Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 1. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Adolph und Röschen.

Erster Brief.

Adolph an Röschen.

Drei lange Tage, liebes Röschen, sind seit deiner Abreise verstrichen; es sind die einzigen meines Lebens, in denen ich die Stunden gezählt habe. Sobald ich aufstand gieng ich herab in unser Gärtchen, sah traurig hinauf nach deinem Kammerfenster und grüßte den Nelkenstock, den du mit so vieler Sorgfalt gezogen hast. Ach! noch lezten Sonntag stektest du seine schönste Blume an mein Herz. Lotte wartet nun seiner und begießt ihn jeden Morgen und Abend, aber Lotte, meine gute Lotte ist nicht mein Röschen. Wenn die Glocke sieben schlägt, versammeln wir uns zum Frühstück, und schon zweymal habe ich meinem Röschen einen Stuhl gesezt. Aber er blieb leer und mein Vater sah mir, halb ernsthaft, halb mitleidig, ins Auge. Das erstemal seufzte ich, das anderemal mußte ich erröthen. Bey Tische trinke ich aus Röschens Glase und binde mein Tellertuch mit dem grünen Bande, auf das sie ihren Namen gestikt hat. Ists wahr, Röschen, daß 2 grün die Farbe der Hoffnung ist? Doch du hast mir ja erlaubt zu hoffen. Du hast mir noch mehr erlaubt, sobald ich die Anwartschaft auf meines Vaters Amt erhalte, soll ich um deine Hand werben dürfen. Die Antwort des Consistoriums bleibt noch immer aus, ungeachtet der Bericht unsers guten Pfarrers mir günstig war. Er sagte mir gestern daß, da mein Vater weder alt noch schwächlich sey, die Resolution leicht verschoben werden dürfte. Das war mir ein Donnerschlag. Röschen ist zwar noch jung, allein sie ist die einzige Tochter des angesehensten Landwirth unserer Gegend, der sich viel auf seinen Reichthum zu Gute thut und vielleicht gern der Schwiegervater eines Amtmanns oder Kammerraths seyn möchte. Da sie nun wieder zu Hause ist, werden sich die Freyer haufenweis einstellen, und ihr armer Adolph . . . . Doch nein! Röschen hat mir versprochen, keines andern zu seyn, wenn sie nicht die meinige seyn kann. Vergieb mir meine Kleinmuth, liebes Mädchen, wer ein kostbares Kleinod besizt, zittert auch dann es zu verlieren, wenn er es Tag und Nacht bey sich trägt. Bey Gelegenheit des Verlierens muß ich dir sagen, daß du dein Musikbuch zurükgelassen hast. Gestern fand es Lotte in deinem Schranke, du kannst dir einbilden, daß ich es ihr nicht unter den Händen ließ. Ich 3 lief damit ans Clavier und spielte alle deine Lieblingsarien durch, besonders das uns so heilige Lied: Sieh, Fanny an der Rose hier &c. &c.Sieh, Fanny, an der Rose hier
Zween klare Tropfen hängen;
Sieh, wie sie sympathetisch sich
Zu ihrem Busen drängen.

Sie nähern sich, wie zittern sie
Vor Liebe sich zu küssen;
Jezt kaum berührt, o Fanny, sieh
Wie sie zusammenfliessen.

O Fanny, diesen Tropfen laß
Mich uns zum Sinnbild wählen!
Betracht ihn; siehst du nicht, er ist
Ein Bild von unsern Seelen.

                                            Ung.

Singen konnte ich es nicht, die Wehmuth erstickte meine Töne. Künftigen Sonntag, meine Theure, werde ich dir das Buch selbst bringen. Es war mir heute den ganzen Tag bange, du möchtest es abholen lassen. Um deinem Boten zuvorzukommen, schicke ich dir diesen Brief durch Hannchen. Das gute Kind ist vor Freuden ausser sich, daß es seine Wohlthäterin wieder sehen soll. In zween Tagen wird Hannchen nicht mehr glüklicher seyn als ich, denn auch ich werde dich wieder sehen. In zween Tagen! ach, es steht nur bey dir, sie mir zu den schönsten zu machen, die ich ferne von dir verleben kann! Brauche ich dir das Mittel wohl zu 4 sagen? Nein, du weißt so gut als ich, daß nichts als Röschens Briefe mich für Röschens Abwesenheit entschädigen können.

 
Zweiter Brief.

Röschen an Adolph.

Dank, Lieder, für deine Botschaft. Hätte ich nicht die ganze Zeit mit meiner Einrichtung und mit der Uebernahme unsers Hauswesens zu thun gehabt, so sollte mir dein Brief nicht zuvorgekommen seyn. Es that mir wehe, daß ich nicht gleich am Tage meiner Ankunft deinen Eltern meinen Seegen für alles, alles wiederhohlen konnte, was ich ihnen, besonders deiner guten Mutter, zu danken habe. Beide thaten mehr an mir als meine eigenen Eltern, mehr als mein Vater, den die Feldarbeit oder der herrschaftliche Dienst den ganzen Tag von mir entfernt hielt, mehr als meine Mutter, die ich zu früh verlor, und die zwar wohl einsah, was mir fehlte, aber auch ihr Unvermögen fühlte mir das Mangelnde zu ergänzen. Doch dafür sorgte sie noch auf ihrem Sterbebette, indem sie mich einer Freundin übergab, von der sie selbst so manchen guten Rath, so manche Aufklärung, so manchen Trost empfangen hatte. Einen bessern Seegen konnte die gute Mutter mir nicht geben, und als ich gestern 5 ihren Schattenriß ansah, den du, lieber Adolph, einst machtest, so konnte ich mich nicht enthalten, auf die Kniee zu fallen, und ihr für die lezte und größte ihrer Wohlthaten mit Thränen zu danken. Meine Beschäftigungen konnten die Schwermuth nicht zerstreuen, womit ich ein Haus verließ, in dem mein Geist und mein Herz so viel Gutes empfiengen. Mein Herz, guter Adolph, du weißt, daß ich es nicht mit mir nahm, du weißt, daß es dein ist. Soll ich dir wiederhohlen, daß ich dich liebe? Nein, ich habe es dir ein- vielleicht gar zweymal gesagt, das soll dir genug sein, so wie es mir genug ist, ein für allemal zu wissen, daß mein Adolph mich liebt. Es war in der Gartenlaube, am ersten Tage des Mayen, da dieses Bekenntniß über deine Lippen floß, deine Augen hatten schon lange geredet, bis dahin war Röschen deine Schwester gewesen, nun wurde sie deine Geliebte. Vier selige Monate sind uns seit jenem festlichen Abend verflossen. Ach, und wer weiß, ob der künftige May uns eben so glücklich finden wird. Ich habe Ahnungen, lieber Adolph, die mein Herz beklemmen. Mein Vater begegnet mir so kalt. Er warf einen so verächtlichen, ich möchte bald sagen, gehäßigen Blick auf meine Bücher. Er spricht mit so vieler Gleichgültigkeit von deinen Eltern, daß . . . . Doch 6 wir wollen nicht verzweifeln. Meine größte Sorge soll nun seyn, einen Weg in sein Herz zu suchen. Ich sehe mit Vergnügen, daß er Freude an meinem Klavier hat. Schon zween Abende mußte ich ihm nach Tische einige Gellertsche Oden spielen und mit meinem Gesang begleiten. Gestern besuchte ihn ein Nachbar, der mich mit der treuherzigsten Freude bewillkommte, und da bekam ich den Befehl, ihn mit einigen Märschen und Walzern zu bewirthen. Der muntere Nachbar nikte und trippelte den Takt dazu. Endlich fieng er gar an zu tanzen. Da zog mein Vater seinen Mund zum Lächeln, allein dieser Sonnenblick wurde bald durch neue Wolken verdunkelt. Wenn ich meine Musik habe, will ich dem Vater unser Lied spielen, es zu singen, werde ich wohl so bald nicht wagen dürfen. Ich sollte dir vielleicht nicht sagen, lieber Adolph, daß ich mein Notenbuch mit Fleiß im Schranke zurückließ. Ich dachte wohl, daß du mir es durch keine fremde Hand zustellen würdest. Künftigen Sonntag soll ich dich also wiedersehen. Ich hoffe doch, daß unsere Lotte dich begleiten wird; sie, die Vertraute unserer Liebe, die Schwester meines Herzens. Nehmt den Weg durch unsern Baumgarten, da werde ich euch, wie Pomona, unter goldstreifigten Aepfeln und violblauen Pflaumen erwarten. Vorigen May, Adolph! waren 7 es nur noch Blüthen, nun sind es Früchte, reife, herrliche Früchte. Auch wir werden die Früchte unserer Geduld und unserer Hoffnungen einerndten. Laß dichs nicht anfechten, daß dein Dekret noch nicht angekommen ist. Es liegt diesen Herren nicht so nahe am Herzen als uns. Wenn der alte, ehrwürdige Pfarrer noch lebte, so würde es freilich geschwinder gehen. Der würde sich seines Pathen väterlich annehmen. Wie viel habe auch ich diesem lieben Manne zu danken! Wie manches hat er dich gelehrt, das du mich wieder lehrtest, wie manches Buch dir geborgt, das du auch mir zu lesen gabst! Hätte er mich auch nur mit den Schriften der edeln Laroche bekannt gemacht, so würde mir schon seine Asche heilig seyn. Doch ich muß abbrechen, wenn Hannchen noch vor Nacht nach Mayenthal kommen soll.

Lebe wohl, guter Adolph, und nimm den Kuß, den ich auf dieses Blatt drücke.

 
Dritter Brief.

Adolph an Röschen.

Mit hüpfendem Herzen bewillkommte ich dich, mein Röschen, unter den Obstbäumen. Mit schwerem Herzen kehrte ich in meine traurige Hütte zurück. Die Meile von Friedlingen nach Mayenthal schien mir eine Tagreise. Betäubt und sprachlos schlich ich 8 an der Seite meiner guten Lotte, die mich vergebens auf das prächtige Abendroth und auf den Gesang der Vögel aufmerksam machte. Ich konnte ihr nur durch Seufzer antworten. Unter der großen Linde vor dem Dorfe stund ich stille. Mein starres Auge suchte den Kirchthurm von Friedlingen. Gott, wie blaß, rief Lotte, und drückte mich in ihre Arme. Ihre Thränen nezten meine Wangen, allein ich konnte ihr keine Thränen zurückgeben, und ließ die ihrigen auf meinen Wangen vertrocknen. Du hast es gesehen, mein Röschen, wie unfreundlich der Empfang deines Vaters war, indeß mein Herz ihn leise auch meinen Vater nannte. Du hast es gesehen, wie seine Stirne sich erst in dem Augenblick entfaltete, als wir Abschied von ihm nahmen. Nichts als deine liebreiche Begegnung, nichts als der Gedanke, daß dieser Mörder meiner Freude Röschens Vater ist, konnte meinen gekränkten Stolz im Zaume halten. Du kennest ihn diesen Stolz, du weißt, daß ich alles, nur nicht die Verachtung ertragen kann, und was war sein ganzes Benehmen anders, als ununterbrochene Verachtung? Ich weiß wohl, so sagten mir seine Blicke, daß du meine Tochter liebst, ich weiß wohl, daß du wieder geliebt wirst, allein meine Tochter, meine reiche Tochter ist nicht für den Sohn eines armseligen Schulmeisters, der 9 kaum so viel Vermögen hat, als meine heurige Erndte werth ist, und den ich für die Alfanzereyen, die mein Kind bey ihm lernte, zehnfältig bezahlt habe. So, Röschen, dachte dein Vater, Gott weiß, daß er so dachte. Ich habe jede Sylbe seiner Gedanken in seinem Gesichte gelesen. Und wie du vollends ans Klavier sassest, wie ich dir Kleists herrliches Lied: Sie fliehet fort, es ist um mich geschehen &c. &c. aufschlug, und mit Lotten die bebenden Töne deiner Engelstimme begleitete, da biß er die Zähne zusammen, und gieng wie ein Taubstummer die Stube auf und nieder. Du konntest es nicht sehen, mein Röschen, aber ich sah es, und biß auch die Zähne zusammen. Aber das sahst du wohl, daß ich ganz aus dem Tone kam und alle Fassung verlor. Dein Blick gab sie mir wieder. Er würde mir im Arme des Todes das Leben wieder geben. Röschen, meine Freundin, meine Braut, deine Ahnungen waren gegründet, es stehen uns große Prüfungen bevor, nur die Liebe kann sie überwinden. Sey standhaft, mein Röschen. Dein Adolph ist auf alles gefaßt, nur nicht auf deinen Verlust. Ich würde dich dem ersten Monarchen des Erdbodens streitig machen, und nur mit meinem Leben würde er dich mir entreissen. Sey standhaft, mein Röschen. Vielleicht wird man uns den einzigen Trost 10 getrennter Leidenden, den Briefwechsel, untersagen. Hannchen hat den Auftrag, ehe sie dir dieses Blatt übergiebt, zuerst sorgfältig auszuspähen, ob dein Vater um den Weg ist. Sie geht, wie du weißt, jeden Freytag für meine Mutter nach der Stadt zu Markte. Euer Baumgarten stößt auf den Fußpfad, den sie nehmen muß. In dem hohlen Kastanienbaum am Zaune, unter dessen Schirme du unsere Ankunft erwartetest, wird sie auf dem Hinwege meine Briefe ablegen, und auf dem Rückwege eben da deine Antworten abhohlen.

Sey standhaft, mein Röschen, du kannst es, wenn du nur willst. Du liebst ja, und ein heiliger Minnesinger, Salomo, sagt: Die Liebe ist stark wie der Tod. Dieses Orakel müsse künftig unser Wahlspruch seyn.

 
Vierter Brief.

Röschen an Lotte.

Laß mich, liebste Freundin, meinen Kummer in deinen Schoos ausschütten. Ich habe die Kraft nicht, deinem Bruder zu schreiben, ungeachtet ich ihm eine Antwort schuldig bin. Wie könnt ich ihm mit eigener Hand den Dolch ins Herz drücken, unter dem das meinige blutet. Gleichwohl darf ich ihm die Unterredung nicht verbergen, die vorgestern 11 zwischen mir und meinem Vater vorfiel. Du, meine Lotte, mußt sie unserm Adolph mittheilen, mit aller der Schonung, mit all der Behutsamkeit mußt du sie ihm mittheilen, deren deine Liebe fähig ist und die seine Empfindlichkeit fodert.

Ich saß mit meiner Arbeit hinter dem Tische. Ein lang erstickter Seufzer brach aus meiner Brust hervor, es mag seyn, daß eine Thräne ihn begleitete. Mein Vater, der eben nach Hause kam, näherte sich mir mit einer verdrüßlichen Miene:

Was hast du, Rose? Seit deiner Rückkunft von Mayenthal kenne ich dich nicht mehr. Es ist, als ob es dir Leid thäte, um deinen Vater zu seyn.

Ach nein, lieber Vater.

Dieses Nein sagt Ja. Höre, Mädchen, deine Todtenfarbe, deine verstohlenen Seufzer, deine Schwermuth bestätigen mich in dem Argwohn, daß ein geheimer Kummer dir am Herzen nagt. Ich kenne die Ursache deiner Traurigkeit. Der junge Schulmeister hat dir mit seinen verwünschten Büchern und mit seinem honigsüssen Schnickschnack den Kopf und das Herz verrückt. Warum habe ich dich nicht ein halbes Jahr früher aus seinen Klauen gerissen? Ich roch den Braten zu spät, aber so wahr ich Schulze Reinhard bin, ich will dem Laffen durch den Sinn fahren.

12 Diese Worte sprach er mit schrecklicher Stimme. Es überfiel mich ein Zittern, mein Nähzeug sank mir aus den Händen. Ich hob sie gen Himmel:

Ach, Vater, sagte ich schluchzend, seyd nicht ungerecht.

Bey Gott! das bin ich nicht. Ich habe gute Augen und gute Ohren. Der Verführer war mir nicht schlau genug.

Das war zuviel. Eine unbekannte Kraft beseele mich. Ich richtete mich auf und in einem Tone, der ihn befremden mußte, erwiederte ich:

Adolph ist kein Verführer; er ist ein edler, rechtschaffener Jüngling, in dessen Umgang ich nicht schlechter, wohl aber besser werden konnte. Vater, versündigt euch nicht an meinem Wohlthäter.

Ey, seht doch, ich glaube gar du willst deinen Vater schulmeistern: Rose, Rose, ich sage es dir nun ein für allemal, schlage mir den Kerl aus dem Sinne, oder deine Halsstarrigkeit soll dich gereuen. Meint der Bengel etwa, daß ich dich ihm zum Weibe geben werde? Da hat er seine Rechnung ohne den Wirth gemacht. Kurz und gut, es wird nichts daraus, sag es ihm nur; und wenn er der edle, rechtschaffene Jüngling ist, für den du ihn ausgiebst, so wird er dich nicht in deiner Widerspenstigkeit steifen, so wird er sich mir nicht aufdringen wollen. 13 Das alles kannst du ihm sagen oder schreiben, es ist mir gleichviel. Wenn er aber einmal seinen Laufzettel hat, so unterstehe dich nicht, noch einen Buchstaben an ihn abzulassen. Merke dir das.

Ich schwieg und weinte. Er gieng zu Stube hinaus, kam aber im Augenblicke wieder.

Noch eins! Künftige Woche kömmt der junge Hartwig, mein Mündel, aus Frankfurt zurück, wo er zwey Jahre als Kellner gestanden hat. Es ist ein flinker, wohlgewachsener Bursche. Er hat ein hübsches Vermögen. Das Wirthshaus zur Sonne ist sein, und sobald er mündig ist, wird ers antreten. Ich sage dir, Mädchen, daß du ihm freundlich begegnest, man weiß nicht was geschehen kann. Ich denke, du verstehst mich.

Mein Vater hätte noch lange sprechen können. Gram und Schrecken banden mir die Zunge. Zum Glücke trat der Amtsbote mit einem herrschaftlichen Befehl herein. Wenn er einem Gefangenen die Ketten abnimmt, so kann er ihm nicht willkommener seyn. Ich schlich auf meine Kammer und warf mich auf mein Bette, um meinen Thränen freyen Lauf zu lassen.

Hier, meine Freundin, hast du von Wort zu Wort diese schreckliche Unterredung. Da ich die Augenblicke zu meinem Briefe stehlen mußte, so habe 14 ich ihn erst nach drey Tagen zu Stande gebrach. Mit ungedultiger Angst erwarte ich deine Antwort. Ach, schone doch ja deinen Bruder, und wenn du ihm unser grausames Urtheil angekündigt hast, so erinnere ihn an unsern Wahlspruch: »Die Liebe ist stark wie der Tod.« Das Gewitter muß sich verziehen, oder sein Röschen zerschmettern. Meines Vaters lezte Worte sind das einzige, wovor ich zittere. Gott, wenn er seinen Plan mit Hartwig durchsetzen wollte! Ich fühle, daß es mir leichter wäre zu sterben, als ungehorsam zu seyn.

 
Fünfter Brief.

Lotte an Röschen.

Arme Freundin, wie viel muß dich dein Brief gekostet haben! Ich hielt ihn noch mit Thränen benezt in der Hand, als Adolph aus der Kirche kam.

Von Röschen? rief er, und griff nach dem Blatte. Nun erst sah er mich weinen: Gott, was ist vorgefallen? ich errathe mein Unglück!

Ihr Vater ist ein harter unfreundlicher Mann, das weißt du.

Das weiß ich, allein eben deswegen . . . . Rede, Schwester; ich beschwöre dich, laß mich den Brief lesen.

Das darf ich nicht, allein seinen Inhalt sollst du erfahren.

15 Ich darf ihn nicht lesen und soll doch seinen Inhalt erfahren. Lotte, ich bin kein Knabe, gieb her.

Bey diesen Worten riß er mir das Blatt ans der Hand und las. Seine Lippen zitterten. Todesblässe und blutige Röthe wechselten auf seinen Wangen. Ich hörte sein Herz klopfen. Als er gegen das Ende kam, erheiterte sich sein Gesicht: Edles, liebes Mädchen, rief er, du bist dir immer gleich, immer, immer! Er küßte die Stelle des Briefs, da du sagst: »Das Gewitter muß sich verziehen, oder sein Röschen zerschmettern.« Und solch einen Schatz, sprach er, sollte ich mir rauben lassen; und solch eine Tochter kann einen solchen Vater haben? Doch ich vergebe ihm, ja ich vergebe ihm um dieser Tochter willen. Theures, himmlisches Geschöpf! Nun las er den Schluß: »Ich fühle, daß es mir leichter wäre zu sterben, als ungehorsam zu seyn.« – Groß, aber . . . . Hartwig. – Ich kenn ihn – er ist deiner eben so wenig werth als dein Vater. Ich ehre deine Gewissenhaftigkeit, mein Röschen, allein wenn sie in Schwachheit ausartete. Nein, nein, dafür bürgt mir unser Wahlspruch, den du so heldenmüthig wiederholst. Lotte, ich will ihr nicht schreiben, ich muß sie sprechen; noch einmal, vielleicht zum letztenmal, will ich sie sprechen, melde es ihr. Sag ihr, daß, daß ich . . . 16 sie mehr liebe, als ich sie jemals geliebt habe, daß ich sie künftigen Dienstag besuchen werde. An einem Vorwand soll es mir nicht fehlen, und was mein Betragen gegen den alten Reinhard betrift, so soll sie nichts fürchten, ich werde nie vergessen, daß er Röschens Vater ist. – Ich suchte ihn von diesem Vorsatz abzumahnen; allein umsonst. Auch schmeichle ich mir nicht, ihn in der Zwischenzeit auf andere Gedanken zu bringen. Halte dich also, meine Freundin, auf diesen Besuch gefaßt. Ach wenn er nur schon vorbey wäre, ich werde keinen ruhigen Augenblick haben, bis unser armer Adolph zurück seyn wird.

 
Sechster Brief.

Röschen an Lotte.

Nun, meine Lotte, ist das Maas meiner Leiden voll. Die bange Furcht, die mich seit dem Empfange deines lezten Briefes Tag und Nacht marterte, war eine traurige Vorbedeutung des Unglücks, das mir drohete.

Adolph, mein Adolph ist beschimpft, mißhandelt, aus meines Vaters Hause gestossen. Gott, werde ich dir, meine Schwester, die entsezliche Scene schildern können! Doch ich muß es thun, zu meiner Rechtfertigung muß ich es thun. Dein Bruder wird und kann dir nicht alles erzählen.

17 Ach, ich habe ihn nicht sprechen können, nicht einmal sehen können. Alle meine Vorsicht, wodurch ich verhindern wollte, daß er meinen Vater allein anträfe, alle meine Wachsamkeit war vergebens. Ich wich den ganzen Tag nicht aus der Stube. Mein Vater war auch immer zu Hause. Er muß deinen Bruder durch das Eckfenster haben kommen sehen. Auf einmal sagte er zu mir: Gehe Rose! laß dir im Baumgarten einen Korb Aepfel brechen, ich will dem Pfarrer ein Geschenk damit machen. Lies die schönsten aus. Ich gieng und rief im Hofe dem Großknecht mir zu folgen. Ich eilte was ich konnte. Kaum war ich zehn Minuten im Garten, so hörte ich einen lauten Wortwechsel, die Stimme meines Vaters glich dem Donner, und unser Hofhund bellte schrecklich darein. Ich lief nach dem Hofe zurück, allein Adolph war schon fort. Ich traf nur noch meinen Vater an. Sein Gesicht glühete vor Zorn. – Du kömmst zu spät, rief er mir in dem Tone des fürchterlichsten Spottes entgegen. Da du deinem Kerl den Abschied nicht geben wolltest, habe ich es gethan. Hoffentlich wird er nicht wieder kommen. Geh, ungerathene Trolle, ich mag dich nicht vor Augen sehen.

Ich sank halbohnmächtig auf die steinerne Bank am Thorwege. Lieschen eilte mir zu Hülfe. Sprütze 18 ihr Wasser ins Gesicht, sagte mein Vater, indem er in die Stube zurück kehrte, und die Thüre hinter sich zuschmetterte. Lieschen hielt mich weinend in ihren Armen, und als ich mich wieder aufrichten konnte, führte sie mich auf meine Kammer. Von ihr habe ich den ganzen schrecklichen Vorfall erfahren,

Mein Vater erwartete deinen Bruder an der Thüre. Dieser grüßte ihn mit freundlicher Ehrerbietung.

Was will er? fuhr mein Vater ihn an.

Ich bemerkte bey meinem letzten Hierseyn, daß das Clavier Ihrer Tochter verstimmt war, und bin gekommen, es wieder in Stand zu setzen.

Das braucht sich alles nicht, der hiesige Schulmeister wird ja die Hexerei wohl auch verstehen.

Ich glaubte, weil ich das Instrument kenne . . . .

Ey so, und die Spielerin kennt er auch.

Ich verstehe diese Frage nicht.

Nun so muß ich mich verständlich machen. Geh der Herr seiner Wege. Ich will nicht haben, daß er weiter meine Schwelle betrete, ich habe meine Ursachen.

Diese Ursachen werden mir doch keine Schande machen?

Schande oder nicht, geh er seiner Wege.

Herr Reinhardt, dergleichen Beschimpfungen bin ich nicht gewohnt.

19 Ey, seht doch, wie trotzig. Pack er sich, sag ich, oder . . .

Es ist ein Glück für uns alle beide, daß ich nicht vergessen kann, daß ich mit Rosinens Vater spreche.

Was, ich glaube gar, er droht mir! Will er sich fortscheren, oder soll ich meine Knechte rufen?

Adolph gieng. Gottlob, daß er es that. Er wich durch seine Flucht noch ärgern Mißhandlungen aus, die selbst ein Fußfall seiner Rosine nicht hätte abwenden können.

Ungeachtet ich mich kaum aufrecht halten konnte, erschien ich des Abends dennoch bei Tische. Thränen waren meine Speise und Seufzer mein Gespräch. Auch mein Vater sprach kein Wort, und legte sich gleich nach dem Essen zu Bette. So erhielt ich die Freiheit, diese Zeilen an dich, meine Freundin, zu schreiben. Du wirst vieles nicht lesen können, aber in meinem Herzen wirst du desto deutlicher lesen. Lebe wohl, meine Lotte, und umarme mir ihn, den Einzigen, den meine Seele liebt.

N. S.

Diesen Morgen ließ mich mein Vater hinunterrufen, er hatte einen jungen Menschen bei sich. Ein Schauer sagte mir, es sey H––,ich kann den Namen nicht ausschreiben. Ich empfieng ihn frostig, aber nicht unfreundlich. Er schwazte viel und sagte 20 nichts. Wenn mein Schmerz und meine Liebe mich nicht verblenden, so ist es ein alberner Geck, der den Bauer unter dem Trödelkleid eines Städters verbergen will. Thue ich ihm Unrecht, so werde ich es bereuen, aber diese Reue kann ihn nichts nützen.

Dieses Blatt, liebste Lotte, empfängst du durch Lieschen, die mein Vater mit Obst nach der Stadt schickt. Sie wird im Hin- und Hergehen den Umweg über Mayenthal nehmen, und mir deine Antwort mitbringen. Ach, ich zittere für die Gesundheit deines Bruders!

 
Siebenter Brief.

Lotte an Röschen.

Um Gottes willen, meine Freundin! was ist mit meinem Bruder vorgegangen? Er kam gestern Abends nach Hause, da wir schon zu Tische sassen. Ich war allein mit meiner Mutter. Der Vater aß bei dem Herrn Pfarrer zu Gaste. Bleich wie ein Gespenst trat er in die Stube. Sein Blick war stier und gebrochen. Alle Muskeln seines Gesichtes hatten sich verzogen. Jede seiner Gebehrden glich einer Zuckung. Er grüßte uns nicht, und dankte uns nicht für unsern Gruß. Meine Mutter ließ den Bissen aus der Hand fallen, und ich verstummte vor Schrecken. Er taumelte wie ein Trunkener die Stube auf und 21 nieder. Endlich sank er mit einem tiefen Seufzer in den Armstuhl.

Was hast du, lieber Adolph? sagte ich mit schüchterner Stimme.

Ich habe nichts mehr, alles, selbst die Ehre habe ich verloren.

Meine Mutter schlug die Hände zusammen. Nach einem kurzen Stillschweigen wagte ich es weiter zu fragen: Du warst in Friedlingen; was macht Röschen, ist das liebe Mädchen wohl?

Vermuthlich so wohl als ich.

Vermuthlich . . . hast du sie denn nicht gesehen?

Nein; . . . . doch ja, ich sah sie unter den Klauen eines Tigers, der ihr das Herz aus der Brust riß, um es mir ins Angesicht zu schleudern.

Um des Himmels willen, Bruder! fasse dich. Du bist krank, sehr krank. Da trinke. Ich reichte ihm ein Glas Wasser.

Gieb; ich hoffe es ist Gift. – Er trank es gierig hinunter.

Meine Mutter, die bisher wie versteinert da gesessen, nahm das Wort: Armer Sohn, sagte sie, mit der liebreichen Stimme, die du kennst, du bist ausser dir, ich kenne dich nicht mehr.

Niemand kennet mich mehr. Er kannte mich auch nicht der Barbar.

22 Von wem redest du? fragte sie weiter; was ist dir begegnet? Hat vielleicht Röschens Vater . . .

Nun schwieg er eine Weile still. Endlich sagte er, als ob er aus einem Traume erwachte: Hat Röschen einen Vater?

Die Mutter verbarg ihr Gesicht in das Schnupftuch, ich fiel dem armen Unglücklichen um den Hals. Meine Umarmung brachte ihn ein wenig zu sich selbst, er gab sie mir zurück und sagte, in einem Tone, der uns das Herz brach: Ach Schwester, liebe Schwester, ich bin . . . . der Unglücklichste aller Menschen.

Meine Mutter, die ihn so erschöpft sah, und meinen Vater schonen wollte, sagte zu ihm: Du bist müde, Sohn, gehe zu Bette. Morgen sollst du uns dein Unglück erzählen. Du siehst, daß wir es bereits mit dir theilen. Gehe, lieber Adolph, wenn der Vater käme, so würde dein Anblick ihm seinen heitern Abend verfinstern.

Er sah uns beide mit einer unbeschreiblichen Wehmuth an, und gieng auf seine Stube. Meine Mutter verbarg dem Vater den ganzen Vorfall. Er war kaum in die Thüre, so fragte er nach meinem Bruder. Unsere Antwort, daß er, um von seiner Müdigkeit auszuruhen, sich niedergelegt habe, ließ ihn nichts Böses ahnen.

So weit war ich gekommen, liebste Freundin, 23 als Lieschen mir deinen Brief zustellte. Mein Bruder hatte seine Kammer noch nicht verlassen. Du weißt, die meinige ist nur durch eine dünne Scheidewand davon getrennt. Ich hörte ihn bis nach Mitternacht seufzen und mit sich selbst reden. Er muß erst gegen Tag eingeschlafen seyn. Gottlob! daß deine Erzählung ihn und uns der Marter überhebt, die schreckliche Geschichte aus seinem Munde zu vernehmen. O liebes Kind, mit welchen Gefühlen mußt du sie niedergeschrieben haben: Ich enthalte mich aller Anmerkungen über das Betragen deines Vaters, auch ich will nicht vergessen, daß die Schwester meiner Seele seine Tochter ist.

Ich gab deinen Brief meiner Mutter zu lesen, und wir wurden schlüßig, ihn dem Vater mitzutheilen, Adolphen aber gar nicht um die Ursache seiner gestrigen Verzweiflung zu fragen.

Mein Vater konnte den Brief nicht ohne den lebhaftesten Unwillen lesen. Ihr wißt, sagte er, indem er ihn zu sich steckte, daß ich Adolphs Verbindung mit Röschen mehr gewünscht als gehoft habe. Schon lange kenne ich Reinhards Härte, welche die Tage seiner wackern Frau verkürzte, und seinen Stolz, dessen Quelle und Nahrung in seinem Reichthum liegt. Das einzige Mittel, seiner Tochter Ruhe zu schaffen und seine Abneigung gegen unsern 24 Sohn zu vermindern ist, daß dieser sich eine Zeitlang entferne, um in der Fremde ein Glück zu suchen, das der Eigenliebe des Schulzen schmeicheln und das Geld seines Mündels aufwiegen kann. Ich beschäftige mich schon einige Tage mit diesem Plane, und habe mich gestern darüber mit dem Herrn Pfarrer besprochen, der ihn nicht nur gebilligt, sondern mir für unsern Adolph eine Empfehlung an einen seiner Verwandten angeboten hat, der auf der Universität zu Erlangen eine ansehnliche Lehrstelle bekleidet. Ein paar Jahre sind bald verflossen, und wer weiß, was die Vorsehung aus dem Jünglinge machen will, für dessen Talente seine jetzige Sphäre zu eng ist, und dessen Wandel bisher ohne Tadel war. Glaube nicht, liebe Mutter, daß der Ehrgeiz mir diesen Plan eingegeben habe. Du weißt, daß ich mich in meiner Lage glücklich schätze, und als Jugendlehrer vielleicht mehr Gutes gewirkt habe, als wenn meine kümmerlichen Umstände mir erlaubt hätten durch die Vollendung meiner Studien eine Predigerstelle zu erhalten.

Hier trat Adolph in die Stube; sein Gesicht trug noch die Spuren des Grames, allein seine tobende Verzweiflung hatte sich gelegt. Mein Vater redete ihn mit aller seiner Zärtlichkeit an. Er sagte ihm, daß er von seiner ganzen Begebenheit unterrichtet 25 sey, und gab ihm deinen Brief zu lesen. Ich hätte ihn gern daran gehindert, weil ich voraus sah, daß Schaam und Entrüstung meinen Bruder in seinen vorigen Zustand zurück werfen würden. Dieses geschah auch, allein mein Vater ließ den Sturm nur einige Augenblicke brausen, dann faßte er Adolphen bei der Hand: bisher, sprach er zu ihm, mit einer Würde, die mein Innerstes erschütterte, bisher hielt ich meinen Adolph seines Röschens werth, dieses edlen Mädchens, in dessen reiner Seele die Leidenschaft selbst zur Tugend wird. Mit unaussprechlichem Kummer muß ich sehen, daß ich mich betrogen habe. Die Leidenschaft meines Sohns ist ein wilder Orkan, der ihn wie ein leichtes Blatt umher treibt und zu den Füssen seiner Geliebten in den Staub wirft. Sie freute sich deines Betragens gegen ihren Vater, allein wie würde sie sich deines Betragens gegen dich selbst schämen. Wo ist die Standhaftigkeit, zu der du sie so oft ermahntest? wo ist die Tugend, die bisher deiner Liebe zur Seite stand, und um deren Willen ich diese Liebe nicht nur geduldet, sondern oft in der Stille gesegnet habe? Ein Augenblick hat die heiligsten Grundsätze in deinem Busen erstickt, und die häusliche Glückseligkeit deiner Eltern, ach, vielleicht auf immer! zerstört. Länger konnte es Adolph nicht aushalten. Er warf 26 sich seinem Vater zu Fusse und versteckte sein Gesicht in seinem Kleide. Gott! Gott! rief er schluchzend, was bin ich, was war ich: Nein, ich bin weder eines solchen Vaters, noch einer solchen Geliebten würdig.

Lieschen kömmt, meinen Brief abzuholen. Ich eile ihn zu schliessen. Am Freytag, meine Theure, wirst du den Rest dieses feyerlichen Auftrits in unserm geweihten Baume finden.

 
Achter Brief.

Lotte an Röschen.

Fortsetzung.

Dir, meine Freundin, brauche ich die Empfindungen nicht zu schildern, welche die Rede meines Vaters und die edle Reue meines Bruders in mir erregten. Er richtete den guten Jüngling auf und schloß ihn in seine Arme. Als beide sich von dieser gewaltigen Erschütterung erholt hatten, sagte mein Vater: Dein Stolz, mein Sohn, den ich so oft zu zähmen suchte, ist durch den Stolz eines andern gedemüthiget worden. Ich hoffe, diese bittere Lehre werde nicht an dir verloren seyn. Nun eröfnete er ihm sein Vorhaben. Adolph hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit und mit sichtbarem Vergnügen zu. Plötzlich aber unterbrach er ihn mit einem Seufzer. Alles schön, alles gut. Allein Hartwig . . . .

27 Der soll dir nicht bange machen, erwiederte mein Vater. Die Gesetze unsers Landes verbieten jedem Vormund, seine Kinder an seine Mündel zu verheurathen, ehe diese volljährig sind. Hartwig ist kaum drei und zwanzig Jahre alt, und in zwei Jahren kann sich vieles ändern. Ist das wahr? rief Adolph, so bleibt mir nichts zu wünschen übrig.

Hat dich dein Vater jemals betrogen? Um dein Mißtrauen zu beschämen, will ich dir das Gesetz zu lesen geben.

Nein, nein, liebster bester Vater. Ach vergeben Sie mir meinen Unglauben. Der Leidende zweifelt so leicht an einer guten Botschaft. Wohlan, ich will abreisen. Uebermorgen, morgen, heute noch will ich fort. Kurz, Adolphs Abreise wurde auf künftigen Montag über acht Tage festgesetzt, da der Postwagen bei uns durchfährt. Nun sind alle Hände mit der Verfertigung seines Geräths beschäftigt. Unser lieber guter Vater gibt ihm zweihundert Gulden in die Hand, und der Herr Pfarrer hofft, daß ihm sein Vetter einen Freitisch verschaffen werde. Seit Sonnen-Aufgang hat mein Bruder keine bleibende Stätte. Er rast wie der wilde Jäger die Treppe auf und ab, und seine Stube ist eine leibhafte Trödelbude. Nur eins, liebste Freundin, quält den armen Pilger, daß er dich vor seiner 28 Abreise nicht mehr sehen, nicht mehr umarmen soll. Doch hier ist er selbst, und reißt mir die Feder aus der Hand.


Ja, meine Geliebte, das quält mich und gewiß auch dich. Ich verreise, um noch vor zwei Jahren als dein Bräutigam wiederzukommen, ober unter einem fremden Himmel mit deinem Namen im Munde zu sterben. Ich erinnere dich nicht an unser Gelübde, meine Theure. Ich wiederhole dir das meinige nicht. Heilige und ewige Bande vereinigen unsere Herzen; um sie zu trennen, müßte ein Gott sie vernichten. Dieses siegreiche Gefühl macht mich stark genug, deiner Delicatesse und deiner Ruhe selbst unsern Briefwechsel aufzuopfern. Doch soll dir keine Scene meines Schicksals unbekannt bleiben. Dafür wird unsere gute Schwester sorgen. – Ich hoffe, meine Entfernung werde dir den Frieden wieder geben, und deinen Vater versöhnen, ohne seinen Hartwig zu begünstigen. Zu begünstigen . . . Pfui, was schrieb ich. Vergieb, vergieb mir, edles, gutes Mädchen! Ich erröthe bis in die Fingerspitzen, und doch will ich die Stelle lieber stehen lassen, als sie ausstreichen. Keinen meiner Fehler, keine meiner Launen will ich der künftigen Gefährtin meines Lebens verbergen.

29 Lebe wohl, mein Röschen! Empfange den heissesten Abschiedskuß deines Geliebten und gieb ihm deinen Seegen.

 
Neunter Brief.

Röschen an Lotte.

Liebste Lotte!

Lieschen hat mir deinen vorletzten Brief glücklich eingehändigt. Wollte Gott, der gestrige wäre mir eben so unversehrt zugekommen. Doch hievon hernach.

Deine Erzählung, beste Freundin, hat alle Wunden meines Herzens, die nur noch allzufrisch waren, wieder aufgerissen. Der arme gute Adolph! Wie viel hat er gelitten! Ungeachtet ich mir alle seine Martern vorstellte, weil ich sie nach den meinigen abmaß, so hat mich doch die Schilderung derselben so krank gemacht, daß ich zween Tage das Bette hüten mußte. Mein Vater besuchte mich zweimal, und schien wirklich meinetwegen besorgt zu seyn; allein er verbarg mir seine Unruhe, und selbst seine Fürsorge war so frostig, sein Ton war so trocken, sein Trost so kraftlos, daß ich mich nicht enthalten konnte, zwischen ihm und meinem Vater Oswald eine Vergleichung anzustellen, die meine Leiden vermehrte. O, meine Lotte, wie glücklich bist du, welch ein vortreflicher ehrwürdiger Mann ist dein 30 Vater! ein wahrer Schutzengel seiner Kinder. Heil ihm! Heil mir, daß er auch der meinige war! Möchte ers doch ewig bleiben! Mit welcher sanften und doch unwiderstehlichen Gewalt hat er die verirrte Seele deines Bruders ergriffen, und aus dem Abgrunde der Verzweiflung gezogen! Warum konnte ich nicht mit ihm die Kniee seines Retters umarmen? Könnte ich Adolphen mehr lieben, als ich schon am Vermählungstage unserer Herzen ihn liebte, seine fromme Reue, seine kindliche Rückkehr würde dieses unmögliche Wunder gewirkt haben. Ungeachtet mir aller Umgang mit meinem Geliebten untersagt ist, ungeachtet ich bloß durch dich schriftliche Nachrichten von ihm erhalten kann, so kann ich doch nicht ohne Zittern an seine Entfernung denken. Nicht als ob ich sie mißbilligte. Wie könnte ich einen Schritt mißbilligen, der allein fähig ist, meine Hofnung wieder zu beleben und mich ihrem Ziele zu nähern. Allein wer weiß, welchen Stürmen seine Abwesenheit mich aussetzt, zu wie viel neuen Verfolgungen sie die Feinde unserer Liebe aufmuntern wird? Mein Entschluß ist gefaßt, ich werde kämpfen bis ich erliege, und ihr Sieg wird mein Tod seyn. Zwar die Gesetze versichern mir einen Schutz, den ich blos in dem Busen meines Vaters zu suchen wünschte. Nun so decke mich ihr 31 wohlthätiger Schild bis die Zeit auch ihn zertrümmert. Freilich kann sich in zwei Jahren vieles ereignen. Ob diese Ereignisse unsere Wünsche begünstigen oder zerstören werden, das weiß der allein, der den Pfad unsers Schicksals gezeichnet und ihn mit so vielen Dornen besäet hat. Vergieb mir, liebe Lotte, meine Schwermuth. Die Abreise meines Adolphs ist es nicht allein, was sie verursacht. In der Hofnung, den Rest deines Briefes heute an dem bezeichneten Orte zu finden, versuchte ich es gegen zehn Uhr das Bette zu verlassen. Der Morgen war schön. Ein Spaziergang in den Baumgarten konnte keinen Argwohn erwecken. Ich gieng einigemal längs dem Zaune auf und ab, und setzte mich endlich zu den Füssen unsers stummen Vertrauten nieder. Schüchtern sah ich mich erst nach allen Seiten um, als wollte ich einen Diebstal begehen, und als ich weit und breit keinen Zeugen wahrnahm, langte ich aus der Höhle des Baums deinen gestrigen Brief hervor. Das Siegel war erbrochen, und künstlich genug, aber doch nicht unmerklich, wieder zugeklebt. Ich versteckte das Blatt in meinen zitternden Busen, und wankte auf mein Zimmer, wo ich es ungestört lesen konnte, da mein Vater einen preußischen Unteroffizier bei sich hatte, der seit einigen Tagen hier auf Werbung liegt. Dieser Vorfall, über den ich 32 dir die Betrachtungen überlasse, die ich mit Gewalt unterdrücke, griff meine geschwächten Nerven so heftig an, daß ich in meine vorige Entkräftung zurück sank. Dennoch kam ich zu Tische, und that mir einen unaussprechlichen Zwang an, um meine Unruhe vor meinem Vater zu verbergen. Seit meiner Rückkunft von Mayenthal war er nie so aufgeräumt und nie so gefällig gegen mich. Da ich mir nichts vorlegte, so that ers und nöthigte mich zum Essen, und nannte mich gar einmal Röschen, da ich seit drei Wochen kurzweg Rose hieß. Nach Tische sagte er zu mir: Weise mir deinen Geldbeutel. Ich reichte ihm meine Börse, es waren ungefehr drei Gulden darinn; er steckte sechs Dukaten dazu, und gab sie mir mit den Worten zurück: Des Schulzen Reinhards Tochter soll nie ohne Geld seyn. Ich dankte ihm so gut es meine Verwirrung mir erlaubte. Zu einer andern Zeit hätte diese Freigebigkeit mich gar nicht befremdet. Mein Vater haßt den Geiz eben so sehr als er den Reichthum liebt. Allein jetzt, gerade jetzt, und so ganz auf einmal. Ich kann mir diesen schleunigen Uebergang vom höchsten Unwillen zur höchsten Güte durch nichts als durch Muthmassungen erklären, die vielleicht ungegründet, aber doch bedenklich sind, um mir für unsern Briefwechsel bange zu machen.

33 Nach langem ängstlichem Hin- und Hersinnen habe ichs endlich gewagt, Lieschen, die ich während meiner Krankheit von einer sehr guten Seite kennen lernte, den Vorschlag zu thun, mir bisweilen durch ihre Mutter ein Briefchen an dich bestellen zu lassen. Es ist ein armes ehrliches Weib, der meine seelige Mutter viel Gutes that, und der ich vor einigen Tagen einen frohen Augenblick machte. Lieschen versprach alles, besonders auch die Verschwiegenheit in ihrer Mutter Seele, und einer von meinen Franz-Gulden war das Siegel unsers Vertrags. Zum Glücke kam der Feldwebel nach Tische wieder zu meinem Vater, und ließ mir alle Zeit zu meiner Unterhandlung und zu meinem Briefe, den die gute Alte dir Morgen in eigene Hände übergeben will. Ich fühle gar wohl, meine Lotte, das Erniedrigende oder wohl gar das Verdächtige eines solchen heimlichen Verkehrs. Allein warum bin ich gezwungen, Briefe, die ich unter dem Auge des Allsehenden schreibe, vor den Augen desjenigen zu verbergen, für den ich so gar kein Geheimniß haben möchte. Nun noch einige Worte an deinen Bruder.

Fahre wohl, mein Adolph; der Liebe guter Engel sey dein Begleiter! Tritt freudig in deine neue Laufbahn, wenn auch Wolken das Ziel umhüllen, so muß doch eine Krone darauf stecken. Nimm hin 34 dieses Band aus einer deiner schwarzen Locken, und aus einer meiner blonden Locken von der Hand der Liebe gewebt, knüpfe es an deine Uhr, und so oft du sie hervorziehst, und das Zifferblatt anblickst, so müsse das Band dir sagen: in dieser Minute denkt dein Röschen an dich. Nimm diese Goldstücke, ich könnte das Geschenk meines Vaters zu keinem heiligern Gebrauche widmen; schlägst du sie aus, so schlägst du die Hand aus, die sie dir darreicht. Nimm diesen Kuß, deine Schwester drücke ihn auf deine Wangen im Namen

deiner Rosine.

Zehnter Brief.

Der Feldwebel Sturm an den Schulzen Reinhard.

Der Vogel ist gefangen, lieber Herr Schulze, und er müßte der leibhaftige Teufel seyn, wenn er uns entwischen sollte. Mich wundert nicht, daß er Ihrer Tochter ins Auge stach. Es ist, Gott straf mich, ein bildschöner Kerl, der seine volle sieben Zoll mißt.

Mein Corporal erwartete mich unter der Gestalt eines Polizeidieners, mit zween handfesten Purschen in der Schenke vor Wildheim, wo der Postillon, laut Abrede, einen Schnaps foderte. Es war ein 35 Glück, daß unser Schulmajor keinen Paß hatte, und gleich aufbrannte, als der Corporal das Wort Landstreicher aussprach. Der Lümmel wollte gar seinen Hirschfänger ziehen, allein dafür war gesorgt. Auf mich hatte er gar keinen Verdacht, weil ich einen grünen Rock trug, und mich für einen Jäger ausgab; ich log nicht, ein hübscher Rekrute ist ein Wildprett, das immer einen Rehbock oder einen Keuler werth ist. Gestern präsentirte ich den verwünschten Prinzen meinem Hauptmanne. Er ist gerade hier auf Urlaub, und hätte mich vor Freude bald geküßt. Er nahm auf allen Fall auch sein Geld in Verwahrung, das in ungefehr zweihundert Gulden in Carolinen und sechs holländischen Dukaten bestand. Diese Dukaten, lieber Herr Schulze, erinnern mich an die dreißig Stück, die Sie mir, wenn der Fang gelänge, nachzubezahlen versprochen haben. Ich habe sie, bei meiner Seele! redlich verdient, und wenn der Streich herauskäme, so wäre mir der Vestungsbau gewiß, und Sie würden mit dreihundert Dukaten nicht wegkommen.

Adressiren Sie das Röllchen nur an den T . . . . wirth in Anspach, wo ich es ablangen werde; denn vor sechs Wochen werde ich nicht nach Mayenthal zurückkommen, vielleicht auch noch später, da ich 36 künftigen Monat einen Rekruten-Transport nach H. begleiten soll.

Leben Sie wohl, lieber Herr Schulze. Ich bin

Ihr

ergebener Diener          
Wolfgang Sturm, Feldwebel.

 
Eilfter Brief.

Antwort des Schulzen Reinhard.

Ein ehrlicher Mann hält sein Wort. Hier, mein braver Herr Feldwebel, sind die versprochenen dreißig Dukaten. Der Spaß kostet mich ein paar hundert Gulden. Allein das Geld dauert mich nicht; ich kann die Freiheit meines armen verstockten Mädchens nicht zu theuer erkaufen. Machen Sie nur, daß der verteufelte Pursche bald zum Regiment kömmt. Der Tod des Churfürsten von Bayern kann wohl einen Krieg veranlassen, und da erweist mir ein Husar oder eine Stückkugel vielleicht einen zweiten Dienst, der mich aller weitern Sorgen überheben würde.

Ich schliesse noch sechs Dukaten für Ihren Corporal bei, der ein ganzer Kerl seyn muß. Verbrennen Sie diesen Brief; er bedarf keiner Antwort. Ich bin mit aller Dankbarkeit

Ihr Diener
R.      

 
Zwölfter Brief.

Lotte an Röschen.

Schon mehr als vierzehn Tage sind, seit meines Bruders Abreise, verflossen, und noch hat er nicht geschrieben. Sein Stillschweigen fängt an, meinen Vater zu beunruhigen. Meine Mutter und ich sind schon lange deswegen in Angst und Sorgen. Gestern hat auf meines Vaters Bitte der Herr Pfarrer an seinen Vetter geschrieben, um sich bei ihm zu erkundigen, ob Adolph in Erlangen angekommen ist. Den Inhalt seiner Antwort sollst du ungesäumt erfahren. Laß auf allen Fall künftige Woche durch Lieschens Mutter bei mir anfragen. Diese Zeilen schicke ich dir durch unser Hannchen, das so eben deinen Vater am Dorfe vorbei nach der Stadt reiten sah; ich muß mich daher kurz fassen, um gewiß zu seyn, daß sie vor seiner Rückkunft in deine Hände kommen. So munter mein Bruder bis auf den Tag seiner Abreise war, so schwer fiel ihm der Abschied. Es war als ob er sich auf ewig von uns trennete. Dein Brief hat ihm das Herz gebrochen, und ihm, wie er sagte, alle Grauen seines Schicksals aufgedeckt. Schreib ihr, dieß waren seine letzten Worte, daß sie wie ich, so oft es Mittag schlägt, das Sinnbild unserer Liebe, die reine warme 38 Sonne, ansehen soll; so werden wir täglich in einer Freistätte zusammen kommen, die keine menschliche Hand uns verschliessen kann. Lebe wohl, meine Theure. Ewig

deine Lotte.

 
Dreizehnter Brief.

Adolph an seinen Vater Oswald.

Fassen Sie, mein Vater, allen Ihren Muth, alle Ihre Religion zusammen, um eine Geschichte zu lesen, die alle Ihre Plane, alle Hofnungen Ihres Adolphs vernichtet. Ich bin das Opfer der schändlichsten Verrätherei. Sie wissen, daß ich allein auf dem Postwagen von Mayenthal abfuhr: auf der nächsten Station setzte sich ein preußischer Werber, in bürgerlicher Kleidung zu mir, und in einer einsamen Schenke, unweit dem  . . . . .schen Dorfe Wildheim, wo noch drei seiner verruchten Gesellen ihn erwarteten, ward ich unter dem Vorwande, daß ich keinen Paß hätte, als ein verdächtiger Mensch zum Kriegsdienste gezwungen. Erlassen Sie mir, theurer Vater, einen umständlichern Bericht meiner Schmach und meiner Leiden. Vier Wochen war ich unter den Rekruten. Ich that was ich konnte, um das Noviziat meiner Sklaverei abzukürzen. Ich lernte von Morgens bis in die Nacht 39 exerzieren, und erreichte endlich meine Meister. Vor acht Tagen langte ich hier beim St–schen Regiment an. Mangel leide ich keinen; ich würde ihn auch kaum fühlen. Mein Geld ist zwar in den Händen meines Hauptmanns, der es, um sich meiner zu versichern, in Empfang genommen hat. Doch giebt er mir, so oft ich es verlange, einige Groschen, auch wohl einen Gulden auf Abschlag. Ein Glück ist es, daß mein Koffer durch einen Frachtwagen abgieng, sonst wäre auch er meinen Räubern in die Hände gefallen. Es ist offenbar, liebster Vater, daß der teuflische Plan meiner Entführung schon vor meiner Abreise gemacht war. Seinen Urheber soll nicht das Gesetz, sondern sein Gewissen bestrafen. Es ist nicht schwer, wenigstens mir nicht, ihn zu errathen. Ich habe hier mit einem jungen Manne Bekanntschaft gemacht, der in wenig Tagen mein Freund wurde. Er hat durch den Tod des Edelmanns, bei dem er als Kornschreiber stand, seine Stelle verloren, und will nun in der Fremde sein Brod suchen. Sein Name ist Erdmann: ich habe ihm gerathen, sich nach unsern Gegenden zu wenden, und er hat mir versprochen, seinen Weg über Mayenthal zu nehmen. Bei ihm schreibe ich diese Zeilen, die Sie aus seinen Händen empfangen werden. Ich ziehe diesen langsamern Weg vor, weil 40 es den Soldaten verboten ist, andere, als offene Briefe auf die Pest zu geben. Von diesem edeln jungen Manne werden Sie einige nähere Umstände meines Schicksals erfahren. Hätte ich auch die Zeit, so würde es mit an Muth fehlen, sie zu erzählen. Da mein Unfall Rosinen nicht verborgen bleiben kann, so beschwöre ich unsere Lotte, ihn ihr mit der möglichsten Schonung beizubringen. Ihr alles entdecken, hieße ihr den Tod geben. Das aber, liebste Schwester, vergiß nicht ihr zu sagen, daß ich auch als Sklave noch jeden Mittag in die Sonne sehe, und daß ich Leben aus dieser Quelle schöpfen würde, wenn nicht der Durst nach Leben in meiner Seele erloschen wäre. Man spricht von einem nahen Kriege. Ich werde den Tod nicht suchen, aber noch weniger ihn fliehen. Ihr Bild, bester Vater, und Ihre Lehren sollen mich auf das Schlachtfeld begleiten, und ich werde Ihnen als Soldat eben so wenig Schande machen, als ich ihnen als Student gemacht haben würde. Mein netter Gebieter, die Trommel, ruft mich. Leben Sie wohl, theuere, ewig theuere Eltern, bedauren Sie, lieben Sie, segnen Sie

Ihren unglücklichen Sohn.

 
Vierzehnter Brief.

Röschen an Lotte.

Die Ruhe, die Adolphs Entfernung mir geben sollte, hat sich mit ihm noch weiter von mir entfernt. Sein Stillschweigen, liebste Freundin, kann keine andere als traurige Ursachen haben. Möchten doch die Nachrichten, die ich durch die Ueberbringerin dieses Blattes von dir erwarte, wenigstens diese Quelle meines mannigfaltigen Kummers verstopfen! Hätte nicht dein würdiger Vater mich die Macht böser Geister über die Menschen als ein Hirngespinst des Aberglaubens verwerfen gelehrt, so würde jeder Tag mich in dem Wahne bestärken, daß irgend ein Satan seine Freude daran hat, alle meine Vorsicht zu täuschen und meine geheimsten Schritte zu verrathen. Mein Vater begegnete mir einige Tage bald freundlich, bald gleichgültig, aber nie hart. Ein zweiter Besuch seines Mündels, dessen plattes Gewäsche und noch eckelhaftere Schmeicheleien ich mit heroischer Geduld anhörte, gab ihm keine Ursache mit mir zu zürnen. Gleichwohl umwölkte vorige Woche sich seine Stirne von neuem. Ich hieß wieder Rose. Alle seine Fragen, alle seine Befehle tönten so mürrisch, so gebieterisch, daß ich in seiner Gegenwart fast immer zitterte. Dieses 42 begegnete mir auch gestern, da er mir einen seht bittern Verweiß gab, weil ich in der Zerstreuung meiner Sinne, als ich ihm einschenken wollte, das Glas umstieß. Du hast keine Augen, keine Gedanken, an dem allem ist dein böses Gewissen Schuld. Ich seufzte. Das war wieder einmal ein Seufzer, fuhr er fort, der mich bei Gott verklagen soll. Ach Vater, lieber Vater, für was für ein Ungeheuer haltet ihr mich! Womit hab ich diesen entsetzlichen Argwohn verdient? – Mit deinem Ungehorsam.

Ungehorsam, schluchzte ich und schlug die Hände zusammen.

Nun das muß ich gestehen, der Jesuit Oswald hat dich zu einer ausgelernten Heuchlerin gemacht.

Vergieb ihm, meine Lotte. Auch ich habe ihm vergeben. Ich erstickte einen zweiten Seufzer und schwieg. Nach einigen Minuten schob ich meinen Stuhl zurück, um aufzustehen.

Noch ein Wort, Mamsell. Wie viel bleiben dir noch von den Dukaten, die ich dir vor einigen Wochen gab?

Diese Frage versteinerte mich. Ich blieb starr auf meinem Stuhle sitzen, und konnte die Zunge nicht rühren.

Hörst du nicht? deine Dukaten möchte ich sehen. Du warst immer eine gute Wirthin. Sie können 43 noch nicht alle seyn. Dein Beutel! Lotte, ich glaube meine Hand zitterte, als sie ihm den Beutel übergab, aber mein Herz zitterte nicht.

So, so . . . kaum einen Gulden, sagte er beym Aufzählen meiner Münze. Wo sind denn die Dukaten?

Ich habe sie nicht mehr.

Was hast du damit angefangen?

Ich habe eine Schuld damit bezahlt.

Er sah mir steif in die Augen. Ich schlug sie nicht nieder, ich hatte die Wahrheit geredet.

Wem warst du schuldig?

Ich schwieg, und ich glaube meine Miene sagte: Vater, verehrt mein Geheimniß.

Deinem Kerl hast du sie angehängt. Nichtswürdige . . . . . Ich kann das Beiwort nicht schreiben. Mein Herz empörte sich. Ich hatte die Kraft aufzustehen und, ohne meine Börse zurückzunehmen, das Zimmer zu verlassen. Ich weiß nicht, meine Lotte, ob der Stolz der Unschuld mir einen besondern Anstand gab. Allein die Stimme meines Vaters milderte sich auf einmal. Geh nur, rief er mir nach, ich will den Streich gern vergessen, wenn du den Purschen vergessen willst. – Den werde ich nie vergessen, dachte ich bei mir selbst, und meine Seele schmiegte sich noch fester an sein Bild. Laß ihn, 44 meine Lotte, nichts von dieser Scene wissen, sein Herz hat genug an seinem eigenen Jammer. Dem deinigen verhehle ich nichts. Was würde aus mir werden, wenn ich in der Welt auch nicht eine Freundin hätte, der ich die Geheimnisse meines Kummers anvertrauen dürfte?

 
Fünfzehnter Brief.

Lotte an Röschen.

Lies, meine Schwester, und weine mit uns, aber verzage nicht. Die höchste Stufe des Leidens der Unschuld ist die nächste zu ihrem Siege. Das Schreiben, wovon ich dir einen Auszug beilege, ward uns heute von einem Reisenden überbracht, den mein armer Bruder sich zum Freunde gemacht hat. Er wird noch einige Tage bei uns bleiben. Er muß uns alles, alles erzählen, was er von ihm weiß. Es ist ein feiner junger Mann, dessen warme Theilnahme an unserm Unglück uns ein wichtiger Trost ist. Könnten wir nur dich, liebste Freundin, auch mit in unsern traurigen Zirkel einschliessen. Du würdest dich auf uns lehnen, und zugleich unsern Kummer uns tragen helfen. Verbirg nur ja deinen Schmerz vor deinem Vater. Aus deinem Briefe schliesse ich, daß unser gemeinschaftliches Unglück für ihn ein Triumph seyn würde. Erdmann, so heißt 45 der Fremde, versichert uns, daß er meinen Bruder zwar betrübt, aber gefaßt, zwar ohne Hofnung, aber auch ohne Verzweiflung verlassen habe. Für die ersten Tage dieser neuen Schule der Widerwärtigkeit ist das genug. Adolph hat Muth und Ehrliebe, er wird sich auszeichnen, und bald über die Elenden emporragen, die ihm Fesseln anlegten. Hilf uns, meine Freundin, für ihn den Schutz der Vorsehung erbitten; sie würde ihn keinen so furchtbaren Prüfungen unterwerfen, wenn sie ihn nicht erhalten, für dich und uns erhalten, und zu einem Manne von bewährter Tugend ausbilden wollte.

 
Sechszehnter Brief.

Röschen an Lotte.

Ich habe, meine Lotte, sechs Wochen aus dem Tagebuch meines Lebens verlohren, ohne daß ich weiß, wo sie hingekommen sind. Kaum hatte ich deinen letzten Brief mit seiner Beilage durchgelesen, so ergriffen mich Schauer auf Schauer. Meine Beine wichen aus ihren Gelenken. Kaum konnte ich mein Bette erreichen, von dem ich doch keine vier Schritte entfernt war. Ich fiel quer über dasselbe,. ohne das Bewußtseyn zu verlieren. Ich konnte weder seufzen noch weinen; nur zittern konnte ich. Meine Augen waren nicht geschlossen, und ich sah 46 nicht; ich war nicht eingeschlafen, und dennoch hörte ich nicht. Ach, meine Schwester, du weißt nicht alles, oder aus Barmherzigkeit hast du mir nicht alles gesagt, was die Nachricht von dem traurigen Schicksale meines Adolphs entsetzliches für mich haben mußte. Ich lag wie ein Missethäter mit zerbrochenen Gliedern auf dem Rade, und erwartete von der Gnade meines Henkers den letzten Schlag. Ich weiß nicht wie lange meine Betäubung dauerte. Als ich zu mir selbst kam, fühlte ich mein Angesicht mit Thränen überschwemmt, und sah Lieschen, aus deren Augen sie flossen, blaß wie eine Leiche über mich hingelehnt. Sie hatte die Briefe, die neben mir auf dem Bette lagen, in ihren Busen verborgen, und rief mich mit der dumpfen Stimme des Jammers bei meinem Namen. Endlich konnte ich ihr ein Zeichen des Lebens geben. Mein erster Gedanke war nicht an Adolph, nicht an dich, meine Lotte, sondern an meinen Vater. Wie ein Blitzstrahl schreckte die Furcht mich auf, daß er zu mir heraufkommen und die schauerlichen Urkunden bei mir finden möchte. Ich erinnerte mich, daß ich sie bei meinem Hinsinken in der Hand hielt, ich tappte um mich her, um sie zu suchen. Lieschen verstand mich. Hier sind sie, sagte das gute Mädchen. Ich habe sie zu mir genommen, aus Furcht. . . . . Ich 47 bekam die Sprache wieder. Mit leiser, schüchterner Stimme bat ich Lieschen, meine verschlossene Schreibtasche aus meinem Schranke hervor zu langen. Ich steckte die Briefe hinein, und fuhr fort: Schwöre mir, meine Freundin, daß du meinen letzten Willen erfüllen willst. Sie reichte mir ihre Hand und weinte. Trage, sobald du kannst, diese Brieftasche zu deiner Mutter, und beschwöre sie bei dem Grabe, in das ich bald hinunter steigen werde, sie nach meinem Tode meiner Lotte zuzustellen. Sie wird euch für diesen letzten Dienst belohnen; ich kann es nicht. Lieschen versprach mir alles, und nun war ich ruhig.

Mein Vater, der meinen Zustand dem Verdrusse zuschreiben mogte, den er mir Tages vorher verursacht hatte, schien anfangs meine Krankheit wenig zu achten. Er besuchte mich einigemal auf meinem Zimmer, sprach wenig, auf das ich mich nicht mehr besinne, und erst am dritten Tage, da ich nichts mehr um mich wußte, ließ er den Arzt rufen. Drei Wochen schwebte ich zwischen Tod und Leben. Was in dieser Zeit mit mir vorgieng, habe ich blos von Lieschen erfahren, die Tag und Nacht nicht von meinem Bette wich. Der Arzt gab mich verlohren, und nun fieng mein Vater an, wieder mein Vater zu seyn. Retten Sie mein Kind, sagte er, mein einziges Kind, mein halbes Vermögen soll Ihr Lohn 48 seyn. Es wurden mir Blasen gesetzt. Beim ersten Verband weckten die Schmerzen mich auf eine Minute aus meinem Todesschlummer. Ich erblickte den Arzt, der einen blauen Ueberrock anhatte. Ach der Werber, der Werber, rief ich. Hinaus . . . Hinaus! . . Ich sprachs und sank in eine Ohnmacht. Mein Vater konnte diese Scene nicht aushalten. Wie von einem Mörder verfolgt, entfloh er aus meinem Zimmer, und von nun an begleitete er den Arzt nur bis an meine Thüre. Endlich siegte meine Jugend. Ich ward gerettet. Meine Erholung war langsam, und noch, meine Freundin, bin ich so schwach, daß ich fünf Tage brauchte, um mit zitternder Hand diese wenigen Zeilen an dich zu schreiben. Ich weiß nicht, ob ich mich meiner Genesung freuen soll, doch das Leben ist ja eine Wohlthat Gottes. Soll es mir eine Last seyn, so wird er mir sie tragen helfen.

Lebe wohl, Schwester meines Herzens, und umarme mir deine theuern Eltern! Lieschen hat mir gesagt, mit welcher ängstlichen Besorgniß sie bei ihrer Mutter sich täglich nach meinem Befinden erkundigen liessen. Wäre ich gestorben, meine erste Fürbitte vor dem Throne des Allgütigen würde für sie gewesen seyn. 49

 
Siebenzehnter Brief.

Adolph an seinen Vater.

Ich lebe noch, bester Vater, und würde sogar meinen jetzigen Zustand erträglich finden, wenn er mich nicht von allem trennte, was mir auf Erden theuer ist. Mein Freund Erdmann wird Ihnen die Erzählung meines Unfalls überbracht, und Sie durch seine eigene Erzählung ergänzt haben. Seitdem ist mir nichts merkwürdiges begegnet. Nun aber ist der Krieg erklärt, und unser Regiment hat gestern Befehl erhalten, nach der böhmischen Gränze aufzubrechen. Diesen Winter brachte ich meine Musse mit Lesung nützlicher Kriegsbücher zu, die mir unser Obristlieutenant borgte, der mich bisweilen zu seinem Kopisten braucht. Dieser Vorzug verschaft mir manche Vortheile, die mir die Last meiner Ketten erleichtern. Nie aber werde ich vergessen, daß sie mir durch niederträchtige Gewalt angelegt worden. Mein Hauptmann ist ein strenger, aber nicht ungerechter Gebieter, der mir erst einen einzigen Verweiß gab, welcher mich bald in Arrest gebracht hätte, weil ich mir einfallen ließ, mich zu rechtfertigen. In einigen Wochen wird also die furchtbare Schaubühne eröfnet. Dann sollen Sie, theurer Vater, mehr von mir erfahren. Zween meiner Cameraden, denen meine Begebenheit nicht unbekannt war, 50 schlugen mir neulich vor, zu desertiren. So wenig ich mich für gebunden halte, so widerrieth mir doch eine innere Stimme, in ihren Vorschlag zu willigen. Sie führten ihn allein aus, und wurden ertappt. Ihre schmähliche und schreckliche Strafe hat meine Weigerung bei mir selbst gerechtfertiget. Ein hiesiger Bürger, dessen Sohn ich seit einiger Zeit im Schreiben und Rechnen unterrichte, hat sich erboten, mir diesen Brief zu bestellen. Geben Sie doch, bester Vater, meiner Geliebten von seinem Inhalt Nachricht. Ich vergaß Ihnen zu melden, daß ich meine Uhr gerettet habe. Sie ist der einzige, aber auch der gröste Schatz, der mir übrig bleibt. In jedem einsamen Augenblicke küsse ich das Band, das die Hand der Liebe daran geknüpft hat. Wenn Sie mir antworten, so thun Sie es unter nachstehender Adresse.

Im Leben und im Tode bin ich

Ihr treuer dankbarer Sohn.

 
Achtzehnter Brief.

Lotte an Röschen.

Thränen der süssesten Wonne, meine theuerste Schwester, haben das Zeugniß deines neuen Lebens benetzet. Wie viel haben wir deinetwegen ausgestanden, besonders ich, die ich mich für die Ursachen deiner Krankheit hielt, weil ich nur allzufrüh 51 erfuhr, daß sie dich über der Lesung meines letzten Briefes angestossen habe. Dank, unaussprechlicher Dank dem Allmächtigen, der das Grab unter deinen Füßen zuschloß. Er wird auch, wenns Zeit ist, die Wunde deines Herzens heilen. Nur schone dich ja, meine traute Freundin, und so lange das Schreiben dich zu sehr angreift, so laß mir nur mündliche Nachrichten von deiner Gesundheit geben. Hier empfängst du ein Rezept, das, wie ich hoffe, deine Kräfte mehr herstellen soll, als die Verschreibungen deines Arztes – einen Brief von unserm lieben, guten Adolph, bei dessen Zurücksendung ich nicht nöthig habe, dir die Vorsicht zu empfehlen. Er hat uns eben so viel Freude gemacht als der deinige. Alles ist gewonnen, da mein Bruder anfängt, sich in seine Lage zu schicken. Wer weiß, ob nicht dieser dornigte Umweg die Bahn ist, auf der euch der Himmel wieder zusammen führen will? Was Adolph dir ist, meine Theure, das ist, ich bekenne es ohne Erröthen, sein Freund Erdmann mir geworden. Er wollte nur einige Tage hier bleiben, als aber der Kummer und die Sorgen um meinen Bruder die Winterbeschwerlichkeiten meines Vaters vermehrten, erbot sich der edle junge Mann, ihm den öffentlichen Unterricht abzunehmen. Er legte seine Probe vor unserm Herrn Pfarrer ab, und erhielt mit seinem Beifall die Bewilligung seines Antrags. Nun 52 ist er bald drei Monate unser Hausgenosse, und vorige Woche bot er mir sein Herz mit einer so biedern, unbefangenen und bescheidenen Art an, daß ich ihm den Eindruck nicht verhehlen konnte, den sein stilles prunkloses Verdienst auf mich gemacht hatte. Ich verwieß ihn an meine Eltern. Gestern sprach er mit ihnen, und wenn er in unserer Gegend irgend eine Versorgung finden sollte, so werden sie mit Freuden unsere Liebe krönen. Erdmann ist der Sohn eines baireuthischen Beamten: er verlohr früh seine Eltern, die ihm so viel hinterliessen, daß er sein Lieblingsfach, die Cammeralwissenschaft, erlernen konnte. Nach seiner Rückkunft von der Akademie verwaltete er die Güter eines Edelmanns, dessen Tod ihn ausser Brod setzte. Neben seinen Berufsstudien besitzt Erdmann noch viele schätzbare Kenntnisse, und sein Gefühl für das Schöne und Gute ist so lauter, so zart, daß uns in seiner Gesellschaft die Winterabende eben so kurz werden, als da Adolph uns die Meisterstücke des Verstandes und Witzes vorlas, indeß wir neben unserer Mutter hinter dem Spinnrocken sassen. Warum darf ich der Schwester meines Herzens nicht meinen Geliebten zuführen, und sie um ihre Freundschaft für ihn bitten? Doch auch dieser Tag wird erscheinen. Mein Herz versichert mirs laut, daß er erscheinen werde, und dann will ich meinem Röschen Brust an Brust 53 die Umarmungen nachbezahlen, die ich ihr schon lange vorenthalten muß.

 
Neunzehnter Brief.

Röschen an Lotte.

Ja wohl, meine Freundin, war dein Brief mir eine Herzstärkung. Sie kam mir eben zur rechten Zeit; zwo Stunden zuvor brachte mein Vater mir seinen Hartwig auf mein Zimmer. Seit meiner Krankheit hatte er seiner mit keinem Worte erwähnt. Sein Anblick erschütterte mich so sehr, daß ich seinen Glückwunsch über meine Herstellung blos mit einem zitternden Kopfnicken erwiedern konnte. Schliesse hieraus, meine Freundin, ob unsere Unterredung sehr lebhaft war; doch verbesserte ich meinen Fehler, wenigstens bei seinem Abzuge; denn da konnte ich ihm mit deutlicher Stimme meinen Dank wiederholen. Als er fort war, trat mein Vater vor mich hin: nun, sagte er, mußt du auch deine Wärterin belohnen; hier hast du Geld. Bei diesen Worten legte er mir meinen Geldbeutel in die Hände. Dieser Anblick erinnerte mich an einen der peinlichsten Auftritte meines Lebens. Ich ließ den Beutel aus den Händen fallen, und hatte die Kraft nicht, ihn von der Erde aufzuheben. Mein Vater that es, und warf ihn neben mich auf den Tisch, indem ich ihm meine Erkenntlichkeit auszudrücken suchte. Er 54 mußte meine Verlegenheit in allen Zügen meines Gesichts lesen. Sie rief auch ihm ein Andenken zurück, wobei ihm nicht wohl war. Er verließ mich plötzlich: sey ruhig, sagte er im Weggehen, alles ist vergessen. Nach einer Weile öffnete ich den Beutel; er enthielt vier Carolinen. Das Geschenk freuete mich um Lieschens und ihrer guten Mutter willen; ich hatte eben etwas davon für sie zurück gelegt, als das brave Mädchen mir deine Botschaft überbrachte. Diese machte mich wieder lebendig, und du mußt es mir verzeihen, meine Lotte, ich las Adolphs Brief vor dem deinigen. Ich fühlte mich unendlich erleichtert, als ich sah, daß er sein Unglück so standhaft erträgt. Allein die tiefste Wunde meines Herzens konnte sein Brief, leider, nicht heilen; das könnte blos mein Vater. Gott! wenn er nur einen Augenblick dem deinigen gliche! Glückliche Freundin, deine Liebe fand in ihm keinen Verfolger, sondern einen leitenden Schutzgeist. Wie gerne möchte ich in deinen Armen deine Liebe segnen! Küsse mir deinen Erdmann, und wenn du an Adolph schreibst, so sage ihm auch etwas für mich. Da du, meine Lotte, nun selbst liebst, so kannst du besser als jemals die Dolmetscherin meines Herzens bei meinem Geliebten seyn. 55

 
Zwanzigster Brief.

Adolph an seinen Vater.

Nun, bester Vater, weiß ich wozu ich bestimmt hin, zum Soldaten. Mein Loos ist entschieden. Die Hand der Vorsehung selbst hat es für mich gezogen. Wir lagen einige Wochen ziemlich ruhig in unsern Cantonirungen. Vor acht Tagen aber wurde unser Posten unvermuthet von einer überlegenen Macht angegriffen. Wir wehrten uns wie Löwen. Der größte Theil meiner Compagnie zog sich mit der Fahne in einen Baumgarten, den ein dichter Zaun beschützte. Wir fochten schon über eine halbe Stunde; zween unserer Offiziers waren todt, der Zaun war an verschiedenen Orten eingerissen, als der Junker an meiner Seite fiel. Ich ergriff die Fahne, lehnte sie neben mich an einen Baum, und fuhr fort zu feuern. Eine Haubitze zerschmetterte den Baum und verursachte mir eine Quetschung am Schenkel. Ich stürzte, und die Fahne fiel neben mir zur Erde. Ich wickelte mich hinein, und versuchte es sitzend mein Gewehr auf einen jungen Staabsoffizier loszuschiessen, der mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit den Angriff commandirte. Die Kugel traf den Kopf seines Pferds, es stürzte mit seinem Reuter zu Boden; im Nu drangen einige Grenadiers durch die Oefnungen des Zaunes 56 herein, und stürmten mit gefälltem Bajonet auf mich los, tödtet ihn nicht, rief aus allen Kräften der junge Offizier, der sich wieder aufgeraft und dem Zaune genähert hatte. Ich war umringt, man bot mir Quartier an, und ich übergab mein Gewehr. Ich war einer der letzten, der es that. Die meisten meiner Cameraden waren todt oder bereits gefangen. Mein Retter näherte sich mir, und befahl, mich aus der Fahne herauszuwickeln. Bravo, bravo, mein Freund! rief er mir zu. Ist er ein Preuße? Nein, Ihro Gnaden. Was für ein Landsmann? Ich nannte mein Vaterland. – Also einer meiner Unterthanen? – Hier flüsterte ein Grenadier mir zu, daß es der Erbprinz von . . . . . . sey. Die Miene des jungen Helden hatte sich ein wenig verfinstert. – Alle meine Cameraden können bezeugen, erwiederte ich, daß ich auf meiner Reise nach der Akademie durch List und Gewalt in die Hände preußischer Werber gerathen bin. Das ist wahr, riefen drei oder vier meiner Mitgefangenen. Und wenns auch nicht wahr wäre, sagte der Prinz mit der reizendsten Freundlichkeit; er hat sich brav gehalten, und ich liebe die Tapferkeit auch an denen, die mir mein Pferd unter dem Leibe wegschiessen. Ich hoffe, seine Wunde hat nicht viel zu bedeuten. Es ist eine bloße Contusion, antwortete ein Feldscheerer, der mich auf des Prinzen Befehl besichtigte. Ich saß noch immer 57 auf der Erde. Trag er Sorge für ihn, sagte der Prinz im Weggehen, und mach er mir Morgen seinen Rapport. Auf einmal kam der Prinz wieder zurück. Hätte er nicht Lust, mein Sohn, unter meinen Husaren Dienste zu nehmen. Er soll gleich Wachtmeister seyn, und wenn er sich wohl hält, werde ich weiters für ihn sorgen. Ich war bis zu Thränen gerührt. Mein Fürst und mein Lebensretter, sagte ich, hat das erste Recht auf meine Dienste. Mein Blut und mein Herz sey ihm auf ewig gewiedmet. Der Prinz lächelte. Gut, mein Freund, es soll ihn nicht gereuen. Hierauf sprach der Prinz mit einigen Offiziers, und als er weg war, wurde ich in ein besonders Haus gebracht, und mit zween verwundeten kaiserlichen Offizieren aufs beste verpflegt. Täglich läßt der Prinz sich nach mir erkundigen, und gestern versuchte ich es zum erstenmal wieder auf mein Bein zu stehen. Der Feldscheerer versichert mich, daß ich in vierzehn Tagen meinen neuen Posten werde antreten können.

So weit war ich, mein Vater, als mein großmüthiger Beschützer mich auf meiner Stube besuchte. Nun wie gehts, Herr Wachtmeister? sagte er im Hereintreten. Das ist brav daß ich ihn ausser dem Bette antreffe. Ich konnte nur stammeln. Allein der Prinz verstand meine Sprache. Er reichte mir die Hand. Ich küßte sie nicht, sondern drückte sie 58 fest an mein Herz, das hoch unter ihr aufschlug. Meine Freiheit mißfiel ihm nicht; ein Druck seiner Hand sagte es mir. Sey er immer so brav wie am Tag unserer Bekanntschaft, und sobald er ausgehen kann, laß er sich bei mir melden. Ich werde indessen meine Befehle zu seiner völligen Ausrüstung geben. Mit diesen Worten verließ er mich. Ich wollte ihm bis an die Thüre nachhinken, allein er wollte es nicht gestatten.

O mein Vater, wie kann ich Ihnen meine Empfindungen ausdrücken! Jetzt erst fühle ich, daß man Soldat seyn kann, ohne Sclave zu seyn. Dieser Stand ist mein Beruf; empfangen Sie das Gelübde, daß ich ihm Ehre machen will, und geben Sie doch meinem Röschen Nachricht von meiner so unverhofften, so glücklichen Verwandlung. Diesen Mittag werde ich zum erstenmal mit ganz heitern Augen in die Sonne schauen. Gott! könnte ich nur einen Augenblick das Angesicht des Engels sehen. Mehr als kein Fürst geben kann, würde ein einziger ihrer Blicke mir geben.

N. S.

Mein Brief kam gestern nicht fort. Heute besuchte mich mein neuer Rittmeister. Es scheint ein edler, erfahrener Kriegsmann zu seyn, von dem sich etwas lernen läßt. Er hat mir erlaubt, daß Sie, 59 bester Vater, unter seiner hier angehängten Adresse an mich schreiben dürfen.

Es wundert mich nicht, daß ich auf mein letztes keine Antwort erhalte. Die Veränderung meines Schicksals und meines Standorts ist Schuld daran. Noch eins, können Sie mir keine Nachricht von Erdmann geben?

 
Ein und zwanzigster Brief.

Oswald an Adolph.

Auch der zärtlichste Sohn, mein Adolph, so lang er nicht Vater ist, hat keinen Begrif von Vaterfreude. Groß sind die Entzückungen eines liebenden Paares, das sich selbst die ganze Welt ist, noch grösser sind die Entzückungen liebender Eltern, die ihren einzigen Sohn auf der Bahn der Ehre und Tugend daher schreiten sehen. Ja, mein braver Adolph, wenn ich dir auch unsere Wonne über deine Beförderung und vornämlich über das, was sie veranlaßt hat, auszudrücken vermöchte, dein Herz würde sie uns doch nicht ganz nachempfinden können. Ich glaube wie du, daß nun dein Beruf entschieden ist. Ich hatte dich nicht für den Kriegsstand erzogen: allein der Herr des Schicksals hat ihn für dich gewählt. Es war mir oft bange, wenn ich das Aufstreben deines Geistes in der Stille betrachtete, daß der Wirkungskreis, für den ich dich bestimmte, dir zu 60 eng seyn möchte. Nun stehst du im Freyen, die Pferche ist niedergerissen, du kannst deinen muthigen Gang ungehindert fortsetzen; nur übereile dich nicht, stosse niemanden mit Gewalt auf die Seite, und laß dich nicht von deinem Stolze unter der Maske der Ehrliebe irre führen. Morgen soll Röschen deinen Brief lesen. Das arme Kind war dem Grabe nahe; die Nachricht von deiner Entführung schlug sie zu Boden. Aus einigen Worten, die ihr entfielen, schlossen wir, daß auch sie ihren Vater für den Urheber der Verrätherei hält. Vor Hartwigen hat sie seit einiger Zeit Ruhe. Du siehst, lieber Sohn, daß auch in unserer Gegend dir eine Morgenröthe des Glücks aufgeht. Bist du nur einmal Offizier, so denke ich, der stolze Reinhard werde es näher geben. Indessen, lieber Adolph, ist deine Schwester so gut als eine Braut. Hättest du meine Antwort auf deinen letzten Brief erhalten, so würdest du deinen künftigen Bruder errathen. Ich überlasse es Lotten, ihn dir zu nennen. Sie will sich diese Freude nicht nehmen lassen, da sie ihren Geliebten von deiner Hand empfangen hat. Ich habe es versucht, mir ihn beim Consistorium zum Adjunct auszubitten. Da du, mein Adolph, nun zum Schulmeister verdorben bist, so wirst du wohl nichts dagegen einwenden, daß ich dir einen Nachfolger suche. Das Ehrenamt bliebe ja doch in der Familie . . . 61 Ich hoffe, mein Gesuch durch den Herrn von Wertheim unterstützen zu lassen, der künftige Woche auf dem Ritterhofe erwartet wird, und in vorigen Zeiten, ehe er seinen Wohnsitz in Sachsen aufschlug, immer sehr viele Güte für mich hatte. Er ist zwar hier nur Mitherrschaft, sein Vorwort wird aber immer von großem Gewichte seyn. – Lebe wohl, liebster bester Sohn! Da du nun nicht mehr unter dem Drucke lebst, wirst du uns hoffentlich fleißiger schreiben. Thue es doch, um unser aller Ruhe willen.

 
Zwei und zwanzigster Brief.

Lotte an Röschen.

Sagte ich dir nicht einst, meine Schwester, daß die höchste Stufe des Leidens der Unschuld die nächste zu ihrem Siege sey. Meine Ahnungen sind eingetroffen. Hier, liebes, holdes Mädchen, schicke ich dir das Evangelium unserer häuslichen Freude. Ich mache dir kein Gemählde davon. Diese Sorge überlasse ich deinem Herzen. Die Tapferkeit unsers Helden macht mir freilich mitunter ein wenig bange. Allein meine Zuversicht ist stärker als meine Furcht. Ich spreche dir heute nicht einmal von meinem Geliebten. Du sollst dich ganz allein mit dem Deinigen beschäftigen. Unser guter Vater vergißt über seinem Sohne seine Tochter nicht. Er wird nächstens einen Schritt versuchen, von dem ich dir erst 62 alsdann schreiben werde, wenn ich dir den Erfolg melden kann. Die ganze Wertheimische Familie wird die schöne Jahreszeit auf ihrem herrlichen Rittersitze zubringen, in dessen Lindenallee wir so manchen Sommerabend verplauderten. Sie sind dem Krieg ausgewichen, der ihre Sächsischen Güter bedrohet. Man macht allerhand Anstalten zu ihrem Empfange, wobei ich und die Meinigen auch eine Rolle übernehmen werden. Damit du, meine Freundin, diesen Brief desto eher erhaltest, soll Hannchen ihn heute noch unserer guten Alten einhändigen. Schicke mir aber ja die Inlage bald wieder zurück.

 
Drei und zwanzigster Brief.

Röschens Antwort.

Auch mir, liebste, beste Lotte, war deine Botschaft ein Evangelium. Schon lange war Adolph mein Geliebter, ich ahnete aber nicht, daß er einst mein Held werden würde. Der Edle, Trefliche. . . . . Kein Beiname ist mir schön genug für ihn. Sein Benehmen gegen den Prinzen bewundere ich noch mehr als seine Tapferkeit im Treffen. Sein Stolz ist ein reiner Stolz. Bald mache ich mir Vorwürfe, daß wir ihn so oft bestritten haben. Wie lieb mir unser Erbprinz geworden ist! Ich fühlte seinen Händedruck in allen Fibern meines Herzens. Mich dünkte, ich hörte ihn, wie Heinrich der IV bei einer 63 ähnlichen Gelegenheit, sagen: Je connois cela. Du siehst, meine Lotte, daß ich mein bischen Französisch noch nicht vergessen habe. Wie glücklich wäre ich, wenn nicht Hartwigs Zudringlichkeiten mich mit einem neuen Sturme bedrohten! Vor einigen Tagen besuchte er mich wieder. Mein Vater war ausgegangen. Ich glaubte ihn durch diese Nachricht vom Nacken zu bringen. Allein er blieb, und sein Ton stieg zu einer beinahe beleidigenden Vertraulichkeit. Ihr Vater arbeitet beim Oberamte an meiner Mündigsprechung, sagte er, und dann hoffe ich, daß unsere Heurath bald vor sich gehen wird. Eine hübsche Wirthin ist eine schönere Sonne als die auf meinem Schilde. Er war der einzige, der diesen albernen Einfall belachte. Dennoch faßte ich mich. Ich bin noch viel zu jung für eine Wirthin, war meine Antwort. O das lernt sich alles, erwiederte er; ich werde Sie wohl noch andere Dinge lehren. Ich glühte vor Unwillen Die Ankunft meines Vaters erlößte mich aus meiner Gefangenschaft. Recht so, Leutchen, sagte er, das sehe ich gerne. Unsere Sache wird gehen, flüsterte er hierauf dem ungezogenen Menschen zu, der bald hernach seinen Abschied nahm. Lotte, liebe Lotte, die Mauer, die mich von meinem Adolph trennt, ist noch nicht eingerissen. Einen Freier von Gefühl würde mein Kaltsinn abschrecken. Hartwig ist nicht von diesem Schlage. 64 Er trägt in seinem Gesichte einen Zug von Frechheit, der mich alles befürchten läßt. Auch bestätigen seine Sitten die ausgelassene Sprache seiner Augen, und rechtfertigen das Urtheil der meinigen. Ich vergaß dir zu sagen, daß Lieschen ihn während meiner Krankheit in einem mehr als vertraulichen Gespräche mit einer jungen Waise überraschte, die bei dem jetzigen Inhaber seines Wirthshauses in Diensten stehet. Das that der Elende, indeß seine gehoffte Braut mit dem Tode kämpfte. Doch warum will ich Galle unter den Becher deiner Freude mischen? Nein, meine Lotte, dir ist es vergönnt, seine ganze Süßigkeit zu schmecken, und mein Loos ist, nur seinen Rand mit meinen Lippen zu berühren.

 
Vier und zwanzigster Brief.

Lotte an Röschen.

Der Ton deines letzten Briefes, meine Freundin, stimmt den meinigen herunter, ungeachtet ich dir die wichtigste, und wie ich hoffe, auch die glücklichste Begebenheit meines Lebens zu melden habe. Verwichenen Montag langte die Wertheimische Familie auf dem Schlosse an. Es war verabredet, daß der Herr Pfarrer mit seiner Gattin und meine Eltern nebst mir, ihnen nach Tische aufwarten sollten. Da mein Vater dem Baron seinen Gehilfen Erdmann vorstellen wollte, so mußte auch er der Prozession 65 beiwohnen. Wir wurden auf das leutseligste empfangen, und schickten uns bereits zum Rückzuge an, als der Stiefsohn des Barons, ein junger Herr von Dittmar, ins Zimmer trat. Kaum erblickte er meinen Geliebten, so lief er ihm mit offenen Armen entgegen. Ei, lieber Erdmann, wie kommen wir hier zusammen? Erdmanns Freude war nicht geringer, in der Person des jungen Edelmanns einen sehr werthen Universitäts-Freund wieder zu finden, den er seit einigen Jahren aus dem Gesichte verloren hatte. Ich will Sie jetzt nicht aufhalten, sagte dieser zu meinem Geliebten, allein diesen Abend hoffe ich Sie zu besuchen, und dann wollen wir uns an die vorigen Zeiten erinnern, und einander die Lücken unserer Lebensgeschichte ergänzen. Herr von Dittmar erschien wirklich gegen Abend, und Erdmann erzählte ihm unter andern, durch was für einen Zufall er nach Mayenthal gekommen, und wie er gesonnen sey, sich mit mir zu verbinden, wenn er nur, in Ermanglung einer bessern Aussicht, die Anwartschaft auf meines Vaters Dienst erhalten könne. Wie ich sehe, lieber Freund, so verstehen Sie sich besser auf die Wahl einer Braut, als auf die Wahl eines Amtes. Diese werden wohl Ihre Freunde für Sie treffen müssen. Mit dieser verbindlichen Erklärung verließ ihn Herr von Dittmar, nachdem er ihn auf 66 den folgenden Morgen zum Frühstück eingeladen hatte. Erdmann stellte sich ein, und als die beiden Freunde im vertrauten Gespräche beisammen sassen, trat der Baron ins Zimmer. Er hatte die offene helle Miene des Menschenfreundes, der sich seiner Macht freuet, Gutes zu thun. Mein Sohn, sagte er zu Erdmann, hat mich mit Ihrem Charakter, mit Ihren Talenten und mit Ihrer Lage bekannt gemacht. Gestern lernte ich Ihre Braut kennen, meine Familie wünscht mit mir Ihre Hochzeit auf unserm Hofe zu feiern. Zu diesem Ende biete ich Ihnen die Stelle meines Schloßverwalters an, welche durch die Beförderung des jetzigen Inhabers an einen ruhigern Posten nächstens erledigt wird. Eine angenehme Wohnung und ein Gehalt von vierhundert Gulden, nebst einem hinlänglichen Vorrath an Holz und Getraide, sind mit diesem Geschäfte verbunden. Erdmann war verstummt, der Baron aber las seine Antwort in seinen Augen. Ich sagte es ja, rief Herr von Dittmar, daß Ihre Freunde die Wahl Ihres Standes auf sich nehmen müßten. Nun bekam Erdmann die Sprache wieder, er konnte mir aber doch nicht erzählen, wie seine Dankbarkeit sich gegen seinen Wohlthäter ausdrückte. Zu Herrn von Dittmar sagte er: Sie waren mein Bürge bei Ihrem Herrn Vater. Dieser edle Glaube an meine Rechtschaffenheit soll Sie nie gereuen. Ei, das weiß 67 ich wohl, erwiederte er, und indem er seinen Freund bei dem Arme nahm, sprach er: Kommen Sie, Erdmann, ich muß Ihrer Braut den Herrn Schloßverwalter von Mayenthal vorstellen. Da ich sie Arm in Arm die Strasse heraufkommen sah, flog ich ihnen an die Thüre entgegen. Ich glaubte zu träumen, als Herr von Dittmar mir mein Glück ankündigte. Er that es mit jener innigen unbefangenen Art, welche das Gewicht der Wohlthat vermehrt, ohne die Erkenntlichkeit zu einer Last zu machen. Freundin, er war gewiß nicht weniger glücklich als wir, da wir alle um ihn her standen, den edeln Mann segneten, und in das heitere Lächeln der Freude die heitere Thräne der Freude mischten. Er weinte sie mit, und sagte mir noch insbesondere einige von jenen herzlichen Verbindlichkeiten, die weder beschämt noch stolz machen können. Als er uns verließ, mein Röschen, dann hättest du uns erst sehen sollen. Erdmann und ich taumelten unsern guten Eltern in die Arme, und an ihrem Busen empfiengen wir die erste heilige Weihe unsers Bundes.

Nach Tische stattete mein Vater seine Danksagung bei dem Baron ab, der ihm das Dekret seines künftigen Schwiegersohnes zustellte. Am Ende dieses Monats wird der bisherige Schloßverwalter ihm Amt und Wohnung abtreten, und wenn dieses geschehen ist, sollen Dinge vorgehen, die mein 68 Röschen errathen muß, bis ich Zeit und Gelegenheit finde, mich mit ihr davon zu unterhalten.

 
Fünf und zwanzigster Brief.

Fortsetzung des vorigen.

Welch eine Wollust, o Freundin, ist es, Glückliche zu machen! Ich würde die Familie von Wertheim um diesen himmlischen Vorzug beneiden, wenn sie ihn nicht auf eine so edle Art ausübte. Vor einigen Tagen stattete ich bei ihr mit meiner Mutter unsern Danksagungsbesuch ab. Die Baronin und ihre Tochter, ein höchst liebenswürdiges Fräulein, unterhielten uns mit so vieler Theilnahme von unsern Angelegenheiten, bezeugten so viel Vergnügen, mich als eine Genoßin ihres Hauses zu betrachten, führten uns mit einer so einnehmenden Gefälligkeit in meiner künftigen Wohnung herum, daß ich ihnen gerne Fürstenthümer austheilen mögte, um den Würkungskreis ihrer Güte zu erweitern. Als ich diesen Wunsch meinem Erdmann eröffnete, sagte er, wer weiß, ob ihre Güte nicht alsdann in Hofsitte, in einen blossen moralischen Schlendrian ausarten, und für die Seele nach und nach ihren innern Gehalt und jenen Hochgeschmack verlieren würde, den nur ein nüchterner Genuß gewähren kann. Er mag Recht haben, doch dünkt mich, eine wahrhaft reiche Seele sollte diesem Uebel nicht unterworfen seyn, 69 oder ihm selbst durch die Mannigfaltigkeit ihrer Nahrungsmittel zuvorkommen können. Ueber dieses würden ihre Wohlthaten, wenigstens für die Gegenstände derselben, immer Wohlthaten bleiben.

Wir haben der Großmuth des Barons eine neue zu danken, die uns bei unsern häuslichen Einrichtungen von unschätzbarem Werth ist. Die Frau Schloßverwalterin, die du kennst, bezeigte sich nicht ungeneigt, uns ein Theil ihres Geräthes abzutreten, um sich die Beschwerlichkeiten des Zuges zu erleichtern. Gestern war im Schlosse hievon die Rede. Mein Bräutigam äußerte den Wunsch, dieses Anerbieten anzunehmen, aber zugleich einige Verlegenheit, das dazu benöthigte Geld aufzubringen. Er besitzt zwar noch ein kleines Capital, das aber in den Händen eines wackern Verwandten ist, dem er es nicht gern aufkünden möchte. Ists nur das, erwiederte der Baron. Ihre Schuld bei dem Verwalter würde sich, wie Sie sagen, auf dreihundert Gulden belaufen die will ich herschiessen, und Sie schreiben mir jährlich von Ihrer Besoldung so viel gut, als Sie entbehren können. Der herrliche Mann! Nun ist uns auch von dieser Seite geholfen, und schon mit künftiger Woche wird Erdmann seine nette reitzende Wohnung beziehen. Wie glücklich ist deine Lotte, daß sie an der Seite eines rechtschaffenen Gatten, in der Nähe der besten Eltern, und 70 in zwangloser Verbindung mit einer so wahrhaft edeln Herrschaft ihre Tage verleben kann! Und du, liebste Freundin, solltest einst nicht auch so glücklich werden? Mein Röschen ist besser als ich, ihr Schicksal kann nicht schlimmer seyn als das meinige. Der fünfzehnte des künftigen Monats (es ist, wie du weißt, der Geburtstag meines guten Vaters) ist zu unserer Verbindung angesetzt. Der Baron will uns, wie er sagt, in seines Sohnes Namen ein kleines Mittagsmahl geben, und du, meine Schwester, mußt dem Feste beiwohnen. Erschrick nicht über meinen Anschlag, und sey nicht so ungerecht, ihn für Scherz zu halten. Ohne deine Gegenwart würde unsere Freude nicht vollkommen seyn, und Herr von Dittmar, gegen den ich gestern diesen Wunsch äußerte, nimmt es auf sich, ihn zu erfüllen. Du kannst leicht denken, daß wir ihm einen Theil deiner Geschichte nicht verbergen konnten. Daß wir dabei das Siegel der Freundschaft unversehrt liessen, brauche ich dir nicht zu versichern. Herr von Dittmar wünscht Adolphen und mein Röschen kennen zu lernen. Einige Tage vor unserer Hochzeit wird er uns nach Friedlingen begleiten und unsere Einladung unterstützen. Die Eitelkeit deines Vaters wird der Bitte eines gnädigen Herrn nicht widerstehen können. Du und das Fräulein werden die Brautgespielinnen seyn, und ich werde an dem feierlichsten 71 Tage meines Lebens, nach einer neunmonatlichen Trennung, die Schwester meiner Seele wieder an meinen Busen drücken. Was könnte ich ihr nun noch sagen, das würdig wäre, geschrieben oder von ihr gelesen zu werden?

 
Sechs und zwanzigster Brief.

Röschen an Lotte.

Nur zwei Worte, meine Schwester. Ich hüte seit acht Tagen wieder das Zimmer. Ein neuer Fieberschauer überfiel mich, als mein Vater mir ankündigte, daß Hartwig nun mündig gesprochen sey, und nächstens sein Wirthshaus übernehmen werde. Dann, setzte er hinzu, wollen wir von seiner Heurath sprechen. Ich mogte mich zwingen wie ich wollte, ich mußte mich nach einer Stunde zu Bette legen, vielleicht hielt mein Vater meine Krankheit für Verstellung, wenigstens sagte mir das seine Miene. Wider seine Gewohnheit ließ er augenblicklich den Arzt rufen, der wirklich einen Anstoß von Fieber in meinem Puls bemerkte. Ich bekam noch zween Anfälle. Nun aber geht es wieder besser, und ich hoffe. . . . . Ja, meine Lotte, ich hoffe. . . . . Gleichwohl zittere ich eben so vor Angst als vor Freude, wenn ich an den großen reichhaltigen Tag unserer Wiedervereinigung denke. Deine Verbindung ist hier bekannt. Hartwig hat 72 sie in meiner Gegenwart meinem Vater angekündigt, und dieser hatte, entweder die Barmherzigkeit oder die Arglist, mich nicht zu fragen, ob ich etwas davon wüßte. Meine Freude über diese Begebenheit verbarg ich nicht. Hartwig wollte mir vermuthlich bei diesem Anlaß etwas angenehmes sagen. Es heißt überall, daß die Braut ein sehr ämables Mädchen sey. – Niemand kennt ihre Verdienste besser als ich, war meine Antwort, Gott wird sie segnen. Ja, meine Freundin, das wird er, und so lange ich dich glücklich weiß, kann ich nicht ganz unglücklich seyn.

 
Sieben und zwanzigster Brief.

Adolph an seinen Vater.

Bester Vater! Bald wird mein Glück mich eben so sehr drücken, als vorhin mein Elend mich drückte. Ihr Adolph ist Offizier, und ward es bei einer Gelegenheit, die den gierigsten Ehrgeiz befriedigen könnte. Doch lassen Sie mich mein Tagebuch höher anfangen. Ihre liebe Zuschrift mit Lottens Beischluß erhielt ich an eben dem Morgen, da ich bei der Compagnie als Wachtmeister vorgestellt wurde. Es war mir ein gedoppeltes Fest, das ich aber erst gegen Abend, auf einem einsamen Spaziergang feiern konnte. Seit diesem Tage vergiengen wenige, da ich nicht 73 Gelegenheit hatte, um den Prinzen zu seyn, und neue Beweise seines vortreflichen Charakters sowohl als seiner großen Talente zu sammeln. Er beschäftigte mich öfters in seinem Cabinet, und die Arbeiten, die er mir auftrug, erweiterten meine Kenntnisse ungleich mehr als alle Kriegsbücher, die ich bisher gelesen hatte. Der Rest des Frühlings verstrich uns unter häufigen Märschen und Contremärschen, die mich am Schreiben hinderten, und bei denen bloß einige unbedeutende Scharmützel vorfielen. Allein der 6te dieses Monats war für mich ein großer Tag. Ich ritt mit fünf und zwanzig Mann von einem Commando zurück, als wir in der Nähe eines kleinen Waldes, der uns die Aussicht ins freie Feld verbarg, einige Schüsse fallen hörten. Brüder, dort giebts was, sagte ich zu meinen Husaren, laßt uns hinreuten. In fünf Minuten hatten wir den Wald erreicht, auf welchem sich ungefähr dreißig der Unsrigen, darunter ich wohl sechs Offiziers bemerkte, mit einem zweifach stärkern Haufen preußischer Dragoner herumschlugen. Wir hieben auf den Feind ein, unsere Erscheinung gab den Unsrigen neuen Muth, das Gefecht ward sehr hitzig, kein Theil wollte weichen. Ich hatte meine Leute in zween abgesonderten Haufen angreifen lassen, um die Aufmerksamkeit des Feindes zu theilen, und unsern bedrängten Cameraden, wovon bereits einige 74 entwafnet waren, desto geschwinder Luft zu machen. Von ungefähr sah ich zween Dragoner mit einem gefangenen Offizier unsers Regiments dem Walde zu eilen. Den sollt ihr nicht haben, dachte ich, sprengte wie ein Pfeil hinten drein, und schoß den einen Dragoner, eben als er sich nach mir umdrehte, vom Pferde. Kaum sah dieses der andere, so führte er einen gewaltigen Hieb, nicht gegen mich, sondern nach dem Gefangenen, der in diesem Augenblicke entwischen wollte. Er bog aus, und der Hieb streifte blos seinen Arm. Zu einem zweiten ließ ich ihm keine Zeit, indem er ausholte, flog seine Hand mit dem Pallasch zur Erde. Das Gesicht des gefangenen Offiziers war durch das Blut entstellt, das aus einer Kopfwunde hervorquoll. Ich erkannte ihn nicht, aber seine Stimme erkannte ich, als er mir zurief: Oswald, mein Befreier! Es war mein theurer Prinz. Ich sprang vom Pferde; wie ich herunter kam, weiß ich nicht, denn ich hatte einen leichten Schuß in die Hüfte und einen ziemlichen Hieb in die linke Schulter bekommen. Ich bat den Prinzen, sich auf meinem Pferde zu retten. Nein, Freund, rief er, dort unsern braven Cameraden wollen wir beistehen, wir haben nur Ein Pferd, und Sie sind auch verwundet. (Das Sie befremdete mich.) Oswald, wir bleiben beisammen. Doch, da kömmt uns Hülfe. In der That kamen vier von 75 unsern Husaren auf uns zu gejagt. Sie hatten den Prinzen nicht gleich vermißt, und erkannten ihn von ferne an seinem Pferde, eben als es niederstürzte. Der Prinz bestieg meines. Ein Husar trat mir das seinige ab. So kehrten wir zu unsern Cameraden zurück, welchen es, mit Hilfe meines Commando, indessen gelungen war, den Feind in die Flucht zu treiben. Alles umringte uns, da wir auf dem Kampfplatz ankamen. Ein Feldscheerer wollte den Prinzen verbinden. Halt einen Augenblick, sagte er, und indem er sich zu unserer Mannschaft wandte: Meine Freunde, hier stelle ich euch den Herrn Oberlieutenant Oswald vor, dem ich Leben und Freiheit zu danken habe. Bei diesen Worten umarmte er mich wie man einen Bruder umarmt, und ich stammelte bloß die Worte: in dieser Stellung wünschte ich zu sterben. Es waren zween unserer Offiziers geblieben, denen der Edle eine Thräne der Freundschaft schenkte, denn sie waren seine Freunde. Außerdem hatten wir nur zwölf Mann verloren, allein wir übrigen waren fast alle verwundet. So kamen wir nach einer Stunde mit Staub und Blut bedeckt im Hauptquartier an, wo wir mit großem Jubel empfangen wurden; denn mein Prinz ist der Liebling der Armee. Er hatte sich beim Rekognosciren zu weit gewagt, und war auf einen feindlichen Vorposten gestossen. Seine 76 Wunde ist so wenig gefährlich als die meinigen. Doch dürften sie mich leicht einen Monat im Arrest halten. Sobald meine Begebenheit bekannt war, ließ der Feldmarschall mir zu meiner Beförderung Glück wünschen, und sich nach meiner Gesundheit erkundigen. Dieses thut der Prinz noch täglich, und gestern sandte er mir eine vollständige Offiziers-Uniform, nebst zwei Pferden und einem Reitknechte. Das Gewicht der Säbeltasche veranlaßte mich hinein zu langen, ich zog zwo Rollen von hundert Dukaten und ein Billet von der Hand des Prinzen heraus, welches diese Worte enthielt: Meinem Freunde und Retter Oswald auf Abschlag einer Schuld, die ich nie ganz tilgen will noch kann.

Nun, theuerste Eltern, ist Ihr Adolph ein Mann. Er wird aber die unsichtbare Hand nie vergessen, die seine Schritte und das Herz seines Wohlthäters geleitet hat. Die Verbindung meiner Schwester mit meinem Freunde Erdmann ist mir ein neuer Beweis jener wunderbaren Fügung, die unsere Schicksale lenket. Ich dachte damals nicht, daß ich Ihnen mit meinem Trauerbriefe einen Sohn und meiner Schwester einen Gatten zusandte. Es wird sich auch schon etwas für die beiden Liebenden finden. Wenn Ihr Anschlag, bester Vater, Ihnen mißlingt, so will ich den Prinzen um eine Empfehlung an unsern Fürsten ersuchen. Dagegen aber soll meine 77 Lotte mir wenigstens monatlich zweimal das Tagebuch der Familie zuschicken; sie weiß, die gute Schwester, daß mein Röschen auch mit zur Familie gehört. Ich schreibe dem theuren Mädchen nicht, weil ich weiß, daß sie mich noch liebt, und weil ich nicht glaube, es ohne ihre Erlaubniß wagen zu dürfen. Kann ich nach Ende des heurigen Feldzugs auf vierzehn Tage Urlaub erhalten, so fliege ich nach Mayenthal, und von da, wie ich hoffe, nach Friedlingen.

 
Acht und zwanzigster Brief.

Lotte an Röschen.

Schwester, liebste Schwester! freue dich, o freue dich, und werde den Augenblick ganz und auf immer gesund; unser Adolph, dein Adolph ist Lieutenant. Er hat seinem Prinzen die Freiheit und das Leben erhalten, so eben empfangen wir die entzückende Nachricht. Wir sind alle wonnetrunken. Seinen Brief kann ich dir nicht schicken. Unser lieber Vater hat ihn noch nicht gelesen; ein Geschäfte hat ihn in die Stadt gerufen. Aber morgen kommen wir nach Friedlingen, um dich, Freundin meines Herzens, zu unserer Hochzeit einzuladen. Dann bringe ich den Brief mit. Ich werde schon ein Mittel finden, ihn dir in die Hand oder in die Tasche zu stecken. 78 Hannchen muß fort, ich kann sie keinen Augenblick länger aufhalten.

Lebe wohl, meine Schwester; Gruß und Kuß von allem was mich umgiebt.

 
Neun und zwanzigster Brief.

Lotte und Erdmann an Adolph.

O du lieber Herzensbruder, komm laß dich von deiner Lotte, von der glücklichsten Schwester, die seit gestern das glücklichste Weib ist, an ihr von Seligkeit überfliessendes Herz drücken. Meine Verbindung mit dem edlen, trefflichen Erdmann, mit deinem Freunde, ist vollzogen. Doch du verlangst von mir ein förmliches Tagebuch. Nun du sollst es haben, so schwer es auch einem jungen Weibe am Tage nach ihrer Hochzeit fallen muß, eine Geschichtschreiberin zu seyn. Ich berufe mich auf den Brief unsers guten Vaters vom 1sten diesesDieser Brief enthielt nichts, was der Leser nicht schon weiß., darin er dir von der unvermutheten schönen Versorgung Nachricht gab, die mein Erdmann durch die Vermittlung seines Freundes Dittmar von der Großmuth des Herrn von Wertheim erhalten hat. Du weißt auch, daß ich auf den glücklichen Einfall kam, Röschen zu unserer Hochzeit einzuladen.

79 Am 12ten gieng die Reise nach Friedlingen vor sich. Herr von Dittmar fuhr uns selbst in einem glänzenden Phaeton; diesen Umstand bemerke ich blos darum, weil der Herr Schulze Reinhard gleich anfangs hoch aufguckte, als wir in einem so stattlichen Wagen in seinen Hof einfuhren. Röschen stürzte sich in meine Arme und weinte an meinem Halse. Reinhard bat uns, in die Stube zu treten. Dieses erweckte das liebe Mädchen aus ihrer Betäubung. Bisher hatte ich ihren Vater nicht angesehen. Nun grüßte ich ihn. Meine Miene mußte einen Theil des Grauens verrathen, das mir durch die Seele fuhr. Ein fürbittender Blick des Engels, den er seine Tochter nennt, söhnte mich mit ihm aus. Ich brachte mein Gewerbe so gut als möglich vor. Reinhard stand wie ein Missethäter da, der eine Lüge sucht, um der Gerechtigkeit zu entwischen. Endlich sagte er halb stotternd: meine Tochter war nur noch vorige Woche wieder krank, und da mögte . . . . Eben darum, unterbrach ich ihn, eine kleine Zerstreuung von zween oder drei Tagen wird ihrer Gesundheit zuträglich seyn. Das Wetter ist so schön. Wenn es auch nicht schön wäre, sprach Herr von Dittmar, so erbiete ich mich, sie in einem verschlossenen Wagen abzuholen und wieder nach Hause zu bringen. Reinhard bückte sich tief. – Allzu viele Gnade. Ich. Ach Herr Reinhard, meine Freundin, 80 meine beste Freundin, muß meinem Feste beiwohnen. Ich stehe für ihre Gesundheit.

Herr von Dittmar. Sie muß mit meiner Schwester die Brautgespielin seyn. Es ist schon so ausgemacht.

Diesem Worte konnte der eitle Schulze nicht widerstehen. Sein Bückling war noch tiefer. Weil es Ihro Gnaden denn also befehlen. Ich kann sie aber in meiner Calesche hinüber fahren lassen.

Herr von Dittmar. Nein, nein. Wir wollen sie übermorgen nach Tische abholen.

Ungeachtet die Einwilligung blos Herrn von Dittmar gegeben wurde, dankte ich dennoch dem Schulze mit aller Freundlichkeit, welche die Freude über meinen gelungenen Anschlag über mein Gesicht verbreiten mußte. So verlegen auch Reinhard war, so verließ er uns dennoch keinen Augenblick. Dieses hinderte mich, Röschen deinen Brief mit der großen Neuigkeit von deiner Beförderung zuzustecken. Ich hatte sie schon zuvor durch ein Billet davon benachrichtigt. Nach einer halben Stunde, in welcher Reinhard sich doch entschloß, mir und meinem Bräutigam zu unserer Verbindung Glück zu wünschen, machte ich den Aufbruch. Mein Zweck war erreicht, und es fieng an mir in dem Luftkreise des treulosen Mannes enge ums Herz zu werden. Er begleitete uns mit seiner Tochter bis 81 an den Wagen, und ich konnte nichts als mein Röschen noch einmal in meine Arme schliessen. Lebe wohl, meine Freundin, bis übermorgen. Bei diesen Worten rollte der Wagen davon.

Herr von Dittmar, dem ich meine Erkenntlichkeit für ein so wirksames Vorwort mit der ganzen Wärme meines Herzens ausdrückte, stattete im Schlosse von unserer Expedition Bericht ab. Das Fräulein bat sich von ihren Eltern die Erlaubniß aus, bei Röschens Abholung mit zugegen zu seyn. Der Schulze möchte Schwänke machen, sagte sie, und da bin ich vielleicht keine überflüssige Person. Das Fräulein kündigte mir am folgenden Tage ihren Entschluß selbst an. Im Nothfalle, sagte sie, will ich dem garstigen Manne einen Kuß geben, wenn er störrisch werden sollte.

Vorgestern mußten wir im Schlosse zu Mittag speisen, und nach Tische fuhren wir nach Mayenthal ab. Herr von Dittmar kutschirte wieder, und mein Bräutigam war zu Pferde. Er ritt eine Ecke voraus, um unsere Ankunft zu melden. Der Schulze sah ziemlich stürmisch aus. Unser Wagen aber war ihm schon auf dem Nacken, als Erdmann sein Pferd kaum angebunden hatte. Röschen war in ihrer gewöhnlichen Hauskleidung; dieser Anblick machte mich betroffen. Als aber das Fräulein mit mir aus dem Wagen sprang, und Röschen mit 82 unaussprechlicher Anmuth zurief: Ich komme, meine liebenswürdige Mitgespielin abzuholen, um sie eine Stunde früher kennen zu lernen, war der Schulze völlig weg. Röschen riß sich von meinem Halse los, und empfieng das Fräulein mit jener unschuldvollen offenen Grazie, bei der man selbst ihre Schönheit übersieht. Dennoch habe ich sie nie schöner gesehen. Ihre Wangen waren zwar etwas bleich, aber diese Blässe gab dem reinen Incarnat, das sie belebte, einen nur desto frischern Glanz. Ein sanftes himmlisches Feuer strahlte aus ihrem großen Auge, und ihre Haltung. . . . . Doch du weißt ja, mein Adolph, wie oft du sie, wenn sie vor uns hinschwebte, eine Sylphide nanntest.

Nach beiderseitiger Bewillkommung, sagte das Fräulein zu ihr: Nun, sind Sie reisefertig? Röschen erröthete. – Sie soll es den Augenblick seyn, gnädiges Fräulein, sagte der Schulze, der, wie sie mir nachher bekannte, die ganze Zeit über düster und unentschlüßig gewesen war.

Geschwind mache deine Sachen zusammen. – Röschen ließ sich das nicht zweimal sagen, und da sie all ihr Geräthe in Bereitschaft gelegt hatte, sahen wir sie, nach einer kleinen halben Stunde, die uns ohne die unerschöpfliche Heiterkeit des Fräuleins sehr lange vorgekommen wäre, in ihrem himmelblauen Anzuge, der dir immer so wohl gefiel, ins 83 Zimmer treten. Lieschen folgte ihr mit einem bedeckten Korbe, der ihr übriges Geräthe enthielt. Nun war meines Bleibens nicht mehr. Wir genossen in der Eile einige Erfrischungen, die Röschen uns anboth, und husch flogen wir in den Wagen. Röschen war verstummt. Sie lächelte, und eine Thräne zitterte in ihrem Auge. Erst als wir die Wohnung ihres Vaters aus dem Gesichte hatten, faßte sie meine Hand und drückte sie zwischen die ihrigen. Gott! so ist es denn wahr, sagte sie halbleise, und indem sie sich schnell gegen das Fräulein kehrte: Diesen Augenblick habe ich Ihnen, edles Fräulein, und der Güte Ihres Herrn Bruders zu danken. Henriette umarmte das liebe Mädchen, und der Engel der Sympathie lächelte auf die Scene herab. Dieser Augenblick war der Stifter eines neuen Bundes. Die beiden schönen Seelen erkannten sich, und sagten sich in der Geistersprache, daß sie einander verwandt seyen. Aller irrdische Unterschied verschwand zwischen den beiden reitzenden Geschöpfen Eines Gottes. Sie fühlten nichts als ihre gemeinschaftliche Abkunft. Das Fräulein brach zuerst das Stillschweigen. Liebe Lotte, sagte sie zu mir, Sie werden doch nicht eifersüchtig auf mich? Ich machte eine unwillkührliche Bewegung, um mich ihr entgegen zu stürzen. Die Ehrerbietung hielt mich zurück. Ich bin meinem Herzen gehorsamer als Sie, rief 84 Henriette, indem sie sich in meine offen gebliebenen Arme warf. Gesegnet sey diese Stunde!

Unsere Ankunft vor meinem väterlichen Hause unterbrach die stumme heilige Scene, die auf diesen Augenblick folgte. Unsere Eltern . . . . wie diese ihre liebe Pflegetochter empfiengen, darf ich dir, mein Adolph, nicht erst beschreiben.

Herr von Dittmar lief nach dem Schlosse, und ließ etwas kalte Küche herbeibringen. Bruder und Schwester baten sich bei uns zu Gaste. Es war als hätten wir schon Jahre beisammen zugebracht. Nach Tische langte ich deinen Brief aus dem Busen, und las ihn der Gesellschaft vor. O lieber, lieber Bruder, nur in den Armen deines geretteten Prinzen konntest du empfinden, was wir empfanden. Alles weinte; Röschen schluchzte und zitterte, und warf mir, als ich fertig war, einen Blick zu, den kein menschlicher Pinsel ausdrücken kann. Dieser Held muß der Ihrige werden, sagte das Fräulein, indem sie das liebe Mädchen umarmte; danken Sie es meinem guten Herzen, daß es Sie nicht um das seinige beneidet. Doch da kömmt Erdmann, und nimmt mir die Feder aus der Hand.


Ja, das that ich, lieber, guter Bruder. Ich will nicht haben, und Sie werdens auch nicht haben wollen, daß mein Weib am Tage nach der Hochzeit 85 sich blind schreibe. Doch es ist gut, daß ich ihr Talent kenne. Sie wird mir einen Kornschreiber ersparen. Ich setze ihr Tagebuch fort; allein so umständlich als Lotte kann ich nicht seyn.

Gestern, mein bester Adolph, war der Tag, an dem die Hand eines Dieners der Vorsehung mich zum Gatten Ihrer Schwester und zu Ihrem Bruder weihete. Nach der feierlichen Stunde begaben wir uns alle aufs Schloß, wo mein großmüthiger Wohlthäter uns bewirthete. Außer dem Prediger und seiner Gattin, machten die beiden Familien die ganze Gesellschaft aus. Wir waren heiter wie der Tag, der uns umfloß, und Ihre Geliebte bezauberte, im buchstäblichen Verstande dieses Worts, den Baron und seine Gemahlin durch ihren edlen ungezwungenen und bescheidenen Anstand. Sie hatte eine sanfte schmachtende Miene, die mich schon des Morgens errathen ließ, daß sie die Nacht wenig geschlafen, und sich mit einem einzigen Gedanken, dem Gedanken an ihren Adolph beschäftigt hatte. Das Fräulein brachte ihr des Helden Adolph Gesundheit zu. Zum Entzücken war die Verwirrung womit sie uns Bescheid that. Der Abend verstrich uns so schnell, daß selbst wir Brautleute ihn kurz fanden. Röschen bezog mit uns unsere neue Wohnung, und diesen Morgen nahm das Fräulein mit ihrem Bruder das Frühstück bei uns ein. Es war Mittag als die 86 lieben Gäste uns verliessen. Unsere guten Eltern waren bei uns zu Tische. Ach Gott, rief auf einmal meine Lotte, wenn Adolph nun so bei uns sässe. Ja wohl, sprach unsere Mutter, wer weiß, wann wir ihn wieder sehen! Röschen war traurig. Nun, Schwester, was soll diese melancholische Miene? – Röschen seufzte und wiederholte leise das Wort Schwester.

Lotte. Nun ja, Schwester, das wirst du werden, ich hoffe es mehr als jemals.

Röschen. Du hoffest immer, meine Lotte, wie gern hoffte ich mit dir, allein mein Vater und . . . .

Lotte. Was meinst du mit deinem und? Rede. . . . . . .

Röschen, indem sie an Lottens Busen sank – Adolphs Erhöhung, ich weiß, er liebt mich, ich weiß, er wird nie eine andere lieben, allein gesetzt auch, mein Vater würde gewonnen, würde Adolphs Verbindung mit einem Bauernmädchen ihn nicht bei seinen Obern schaden, und glaubst du, daß ich in diesem Falle mich entschliessen könnte? . . . Ein Seufzer erstickte ihre Worte, und in eben dem Augenblicke hielt des Schulzens Kalesche vor unserer Thüre. Röschen wurde todesblaß, als sie den jungen Hartwig, von Lieschen begleitet, heraussteigen sah. Lotte hatte kaum noch Zeit, ihr zuzuflüstern: 87 Fasse dich, liebes Kind, Erdmann soll dich begleiten. So trat der abgeschmackte Pursche in seinem schönsten Sonntagsputz in die Stube. Nachdem er seine platten Complimente der Reihe nach ausgekramt hatte, sagte er zu Röschen: Mamsell, Ihr Herr Vater schickt mich, um sie abzuholen. Eine unvermuthete Affaire ruft ihn morgen mit dem frühesten in die Stadt, und da findet er Ihre Gegenwart heute noch zu Hause nothwendig.

Es wird so große Eile nicht haben, erwiederte Lotte. Sie werden doch zuerst noch eine Schale Caffee nehmen, unterdessen wollen wir Ihren Pferden ein kleines Futter geben lassen.

Hartwig. Ach, mondieu, das ist nicht möglich! Herr Reinhard befahl mir, unverzüglich zu retourniren

Röschen. Es wird mir doch erlaubt seyn, zuvor mich im Schlosse zu beurlauben?

Diesen Worten folgte ein Blick, der den Abgesandten verstummen machte. Lotte und ich begleiteten sie über den Hof zu der Wertheimischen Familie, indeß unsere Eltern dem Hartwig eine Flasche Wein vorsetzten.

Der Abschied im Schlosse war rührend, auf beiden Seiten rührend, und ich weiß nicht auf welcher mehr edle Gesinnungen und mehr zärtliche Wärme hervorleuchteten. Dittmar und seine Schwester 88 wollten sie zurück begleiten. Ich bemerkte Röschens Verlegenheit, und gab meinem Freunde ein Zeichen, das er verstand. Nach einer halben Stunde waren wir wieder zu Hause, und nun wollte sich Hartwig nicht länger aufhalten lassen. Es war als ob Röschen sich von ihrer Freundin auf ewig trennete. Lotte hingegen sammelte bei der letzten Umarmung all ihren Muth, und sagte in einem Tone, den ich gerne prophetisch heissen möchte: Getrost, meine Schwester, bald sehen wir uns wieder. Ich hatte Hartwigen nichts von meinem Vorhaben gesagt. Urtheilen Sie, lieber Bruder, von seiner Bestürzung, als er mich den Vordersitz des Wagens besteigen sah. Er wollte es platterdings nicht zugeben, und ich wollte die Brautgespielin meiner Lotte platterdings nicht unbegleitet zurückreisen lassen. Endlich mußte er sich wohl ergeben, wenn er vom Flecke kommen wollte, und der Knecht jagte auf Hartwigs Befehl davon, ohne daß dieser eher, als, in Reinhards Hofe, wie er sagte, die Grobheit wahrnahm, daß er mich hatte rücklings fahren lassen. Röschen kehrte traurig in ihr Gefängniß, und ich mit fliegenden Schritten nach Mayenthal zurück. Wir sind sehr begierig auf ihren ersten Brief, weil ich es auf der Stirne des Schulzen lesen konnte, daß ihre voreilige Heimholung eine besondere Ursache haben müsse.

89 Gleichwohl, bester Bruder, ist dieses Fragment unsers Tagebuchs schon zu reichhaltig, und, ich weiß es, für Ihr theilnehmendes Herz zu wichtig, als daß ich es Ihnen auch nur noch einen Tag vorenthalten sollte. Es ist heute der dritte meiner Glückseligkeit, und ich fühle, daß es weder meine noch meiner Lotte Schuld wäre, wenn sie nicht ewig dauern sollte.

 
Dreißigster Brief.

Röschen an Lotte.

Die Freude, die ich am Brautfeste meiner Lotte genoß, war ein schöner Sonnenblick, der durch eine Donnerwolke schimmerte. Gestern brach das Gewitter aus. Mein Vater, der mich mit seiner gewöhnlichen Kälte empfangen hatte, ritt wirklich früh Morgens nach der Stadt. Ich benutzte seine Abwesenheit, um mein treues Lieschen auszufragen, was doch die Ursache meiner so schleunigen Abrufung seyn möchte. Sie erzählte mir, daß gleich am Tage nach meiner Abreise Hartwig meinem Vater mit großer Unruhe ein Zeitungsblatt mitgetheilt habe, worüber beide sehr erstaunt und betreten geschienen, und hierauf eine ganze Stunde ein gar ernstliches Gespräch gehalten hätten. Beide seyen hierauf mit einander ausgegangen, und da sie bemerkt, daß mein Vater das Zeitungsblatt an den Spiegel gesteckt habe, 90 so sey sie der Vorwitz angekommen, es zu lesen. Ach liebe Jungfer Röschen, sagte sie, wissen Sie schon was darinn stand? Herr Oswald, ja wahrhaftig in Gott, Herr Oswald, Ihr lieber Adolph, hat unsern Erbprinzen aus den Händen der Preußen erlöst, und ist von ihm gleich auf der Stelle zum Obristlieutenant gemacht worden. – Ich lächelte, zum Oberlieutenant willst du sagen. – Ja, nun fuhr sie fort, es war so was. Also wissen Sie es schon? Kurz, die Neuigkeit, darüber ich vor Freuden weinen mußte, mogte Ihrem Vater und Hartwigen nicht gefallen, denn sie stampften auf die Erde, und ich glaube gar, sie haben geflucht. Wir müssen uns spuden, hörte ich in der Küche Ihren Vater rufen, sonst mengt sich der Prinz darein, und da darf ich, bei Gott! nicht nein sagen, ich könnte um mein Amt springen. Das war es alles, was ich hören konnte, denn Sie hatten mir ja verboten, an der Thüre zu horchen. – Das hab ich, war meine Antwort, doch ich weiß schon genug.

Ich fertigte das gute Mädchen mit einem kleinen Geschenk ab. Sie hob die Hände gen Himmel: Lieber Gott, sagte sie im Hinausgehen, du wirst sie doch nicht für diesen heillosen Menschen haben gesund werden lassen! Nein, das ist nicht möglich.

Es ist aber doch möglich, meine Lotte, und du, du, meine Trösterin, meine Hoffnungsprophetin, 91 wirst bald selbst nicht mehr daran zweifeln. Gegen Abend kam mein Vater zurück, und als der Tisch abgeräumt war, sagte er zu mir: Höre Rose, nun ist es Zeit, an deine Versorgung zu denken. Hartwig hat sein Vermögen angetreten, und du weißt, daß er und kein anderer mein Schwiegersohn werden soll. Um alle Weitläuftigkeiten abzukürzen, bin ich nach der Stadt geritten, und habe die Erlaubniß geholt, euch künftigen Sonntag ein für allemal aufbieten zu lassen. – Itzt sank ich vor meinem Vater auf die Kniee; ach Vater, lieber Vater, habt Mitleiden mit mir, gebt mir nur noch einige Wochen Bedenkzeit. Ha, Schlange! sagte er, ich weiß wohl warum du Bedenkzeit forderst. Meinen Fluch gebe ich dir, wenn du mir nicht gehorchest.

Dieses schreckliche Wort richtete mich auf, anstatt mich ganz zu Boden zu schmettern. Vater, sagte ich, und wie ich glaube, ziemlich gelassen, Vater ich kann gehorchen und auch sterben, selbst ein ungerechter Fluch soll meinen Grabhügel nicht beschwehren.

Aus welchem Heldenbuche hast du deinen Spruch gelernt?

Aus diesem, ich legte die Hand auf meine Brust, und wünschte ihm freundlich eine gute Nacht.

Nun, meine Lotte, habe ich recht gethan? Mein Herz sagt ja; ich glaube das deine, ich glaube selbst 92 meines Adolphs Herz, wird auch ja sagen. Noch ist er mein Adolph, noch bin ich sein Röschen. Erst in drei Tagen wird man mich als die Braut eines andern auskündigen. Ein Priester der ewigen Wahrheit wird einer horchenden Gemeinde sagen, daß Rosine Reinhard eines andern als ihres Adolphs Braut sey, und niemand als mein Herz wird den unschuldigen Verläumder Lügen strafen. Hier, meine Schwester, noch und ewig meine Schwester, ist ein Briefchen an ihn. Es ist feucht von meinen Thränen, aber keine Thräne der Reue floß darauf. Nimm diesen Kuß deiner Freundin, theile ihn der Reihe nach unter alle unsere Lieben, meinem Vater Oswald, meiner Mutter Oswald, meinem Bruder Erdmann, allen gehört er zu, es ist der Abschiedskuß einer Märtyrin, die den Holzstoß besteigt. Wenn Henriette oder Dittmar meine That misbilligen, so lies ihnen dieses Blatt, und umarme dann auch sie für deine unglückliche Freundin.

 
Ein und dreißigster Brief.

Röschen an Adolph. (Einschluß.)

Nun, mein Adolph, hat ein Donnerschlag den Vorhang zerrissen, der uns die Zukunft verbarg. Ich wiederhole dir nicht, was ich unserer Schwester schreibe, sie wird es dir mittheilen. Vollendet ist 93 also mein Schicksal, das, merk es dir, Lieber, kein Ungefähr regiert. Verehre mit mir den Rathschluß der Vorsehung. Du bist ein Held, Adolph; du bist mein Held. Noch ein Zweig fehlte in deinem Lorbeerkranz, erkämpfe ihn, mein Adolph, besiege deine Liebe. Es giebt eine, die noch stärker ist als der Tod, und die kann uns kein Machtspruch verbieten. Vergiß die Braut, aber die Freundin, die Schwester vergiß nicht. Mit dem Tode hätte ich doch aufgehört, dein Weib zu seyn. Laß uns gleich jetzt einander das werden, was wir uns ewig bleiben wollen. Sey glücklich, dieses wird der letzte Wunsch meines brechenden Herzens seyn, und wenn du einst in die väterliche Hütte zurückkehrst, so wird auch dich meine Lotte für mich umarmen. Friede sey mit dir, mein Bruder, und so oft du an mich denkst, so sprich: Friede sey mit dir, meine Schwester. Die Thräne, die auf diese Stelle fiel, fasse ich in meine Feder, und unterschreibe mich zum letztenmale

dein Röschen.

 
Zwei und dreißigster Brief.

Lotte an Röschen.

Wir staunen dich an, meine Schwester, wir verehren dich und weinen. Die edle Henriette weint auch. Sie überraschte mich gestern, indem ich deinen Brief an Adolph abschrieb. Sie wollte die 94 Ursache meiner Thränen wissen. Ich legte meine Finger auf den Mund, und gab ihr beide Briefe zu lesen. Sie küßte deine Unterschrift an Adolph und schwieg. Endlich sagte sie, wie aus einem Traume erwachend, Lotte, was ist mein Adel gegen dieser ihren? Schreiben Sie ihr . . . . . Nein, ich will ihr selbst schreiben, wenn sie überwunden hat. Nun so kämpfe ihn denn, den Kampf der Heiligen, und ein Bote von Oben komme herab, dich zu stärken. Aber noch will in meiner Seele der Gedanke nicht haften, daß die edelste Blume der Erde an einem unreinen Busen verwelken soll.

Lebe wohl, meine Schwester, sey du stark im Dulden; ich bleibe stark im Hoffen, und bin ewig

deine Lotte.

 
Drei und dreißigster Brief.

Dorchen an Röschen.

Ich glaube, meine werthe Jungfer Reinhard, daß ich blos deßwegen noch nicht vor Kummer gestorben bin, um sie von dem Verderben zu retten. Es wäre Sünd und Schade, wenn eine so brave Jungfer, die den Armen so viel Gutes thut, die Frau eines so gottlosen Menschen würde, wie Hartwig. Ich habe gestern erfahren, daß Sie Morgen mit ihm soll ausgeboten werden, und der hiesige Herr Pfarrer, ohne dessen Hülfe ich arme Waise schon lange todt wäre, hat mir gerathen, Sie zu 95 warnen, indeß er beim Ehgericht meine Klage anbringen will. Hartwig hat mich zu Falle gebracht. Er hat mir wohl hundertmal geschworen, daß er mich heurathen wolle, als ich aber verführt war, und mich weigerte, eine noch größere Sünde zu begehen, hat er mich ausgelacht und verlassen. Ich würde den schändlichen Menschen blos vor Gottes Gericht anklagen, wenn ich nicht in zween Monaten Mutter würde. O, liebe Jungfer Reinhard, wie viel kostete es mich, dieses Wort zu schreiben, das ich sonst so gern aussprach, als ich noch eine Mutter hatte. Hartwig hat mich zwar verführt, aber darum habe ich es nicht verlernt, mich zu schämen. Ich mögte mich vor der ganzen Welt in die Erde verbergen, und hätte mir schon lang ein Leid angethan, wenn ich nicht zugleich eine Kindermörderin würde. Weise Sie diesen Brief Ihrem Vater. Es heißt, er wolle Sie zu dieser Heurath zwingen. Wenn er seinen künftigen Schwiegersohn kennt, so wird er seiner einzigen Tochter keinen Bösewicht zum Manne geben wollen, den ich, so arm und elend ich bin, mit aller Welt Gut nicht haben möchte. Gott weiß, daß ich ihm nicht zu viel thue, wenn ich ihn einen Bösewicht nenne. Ich will aber das Aergste dem Ehgericht verschweigen. Lieber will ich Lebenslang meinen Fehler beweinen, als den Vater meines Kindes um seinen Kopf bringen. 96 Lebe Sie wohl, meine werthe Jungfer Reinhard, und erbarme Sie sich meiner, wenn Sie glaubt, daß ich Ihre Barmherzigkeit verdiene.

Veltheim, den 21. Herbstm.

Dorothea S—.

 
Vier und dreißigster Brief.

Röschen an Lotte.

Denke dir, meine Lotte, eine Todtgeglaubte, die man lebendig begräbt: der Sarg ist in die Grube versenkt, die erste Schaufel voll Erde wird darauf geworfen, ihr dumpfes Poltern erweckt sie aus ihrer Ohnmacht, sie läßt einen Schrei, die Todtengräber halten inne, der Deckel des Sargs wird aufgerissen, und sie sieht die Sonne wieder. Dieses, meine Theure, ist die Geschichte meines gestrigen Tages. Mit noch zitternder Hand schreibe ich sie dir in eben der Stunde, da ich mit dem Namen der Braut eines Nichtswürdigen gebrandmahlt werden sollte, und ich bin dieses Nichtswürdigen Braut nicht mehr. – Höre mich, meine Freundin, bete mit mir an, und freue dich deines stärkern Glaubens an eine fügende Allmacht.

Gestern Vormittags saß ich mit meinem Strickzeug am Fenster und seufzte, daß die Sonne schon so hoch am Himmel stand.

97 Mein Vater, der mich nicht aus den Augen ließ, war in den Hof gegangen, um den Knechten etwas zu befehlen, da trat ein Bettelweib vor das offene Fenster, und übergab mir den inliegenden Brief. Sie ließ mir nicht Zeit, ihr ein Allmosen zu reichen. Lese Sie, lese Sie. – Mehr sagte sie nicht und verschwand. Ich riß das Siegel auf, Hand und Unterschrift waren mir unbekannt, ich hielt es für einen Bettelbrief, aber . . . Doch du hast ihn ja vor den Augen, und würdest die Achseln zucken, wenn ich eine Schilderung der Gefühle von dir verlangte, die bei der Lesung dieses Blatts deinen Busen bestürmen werden. Ich hatte noch Zeit, mich ein wenig zu fassen, ehe mein Vater zurück kam. Ich trat ihm entgegen. Hier ist ein Brief, den man mir diesen Augenblick zustellte. – Er las ihn – Blässe und feurige Röthe wechselten auf seinem Gesicht. Er biß sich die Lippen und zitterte vor Zorn. Er befahl, den Hartwig zu rufen. Ich wollte mich entfernen. Bleib, bleib Röschen, es geht dich am nächsten an. Hartwig war gleich bei der Hand. Vermuthlich hoffte er, den Ehekontrakt zu unterschreiben, den ein Canzlist kurz zuvor meinem Vater zugestellt hatte. Dieser zwang sich und sagte in einem ganz ruhigen Tone: da lese Er doch diesen Brief. Hartwig nahm ihn, und als er die Unterschrift erblickte, ließ er das Papier aus der Hand fallen, und glich einer starren 98 Leiche. Die plötzliche Ueberraschung hinderte ihn, auf Ausflüchte zu denken. Mein Vater raffte den Brief auf. Stillschweigen ist auch eine Antwort, sprach er in einem verstärkten Tone. Tret Er mir nicht mehr über die Schwelle, und find' Er sich mit dem armen Mädel ab, oder ich trage diesen Brief selbst ins Ehegericht. Der Missethäter schauderte. Ich will nicht haben, fuhr er fort, daß mein Name in dieser infamen Sache genannt werde. Es soll nicht geschehen, stotterte Hartwig, wenn sie aber beigelegt ist, so hoffe ich . . . . . Ich verstand den Unverschämten und warf ihm einen Blick der Verachtung zu. . . . Was hofft Er? unterbrach ihn mein Vater. Daß die Affaire meine Mariage mit Mademoiselle Röschen nicht weiter hindern werde. Diese Hofnung, sagte mein Vater, macht ihn zu einem noch schlechtern Kerl als sein Bubenstreich. Also meint Er, ich werde meine Tochter an einen Halunken verheurathen? Geschwind pack Er sich: meine Geduld ist am Ende. Der Nichtswürdige kroch mit gekrümmtem Rücken zur Stube hinaus. Er hatte wohl Ursach, sich zu bücken, denn er trug die ganze Centnerlast meines Kummers mit sich fort. Ich weiß nicht, warum ich weinte, aber das weiß ich, daß ich die Augen niederschlug, aus Furcht, mein Vater möchte einen Vorwurf darin lesen. Als er aber auf mich zukam, sprang ich von meinem Stuhle 99 auf, und flog ihm mit offenen Armen entgegen; sprechen konnte ich nicht, allein meine Blicke müssen ihn gesegnet haben, denn er gab mir einen Kuß und sagte: Röschen, dein Gehorsam freute mich, aber noch mehr freut es mich, daß der Schuft dein Mann nicht wird. Sieh, nun ist es doch besser, daß ich dir keine Bedenkzeit lassen wollte. Ich mußte lächeln, aber es war kein bitteres Lächeln. Es fuhr mir sogar aus dieser Rede ein Strahl der Hofnung in die Seele. Das Herz war mir so leicht, daß ich den Muth hatte, meinen Vater um die Erlaubniß zu fragen, ob ich nicht dem armen Dorchen einige Unterstützung schicken dürfte?

Warum nicht? Wie viel willst du ihr geben?

Ich habe noch eine Karoline.

Gieb sie ihr, sie kann schon davon leben, bis sich der Bube mit ihr vergleicht.

Ich wickelte mein Goldstück in ein Papier, und holte mir ein Licht, um es zu versiegeln und nach Veltheim zu schicken. Ich hatte meine Börse auf dem Tische liegen lassen. Als ich fertig war, steckte ich sie zu mir, und erst nach dem Mittagessen fand ich sechs Dukaten darin. Zum Glücke war ich allein. Ach, meine Lotte, sie erinnerten mich an jene sechs, die . . . . . – Doch jene Scene sey auf ewig vergessen. Es war mir so himmlisch wohl, daß ich meine dankbaren Hände empor heben und der 100 Vorsehung ein stilles Lobopfer bringen konnte. Mein Vater mußte auch absichtlich diese Zahl gewählt haben, denn er sah mich so schalkhaft an, als ich ihm für sein Geschenk dankte. Wie ich den Nachmittag zubrachte, bezeugt dieser endlose Brief, den Hannchen dir, weil es schon spät ist, durch einen schnellern Boten, als ihre Mutter, zufertigen wird.

Ich sage dir nichts für unsere Eltern, nichts für unsere Freunde. Theile nun aber auch mit ihnen die innigste freudige Umarmung

deines Röschens.

 
Fünf und dreißigster Brief.

Adolph an seinen Vater.

Ich schreibe Ihnen. mein theurer Vater, aus Friedlingen, ohne zu wissen, wann ich nach Mayenthal kommen kann. Ich bin Reinhards Gefangener, der mich nicht eher frei lassen will, als bis ich meinen Heurathskontrakt mit seiner Tochter unterzeichnet habe. Glauben Sie nicht, ein Märchen zu lesen? Ich selbst würde mein Glück für einen Traum halten, wenn nicht mein Röschen, indem ich dieses schreibe, ihren Arm um meinen Nacken schlänge und mit meinen Locken spielte. Die Vorfälle haben sich seit acht Tagen wie Meereswellen über mich zusammengethürmt. Die entgegengesetztesten Empfindungen haben meine Seele so sehr durchkreuzt, daß ich nicht 101 weiß, ob es mir möglich seyn wird, Ordnung in meine Erzählung zu bringen.

Mein Prinz hatte mich mit einem Auftrag an seinen Herrn Vater beehrt, und mir auf meine Bitte die Erlaubniß ertheilt, meinen Rückweg über Mayenthal zu nehmen, um eine Woche im Schoose meiner Familie zuzubringen. Am Abend vor meiner Abreise erhielt ich den schrecklichen Bericht meiner Lotte mit Röschens Beischluß, der alle meine Hoffnungen auf immer zerstörte. Die bloße Erinnerung an jene schauervolle Stunde zermalmt mein Herz. Ich kann nicht davon reden. Ich reiste dem ungeachtet ab. Meine Reise aber war der Gang eines Uebelthäters zur Blutbühne. Die Wichtigkeit meines Geschäftes gab mir einen Theil meiner Besinnungskraft wieder. In wenigen Tagen brachte ich es glücklich zu Ende, und benachrichtigte davon meinen Prinzen durch eine Staffete. Nun wollte ich Trost und Kraft zum Dulden in Mayenthal holen. Mein Weg führte mich über Friedlingen. Plötzlich faßte ich den Gedanken, dort zu übernachten, um meine Geliebte, die jetzt nur noch meine Schwester seyn wollte, unter dem Schleier der Dunkelheit noch einmal unerkannt zu sehen. Ich hemmte den raschen Gang meines Pferdes und langte gestern in der Abenddämmerung vor dem Wirthshause zur Sonne an. Eine junge Weibsperson kam mit einem blassen 102 Licht an das Thor. Ich konnte mich kaum im Sattel halten. Es war mir unmöglich, den Mund zu öffnen. Mein Reitknecht nahm das Wort für mich: Guten Abend. Können wir hier logiren?

O ja, antwortete eine Stimme, die nicht meines Röschens Stimme war; steigen Sie nur ab.

Ich möchte ein besonderes Zimmer haben.

Das können Sie, folgen Sie mir nur: ich will Ihnen hinauf leuchten. Ich wankte hinter dem Mädchen die Treppe hinauf, und warf mich auf einen Stuhl.

Wo ist denn der Herr Wirth?

Er wird wohl bald nach Hause kommen.

Oder die Frau Wirthin? (diese Worte sprach ich mit leiser zitternder Stimme.)

Es ist keine Wirthin im Hause. – Es war mir als ob ein Engel mir unter dem Beil des Henkers zurief: Gnade! Gnade! Ich sprang von meinem Stuhl auf: Was, ist Hartwig noch nicht verheurathet? – Das Mädchen fuhr zurück.

Je nein, gnädiger Herr.

Nicht mit des Schulzen Tochter?

Mit der ists vorbei.

Ich glaube, ich hätte das Mädchen in meinen Armen erdrückt, wenn nicht in eben dem Augenblicke mein Reitknecht mit meinen Pistolen und meinem Felleisen in die Stube getreten wäre.

Nun fragte ich ein wenig gelassener. Wie so 103 vorbei? aber plötzlich schlug ein neuer Donner in meine Seele; ich konnte nur stammeln.

Ist Röschen etwa todt?

Ach nein. Kennen Sie des Schulzen Tochter, es ist ein gar liebes Mädchen; wir hätten sie gerne zur Frau gehabt, allein die Heurath hat sich zerschlagen.

Warum zerschlagen? fragte ich außer Athem.

Das weiß unser eins nicht; man spricht allerhand. Kurzum, der Schulze nahm sein Wort zurück.

Nun wußte ich genug. Ich foderte dem Mädchen ein Stück kalten Braten und ein Glas Wein.

Es war neun Uhr, und um den Wirth nicht zu sehen, gab ich vor, ich wolle mich gleich zu Bette legen. Vater, ich bin Soldat, aber ich habe es nicht verlernt, meine Kniee vor meinem Schöpfer zu beugen. Das that ich, sobald ich allein war. Dann warf ich mich auf mein Bette. Doch ich konnte kein Auge schließen. Tausend rosigte Gestalten hüpften vor meiner Phantasie vorüber, und ein siedender Balsam strömte durch meine Adern. Gegen zwei Uhr nach Mitternacht fieng der Mond an zu scheinen. Ich stund auf und legte mich ans Fenster, um frische Luft zu schöpfen. Unten müßte es noch besser seyn, dachte ich nach einigen Minuten, nahm meinen Säbel unter den Arm, und gieng hinunter. Das Hofthor war verschlossen, ich fand aber einen Ausgang durch den Grasgarten, und gieng, in süsse 104 Träumereien verloren, auf dem nächsten besten Fußsteige fort, der mich unvermerkt an das Ende des Dorfes führte, wovon Reinhards weitläuftige Gebäude den Schluß machen.

Jetzt stand ich unter den Fenstern des Wohnhauses und lauschte, als ob ich meines Röschens sanften Athem behorchen wollte. Die untern Fensterladen waren verschlossen. Ich ward aber bald durch ein ängstliches Stönen aufmerksam gemacht, das sich bisweilen bis zum dumpfen Brüllen verstärkte. Ein Schauer befiel mich: Gott, was geht hier vor, sagte ich bei mir selbst, und lief nach dem Thore. Es war verriegelt, ich sprang nach der Seitenthüre. Sie war bloß angelehnt. Ich sprang hinein. Der erste Gegenstand, den ich unterscheiden konnte, war der Hofhund, der in seinem Blute lag. Ich zog meinen Säbel und stürzte in die offenstehende Stube. Eine Person lag im Hemde auf der Erde, sie verstummte, als sie mich mit gezücktem Säbel erblickte, und schien den letzten Todesstreich zu erwarten: Es drang blos ein schwaches Licht durch die offene Thüre. Ich stieß eilends einen Fensterladen auf und fand (urtheilen Sie von meinem Entsetzen!) den Schulzen Reinhard an Händen und Füssen gebunden und mit einem Knebel im Munde auf den Boden gestreckt. Großer Gott, was ist das! rief ich, indem ich den Knebel losmachte. Allein Reinhard konnte 105 nicht sprechen. Ich rüttelte ihn und zerschnitt mir meinem Säbel die Stricke, die ihn fesselten. – Habt ihr noch nicht genug? röchelte er. Tödtet mich, aber verschont wenigstens meine Tochter. Dieses Wort rührte mich bis zu Thränen. Ich bin kein Mörder, sagte ich, lieber Herr Reinhard. Ich bin Adolph Oswald von Mayenthal; ich komme Ihnen zu Hülfe. Diese Rede schien ihn von neuem zu beleben. Oswald! ja es ist seine Stimme. Herr, sprach er, wiewohl etwas unverständlich, weil ihm der Mund verschwollen war, binden Sie mich wieder, knebeln Sie mich wieder. Ich verdiene nicht, daß Sie mich retten.

Sie sind Röschens Vater?

Röschens Peiniger und Adolphs Peiniger war ich. Ich, ich, o ich Teufel! Ich habe sie voriges Jahr an die Bösewichter verrathen, die mich diese Nacht beraubt haben. Wollen Sie mich nun noch retten?

Das will ich. Ihrer Feindschaft habe ich mein jetziges Glück zu danken, und wenn das auch nicht wäre, Sie sind ein Mensch und Röschens Vater.

O Gott, Gott! dieser Augenblick büßt mein Verbrechen.

Seyn Sie ruhig, lieber Herr Reinhard.

Ruhig? Schon zwo Stunden liege ich in der schrecklichsten Gewissensangst, und Sie, Herr 106 Oswald, schwebten mir immer vor den Augen, aber Ihre Grosmuth vollendet meine Verzweiflung.

Nicht doch, Herr Reinhard, fassen Sie sich und freuen Sie sich, wie ich, über Ihre Rettung. Kommen Sie, stützen Sie sich auf mich. Ich hob ihn von der Erde und setzte ihn in seinen Armstuhl. Gedulden Sie sich ein wenig, ich will sehen, daß ich Licht schlage, ich weiß noch wohl Bescheid in der Küche. Ich fand in der Asche noch eine glimmende Kohle und kehrte nach einer Minute mit einem Licht in die Stube zurück.

Sie sind doch nicht verwundet, lieber Herr Reinhard?

Einige Beulen schlugen mir die Bösewichter, als ich ihnen nicht gleich den Schlüssel zur Geldtruhe herausgeben wollte.

Nun diese Beulen und Ihr Verlust werden zu verschmerzen seyn, Gottlob, daß Sie leben.

Reinhard wiederholte das Wort, Gottlob; starrte mich convulsivisch an, und ein Thränenstrom stürzte aus seinen Augen. Ich glaube, ohne diese Krise wäre dieser Augenblick sein letzter gewesen. Er langte nach meinen beiden Händen, wollte sie nach seinem Munde führen, und als ich sie zurückzog, sagte er mit Schluchzen: O lassen Sie, lassen Sie! Barmherziger Gott, und diesen Mann versagte ich zu meinem Sohne, verstieß ich für einen? . . . . . 107 Ach, Adolph, ich verschmachte vor Durst, und dennoch kann ich keinen Tropfen Wasser von Ihrer Hand annehmen, wenn Sie mir nicht versprechen, von meiner Hand meine Tochter anzunehmen. Ich weiß, Sie lieben sie noch. – Ob ich sie noch liebe? rief ich, indem ich mich ihm um den Hals warf. Mein Vater, mein lieber guter Vater? Ob ich mein Röschen noch liebe? Die Liebe zu ihr führte mich nach Friedlingen, führte mich, nach einer schlaflosen Nacht, vor Ihre Fenster, wo ich Sie, mein Vater, winseln hörte.

Ja wohl dein Vater, nichts mehr als dein Vater. Heute noch dein Vater. Gott, Gott selbst hat dich hieher geführt.

Wo ist Röschen, um Gotteswillen, wo ist sie? Haben vielleicht die Bösewichter auch sie . . . .

Nein, sie schläft ruhig, es war ihnen nur um mich zu thun.

Doch Sie wollen ja trinken. Vergeben Sie, vergeben Sie, lieber Vater, ich vergaß es ganz.

Auch ich vergaß es ja über dem Vaternamen, den du mir gabst.

Ich holte ein Glas Wasser, das den armen Mann ungemein erquickte. Ich beredete ihn, sich von mir in die Nebenkammer führen zu lassen und in das Bette zu legen. Ich setzte mich neben ihn. Suchen Sie zu schlafen, ich will an Ihrer Seite 108 wachen, bis Röschen herunter kömmt. Schlafen? Ey nun ja. Ich würde fürchten, nicht mehr zu erwachen, und ich muß noch mein Röschen in ihres Adolphs Armen sehen, ich muß noch eure Hände in einander legen.

Sie sollen noch mehr, Sie sollen uns noch glücklich, noch lange glücklich sehen; noch lange sollen Sie Ihre dankbaren Kinder Sie segnen hören.

Reinhard schwieg. Er verbarg sein Gesicht in das Kissen, das er mit seinen Thränen überschwemmte. Endlich schlummerte er vor Ermattung ein, und überließ mich den heiligen Gefühlen, die Sie, meine guten Eltern, meine Lotte, mein Erdmann, bei Lesung dieser Scene ergreifen werden.

Ich schlich in die Stube und warf mich in den Armstuhl. Die drei seligsten Stunden meines Lebens verstrichen mir wie eine Minute.

Endlich kam Lieschen herunter, um die Fensterladen zu öffnen. Der Tag war angebrochen. Sie fuhr zurück, als sie einen Husaren auf sich zueilen sah. Ich winkte ihr: still, still, Herr Reinhard schläft noch.

Allmächtiger Gott, das ist ja Herr Oswald! – Ja der bin ich, gutes Lieschen, schweige nur, damit Röschen nicht erweckt werde. Das Mädchen stand wie versteinert da, beguckte mich vom Kopfe bis zu den Füssen, und schlug einmal über das 109 andere die Hände zusammen. Ich erzählte ihr mit wenig Worten, was vorgegangen war. Ach, sagte sie, die verdammten Werber, sie waren gestern noch hier und sagten, sie hätten Befehl bekommen, zum Regiment abzureisen.

Sturm aß noch mit dem Schulzen zu Nacht. Der teuflische Bube. Ich konnte ihn nie sehen, ohne daß mir ein Stich durchs Herz gieng: man munkelte schon lange in dem Dorfe, daß er Sie, Herr Oswald, an die Preußen verkauft habe.

Reinhard rührte sich. Ich trat in die Kammer. Also hab ich dennoch geschlafen, und zwar herrlich geschlafen. Ich bin wie neugebohren. Ich trat an das Bette. Er reichte mir die Hand und betrachtete mich lange mit sichtbarem Wohlbehagen Wie wird mein Mädchen die Augen aufreissen, wenn es seinen Adolph in einem so stattlichen Aufzug erblickt. Doch wenn er auch noch seinen braunen Frack trüge, so müßte er dennoch ihr Mann werden.

Ich weiß alles, mein Sohn, ich habe deine Heldenthat in der Zeitung gelesen.

Nun wurde mit Lieschen verabredet, daß sie Röschen aufwecken und ihr sagen sollte, es wäre ein Offizier unten, der einen Brief für sie hätte. Sage ja weiter nichts, rief ich ihr zu, als sie weglief. Sorgen Sie nicht, antwortete sie im Weggehen. Aber nicht wahr, Herr Oswald, ich darf durch 110 das kleine Küchenfenster zusehen, wie sie sich freuen wird?

Sie muß nicht wissen, daß ich in der Nähe bin, sagte der Vater, und hieß mich die Kammerthüre zulehnen. Meine Ungeduld war unaussprechlich, und die Viertelstunde, während der ich die Stube auf- und ablief, und bei jeder Wendung Röschens Clavier anlächelte, schien mir eine Ewigkeit.

Endlich hörte ich sie, leicht wie Hebe, die Treppe herunter trippeln. Die Stube verschwand mir, alles um mich her war Himmel. Sie trat herein. Ach Gott! er ist es selbst, rief sie und sank in meine Arme. Ja er ist es selbst, dein Adolph ist es. Du bist nun sein. Die ganze Welt, der ganze Himmel ist sein. Mein Adolph! mehr konnte sie nicht sagen. Ich trug sie in den Armstuhl, meine Küsse, glaube ich, verscheuchten die Ohnmacht, die sie anwandelte. Lebe, mein Röschen, lebe für deinen Adolph, er hat ja so lange nur noch für dich gelebt.

Sie lächelte, drückte mir die Hand und lehnte ihren Kopf an meinen Busen, sie schwieg und blickte mich an. So blickte die auferstandene Zikli ihren auferstandenen Lazarus an. Auf einmal fragte sie lebhaft: Wo ist der Vater? hat er dich schon gesehen?

Ja wohl, rief dieser aus der Kammer heraus, ohne ihn hättest du keinen Vater mehr. Wie ein Pfeil flog sie zu ihm hinein. Freude und Entsetzen 111 stürzten sie zu den Füssen seines Bettes nieder. Ich hatte diesen Augenblick vorausgesehen. Ich hob sie von der Erde, ehe ihre Kniee sie berührten. Fasse dich, mein Röschen, du sollst alles erfahren. Es ist nichts, unser Vater hat blos einen vorübergehenden Schrecken gehabt.

Einen glücklichen Schrecken, sagte Reinhard, der mich erst recht zu deinem Vater macht: sey doch ruhig, mein Kind, und antworte mir. Habe ich recht gethan, daß ich dich diesen Morgen ungefragt an diesen Husaren verlobt habe?

Röschen weinte lang an ihres Vaters Halse. Sie konnte nicht sprechen, wir alle konnten nicht sprechen. Nach und nach kamen wir wieder zu uns, und Vater Reinhard erzählte auf Röschens wiederholte Fragen, daß um Mitternacht die drei Werber, die seit einiger Zeit wieder im Dorfe lagen, in seine Kammer gedrungen, ihn aus dem Bette gerissen, und ihn durch allerhand Gewaltthätigkeiten genöthigt hätten, ihnen sein vorräthiges Geld, das in etwa zweihundert Dukaten bestund, auszuliefern. Ein blasender Postillon, der vorbei gefahren, habe sie verjagt, und wahrscheinlich ein weit größeres Unglück verhütet.

Als er auf mich zu sprechen kam, war Röschens blitzendes Auge bald auf ihn, bald auf mich geheftet. Mir schien es zu sagen: Ja, ja, das ist mein Adolph, und ihm: Nun, Vater, hatte ich nicht 112 Recht, ihn zu lieben? Nach einigen Stunden fühlte sich Reinhard wieder so wohl, daß er das Bette verließ. Gleichwohl will er mich heute noch nicht von sich lassen, und morgen mich mit meiner Braut selbst nach Mayenthal begleiten. Gott! was für ein Tag wird auch der morgende Ihrem Adolph seyn.


Und auch Ihrem Röschen, theuerste Eltern, Ihrer Pflegetochter, der Braut Ihres Adolphs, der Schwester Ihrer Lotte. Es ist eine Fabel, ich habe nie gelitten, wohl einmal im Traume, aber ich bin erwacht, und als ich erwachte, stand Adolph an meiner Seite, und weg war der Traum. Adolph blieb mir, und mit ihm alle Seligkeit der Welt. Wirklich schreibt er an seinen Prinzen um eine Verlängerung seines Urlaubs und um seine Einwilligung in unser Bündniß. Für beides steht mir Adolph, und noch für ein drittes, das auch das letzte Wölkchen von meiner heitern Aussicht wegwischt – für einen baldigen Frieden. Kein schüchternes Mütterchen, sondern ein jagender Bote soll Ihnen diese Zeilen überbringen, und Morgen! Morgen! ich Thörin, daß ich in Worte fassen will, was mein ganzes Herz nicht zu sagen vermag.

Röschen.

 


 


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