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Zion

An einem dieser Abende vor dem Passahfest besuche ich einen der Führer der zionistischen Sache. Er ist ein Berliner Rechtsanwalt, der sich durch soziologische Forschung einen Namen gemacht hat. Er kommt von Darwin. In seinem letzten, ausgezeichneten Buch über die Juden der Gegenwart, gelangt er noch nicht zu einer klaren Entscheidung für den Zionismus. Aber seine jetzige Stellung zu den Dingen drückt sich darin aus, daß er nach Jaffa übergesiedelt und ein Generalstäbler der zionistischen Organisation geworden ist. Er ist jetzt hier oben, um in Jeruschalajim Peßach zu feiern.

Ich treffe ihn im jüdischen Hotel. Es ist, selbst für die örtlichen Verhältnisse, ein Gasthaus zweiten Ranges und überfüllt von Gästen. Unser Gespräch geht im Gesellschaftszimmer vor sich, mitten unter andern Gästen, die soeben vom gemeinsamen Abendessen aufgestanden sind. An den Wänden dieses Raumes hängen, sonderbar genug, die Bilder aller europäischen Staatshäupter; der König von Spanien hat den Ehrenplatz über der Tür, die zur Küche führt. Die Gäste hier sind aus allen Teilen der Erde. Einige haben das blonde Haar der Deutschen, andere verraten ihr Schicksal mit dünnen Gliedern und scharfen bleichen Mienen. Einige sind sonnverbrannt, breitschulterig, mit weiten weltlichen Gesten, die zeigen, daß man in Südafrika gewohnt ist, in besseren Hotels zu wohnen und im Auto vorzufahren. Eine korpulente Dame ist aus Melbourne gekommen, ein junges Ehepaar aus dem Kaukasus, andere sind aus Kalifornien, aus den baltischen Provinzen Rußlands.

Doch alle zusammen haben sich nach Erez-Israel gewendet und sind wie Kundschafter einer erwartungsvollen Masse, die angefangen hat zu brodeln und sich zu werfen. Hier laufen ihre Wege zusammen, hier üben sie aneinander ihr schadhaftes Hebräisch und offenbaren ihr Herz. Sie sehen sich um im Land und kommen nicht mit leeren Händen. Einer, aus Hamburg, stiftet Geld zum Bau einer Turnhalle für die Jugend der jüdischen Schulen in Jerusalem. Ein anderer, aus Australien, stellt der Talmud-Thora ein paar tausend Frank zur Verfügung; es fehlt an Schreibkundigen; die Kaufleute erhalten jetzt aus allen Teilen der Welt Bestellungen auf Thorarollen, Gebetröllchen und Geberriemen, die in der heiligen Stadt geschrieben sein müssen; eine Schar armer Menschen könnte von dieser Beschäftigung in Jerusalem leben. Ein anderer gibt Geld für die Bücherei des Volkshauses; dieser läßt einen Beitrag zurück zugunsten der Gesellschaft für Palästinakunde, die jetzt im ganzen Land meteorologische Stationen errichtet. Man interessiert sich auch für die Ausgrabung der alten Städte und möchte nicht hinter den deutschen, russischen, amerikanischen Archäologen zurückstehn. In nichts außer ihrem Judentum unterscheiden sich diese Menschen von den zehntausend Fremden, die alljährlich nach Jerusalem heraufkommen. Die hundertdreißigtausend Juden, die für die zionistische Organisation den Schekel zahlen und jene vielen, die im Jahr 1913 über eine Million Frank für den Nationalfonds aufbrachten, unterscheiden sich nicht sehr von den Christen, die aus der Feme mit Sehnsucht dieser Stadt gedenken und in das ewig rinnende Danaidenfaß dieses Landes ihren Tribut entrichten.

 

In den nächsten Tagen wird auf der Ebene von Saron, unweit der Jaffa-Jerusalem-Eisenbahn, ein Volksfest der jüdischen Kolonisten stattfinden, und ich werde aufgefordert, es anzusehn.

Ein Sprühregen geht nieder, als der Zug am Morgen abfährt, um viele Leute aus Jerusalem zu jenem Volksfest zu bringen. Als wir aber nach zwei Stunden bei der Station Ramleh ankommen, ist warmes Sonnenwetter. Ramleh ist eine kleine, von Gärten umgebene Stadt mit einem Turm aus der Kreuzfahrerzeit auf der Anhöhe. Von dort hat man eine schöne Fernsicht auf das jüdische Gebirge, das hier dem Taunus ähnlich sieht. Rings breitet sich die Ebene, von roten Feldwegen durchzogen, lichter und tiefer grün, Baumgärten und Wiesen.

Ein Dutzend Landwagen erwartet die Ankömmlinge vor dem Bahnhof, auch Reittiere stehn zur Verfügung. Aber im Nu sind alle weggenommen und stäuben auf der Landstraße dahin. Wir, die übrigbleiben, sind nur drei Personen; nach einer Weile finden wir in einem Gehöft der Stadt, bei Arabern, zwei alte Gäule und einen Esel und reiten los; ein Bursche läuft nebenher. Die Tiere waten durch den fußhohen gefurchten Sand. Fast immer sind wir zwischen Weingärten, Mandelwäldchen und Orangenpflanzungen. An den Seiten stehn die lückenhaften, verstaubten, groben Mauern der Kakteen oder Hecken mit blühenden Winden. Dann breiten freie silbergoldene Wiesen sich aus, ganz übersät mit Margerits. Nach anderthalb Stunden sehen wir auf einer Anhöhe vor uns die ersten roten Dächer. In der gelbgrünen, sonnigen Bodenmulde zur Seite leuchten die weißen, mit Palmzweigen geschmückten Zelte des Festplatzes, die Ehrenbogen, mit dem sechseckigen Stern geschmückt, und die flatternden, hellbau und weißen Zionsfähnchen neben roten Halbmondwimpeln über einer locker verteilten Volksmenge. Auf einem mit Gehölz bestandenen Abhang begegnen uns die Menschen. Sie streben in Gruppen dahin und dorthin ohne einen rechten Halt, manche wandern zum Festplatz, die meisten aber erwarten den Zug, der sich mit fernen Paukenschlägen und mit Blechmusik ankündigt.

Die Hauptstraße der Kolonie ist breit und an den Seiten fast ein Rasenplatz, mit alten Bäumen bestanden wie eine Dorfstraße in Südrußland; die kleinen schlichten Häuser stehn weit auseinander. Schon kommt der Zug herauf mit Musik und Gewimmel, mit weißgekleideten Turnern in geschlossenen Reihen, mit Reitern daneben, die eine orientalische Fantasia ausführen, mit allerhand ländlichen Fuhrwerken, die voll beladen sind mit hellgekleideten Fräuleins. Die Turner tragen blaue Seidenschärpen und den brandroten Fes, sie führen Fahnen mit hebräischen Aufschriften. Die Pferde sind nach arabischer Sitte aufgezäumt mit lang herabwehenden bunten Quasten. Es sind vorzügliche feurige Tiere dabei; die Reiter tragen den Beduinenmantel, andere tragen kaukasische Pelzmützen und Samtjoppen mit silbernen Stiften im Patronengürtel. Die Fräuleins aber tragen Modistinnenhüte und Sonnenschirmchen, und manche der Kolonisten kommen im Zug daher im langen verstaubten Gehrock, der noch aus dem Galuth stammen mag. Die Zuschauer klatschen in die Hände und folgen dem Zug, nur wenige gehn weiter durch die fast menschenleer gewordene Kolonie und suchen das Gasthaus. Es liegt als letztes Haus am Feldweg in der prallen Mittagssonne: schon viele Gäste sind vor uns hier gewesen, einige verziehen noch an den von Resten bedeckten Tischen, wir müssen vorlieb nehmen und die Lust zu Vergleichen unterdrücken. Die Räume sind groß, das Inventar ist gering. Ein Stück galizisches Dorfwirtshaus macht hier verzweifelte Anstrengungen, die großstädtischen Ansprüche zu erfüllen, die es mit seinen langen neuen Tischen und seiner elektrischen Klingel erweckt und kann die naturgegebene Ländlichkeit nicht finden. Etwas enttäuscht machen wir uns auf den Weg zum Fest.

Diese Kolonie, Rehoboth, gilt als eine der glücklichsten in Palästina. Sie ist im Jahr 1890 angelegt worden, und zwar von einer aus fünfzig russischen Mitgliedern bestehenden Gesellschaft, die sich selbst ein grünes Banner gegeben hat in ihrem Namen Ruhe und Landbesitz. Jedes Mitglied zahlte 2800 Rubel und bekam dafür elf Hektar Land. Von diesem wurde zunächst nur ein Viertel mit Weinstöcken und Mandelbäumen besetzt, der Rest blieb leer. Die meisten der Besitzer wohnen noch jetzt in Rußland, alle zusammen aber ließen, nach amerikanischem Muster, ihre Anwesen durch eine gemeinsam eingesetzte Verwaltung bestellen. In wenigen Jahren schon war der Ertrag der Bäume und die Steigerung des Bodenwertes so groß, daß die einen das leer gebliebene Land aus den Überschüssen des bebauten bewirtschaften lassen konnten, aber selbst der Wert der Brache war auf das Vierfache gestiegen. Auch eine jüdische Pflanzergesellschaft auf Aktien besitzt Landanteile in dieser Gemarkung; von diesem Boden ist jetzt ein Drittel mit Orangen, der Rest mit Mandeln und Oliven bepflanzt. Jetzt wohnen hier zweitausend Menschen. Und da diese Kolonie, wenn auch nicht eine der ältesten, doch eine der wohlhabendsten ist und zwischen den älteren und jüngeren Kolonien in der Umgegend von Jaffa fast in der Mitte liegt, so ist sie der gegebene Ort für das jährliche Volksfest, das sich seit einigen Jahren um die Peßachzeit eingebürgert hat. Es ist Erntefest, modernes Sportfest, landwirtschaftliche Schau und nationale Kundgebung in einem.

 

Manche kamen hin in das weite, von Zelten, Buden und abgeschirrten Wagen gebildete Viereck, auf dem die Menge sich bewegte, und fanden, daß eigentlich nichts los sei. Es waren einige Verkaufsstände da, wo es um billiges Geld Limonade und einen leichten, schwammähnlichen Kuchen und aus den großen Samowaren Tee zu trinken gab. Das Zelt mit den Weinfässern und die Küfer von Rischon waren nur hier, um Bestellungen anzunehmen, und gaben nicht mehr als ein halbes Glas zur Probe. In Bescheidenheit und ohne rechten Wettbewerb waren ein paar landwirtschaftliche Produkte ausgestellt, eine Agentur zeigte landwirtschaftliche Maschinen oder wies auf Düngersalze hin, und in einer Schriftenbude umstanden Neugierige die erste, in Deutschland gedruckte Landeskarte in hebräischer Sprache.

Die Turner, die den grünen Platz mit ihrem schneeweißen Schimmer füllten, zeigten Freiübungen nach schweizerischer Vorschrift unter hebräischem Kommando. Die Blechmusik spielte, und ohne Lärm und ohne ausgelassene Fröhlichkeit, doch mit zufriedenen Gesichtern, ging und stand das Publikum umher. Es war etwa ein alkoholfreies Turnerfest, verbunden mit Kostümpromenade, ein Gemisch aus deutscher Kirmes und russischer Guljanie. Die türkischen Kopfbedeckungen der Turner, die weißen wallenden Palästinamäntel und die Tropenhüte der städtischen Besucher, die arabische und tscherkessische Kostümierung der Reiter, die sich seitwärts mit einem Wettrennen vergnügten, die Waschuniformen und spanischen Barette einiger Schüler gaben den fremdartigen Einschlag. Und in manchen Gesichtern, die von der Heiterkeit des sommerlichen Frühlingstages glänzten, lag fast eine feierliche Freude über die gesunden und von Eifer geröteten Gesichter der andern, über dieses weite, ungezwungene Untersichsein, über die Pferde, die von jungen Burschen prahlerisch getummelt wurden, und selbst über die Esel an der Seite, die an den Krippen standen und mit den Schwänzen schlugen. Von der Anhöhe gesehn, war es ein schönes Bild mitten auf der leicht gewellten Ebene. Glänzende Strichwolken standen am blauen, sonnenreichen Himmel. Über das ferne Gebirg liefen die dunkelblauen Wolkenschatten, ein Lüftchen von der See bewegte die dünnbelaubten spitzigen Sträucher rings und die Blätter der Baumgärten.

Schon am späten Nachmittag lief ohne Sang und Rede das Fest auseinander. Die Farmer mit ihren Familien fuhren und ritten nach allen Seiten davon. Für den Rest der Besucher, die noch den Weg nach Ramleh vor sich hatten, standen Leiterwagen bereit, doch die Wagen reichten nicht aus, und die Fuhrleute wollten nicht fahren, denn die Ausgeschlossenen boten einen höhern Fuhrlohn, die drinnen Sitzenden, die längst bezahlt hatten, aber wollten sich nicht zwingen lassen, wieder auszusteigen. So schien es zu guter Letzt, als werde Unordnung und Geschrei das Fest beenden und als solle für viele die Rückkehr zur Station überhaupt in Frage kommen. Ein Teil der Karawane war schon abgefahren, und erst, als ein Aufruhr drohte, setzten sich auch die letzten schwer beladenen Wagen in Trab und klirrten nun im Zug auf dem roten Feldweg fort. Alsbald war auch der Gleichmut zurückgekehrt. Es wehte kühl, der Himmel stand in einem feurigen Abendrot. Doch die Pracht sank rasch zusammen und machte milden Sternen Platz. Das wäre der Augenblick gewesen, um ein Lied anzustimmen, aber alle fuhren nur schweigend, ja mit verzerrten Mienen dahin, denn die Wagen stießen fürchterlich, jeder mußte sich mit allen Kräften an seinen Sitz klammern, und die am Ende Sitzenden waren immer durch die Deichsel des dahinter fahrenden Wagens gefährdet. Aber als es ganz dunkel wurde, fingen zwei kleine Knaben mit ihren hellen Stimmen eines der neuen hebräischen Lieder zu singen an. Und wenn auch jetzt die Erwachsenen noch nicht mitsangen, sondern still blieben, als ob sie sich an ein so freies Singen noch nicht gewöhnen könnten, so richteten sich doch jetzt die Gesichter ein wenig aufwärts. Es schien mir plötzlich, als schlummere nur in diesen harten unfreundlichen Menschen die Ergriffenheit über den heutigen Tag, und mancher sei unter ihnen, der einmal schon mit den Heimlichkeiten des Glücks den Boden dieses Landes geküßt hätte, der nun nach langen bösen Träumen der Väter die Enkel als freie Männer wieder trug.

Doch ich will mich nicht irren und Gefühle nicht voranstellen in dieser abgründigen und verschlossenen Zeit. Es war Mitternacht, als der Zug vor Jaffa an den Straßenschranken des neuen Stadtteils anhielt, und ich ging allein auf der Landstraße unter den Sternen zur Stadt.

 

Rischon le Zion und Petach Tikwah, beide nur wenige Reitstunden von Jaffa entfernt, gehören zu den ältesten jüdischen Kolonien. Ich besuchte die erstere, im Jahr 1882 gegründete, am nächsten Tag und fand auch hier jenen mit einer gewissen Schlampigkeit sich pflegenden Wohlstand, der mir schon an neueren Ansiedelungen begegnet war. Vielleicht kommt dieser Eindruck daher, daß die Frauen der jüdischen Kolonisten etwas langsamer den Sinn des ländlichen Lebens begreifen als die Männer. Wie lang es dauert, bis aus Städtern Landleute werden, das merkt man weniger an den Männern, die bei ihrer harten Arbeit den rauhen ländlichen Charakter bald annehmen, als an den Frauen, die in ihren Häuslichkeiten viel weniger bald jenes unumwundene Verhältnis zur Natur wiederfinden. Die Kolonisten haben eine Art Frauenfrage in das Land gebracht, und die Organisation bemüht sich, diese Frage durch Haushaltungs- und Gärtnerinnenschulen zu lösen. Wenn man die behaglichen Kolonien der württembergischen Templerbauern in Palästina gesehn hat, so sagen einem die kümmerlich behandelten Vorgärten dieser Kolonistenhäuser genug; schöne Ausnahmen gibt es nur wenige. Im Getreidebau und in der Viehwirtschaft sind die jüdischen Kolonisten noch nicht an ihre deutschen Vorbilder im Land herangekommen, doch im Weinbau stehen sie ihnen schon gleich, und im Orangenpflanzen sind sie Meister geworden. Sicherlich werden sie es auch in der Seidenraupenzucht zu etwas bringen, wenigstens in Galiläa, wo das Klima den Maulbeerbäumen günstig ist. Was aber den Kolonisten an der Erfahrungssicherheit der echten Bauern fehlt, das ersetzen sie bisher nur teilweis durch ihren gerechten Sinn für die Vorteile der wissenschaftlichen Bodenbehandlung. Allen neueren Ansitzen sind landwirtschaftliche Versuchsstationen, Baumschulen, Versuchsfelder zugelegt, deren Leitung in Atlit bei Haifa bestimmt wird.

An der breiten, hügelan führenden Hauptstraße von Rischon stehn die aus Stein gebauten einstöckigen Kolonistenhäuser. Auf dem Hügel liegt ein unansehnliches Gebäude, der Betsaal. Seitwärts ragen über einer Anhöhe und über den Weinbergen die von Rothschildschem Geld gebauten Kellereien, die einem Brauhaus ähnlich sehen. Ein älterer Kolonist führt mich durch die Straßen und in den tropisch wilden Garten der Kolonie. In seiner Mitte liegt eine Allee von ausgewachsenen Palmen, deren Schößlinge ringsum wuchern, ein Zeichen für die große Fruchtbarkeit des Bodens. Zeiten der Begeisterung und der Verzagtheit sind über alle diese älteren Kolonien hinweggegangen. Manche frühere Bewohner haben, als die Rothschildschen Unterstützungen spärlicher wurden, das Land wieder verlassen und sind nach Kanada ausgewandert. Es sind Fehler gemacht worden, solange das französische Geld noch da war, um sie auszugleichen; aber die bedenklichen Zeiten sind vorüber. Das Gemeinwesen blüht, und der Wein ist von seinen Produkten das bekannteste geworden. Die Etiketten von Rischon kleben auf weit verbreiteten Weinsorten. Später, wenn einmal nicht mehr die türkische Wirtschaft alle industriellen Versuche niederhält wie bisher, wird man auch Konservenfabriken für feine Obstsorten hier anlegen können oder mit den Entwürfen Ernst machen, die eine Verwertung des Papyrus und der mannigfachen Balsampflanzen vorhaben, die hier gedeihen.

 

Der Besucher merkt noch mehr als in Rischon an der Kolonie Petach Tikwah die Verschiedenartigkeit der Ansiedler und der Bauperioden. Die Kolonie liegt fünfzehn Kilometer von Jaffa entfernt, nicht weit vom Meer und in der Nähe eines kleinen Flusses. Petach Tikwah ist schon ein Landstädtchen von zweitausend Bewohnern. Das Gründungsjahr ist 1878. Die ersten Ansiedler, die gekommen waren, hatten unter der Malaria zu leiden und zogen wieder fort. Einwanderer aus Bjelostok kauften danach einen Teil des Bodens, und für diese baute dann die russische Gesellschaft der Zionsfreunde achtzehn Häuser an einer gesünder gelegenen Stelle. Die Gemarkung ist fast doppelt so groß wie die von Rischon. Die Siedelung ist weitläufig angelegt, am Rand fast mit Raumverschwendung; hier laufen die geglätteten Straßen schon weit ins freie Feld. Der Eindruck des Unfertigen hier kommt von den Lücken der Bebauung, und diese Lücken kommen von dem raschen Anwachsen der Kolonie in der letzten Zeit. Wie in Rehoboth, so sind auch hier manche Grundstücke von Leuten gekauft, die noch nicht ansäßig geworden sind: Drei rosarot angestrichene, noch unbewohnte Landhäuser gehörten Leuten in Harbin oder in Neu-Orleans. Beim Bau der neueren Häuser am Rand des Orts ist vielfach schon Beton verwendet, der in Jaffa hergestellt wird, und man deckt die Dächer mit Ziegeln. Die Wohnungen enthalten selten mehr als fünf Zimmer und kosten sechs- bis siebentausend Frank. Das ist nicht gerade billig. Man sagt mir, daß die Häuser nur vier Hundertstel Verzinsung ergeben; der Bankdiskont ist neun vom Hundert. Einige der neusten Häuser sind wirklich hübsch und mit liebend gepflegten Blumengärten umgeben. Aber es gibt auch ältere Häuser, die noch keinen Zaun um den Garten oder überhaupt noch keinen Garten haben, denn ihre Besitzer können immer nur im Herbst nach der Apfelsinenernte ein Stück weiterbauen, so weit ihr Geld reicht. Ein rührendes Beispiel ist die Hütte eines alten Arbeiters; ein wahrer Zellenbau, der in jedem Jahr ein Zimmerchen neu angesetzt hat, entsprechend den Ersparnissen des Mannes und dem Anwachsen seiner Familie. Etwas außerhalb des Orts, bei der Tenne, stehen die kastenähnlichen armseligen Baracken der Jemeniten, die hier im Land als Taglöhner immer noch besser daran sind als vorher in Arabien, obwohl sie auch hier die Stelle der Paria einnehmen. Die älteren, leicht hingebauten Wohnhäuser des Ortes mit ihren Gemüsegärten liegen dichter beieinander. Neu ist ein Saalbau: das Klubhaus oder die Turnhalle der Arbeiter. Unweit davon hängt die große Glocke, die sie mittags und abends von den Feldern heimruft. Das Gemeindeamt, wo das Grundbuch aufliegt und die bürgerlichen Angelegenheiten verwaltet werden, liegt an einem Ende der allen Allee, ein verwitterter Konzertpavillon und eine primitive Hütte der türkischen und der österreichischen Post an ihrem Ausgang. Die Straßen sind dörflich, doch man findet in ihnen die Aushängeschilder von Modegeschäften, Coiffeuren, Schneidern und Strumpfwirkern und Schustern und sogar eine Bankfiliale.

In der Mitte der Siedelung zeigen sich noch deutlich die Schlacken der Entstehungszeit; doch diese Schlacken sind im Schwinden. Es gibt schon Erwachsene, die hier geboren sind; der zuversichtliche Sinn der Kolonisten offenbart sich in ihren frühen Heiraten. Gewöhnlich kommen sechs Kinder auf die Familie, und für diesen Reichtum an Kindern gibt es zwei Schulen an dem kleinen Ort. Man könnte vielleicht die Schulen und auch den Arzt mit den benachbarten Orten gemeinsam haben und dadurch mancherlei Ersparnisse machen, doch selbst auf kurze Entfernungen sind die Landstraßen noch zu schlecht, und man ist auf ihnen niemals vor arabischen Überfällen ganz sicher. Die Kolonien führen im Alltag ein ziemlich abgetrenntes Leben. Dieser Zustand verteuert einstweilen die öffentlichen Lasten nicht unwesentlich. Außer der Steuerlast des Zehnten, die in Wirklichkeit über ein Achtel des Ertrages ausmacht, haben die Kolonisten die Ausrüstung und Besoldung ihres eigenen Wachtdienstes aufzubringen, der zum Teil aus Berittenen besteht. Für Rehoboth soll dieser Anteil 22 000 Frank betragen, oder im Jahr 200 Frank für jede Familie. Auch die Verbindung zur Stadt ist schlecht; wer nicht Reittiere nimmt, der ist auf den armseligen Stellwagen angewiesen oder auf den Milchwagen, der frühmorgens zur Stadt und mittags zurückfährt.

 

Der jüdische Landbesitz in Palästina, in den letzten Jahrzehnten erworben, beträgt heute etwa ein Fünfzigstel des Landes, das insgesamt eher kleiner denn größer ist als die Provinz Posen. Die Kolonien gruppieren sich besonders dicht um Jaffa, ziehen sich an der Bahnstrecke vereinzelt auch bis in die Nähe Jerusalems hinauf, umgehen bis jetzt noch völlig den alten Landweg, der über Nablus nach Galiläa hinaufführt, ebenso wie sie bisher den Jordan noch ganz vermeiden, sondern führen vielmehr in der Nähe der Küste bis Haifa hinauf, um endlich nochmals um die beiden Seen des oberen Jordans, doch auch hier nur auf der rechten Uferseite des kleinen Flusses, eine Traube zu bilden.

Fast jede dieser Kolonien hat den Reiz einer eigenen Entstehungsgeschichte, die sie von den anderen theoretisch unterscheidet. Es gibt ihrer nach dem russischen, französischen, dem deutschen und dem amerikanischen Rezept, es gibt die individualistische, die kommunistische und die sozialistische Entstehungsweise, die sich in der weiteren Ausgestaltung, den Erfolgen und den Krisen der einzelnen nicht verleugnet. Wer sie im einzelnen beschreiben wollte, der dürfte, um den Gesamtgeist der Kolonisation in diesem Land zu schildern, auch die sieben blühenden Ansitze der deutschen Bauern nicht auslassen. Doch diese Beschreibung mag aufgehoben bleiben. Wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang ein Blick auf das Wesen jenes Zionismus, der ihnen allen zugrunde liegt.

 

Wer den modernen Zionismus beurteilen will, der muß zuerst die Flugschrift seines Begründers: »Der Judenstaat« von Theodor Herzl, lesen. Denn was heute im Zionismus sich durchsetzt, das sind Herzls Vorschläge, und wenn in der Wirklichkeit auch manches den ursprünglichen Absichten nicht entspricht, so enthält doch diese Schrift in knapper und bestimmter Form die leitenden Gedanken. Diese bestehen darin, daß alle Juden der Erde sich zu einer bewußten nationalen Einheit zusammenschließen, daß sie die Besiedelung eines Landes in Angriff nehmen sollen, um dort eine öffentlich-rechtlich gesicherte Heimstätte zu errichten und im Rahmen dieses neuen Staatgebildes alle die tausend Einzelfragen, die jetzt unter dem Namen Judenfragen gehn, mit einem Schlag zu lösen. Herzl nennt Palästina oder Argentinien.

Die Größe Th. Herzls besteht darin, daß er neue Wege angab, um eine so gewaltige Aufgabe zu erfüllen. Man hat Herzl einen politischen Romantiker genannt. Wenn sich dieser Vorwurf auf den Schwung seines Nationalgefühls bezieht, so ist er kein Vorwurf. Soll der Vorwurf deswegen gelten, weil Herzl bei der von ihm gedachten Ausführung des Planes mit dem tätigen Interesse gewisser Staatsregierungen rechnete, ohne deren Mitwirken die Bewegung unter Umständen auf einem toten Punkt anlangen könnte, so ist es mindestens noch zu früh, aus den Fehlschlägen von Herzls eigenen diplomatischen Bemühungen auf die Verkehrtheit seines Grundsatzes überhaupt zu schließen. Das Buch selbst ist in jeder Zeile das reife Ergebnis einer Verstandestätigkeit, die sich über die Grundlagen und Verhältnisse des Judentums klar geworden war. Wenn Herzls Vorschläge vielerlei Korrektur erfahren haben, so liegt es daran, daß durch die ausgiebige Diskussion, die seine Schrift erregte, Kräfte hervorgetreten sind, die der Verfasser vorher unmöglich in Rechnung ziehen konnte und von denen er, der sie noch nicht übersehen konnte, weise schwieg. Herzl war für klare Verhältnisse. Zwei große Organe sollten geschaffen werden: die Society of Jews und die Jewish Company. Die erstere sollte wissenschaftlich politisch vorbereiten, was durch die zweite praktisch auszuführen blieb, nämlich Liquidation aller Vermögensinteressen der abziehenden Juden und die Organisation des wirtschaftlichen Verkehrs im neuen Land. In dem heut bestehenden Jewish Colonial Trust und seiner Gründung, der Anglo Palestine Company, vor allem aber im Nationalfonds, der dazu bestimmt ist, palästinensischen Boden in unveräußerliches Eigentum des jüdischen Volkes zu bringen, ist gewissermaßen jene Jewish Company vorhanden. Die Society of Jews steckt jetzt im Zionistenkongreß, der als das Parlament der über alle Länder greifenden Organisation anzusehn ist, sowie in seinem Werkzeug, dem Zionistischen Aktionskomitee, das die Werbungen leitet und den Nationalfonds verwaltet. Der einen schließen sich in freier Weise viele Sonderunternehmungen in Palästina an; der letzteren die von Ländergrenzen nicht abhängigen Verbände, wie der Weltverband der jüdischen Akademiker und alle die Kräfte und Gemeinschaften, welche in literarischer Form die geistige Bewegung leiten und auch auf das Unterrichtswesen in Palästina ihren Einfluß üben. Diese Vielfältigkeit der Organe hat den Vorzug der Elastizität, doch sie verhindert die für den Außenstehenden weithin sichtbare Zusammenfassung. Nicht zwei Organe leiten die Bewegung, sondern die zersplitterten Anstalten üben mehr ihre Tätigkeit unter der Hand aus. Durch die jetzige Form, die viel zusammengesetzter ist, als sie Herzl wollte, ist die zweideutige Lage, die das Judentum sich selber anerkennt, eher verstärkt als zurückgeführt worden. Der sozialistische Grundgedanke Herzls scheint ethisch höher zu stehn als das gegenwärtige Schachtelsystem mit seinen Zufälligkeiten.

Die zionistische Bewegung hat schon vor Herzl bestanden, aber durch Herzls Eintreten eine Festigung gewonnen. Die Führer haben nur kurze Zeit in der Wahl des Ortes der künftigen Besiedelung geschwankt. Man hat auch an Gründungen in Ostafrika oder auf Zypern ernstlich gedacht. Noch zu Herzls Lebzeiten wurde sich die Mehrheit der Zionisten darüber einig, daß nur Palästina in Betracht komme. Palästina bietet noch viel Raum für Kolonisation; es hat den Vorzug der Nähe des europäischen Kulturkreises. Das Land befindet sich seit einem halben Jahrtausend in den Händen des Islam, die es haben verkommen lassen. Das ist für den, der dort ein neues Werk schaffen will, in jedem Sinn ein Vorzug. Die staatliche Schwäche der Türkei kann der Sache des Zionismus nur willkommen sein, gleichviel ob seine Anhänger damit rechnen, in Zukunft an einem Wiedererstarken dieser Macht den tätigsten Anteil zu nehmen und sich damit einen weltpolitischen Einfluß zu sichern, oder aber, beim Untergang des türkischen Staates mit Aussicht auf eine reiche Erbschaft mitzuwirken. Das zionistische Komitee hoffte anfangs, gegen eine bedeutende Geldleistung vom Sultan Abdul Hamid einen Freibrief für die Besiedelung des ganzen Landes erwerben zu können. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Soweit die türkische Regierung dazu imstande war, hat sie gelegentlich sogar versucht, die Einwanderung von Juden in Palästina zu erschweren. Die Organisation beschränkte sich also auf eine Besiedelung im kleinen. Das Ergebnis dieser Kolonisationsarbeit, die teilweis auf früheren Versuchen fußt und diese mit benutzt, ist jetzt bereits so weit zu übersehen, daß man sagen kann: die Zukunft in Palästina, sowohl die wirtschaftliche, als in gewissem Sinn auch die der Verwaltung, gehört den Juden. Das klingt erstaunlich nach so wenigen Jahren, aber es ist nichts Wunderbares dabei, wenn man im Land selber sieht, wie die Juden begonnen haben, außer ihrem Geld und der Intelligenz, die sich in den Dienst der Sache gestellt hat, jährlich auch einige Tausend frischer Arbeitskräfte in das Land zu führen. Der Betrag, der seit etwa drei Jahrzehnten dem Judentum Palästinas in den verschiedensten Formen von außen zugeflossen ist, wird auf mehr als hundert Millionen Mark beziffert. Die Werbung für den Zionismus ist unter dem Ostjudentum in Galizien, Rumänien und Rußland nicht minder wirksam wie unter den Juden der protestantischen und der romanischen Länder. Sie wendet sich im Osten unmittelbar an die proletarischen Massen, im Westen vor allem an die jugendliche Intelligenz. Sicherlich ist die Zahl seiner heimlichen Anhänger mindestens ebenso groß, als die Zahl seiner Bekenner, die den Schekel zahlen. Auch unter den Sepharden hat der Ruf nach Zion Widerhall gefunden. Obwohl die meisten der Völker, unter denen diese Sepharden leben, so zum Beispiel die Araber im Jemen, Semiten sind, sind sie nicht immer duldsam gegen die Juden, die mit Zähigkeit an ihren religiösen Gebräuchen festhalten und sich abschließen. Merkwürdigerweise machen sich selbst in Palästina unter den Arabern neuerlich judenfeindliche Stimmungen bemerkbar, vielleicht als Folge eines Mißverständnisses, das daraus entstanden ist, daß die jüdischen Kolonisten in einzelnen Fällen keine arabischen Arbeiter auf ihren Farmen beschäftigen wollen, während sie sich im übrigen bei geeigneten Gelegenheiten den syrischen Arabern als Verwandte empfehlen und ihren Verkehr aufsuchen.

 

Zwar sind die Schwierigkeiten der Kolonisation nicht gering. Es ist vorläufig noch wenig Platz für Einwanderer ohne ein kleines eigenes Kapital. Schlechte Verkehrsverhältnisse, rohe Steuern, Feindschaft und diebische Gewohnheiten der arabischen Landbevölkerung, nicht zuletzt auch mancher Hader innerhalb der Judenschaft selbst wirken hemmend. Aber alle diese Schwierigkeiten überwindet die Zuversicht der Einzelnen und das fast automatisch großzügige Arbeiten der Organisation. Diese Organisation trägt bis jetzt beinah ausschließlich deutschen und englischen Stempel. Die leitenden Gesellschaften, vor allem die Anglo Palestine Company mit den von dieser Bank abgezweigten Stellen für Auskünfte, Verwaltungsangelegenheiten und Landesforschung, die Palestine Land Development Co. und die Jewish Colonisation Association, die Immobiliengesellschaft als Institut für städtischen Grundbesitz, die verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften, das Gymnasium in Jaffa und das große Technikum in Haifa stehen teils unter deutschem, teils unter englischem Schutz. Außer ihren reinen Bankgeschäften und einer ausgiebigen Gewährung von Darlehen an die Kolonisten, betreibt die Anglo Palestine Co. Landankäufe größeren Stiles für den Nationalfonds. Das letzte Kriegsjahr der Türkei war den Landerwerbungen besonders günstig. Die Ebbe in den Kassen der Regierung und der Beamten kommt diesen Landwünschen sehr zugute, und die Vorteile für die Käufer sind um so größer, als ihre Mittel an flüssigen Geldern bedeutend sind. Der Landkauf könnte noch rascher fortschreiten, und noch größere Vorteile wahrnehmen, wenn die Zuwanderung der Kolonisten damit Schritt hielte. Eine Anzahl Großgrundstücke im Besitz des Nationalfonds liegt vorläufig noch unbebaut auf Vorrat. Die mit den Landessitten vertrauten Agenten der Organisation verstehen es, mit den türkischen Beamten gute Beziehung zu pflegen.

Die Gesamtzahl der seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Palästina eingewanderten Juden mag hunderttausend betragen. Etwa achtzigtausend davon gehören allerdings zu den Strengen, und nicht der politische Zionismus ist die Ursache ihrer Übersiedelung nach Palästina gewesen, sondern der religiöse in seiner reinsten Form. Diese achtzigtausend leben zum größten Teil in Jerusalem, die übrigen in Safed und Tiberias: denn in jenen Gegenden von Galiläa erwarten die Frommen das Auftreten des Messias. Unter diesen Leuten sind viele Alte, Kranke und Schwache, die nur gekommen sind, um im Boden ihrer Väter begraben zu werden. Nur ein Teil von ihnen ist imstand, einen Nebenerwerb durch Handel und Kleingewerbe zu finden; die meisten leben von der Haluka und von den privaten Unterstützungen, die den Armen von ihren Verwandten daheim zugute kommen. Ein Wechselstrom von Bettelbriefen, der von Jerusalem und Tiberias ausgeht und die Gaben heranzieht, hält eine gewisse Verbindung dieser Menschen mit der übrigen Welt aufrecht. Die Haluka ist die offizielle, nach Landsmannschaften verteilte Spende der ganzen religiösen Judenheit für die in Palästina lebenden Frommen. Die Einrichtung besteht bei den aschkenasischen so gut wie bei den sephardischen Gemeinden, und es wäre nur zu wünschen, daß diese öffentlichen Beiträge etwas reichlicher flössen, um das Mittelalter von den Empfängern abzuwaschen; denn es könnte ja von dem Gelde auch etwas unternommen werden, um die in einem fruchtlosen Talmudstudium Dahinlebenden, besonders die jüngeren unter ihnen, an rentablere Formen des Hausfleißes zu gewöhnen.

In Jaffa sind durch eine Schlosserei, in Jerusalem durch die Schule und die fabrikmäßige Einrichtung der kunstgewerblichen Anstalt Bezalel bescheidene Anfänge dafür geschaffen worden. Bezalel ist vor acht Jahren gegründet worden und jetzt schon mit seinen vierhundert Arbeitern, die in zwei Häusern beschäftigt sind, das größte wirtschaftliche Unternehmen in Jerusalem; auch eine kleine ländliche Kolonie bei Jaffa gehört zu ihrem Betrieb. Die Feinhandwerker und Künstler dieser Anstalt, die Teppichknüpfer, Ziselierer, Filigranbinder, Holzschnitzer, Tischler und Spitzenklöpplerinnen, stammen teils aus Damaskus und aus Ägypten, teils sind es Eingewanderte aus Rußland und Rumänien, und der Nachwuchs wird von Lehrern unterrichtet, die eine westeuropäische Schulung haben. Für den Absatz der Bezalel-Waren scheint es einer geschickten Organisation nicht zu mangeln. In den großen Städten Deutschlands und Englands findet man Ausstellungen der Erzeugnisse in den Warenhäusern, im Osten haben eigene Vertriebsgesellschaften den Verkauf in die Hand genommen. Zweifellos kommt diesen morgenländischen Gegenständen bei ihren Abnehmern der Strahlenkranz von Jerusalem zugute. In Zukunft wird das vielseitige Unternehmen auch die graphischen Gewerbe pflegen. Da es einstweilen an einer Großindustrie im Lande noch vollkommen fehlt, so leistet diese Anstalt in ideeller Verbindung mit den philanthropischen Bildungsstätten, die in Jaffa und Jerusalem eifrig gefördert werden, schon jetzt ihr Bestes, um wenigstens Teile der orthodoxen jüdischen Bevölkerung mit der Moderne in Berührung zu bringen und sie von dem inneren Wesen des zionistischen Gedankens abhängig zu machen. Von den hunderttausend Juden Palästinas sind in der Landwirtschaft höchstens zehntausend beschäftigt.

 

Erst seit zehn, höchstens seit fünfzehn Jahren gibt es den modernen Zionismus. Überblickt man, was seine Werbearbeiter bisher für die Durchknetung des in Palästina neu versammelten und des gesamten draußen verstreuten Judentums geleistet haben und was im Land geschieht, so muß man zugeben, daß schon vieles erreicht worden ist. Von Jahr zu Jahr tritt Palästina deutlicher als Wirtschaftsgebiet von ausgesprochener Eigenheit auf dem Weltmarkt hervor. Die Tonnenzahl der in Gaza, Jaffa und Haifa verkehrenden Schiffe ist seit 1903 auf mehr als das Doppelte des Früheren gestiegen, und noch fühlt man sich nur in den ersten, ganz zarten Anfängen. Das ist zwar nicht das Werk der fleißigen Juden allein, aber ihr Anteil an dieser Entwicklung wird immer größer. Am langgestreckten Küstensaum von Jaffa, am Nordrand von Jerusalem, an den Abhängen des Karmel bei Haifa sind jüdische Viertel moderner Kleinhäuser nach europäischem Muster entstanden, weitere, bessere sind im Entstehen. Man plant bei Jaffa die Anlage eines guten Badestrandes mit Hotels auf dem von jüdischen Gesellschaften gekauften Dünenboden. Man hofft, in wenigen Jahren die verödete schöne Landschaft des Sees von Tiberias so umzugestalten, daß sie für die elegante Welt, die bisher nach Ägypten reist, zu einem Winterkurplatz werden kann. Man wird in Zukunft das Land mit Automobilen, die Flüsse mit Motorbooten befahren. Schon bestehen, als Bausteine einer künftigen hebräischen Landesuniversität in Jerusalem, verschiedene chemische Laboratorien, geologische, archäologische, medizinische Institute und weitverzweigte Gesellschaften; in dem hebräischen Gymnasium zu Jaffa kamen im Jahr 1913 die ersten Reifezeugnisse zur Verteilung. Hier wird die Jugend für den Besuch der künftigen Universität und des neuen deutschen Polytechnikums in Haifa vorbereitet. Man hat begonnen, Landstraßen zu bauen und den Sicherheitsdienst zu einer kleinen Truppe zu vereinigen. In Zukunft sollen Stauanlagen geschaffen werden, die den ausgetrockneten Berghängen die Möglichkeit der Bepflanzung wiedergeben. Lang wird es nicht mehr dauern, und in den größeren Städten Palästinas wird man die Theater, die Zeitungen, die Abendkonzerte der Juden finden. Und je mehr die Kolonisation zunimmt, desto größere Bedeutung gewinnt auch der politische Zusammenschluß der Kolonien und das Neuhebräisch, das ihre Sprache ist.

 

Wir erleben in der Gegenwart, daß Rußland durch Umsiedelung von Hunderttausenden seiner Bauern jährlich die Einöden Sibiriens langsam mit Menschen anfüllt, wir erleben gegenwärtig die rasche Besiedelung Kanadas und der westlichen Streifen des nordamerikanischen Festlandes, die Urbarmachung Brasiliens und Argentiniens, die Rohausbeutung des afrikanischen Festlandes, die Besiedelung der südlichen Mongolei und der Mandschurei durch die Chinesen, die kolonisatorische Eroberung Koreas durch die Japaner. So hat die Besiedelung Palästinas nichts Besonderes an sich. Sie ist nur ein Teil der unaufhaltsamen Europäisierung Vorderastens und legten Endes ein Teil der gesamten Völkerbewegung, die von den noch unausgebeuteten Ländern und Reichtümern der Erde Besitz nimmt und die große Aufgabe hat, das Proletariat zu befreien. Von allen Großstaaten, die Kolonialmächte geworden sind, hat vielleicht Deutschland bisher noch das geringere Verständnis für die Zukunftsbedeutung solcher Vorgänge, und doch kann eine industrielle Krisis auch für Deutschland diese Frage über Nacht zu einer der gewaltigsten machen. Es ist deshalb auch für die deutschen Interessen gut, daß ihm die zionistische Bewegung hier das Verständnis für diese Frage offen hält. An die Bewegung selbst knüpfen sich für das Reich nur einige untergeordnete politische Perspektiven, die sich an die Frage des künftigen Besitzes des Landes knüpfen. Zwar sind in Palästina auch die deutschen Interessen erheblich. Sie sind nicht allein wirtschaftlich im Eigentum der deutschen Templerkolonien begründet, sondern stehen auch politisch in einem labilen, dreiteiligen Gleichgewicht mit denen Großbritanniens und Rußlands. Da die Mehrzahl der zionistischen Juden, ja der Juden überhaupt, ein Rußland feindliches Element darstellt, so mag in Zukunft die Besiedelung Palästinas und seiner Nebenländer durch Juden in dieser Rechnung einmal irgendwie ins Gewicht fallen. Wichtiger ist die geistige Seite des Zionismus. Bei dem so stark auf Erwerb und Besitz gerichteten Charakter der jüdischen Rasse wäre es verwunderlich, wenn das Gefühl des Heimwehs, das sie antreibt, nicht auch gemischt wäre mit neuer Machtbegierde. Dieses Gefühl erhält seinen Ausdruck bereits in der Forderung einer strengeren Hebraisierung der gesamten jüdischen Diaspora. Ein Ruhebedürfnis, hervorgegangen aus dem ewig ungesetzten Schicksal eines Volkes, ringt hier mit dem Bedürfnis nach einer größeren Steigerung der Macht, die bei anderen, die nicht sicher sind, ob sie nicht in Zukunft darunter zu leiden haben werden, Unruhe und Unbehagen verbreitet.

Denn notwendig verbindet sich mit dem Streben nach der nationalen Erneuerung das Suchen nach einem religiösen Grundgedanken, der für manche in der Idee des Judentums überhaupt bereits gegeben ist, und so sind in wenigen Jahren an Stelle Herzls und seiner Schule Philosophen und Religiöse die eigentlichen Führer des Zionismus geworden. Es ist nun kaum zu erwarten, daß Europa seine Presse und Literatur dem Zionismus als Schauplatz für seine Experimente einräume. Der ruhige Ausbau eines einzigen umfassenden Gedankens kann hier keinen Boden finden. Es liegt schon darum nahe zu wünschen, wie es die Romantiker einer früheren Zeit getan haben, daß jede geistige Richtung, die sich für fähig hält, den Grund einer Gesellschaftsordnung zu legen, den Versuch dazu in einem Kolonielande machen könnte. Schon beim Entschluß dazu und bei dem Ringen mit den Schwierigkeiten der neuen Ansiedelung müßte sich herausstellen, wieviel geistige Kraft der eingeschlagene Weg in die Gemüter zu pflanzen vermocht hat.

 

In dieser Richtung zeigt der Zionismus auf seinen bisherigen Wegen eine Ähnlichkeit mit der Bewegung, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Tempelgesellschaft der württembergischen Bauern bewog, Deutschland zu verlassen und sich in Palästina anzusiedeln. Die Ruhelosigkeit des jüdischen Zionsglaubens und des Prophetismus der Bibel war schon an dieser Bewegung, die aus dem Pietismus hervorging, der Keim. Der geistige Stillstand, dem diese Tempelgesellschaft, bei äußerem Wohlergehen, verfallen ist, zeigt auch den neuen jüdischen Zionisten eine Gefahr: nämlich aus mangelndem Interesse des Ausgangslandes den inneren Zusammenhang mit diesem zu verlieren. Aber diese Gefahr ist hier ungleich geringer als bei allen früheren ähnlichen Versuchen, die seit den Kreuzzügen aus dem Schoß der Christenheit hervorgegangen sind, denn der Gegenstand ist ungleich größer in seinem Verhältnis zum ganzen Wesen des Volkes. Der neue jüdische Zionismus ist eine zu auffällige Tatsache, als daß nicht außer dem Judentum selbst auch die weitesten religiösen Kreise, insbesondere der protestantischen Länder, ihn mit Interesse, ja mit einer starken mystischen Sympathie verfolgten. Jene Kreise sehen, und nicht nur die obskuren, die früher Napoleon und jetzt den Balkankrieg aus der Apokalypse herauszulesen imstande waren, im Zionismus das Eintreffen einer biblischen Weissagung. Aber auch für jene, denen die Frage nach der Zukunft unserer Kultur wichtiger ist als die Frage, wem Palästina in Zukunft politisch gehören soll, und denen die biblischen Weissagungen im besten Fall nur besagen, daß über dieses Volk, das ohne seinen Gott und seine ewige Spannung nicht denkbar ist, das letzte Wort bisher noch nicht gesprochen wurde, bedeutet der Zionismus ein merkwürdiges Zeichen der Zeit. Die vergangenen, kurzen, vorläufigen Bewegungen in der Christenheit, die nach Zion strebten, sind nichts gegen die Erscheinung, daß von der Masse der Ostjuden seit zwei Jahrzehnten Blöcke abzutreiben beginnen wie Eisberge im Frühling, und daß von diesem in Fluß geratenen Volkstum Scharen sich nach Palästina wenden, während zugleich unter den Wissenden der westeuropäischen Intelligenz dasselbe Bestreben auftritt, sich wie in einem instinktiven Vorgefühl kommender Neuordnungen eine feste Stellung außerhalb, oder vielmehr im weiteren Zukunftskreise der europäischen Zivilisation zu schaffen. Denn zu diesem weiteren Kreise wird das gesamte Vorderasien mit Wahrscheinlichkeit gehören. Es kommt auch gar nicht so sehr auf die große Zahl der Übersiedler an. Sei das künftige politische Gebilde noch so zwergenhaft und abhängig von fallenden, äußeren Dingen, es genügt vollkommen, wenn im Lauf einer kurzen Zeit sich so viel jüdische Bevölkerung in Palästina versammelt, daß sie dort mit der nichtjüdischen gleichsteht. Dann ist der jüdische Charakter des Landes gesichert, und der archimedische Punkt gefunden, wo eine Entscheidung ansetzt. Und hier ist denn auch jener Punkt, den Th. Herzl in seiner Programmschrift nur mit einer Andeutung berührt hat, wenn er darauf hinweist, daß das, was die Juden dort versuchen, machtvoll und beglückend hinauswirken werde. Martin Buber, der durch seine Drei Reden einer der Wortführer des Zionismus geworden ist, sagt an bedeutender Stelle, daß dem Judentum die Umkehr nottue; kein Stückwerk könne das Judentum erneuern, sondern nur ein ganzes und geeintes Werk. Diese Umkehr aber liegt für ihn und andere in einer Annäherung an den christlichen Gedanken, die er sich indessen folgendermaßen denkt: Was am Christentum schöpferisch ist, ist nicht Christentum, sondern Judentum, und damit brauchen wir nicht Fühlung zu nehmen, das ist unschöpferisch, aus tausend Riten und Dogmen gemischt, und damit wollen wir nicht Fühlung nehmen. Freilich müssen wir den abergläubischen Schrecken, den wir vor der nazarenischen Bewegung hegen, überwinden und sie dahin einstellen, wohin sie gehört: in die Geistesgeschichte des Judentums.

Es hat wenig Sinn, in die Erörterung der Gesamtfrage jenen lächerlichen Prioritätsstreit hineinzutragen, der neuerdings unter dem Einfluß dieser Auffassung, die ja nicht erst von gestern ist, nur das alte Gezänk zwischen den Theologen beider Seiten wieder entfesselt. In Wirklichkeit finden sich alle Gedanken, seien sie zu Dogmen geworden oder der Kanonisierung bisher entgangen, sogar die Ausgestaltung des Rituellen bis zum Selbstzweck, in der es das orthodoxe Judentum noch erheblich weiter gebracht hat als selbst der Katholizismus, finden sich die Idee des Einheitsgottes sowohl wie die seiner allegorischen Zerlegung in Gottgewalten, der Messiasgedanke und der Glaube an die Göttlichkeit des Welterlösers, in jener ganzen Reihe von Religionen zerstreut, die gemeinsam aus sehr alten Wurzeln sprossen. Diese Gedanken sind nur, gewissermaßen zu andern Bündeln geordnet, überall vorgekommen: Gott ist auch allgegenwärtig. Nur was dem einen Religionskreis eine Maus gewesen ist, das war dem andern ein Elefant; der eine hat ihn zur Majestät ausgestaltet, bei dem andern spukt er still und sonderbar nebenher. Es beweist weder für noch gegen das Judentum etwas, daß viele seiner Ideen sich vor ihm und seitwärts von ihm im eranischen und im arabischen Religionskreis finden, daß auch den ältesten europäischen Mythologien der Begriff der Seelenwanderung und der Auferstehung in dumpfen Gesichten nicht fremd war, daß der unendliche Wert der Menschenseele, daß die Gebote der Ehrfurcht auch seitab vom Judentum den Chinesen, den Indern und Indogermanen sich geoffenbart haben und beachtet wurden, daß selbst der Dekalog auf jüdischen Quadern nicht sicher steht. Und es beweist weder für das Germanentum noch gegen das Judentum etwas, wenn die protestantische Idee von der Freiheit des Menschen in Gott, die schließlich aus dem ersten Entzücken der Mystiker hervor den Anstoß und den religiösen Ausdruck eines Zeitalters der kühnsten technischen und wissenschaftlichen Taten gegeben hat und die Fessel der Scholastik sprengte, religiös widerwillig, im Wesen aber ganz natürlich dem schärfsten Rationalismus auf ihrem Weg begegnete. Aber selbst die orthodoxe Dogmatik des Thomas von Aquino, wie sie heute in dem französischen Neothomismus eines Paul Claudel sich wieder hervorstellt, gleichsam um den verworrenen Erscheinungen des modernen Geisteslebens eine neue Ordnung anzutragen, ein Gemeng aus griechischer Philosophie und starrem Hebraismus, ist klärend und mit großer Bedeutung in den Katholizismus seiner Zeit und mit dem Recht des Stärkeren an die Stelle des Vorhandenen getreten. Zudem ist es nicht minder das Ritual gewesen, als die Idee des Einheitsgottes, die das Judentum als einen Staat im Staate der übrigen Welt bisher zusammengehalten hat. Aber, wie gesagt, nicht die Priorität der Ideen, die den Blick vom Wesentlichen ablenkt, steht uns, die wir die Auflösbarkeit der Elemente vor Augen erleben, hier in Frage, sondern die Tatsache allerdings, daß ein Volk gleichsam zur Funktion des Wartens der ganzen Menschheit auf eine Geistesoffenbarung, die noch bevorsteht, geworden ist und sich als ein Volk mit so eigener Aufgabe im Ringen um sein Schicksal betrachtet.

 

So mag es denn auch besser sein, nicht zu leugnen, daß gerade im Judentum des Zionismus die freien Geister Europas mit seinen gebundensten zusammenstoßen und daß hier ein Kampf zum Austrag steht, der wichtiger ist als seine Verkleisterung durch den zeitweis so billigen, »alles überwindenden« Gedanken des Volkstums, und der allein es auch für den Christen der Mühe wohl wert macht, die Entscheidung mit der geduldigen Spannung des nicht Unbeteiligten zu erwarten. Nationalistisch ausgedrückt lautet die Formel: Umwandlung und Befreiung des Ostjudentums durch den Geist des Westens. In anderer Formel dagegen: ein Kampf um den Besitz und die Erweiterung jener Freiheit, welche das Christentum mit allen griechischen, jüdischen und indischen Elementen, die es in seiner Frühzeit in sich aufnahm, der heutigen europäischen Welt gebracht hat. Bisher verhüllt sich dieser Kampf, soweit er das Innere des Judentums berührt und als jüdische Angelegenheit in diesem Sinn vielleicht nur in Palästina vor sich gehen kann, wo die Reibung mit dem Christentum wegfällt, erst in wenigen geringen Anzeichen, die nicht mit Hoffnung betrachten könnte, wer sich auf erste Anzeichen nicht verstünde. Das Gymnasium in Jaffa ist eins dieser Anzeichen. In dieser Schule gibt es keinen Religionsunterricht, Bibel und Talmud werden als Literatur und Geistesgeschichte des Judentums unterrichtet. Es hat Kämpfe gegeben um den Geist dieses Unterrichts; ein Versuch, die Bibel nach den kritischen Methoden zu zergliedern, mußte aufgegeben werden. Die Widerstände werden aufs neue hervortreten bei der Gestaltung der künftigen Universität in Jerusalem. Es handelt sich dann schon mehr als bei einem Gymnasium um die Freiheit der Forschung und der Überzeugung, deren Vorkämpfer einst Spinoza gewesen ist, gegen die vom Gesetz Verdunkelten. Wer heute in Palästina reist, der findet noch in keinem der von jüdischer Seite herausgegebenen Handbücher auch nur den leisesten Hinweis auf jene Stätten, die für den, der einem Moritz Friedländer oder Martin Buber zu folgen vermöchte, in der Geistesgeschichte des Judentums zu den bedeutendsten gehören, ganz zu schweigen davon, daß es sich um die landschaftlich schönsten handelt. Im silbernen Palästinahandbuch spricht nur eine halbe Zeile von Orten, um deren Besitz sich seit Jahrhunderten die »rivalisierenden christlichen Sekten« streiten. Hier sind die leisen Rücksichten auf geringere Geisteszustände. Gewiß, es gibt solche Fälle von Rücksicht in der Welt sehr viele. Aber bei allem Respekt vor den Männern, die sich hier hinter eine Grenze stellen, die sie vorgeben innerlich längst überschritten zu haben, scheint es doch, als ob ihre Anfänge mit einem Schritt zurück beginnen. Ihr Bekenntnis zur jüdischen Geistesgeschichte ist dann noch geringer anzuschlagen als die berüchtigte Äußerung des Flavius Josephus über den Christus, jene Stelle, die, dank den Forschungen eines Burkitt und der angewandten Logik eines Harnack, es verdiente, wieder berühmt zu werden. Im übrigen war auch jene Äußerung des Josephus ein Zeichen für den Gegensatz zwischen dem Pharisäertum jener Tage und dem Landvolk jener Tage, den Am-Haarez, die angeweht waren vom Geist der alexandrinischen Diaspora. Die Juden in Palästina sind auf dem Weg zu einer Haltung, die genau dort wieder anzuknüpfen scheint, wo sie vor zwanzig Jahrhunderten abbrach: es war eine Zeit des äußersten Gegensatzes zwischen den Pharisäern, die mit ihrer Starrheit den vollständigen politischen Untergang verschuldeten, und jenem freien jüdischen Landvolk. Diesmal aber werden die Am-Haarez siegen. Und es ist schöpferischer, europäischer Geist, der ihnen hilft.

Dieses neue »Landvolk« scheint in sich das Ziel zu tragen, das in dem Wort von der Umkehr verkündet wird. Unter diesem Gesichtspunkt, so scheint es, müssen die Äußerungen gewertet werden, mit denen der Zionismus sich selbst begründet. Noch ist in ihm die Zweideutigkeit nicht aufgehoben. Das Denken seiner Führer steht vor Entschlüssen, die sie noch nicht zu bestimmen wagen. Mag das grobe Christentum erstaunen, daß am jüdischen Volk die alten Weissagungen sich erfüllen: es sind im Leben der Völker schon andere Weissagungen wahr geworden, und es ist nichts Geringes, mit Willen, wenn die Zeit gekommen ist, das Tor zu bauen und durch das Tor einzugehn, das allein die Seher unter den Blinden der Vergangenheit schon ragen sahen. Wie einst das Jahr Tausend ohne Erdbeben und Verfinsterung der Sonne vorüberging und dennoch die Posaunen des Gerichts den Gläubigen erklangen, so wird, wenn bei solchen Ereignissen der Umkehr die Posaunen des Gerichts in den Seelen überlaut werden, das christliche Drama und was jüdisch an ihm ist, sich aufgelöst haben wie eine schillernde Blase, und den Menschen in Wahrheit ein anderer Tag anbrechen als dieser war.


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