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X.
Die Qual: nicht geliebt werden

– Wie lange werden wir die hundert Schritte auf diesem Bürgersteig machen, Nebo? fragte Paula, die als Mann verkleidet war, ihren Begleiter, mit ihm die Friedland-Allee auf und ab gehend, vom runden Sternplatz bis zur spanischen Kapelle.

– Bis das erste Objekt unserer Klinik erscheint!

Plötzlich fragte Nebo:

– Wie bitter möchten Sie einen verabscheuten Menschen verhöhnen?

Die Prinzessin sagte her:

Du, blasse Sorge der verschmähten Liebe,
Verzweiflung, die im dunkeln Elend stirbt,
ja, du bist die mit Gift getränkte Klinge,
die ich ins Herz, in das verhasste, stosse.

– Ich habe diese Mussetsche Antwort erwartet; es ist das Motto für unsere Aufgabe! Sehen Sie, da kommt ein schüchterner Liebhaber, der seit langem den blassen Gram einer verschmähten Liebe pflegt.

Ein elegant gekleideter Mann, der seine Schritte ärgerlich überstürzte, als komme er zu spät, ging, ganz mit sich beschäftigt, an den jungen Leuten vorbei. Plötzlich halt machend, warf er einen fragenden Blick nach den Fenstern eines Hauses.

Als sein Schildwachestehen den Vorbeigehenden auffallen musste, wagte er einige Schritte zu tun, kam dann an denselben Platz zurück, um eine Zigarre anzuzünden, die er bald wieder wegwarf.

Nachdem er es eine Viertelstunde so getrieben hatte, warf er sich niedergeschlagen auf eine Bank der Allee.

– Dieser Mann ist verrückt, sagte Paula. Was nützt es ihm, mit zärtlichen Blicken den Himmel zu durchlöchern und Seufzer an die Mauern der Geliebten zu werfen?

– Es nützt ihm, um seinen Schmerz zu betrügen; er fühlt sich weniger von ihr entfernt, wenn er vor ihrer Tür steht oder geht, als wenn er bei sich zu Hause ist. Er nennt sich Georges d'Epanvilliers, und die Schöne heisst Comtessina Maléotti, eine sehr junge Witwe, sehr hübsch, aber sehr verliebt in irgendeinen Rittmeister der Husaren.

– Was erhofft denn d'Epanvilliers von diesem schmerzlichen Postenstehen?

– Er hofft vergeblich auf seine Liebe, er setzt sie sich in den Kopf, er stürzt sich in sie, statt in einen Zug zu springen und auszuwandern, um die Liebe einer Manola Manola, spanische Grisette in Madrid. oder einer Schweizerin zu gewinnen.

– Sie glauben, eine Reise und die erste beste Ausländerin? …

– Ich glaube! Wenn die Heiden einen Verzweifelten sahen, machten sie um ihn herum einen höllischen Lärm, schlugen Gongs, bliesen Hörner, stiessen Zimbeln und barsten Trommeln; dann setzten sie den Besessenen, den Behexten auf ein Pferd und liessen ihn unter guter Bedeckung bis zu einem für ihn ganz neuen Ort tänzeln, wo ihn ein Schmaus und eine neue Versuchung erwarteten.

– Man heilt die Liebe durch Lärm und Reitkunst?

Paula fing an zu lachen. Nebo blieb ernst.

– Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass es zwischen dem Körper, dem Gebiet des Triebes, und dem Geist, dem Erzeuger des Gedankens, einen gestaltenden Vermittler gibt, der feiner ist als eine Form, den Uebergeist, zugleich der Brennpunkt wie der Sammelplatz der Leidenschaften, ihr wirklicher Platz im Bau des Menschen. Nun, als Georges d'Epanvilliers die Comtessina Maléotti sah, ist er vom Norden abgewichen, um der magnetischen Frau zu folgen. Dem Verlangen des Triebes hat die Phantasie ihre Arabesken gesellt, und der Uebergeist, dem doppelten Drucke des Körpers und des Verstandes gehorchend, hat fluidisch die Gestalt der Comtessina angenommen; von diesem Tage an hat der Uebergeist, seinerseits auf Seele und Körper wirkend, dieses Gespenst vergrössert; es folgt dem jungen Manne überall, kann ihn zu allem führen, ihn sogar töten wie ein Vampir der Sage; jede dieser Tränen, jeder dieser Liebesgedanken, das ganze Verlangen, das auf die Maléotti ausstrahlt, all das kommt zurück, um das siderische Gespenst zu beleben. Wenn man deshalb d'Epanvilliers mit Schallwellen, mit starken Schwingungen umgibt, würde man das Gespenst von ihm trennen; und würde er in eine ganz verschiedene Umgebung reiten, könnten die fluidischen Nachtgespenster sich nicht vereinigen. Fröhliche Gefährten wirken auf seine Phantasie, er vergisst eine Stunde, er lacht, und das fluidische Gespenst ist zerstreut und der Liebhaber geheilt.

– Was Sie sagen, ist eine Teufelsbeschwörung, und wenn Sie die Leidenschaften für Besessenheiten halten, betrügen Sie den Teufel um eine Spezialität!

– Was könnte denn der Teufel der Leidenschaft des Harpagon, dieses vom Golde Besessenen, hinzufügen? Was der Leidenschaft des Bonaparte, dieses vom Morde Besessenen? Von der Stunde an, in der er seinen Willen in den Kampf gegen die Hydra der Leidenschaft wirft, liefert sich der Mensch den blinden Strömungen, den Inkonsequenzen des Uebergeistes aus: Narrheit und Verbrechen werden seine dauernden Begleiter.

– Ich sehe nicht klar, was Sie aus dem Teufel machen.

– Nichts, das ist die Benennung des Hässlichen und des Schlechten, das ist der Name des Verbrecherischen und des Verrückten! Was ist der Schatten? Nichts als das Fehlen des Lichtes! Was ist der Teufel? Nichts als das Fehlen Gottes! Jeder Mensch, der des Göttlichen bar ist, ist voll des Teuflischen; jedes Wort, das sich gegen das Wort Jesu erhebt, ist ein Wort der Hölle, und jede Handlung der Barmherzigkeit eine himmlische Eingebung.

Ein Schluchzen, das von der Bank kam, unterbrach Nebo, und der Ausbruch dieses Schmerzes, welcher die weltliche Maske bei einem Manne zerbrach, der nach den starrsten Gesetzen des gesellschaftlichen Anstandes erzogen war, erregte das Mitleid der Prinzessin.

– Armer Junge! sagte sie.

Nebo nahm ihren Arm und sie gingen die Allee hinunter.

– Dieses Mitleid würden Sie nicht empfinden, wenn Sie die Comtessina des armen Jungen wären; von seinem Eigensinn verletzt, würden Sie ihn mit diesem trockenen Auge der Frau ansehen, die nicht liebt! Man muss die naive Grausamkeit der gleichgültigen Frau und die selbstsüchtige Heiterkeit der wiedergeheilten Frau kennengelernt haben, um zu begreifen, wie völlig sich ein Herz von der Liebe säubert, um eine neue aufnehmen zu können! Man muss die Geliebte von dem gestrigen Liebhaber, ohne dass sie log, sagen gehört haben: »Habe ich diesen Menschen wirklich gekannt?« In der ersten Minute des Bruches ist sie so entschlossen über die Grenze gegangen, dass sie zwei Jahre später, wenn der Liebhaber vorbeigeht, fragen wird: »Was für ein Herr ist das?« Nergal trocknete neulich seine Feder an einem Briefe ab: ich hebe ihn auf. »Sie können ihn nicht entziffern; meine Tränen haben ihn fast ausgewischt, als ich ihn erhielt.« Er hatte ihn vor einem Monat erhalten! D'Epanvilliers wird genesen und wird sich seiner Liebe nur unter dem Bilde einer schrecklichen Krankheit erinnern; und die Comtessina wird, wenn sie in dreissig Jahren alt geworden ist, sich schmücken vor dem Andenken an diese Leidenschaft; das wird eine Schmeichelei für ihre alten Tage sein, die Eitelkeit einer Koketten, die sich an etwas erinnert. Die Liebe, wenn sie nicht tötet, schliesst mit dem Shakespeareschen Titel: »Viel Lärm um nichts«.

– Ihre Feststellungen sind abscheulich! rief Paula. Die ganze Menschheit nimmt also das Abendmahl unter eitlen und leeren Gestalten, denn selbst in der grössten Glut und in der freiesten Wahl erscheint dieselbe Nichtigkeit der Liebe.

– Die Glut selbst und die Wahl, die nur Gefühl ist, die veranlassen den Einsturz: ohne es zu wissen, führen sie einen tiefen Laufgraben unter das Gebäude, das auf die Beschwörung ihrer Lenden gebaut ist. Um zu dauern, muss das Gefühl vernünftig werden, und die Leidenschaft besteht nur in der Ehe. Die vollkommene Gemeinschaft nicht nur der Gefühle, sondern auch der Interessen und der Zukunft, beruhigt die Flamme, verewigt sie, indem sie sie mässigt. Immerhin ist die weise Hand, die aus dem Eheleben einen anmutigen und immer angenehmen spanischen Tanz machen kann, nicht die, welche gewöhnlich den Ring an den Finger der Bräute steckt. Das Leben zu zweien ist eine Kunst, und die Kunst lehrt sich nicht; man wird als Künstler der Ehe ebenso geboren wie als wirklicher Künstler: jene, viel seltener, bleiben unbekannt; wenn sie ihre Geheimnisse sagten, würde man sie in den Bann tun. Es gibt eine Küche des Glücks, eine geschlechtliche Technik; glücklich, wer sie errät; verraten wird er sie nicht. Sie werden die Qual einer Frau studieren können, die ihren Mann anbetet und von ihm verlassen ist. Diese Ehe gehört in die abscheuliche Art der Streiche der Begierde: ein Mann vernarrt sich in ein junges Mädchen, aus dem er nicht seine Geliebte machen kann; er heiratet sie, weil es kein anderes Mittel gibt, in ihren Besitz zu gelangen. Ein Monat des Besitzes ermüdet ihn, und er sieht nur noch den Fehler, den er begangen; während das hübsche Gänschen infolge einer Verwandlung, die bei jungen Mädchen häufig eintritt, wenn sie plötzlich an einen verliebten Mann verheiratet werden, so einsichtig wird, dass sie leidet. Die Frau, deren Moral sich darauf beschränkt, sich nicht zu verkaufen, für die Eros ein Standesbeamter, Heiratsstifter und Ehescheider ist, kann, wird sie verlassen, sich ein Leben mit andern Lieben aufbauen, wie sie es vorher getan hat. Aber die ehrbare Frau, von Religion und Erziehung behütet, auch durch ein Temperament behütet, das nicht heftig ist, mit zwanzig Jahren an einen Mann gebunden, der sie nie mehr lieben wird, befindet sich in der schlimmsten Lage: heraustreten heisst sich deklassieren, darin bleiben bedeutet, von Schmerz zerrissen werden wie Frau von Porquerolles.

Indem er das sagte, hatte Nebo geläutet, und sie hatten sich in den Fahrstuhl gesetzt. In dem Augenblick, als sie auf den Treppenflur traten, kam der Graf Porquerolles aus seiner Tür.

– Herr Nebo, welches Zusammentreffen! Ich werde erwartet! Sie werden mich entschuldigen: ich werde Sie zu meiner Frau führen, die sich langweilt, und Ihr Besuch wird mich sehr verpflichten.

– Meine Liebe, warf der Graf hin, die Tür zum Boudoir öffnend, hier sind Herr Nebo und ein Freund, die dir während meiner kurzen Abwesenheit Gesellschaft leisten werden.

Und er verschwand mit einer Hast, denen unbekannt, welchen das Heim nicht die Qual ist.

– Mein Gatte macht mir nicht die Ehre, eifersüchtig zu sein.

– Ich sehe, sagte Nebo, an Ihrer Traurigkeit, dass Sie an ihn diese Ehre verschwenden.

Und der von Mitleid bewegte Ton des Platonikers brachte sie dazu, die schlecht befestigte Maske abzuwerfen, und auf dem Gesicht der Gattin tauchte der Schmerz auf, der einen Augenblick zurückgedrängt war. Klein, aber äusserst gut gebaut, trug die Gräfin eine Toilette, auf der zu lesen war die dauernde Anstrengung einer schmerzlichen Koketterie, die sich vergebens bemühte, den Gatten zurückzuhalten. Aus einem Spitzentuch erhoben sich Schultern von einem entzückenden Tone – und der Arm, der schön war, entblösste sich, wenn sich der weite und bis zur Aderlassstelle gespaltene Aermel bewegte. Ihre geröteten Augen, deren Bedeutung eine vorzeitige Falte an den Lippen hervorhob, verrieten sichtlich ihre Verlassenheit.

Damit sie rückhaltlos sprach, erklärte Nebo ihr, Paula sei ein vornehmer junger Russe, dem er das Leben zeige.

– Herr Noroski, sagte sie, machen Sie eine Frau nicht unglücklich, indem Sie das Mädchen heiraten, das Sie zur Geliebten haben möchten. Die Ehe verlangt andere Eigenschaften als die Liebe. Als Geliebte würde ich noch lange unterhalten werden; als Frau bin ich verlassen worden. Herr von Porquerolles, der reich und Graf ist, an seine Ahnen glaubt und in der Welt lebt, die daran glaubt, hat mich geheiratet, obwohl ich kleinbürgerlich bin und kein Vermögen habe. Seine Welt stösst mich so sehr zurück, dass er mich unter Freunden »seine Dummheit« nennt. Im Tausch gegen seinen Namen und sein Vermögen kann ich ihm nur meine Liebe geben; er macht sich nichts daraus, betrachtet sich als bestohlen, und ich sterbe vor Leiden. Wenn seine Augen auf mir ruhen, höre ich, wie er das »Confiteor« hersagt: »Es ist meine Schuld, hier verkörpert, wenn ich nicht mit einer Familie verbunden bin, die mir die höchsten Stellen öffnen würde, sobald die Orleans zurückkehren; es ist meine Schuld, wenn ich an Stelle einer Frau aus meiner Welt, die ohne Liebe, aber auch ohne Langeweile gewesen wäre, dort vor mir und für immer ein weinerliches eifersüchtiges Wesen habe, das mich mit dem Auge eines geschlachteten Schafes anblickt. So bin ich zur Rolle des Liebhabers wider Willen verurteilt, oder vielmehr zu der des Henkers: eine angenehme Wahl!«

– Er ist jung, sagte Paula; glauben Sie nicht, dass er in einigen Jahren gerechter gegen Sie sein, Sie mehr lieben wird?

– Ich werde das, was ich ertrage, einige Jahre nicht mehr aushalten, erwiderte die Gräfin mit dumpfer Stimme. Sie beurteilen Herrn von Porquerolles falsch; die Liebe ist für ihn eine sehr teuere Zigarre, eine Laune, die mehr oder weniger Mühe und Geld kostet; sie aber mit seinem Namen bezahlt zu haben, das ist zu viel; er wird es sein ganzes Leben bereuen. Leute wie er müssen eine gut verschwägerte Frau haben, die im Salon Eindruck macht und unter vier Augen Kameradschaft hält. Die kann ihm sagen: »Mein Lieber, gestern brachtest du dich auf der Rennbahn zu sehr ins Gerede; und die Schöntuer, die mir den Hof machen, verwirren mich, weil ich nicht weiss, ob ich es so aufnehmen darf, wie ich es in Wirklichkeit aufnehme. Entscheide du, ich bin nicht königlicher als der König …« Und er würde ihr antworten, eine Liebeserklärung, die aus dem Taschentuch gefallen ist, aufhebend, ohne sie anzusehen: »Kein Gekritzel, meine Liebe; man müsste es mit einer Degenspitze wieder herausfischen, und du bist mir Freundin genug, um mir diesen Aerger zu ersparen. Man schreibe dir, wenn dich das unterhält; aber antworte nur mündlich.« An Stelle dieses Ideals der Gleichgültigkeit hat er in mir eine Frau, die sich an ihn hängen möchte wie Efeu, für welche das Ehebett der Altar einer Religion ist … Sein Glück ist, mich zu fliehen. Kann er sich ein Vergnügen machen, das mir nicht ein Schmerz ist? Ich war dumm, als er mich heiratete; die Leidenschaft hat mich klüger gemacht. Wenn er sehr spät heimkehrt und auf sein Zimmer geht, schleiche ich mich auf die Gefahr, einem Dienstboten zu begegnen, ans Schlüsselloch, um an einem Nichts zu sehen, ob er mich an diesem Abend betrogen hat. Wenn die Begierde ihn packt und er sich an mich wendet, weil er mich zur Hand hat, wird dieses kurze Glück von einem sonderbaren Eindruck vergiftet. Er bringt eine Bizarrerie in seine Liebkosung, eine mir unbekannte Seltsamkeit, an die sich der männliche Ehebrecher im Ehebett erinnert. Dann muss ich mich zusammennehmen, um ihm nicht zuzurufen: »Welchem Freudenmädchen hast du diese Art der Wollust zu verdanken?« Ach, Herr Nebo, man hat in den Büchern die unglückliche Liebe des Menschen geschildert, den Rang, Kaste, Entfernung, Vermögen von seinem Idol trennt; man hat die Ruy Blas »Ruy Blas«, Drama von Victor Hugo, 1839 aufgeführt., die in eine Königin verliebt sind, beklagt; diese haben Mauern zwischen sich und dem Gegenstand ihres Verlangens. Denken Sie aber an die Frau, die mit dem Manne, den sie liebt, verheiratet ist, jeden Tag ihm gegenüber am Tische sitzt, das ganze Leben lang unter demselben Dache wohnt, die seine Frau ist vor Gott und vor der Welt, die nur die Lippen zu bieten braucht, um seinen Lippen zu begegnen: seine Lippen aber wenden sich ab und weichen aus, als sei es etwas Unangenehmes.

– Es bleibt Ihnen die Mutterschaft.

– Der Graf, ich habe ihn verstanden, will es nicht; er hofft nicht gerade auf meinen Tod, aber er sieht dessen Möglichkeit voraus, und ein Sohn aus erster Ehe würde ihm lästig sein, wenn er sich standesgemäss wiederverheiratet. Ich kann ihm nur eine Probe meiner Liebe geben: indem ich sterbe! Oh, ich bin zu sehr Christin, um an Selbstmord zu denken, aber eine wachsende Krankheit wird die Erlöserin sein, die ihn von mir und mich vom Leben befreien wird.

So stark war der Ton dieser Verzweiflung, dass die beiden jungen Leute nur durch das Mitgefühl, das ihre Haltung ausdrückte, antworteten; und als sie sich erhoben, hielt sie es mit dem Ahnungsvermögen der Frau, die leidet, nicht für nötig, ihre Klagen zu entschuldigen oder um Geheimhaltung zu bitten.

– Danke, meine Herren, sagte sie, für mein armes Herz, das sich etwas erleichtert hat; es gibt so wenig Zuhörer für die Klagen.

Als die beiden auf die Strasse traten, sagte Paula:

– Wie kann sie diesen Mann noch lieben, den sie richtet? Besser wäre es wahrhaftig, sie liebte einen andern, wenn sie auch schuldig würde.

– Das Eigentümliche der Liebe ist der Hypnotismus, der sich auf einen einzigen Menschen richtet: ausser dem besteht nichts. Für Frau von Porquerolles trägt die Erde nur einen einzigen Mann, und es gibt nur eine einzige Frau für d'Epanvilliers. Diese Erscheinung erinnert mich an ein würdiges Wort von Gavarni. Eine Dirne betrachtete im Leichenhaus einen jungen Mann, der sich aus Liebe ertränkt hatte: »Es waren noch zehn Franken in seiner Geldtasche, als er sich ertränkte; für diesen Preis hätte ich ihn sehr geliebt, und er wäre nicht gestorben.«

*

– Biegen wir hier ein, fuhr er fort, die Rue de la Boëtie enthält das Gegenstück zur Gräfin Porquerolles, die sich an meiner Brust am liebsten ausweint.

– Wie kennen Sie das Adressbuch der Leidenschaften von Paris? fragte Paula, während ihr Führer an einer Vorhalle läutete.

– Wie ein Botaniker die Bodenfalte kennt, wo die und die Pflanzenart wächst; Seelenkenner und Sittenlehrer, habe ich Fauna und Flora der Pariserinnen studiert: wie ein Naturforscher Sie an die Stelle führen würde, wo der und der Strauch wächst, weiss ich, wo ich Ihnen die psychologischen Gewächse zeigen kann.

Man führte sie in ein wenig erleuchtetes Rauchzimmer, wo ein Mann auf einem Diwan glatt auf dem Bauche lag und den Kopf in den Händen barg. Als Nebo seinen Namen nannte, sprang er auf.

– Ach, der liebe Gott sendet Sie: nur Sie haben mich begriffen. Der Herr ist Ihr Freund, ich kann vor ihm sprechen, nicht wahr?

Als der Platoniker mit dem Kopfe nickte, kauerte sich der Mann auf einem Rauchstuhle zusammen.

– Sie können sich nicht vorstellen, sagte er, was mir Frau Thruyère angetan hat! Meine Frau wird mich noch wahnsinnig machen, mein armer Freund! Sie wissen, welche Ausflüchte sie fand, um mir nicht anzugehören. Hatte sie Mitleid, hatte sie Gewissensbisse, hatte sie Furcht: ich konnte sie doch einige Male besitzen, diese abscheuliche Angebetete. Wir kehren von einem Ball zurück, von dem ich sie holte, denn ich kann nicht ruhig bleiben, wenn ich sie in den Armen der Tänzer sehe: ich würde ihr eine Szene machen oder noch etwas Schlimmeres! Wir kehren vom Balle zurück, und ich folge ihr auf ihr Zimmer. Sie entkleidet sich plaudernd, ich wage eine Liebkosung: sie droht mir, zum Fenster hinauszuspringen, wenn ich sie anrühre! Ich rühre sie an, ich nehme sie mit Gewalt. Sie erklärt mir, sie werde sich für diese Vergewaltigung rächen: jedesmal, wenn ich sie so besitzen sollte, werde sie sich einem Verehrer hingeben. Sie urteilt so: da ich nicht jungfräulich zu ihr gekommen bin, habe ich kein Recht; der Ehebruch sei das Vergnügen ohne Liebe! Sie ist bereit, als die beste der Schwestern, mir alle Blasenpflaster der Welt aufzulegen, aber sie will sich zurücknehmen, das ist ihr Ausdruck, um niemandem mehr zu gehören, da sie meine Frau ist und mich nicht liebt. Ich verliere den Verstand, und die Heiligen würden rasend werden bei diesem schrecklichen Spiel.

– Mein armer Thruyère, Sie haben es schlecht getroffen, und ein grosser Gelehrter hätte seine ganze Gelehrsamkeit nötig, um diese unvernünftige Verbrecherin zu bändigen; aber bevor man sein ganzes Ansehen verloren hat, muss man zahllose Fehler begangen haben.

– Fehler, Fehler, rief Thruyère aus. Wenn es Fehler sind, sie zu verehren, sie zu vergöttern, sich wie ein Hund vor ihr zu ducken, sie wie ein Inder anzuschwärmen, so habe ich sie begangen.

– Keine Frau erlangt die Macht über einen Mann, ohne sie zu missbrauchen, sobald sie ihrer sicher ist. Uebertreibung ist die Regel bei diesem Geschlechte! Wehe dem, der sich entwaffnet, ohne in dem Gefühl, das er ihr zeigt, eine Ungewissheit zu lassen, die sie ängstigt. Sie haben Ihre Frau aus Scherz gebeten, ihren Fuss auf Ihren Nacken zu setzen; sie lässt ihn aus Perversität darauf stehen. Wenn Sie Ihre Frau schlagen, kommt es zur Scheidung, und das wollen Sie nicht; wenn Sie sie öffentlich betrügen, strafen Sie sich selbst, und nicht sie! Da es nicht in Ihrer Macht liegt, sie zu ändern, ändern Sie sich: gehen Sie nach dem Kaukasus.

– Ich habe meinen Schmerz lieber.

– Was soll ich Ihnen denn raten? Sie leiden und Sie lieben Ihr Leiden: Sie sind behext, mein Lieber. Görres Von Görres, »dem rückwärts gewandten Propheten mit dem Feuerschwert«, wird Peladan die »Christliche Mystik«, die 1836 erschien, gelesen haben. erzählt die Geschichte eines Mannes, der von einer Tarantel gestochen worden war: sein ganzes Leben hatte er mehrere Anfälle jährlich; wenn man ihm während dieser Anfälle einen Spiegel vorhielt, sah er die hässliche Spinne und machte ihr tausend Verbeugungen. Er liebte seine Vergifterin und litt, wenn man ihm den Spiegel entzog und er sie nicht mehr sah. Frau Thruyère ist Ihre Tarantel; statt sich deren Quälen zu entziehen, finden Sie Reize darin: das ist ein Fall geistigen Rausches, der Sie dazu führen kann, sie zu töten, sich zu töten oder ins Irrenhaus zu kommen.

– Wenn das Verhängnis über einem ist …

– Wenn man in den Fluss fällt, wird man nass, aber ertrinkt nicht gleich; man kann versuchen, das Ufer zu gewinnen. Sie dagegen wollen, von einem Strudel erfasst, nicht einmal einen Stoss ausführen, um sich zu retten.

– Man rettet sich aus dem, was einem zuwider ist: Feuer, Wasser, Eisen; aber man rettet sich nicht aus dem, was einen anzieht.

– Ist Ihre liebe Frau in ihren Gemächern?

– Nein, sie tanzt zu dieser Stunde, sie tanzt Walzer, sie lässt vom ersten besten ihre Taille umfassen, ihre Hand ergreifen und lächelt ihm zu. Wenn sie heimkehrt und ich dieselben Gebärden versuche, dieselben, verstehen Sie, bin ich ein Ungeheuer, ein Orang-Utan, der eine Vestalin vergewaltigt. Ach, die romantischen Frauen hole die Pest … und doch würde ich mein Leben geben, um ihr Leben zu verlängern, ihr Leben, das nur die Verabscheuung ihres toten oder lebenden Gatten sein wird.

Die jungen Leute mussten Herrn Thruyère seiner Qual überlassen.

*

– Es bleibt Ihnen noch übrig, die Liebe im Laster zu sehen, sagte Nebo, die Rue de la Pépinière Pépinière, Pflanzschule. einschlagend. Die Comtessina, Frau von Porquerolles und Frau Thruyère sind wirklich ehrbare Frauen; sie treiben keine Prostitution. Dagegen werde ich Ihnen jetzt einen hochstehenden Menschen zeigen, der in der Art von Thruyère und d'Epanvilliers in eine Dirne verliebt ist, die zu dieser Stunde auf den Strich geht.

– Ich glaube fest, muss ich gestehen, dass die erste Bedingung für die Liebe Achtung ist …

– Guten Abend, Herr Nebo, sagte eine Stimme.

Sie erblickten einen kleinen Herrn von guter Haltung.

– Oh, ich habe Sie nicht erkannt, Herr Bastide; ich stelle Ihnen meinen Freund Noroski vor. Wenn Sie mit uns ins Café du Havre eintreten wollen, wir treffen uns dort mit Maulmont, den Sie kennen.

Herr Bastide nahm an.

Als sie sich im Hintergrund niedergelassen hatten, vor sich ein kleines Seidel, wandte sich Nebo zu dem kleinen Manne, dessen kluge Augen man jetzt sah.

– Ich plauderte mit Noroski über Liebeserscheinungen; er sprach (er ist in dem Alter) über den Schmerz der unverstandenen Herzen.

Sogleich wechselte Herrn Bastides Gesichtsausdruck wie der eines Spielers, vor dem man Karten hervorzieht. Paula dachte: »Das ist eine Frage, die ihn mehr interessiert, als man geglaubt hätte.« Nach einem gerührten und überlegenden Schweigen rief er aus:

– Nicht geliebt werden, ist das Unglück, das die Verzweiflung des Orest übertrifft, das Siegel, das einen fürs Leben mit Einsamkeit zeichnet. Nicht geliebt werden, heisst hässlich, dumm sein; und jede Stunde des Daseins unterstreicht es, und jeder Vorfall des Lebens wird zu einem Spiegel, der einen verspottet. Nie auf seinem Wege dem Blick einer Frau begegnet sein, der einem seine Liebeserklärung machte; wenn ein Pensionat von jungen Mädchen vorbeigeht, nie die jungen Augenlider vor Liebe haben senken lassen; im Theater, wenn das leidenschaftliche Duett seine glühenden Töne hinausschmettert oder die Heldin ihre Arme um den Hals des ersten Liebhabers schlingt, sich nicht sagen können: an dem Orte, an dem Tage hat mir eine Frau diese Worte gesagt, hat mich mit solchen Augen angeblickt, hat mich mit dieser Umarmung geliebkost. Wen die Natur verwöhnt hat, indem sie ihn anziehend machte, von dem wird das nicht geschätzt; aber der unglückliche Enterbte kann glauben, dass man auf einer Frau in den Himmel steigt. Oh, ich spreche Ihnen hier nicht von heldenhaften Eigenschaften, die würdig sind, beschrieben zu werden, wo eine Ophelia die weissen Blüten ihrer Jungfräulichkeit und die Blumen ihres Adels zu Füssen des Geliebten entblättert, wie einen Blumenstrauss auf einem Altar! Nein, ich sehe nur die geläufige und alltägliche Liebe, die Ihnen Ihre Waschfrau und sogar die Dirne geben kann, sobald sie Ihnen sagt: »Ich will von deinem Geld nichts haben.« Es gibt solche arme Schüchterne, denen nie eine Frau, sei es auch eine Maritorna Maritorna, schmutzige Magd in Cervantes' »Don Quixote«., von selbst einen Kuss gegeben hat; und die, Herr Nebo, haben eine blutende Wunde in der Gegend des Herzens, und das Leben geht darüber hinweg, ohne Balsam darauf zu legen. Sie, Herr Nebo, müssen verstehen, trotzdem Sie diese Herzensängste nicht empfunden haben, da Sie schön sind; und Ihr Freund, der schöner ist als Sie, kann mich ganz und gar nicht verstehen.

– Ja, wahrhaftig, sagte Nebo, ich spüre schmerzlich die Herzensangst dieser Parias des geschlechtlichen Gastmahls; zumal die Unmöglichkeit, ihre Vorstellungen durch die Wirklichkeit nachzuprüfen, sie in einem Zustande von Gefühlsaufregung hält. Sie sagen sich: wenn ich geliebt würde, wäre ich glücklich. Dieser Ausspruch ist ebenso naiv wie der: ich würde mit Vergnügen essen, welche Speise es auch sei. Die Liebe ist ein Zweigespann, wie die Römer es hatten: wenn man sich sagt, ich würde mein Leben besser schleppen, wenn ein Wesen daran gebunden wäre, muss man genau bestimmen, dass dieses Wesen meinen Schritt aufnimmt und in meiner Richtung zieht; gewöhnlich zieht eines nach links und das andere nach rechts, und die Nichtgeliebten sind nicht so bestohlen, wie sie glauben. Uebrigens das Nicht-geliebt-werden wird nicht vollständig durch die Hässlichkeit erklärt; wenn man eine hysterische Frau beeinflusst, könnte sie sich in den Leiter des Krankenhauses verlieben, der nicht immer ein Antinous Antinous, Liebling des Kaisers Hadrian (117-138)., ein Lucius Verus Lucius Verus, römischer Kaiser, gestorben 169. oder ein Lauzun Lauzun, Günstling Ludwigs XIV., Geliebter der Montpensier, zehn Jahre im Kerker. ist. Es gibt einen Punkt des Abscheus, der an die Anbetung reicht; die Analogie der Gegensätze lässt nicht so viel Raum, als man glaubt, zwischen Abstossung und Anziehung; und wenn man nicht als girrende Turteltaube rühren kann, bleibt einem noch übrig, wie eine Schlange zu fesseln. Furcht einflössen, ist etwas einflössen, und von diesem Etwas zum Schrecken, vom Schrecken zur Bewunderung, von der Bewunderung zur Liebe, gibt es nur Rasten der Geduld und Streiche der Kühnheit: Marat Marat, Revolutionär, 1793 von Charlotte Corday im Bade erstochen. hat es nie an Geliebten gefehlt. Warum klopften alberne und hässliche Könige mit der Sicherheit, erhört zu werden, an die Herzen der Hofdamen? Weil der Zauber der Macht und des Pompes verführte. Die Schmerzen, an denen wir am schwersten tragen, sind die des Stolzes; nun, in dieser Tatsache, nicht geliebt zu werden, steckt nur die Kurzsichtigkeit der Frauen, die sich an die Uniformen und die gekräuselten Schnurrbärte halten: das Bewusstsein eines Mangels an Kühnheit. Man wird nicht geliebt, von wem man will; aber man kann immer von einer geliebt werden; in dieser falschen Religion der Liebe muss man sich für liebenswürdig halten und sich einen Zauber erfinden: Henker, Clown, Advokat oder Messerheld werden. Ob man eine gute oder schlechte Leidenschaft zur Schau trägt, man zieht Liebe an, und die Liebe ist immer auf Flügeln gekommen, wenn solche Kräfte wirkten.

Maulmont trat ins Café ein, seine hohe und magere Gestalt beugend und seinen schweren Denkerkopf auf seine Brust senkend. Er drückte die Hände, die sich ihm entgegenstreckten, und setzte sich stumm.

– Nun, grosser Kuppler der Reime und der Mythen, Meister der Adjektive und der Symbole, semitischer Hindu der Wissenschaft, welche Wolken lasten auf Ihrem adlerhaften Geiste?

– Sie sehen nicht, dass diese Wolke fast die Form eines Kameles hat, antwortete Maulmont mit plattem Doppelsinn, der seine ganze Schande ausdrückte. Dann brach dieses Bedürfnis der Beichte hervor, das so tief menschlich ist: der Vertraute, der auf der Bühne nötig ist, damit die Gedanken ausgesprochen werden, findet, dass im Leben der erste beste Vertrauen einflösst, wenn der Mensch das Bedürfnis hat, vor einem Zeugen die Kröten auszuspeien, die ihn ersticken.

– Die Selbstachtung, dieser schöne Trost, der bezeugt, dass man nicht so viel Schmutz an den Füssen hat wie das Gewühl, das uns umgibt; die Selbstschätzung, diese Religion der menschlichen Persönlichkeit, die einem in den schwachen Stunden Hauche von Unsterblichkeit schickt; die Selbstbeherrschung, diese den Königen unbekannte Königswürde, die den Styliten Styliten, christliche Schwärmer, die den grössten Teil ihres Lebens auf einer hohen Säule zubrachten. der Idee zugefallen ist, die uns in den eigenen Augen mit einem Heiligenschein umgibt, mit einem Gold, das mehr glänzt als das der Kronen: das alles habe ich gehabt! Und das alles ist unter schmutzigen Liebkosungen gestorben! Ja, schmutzigen!

Er ereiferte sich.

– Sie denken, Nebo, an diesen unglücklichen Maulmont, der eine Lustdirne liebt! Nun, die Dirne ist es, die mich hält! Was mich berauscht, ist nicht die Schönheit ihres Leibes, sondern dass er den ganzen Tag geknetet wird! Wenn sie abends zu mir kommt, wie eine Birne gedörrt von zwanzig Umarmungen, gibt ihr die Vorstellung all der Wollust, die über sie dahingegangen ist, in meinen Augen ein Kleid höllischer Verführung. Das ganze Laster, das sie aufgesogen hat, springt mir bei der Vorstellung wieder entgegen; unfähig, zur Hälfte zu fallen, bin ich nicht in den Bach gerollt, sondern in die Gosse. Sie scheint mir von Lebenskraft zu strotzen, und ich habe die Empfindung, einen Vampir zu umarmen, ganz rot von dem Blute, das er eingesogen. Ach, die Kirche hat weiter gesehen als die Vernunft: ja, die Goule Goule, gespenstiges leichenfressendes Wesen der arab. Sage., die Lemure Lemuren, wiederkehrende Seelen Verstorbener, Nachtgespenster der röm. Sage: Goethe lässt sie im »Faust« erscheinen. lebt, und ihre abscheuliche Bezauberung leugnen, ist Irrsinn! Clara ist ein Magnet der Sünde: jeder Mann mehr legt ihrer Kraft zu! Einst ging ich auf Unsterblichkeit aus, auf den steilen Wegen der toten Götterlehren; jetzt berausche ich mich an dem Schweisse, der im Sommer vom Kerameikos Kerameikos, Töpfermarkt im alten Athen, Begräbnisplatz der im Kriege gefallenen Bürger. aufsteigt, erschöpfe mich am Hindernis der Subura Subura, Stadtviertel im alten Rom, wo die kleinen Leute wohnten..

Von diesem Vortrag erleichtert, hatte Maulmont das Blatt gewendet, und da Clara auf sich warten liess, zogen sich Paula und ihr Virgil zurück.

Unter den Bogen des Bahnhofs Saint-Lazare lustwandelte eine Frau, sich aufreizend in den Hüften wiegend.

– Ich möchte wetten, dass das Clara ist, sagte Nebo, und die jungen Leute näherten sich. Das grosse Mädchen, mager, mit starker Brust, die mehr Habsucht als Wollust atmete, bemerkte, dass sie betrachtet wurde, und ging auf die beiden jungen Leute zu.

– Liebe Herren, möchten Sie nicht …

Nebo unterbrach sie.

– Sind Sie Clara? Kennen Sie Maulmont?

– Ich bin Clara, und ich kenne niemanden so gut wie Maulmont.

– Dann hören Sie einen Rat! Sie wissen, dass Maulmont ein sehr fähiger Bursche ist: die Regierung möchte ihm einen Posten anvertrauen, den er allein ausfüllen kann; und da Sie das Hindernis sind, hat der Polizeipräfekt den Befehl erhalten, Sie …

– Wie kommen Sie dazu, mir das zu sagen? fragte das Mädchen misstrauisch.

Nebo nahm die Miene eines gutmütigen Lebemannes an.

– Ich bin der Freund der Frauen und möchte nicht, dass Sie Aerger haben: wechseln Sie das Viertel, glauben Sie mir, es ist klug.

Er kehrte ihr den Rücken und sagte zu Paula:

– Wenn er sie aus den Augen verliert, wird er vielleicht zur Vernunft kommen.

*

Sie gingen schweigend davon und stiegen die Rue du Rocher hinauf. Nebo bemerkte, dass ein Mann im Kittel ihnen folgte, zögernd, als plane er einen schlechten Streich.

Er drehte sich um und ging auf den Verdächtigen zu. Der Mann aus dem Volke rief aus:

– Ich werde mich Ihnen erklären, mein Herr. Sie sehen dieses hell erleuchtete Fenster.

Er wies auf ein Fenster, dessen aufgezogene Vorhänge und an die Scheibe gestellte Lampe dem Vorübergehenden deutlich den Lockvogel zeigten.

– Ich liebe sie, diese Frau; sie ist teuer, meine Tage werden schlecht bezahlt. Das ist es! Ich folgte Ihnen nicht, um Ihnen Almosen abzubetteln, ich habe zu Abend gegessen; ich folgte Ihnen, um von Ihnen etwas zu erbitten, mit dem ich mir Liebe kaufen kann.

– Sie lieben sie also sehr, dieses Mädchen? fragte Paula.

– Ob ich sie liebe? So sehr, dass ich auf den Gedanken gekommen bin, zu betteln, dass ich dahin gelangt bin, als Dieb und Mörder zu gelten; aber ich würde mich wie ein Sklave verkaufen, wenn ich sie dafür eine Woche für mich ganz allein haben könnte. Die ganze Nacht das Pflaster treten, unter den Augen der Schutzleute, und die andern zu ihr hinaufsteigen sehen! Mein Glück ist dort im zweiten Stockwerk des Hauses, das Ihnen gegenüber liegt, und ich habe nicht die drei Franken!

Nebo schaute den Verliebten lange an, dann nahm er mit trauriger Gebärde Geld aus seiner Tasche und legte es in die Hand des Mannes, der stotternd und mit Tränen im Auge ausrief:

– Dafür, barmherziger Herr, werde ich einen ganzen Tag geliebt werden.


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