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Die Millionenschlacht.

Vier Tage lag das dritte Bataillon bereits auf diesem Acker eingegraben. In vier Tagen war die lange, dünne Schützenlinie nur um 400 m vorgerückt. Ein Bataillon, ein Steinchen nur in der riesigen Frontmauer von beinahe einer halben Million Menschen, die bis jetzt vergebens versuchten, dem fast um die Hälfte stärkeren Feinde Schritt für Schritt Boden abzugewinnen. Den etwa 400 000 Streitern der ersten und zweiten deutschen Armee standen in den Stellungen, die sich von Arras bis Châlons hinzogen, über 600 000 Franzosen gegenüber. Vier Tage hatte der Kampf gedauert, der mit dem Donnergebrüll seiner Geschütze Himmel und Erde erschütterte. Auf beiden Seiten machte sich allmählich ein störender Munitionsmangel fühlbar. Besonders auf französischer Seite, wo man zumal am ersten Tage der Schlacht die Geschosse in geradezu unsinniger Weise vergeudet hatte, so daß alle Fahrzeuge, die man irgendwie nur auftreiben konnte, herangezogen werden mußten, um aus den Riesendepots von Reims und Laon die schwindenden Bestände in der Front zu ergänzen.

Von den Beobachtungsballons auf deutscher Seite konnte man diese Munitionstransporte genau verfolgen und daraus erkennen, wo in der feindlichen Linie schwache Punkte entstanden waren, die einem gewaltsamen Offensivvorstoß Aussicht auf Gelingen bieten konnten. Und doch hielt man noch zurück, um den von Süden her stündlich erwarteten Flankenangriff auf den rechten französischen Flügel erst mit voller Kraft wirken zu lassen.

Das dritte Bataillon hatte sich am ersten Tage am Waldrande im Ackerfelde eingenistet. Es hatte, da hier im Zentrum der deutschen Stellung nordöstlich von Rethel zunächst nur ein hinhaltendes Feuergefecht beabsichtigt war, die Infanteriepositionen des Feindes auf dem jenseitigen Hügelgelände unter Feuer gehalten, und zwar wie der Fesselballon meldete, mit gutem Erfolge. Da der Feind die Stellung des Bataillons offenbar gut erkundet hatte, lenkte er am ersten Tage ein sehr heftiges Schrapnellfeuer auf die dunkle Waldlinie hinter den Schützengräben, welches so viele Opfer forderte, daß der Bataillonsführer alsbald die Schützenlinie nach vorn abbauen und unter Verzicht auf die sonst gewohnten Sprünge 300 m vorrücken ließ, dadurch wurden die Verluste wesentlich vermindert.

Dann war die Nacht gekommen. Die Mannschaften schliefen in den Schützengräben, und als der Morgen dämmerte, ward das Feuergefecht mit ausgeruhten Kräften wieder aufgenommen. Und wieder prasselte der Bleihagel der Schrapnells hernieder, und die einschlagenden Infanteriegeschosse erzeugten auf dem Erdboden beim Einschlagen kleine puffende Staubwölkchen. So verging auch dieser Tag, ein glühend heißer Sommertag. Die Feldflaschen waren geleert und nur der Brotbeutel wies noch seine eisernen Gefechtsrationen für drei Tage auf. In braunrotem Dunst versank die Sonne hinter den Hügeln im Westen. Tagsüber machte die Feuerzone der feindlichen Artillerie eine rückwärtige Verbindung unmöglich. Erst der Einbruch der Dunkelheit, als die Treffsicherheit des auch während der Nacht fortdauernden Schrapnellfeuers allmählich nachließ, brachte Erleichterung. Aus dem Wald hervor tauchten die Mannschaften der Proviantkolonnen, die die ledernen Wassersäcke bis in die Schützenlinien schleppten, wo die Feldflaschen rasch gefüllt wurden. Die Infanterie war ohne Tornister, nur mit dem Brotbeutel, der den Proviant und Patronen in ausreichender Zahl barg, ausgerüstet ins Gefecht gegangen.

Und zum zweiten Male ging die Sonne auf und noch lag man auf demselben Acker. Unablässig waren die Hügelzüge, über die sich die französische Artilleriestellung unabsehbar von Südost nach Nordwest hinzog, wieder von einer fast lückenlosen Linie gelber, runder Feuerblitze umsäumt. Bis jetzt hatte das Bataillon etwa 100 Mann verloren. Von den annähernd 60 Verwundeten waren die meisten während der letzten Nacht hinter die Feuerlinie befördert worden. Nur die Toten mußte man liegen lassen, hatte aber dafür gesorgt, daß die Leichen sofort eingegraben wurden. Und wie richtig man dabei gehandelt, zeigte sich, als die stechende Sonne des schwülen Sommertages glühend auf den Ackerboden niederbrannte, und trotzdem machte sich der entsetzliche Verwesungsgeruch schon bemerkbar.

Mittags 11 Uhr fiel der Major Brandstetter und Hauptmann von Unruh übernahm die Führung des Bataillons. Gegen 2 Uhr steigerte sich die furchtbare Hitze zur Unerträglichkeit. Matt wie die Fliegen lagen die Leute in den Schützengräben, ein sparsames Feuer auf die jenseitigen Stellungen weiter führend. Die Luft war von braunen Staubmassen erfüllt, in die sich der blaugraue Rauch über den Artilleriestellungen mischte. Alles lechzte nach Kühlung, aber man hätte unnütz Menschenleben verschwendet, wollte man von den Wasserplätzen hinter der Front die Truppen neu versorgen. Gegen 3 Uhr zuckte der erste Blitzstrahl zur Erde und ein furchtbares Gewitter ging hernieder. Eine graue Regenwand hüllte die riesenhafte Front ein, so daß beide Gegner sich aus den Augen verloren. Während die Blitze unablässig herunterknatterten und das Gebrüll des Donners auch den Schlachtenlärm übertönte, wurde dieser günstige Moment von der deutschen Heeresleitung geschickt ausgenützt. In rasendem Galopp ging die Artillerie vor und nahm die Stellungen, die man eigentlich erst in der darauffolgenden Nacht zu besetzen gehofft hatte. Als eine halbe Stunde darauf der Regen langsamer zu fallen begann, der Himmel sich aufklärte und nur dumpfe Donnerschläge sich noch in das Getöse der Völkerschlacht mischten, waren die deutschen Infanteriestellungen teilweise bis zu 1500 m weiter vorgeschoben. So verging auch dieser Tag. Der Verwesungsgeruch wurde infolge der nach dem Gewitter wieder einsetzenden Schwüle jetzt so furchtbar, daß jedes Bataillon froh war, wenn es Befehl erhielt die alten Positionen zu verlassen und vorwärts neue Schützengräben aufzuwerfen.

Im Ballon.

Die Leere des Schlachtfeldes, diese charakteristische Erscheinung moderner Massenkämpfe, verlor sich, sobald man die beiderseitigen Stellungen vom Ballon aus beobachtete. Leutnant Wegemann befand sich im Fesselballon des 8. Korps. Die Gondel war vollgepfropft mit Instrumenten. Die Drähte zweier Telephonleitungen lagen in dem Drahtseil, welches den Ballon mit der Erde verband. Es war ein eigenartiges Gefühl mit dem Auge der geschwungenen Kurve der Stahltrosse zu folgen, die bereits in einer Entfernung von hundert Meter nur noch die Dicke eines Fadens zu haben schien und schließlich mitten in ein Fahrzeug endete, das sich von hier oben fast wie ein Gerätewagen von der Feuerwehr ausnahm. Man konnte die Stellungen des Feindes und die eigenen an den dunklen Schützenlinien, den dampfenden Erdwällen der Batterien und den kompakteren Massen der Reserven wie auf der Landkarte ablesen. Wie auf der Karte des Kriegsspieles daheim im Kasino schoben sich die Bataillone und Batterien hin und her, und während unten das Ohr betäubt wurde von dem wüsten, gellenden Gebrüll der Feldschlacht, klang hier der Donner der Kanonen nur wie ein grollendes Gewitter. Drüben zwischen den Geschützen einer französischen Batterie flammten jetzt gelbe Blitze auf, schwarze Erdschollen sausten in die Luft, und am Rande der Rauchwolken explodierender Granaten sah man die dunklen Gestalten der Kanoniere sich platt auf den Boden legen. »Eingeschlagen«, murmelte Leutnant Wegemann, und dann zu der Ordonnanz neben ihm: »Müller, geben Sie hinunter: Mehrere Volltreffer der Feldhaubitzabteilung des 23. Regiments, in französische Batterien rechts der Chaussee nach Suippes. Die rechtsanschließenden Batterien durch indirektes Feuer mit derselben Elevation erreichbar.« Die Ordonnanz wiederholte es mit hier in der dünneren Luft seltsam hart klingender Stimme in die Schallöffnung des Telephons hinein. Man sah, wie unten neben dem breiten, schweren Ballonfahrzeug ein winziger Offizier die Meldung aufschrieb und ein Radfahrer auf der Chaussee sie bis zur Batterie hintrug. Wenige Minuten darnach verschwanden die beiden durch die Ballonmeldung bezeichneten französischen Batterien in einer durch die massenweis einschlagenden deutschen Granaten erzeugten Rauchwolke, in die dann im rasenden Galopp mehrere Protzen mit ihren Gespannen hineinsausten. Dann ein wüster Knäuel, und als sich der Qualm verzog, war der Boden bedeckt von dunklen Körpern und zappelnden Pferdeleibern zwischen den zerschossenen Geschützen. Nur zwei Gespanne jagten in wilder Eile zurück über das Feld mit den beiden geretteten Kanonen.

Vergeblich spähte der Leutnant im Ballon mit seinem scharfen Trieder-Binocle nach Südosten aus. Von dort mußte ja die Entscheidung kommen, noch ließ sie auf sich warten, aber sie kam.

Die Gefechtsleitung.

Anders wie im 70er Feldzuge sah es an der Stelle aus, von wo die unsehbaren Heeresmassen gegen einander dirigiert wurden. Nicht hoch zu Roß auf einem Hügel hielt der Heerführer, mit scharfem Auge die Front abspähend und mit seinen Befehlen die Ordonnanzen in die Feuerlinie hetzend. Diese Szene, so malerisch auf Schlachtenbildern, war anders geworden im Laufe von 36 Jahren. An der Chaussee, die nördlich von Rethel gerade auf ein kleines Dorf weit hinter der Feuerlinie führte, lag ein großer Gutshof, über dessen schloßartigen Hauptgebäude die Fahne des Armeekommandos flatterte. Über den grauen Dächern der meisten Häuser wiegte sich in der ruhigen Luft der kleine Fesselballon der Funkentelegraphie, dessen elektrischen Drähte einmündeten in einen Schuppen, vor dem die gewichtigen Fahrzeuge der Funkspruchabteilung standen. Unablässig zischte und knatterte der Apparat, eine Meldung nach der anderen aus den Lüften empfangend. Fortwährend wanderten die weißen Zettel mit den Meldungen hinüber in den großen Gartensaal des Herrenhauses, in dem eine Reihe Tische zusammengeschoben und mit einer Karte im großen Maßstabe belegt worden war. Auf ihr waren die beiderseitigen Stellungen durch Fähnchen und kleine Klötze markiert. Ein genaues Abbild dessen, was man vom Fesselballon aus sehen konnte. Hier verfolgte der Kommandierende, in tiefem Nachdenken vor den Tischen auf- und abgehend und die ihm zugestellten Meldungen mit einander vergleichend, den Gang der Schlacht.

Neben dem Gartensaal hatte sich die Feldtelegraphie eingerichtet, die überallhin ihre Drähte abgerollt und teilweise unter Benutzung der französischen Telegraphen an der Landstraße sie nach allen Truppenabteilungen, bis in die Schützenlinien hinein, verzweigt hatte. Dazu Telephonapparate in unendlicher Menge; ganze Drahtbündel zogen sich nach dem Gutshof hin. An ihnen lenkte, wie an den Drähten eines Marionettentheaters, der Höchstkommandierende die Bewegungen jedes einzelnen Bataillons. Hier waren die Entscheidungen zusammengedrängt auf den Raum eines Zimmers, und diese ungeheure Verantwortung machte sich geltend in einer ernsten Stimmung, die alle erfüllte, die sich ihrer Wichtigkeit bei der Steuerung der Heeresmaschine bewußt waren.

Auf dem Hofe standen mehrere Automobile und Fahrräder, jeden Augenblick bereit, die Ordonnanzen bis in die Feuerlinie zu führen. Daneben wieder die Rosse der Meldereiter, die querfeldein im Galopp herangejagt waren und nun die neuen Befehle für die Truppenkörper erwarteten. Jetzt sprengte ein Gefreiter der Jäger zu Pferde, den Chausseegraben in elegantem Sprunge nehmend, mit seinem Pferd auf den Hof warf die Zügel einem Trainsoldaten zu und übergab einem Stabsoffizier eine Meldung. Ein freudiges Aufleuchten zuckte über das Gesicht des Höchstkommandierenden, als er den Meldezettel überflog: »Also endlich!«, sagte er, ging an die Karte und markierte im Südosten der deutschen Front eine neue Verschiebung im Gelände. Und nun rasselten die Klingeln der Apparate, knatterte und sauste der Mechanismus der Funkentelegraphie und neue Befehle flatterten nach allen Seiten. Die Automobile keuchten und tuteten auf der Landstraße und mit einem Schlag kam ein frischer Zug in das Ganze.

Da nahte von einer Husarenabteilung eskortiert eine Equipage und machte vor dem Gutshofe Halt. Mit strammen Gruß machten die Soldaten und Offiziere einem jugendfrischen Manne in Generalsuniform Platz, der rasch das Gedränge durchschritt und jetzt mit leichtem Gruß beim Höchstkommandierenden eintrat. Der empfing ihn mit freudigem Zuruf: »Majestät, die Entscheidung ist da, soeben erhalten wir den Funkspruch, daß die Umgehung des Feindes von Süden her durch die drei Korps über Vitry auf Châlons wirksam begonnen hat. Nach zwei Stunden darf unser entscheidender Gewaltstoß einsetzen, und wenn die Sonne sinkt, hoffe ich, daß unsere Kapellen den Choral von Leuthen spielen dürfen.

Die Entscheidung.

Unablässig rollte das Kleingewehrfeuer, ohne Aufhören lärmte der Donner der Geschütze, und noch war kein Wanken, keine Bewegung nach vorwärts oder rückwärts in den eisernen Fronten beider Heere zu bemerken. Die Erde war von Geschossen durchwühlt und Zehntausende lagen mit zerschmetterten Gliedern auf den so heiß umstrittenen Kampfplatze. Man fühlte überall instinktiv: jetzt nahte der gewaltige Augenblick, da die Hunderttausende der Volksheere plötzlich herauswuchsen aus den Höhlen und Gräben der Erde, da sie gegen einander prallen würden, um mit blanker Waffe die Siegespalme zu heischen. Ein Funkspruch vom Fesselballon des IV. Korps hatte gemeldet, daß Teile der spärlichen feindlichen Reserven nach Südwest abmarschiert waren, um auf der Innenlinie den rechten Flügel bei Châlons zu verstärken. Der Feind mußte die Gefahr erkannt haben, wenn er eine solche Truppenverschiebung angesichts der deutschen Ballonposten unternahm und dadurch noch die Front schwächte. Zu gleicher Zeit meldeten mehrere Funksprüche, daß große Munitionskolonnen zwischen den Forts von Reims in rascher Fahrt auf die französischen Artilleriestellungen dirigiert würden, woraus zu schließen, daß dort Munitionsmangel herrschte. Und nach dem hitzigen Schnellfeuer während des ganzen Tages war das nicht zu verwundern.

Tatsächlich mußten sich große Truppenteile fast verschossen haben, denn der Geschützkampf wurde um 4 Uhr nur noch schleppend weitergeführt. Die Ungeduld der deutschen Bataillone war kaum noch zu zügeln. Und jetzt begann man kompagnieweise die Schützenlinien langsam nach vorwärts abzubauen. An einigen Stellen gingen unsere Soldaten in großen Sprüngen bis zu 200 m vor, und zwar ohne große Verluste zu leiden. Denn das erwartete Schnellfeuer blieb aus. Nur vereinzelt pfiffen den vorstürmenden Truppen die feindlichen Kugeln um die Ohren. Jetzt galt es.

Die Meldungen aus den deutschen Fesselballons berichteten, daß mehrfach drüben ein Stocken in den Munitionstransporten eintrat. Man sah hinter den feindlichen Batterien Ordonnanzen hastig nach rückwärts reiten, den Munitionskolonnen entgegen. Zwar wurde der Artilleriekampf weitergeführt, aber mit geringem Erfolge. Gerade die dem IV. Korps gegenüberstehenden Batterien fügten den Schützenlinien kaum noch Verluste zu. Mehrere Telephonleitungen meldeten gleichzeitig: »Feindliche Artillerie schießt nur noch mit Kartuschen.« Eine nach Nordosten führende Chaussee durchschnitt, der Talsenkung eines kleines Baches folgend, ein welliges Hügelgelände; der Straßenkörper war in der Tiefe den Blicken des Freundes und des Feindes auf eine Strecke von annähernd zwei Kilometern entzogen. Jenseits auf der flachen Hügelkette lagen nur noch einige deutsche Kompagnien in einer kleinen Bodenwelle eingegraben, dazwischen große Lücken freien Feldes.

Da erscholl von fern das klappernde Geräusch tausender von Pferdehufen, die hart auf den Chausseekörper aufschlugen und hineinschwenkte in den breiten Hohlweg ein Kavallerieregiment nach dem anderen. Der Anmarsch der Reiter wurde den Blicken des Feindes – den gegenüberstehenden Fesselballon hatte ein Schrapnell kurz vorher heruntergeholt – durch ein Gehölz entzogen und unablässig ergoß sich der Strom der glänzenden Reitergeschwader in das Tal. Acht Kavallerieregimenter hielten hier gedeckt, in abwartender Stellung.

Auf Ansbach-Bayreuth!

Auf Ansbach-Bayreuth!
Auf Ansbach-Bayreuth!
Schnall um deinen Degen und rüste dich zum Streit!
Prinz Heinrich ist erschienen auf Striegaus sonn'gen Höhn,
Die preußischen Truppen in Parade zu sehn.
Schon tönt von den Höhen ein Morgengruß,
Der jeden Preußen begeistern muß,
Drum Brüder seid mutig, seid schnell und bereit,
Wenn's Vorwärts heißt!
Auf Ansbach-Bayreuth!

(Alter Text des Hohenfriedbergers.)

 

Noch einmal wütete der Geschützdonner los. Die Erde zitterte unter den Erschütterungen und die Luft war erfüllt von todbringenden Geschossen. Dazwischen das Klappern und Knattern des Infanteriefeuers und der helle Klang der Maschinengewehre. Es war, als sei die Hölle losgelassen. Da schmetterten scharf und schneidend Trompetensignale in den Gewittersturm der Völkerschlacht. Durch Hunderttausend zuckte es. Und während nun die acht Regimentskapellen gewaltig einsetzten und die machtvoll begeisternde Weise des Hohenfriedbergers über das weite dampfende Schlachtgefilde dahinbrauste, schlug die dunkle Woge von Menschen- und Pferdeleibern an dem Abhang des Hohlweges empor. Im Nu war der grüne Hang erklommen und jetzt jagten die blinkenden, rasselnden Reitergeschwader dahin über die sanft nach vorn abfallende Ebene, im breiten Strome alles mit sich fortschwemmend. Ein herrlicher, herzerfrischender Anblick für das Soldatenherz, nachdem man fünf Tage in Erdlöchern versteckt, wie ein Maulwurf geduckt hinter den Rand des Schützengrabens rastlos nur immer auf die rauchenden Hügel und die schießenden Ackerfurchen drüben abgedrückt hatte.

Die Schützenlinien des Feindes stutzten. War dies ein Phantom, eine Täuschung der erregten Sinne? Es galt, die wenigen Minuten auszukaufen, bis die dichte Wand von flatternden Pferdemähnen, von blitzenden Reitersäbeln, das schreckliche Gatter von wirbelnden Lanzen, diese donnernde Staublawine, unter der die Erde von tausendfältigem Hufschlag erdröhnte, heran war. Man hatte auf deutscher Seite gut beobachtet, die französische Infanterie hatte sich bis auf wenige Patronen verschossen und die deutschen Geschütze hatten durch ein aus allen Kalibern ohne Pause fortgeführtes Schnellfeuer die feindlichen Munitionskolonnen, in denen Dutzende von Wagen aufflogen, von der Feuerlinie ferngehalten. Hinter den Positionen der Artillerie und den Schützenlinien hatten die deutschen Granaten, hatten die Schrapnells mit ihrem Bleiregen eine Feuerzone geschaffen, die kein lebendes Wesen passieren konnte.

Zwar rissen die letzten Granaten der französischen Batterien große Lücken in die deutschen Schwadronen, wohl sank Mann und Roß dahin im wüsten Knäuel der Vernichtung, aber der Gedanke an die leeren Patronentaschen erzeugte drüben angesichts der Reiterattacke einen lähmenden Schrecken. Und dieses Gefühl der Hilflosigkeit ließ in den Reihen der französischen Regimenter die durch die fünftägige Schlacht entnervt und in ihrer Widerstandskraft erschüttert waren, jetzt eine Panik entstehen. Ja, wenn die Artillerie jetzt Kartätschen gehabt hätte, ein einziger Munitionswagen konnte dem Verhängnis wehren! Bei der schnell sich verringernden Distanz hatte das planlose Schießen der französischen Schützenlinien nur geringe Wirkung. Jede Feuerleitung fehlte. Von der Angst vor dem herannahenden Furchtbaren jeder klaren Überlegung beraubt, verpulverte man die wenigen letzten Patronen sinnlos, zwecklos; die Befehle der laut schimpfenden, erregten Offiziere widersprachen sich fortwährend. Im instinktiven Selbsterhaltungstrieb ballten sich die Kompagnien zu einzelnen Massen zusammen, um bei dem Bajonett die Rettung zu suchen. Die verhängnisvolle Gefahr des Kleinkalibers, die Munitionsverschwendung, hatte sich hier schrecklich geltend gemacht.

Jetzt war die lange Linie der deutschen Kavallerie heran und brach in die feindlichen Reihen ein. Blinkende Säbel, wuchtige Hiebe, zertretene Menschen, hochaufsteigende Pferde, ein kurzer, aussichtsloser Kampf und schon waren die deutschen Reiter zwischen den französischen Batterien, alles vor sich niederwerfend. Lähmendes Entsetzen trug dieser durchschlagende Erfolg eines Kavallerieangriffes auch in die Reihen der französischen Reserven, die jetzt einfach ausrissen. Der schlecht geleitete und zaghaft durchgeführte Gegenstoß zweier französischer Bataillone versagte völlig. Im Nu waren die deutschen Reiter zwischen den flüchtenden Franzosen. Einzelne Carrés, die sich zusammenzuballen suchten, wurden niedergeritten. Schwere Pferdeleiber im Ansprunge die Bajonette niederdrückend und im Todeskampfe mit den Hufen die Infanteristen zerschlagend, rissen große Breschen in die Fronten, durch die die langsam dünner werdenden Linien der deutschen Regimenter immer weiter vorwärtsstürmten. Der Rest der Schwadronen jagte jetzt nach links und rechts abschwenkend, davon.

Die Riesenaufgabe der tapferen Reiter war gelöst. Als sich die Coulissen der Kavallerieregimenter nach beiden Seiten auseinanderschoben, stürmten hinter ihnen im unwiderstehlichen Anlauf die deutschen Schützenlinien heran. Von allen Seiten klang das Angriffssignal: »Kartoffelsupp, Kartoffelsupp, den ganzen Tag Kartoffelsupp« über das Feld, weckte den teutonischen Kampfeszorn und trug den Sturmlauf der deutschen Regimenter mitten in die durch den Kavallerieangriff gebrochene Lücke. Vier französische Schützengräben bis an den Rand mit zerstampften Menschenleibern gefüllt, vier zerschossene Batterien zwischen deren Geschützruinen sich kein Leben mehr regte, lagen bereits hinter der deutschen Angriffsfront, und immer mehr Bataillone fluteten hinein in diese nach beiden Seiten rasch weiter reißende Bresche mit der das französische Zentrum an einer schwachen Stelle durchbrochen war. Aber schon schob der Feind von beiden Seiten Truppen vor, um das Loch wieder zu stopfen. Doch umsonst. Die deutsche Artillerie war schon heran, nistete sich hinter einem Eisenbahndamme ein und bäng … bäng … bäng … knatterte das Feuer der Maschinengeschütze in die Reihen der französischen Kavallerieregimenter, sie in wenigen Minuten mit einem Sprühregen von Geschossen niedermähend. Es war eben ein Unterschied, ob eine Reiterattacke auf einen aus gedeckter Stellung feuernden, siegreichen Feind oder auf erschütterte Infanterie ansetzt die nur noch die letzte Patrone im Laufe hat. Auf dem Manöverfelde sieht beides für das Laienauge gleich aus und die Biertischstrategen, die sich über die »sinnlosen Kavallerieattacken« so sehr empörten, sie hatten immer nur das eine vergessen, daß niedergekämpfte Infanterie nicht mehr schießt.

Hinter dem Eisenbahndamm stand die rasch vorrückende deutsche Artillerie sehr bald in Stärke von zwei Regimentern, die nun mit Schrapnells unter den flüchtenden französischen Bataillonen fürchterlich aufräumte. Und nun begann die regellose Flucht. Von Südosten her war der rechte französische Flügel umfaßt und aufgerollt worden. Das Zentrum war gegenüber Rethel durchstoßen und überall vor der französischen Front wuchsen jetzt aus der Erde die Massen der deutschen Bataillone empor. Es gab kein Halten mehr und vor allem fehlte jede Disposition des Rückzuges auf feindlicher Seite. Die französischen Korpsführer verloren die Leitung über ihre Truppen. Vergebens, daß sich die Offiziere mit dem Revolver in der Hand den Fliehenden in den Weg warfen; vergebens, daß sie diesen oder jenen niederschossen, die zurückflutende Woge riß auch sie mit sich fort, und wollten sie nicht unter den Stiefeln ihrer Leute enden, so mußten sie mit dem Strome schwimmen. Ähnlich war es auf dem linken Flügel, wo sich die englischen Bataillone länger hielten und durch die siegreichen Vorstöße der Deutschen isoliert, teilweise bis auf den letzten Mann ihre Positionen verteidigten. Die deutsche Artillerie, deren Geschosse zuweilen selbst in die eigenen Sturmkolonnen einschlugen, hielt jeden Versuch einer Gegenoffensive nieder. Die Schlacht war entschieden.

Auf dem Rückzuge der einzelnen französischen Korps fehlte jede einheitliche Führung. Nur einige gewannen die Straße nach Paris und nach Südosten, die meisten Regimenter trieb wahnsinnige Angst und die volle Deroute zwischen die Forts von Reims und Laon, wo sich die Hunderttausende nunmehr stauten, während die deutschen Granaten unablässig in die Scharen der Flüchtenden einschlugen. Es gab kein Halten mehr auf dieser Flucht. Die deutsche Kavallerie, deren ganze Kraft rücksichtslos eingesetzt wurde und bei der aus Mann und Roß der letzte Atemzug herausgeholt wurde, löste auf der Verfolgung jeden Truppenverband des Feindes auf und was sich nicht um Reims konzentrierte, – die Feldbefestigungen vor Laon fielen noch am Abend den Deutschen in die Hände, worauf die mit Menschen gefüllte Stadt, die unablässig bombardiert wurde, um Mitternacht kapitulierte – war keine Armee mehr, nur noch ein wüstes Gemenge erschöpfter, um ihr armes Leben sorgender Menschen, die keinen Widerstand mehr zu leisten im stande waren.

Die englische Armee, die auf dem linken Flügel gestanden hatte, war ebenfalls zersprengt, und zog sich in völliger Auflösung nach Südwesten zurück. Der größte Teil ihrer Artillerie und ihr schwerfälliger Troß fiel den Deutschen in die Hände.

Die Nacht.

Die Flucht der französischen Regimenter erfolgte konzentrisch auf Reims. Die Batterien, die eine Stellung nach der andern aufgeben mußten, fuhren rücksichtslos querfeldein, Verwundete mit den Hufen der Pferde zerstampfend und mit den Rädern der Protzen und Geschütze zermalmend, fliehende Truppenkörper zerreißend und durchbrechend, dafür von den eigenen Leuten in wilder Entrüstung zuweilen mit Gewehrschüssen bedacht. So löste sich alle Ordnung auf. Die beiden von Nordosten und Südwesten sich langsam vorschiebenden Frontlinien des deutschen Heeres nahmen die fliehenden Hunderttausende gewissermaßen in eine Zange, deren Flügel sich immer enger zusammenschlossen. Wo auf deutscher Seite noch Reserven vorhanden waren, schob man diese jetzt in die Front und ließ die völlig erschöpften, bei den entscheidenden Sturmangriffen furchtbar dezimierten Regimenter auf dem Schlachtfelde an Ort und Stelle biwakieren. Von Biwakieren war freilich nicht viel die Rede, die Mannschaften sanken, bis auf das Äußerste ermüdet, in ihren letzten Kampfpositionen einfach um, und die Ermattung war so stark, daß kaum jemand an Abkochen und Proviantfassen dachte. Nicht einmal zum Feuermachen reichte die Energie mehr aus. Nur schlafen, bis ins Unendliche schlafen, war der einzige Gedanke, der noch in diesen automatischen Maschinen lebte. Und so lagen sie bataillonsweise, kompagnieweise hingemäht und versanken in einen traumlosen, bleiernen Schlaf, während nur ein paar Posten Wache hielten, um den vorbeipassierenden Truppenteilen den Weg zwischen dem schlafenden Heere nach vorn zu weisen. Und unablässig ging es vorwärts in dem blutroten, grausigen Dämmerschein der Sommernacht, die durch den lodernden Brand der Städte und Dörfer erhellt wurde, als stände eine Welt in Flammen. Von fernher klangen über das Schlachtfeld die alle Lebensgeister weckenden Weisen unserer Armeemärsche und übertäubten das Gewimmer der Verwundeten und den Verzweiflungsschrei der Sterbenden. Neben den erschöpften Helden der Fünftageschlacht schliefen die anderen Zehntausende den ewigen Schlummer.

Die schwarzen Schlangen marschierender Bataillone schoben sich auf die Stelle zu, wo aus dem Festungsgebiet von Reims wüster Waffenlärm herüberdrang, wo der Feuerschein der brennenden Lager aufstob zum Himmel. Ohne Aufhören ging es vorwärts und neben und zwischen den Truppen die langen Wagenreihen der Ambulanzen, die kaum im stande waren, auch nur die notdürftigste Hilfe in dieser schrecklichen Nacht zu bringen. Einer solchen Zahl von Opfern gegenüber erlahmte die hilfreiche Hand des Arztes.

Als die Tete eines der letzten Reserveregimenter, – eben aus der Heimat eingetroffen – den Eingang des Dorfes Grandcourt passierte, waren die Sanitätssoldaten gerade am Werke, die niedrigen Häuser der langen Dorfstraße in Lazarette umzuwandeln und mit den verwundeten Kriegern zu belegen, die eine Sanitätskolonne herangeführt hatte. Da auf der linken Seite der Straße ein von den Franzosen bei ihrem Rückzuge stehengelassener Wagenzug mit Lagermaterialien und einige zwanzig mit Heu und Stroh hochbeladene Bauernwagen die Passage sperrte und auf der rechten Seite die Fahrzeuge der Sanitätskolonne vor den Haustüren hielten, war die nicht sehr breite Dorfstraße fast völlig verstopft. Die ersten Kompagnien des Regimentes rückten daher nur bis in die Mitte des Dorfes vor und machten dann Halt, damit vorne erst Platz geschaffen würde. So standen die Kompagnien eingekeilt zwischen den beiden langen Wagenzügen und warteten eine Viertelstunde nach der anderen.

Um den Eindruck abzuschwächen, der erfahrungsgemäß äußerst deprimierend auf jeden Soldaten wirkt, wenn er noch vor dem Kampfe die jämmerlich stöhnenden Opfer der Schlacht und ihre blutenden Glieder vor Augen bekommt, ließ der Regimentskommandeur die Musik einige Märsche spielen, die ihre alte Zauberkraft, den schlummernden Kampfesmut zu wecken, auch hier wieder wirksam erwiesen. Schmetternd klang der Torgauer durch die von den Schrecken des Krieges erfüllte lange Dorfstraße, zwischen den Häusern mannigfaltiges Echo weckend und die Schmerzensschreie der Verwundeten übertönend. Rings war der Himmel vom Brandschein gerötet. Leise strich der Nachtwind über die Reihen derer, die dem Kampfe entgegengingen und die armen Opfer der Feldschlacht, die mit zerschossenen Gliedern zurückgebracht wurden. Die Häuser auf der rechten Seite der Dorfstraße waren bereits mit Verwundeten gefüllt, jetzt begann man auch die auf der linken Seite zu belegen, wobei die Sanitätsleute mit ihrer schrecklichen Last die Reihen der Kompagnien passieren mußten.

Eben trug man einen Obersten hinüber, der einen Schuß durch die Lunge erhalten hatte, und wollte ein weiteres Haus öffnen. Es war verschlossen; ohne weiteres wurde die Tür eingestoßen und mit ihr zugleich stürzten zwei Soldaten in die dunkle Hausflur. Als hier der Besitzer mit einer Laterne in der Hand erschien und einem Feldwebel, der ihm entgegentrat den Eingang verwehren wollte, wobei er in verzweifelter Erregung einen unverständlichen Wortschwall hervorsprudelte, schob man den Mann einfach beiseite, und die Tragbahre, auf welcher der Oberst lag, wurde gerade in den Hauseingang hineingetragen, als dieser plötzlich erhellt wurde. Ein altes Weib, dem die grauen Haare wild um den Kopf flatterten, stürmte, einen brennenden Holzscheit schwingend heraus, schlug mit diesem dem verblüfften Feldwebel ins Gesicht, stieß ihn zur Seite, daß er auf der Hausflur hinkrachte, und drängte sich an den Sanitätssoldaten vorbei. Die rasende Megäre stand plötzlich auf der Straße, wilde Verwünschungen kreischend. Ein Leutnant der ersten Kompagnie, dem angesichts der gräßlichen Gefahr der Herzschlag stockte, entriß einem Soldaten das Gewehr. Einen Moment, und er hatte sich zwischen den beiden nächsten Heuwagen durchgewunden und holte zu dem vernichtenden Schlage aus; wie vom Blitze gefällt lag das Weib mit zerschmettertem Schädel im Straßenkote.

Um einen Atemzug zu spät, denn schon war das Furchtbare geschehen: im letzten Moment hatte die Hexe ihr teuflisches Vorhaben noch ausgeführt. Im hohen Bogen hatte sie die brennende Latte oben auf den nächsten Heuwagen geschleudert. Fauchend und rauschend fuhr der Nachtwind hinein in das Heu, und im Nu stand der Wagen in lichten Flammen, die dem Windzuge folgend mit Gedankenschnelle den nächsten ergriffen, und bevor man sich noch von der Erstarrung erholt hatte, war die Dorfstraße ein blendendes sausendes Flammenmeer. Das Heu brannte, das Stroh brannte, die rote Glut spritzte nach allen Seiten; die Häuser brannten. Wohin man sah, gelbe und rote Flammen, schwälender Rauch, der in den Augen biß. Stürzende Wagen, die Glutlawinen über die Straße schütteten, knatternde Sparren, ein feuriger Regen von zerstiebenden, brennenden Schindeln und dazwischen wimmernde, ratlos hin und her laufende, rettende und sich gegenseitig anrennende Menschen. Im roten Feuerschein erstrahlten die Gewehrläufe, die Bajonette, mit denen man die Glut auseinander zu reißen suchte; vergebens, in diesem feurigen Graben war keine Hilfe möglich. In der flackernden Brandung, die brausend auch die Sanitätswagen ergriff, erschien plötzlich über dem ersten, wie hingezaubert gegen den brandroten Hintergrund, die in dem scharfen Luftzuge heftig flatternde weiße Fahne mit dem Genfer Kreuz.

Ein einziger, furchtbarer Verzweiflungsschrei durchgellte diese Szene der Vernichtung. Kaum geborgen unter dem schützenden Dach sahen die hilflosen Verwundeten sich rettungslos dem Flammentode preisgegeben. Wildes Geschrei, laute Kommandos, ein Durcheinander von hin und her hastenden Menschen. Die Kompagnien waren von der Dorfstraße verschwunden. In die Haustüren eindringend, griffen sie rasch zu, um ihre verwundeten Kameraden aus dieser brodelnden Hölle nach rückwärts durch die Höfe der Häuser ins Freie zu retten. Aber nicht mehr überall gelang es, und nach entsetzlichen Szenen verzweifelter Rettungsversuche mußte man acht Häuser – und es waren gerade die am dichtesten mit Verwundeten belegten – ihrem schaurigen Schicksal überlassen. Während aus jenen Unglückshäusern, mitten aus der Flammenglut der herzzerreißende Todesschrei hilfloser Menschen in die Finsternis hinausdrang, während das Dorf langsam wie eine lodernde Fackel niederbrannte, tönten draußen von allen Seiten des Schlachtfeldes herüber die Militärkapellen der vorrückenden Truppen, den zwischen brennenden, stürzenden Bretterwänden dem Tode rettungslos Geweihten die Siegeskunde zutragend, der Choral von Leuthen: »Nun danket alle Gott«.

Als das fahle Morgenlicht heraufdämmerte, säumten nur noch rauchende, schwarze Brandruinen die lange Dorfstraße. Ein Gerümpel von eisernen Radreifen und Deichselbeschlägen zwischen der dampfenden Holzasche ließ noch die Trümmer des Sanitätszuges und auf der anderen Seite die der französischen Wagen erkennen. Dazwischen verkohlte menschliche Körper. Vor den zusammengestürzten Lehmmauern eines Hauses saß, in zerrissener verbrannter Uniform, der Oberst jenes Regiments, auf einem Prellstein. »In seinem Schoße hielt er das Haupt eines junges Offiziers, dessen schauerlich verwundeter und verstümmelter Körper kaum noch menschliche Formen hatte. Stumpfsinnig nickte er vor sich hin, das einzige lebende Wesen auf dieser Stätte gräßlicher Vernichtung. Eine im scharfen Trabe heranrollende Batterie bahnte sich soeben ihren Weg durch den Brandschutt auf der Dorfstraße. Nur im Schritt vermochte sie hier vorzurücken, damit sich die Pferde nicht in den Wagentrümmern verfingen. Unter den schweren Kanonenrädern knirschte und knackte das verbrannte Holzwerk. Jetzt war das erste Geschütz bei der Gruppe auf dem Prellstein angekommen. Der Batteriechef stieg vom Pferde und trat an den Obersten heran, grüßte und fragte: »Kann ich helfen, Herr Oberst«. Der aber stierte ihn blöde an: »Wir wollen nach Hause gehen, Ludwig, Mutter wartet«. Der Oberst war in jener Schreckensnacht, als er vergebens versucht hatte, seinen schwer verwundeten Sohn aus dem brennenden Hause zu bergen, irrsinnig geworden. Aufs Tiefste erschüttert stieg der Batteriechef wieder zu Pferde und langsam mit den Rädern in dem schweren Schutt knirschend und über verkohlte Leichen hinwegrollend, setzte die lange Reihe der Geschütze ihren Weg fort. Staub zum Staube, Erde zur Erde.

Nach einer Woche kapitulierte die Lagerfestung Rheims. Wüste Szenen ohnmächtiger Erbitterung hatten sich in dem weiten Rayon zwischen den Forts abgespielt. Der Proviant ging zu Ende und das unablässig von deutscher Seite fortgeführte Bombardement demoralisierte die eingeschlossene Armee so vollständig, daß das Oberkommando auf französischer Seite, zumal sich ernstliche Reibungen zwischen den einzelnen Korpsführern geltend machten, auf einen Ausfall aus der Festung und auf weiteren Widerstand verzichtete.

Daheim.

Es war leer geworden in der Heimat seitdem das Volksheer draußen stand. Die wirtschaftlichen Betriebe stockten und soweit die Fabriken ihre Tätigkeit nicht vollständig eingestellt hatten, arbeiteten sie mit einem Viertel ihrer früheren Kraft. Da der Handel gänzlich lahm gelegt war und auch die Hände fehlten, die Waren des Ausfuhrhandels herzustellen, ließ man die Kessel abblasen und die schnurrenden Räder stillstehen. Wozu auch noch arbeiten, da die englische Blockade die Häfen schloß? Nur die Betriebe, die für die unmittelbarsten Lebensbedürfnisse des Volkes und für die Versorgung der Armee arbeiteten, wurden vollständig aufrecht erhalten.

Auch bei der Ernte fehlten die Arbeiter, und hier griff man zu dem einfachen Mittel, das zunächst etwas verblüffend wirkte, dann aber allerseits als berechtigt anerkannt wurde, den nationalen Wehrdienst in nationale Arbeit umzuwandeln. Wie man in Friedenszeiten militärische Kräfte herlieh, um die Erntearbeiten zu vollenden, so berief man jetzt die Landsturmpflichtigen zweiten Aufgebotes ein, die aus Leuten bestehen, die entweder wegen geringer, körperlicher Fehler vom Wehrdienst befreit, oder nach abgeleisteter Wehrpflicht zu alt waren, um ins Feld zu rücken. Als die Zeit der Ernte herannahte, sah man draußen auf den Feldern im Schweiße ihres Angesichtes behäbige Landsturmleute an hochbeladenen Bauernwagen stehen, sah man sie die Ernte bergen und die Garben schichten. Professoren und reiche Kaufleute, junge und alte Männer jeden Berufes, alle wurden sie herangezogen, um die Hände zu ersetzen, die hier in der Heimat fehlten, weil des Volkes Söhne draußen jenseits der Grenze im harten Kampfe des Reiches Schicksal zum Siege wandten. Unter Murren zwar anfangs, bald aber in voller Würdigung der Lage, unterzogen sich alle mit erfreulichem Eifer den Pflichten, die das Vaterland auch auf diesem Gebiete von seinen Bürgern forderte.

Es war still und einsam geworden daheim und so rechte Andacht zur Arbeit hatte man nirgends. Immer wieder drang der Ruf der Extrablattverkäufer hinein in die Werkstätten, in die Schreibstuben und Kontore. Und wieder stand man an den Straßenecken und vor den Zeitungsredaktionen in dichten Haufen. Immer wieder dasselbe Bild, Monat für Monat. Wenn die weißen, siegverkündenden Blätter hinausflatterten auf die Straße, dann brach der Jubel los: Noch ein Sieg – zu Lande. Zu lodernder Begeisterung erhoben sich die Herzen, wenn der Telegraph die Kunde brachte, daß unsere braven Truppen wieder den Feind geschlagen in schier endlosem Kampfe.

Aber dann Tage darauf, wenn die anderen Meldungen kamen, die langen, eng bedruckten Seiten mit den Listen der Gefallenen und Verwundeten, dann ward es still unter den dichtgedrängten Scharen, die diese nüchternen Reihen von Namen und Zahlen mit eiligem Blick durchflogen, nach einem geliebten Namen forschend und erleichtert aufatmend, wenn er nicht darunter war. Es war ein wunderbar ergreifender Anblick jedesmal, wenn die Verlustlisten herauskamen, wenn sie an die Plakatsäulen angeheftet wurden und Hunderte diese riesigen Blätter umlagerten. Wenn dann einer der Zunächststehenden die Namen langsam buchstabierte und mit der ungeschickten Betonung des einfachen Mannes laut vorlas, horchten alle mit gespannten Sinnen und in stummer Teilnahme machte man Platz, wenn dieser oder jener plötzlich zusammenzuckte, wenn ihm die Tränen über die Wangen rollten und er sich leise davonschlich. Und weiter ging die endlose Reihe der Namen, immer neue, es war der letzte Appell für die, welche draußen ihr Leben gelassen. Und dann geschah es, daß mitten unter der Menge ein junges Weib aufschrie und im dumpfen Schmerz heimwärts wankte, ihr Kindchen an der Hand führend, nunmehr eine vaterlose Waise. Dann streichelte der Kleine die Hand der weinenden Mutter und fragte: »Kommt Vater nicht wieder zurück?« Nimmermehr, nie wieder! O, welch ein Schicksal liegt in diesem Worte: nie wieder! Wie viel blühendes Leben zertrat dieser grausame blutige Krieg!

Wenn sie dann heimkehrten die langen Wagenzüge, wenn auf den Bahnhöfen die Transportwagen der Krankenhäuser und Lazarette hielten, um die zerschossenen, die wunden und kranken Opfer aufzunehmen und dorthin zu bringen, wo menschliche Kunst sich oft vergebens abmühte, Leben zu erhalten und zerschmetterte Glieder zu heilen. Wie der Krieg die wildesten Leidenschaften entfacht, wie er die tierischen Instinkte aufpeitscht, wenn der Soldat die Waffe auf einen Gegner richtet, der ihm persönlich nichts zuleide getan, der ihm unbekannt und gleichgültig, auch ein Mensch, um dessen Leben daheim Weib und Kinder zittern, um den sich die Eltern sorgen, um ihn, der nun zum Manne erwachsen die Stütze ihres Alters sein sollte. Mensch zu Mensch, nur verschieden nach dem Volksempfinden und nach den Farben der Uniform. Ja die Kugel ist eine Törin, dieses kleine Stückchen Metall, es weiß nicht, von wannen es kommt und wohin es fährt, und welche Tränensaat dem Boden entsprießt, auf dem sein Opfer verblutet.

Der Krieg, der die niedrigsten und höchsten Instinkte der Menschheit entfesselt, sie zur Sonnenhöhe emporhebt und in Nacht und Grauen finsterer Leidenschaften hinabstößt, er weckt auch die höchste Blüte des Mannestums, die Kameradschaft. Und mit Staunen sahen die Söhne des Volksheeres, die, sich dem Diensteid zufolge und der Soldatenpflicht gehorchend, dem Befehl der jungen Offiziere beugten, daheim auf dem Kasernenhofe und jetzt im Schlachtendonner, wie diese Jünglinge in wenigen Wochen zu Männern erwuchsen, die sich eins fühlten mit dem Volke in Waffen, über das sie nur das Kommandowort erhob. Lächerlichen Dünkel und kleinliche Überhebung drückte die Gewalt des Krieges bald zu Boden. Jetzt, wo ein Schicksal über alle entschied, verwischten sich auch die von Menschenwitz ausgeklügelten Standesunterschiede. Mensch zu Mensch. Die Soldaten hingen mit kameradschaftlicher Bewunderung und Liebe an ihren Führern, von denen sie wußten, daß sie sich keine Ruhe gönnten bevor der letzte Mann nicht versorgt war. Gewiß, es gab Ausnahmen, aber sie blieben Ausnahmen. Trotz der strengen Disziplin wurden auch Fälle häßlicher Ausschreitungen bekannt, die eine harte Strafjustiz erforderlich machten. Aber das war sicher, wer draußen durch eine Kugel auf dem Sandhaufen endete, und die, welche ohne die militärischen Ehrenzeichen heimgeschickt wurden, die wären auch daheim dem Spruche des Staatsanwaltes verfallen. Es blieben Ausnahmen, häßliche Ausnahmen, gegenüber der Masse von herrlichen Beispielen deutscher Soldatentreue, von Kameradschaftlichkeit und schonender Milde gegenüber dem besiegten Feinde.

Immer neue Schlachten, neue Siege und neue Verlustlisten. Wie lange sollte dieses furchtbare Ringen noch dauern, das die Länder entvölkerte und die jugendfrische Blüte der Nationen unter dem grünen Rasen bettete? Daheim lagen täglich Millionen auf den Knien und flehten zum Himmel, daß er dem mörderischen Schlachten, den Blutopfern des Volkes ein Ende machen möge. Und immer neue Schlachten, neue Gefechte, neue Verlustlisten. Immer mehr Menschen erschienen daheim in schwarzer Kleidung, lebten mit verweinten Augen ihr Alltagsleben stumm und teilnahmlos dahin, ein Leben, dem jede Zukunftshoffnung fehlte, ein Leben, vor dem sich erdrückende Sorgen türmten, und immer neue Schlachten. Es war etwas anderes, draußen im Feindeslande dem Gegner frei und offen ins Auge zu sehen, die Waffe in der Hand, die die Entscheidung barg; anders daheim, wo man den Klang der Siegestrommeten nicht hörte, wo man nur die langen Züge der Verwundeten sah und nur die Opfer zählte, die dieser Riesenkampf tagtäglich erforderte.


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