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Der Union Jack im Kieler Hafen.

Von dem Verbleiben der englischen Truppentransportdampfer hatte man nichts wieder gehört, seitdem der »Friedrich Karl« einen von ihnen zerstört hatte. Es hieß – so wurde wenigstens von der dänischen Küste gemeldet – die Mehrzahl der Schiffe liege irgendwo auf hoher See. Da man nach dem Schicksal Hollands und Belgiens nicht sicher war, ob England nicht etwa über die Neutralität Dänemarks ebenfalls einfach zur Tagesordnung übergehen werde, blieb das 9. Armeekorps verstärkt durch Teile des 10., einstweilen in Schleswig-Holstein stehen und übernahm zusammen mit dem 2. Korps den Schutz der Ostseeküste, während die Strecke zwischen Cuxhaven und der Emsmündung durch die 19. Division (Hannover) verteidigt wurde. Überall an der Küstenlinie waren Beobachtungsposten verteilt, die durch Telegraphenleitungen untereinander in Verbindung standen; dazu trat der Dienst auf den Funkspruchsstationen. So glaubte man sich gegen eine Überraschung gesichert, zumal auf allen Bahnhöfen Vorbereitungen getroffen waren, um die hinter der Seefront konzentrierten Truppen sofort nach einem bedrohten Punkte in Bewegung setzen zu können.

Die englischen Kreuzer, die flinken »Scouts« und zahlreiche Hochseeboote patrouillierten an den deutschen Küsten, mußten demzufolge von den vorhandenen Sicherheitsmaßregeln unterrichtet sein, und so durfte man sich in England kaum der Illusion hingeben, jetzt noch etwas durch eine Überraschung erreichen zu können. Die jütische Halbinsel war durch einen starken Truppenriegel von deutscher Seite abgeschlossen und außerdem verständigte der russische Gesandte in Kopenhagen seinen englischen Kollegen vertraulich davon, daß Rußland eine Verletzung der Neutralität Dänemarks als eine unfreundliche Handlung ansehen werde. Nach dieser Richtung hatte sich der Einfluß der Zarin-Mutter geltend gemacht. Im Hinblick auf die indische Grenze galt es also für die Londoner Regierung, hier politisch zu verfahren, um Rußland nicht an den Dreibund heranzudrängen.

Der monotone Küstenwachtdienst wirkte bald ermüdend auf die Truppen, die vor Begierde brannten, sich mit dem Feinde zu messen, und hier nichts weiter zu tun hatten, als Tag für Tag mit dem Teleskop die leere See zu beobachten und den Horizont nach Rauchwolken ferner Dampfer abzusuchen. Man wirkte dieser gedrückten Stimmung dadurch entgegen, daß man einen strammen Garnisonsdienst unterhielt und durch Felddienstübungen und scharfes Exerzieren den Leuten Beschäftigung gab. Man lag also auf der Lauer gegenüber einem Feinde, den man kaum sah und von dessen Anwesenheit nur die Silhouetten der vor Kiel kreuzenden englischen Flotte und die hier und da auftauchenden englischen Kreuzer Zeugnis gaben. Gelegentlich bei rauhem Wetter oder wenn Frühjahrsnebel die Fernsicht hinderte, kamen die englischen Schiffe auch näher heran und sandten einige Granaten nach den Beobachtungsstationen oder übten ihre Artilleristen im Schießen nach diesem oder jenem Seebad.

Am Abend des 13. April, es war Karfreitag, schob der auf dem Bungsberge nordöstlich von Eutin stationierte Posten mißmutig sein Fernrohr zusammen und gab auf seinem Morseapparat die telegraphische Meldung nach Kiel: »Vom Feinde nichts sichtbar, die Fernsicht durch Dunst behindert. Die Meldungen von den beiden Stationen auf Fehmarn lauten ebenso, seitdem ein großer Kreuzer mit drei Schornsteinen, von Osten kommend, nachmittags den Fehmarn-Belt in der Richtung auf Kiel passiert hat«.

* * *

Als am Morgen des 14. April die Uhr auf dem Lütjenburger Kirchturme die fünfte Stunde verkündete, raste auf der von Lütjenburg nach Kiel führenden Chaussee ein blauer Husar im schärfsten Galopp dahin. Die Hufe seines schweißbedeckten Pferdes schlugen hart auf der Chaussee auf und in Windeseile wollte der Reiter gerade eine Kurve des Weges nehmen, als das Pferd sich plötzlich hoch aufbäumte, sich dann überschlug, und den Reiter in hohem Bogen in den Graben warf, wo er mit gebrochenem Genick neben einem weißen Kilometerstein regungslos liegen blieb. Das Pferd kugelte ebenfalls in den Graben und zerhieb mit den zappelnden Beinen das Buschwerk der Hecke. Rasch sprangen aus dem Knick zwei grau gekleidete Gestalten, schleiften den toten Reiter durch das Haselgestrüpp ins Ackerfeld und warfen ihm seine Lanze nach, die zitternd im weichen Erdreich stecken blieb. Der Husar war durch einen in Manneshöhe über die Chaussee gespannten Draht zu Fall gebracht worden.

Wenige Minuten darauf trabte von fern her auf schwerfälligem Ackergaul ein zweiter Reiter heran, ein Bauernbursche. Kaum hatte er das Versteck der beiden erreicht, so fielen sie ihm in die Zügel. Ein ihm auf die Brust gesetztes Bajonett brachten den Mann zum Schweigen, er ward gebunden, der Mund wurde ihm mit einem Tuch verstopft, und, ehe er sich besann, war er von kräftigen Armen hinter den Knick geschleppt und lag nun hilflos neben den beiden Leuten, die auch sein Pferd rasch einfingen und aufs Feld trieben, wo es ruhig zu fressen begann. Wieder war alles ruhig. Leise unterhielten sich die beiden Grauen in englischer Sprache, da sauste auf der Chaussee ein Automobil heran, blitzschnell passierte es den Standpunkt der beiden Posten, die die acht Insassen der Maschine mit leisem Pfiff begrüßten. Aus der Richtung von Kiel dröhnte bald darauf ein dumpfer Ton, andere folgten, und nach einer Pause brummte es von drüben her wie ferner Donner, der den Boden leise erzittern ließ. Die englische Flotte hatte das Bombardement der Kieler Hafenforts eröffnet.

Jetzt begann sich der dicke Dunst der Morgenfrühe in einen feinen rieselnden Regen aufzulösen. Zu gleicher Zeit liefen in Kiel von der Beobachtungsstation Hessenstein und Bungsberg die Meldungen ein: Verbindung nach den Küstenstationen unterbrochen, Regenwetter.

Die Verbindungen nach der Küste waren in der Tat unterbrochen worden; nicht durch einen Zufall, sondern durch feindliche Hände. Die englischen Transportdampfer hatten am Abend des 13. April noch außer Sicht der deutschen Küste im Großen Belt gelegen und hatten sobald die Sonne gesunken war, von dänischen Lotsen geführt, die Fahrt durch den Langelandbelt zwischen Laaland und Langeland auf die Hohwachter Bucht angetreten. Sie waren im nächtlichen Dunkel unbemerkt geblieben. Etwa um 11 Uhr abends waren am Strande unweit Hohwacht ungefähr ein Dutzend Boote gelandet. Die Mannschaften hatten sich lautlos an die beiden hier am Strand befindlichen kleinen Detachements herangeschlichen – deren Stellungen ein paar Tage zuvor ein englischer Zerstörer ausgemacht hatte – und hatten zunächst deren rückwärtige telegraphische Verbindung, die etwa um Mitternacht aufgefunden wurde, zerschnitten und deren Enden an ihre eigenen mitgeführten Morseapparate angeschlossen. Zwei Patrouillen am Strande und mehrere einzelne Posten wurden – ohne daß ein Schuß fiel – überwältigt. Um 12 Uhr befanden sich etwa 300 Engländer am Lande, umstellten die beiden schwachen deutschen Feldwachen und machten die schlafenden Leute, die nicht mehr zu ihren Gewehren gelangen konnten mit dem Bajonett nieder. Die Engländer hatten nun eine Strecke von rund 10 km am Strande frei zur Verfügung, wo sich kein deutscher Soldat mehr befand.

Um durch die Dampfmaschinen an den Ladekrähnen auf den Transportschiffen keinen Lärm zu verursachen, der in der stillen Nachtluft weit vernehmbar werden mußte, hatte man die Entladung der Transportdampfer weiter draußen vollzogen, was bei dem schwachen Seegang keine Schwierigkeiten machte. Hierbei kamen den Engländern die mächtigen Holzflöße, die Torpedoboote aus dem Großen Belt hierher geschleppt hatten – sie entstammten der Ladung mehrerer gekaperter Holzdampfer – sehr zu statten. Draußen auf der See wurden die Truppen auf diesen Flößen verladen und diese dann durch Torpedoboote in die Nähe der Küste geschleppt, wo sie durch Ruderboote und durch lange Stangen dem Strande näher geschoben wurden. Diese Flöße durch die Pinassen der Kriegsschiffe heranschleppen zu lassen vermied man, um die Landung nicht durch die heftig ratternden Maschinen der kleinen Dampfboote zu verraten. Um 2 Uhr nachts standen etwa 2000 Engländer am Strande, und als im Osten das erste Dämmerlicht des 14. April sichtbar wurde, war ihre Zahl bereits auf 5000 Mann angewachsen. Gleichzeitig entluden zwei Transportdampfer ebenfalls auf Flößen die Pferde der Kavallerie und, was das wichtigste war, zwei Dutzend großer Automobile, die imstande waren je einen leichten für 30 Mann Raum bietenden Wagen zu ziehen.

Von den Pferden erwies sich allerdings die Mehrzahl, infolge des langen Aufenthaltes auf hoher See, als wenig brauchbar. Immerhin konnte die erste Kavalleriepatrouille von 20 Mann bereits um 1 Uhr abrücken, um zunächst die nach Kiel führende Chaussee zu gewinnen. Vier Automobile folgten ihnen und um die Zeit des Sonnenaufganges hatten die englischen Aufklärungstruppen den halben Weg nach Kiel zurückgelegt.

Zwar war die Landung nicht völlig unbemerkt geblieben, in mehreren Dörfern hatten die Hunde angeschlagen. Jedoch maßen die Dorfbewohner dem Gebell keine Bedeutung bei, da man an Truppendurchzüge gewöhnt war. Auch die auf der Chaussee auftauchenden Reiter waren für die an die Feldarbeit gehenden Bauern keine auffallende Erscheinung. Der wogende Nebel verhinderte jede Fernsicht und entzog die Vorgänge am Lande den Blicken der höher gelegenen Beobachtungsstationen auf dem Hessenstein und auf dem Bungsberge. Zudem hatten die Engländer die Vorsicht benutzt, den Bauernhöfen und den Dörfern gewissermaßen zunächst die Windseite abzugewinnen und durch Radfahrerposten zu sichern. Die sich immer weiter auf Kiel zuschiebenden englischen Vortruppen zerstörten überall sofort die Telegraphenverbindungen und unterbanden so jede Nachrichtenübermittelung. Als dann die Automobile mit ihrer Truppenbesatzung die Fahrt nach Kiel begannen, hatte man dort keine Ahnung, was sich in der Nacht am Strande ereignet hatte.

* * *

Die zweite Abteilung des englischen Landungskorps hatte ihre Landung etwas weiter nordwestlich bewerkstelligt. Hier hatte man auch drei Batterien schwerer Haubitzen ausgeschifft. Diese trafen von den neukonstruierten Automobilprotzen gezogen, gegen 5 Uhr vor der kleinen Bahnstation Schönberg ein, wo sich rasch ein Gefecht zwischen der die Besatzung des Dorfes bildenden Kompagnie und der englischen Infanterie entsponnen hatte. Das waren die ersten Schüsse, die überhaupt fielen. Die Kompagnie verbarrikadierte sich in den Häusern zu beiden Seiten der Dorfstraße, ihre Streitkräfte um die Bahnstation konzentrierend. Wollten die Engländer überhaupt etwas erreichen, so konnte das nur durch ein überraschendes Auftreten geschehen; von dieser Erwägung geleitet ließen sie Schönberg rechts liegen und verzichteten überhaupt auf die ursprünglich geplante Benutzung der Eisenbahnlinie, da das geringe vorhandene rollende Material auf dem Bahnhofe durch die tapfere kleine deutsche Truppe verteidigt wurde.

Zwar wurde das Schießen in der Morgenfrühe von Fort Stosch aus gehört. Man fragte durch Funkspruch hinüber, erhielt jedoch von der bereits in englischen Händen befindlichen Station in Schönberg keine Antwort und meldete nun seine Beobachtungen nach Kiel, wo alsbald konstatiert werden konnte, daß auch die Telegraphenverbindung nach Schönberg zerstört sei. Der Morseapparat des Bahntelegraphen klapperte seltsame Zeichen herunter, was man zunächst darauf zurückführte, daß infolge des Regenwetters irgend eine Nebenleitung auf der Linie entstanden sei. Jene Antworten aus Schönberg kamen jedoch nicht aus dem Orte selber, sondern von der durch britische Truppen bereits besetzten Station Probsteierhagen, wo sich englische Telegraphisten des deutschen Morsealphabets zu bedienen suchten. Als kurz darauf dann das Bombardement der Kieler Hafenforts durch die englischen Schiffe einsetzte, wandte sich die ganze Aufmerksamkeit diesem Kampfe zu.

Der Beginn des Kanonendonners von der See her, der die Fensterscheiben in der Stadt erklirren ließ, hatte die Bevölkerung Kiels aus dem Schlafe aufgeschreckt. Gleichzeitig hörten die Bewohner der Kaiserstraße in Gaarden, dem Stadtteil auf der östlichen Seite des Hafens, die schmetternden Morgensignale aus der Kaserne der I. Werftdivision herüberschallen. Als sie an die Fenster eilten, konnten sie nur konstatieren, daß in der stillen Straße noch nichts zu sehen war, und außer den Kommandos auf dem Kasernenhofe drüben und dem fernen Kanonendonner war auch nichts Außergewöhnliches zu hören. Da bogen von der Preetzer Chaussee her kommend zwei Automobile im raschen Tempo in die Straße ein, zwischen den Häusern mit ihrem rasselnden Mechanismus ein hallendes Echo weckend. Auf den beiden Fahrzeugen und den ihnen angehängten Transportwagen sah man Leute in grauer Uniform, mit Mützen, die, ähnlich den für die deutschen Automobilabteilungen gebrauchten, vorn die Zahl 10 zeigten; es war also anscheinend eine Automobilabteilung des 10. Korps. Unter den verschiedenartigen Uniformen, die tagtäglich auf den Straßen der Stadt auftauchten, war es für den Zivilisten ohnehin schwer sich zurecht zu finden und auch die Marinetruppen hatten oft Mühe, sich alle Farbennuancen der Landtruppen zu merken.

Die beiden Automobile passierten die Marinekasernen, und der Offizier auf dem ersten Fahrzeuge grüßte mit lässiger Handbewegung den strammstehenden Posten vor dem Kasernentor. Etwas verwundert über die fremdartige Erscheinung auf der Straße verfolgte dieser den Weg der Automobile, die jetzt in die Norddeutsche Straße einbogen und seinen Blicken entschwanden. Auch der etwas verschlafene Posten am Eingang der Werft salutierte und ließ die Fahrzeuge passieren. Diese fuhren in den Werftbezirk ein und machten seitwärts vor den vier großen Trockendocks Halt; ihre Insassen sprangen herunter und schleppten einige kofferähnliche Gegenstände nach der Richtung der Docks, wo ihnen einige Werftarbeiter ahnungslos Platz machten. Einzelne von den Automobilfahrern gingen entlang der Kaimauer des Baubassins, wo der Kreuzer »Amazone« in Reparatur lag und gingen langsam auf das Ende des Uferdammes zu, wo sich der gewaltige, turmartige Eisentank zur Aufbewahrung der Masutfeuerung erhebt.

Aus dem Tore der Marinekaserne trat inzwischen eine Abteilung Marineinfanterie gerade auf die Straße, um nach dem Hafen zur Landungsbrücke hinunter zu marschieren. Die regennasse Straße lag noch im tiefsten Frieden, und auf dem blanken Pflaster hallten die Schritte der Leute, als sie nach Verlassen des Tores Tritt faßten, laut wider. Die trübe Stimmung des Regenmorgens teilte sich auch den Mannschaften mit, und verdrossen schoben sie sich vorwärts. Als sie gerade in die Augustenstraße einbiegen wollten, klapperte von links her ein neues Automobil mit seinem Anhängewagen heran und wollte vor der Abteilung noch vorübersteuern. Der führende Leutnant der Marineinfanterie rief dem Offizier auf dem Automobil zu: »Herr Kamerad, lassen Sie uns erst vorüber, es geht nach Friedrichsort«. In der Aufregung dieses kritischen Momentes vergaß sich aber der »Herr Kamerad« und fiel aus der Rolle, indem er den Maschinisten zurief: » Go on«. Ein fragender Blick des deutschen Offiziers. »Wo wollen Sie hin?« rief er dem Fremden zu. Es erfolgte keine Antwort. Alles dies entschied sich mit Gedankenschnelle.

Das Automobil brauste heran und einzelne von den Mannschaften auf dem Anhängewagen nahmen instinktiv die Gewehre hoch. Da ertönte auf deutscher Seite der Ruf: »Es sind Engländer«. Die Ordnung der Kompagnie löste sich auf, ein paar Schüsse erklangen, deutsche und englische Flüche, ein rasches Handgemenge. Das Automobil lag mit zerschossenen Radreifen seitwärts auf dem Pflaster, mit seinem schnaubenden und klappernden Mechanismus einen fürchterlichen Lärm machend. Der Anhängewagen stand quer über die Straße, die Engländer wurden heruntergezerrt. Einige lagen blutend auf der Straße.

Von den wenigen Überlebenden der Szene wurde dann berichtet: Plötzlich sei vor ihnen eine weiße Feuergarbe aus dem Straßenpflaster aufgeschlagen, und als sie wieder zur Besinnung gekommen, hätten sie, während der Knall der Explosion ihnen noch in den Ohren gellte, vor sich einen schwarzen trichterförmigen Krater gesehen, die Straße besäet mit Leichen und zerfetzten Körperteilen. Die nächsten Häuser völlig demoliert, kein Fenster mehr heil, soweit das Auge reichte. Die Explosion war dadurch entstanden, daß entweder absichtlich oder unabsichtlich – genaues ließ sich nicht mehr feststellen – die auf dem Automobil mitgeführte kolossale Ladung von Schießbaumwolle zur Entzündung gebracht worden war.

Langsam rieselte der feine Aprilregen auf diese Szene der Verwüstung hernieder, das verspritzte Blut in breiten Bächen in den Straßengossen mit fortwaschend. Als die 2. Kompagnie im Laufschritt und ohne Ordnung aus der Kaserne auf die Straße eilte, schlug es vom Uhrturm der Kaiserlichen Werft gerade 6 Uhr und gleichzeitig tönten von der Werft her mehrere rasch aufeinanderfolgende Detonationen und hinter ihrem Gebäudekomplex stiegen an mehreren Stellen schwarze Rauchwolken auf, in denen dunkle Körper mit in die Luft gerissen wurden. Wüstes Geschrei und scharfe Kommandoworte folgten. Alles eilte nach der Werft. Dort standen unweit des Einganges zwischen den langgestreckten Gebäuden die beiden englischen Automobile, zwischen den Schienengleisen völlig verlassen da.

Die Mannschaften der Automobile hatten die auf den Maschinen mitgeführten Sprengkörper an und zwischen den Toren zweier Trockendocks zur Explosion gebracht. Zwischen der Kaimauer des Baubassins und dem Kreuzer »Amazone« war eine weitere Mine explodiert. Die »Amazone« lag mit ihren Masten und Schornsteinen schräg auf dem Dache des Schuppens, am Kai, und Zoll um Zoll sank der Schiffskörper, sich langsam von der Ufermauer abdrängend, ins Wasser ein. Dieses war von einer braunen opalisierenden Flüssigkeit bedeckt, dem aus dem riesigen Tank ins Wasser strömenden Masut. In den beiden beschädigten Trockendocks lagen die Küstenpanzer »Hagen« und »Siegfried«. Beide Fahrzeuge wurden durch den ins Dock einbrechenden Wasserschwall hin und her und gegen die Docksmauern gestoßen. Von allen Seiten strömten jetzt die Werftarbeiter nach der Unglücksstätte zusammen und standen in schwarzen Scharen auf den Uferkais. Vergebens versuchten einige Werftpolizisten und Marinebaumeister die Menge zurückzutreiben, ihre Warnung vor der drohenden Gefahr war umsonst, da nur die ersten Reihen der Arbeiter sie verstanden, diese aber von den von hinten nachdrängenden immer weiter vorwärts geschoben wurden.

Wie es gekommen, blieb rätselhaft; plötzlich war die breite Wasserfläche des Baubassins und das daranstoßende Ausrüstungsbassin ein gelbes zum Himmel aufwallendes Flammenmeer. Der ausgeflossene Masut war in Brand geraten. Nur mit Mühe gelang es, einige im Ausrüstungsbassin liegende Schiffe in den Hafen hinauszubringen. Die »Amazone«, die beiden Kreuzer »Blitz« und »Pfeil«, sowie zwei größere Torpedoboote lagen in dem lodernden Feuermeer und waren für jede Hilfe unerreichbar. Nur mit Mühe bahnte sich an der Stelle, wo die vor Wut fast rasenden Arbeiter und Soldaten die wenigen überlebenden Engländer buchstäblich in Stücke traten, die Werftfeuerwehr mit ihren Dampfspritzen den Weg zum Kai, um unter größter Lebensgefahr die Schuppen und Ausrüstungsgebäude zu retten. Das Masutbassin, aus dem der Feuerungsstoff durch das von der Explosion gerissene Loch einem sprudelnden Lavabach gleich hervorquoll, brannte knatternd und rauschend wie eine qualmende Riesenfackel am Kopfende der Kaimauern.

In der Stadt Kiel hatte der Kanonendonner und die ungeheueren Explosionen auf der Werft, die keine Fensterscheibe in Gaarden heil ließen, alles auf die Straßen gejagt. Von allen Seiten steuerten kleine Fahrzeuge und Schleppdampfer über den Hafen nach der Gaardener Seite hinüber. Der ganze Hafen hallte wider von dem gellenden Schreien der Sirenen und dem dumpfen Heulen der Dampfpfeifen, während von der See her der Kanonendonner wie ein fernes Gewitter grollte. Daß es sich hier um einen englischen Angriff handelte, war klar, nur der Feind war den Augen noch verborgen. Eine fieberhafte Erregung und eine dumpfe Wut machte sich überall geltend, und die durch den Erfolg des Feindes geschärften Augen wachten mißtrauisch über jeder fremdartigen Erscheinung.

Der kleine weiße Werftdampfer »Schneewittchen«, der von der Holtenauer Kanalmündung in voller Fahrt schräg über die Föhrde der brennenden Werft zueilte, traf mitten im Fahrwasser gegenüber von Bellevue auf einen kleinen Kieler Vergnügungsdampfer, der allein von allen Fahrzeugen auf der Wasserfläche in der Richtung nach dem westlichen Ufer fuhr.

An Bord sah man nur ein paar Leute in grauer Uniform, mit großen breitrandigen Mützen, ähnlich der Uniform der deutschen Automobiltruppen. Dem Führer des »Schneewittchen« fiel dies auf. Ohne daß er sich Rechenschaft über die Richtung seiner Gedanken geben konnte, änderte er den Kurs und steuerte direkt auf den verdächtigen Dampfer zu. Auf etwa 50 m Entfernung rief er ihn an, erhielt keine Antwort, rief nochmals hinüber, wieder keine Antwort. Die finsteren Mienen der grauen Männer am Bord des Dampfers und ihre abweisende Haltung gegenüber dem Anruf mußten Argwohn erwecken. Kurz entschlossen hielt der Führer des »Schneewittchen« direkt auf das andere Fahrzeug zu. Lautlos aber setzte dieses seinen Weg fort. Es konnte nicht anders sein, das war der Feind.

Da das »Schneewittchen« kein Geschütz an Bord hatte und ihr Führer nicht über ein einziges Gewehr verfügte, so blieb nur eine Möglichkeit: er rannte das geheimnisvolle Fahrzeug einfach an. Weit bohrte sich der scharfe Bug des »Schneewittchen« in den schwarzen Körper des kleinen Hafendampfers, zwei Minuten und er war mit dem größten Teil seiner Besatzung unter den Wellen verschwunden. Zwei Engländer wurden in den Wellen aufgefischt und an Bord des »Schneewittchen« genommen, das jetzt mit seinem zerdrückten Bug Not hatte, noch die Landungsbrücke von Bellevue zu erreichen. Die Aussagen der Engländer rechtfertigten die Vernichtung des verdächtigen Dampfers vollkommen.

Eine englische Automobilabteilung hatte nämlich Neumühlen erreicht und den dort liegenden kleinen Hafendampfer, der bereits Dampf auf hatte, um kurz nach 6 Uhr nach Kiel hinüberzufahren, weggenommen. Sie hatte ihre für die Zerstörung der Holtenauer Kanalschleusen bestimmten Sprengminen an Bord untergebracht und befand sich bereits auf dem Wege nach der Kanalmündung, als das Schicksal sie ereilte. Nur durch das entschlossene Vorgehen des Führers des »Schneewittchen« war eine Katastrophe verhindert worden, eine Tat, die mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse belohnt wurde.

Es dauerte mehrere Stunden bis die brennenden Gebäude der Werft gelöscht waren – der Materialschaden war, da der Ausrüstungsbestand in den drei verbrannten Schuppen nicht mehr sehr groß war, nur gering – und der auf der Wasserfläche schwimmende Masut sich langsam verzehrt hatte.

Da nunmehr die Kieler Garnison alarmiert war und ein unablässiger Strom von Truppen über Neumühlen und um die Kieler Föhrde herum über Gaarden und ferner auf der Bahnlinie nach Rasdorf geführt wurde, war jedem englischen Angriff nach dieser Richtung vorläufig ein Ziel gesetzt. Ein solcher war auch gar nicht beabsichtigt gewesen. Der Zweck des außerordentlich kühnen und mit großem Geschick durchgeführten Handstreichs der englischen Landungstruppen war mit der Inbrandsetzung der Werft leider nur zu gut erreicht worden. Die Absichten auf die Holtenauer Kanalschleusen und auf die Germaniawerft waren durch das schnelle Eingreifen des »Schneewittchen« und durch die vorzeitige Explosion des Automobils vor der Marinekaserne glücklicherweise vereitelt worden.

Aber die Lage war dennoch ernst. Während die englische Panzerflotte, unter dem Schutz des Regenwetters, näher an die Küste herandampfend, die Hafenforts mit ihren schweren Geschützen bombardierte, wurde ihr Vorgehen durch die Operation der Landungsarmee wirksam unterstützt.

Bei dem unsichtigen Wetter hatten die Forts Korügen und Heikendorf bisher nicht in das Gefecht eingreifen können. Die englischen Schiffe waren von ihnen aus nur verschwommen erkennbar und wollte man nicht seine Munition aufs Geratewohl verschwenden, so war einstweilen eine Zurückhaltung des Feuers geboten. Des Kommandos harrend, standen die Kanoniere im Fort Korügen an ihren Geschützen, nach dem grauen Durcheinander am Eingang der Föhrde hinter dem Leuchtturm von Friedrichsort scharf auslugend, wo das Aufflammen gelber Blitze die ungefähre Lage des Angreifers erkennen ließ. Die weißen Kasernen von Friedrichsort brannten seit 7 Uhr, mit ihrem schmälenden Rauch die ganze Uferlinie verhüllend. Auf der Föhrde lagen die fünf Panzer der »Braunschweig«-Klasse, sowie die »Deutschland«, gegenwärtig des Momentes, da ein Vorstoß auf den Feind Erfolg versprach. Leise rieselte der unablässig fallende Regen herab.

Da platzte plötzlich auf der Traverse zwischen zwei Geschützen im Fort Korügen ein feindliches Geschoß, die Artilleristen mit Sand und Grasstücken überschüttend. Dann noch eins und noch mehrere, im inneren Hofe des Forts. Da die feindlichen Granaten von der See her nicht bis hierher reichten, mußten diese Schüsse von anderwärts kommen. Eine auf dem Podest einer Lafette explodierende Granate warf das Geschütz aus ihr heraus und gegen die Traverse. In die allgemeine Bestürzung über solche Feuerwirkung eines unsichtbaren Gegners wandten sich alle Blicke nach rückwärts. Im gleichen Moment erscholl hinter dem Fort kräftiges Kleingewehrfeuer. In raschem Laufe kamen einige Artilleristen in das Fort gerannt und riefen: »Die Engländer!« und schon wurden die ersten in Khaki gekleideten Feinde sichtbar. Schnell entschlossen begegnete der Kommandant des Forts dieser neuen Gefahr. Er ließ die zur Sicherung nach der Landseite aufgestellten wenigen Revolvergeschütze und Maschinengewehre bemannen und in wenigen Minuten setzte deren Feuer ein. Doch der Kampf war aussichtslos. Die geringe Besatzung des Forts sah sich einem ungefähr zehnfach überlegenen Feinde gegenüber, der außerdem durch das Feuer seiner Haubitzbatterien und durch zahlreiche Maschinengeschütze unterstützt wurde, während die deutsche Festungsartillerie nach dieser Seite überhaupt nicht gebraucht werden konnte. Nichtsdestoweniger fand der Feind energischen Widerstand.

Daß man es auf englischer Seite mit einer Elitetruppe zu tun hatte, zeigte sich, als der Feind von drei Seiten zum Sturme überging und im Laufschritte das freie Terrain vor dem Fort, das von dem deutschen Maschinenfeuer mit Geschossen übersät wurde, passierte. Die Sturmkolonne mochte an 3000 Mann zählen und sie erzwang sich, nachdem mehr als die Hälfte von ihr gefallen, tatsächlich den Eingang in das Fort, in dem nur wenige Überlebende noch angetroffen wurden.

Die Engländer schafften sofort ihre Maschinengeschütze und ihre Haubitzbatterien auf die Wälle und nahmen von hier aus auch die Heikendorfer Batterie unter Steilfeuer. Es war wirklich der letzte Moment, daß die Engländer Fort Korügen nehmen konnten. Denn kaum hatten sie sich darin eingerichtet, so wurden die deutschen Schützenlinien landwärts sichtbar, die die nach Süden vorgeschobenen englischen Truppen vor sich hertrieben. Hier jedoch kam die deutsche Verfolgung zum Stehen, da die in den Erdwällen des Forts eingegrabenen englischen Schnellfeuergeschütze und Maschinengewehre, die ein rasendes Feuer begannen, vorläufig Halt geboten. Von Schönberg her, wo die deutsche Abteilung endlich in einem erbitterten Dorfgefecht überwältigt worden war, rückten jetzt weitere englische Streitkräfte heran und verstärkten von Fort Korügen die Stellung nach Osten hin unter Anlehnung an die kleine Bahnlinie, so daß der Ort Probsteierhagen allmählich zum Zentrum der englischen Front wurde. Da aber von Süden her immer mehr deutsche Truppen in das Gefecht eingriffen, wurde der anfängliche Zahlenunterschied auf beiden Seiten allmählich ausgeglichen.

Es befand sich also der ganze Abschnitt zwischen Fort Korügen, Probsteierhagen und Lütjenburg, mit Ausnahme des Forts Stosch und anderer Küstenbatterien in englischen Besitz. Doch war der Feind gezwungen, nach einem Gefecht westlich des Selenter Sees und einem zweiten um Lütjenburg, wohin mit der Bahn von Eutin mehrere Bataillone geworfen worden waren, dort seine Streitkräfte zurückzunehmen und sich nach Norden zu konzentrieren. Wenn jetzt das Bombardement der Engländer einen Erfolg auch an anderer Stelle am Eingang des Kieler Hafens gehabt hätte, so war Kiel durch einen Vorstoß der englischen Flotte zu nehmen.

Die von englischen Artilleristen bedienten Geschütze im Fort Korügen und die dort installierten englischen Haubitzen begannen alsbald mit dem Feuer auf die Hafenforts und die deutschen Linienschiffe, diese konnten nur schwach erwidern, da man Gefahr lief, in die hinter Korügen liegenden Schützenlinien der deutschen Infanterie hineinzutreffen, was auch mehrfach geschah. Nur mit dem Steilfeuer der Mörserbatterien war unter diesen Umständen Fort Korügen beizukommen. Und dieses wurde denn auch wirksam eröffnet. Gleichzeitig verließen die fünf Schiffe der »Braunschweig«-Klasse, geführt von der »Deutschland«, ihren Liegeplatz und dampften, rechts an der Ruine des Friedrichsorter-Leuchtturms vorübergehend, auf die Reede hinaus dem Feinde entgegen.

Die Artilleristen in den Hafenforts hatten mit Anspannung aller Kräfte bisher das feindliche Bombardement erwidert, man war sich jedoch darüber klar, daß man infolge des unsichtigen Wetters dem Gegner nicht viel Schaden zugefügt hatte. Selber hatte man freilich auch nicht sehr gelitten. Noch einmal schwoll der Geschützkampf zu voller Wut an, die Erde erdröhnte unter dem Gebrüll von Hunderten der schwersten Kaliber. Seewärts hinter der grauen Regenwand lauerte der übermächtige Feind, dessen Schiffe jeden Moment aus dem Dunstschleier hervortauchen konnten. Rechts auf Korügen standen englische Schiffsartilleristen hinter deutschen Geschützen und die grünen Erdwälle der deutschen Trutzfeste, über der der Union Jack wie ein nasser Lappen in der feuchten Luft hing, wurden von deutschen Granaten zerrissen. Eine furchtbare Krisis, die Männer von Stahl und Herzen von Eisen erforderte.

Jetzt lenkte die »Deutschland«, in den Toppen die Flagge des Reiches, durch die Lücke in der äußeren Minensperre und in Kiellinie folgten ihr die fünf Schiffe der »Braunschweig«-Klasse, diesen wieder zwei Küstenverteidiger. Es waren die einzigen Streitkräfte, über die man in Kiel verfügte. Denn die von Cuxhaven herbeigerufenen Linienschiffe der »Kaiser«- und »Wittelsbach«-Klasse konnten erst nach Stunden durch den Kanal eintreffen. Jetzt maskierte die »Deutschland« das Feuer der Forts und langsam verstummte ein Geschütz nach dem anderen hinter den deutschen Bastionen. Eine furchtbare Stille trat auf Minuten ein und nur von rechts her klapperte taktmäßig das Infanteriefeuer weiter. Nun dröhnten die Geschütze der deutschen Schiffe und alles verschwand hinter dem grauen Regenschleier des Aprilmorgens. Es war vom Lande aus unmöglich dem Gange des Gefechtes zu folgen, unablässig brüllte der Donner von der See her, und in den Lärm der schweren Geschütze mischte sich das hellklingende, bellende Schnarren der Maschinengeschütze.

Die Ufer der Kieler Föhrde waren von den Einwohnern der Stadt in schwarzen Massen umsäumt. Aller Augen starrten nach der Seeseite, wo die Entscheidung über das Schicksal von Kiel fallen sollte. Langsam sanken die Flammen der brennenden Werft in sich zusammen. Hier war die Gefahr gedämpft, aber die aus den Dörfern der Probstei von der Front im Hauptquartier des IX. Armeekorps einlaufenden telegraphischen und telephonischen Meldungen, wußten noch von keinen durchschlagenden Erfolgen. Im Gegenteil, es schien, als ob der Kampf nach anfänglichen Vorteilen auf deutscher Seite zum Stehen gekommen war, und als ob die Stärke der englischen Truppen von Viertelstunde zu Viertelstunde wuchs. Um 11 Uhr ließ der Regen nach, zuweilen brach die Sonne durch und nur vor der Hafenmündung lagerte eine dicke Dunstwolke. Jetzt löste sich von diesem grauen Hintergrund ein hellerer breiter Schiffskörper, an der Mastspitze flatterte träge die Flagge mit dem schwarzen Kreuz. Also ein deutsches Schiff, noch kein Engländer.

Es war der Küstenpanzer »Odin«, zu einem fast unkenntlichen Wrack zerschossen, das aus den Stümpfen der über Bord gegangenen Schornsteine Rauch und Flammen spie. Beim Friedrichsorter Leuchtturm wurde der »Odin« von einem Seeschlepper ins Tau genommen und durch die Lücke in der Minensperre hineinbugsiert. Als es diese passierte erschien an dem vorderen, dem einzigen noch stehenden Mast ein Signal; schnell entziffert, enthielt es die Meldung: »Angriff des Feindes abgeschlagen«. Weiter nichts. Draußen auf der See erfolgten jetzt ein paar krachende Explosionen, dann setzte wieder das regelmäßige Gebrüll der schweren Geschütze ein, das aber jetzt größere Pausen zu machen begann. Einhalb 12 Uhr kroch aus den wallenden Nebelmassen draußen wiederum ein zerschossenes Wrack hervor, ohne Masten und Schornstein, es war schwer, in ihm das einst so stolze Flaggschiff »Deutschland« zu erkennen. Ihm folgten, mit Schlagseite nach Backbord, der Panzer »Elsaß« und die verhältnismäßig intakte »Braunschweig«, die drei anderen »Lothringen«, »Preußen« und »Hessen«, sowie der Küstenpanzer »Aegir« waren vom Feinde vernichtet worden. Man erwartete mit Bestimmtheit einen neuen Vorstoß der feindlichen Flotte, doch man wartete vergebens. Als gegen ½1 Uhr der Dunst sich verzog und die Luft wieder sichtig wurde, lag das britische Geschwader weit draußen. Es hatte durch das deutsche Feuer so sehr gelitten, daß es darauf verzichtete, das Bombardement zu erneuern, da auch inzwischen Fort Korügen von den Deutschen zurückerobert worden war.

Genaueres über die englischen Verluste erfuhr man erst später aus dänischer Quelle. Zwei englische Panzerschiffe waren gesunken, ferner war die schwer beschädigte »Remarquable« unweit des Bülker Leuchtturms auf den Strand gesetzt, um die Überlebenden der Besatzung zu retten. Die Beschädigungen an anderen Schiffen waren außerdem derart, daß der englische Admiral es nicht wagte, mit ihnen die Kieler Hafeneinfahrt zu forzieren, zumal die Zerstörung der Kieler Werft leider zu gut gelungen und weitere Aufgaben entscheidender Art für die englische Flotte in Kiel nicht vorhanden waren, die gelöst werden konnten, bevor weitere deutsche Verstärkungen durch den Kanal eintreffen mußten.

Die englischen Kreuzer, die auf der Höhe der Colberger Heide die englische Landung beschützt hatten, erhielten nunmehr, nachdem Fort Korügen wieder in deutschem Besitz war, und es ein Wahnsinn gewesen wäre, gegen die rapid anwachsenden deutschen Truppenmassen die schwachen Landpositionen und die paar Dörfer zu halten, die Anweisung, die Wiedereinschiffung der Truppen zu decken. Doch auch das gelang nicht vollständig. Von den gelandeten 7000 Engländern lagen 1500 auf dem Felde vor Fort Korügen. Weitere 2000 waren in den Gefechten am Selenter See, bei Lütjenburg und in dem erbitterten Straßenkampfe in Probsteierhagen gefallen, so daß – da alle Verwundeten selbstverständlich zurückgelassen werden mußten – nur 3500 Engländer ihre Transportschiffe wieder hätten erreichen können. Doch machte ein Vorstoß der deutschen Truppen von Labö aus an der Küste entlang auch dieses Unternehmen illusorisch. Mitten unter die englischen Boote und Transportflöße pfefferte plötzlich die deutsche Artillerie von den Strandhöhen bei Schönberg hinein, so daß nur etwa 1000 Engländer an Bord ihrer Transportschiffe, von denen zwei noch durch die Granaten einer deutschen Haubitzbatterie zum Sinken gebracht wurden, gelangten. 1000 Briten gerieten in deutsche Gefangenschaft.

Das war das Ergebnis, als am Abend des 4. April die Sonne sank, und sich die hellgrauen Leiber der fünf Schiffe der »Kaiser«-Klasse, die am Nachmittag durch den Kanal auf der Kieler Föhrde eingetroffen waren, bei Friedrichsort in der grünen Meeresflut spiegelten.

Der Angriff auf Kiel war abgeschlagen und nur die Silhouetten von sechs englischen Panzerkreuzern zeigten draußen weit auf der Reede, daß der Feind die Blockade aufrecht erhielt. Mit ungeheueren Opfern war der Erfolg auf deutscher Seite erkauft worden. Die englische Landung und die teilweise Zerstörung der Kieler Werftanlagen bewies aber schlagend, wie recht diejenigen gehabt hatten, die immer eine Befestigung des Kieler Hafens nach der Landseite für eine unumgänglich notwendige Forderung gehalten hatten. Unter der Hypnose, der Feind werde auch stets dort angreifen, wo man zur Verteidigung gerüstet sei, hatte man geglaubt, die Küste sei durch Signalstationen und schwache Truppenabteilungen genügend geschützt. Die Konzentrierung größerer Streitkräfte, die man glaubte schnell nach einem bedrohten Punkte hinwerfen zu können, erwies sich als nicht ausreichend gegenüber einem feindlichen Handstreich, wie er jetzt erfolgt war. Die Durchführung dieser englischen Unternehmung verdiente volle Anerkennung, wenn sie andererseits auch nur das bewiesen hatte, daß eine Landung und ein rückwärtiger Angriff auf die ungeschützte Landseite der Kieler Forts nur dann sein Ziel wirklich vollständig erreicht haben würde, wenn man auf englischer Seite einen ununterbrochenen Strom von Truppen in die gewonnenen Positionen hätte lenken können. Dazu reichte aber die Stärke des englischen Landungskorps nicht aus. Auch haperte es bald mit dem Munitionsersatz.

Nur die unerhörte Tapferkeit auf deutscher Seite und die Entschlossenheit, selbst unter gänzlicher Aufopferung der eigenen Flotte die Wucht des feindlichen Angriffes zu brechen, hatte die englische Offensive rechtzeitig zum Stehen gebracht. Wie man später erfuhr, war die Offensive des deutschen Panzergeschwaders nur um eine Viertelstunde einer allgemeinen Angriffsbewegung der Blockadeflotte zuvorgekommen.

Bekanntlich wurden nachher die Versäumnisse in der Verteidigung des Kieler Hafens sehr bald nachgeholt, und heute ist die gesamte Halbinsel der Probstei mit in die Befestigung hineinbezogen worden. Die Höhen bei Schönberg werden jetzt von den grünen Bastionen eines deutschen Forts gekrönt, das zum Andenken an den braven Verteidiger des Ortes den Namen Fort Gerstenhauer trägt.


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