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Viertes Kapitel.

Frau Pauer fragte ihre Tochter nicht, wohin sie ging, oder woher sie kam, und diese, die nichts mehr zu verheimlichen hatte, war freier denn je. Anfangs freilich errötete sie, wenn sie, angekleidet, der Mutter sagte, sie wolle ausgehen, und diese empfand einen stechenden Schmerz in der Brust, wenn Karoline wieder heim kam, sie wußte, von welchem Gange. Beide Frauen waren scheu gegeneinander, es lag etwas zwischen ihnen, worüber man nicht sprach, was sich aber schwer auf Herz und Zunge legte. Nach einer Weile wurde das anders. Frau Pauer trocknete die Thränen, die sie, der Tochter verheimlichend, oft vergoß, während diese in des Liebsten Armen schwelgte, Karoline aber gewöhnte sich daran, die Widerstandslosigkeit der Mutter zu nützen und alltäglich Bertram aufzusuchen, als wäre das ihr Recht und ein ganz gewöhnliches Ding, wie ein Spaziergang. Dabei wandte sie nach wie vor die größte Sorgfalt auf das Wohlergehen und die kleinen Gewohnheiten der Mutter, war dieser liebevoll ergeben, und dazu wurde sie viel heiterer, als es früher in ihrer Gewohnheit gelegen hatte, als wollte sie die alte Frau mit Scherzen und lustiger Laune entschädigen. Frau Pauer ließ das alles mit äußerer Gemütsruhe über sich ergehen und bezeigte sich der Tochter zärtlich wie zuvor. Verstohlen sah sie zuweilen ihr Kind an und dachte dann, zwischen Liebe und Kümmernis schwankend: »Das ist die schlimmste Teufelei, daß solches Sündenleben das Mädel noch verschönt!« Sehr selten nur machte sie ihrem Herzen Luft in einer kurzen Bemerkung, ob dieser Bertram wirklich Treue halten würde, oder in der ängstlichen Besorgnis, ob nicht am Ende eines Tages Karoline käme mit einem Geständnisse, das die Schande vollends kündbar mache.

Diese beschwichtigte im ersten Falle die Mutter mit der steten Versicherung, daß Bertram gar nicht mehr von ihr lassen könne. Was die weiteren Beängstigungen der Mutter anging, wich sie meist, sich stumm abwendend, aus, und nur einmal meinte sie, ereignete sich ein solcher Fall, so würde Bertram sie erst recht nicht im Stiche lassen. Ihre Meinung entbehrte der Gründe nicht, wenn sie dieselben auch der Mutter vorenthielt. Nachdem es einmal geschehen war, daß dieser das Geheimnis offenbar wurde, ein Umstand, den sie vorher als die schlimmste aller Möglichkeiten angesehen hatte, nachdem die Mutter sich so glimpflich in die Lage gefügt hatte, war es über sie wie die Befreiung von einem Alp gekommen. Das Schlimmste war vorbeigegangen, alles andere war dagegen geringe Widrigkeit. Die bösen Stimmungen, die Grübeleien hörten auf, und ihre Seele hatte völlig freien Raum für die Leidenschaft, die, je länger sie mit Bertram verkehrte, desto tiefer und zäher wurde. Er übte eine seltsame Gewalt auf sie aus, dieser Mann mit seiner zwanglosen Selbstsucht, die in ihrer Liebe eine Annehmlichkeit, ein rasch gewohntes Lebensbedürfnis sah, und, sich selbst, nachdem die ersten Stürme der neuen Leidenschaft vorüber waren, nicht mehr in allzu heftige Gluten stürzend, in dem Weibe die Begierde immer mehr anfachte.

Die ruhige, behaglich lächelnde Kraft eines Mannes, der nicht mehr überschwenglich schwärmt, den aber auch das Leben nicht verzehrt hat, eines Mannes, der in seiner ganzen Art die volle Reife des Alters mit dem ruhig dauerbaren Feuer ungetrübter Lebensfrische paarte, und, ohne roh zu sein, doch jene natürliche Urwüchsigkeit der Sinnesart an sich trug, welche, nicht von allzuviel Bildung überlastet, sich gerne in bequemem Hauskleide streckt, das war es, was Karolinens Liebe jetzt, da alles, was von außen störend wirken konnte, hinter ihr lag, in eine gleichmäßige Wärme einbettete, die, je länger sie anhielt, desto mehr ihr ganzes Wesen durchdrang und in süße Wollust wiegte. Sie veredelte nicht diese Liebe, sie hatte keine nach höherer Beseligung führende Schwingen, sondern zog vielmehr nach unten. Was in jenen Tagen, als sie über den ihr angethanen Schimpf grübelte, ihr wie ein schleichendes Gift in ihrer Seele erschien, es hatte sich ihrer voll und ganz bemächtigt. Sie merkte es selbst nicht mehr, wie ihr Feingefühl schwand, ihr Empfinden sich vergröberte, und ein cynischer Zug ihren Geist umfaßte, der sie auch mit einer Leichtigkeit, die etwas Schamloses an sich hatte, das Peinliche überwinden ließ, das in der Art lag, wie sie vor den Augen der Mutter ihr immer mehr der wilden Ehe sich näherndes Verhältnis trieb. Bertram aber war es wohl zufrieden und sagte ihr öfter, er habe nie so glücklich sich befunden, nie noch habe er sich so unzertrennlich mit einem Weibe verwachsen gefühlt, er wisse jetzt erst, was es doch um Weibesliebe Schönes sei.

So war es den Winter über fortgegangen. Im Hause konnte Karoline freilich aus den Mienen der Bewohner manches lesen, doch sie störte sich nicht mehr daran. Als der Frühling kam, und in seinem Gefolge die, wie im Herbste, durch die Straßen pfeifenden Stürme, die tagelangen Regengüsse mit ihrer feuchten Kälte, da begannen auch die Leiden der Frau Pauer wieder. Karoline hatte damit aber nur wenige Tage der Mühe. Es war zu Ende mit dem Widerstande des zerrütteten Körpers. Als sie eines Tages nach genossenem Mittagsmahle ein wenig eingenickt war, fuhr die Mutter mit einem kurzen, leisen Schmerzenston plötzlich auf, sank dann auf den Lehnstuhl zurück, aschfarben, mit rasch verfallender Kinnlade, kalt, tot.

Als sie sich von dem Ende ihrer Mutter überzeugt hatte, stürzte Karoline, alles Vergangene vergessend, die Treppe hinab zu Frau Sedlmeyer, ihr das Geschehene mitzuteilen. Ihr lautes Wehklagen lockte auch andere Inwohner herbei. Hülfreich ging man der Alleinstehenden zur Hand. Während einer zum nächsten Arzt lief, gingen zwei andere mit ihr in die Wohnung, hoben die Tote vom Lehnstuhl und trugen sie nach dem Schlafzimmer, sie dort auf das Bett legend. Als der rasch herbeigekommene Arzt den Tod durch Herzlähmung festgestellt hatte, sorgte man weiter, daß die Leichenwärterin herbeikam, die mit Hülfe Karolinens die Tote umkleidete. Ein schwarzes Seidenkleid wurde ihr angethan und eine weiße Haube, zwischen die gefalteten Hände steckte man ihr ein Kreuzlein. Das Nachttischchen vor dem Bette ward mit weißem Linnen bedeckt, ein Kruzifix und zwei Alfenideleuchter mit brennenden Kerzen stellte man darauf, dazu noch ein Täßchen mit geweihtem Wasser und ein Wedelchen.

Die Leute besichtigten nun die Tote und spritzten, sich bekreuzigend, ihr das Weihwasser ins Gesicht. Auch die Kaufmannsfrau kam gegen Abend. Karoline drückte man beileidsvoll die Hand, und unten im Hausflur stand man beisammen, sich über den Fall unterhaltend.

»Es war eine rechtschaffene Frau, der Kummer hat sie umgebracht.« »Schamlos hat die Junge es getrieben, als sie sah, daß die Mutter nichts mehr dagegen thun konnte.« »Jetzt wird sich's ja zeigen, ob er sie heiratet.« »Wie sie heult und jammert!« »Der Liebhaber wird sie schon trösten.«

So ging es fort, indessen oben im dritten Stockwerke Karoline bald, in einem Stuhle sitzend, fassungslos vor sich hinstarrte, bald sich, schluchzend und Schmeichelnamen sprechend, über die Tote warf. Die Leichenwärterin sah mit gedankenlos sanfter Gleichmut auf das Schauspiel, das zur täglichen Gewohnheit ihres Gewerbes gehörte.

Als bittere Verschärfung des von inniger Kindesliebe erzeugten Schmerzes empfand Karoline eine Bangigkeit vor der Zukunft, deren sie nicht Meister wurde. Sie hatte zwar keinen Grund, an Bertrams Treue zu zweifeln, aber, da setzt, mit dem Tode der Mutter, die Entscheidung nahe gerückt war, wurde sie zaghaft unter dem Druck der Vorstellung dessen, was werden würde, wenn er nicht Wort hielt. Dann mußte sie, wollte sie sich noch den letzten Rest von Ehre retten, die Rolle des betrogenen Mädchens übernehmen, den Verkehr mit ihm abbrechen. Zwar war sie völlig frei, nur sich selber Verantwortung schuldig, aber die Verantwortung war doch zu groß, um sie nicht aus ihrer bisherigen moralischen Lethargie aufzurütteln.

Die Aussicht auf ehrliche Ehe ganz beiseite zu legen, das Mittel, mit welchem bisher das Gewissen sich so leicht hatte einschlummern lassen, aufzugeben und fortzuleben als Bertrams Geliebte, das war doch etwas, wovor ihr graute, und was sie angesichts der Leiche ihrer Mutter kaum zu denken wagte. Ihr war's, als müßten sich die geschlossenen Augen öffnen, als bewege sich der Mund der Toten zum Reden und würde sagen: »Darauf also hast Du nur gewartet, um alle Scham beiseite zu legen und in frecher Öffentlichkeit dieses Mannes Buhlerin zu werden!« Sie wußte es wohl, vorweggenommenes Brautrecht wird in den Kreisen, denen sie angehörte, der späteren Frau vergeben und vergessen, ein solches zielloses »Verhältnis« aber war der Weg, von dem es keine Rückkehr gab, der Weg des Weibes, von dem man sagt: »Sie taugt nicht viel!« Daß das von der guten Toten Kind gesagt werden sollte, dagegen sträubte sie sich, das war eine dunkle, häßliche Zukunft.

Des andern Morgens brachte man, wie es in München üblich ist, die Leiche nach dem auf dem Friedhöfe gelegenen Totenhause, von wo aus sie am Nachmittage des darauffolgenden Tages bestattet werden sollte. Als die Tote aus dem Hause war, eilte Karoline zu Bertram. Dieser tröstete sie sehr teilnahmsvoll und bot sich an, ihr bei den mancherlei Besorgungen, die ein solcher Fall erheischt, hülfreich an die Hand zu gehen.

Sie nahm sein Angebot dankbar an, und zum erstenmal ließ sie sich von ihm am hellen Tage durch die Stadt geleiten. Beim Gärtner kaufte er selbst einen prächtigen Kranz, wofür ihm Karoline mit einem beredten Blicke des thränenden Auges dankte. Er setzte ihr auch den Text des Totenzettels auf und bemerkte nicht, daß sie eine Unruhe verriet, als wolle sie etwas sagen, wozu ihr der Mut fehlte.

»Du kommst doch zur Beerdigung?« fragte sie ihn bald darauf.

»Ich würde es Dir zuliebe gern thun!« war die Antwort. »Ich halte es aber nicht für passend, da ich keine Stellung zu Deiner Mutter hatte und, nach dem, was ich von Dir weiß, meine Anwesenheit Anlaß zu Gerede geben könnte.«

»Ich meinte gerade«, wendete Karoline zögernd ein, »daß Deine Anwesenheit solchem Gerede über mich vorbeugen, den Leuten zeigen würde, daß Du wenigstens eine Stellung zu mir betonen willst, die solche Rede abschneidet.«

Bertram antwortete nicht sogleich. Nach einigem Besinnen sagte er: »Du rechnest mit dem guten Willen der Leute. Eine solche Rechnung trügt aber meistens. Man würde sagen, daß es eine Frechheit von mir sei, mich an das Grab Deiner Mutter zu stellen.«

»Wie Du meinst!« sagte Karoline leise. Nach einer Pause fuhr sie fort: »Deute es nicht übel – ich will Dich nicht drängen – – – aber meine Stellung wird jetzt eine recht schwere werden!«

Sie sah ihn heimlich von der Seite an, als sie dieses gesagt hatte. Er zeigte keine Überraschung oder Verlegenheit, seine Züge blieben völlig ruhig.

»Ja, ja!« sagte er, vor sich hinsehend. »Das ist richtig. Warte nur noch die nächsten Tage ab. Dann wollen wir darüber reden, was zu thun ist.«

»Sei beruhigt«! setzte er wärmer hinzu. »Ich sorge schon dafür, daß sich Deine jetzige Lage ordnet und Du nicht ohne Stütze bist!«

Karoline ging zum Mittagessen nach Hause. Schnell entfloh sie aber wieder der öden Wohnung und suchte den Geliebten auf.

Dieser erbat sich in geschäftsmäßigem Tone nähere Auskunft über die Vermögensverhältnisse, in denen sie sich nach dem Tode der Mutter befinde, und erfuhr von dem mit freudiger Bereitwilligkeit Aufschluß gebenden Mädchen, daß ihr die Mutter ein Vermögen von dreißigtausend Mark hinterlassen habe, wozu sich noch eine Pension von jährlich dreihundert Mark gesellte. Eine kleine Kapitalsumme von sechstausend Mark war ihr schon früher als Erbe einer Tante zugefallen.

»Ei, das ist ja ganz hübsch«! sagte Bertram. »Das giebt bei gewöhnlicher vierprozentiger Anlage schon siebzehnhundertvierzig Mark Jahresrente. Eine bessere Verzinsung wäre vielleicht möglich – –«

»Aber die Pension fällt bei meiner Verheiratung weg!« sagte Karoline.

»Man könnte das Kapital in ein gangbares Geschäft stecken!« fuhr Bertram fort. »Das will aber überlegt sein.«

»Ich werde schon was finden«! setzte er, das Gespräch abbrechend, rasch hinzu und zog dann, sie um die Taille fassend, Karoline in stürmischer Zärtlichkeit an sich.

Sie glaubte hierin seine Zufriedenheit mit ihren Aufschlüssen und als deren Folge eine kräftige Bestätigung ihrer Hoffnungen zu erkennen, und die Freude hierüber hätte sich gern in einer leidenschaftlichen Hingabe an seine Zärtlichkeit geäußert, wenn nicht der Gedanke an die kaum erkaltete Mutter sich mit düsterem Ernste dazwischen gestellt hätte. Jählings ermattete der raschere Pulsschlag, der Mutter Leiche stand vor ihr, und es war ihr, als sei sie im Begriffe, einen gräßlichen Frevel zu begehen.

»Bertram!« sagte sie vorwurfsvoll, »jetzt ist doch keine Zeit zu schäkern!«

»Ach was!« erwiderte er. »Sei doch nicht kindisch! Du kannst doch nicht immer über das Geschehene brüten und mich dabei zusehen lassen! Sei froh, daß Du jemand hast, der Dich auf andere Gedanken bringt!«

»Auf andere Gedanken!« sagte sie in verweisendem Tone.

»Nun ja!« meinte er halb unwillig, halb beschwichtigend, und suchte die Zürnende durch eine scherzhafte Art zu gewinnen. Während er ihr stummes Widerstreben lachend bekämpfte, ahnte er nicht, daß Karoline sich schmerzlich angewidert fand und unter bitteren Seelenqualen litt. Erst als sie mit einem zornigen Kraftaufwande seinem faunischen Mutwillen ein Ende machte und, ihn von sich stoßend, aufsprang, gewahrte er Thränen in ihren Augen.

»Was hast Du denn?« fragte er mit brutal klingender Verlegenheit.

»Nichts! Nichts!« antwortete sie trocken, das Taschentuch vor die Augen pressend.

Unverständliche Laute murmelnd, trat er auf sie zu, und seinen Arm über ihre Schulter legend, suchte er sie auf stumme Weise zu versöhnen. Sie verhielt sich kalt ablehnend. Er ging von ihr, zündete eine Cigarre an, aus der er dichte Wolken blies, und machte sich am Schreibtische zu schaffen; sie stand unschlüssig, den Blick nach einem Fenster gerichtet, da. Nach einer Weile trat sie zu ihm hin und sagte, leise seinen Arm berührend: »Ich will jetzt gehen!«

»Schon!« sagte er, die Cigarre weglegend, und bemerkte den Versöhnung heischenden Ausdruck ihres Gesichtes. Er streichelte ihr die Wange und sagte: »Bleibe noch ein wenig!«

Sie blieb, und Bertram glaubte hierin einen Wechsel ihrer vorigen, abweisenden Stimmung erkennen zu dürfen. Er beachtete es weiter nicht, daß Karoline seiner wieder auflodernden Leidenschaft kein wärmeres Gefühl entgegenbrachte, sondern nur wie eine den Wünschen ihres Gebieters unterthane Sklavin in stummer Duldung ihm willfahrte. Gekränkt, bitteren Schmerz in der Seele, verließ sie den Geliebten, und in der öden Einsamkeit ihrer Wohnung den langen Abend verbringend, saß sie, unthätigem Sinnen hingegeben. Zum erstenmal hatte ihr Bertram weh gethan, und es war eine schwere Wunde, mehr als eine kleine Verstimmung, was er ihr zugefügt hatte. Sie war doch wahrhaftig nicht zimperlich, hatte mit ungezierter Nachgiebigkeit seiner bequemen Zwanglosigkeit sich willig gefügt, aber heute hatte seine Selbstsucht sich in roher Art geoffenbart, er hatte gezeigt, daß er kein Feingefühl besaß für ein besseres Gemütsleben, das sich jedes Weib bei noch so großer Freiheit der Sitten bewahrt, solange es nicht ganz versunken ist in den Schmutz der Verworfenheit. Mit Schrecken und tiefer Beschämung entdeckte sie jetzt, daß er in ihr nur das Geschlecht sah, daß er sie nur als ein Werkzeug seiner Begierden betrachtete, das diesen kein Hindernis mit anderen Regungen, als denen der Leidenschaft, bereiten sollte. Nur ein Mann, dem jeder Zartsinn mangelte, und der keines reinen Gedankens fähig war, hatte, nachdem er sie schon einmal beleidigt hatte, ihre versöhnliche Annäherung so deuten können, wie er es gethan, nur einem solchen hatte es genügen können, seine Begehrlichkeit an einem kalten und widerwilligen Opfer zu befriedigen. Düstere Gespenster traten vor sie hin. War es ein Glück, das eheliche Weib eines solchen Mannes zu werden? Drohten da nicht schlimme Gefahren? Würde der Mann, der so die Geliebte betrachtet, das Weib nicht noch rücksichtsloser behandeln? Was sie um ihrer Ehre willen hoffen mußte, das wurde jetzt zum Gegenstand schwerer Befürchtungen, und bange Ahnung dämmerte in ihr auf, sie könne das Los so vieler teilen, die im Liebestaumel träumen, ein verliebter Mann müsse auch ein guter Mann sein. Dann suchte sie die bösen Gedanken wieder aus dem Kopfe zu jagen, indem sie sich sagte, das sei aller starken Männer Art, etwas rücksichtslos zu sein, nicht an feinere Regungen zu denken. Damit könne sich doch ein gutes Herz paaren, und die Frauen seien einmal dem Manne untergeben und dürften darum nicht allzu empfindlich sein. Aber immer wieder wurde in ihr das Gefühl lebendig, dessen sie heute zum erstenmal bewußt geworden war und das ihr die Kehrseite der sinnlichen Freuden und in ihr die schwerste Gefahr des Frauenloses gezeigt hatte, ein Gefühl, das sich nicht hinwegbeschwichtigen ließ, ein Gefühl, das eben das, was sonst so lieb, so süß, so zaubervoll erschien, so häßlich, so beschämend, so schmerzhaft machte. Über allen diesen Betrachtungen und selbstquälerischen Fragen aber stand der Gedanke fest, komme, was da wolle, es könne doch für sie kein größeres Unglück geben, als ein Bruch mit Bertram; ihn festzuhalten, selbst wenn es ihr Unglück war, das schien ihr das Notwendige.

Des andern Nachmittags fand die Beerdigung der Frau Pauer vom Leichenhause des südlichen Friedhofes aus statt. Unter den wenigen Leidtragenden, einigen Bekannten von den Lebzeiten des Herrn Pauer her und einigen Nachbarn aus der Klenzestraße, befand sich auch Herr Nöttle, der überdies in seinem und seiner Frau Namen einen hübschen Totenkranz geschickt hatte. Frau Nöttle hatte ihn selber in Karolinens Wohnung gebracht, als diese eben ausgegangen war. Während das kleine Trauergefolge, des Geistlichen harrend, vor dem Leichenhause stand, hörte er, der unter den Anwesenden keine Bekannten hatte, mehrfach von Karoline in einer Weise reden, die ihm zu denken gab. Auf dem kurzen Wege zum Grabe ging er neben dem Postsekretär, der im zweiten Stock des von der Verstorbenen bewohnten Hauses wohnte, einher und wechselte einige Worte mit ihm. Es traf sich auch, daß sie nach der Feierlichkeit nebeneinander dem Ausgange des Friedhofes zuschritten. Da richtete er die Frage an seinen Begleiter, was denn die Redensarten, die er über Karoline gehört habe, bedeuten sollten, und erfuhr von ihm, was dem ganzen Hause bekannt war.

Mit solchen Aufschlüssen kam Herr Nöttle zurück zu seiner kleinen Frau.

»Schöne Dinge hab' ich da gehört von Deiner Freundin!« sagte er zu ihr.

»Von Karoline? Was kann das sein?«

»Ihrer Nachbarin, über die sie sich erst so beschwerte, hat sie das Handwerk abgelernt.«

»Ludwig! Das ist nicht möglich! Wer sagte Dir das?«

»Ein Hausgenosse.«

»Ein böser Klatsch, nichts anderes, kann das sein. Karoline auf schlechten Wegen! Ebensogut könnte man mir nachsagen – –«

»Rede Dich nicht zu vorschnell in ein gar böses Licht! Zu zweifeln ist nicht daran. Sie hat es selber zugestanden –«

»Sie selber zugestanden, daß – – –«

»Daß sie einen Bräutigam hat, von dem die Mutter nichts wußte!«

»Ach, weiter nichts!« Sie ist also verliebt, und man dichtet dem Mädchen darum Böses an!«

»So laß doch Deine Mutmaßungen! Es ist gewiß, daß sie dem sogenannten Bräutigam regelmäßige Besuche gemacht hat. Die arme Mutter wußte darum und konnte nichts dagegen thun! Jetzt wird sie es noch wilder treiben!«

In starrem Erstaunen besann sich Frau Nöttle eine Weile.

»Und ich glaub' es nicht!« sagte sie dann entschieden. »Da müßte man an allem zweifeln! So kann's nicht sein, nicht so. Zum mindesten ist sie ihrer Sache gewiß, und der Mann wird sie heiraten!«

»Warte es ab! Indessen – und das ist's, was mich bei der Sache interessiert – wirst Du diese Freundschaft aufgeben. Die Person wird wohl in den nächsten Tagen eine Dankvisite machen. Wie Du es anstellst, das überlasse ich Dir, doch sorge dafür, daß sie nicht mehr in unser Haus kommt.«

»Aber Ludwig – – – –«

»Wie? Du denkst daran, eine solche Freundschaft fortzusetzen?«

»Daß ich eines schlechten Mädchens Freundin sein möchte, das wirst Du selber nicht von mir glauben. Aber erst muß man auch die Beschuldigte hören und dann – –«

»Und dann?«

»Dann kommt es noch darauf an, ob wir nicht besser Christenpflicht erfüllen, wenn wir die Ärmste, die vielleicht einen Fehltritt begangen hat, davor schützen, daß jetzt, wo sie allein steht, ein Schurke sie ins Unglück stürzt. Daß Karoline schlecht geworden ist, glaube ich einmal nicht; wohl aber kann sie gerade jetzt Freundesrates sehr bedürfen!«

»Liebes Kind!« sagte jetzt Herr Nöttle, sein Frauchen an sich ziehend. »Was Du da sprichst, das klingt edel und gut. Ich aber sage Dir dagegen, daß wir zu solchem Edelmut gar keinen Beruf haben. Deine Freundin ist kein Kind mehr und kann über ihr Schicksal selber urteilen, wir aber haben unser Interesse zu vertreten, das heißt, unser Haus rein zu halten.«

»Du fürchtest also, man könnte erfahren, daß Karoline gefehlt hat, und uns den Umgang mit ihr verübeln?«

»Nicht so meine ich es! Nicht Menschenfurcht treibt mich! Unser Reichtum ist unsere Ehre, die Unbescholtenheit unseres ganzen Lebens und Treibens. Die Ehre hängt aber nicht bloß von fremdem Urteil, sie hängt vor allem vom eigenen Bewußtsein ab. Mir aber, meinem Bewußtsein, ist es widerstrebend, ein gefallenes Mädchen in näherem Umgang mit meiner braven, reinen Frau zu wissen!«

»Mich kann doch Karoline nicht verderben!«

»Ja doch in meinem Gefühle und, wenn Dein unbefangenes Herz sich in den Gedanken einlebt, ist es Dir selber peinlich, mit solch einem Mädchen Umgang zu haben!«

»Ich verstehe Dich nicht! Ich meine nur, Du bist hart.«

»Und wär' ich's? Hat nicht der Ehrliche recht, hart zu sein gegen andere, wenn er gegen sich selbst hart ist?«

»Nein! Das ist gegen die Religion!«

»Die Religion verbietet uns, die Sünder übermütig, als könnten wir nicht sündigen, zu verachten, aber sie verbietet uns nicht, Sünde Sünde zu nennen und sie von uns zu weisen.«

»Und wenn das arme Mädchen nun, weil sich niemand ihrer annehmen will, wirklich schlecht würde?«

»Das sind alles die frommen Redensarten, durch die man aus falschem Mitleid immerwährend mit der Sittenlosigkeit paktiert und sie vermehren hilft, statt redlich und kräftig zu sagen: »Ich will nichts zu schaffen haben mit Dir, Du gehörst nicht zu mir!« Ein armer Bursche, der aus Not ein paar Groschen stiehlt, gilt allen Leuten als ein gefährlicher Verbrecher, vor dem man sich schützen muß, wenn aber so ein Mädel nicht seine Lüsternheit bezwingen konnte, dann regt sich das Mitleid milder Seelen, und man redet von der »menschlichen Natur«, von »Leidenschaft« und was sonst noch, statt kurz zu sagen, es ist ein pflichtvergessenes Ding.«

»Aber Ludwig! Wie häßlich ungerecht Du sprichst! Du weißt recht wohl, was Liebe für ein Mädchen heißt, und wie leicht ein schlechter Mensch ein verliebtes Ding verführen kann!«

»So! Ich denke mir die Sache anders. Ein Mädchen, das sonst nichts zu thun hat, als seine Ehre zu wahren, ist nichts wert, wenn es diese verliert, und die Liebe, wie ich sie verstehe, hat damit nichts zu schaffen. Eine rechtschaffene Liebe harrt geduldig aus bis an den Traualtar und giebt sich nicht hin auf gut Glück, ob, was sie giebt, als Preis eines ganzen Lebens oder als ein Gelegenheitsgeschenk der guten Laune gilt.«

Frau Nöttle faßte ihren Mann an beiden Schultern, sah ihn mit ihren sanften und doch warmblickenden Augen fest an, und während ein Lächeln über ihre Lippen huschte, sagte sie: »Du bist ein braver Mann, Ludwig, und ich werde Dir auch gehorchen. Aber ein Philister bist Du doch!«

»Was willst Du damit sagen?« fragte der überraschte Gatte.

»Die Liebe rechnet nicht so genau und vorsichtig, wie Du's meinst, sonst wäre es keine Liebe. Ein braves Mädel wird freilich nicht gleich beim ersten verliebten Wort sich willig zeigen, es wird recht tapfer kämpfen; aber wenn die Lieb' einmal so ganz Leib und Seel' beherrscht, dann – – – Ich hab' Dich recht, recht lieb gehabt, und wärst Du nicht immer so streng erhaben gewesen als Bräutigam, ich hätte vielleicht auch – – –«

Sie vollendete nicht, sondern drückte dem Gatten einen innigen Kuß auf die Wange.

»Aber Fanny!« sagte dieser in entrüstetem Erstaunen.

»Wahrhaftig!« erwiderte sie, mit dem Kopfe nickend. Dann setzte sie sich auf seinen Schoß, und ihm einen scherzenden Schlag auf die Wange gebend, sagte sie: »Du, du weißt gar nicht, wie lieb man einen solchen ernsthaften Philister, wie Dich, haben kann.«

Dann, auf die weit vorgeschrittenen Kennzeichen ihres Zustandes blickend, errötete sie und erhob sich langsam mit ernster Miene.

»Jetzt, jetzt freilich«, sagte sie, »ist das anders geworden. Eine junge Frau denkt anders, als ein junges Mädchen.«

»Nun also! Und eben darum soll ein gefallenes Mädchen erst recht nichts mit einer jungen Frau gemein haben!« erwiderte Nöttle, und von seinem Stuhl aufstehend, zog er die kleine Frau an sich und sagte weichen Tones: »Du hast recht mein Schatz! Ich bin ein Philister! Ich war auch einmal ein flotter, lebenslustiger Jüngling, der gar stolz in die Welt sah. Da kam meines Vaters Tod. Den Bruder, der noch Schüler war, in eine anständige Laufbahn zu bringen, mußte ich mein heißgeliebtes Studententum aufgeben und einen Broterwerb suchen.«

»Ich weiß, wie edel Du an Schwager Max gehandelt hast!« sagte Frau Nöttle, ihm die Hand drückend.

»Es war ein großes Opfer, und deshalb verlange ich auch von anderen, daß sie ihrer Pflicht Opfer bringen können. Doch nicht davon wollt' ich reden! Ernst, nüchtern hat mich das Schicksal gemacht; aber als ich Dich sah, da kam mir der Gedanke, etwas von dem, was Glück heißt, will ich mir doch in mein armes Comptoiristenleben nehmen, einen Schmuck will ich mir doch gönnen! So wurdest Du mein Weibchen, der einzige Zierrat meines Lebens, und darauf bin ich eifersüchtig, möchte nicht mein blankes Kleinod neben einer Ware sehen, die nicht echt, nicht reinen Goldgehaltes ist.«

»Lieber, guter Ludwig!« sagte Frau Nöttle, die Wangen des Gatten mit zärtlichen Küssen bedeckend. »Ich will Dir gehorchen, und wenn sie kommt, die Unselige, will ich's ihr sagen, daß ich ihre Freundin nicht mehr sein kann, weil ich meinem lieben Manne nicht die Freude an mir verderben will! Ich gehöre Dir, bin Dein Eigentum und nur dazu da, Dir zur Lust zu sein!«

Acht Tage waren nach jener Zwiesprache der beiden Ehegatten vergangen, als Karoline den üblichen Dankbesuch abstattete. Frau Nöttle öffnete ihr selbst die Thür und geleitete sie mit etwas unbeholfener Feierlichkeit in die gute Stube. Die herzlichen Dankesbezeugungen Karolinens erwiderte sie mit verlegener Kälte. Diese bemerkte sehr schnell die veränderte Art ihrer Freundin und ahnte auch den Zusammenhang. Es entstand eine peinliche Gesprächspause, während welcher sich jede der beiden besann, wie sie sich zu verhalten habe.

»Ich komme Dir doch nicht ungelegen?« fragte Karoline endlich, als die Pause eine bänglich lange zu werden drohte.

»O nein! Durchaus nicht!« antwortete Frau Nöttle und fuhr zögernden, tastenden Tones fort: »Wirst Du die Wohnung beibehalten?«

»Vorläufig wohl!« lautete die Antwort.

»Vorläufig? So, so! Dann ist also richtig, was wir hörten, daß Du bald heiraten würdest?« Während sie so fragte, tändelte Frau Nöttle mit den Fingern am Tischteppich und sah die Gefragte nicht an.

»Da habt Ihr mehr gehört, als ich selber weiß«, erwiderte Karoline, entschlossen, das Gespräch zu einer entscheidenden Wendung zu bringen.

»So heiratest Du nicht?«

»Ich hoffe es, doch ist über das Wann noch nichts bestimmt.«

»Du drückst Dich sehr unbestimmt aus! Nach dem, was wir gehört haben, dachte ich, die Sache sei schon weiter als bei der bloßen Hoffnung angelangt. Man erzählte uns – ich muß es Dir ja doch sagen, – von einem Verhältnisse, einem – sehr intimen Verhältnisse, das Du hättest.«

»Man hat Euch nicht belogen«, erwiderte Karoline halblaut.

»Und dennoch – nur Hoffnung?«

Karoline zuckte die Achseln und meinte, verlegen nach dem rechten Worte suchend: »Umstände – – ich habe schon früher davon sprechen wollen – – –«

»Also doch!« sagte jetzt Frau Nöttle lebhafter. »Das hätte ich nicht von Dir gedacht Karoline!«

»Daß ich mich noch verlieben würde? Scheine ich Dir zu alt dazu?« versetzte Karoline in gemachter Heiterkeit, um Zeit für den richtigen Ton ihres Geständnisses zu gewinnen.

»Du verstehst mich falsch! Nicht davon ist die Rede. Aber daß Du ein solches Verhältnis eingehen würdest –«

»Es kam eben so – –«

»Aber Dein guter Ruf – – – man spricht Übles von Dir – – –«

»Ich weiß es wohl und habe es ertragen lernen. Ich will auch nichts beschönigen. Aber Du, als in ihrer Liebe glückliche Frau, wirst mich wenigstens begreifen und entschuldigen. Mir wäre es auch lieber, ich könnte mein Glück offen und ehrlich zur Schau tragen, ohne mir böse Nachrede gefallen lassen zu müssen. Aber, wie die Umstände lagen – – – nun wohl, es ist eben so, wie es ist, und man mag mich verurteilen, ich habe auch ein Anrecht auf Lebensglück, will auch noch meine Jugend genießen.«

Karoline hatte mit innerer Erregung, aber mehrfach stockend, gesprochen. Heiße Röte bedeckte ihre Wangen, während sie abgewandten Blickes zu Boden sah.

»Und wenn er Dich nun nicht heiratet?« fragte Frau Nöttle in einem gedehnten, verweisend klingenden Tone.

Karoline hatte eine andere Entgegnung ihrer Freundin erwartet, ein sanft ihr über das Peinliche des Geständnisses hinweghelfendes, wenn auch nicht billigendes, so doch nachsichtig mitfühlendes Wort. Die trocken verständige Frage, die noch einen schulmeisternden Beigeschmack hatte, ärgerte sie. War es Ungeschick oder bewußte Absicht der Freundin, die Rolle der bescheiden und schüchtern Beichtenden schien ihr jetzt nicht mehr angebracht.

Sie sah Frau Nöttle dreist an und sagte kalt: »Damit ist noch nicht gesagt, daß er mich verlassen würde!«

»Auch wenn Du diese Gewißheit hättest, würdest Du –«

»Würde ich manche Thräne vergießen, aber seine Geliebte bleiben, bis er mich von sich stößt. Das aber thut er nicht!« antwortete, den letzten Satz mit einem Lächeln begleitend, Karoline auf die in entsetztem Tone gestellte Frage.

In Frau Nöttles Innern gärte es, sie raffte sich endlich auf und sagte mit bebender Stimme: »Dahin ist es also mit Dir gekommen, zu solchen Anschauungen! Ich muß Dir sagen, daß unter solchen Umständen unsere Freundschaft –«

Karoline zuckte zusammen, fiel aber der Sprechenden rasch genug ins Wort, um sie nicht vollenden zu lassen.

»Du kündest mir die Freundschaft auf!« sagte sie mit herbem Lächeln. »Ich habe allerdings nicht Deine Zustimmung, aber doch mehr schwesterliches Wohlwollen bei Dir vorausgesetzt – – –«

Frau Nöttle unterbrach sie: »Ich habe Dir bei meinem Manne das Wort geredet, als wir davon sprachen. Da dachte ich mir die Sache anders. Jetzt aber würde ich auf Deine Freundschaft selber verzichten, wenn auch mein Mann mir nicht geboten hätte, den Umgang mit Dir abzubrechen!«

»Ah!« fuhr Karoline, Zornesröte im Gesicht, auf; »Dein Mann hat Dir den Umgang mit mir verboten, und Du, Du lockst mir doch noch mein Geheimnis heraus, knüpfest noch tadelnde Bemerkungen daran! Er hat ihn Dir verboten, ehe ich mich rechtfertigen konnte, auf das Gerede der Leute hin? Das ist abscheulich, das ist – – – Doch was rege ich mich auf! Warum solltet Ihr anders sein als andere!« Sie hielt inne. Ehe die erschrockene und über ihr Verhalten ratlose Frau Nöttle das Wort nehmen konnte, fuhr sie fort: »Ich zwinge Dir meine Freundschaft gewiß nicht auf, ich habe auch keinen Grund mehr, mein Verhalten zu rechtfertigen. Eines aber will ich Dir doch noch sagen. Wäre ich eine schlechte Dirne, die sich heute dem, morgen dem in die Arme wirft, ich müßte mir Deine Abweisung wehrlos gefallen lassen. So aber, sage ich Dir, hast Du kein Recht, Dich über mich so erhaben zu dünken, weil Dein Schicksal Dir günstig war, und Deiner Liebe gleich der Priester und der Standesbeamte zu Hülfe kamen. Ich liebe meinen Geliebten so treu, so hingebend, so innig, wie Du Deinen Gatten, und Du genießest die Wonnen der Liebe so entzückt, so begehrend, wie ich. Eine Form unterscheidet uns, der ich mich gern unterwürfe. Oder wagst Du es mir zu sagen, daß Deine eheliche Liebe so erhaben, so rein ist, daß Du da nur Pflichten siehst, wo ich, die Sünderin, die Du von Dir weist, Wonnen sehe, hast Du den Mut zu behaupten, Dein Glück sei nur in einem zärtlichen Herzenszuge gelegen und nicht auch in der Sättigung anderer Triebe? Ich kenne Euch, Ihr Frauen, und Eure Ehe, mit der Ihr in erhabener Würde auf eine »Gefallene«, wie mich, niederblickt. Der Priester hat Euch den Freipaß gegeben, so rechnet Ihr, für alle Lüsternheit, alle Wollust, die Ihr öffentlich mit sanftem Augenniederschlagen entrüstet von Euch weist, und der Ihr im geheimen mit wildem Behagen huldigt. Vor der Frau muß ich mich als Sünderin beugen, die mir sagen kann, daß in ihrer Brust nie, zu keiner Stunde das Feuer der Begierde lodert, daß sie nie etwas anderes ist, als die reine, gehorsame, pflichtbereite Gattin. Ihr alle, alle aber, die Ihr die Trauung nur als die Erlaubnis anseht, fessellos Euren Trieben Freiheit zu gewähren, Ihr habt kein Recht, Euch so erhaben über ein Mädchen zu stellen, das ohne verbriefte Erlaubnis Liebesglück genießt. Ist's Sünde, überhaupt sich dessen zu freuen, was die Natur in uns gelegt hat, dann kann solche Sünde auch nicht vom Priester erlaubt werden; ist's aber keine Sünde, ist es das Recht der Natur, das nur durch die Ehe geregelt, geordnet werden soll, dann habe ich einen Ordnungsfehler, einen Verstoß begangen, nicht aber ein verabscheuungswürdiges, der Freundschaft unwertes Verbrechen, wenn anders ich sonst auch meiner Liebe einen besseren Inhalt, wenn ich ihr vor allem Treue beizugeben weiß. So meine ich's, und jetzt prüfe Du Dich selbst, wie es mit Deiner Frauenkeuschheit steht, ob sie so hoch erhaben über meine Sündhaftigkeit ist.«

Mit diesen Worten verließ sie die ehemalige Freundin, die entsetzt, betäubt, verwirrt, keine Waffen gegen sie hatte. Als sie allein war, fühlte Frau Nöttle erst nachwirkend eine tiefe Erregung. Sie bebte, Fieberhitze lag auf ihren Wangen, und fast hätte sie geweint. Ein Schimpf war ihr angethan worden im eigenen Hause, das Geheimnis ihres Glückes, das sie sich selbst nur in stillster Einsamkeit, träumerisch sinnend, gestand, war schnöde enthüllt und von dem Schmutze häßlicher Deutung befleckt, in ihre Wohnung, das traulich schlichte Nestchen junger Gattenliebe, war ein verpestender Lufthauch gedrungen. Zu ihrem Schrecken wurde sie gewahr, daß der ehrliche Zorn über solchen Angriff sich nicht frei aus der Brust entfalten konnte, daß Karolinens lästerliche Worte beunruhigend, Zweifel erzeugend auf sie wirkten. Vor ihrem Geiste stieg das Bild solcher traulich weltvergessener Stunden auf, die ihr bisher im verklärten Lichte als des Menschenglückes Inbegriff erschienen waren. Und eben diese Stunden holdesten Zaubers, sie sollten nichts anderes bedeuten als, was Karoline gesagt hatte, und all das beseligende Gefühl sollte Unrecht sein, einer ehrbaren Frau nicht Geziemendes? Ehrbar wäre nur die Liebe als kalte Pflicht? Sie konnte das nicht, konnte nicht so lieben, als wäre Liebe so öde, so freudelos, und würde es nie können, und wollte doch eine ehrbare Frau heißen. Und doch war, was Karoline sagte, so sinnlos nicht; es war eine kühne Rede, aber sie hätte sie nicht widerlegen können. Die junge Frau war aufgeschreckt aus ihrem heiteren Liebestraum, und ihr bangte vor ihrer Weiblichkeit. Arglos hatte sie in dem Paradiese ihrer jungen Ehe dahingelebt und sich nie Rechenschaft darüber gegeben, was sie empfand, was sie beseligte, der Stimme der Natur war sie in heiterer Sorglosigkeit gefolgt, dem braven Gatten vertrauend und sich freuend. Ihre Mutter und ihre Schwiegermutter lebten auswärts, der Gatte aber war ein Mann und konnte über solche weibliche Empfindung nicht entscheiden. Wen sollte sie fragen? Fragwürdig aber dünkte ihr der Fall.

Da regte sich's unter dem Herzen, ein leiser, kurzer Schmerzenshauch glitt über ihr Gesicht, um rasch einem befriedigten Lächeln Platz zu machen, das ein dankbarer Blick nach oben begleitete. Eine Offenbarung war über sie gekommen, die mit einem leuchtenden Strahle ihr das Geheimnis des Lebens beleuchtete und tröstende Gewißheit gab. Als ihr Gatte nach Hause kehrte, sagte sie ihm:

»Karoline war bei mir. Sie ist wahrhaftig schlecht geworden und hat mir häßliche Dinge gesagt!« Trotz wiederholten Fragens erfuhr aber Herr Nöttle nicht, worin die häßlichen Dinge bestanden.

Karoline hatte in wilder Aufregung das Haus der Freundin verlassen. Als sich aber ihr erhitztes Gemüt allmählich beruhigte, kam ihr auch die Erkenntnis einer schweren Verschuldung. Sie war jetzt selbst erstaunt, wie sie zu solcher Rede gekommen war. Sie hatte ohne klare Überlegung so gesprochen, wie es ihr, von der Strömung ihres Innern getragen, auf die Lippen kam. Gereizt von der kalten Strenge der Freundin, hatte sie sich rechtfertigen wollen, sich wehren gegen eine allzu erniedrigende Beurteilung; in unklarer Empfindung schwebte ihr der Vergleich zwischen ihren Gefühlen und denen der selbstzufriedenen Frau vor, und ein Gedanke kam zum Ausdruck, dessen sie sich jetzt schämte. Sie hatte nicht nur sich selbst in schamloser Weise entblößt, sondern auch eben das geschmäht und herabgewürdigt, was sie beneidete, was ihr Sehnen war. Statt das Mitgefühl, das sie bei der Freundin vermißte, zu wecken, hatte sie sich in ein Licht gestellt, das sie verworfener erscheinen ließ, als sie war. Sie kannte nur zu gut den Unterschied der ehelichen Liebe von ihrem Verkehr mit Bertram und gerade jetzt in der Reue über ihren Verstoß ward er besonders klar vor ihren Augen, so klar, daß sie, zu Bertram kommend, diesem sofort sagte:

»Otto, ich muß endlich mit Dir reden! Ich dränge Dich nicht, ich frage nicht, in wieviel Wochen, wieviel Monaten, ich frage nur: wirst Du mich jetzt, nach meiner Mutter Tod, heiraten, wie Du es mir damals versprochen hast?«

Bertram war sehr verblüfft über die in lebhafter Erregung gestellte Frage.

»Was ist Dir mit einem Male, mein Kind?« fragte er. »Wie kommst Du zu diesem Mißtrauen?«

»Nicht Mißtrauen«, antwortete Karoline, »ist es. Ich will nur Klarheit haben. Meine Freundin hat mich schimpflich von sich gewiesen, als wäre ich eine Dirne. Nie wäre ich Deine Geliebte geworden ohne Dein Versprechen, dem Verhältnisse eine ehrliche Form zu geben. Ich habe schon manches ertragen müssen, aber ich will ein Ende sehen, ich kann mich nicht mehr demütigen.«

»Liebes Kind! Das häßliche Benehmen einer sogenannten Freundin regt Dich also auf? Was kümmern Dich die Leute, die Dich nicht glücklich machen, sondern nur Dich schmähen können? Wer wird sich das so zu Herzen nehmen!«

»Wohl können diese Leute mich unglücklich machen, wenn sie mich verachten, mich wie eine Verworfene behandeln. Das ertrage ich nicht und darum wiederhole ich die Frage.«

»Bin ich Dir nicht jetzt seit dem Tode Deiner Mutter in allen Dingen ein treuer Freund und Berater gewesen? Habe ich Dir nicht versprochen, Dir eine Stütze zu sein? Nun also! Laß erst die Dinge ausreifen. Ehe wir an die Heiratsfrage gehen können, ist noch mancherlei zu beraten, zu bedenken, zu ordnen. Was nützt es, jetzt einen Zeitpunkt zu bestimmen, der nicht festgehalten werden kann? Ehe ich darüber bestimmend mit Dir rede, möchte ich erst in unser beider Interesse Deine und meine Verhältnisse geordnet wissen. Einstweilen vertraue mir wie bisher und gebe Dich nicht solchen Bedenklichkeiten hin, die Dir Deine Lebensfreude zwecklos trüben. Ich will schon dafür sorgen, daß Du jetzt in Verhältnisse kommst, in denen Dich kein böses Gerede belästigt. Im übrigen bist Du ja selbständig, daß Du wirklich nicht nach anderen Leuten zu fragen hast, und in der gleichen Lage mit Dir sind Hunderte, nach denen niemand weiter fragt. Was Dir Deine Freundin da gesagt hat, ist dummes Zeug, und Du thust Dir selber unrecht, wenn Du Dein Verhältnis zu mir mit solchen Augen ansiehst. Es giebt genug Menschen, die vernünftiger über derlei Dinge denken und denen es nicht beifällt, Dich mit scheelen Augen anzusehen um einer Sache willen, die zu den gewöhnlichsten Dingen von der Welt gehört. Laß Deine Freundin fahren und sehe heiter in die Zukunft. Du, armes Ding, hast vom Leben noch herzlich wenig gehabt, und ich will dafür sorgen, daß Du jetzt Deine Freiheit genießen kannst!«

Damit beruhigte sie Bertram wiederum. Er hatte eine so vertrauenerweckend ruhige, gemütliche Art zu reden, die jeden weiteren Zweifel um so mehr erstickte, als er den Heiratsgedanken weder ablehnte noch umging, sondern ganz offenherzig und deutlich als nur der Zeit nach unbestimmtes Ziel bezeichnete, und was noch an Fragenswertem übrig blieb, das drängte sein scherzendes Kosen zurück. Sie sah sich wieder geliebt und vergaß darüber alle Sorgen.

Bertram aber vergaß ihre Worte nicht. Ihre seit dem Tode der Mutter sich wiederholenden Anspielungen, deren Deutlichkeit jetzt schon an die Grenze der Forderung gekommen war, konnten, das sah er ein, auf die Dauer doch nicht immer mit oberflächlichen Redensarten abgethan werden. Er hatte Karoline in seiner Art sehr lieb, und eine Trennung von ihr, das fühlte er, wäre ihm außerordentlich schwer gefallen. Die Vorstellung einer solchen Möglichkeit war ihm schon peinlich. Er konnte sie nicht mehr entbehren. Aber diese »dummen Heiratsgedanken«, wie er es bezeichnete, waren auch ganz furchtbar unangenehm. Er hatte damals, im ersten Anprall der Liebe, sich ganz gut mit diesen Heiratsgedanken ausgesöhnt gehabt. Jetzt aber fand er sich in eine solche Stimmung nicht mehr zurück.

In dem freien Verhältnisse hatte sich ihm ein Mittelweg zwischen seinem Junggesellentum und der Ehe geboten, der ihm sehr wohl behagte. Er hatte zwar schon dafür manche alte Gewohnheit geopfert, seine Lebensführung vielfach geändert. Das war aber geschehen aus freiem Entschlüsse, nicht aus Zwang; er hatte das Bewußtsein, daß er jederzeit eine Änderung eintreten lassen könne. Die in der Ehe liegende Notwendigkeit, die Unmöglichkeit einer Veränderung, war dem altgewohnten Hagestolz aber höchst unbehaglich. Er stand der Ehe gegenüber, wie jemand, der nie seinen Aufenthalt verläßt, weil er nicht das Bedürfnis hat, der sich aber schon bei dem Gedanken beengt fühlt, es werde ihm als Gebot auferlegt, den Ort nicht zu verlassen. Er ärgerte sich darüber, daß Karoline nicht seine Empfindungen in diesem Punkte teilte und sich nicht ebenfalls mit dem zufriedenstellte, was ihr die freie Liebe bot, obwohl nach seiner Meinung auch für sie gar kein Grund vorhanden war, die Ehe so dringlich zu begehren. Als er des andern Tages zum Frühschoppen nach der Neunerschen Weinwirtschaft in der Herzogspitalgasse kam, war er schweigsam und mürrisch. Seine beiden Freunde, der Bauunternehmer Riedauer und der Wechselstubenbesitzer Lilienfelder, brachten ihn allmählich zum Sprechen über die Ursache seiner deutlichen Verstimmung.

»Ei, ei, lieber Freund!« sagte der feiste, rotwangige Lilienfelder, sein starkes Gebiß in einem breiten Lächeln der dicken Lippen zeigend, »da sind Sie in eine böse Falle geraten?«

»Solche Geschichten können freilich verstimmen!« meinte der Bauunternehmer, mit den feisten Fingern seiner roten Hand an der mächtigen Uhrkette spielend. »Sie waren aber auch höllisch verliebt in das Mädel, als Sie uns seiner Zeit die Eroberung erzählten.

»Wenn man es den Weibern allzusehr merken läßt, dann haben sie einen gar fest in den Fingern«, sagte Lilienfelder.

»Zum Teufel auch«, versetzte Bertram, es ist ein Weib, wie es nicht immer über die Straße läuft, und ich denke nicht daran, von ihr zu lassen. Aber die Heiraterei ist's, die mir gegen die Haare geht. Sie setzt sich da Dinge in den Kopf – ein anständiges Kind ist sie ja – und kommt nicht auf den vernünftigen Standpunkt.«

Der Bauunternehmer antwortete auf die Worte Bertrams: »Vernünftiger Standpunkt! Das ist's! Von seinem Standpunkte aus ist das Fräulein recht vernünftig, will was Sicheres haben und sein Haus unter Dach bringen, daß es Unwetter nicht mehr zu fürchten hat. Aber wenn Sie so sehr an der Dame hängen, warum sträuben Sie sich gegen die Heirat? Sie hat ja, wie Sie mir mal gelegentlich sagten, einige Tausende und ist aus ordentlicher Familie.«

»Sie reden, wie Sie es als Ehemann verstehen!« warf Lilienfelder dazwischen. »Sie wissen nicht, was es einem alten Junggesellen, der, wie unser Freund, zu leben weiß, kostet, ins Joch zu kriechen. Nein, nein, Freund Bertram, thun Sie's nicht! Hat Sie das Mädel lieb, so wird es, wie Sie zusammen stehen, sich hüten, mit Ihnen zu brechen. Lassen Sie sich nur nicht ins Bockshorn jagen! Sie verheiratet? Paßt nicht einmal zu Ihrem Geschäfte! Entweder ist die Frau unzufrieden, wenn der Mann immer auf dem Trabe ist, oder, während Sie Schäferstündchen halten, gehen die Provisionen zum Teufel, und Sie spüren es dann erst recht in Ihren Verhältnissen.«

»Ich könnte ja auch etwas anderes anfangen. Ein kleines Kapital hat sie ja!« meinte Bertram nachdenklich.

»Ein anderes Geschäft, Sie, Bertram, und heutzutage? Daß Sie sich die Finger gründlich verbrennen, und wenn auch nicht, so glaube ich doch nicht, daß es Ihnen, der Sie jahrelang Ihre Art gewöhnt sind, gefallen wird, hinter dem Pult oder dem Ladentisch zu stehen und jeder Pfennigskundschaft ein freundliches Gesicht zu machen. Wenn aber kein Ladengeschäft, keine Agentur, was wollen Sie dann? En gros arbeiten? Dazu wird es doch kaum reichen. Bliebe noch eine Weinwirtschaft oder eine Kaffeehauspacht. Nein, Freundchen, Sie sind in Ihre Branche und Ihre Betriebsweise eingelebt mit Haut und Haar, der Mann, der unter die Leute muß. Sie sind zu alt, solche Gewohnheiten, wie Ihr Geschäft sie mit sich bringt, abzuschütteln.«

»Ich kann Herrn Lilienfelder nicht Unrecht geben« sagte der Bauunternehmer. »Aber ich weiß nicht, ob ein solches Verhältnis auf die Dauer besser ist, als eine Ehe. Was ich so im Leben erfahren habe von ähnlichen Fällen, ist nicht gerade sehr ermunternd. Je länger ein solches Verhältnis dauert, desto schlimmer macht sich die Halbheit, die darin liegt, geltend. Man kann nicht los, wenn man auch will, man muß sich von der Geliebten noch mehr tyrannisieren lassen als von der Frau und gerät in ein Joch, das schon manchen tüchtigen Kerl förmlich entmannt hat.«

»Gewiß, bin ganz Ihrer Meinung!« sagte Lilienfelder. »Darum ist unserem Freunde aber nur das Eine zu raten, zuzusehen, daß er die Sache bald zu einem glimpflichen Ende bringt. Jetzt können Sie noch los, Bertram, je länger Sie warten, desto schwerer wird es.«

Bertram betrachtete eine Weile sein Weinglas, dann sagte er, dasselbe hastig wegschiebend: »Sie geben der Sache eine viel zu weitgehende Wendung! Es wird schon zum Rechten kommen. Darum ist mir nicht bange. Aber es geht einem natürlich im Kopfe herum!«

»Sie wollen diese Wendung nicht, sie ist Ihnen unbequem«, sagte Lilienfelder. Aber weil wir Ihre guten Freunde sind, weil wir es aufrichtig mit Ihnen meinen, haben wir den Wunsch, Ihnen eine Last, die Sie jetzt schon drückt und die künftig noch drückender werden wird, abzunehmen, d. h. wenigstens Ihnen zu zeigen, wie Sie sie abstreifen können.«

»Mit dem Hinhalten und Aufschieben kommen Sie doch über eine endliche Entscheidung nicht weg!« sekundierte der Bauunternehmer.

»Sie haben sich da eklig verplempert«, fuhr Lilienfelder fort. »Aber was ein junger Mensch können muß, dazu müssen Sie sich auch aufschwingen. Wäre jammerschade, wenn ein Mann wie Sie in einem solchen Verhältnisse verkümmern würde.«

»Das Fräulein ist ja nicht abhängig von Ihnen«, meinte der Bauunternehmer. »Das erleichtert Ihnen die Sache wesentlich!«

»Ich möchte nur wissen, was die Herren denn ein so großes Interesse daran haben, daß ich das Verhältnis aufgebe!« sagte jetzt Bertram mürrisch.

»Sie haben uns ja geklagt, daß die Dame zur Heirat drängt, und wir haben nur unsere Meinung ausgesprochen!« entgegnete der Bauunternehmer.

»Meinung!« rief Bertram in demselben gereizten Ton. »Sie strengen ja alle Überredungskünste an, mich von meiner Geliebten zu trennen.«

»Das hat man davon!« sagte Lilienfelder. »Er macht uns Vorwürfe, daß wir mit offenem Auge und nicht durch die Brille der Verliebtheit sehen.«

»Sie freilich thun sich leicht!« versetzte Bertram. »Mit den Frauenzimmern, mit denen Sie Umgang pflegen, braucht man allerdings nicht viel Federlesen zu machen.«

»Jetzt werden Sie unangenehm, Bertram!« antwortete der Angegriffene. »Was haben hier meine Angelegenheiten zu schaffen? Wenn Sie mit Ihrer Donna so renommieren, nun gut, dann heiraten Sie sie, und die Sache ist fertig.«

»Ich verbitte mir eine solche Redeweise über die Dame!« fuhr Bertram auf.

»Na, na, was soll das heißen!« beschwichtigte der Bauunternehmer. »Sie werden ohne Grund heftig, Herr Bertram, und lassen Ihr Unbehagen an Freund Lilienfelder aus. Das ist nicht hübsch von Ihnen. Und was die »Frauenzimmer« angeht, offen gesagt, wäre es auch für Sie besser gewesen, Sie hätten dort angeklopft, wo nichts zu verlieren ist, als mit einem anständigen Mädel anzufangen und dann nicht »Ja!« und nicht »Nein!« zu wollen.«

»Spielen Sie jetzt gar noch den Sittenprediger!« sagte Bertram.

»Fällt mir nicht ein!« lautete die Antwort. »Wollte ich das, so könnte ich ja sagen, es ist nicht jedermanns Sache, ein ehrliches Mädel herumzukriegen und dann zu sagen: mir schmeckt wohl ein guter Tropfen, aber kosten darf er mir nichts. Doch das hat jeder mit sich abzumachen, und als Ihr Freund, nicht als der des Mädchens, sage ich: entweder heiraten oder ein Ende machen.«

Bertram nahm die scharfen Worte des Bauunternehmers sehr geduldig hin. Er sagte nur mit saurem Spotte: »Und wenn Sie des Mädchens Freund wären, was dann?«

»Dann wäre die Sache höllisch einfach. Ich würde sagen: »Mein liebes Fräulein, verlangen Sie von Ihrem Liebhaber, daß er sofort die einleitenden Schritte zur Heirat thut. Zögert er über acht Tage, dann geben Sie ihm mit deutlichen Worten den Abschied. Weitere acht Tage höchstens wird er sich besinnen und dann demütig zu Kreuze kriechen. Es ist der Fehler solcher Mädchen, wie Sie, daß sie viel zu viel Angst vor dem wirklichen Bruche haben und darum den Mut nicht finden, ehe es zu spät ist, selber einen scheinbaren herbeizuführen.«

Das Hinzutreten eines neuen Gastes, mit dem man weniger vertraulich stand, endete das Gespräch. Bertram blieb noch eine Weile schweigsam sitzen und entfernte sich dann vor der gewohnten Zeit.


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