nacht in tiefen Gedanken zu; seine maurische Abkunft machte ihm viel zu schaffen, und er mußte sich immer seinen Stammvater mit der Krone und dem Zepter vor sein inneres Auge rufen, wenn er sich darüber trösten 166 wollte. Die Verbindung mit dem Hause Castro leuchtete ihm auch nicht recht ein, denn, sagte er, ich bin doch immer ein älterer Christ als sie, die mehrere Jahrhunderte länger als meine Vorfahren den Turban trugen.

Unter diesen Betrachtungen kam die Zeit des Frühstücks heran, die er selbst über seinen genealogischen Arbeiten nie versäumte, und er hatte sich wirklich mit den Damen und Merlino an den Schenktisch gesetzt, als ein plötzliches Geräusch, das im Hofe ertönte, ihn an die Thüre lockte. Indem er sie öffnete, trat ihm ein Gerichtsdiener mit vier Alguasils entgegen, der ihm im Namen der Justiz den Arrest ankündigte. Einem seiner Gläubiger, der fünfhundert Dukaten an ihn zu fordern hatte, war endlich die Geduld ausgegangen, und er hatte sich einen Verhaftbefehl gegen ihn ausgewürkt, welcher zugleich alle seine beweglichen und unbeweglichen Güter mit einem Beschlage belegte. Der Gerichtsdiener, der in dem Speisesaal nichts zu beschlagen fand, gieng in das Nebengemach, wo ihm die eiserne Kiste sogleich ins Auge fiel. Er hoffte einige Baarschaft darinn zu finden, und befahl dem Junker, sie aufzuschliessen. Das silberne Familiensiegel und das blaue Dokument des Ariel waren die zween größten Schätze, die er vorfand, und einstweilen für gute Prisen erklärte. Als Don Melchior den schwarzen Mann die beiden 167 Heiligthümer anpacken sah, gerieth er in einen so wüthenden Grimm, daß der Beistand aller vier Alguasils nöthig war, ihn in den Schranken zu halten. Unterdessen hatte Merlino genug zu thun, um die Damen zu trösten und sie einer schleunigen Hülfe zu versichern. Seine Prophezeihung traf ein. Eben da der Junker den Knechten der Themis mit vieler Hitze den Frevel vorwarf, den sie an einem Enkel der heiligen drei Könige begiengen, trat Don Diego, halb Mars und halb Amor, in die Stube. Geht Eures Weges, sprach er zur verhaßten Bande, Don Melchior hat keinen Gläubiger mehr als mich. Hier ist die Akte, die Euch beweiset, daß ich alle seine Schuldbriefe eingelößt habe. Der Gerichtsdiener besah das Dokument, machte eine tiefe Verbeugung und zog mit seinen Trabanten ab. Die Damen bewillkommten ihren Befreier mit der wärmsten Dankbarkeit; Merlino grüßte ihn so ehrerbietig, als ob er ihn in seinem Leben nicht gesehen hätte, der Junker allein wußte nicht, was er thun sollte. Diego ließ ihm nicht Zeit, sich lange zu besinnen: Hier, Don Melchior, sagte er, indem er ihm die Akte überreichte, hebet mir diese Urkunde auf, bis ich sie zurückfordere. Nun schmolz dem Junker das Herz; beim Sankt Jago! rief er, dieser Zug macht Euch zum alten Christen; Ihr sollt meine Blanka haben; ich würde sie Euch geben, wenn es auch unser 168 Stammvater mir nicht befohlen hätte. Allein den Namen Susa müßt Ihr annehmen; der darf schlechterdings nicht aussterben. Don Diego ließ sich die Bedingung gefallen, und Blanka reichte ihm mit einem verschämten Lächeln die Hand, an die er den prächtigsten Diamant steckte, der seit Melchior dem Ersten einen Finger von dem Geschlechte Susa geziert hatte. Am Tage ihrer Vermählung überreichte Merlino dem jungen Ehepaar ein Gemälde, welches diesen königlichen Pilger vorstellte, wie er die Hände des liebenswürdigen Paares in einander legte, und der Junker schwur bei allen Heiligen, daß sein erlauchter Ahnherr, Zug für Zug, so aussehe, wie er ihm auf den Ruf des welschen Magiers an der Wand erschienen war. Zur Belohnung schenkte er ihm einen Abdruck seines uralten Familienwappens in grünem Wachs, welchem der Bräutigam hundert Abdrücke des castilischen Wappens in Golde, und zwar in einem Beutel beifügte, den die Rosenfinger seiner Blanka gewirkt hatten. Die Hochzeit wurde bei Donna Elvira gefeiert, sie übergab ihrer Nichte ihr ganzes Vermögen und behielt sich bloß das Recht vor, ihre Tage an der Seite ihrer angenommenen Kinder zu beschliessen. 169

 


 


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