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Die drei Gestalten des Joseph von Arimathia

Ein Satz in Veränderungen,
eingefügt
dem ehrwürdigen Rabbi
Jechiel Zebi Herschensohn Lichtenstein,
weiland Lehrer am Institutum Iudaicum in Leipzig
zum Andenken.

I

Die Abende sind kurz in Jerusalem. Mit den ersten Sternen kommt die Nacht. Gegen Abend erreicht der Wind vom Meer die hohe Stadt und fegt die Schwüle des Tages plötzlich hinweg. Dünne Seewolken, kaum zu Wolkenbildern gestaltet und rasch zerflogen, wehen dicht über das bleiche Häusergebirge. Der Fremde, von den Fußwanderungen, der Hitze und dem Lärm eines Tages schwer ermüdet, erwartet wie ein Luftschiffer diesen feuchten, fast unsichtbaren Nebelflor auf dem Dach des Hauses. Wohlgeruch von Jasmin und Orangenbüschen steigt aus dem schmalen versenkten Hof und mischt sich mit der Kühle. Von der Brüstung des Daches geht der Blick in die von einzelnen Mauerbogen überwölbte Gasse wie in einen Schacht hinunter. Begibt man sich zum andern Rande, so sieht man jenseits des bleichen Tales die Berghöhen, die dunklen Baumgruppen dort und die im Mondlicht schimmernde goldene Kuppel der Russenkirche. Es ist ganz still auf den Dachhöfen. Durch das einzige erleuchtete Fenster, das hier sichtbar ist, seh ich eine arabische Familie sich zur Ruh begeben.

Auch ich begebe mich in meine Kammer, in das kühle Gewölbe, dessen aus Steinen gefügte Kuppel wie der höchste Teil einer Kugel von den Fliesen des Daches sich abhebt. Ich lasse die Türe offen und schlafe wie ein Erschöpfter ein. Doch plötzlich fahre ich auf, von den gellen Stimmen vorübergehender Leute aufgeweckt, und später noch einmal von dem Klappern und Ausgleiten der Hufe eines Maultiers, das unten vor meinem Kammerfenster die Gasse heraufsteigt. Und zum drittenmal öffne ich erschrocken die Augen. Ein Mann in altertümlicher Kleidung steht mitten in meinem Zimmer. Ich richte mich auf und betrachte ihn verwundert. Meine Unruh hat aber eigentlich keinen Grund. Es ist ein stiller Mann. Es ist Joseph von Arimathia, dem das Grab gehörte.

Stumm steht er da und hält in den Händen einen Becher, in dem sich eine wenig abgeflachte und umflochtene Kugel befindet; er trägt diesen merkwürdigen Gegenstand, als hielte er ein Hauszeichen oder ein Wappen. Ich meine, ich kennte es schon, das kluge, mit Schärfe durchgearbeitete Gesicht des Juristen. Ja, ich kenne und weiß alles von ihm. Ohne Mühe deute ich jede Linie seines Gesichts und seine Haltung, ich sehe sein längst vergangenes Leben bis auf den Boden der Seele. Ich habe einmal vor Jahren, als ich aus der Matthäuspassion nach Haus ging, bewegt an ihn gedacht, der sein eigenes Grab an den Gekreuzigten abtrat. Er war von Bauerneltern in dem Städtchen Rama, das nicht weit vom Meer auf einem Bergzug liegt, ein reicher Mann von Hause aus; war bei den Griechen in Alexandrien erzogen und in seinen Mannesjahren ein geachteter, vielleicht ein wenig habgieriger Fürsprech in Jerusalem. Er war ein Freund der Bücher, Anhänger eines freieren Judentums, von dem er in der Stadt der ägyptischen Weisen den Hauch in sich aufgenommen hatte. Seine Ansichten behielt er für sich, sie würden vielleicht noch in unserer Zeit gefährlich genannt werden; er aber stand in Jerusalem mit den mächtigen Männern in Verbindung, denen er wohl in beherrschten und eindringlichen Streitreden gegenüber trat, so daß mancherlei Anregung und verborgener Einfluß von ihm ausging, aber diese Gespräche lehrten ihn auch die zahllosen äußeren und inneren Schwierigkeiten der Gesetzestreuen kennen und stärkten in ihm jenen Keim des gerechten Abwägens der seelischen Gewichte, dessen er zu seiner Meisterschaft der Angriffe und der Verteidigung bedurfte. Er war ein Meister der Streitrede, aber die Gerechtigkeit in seinem Herzen machte ihn unglücklich. Es ist somit auch nur eine unbeglaubigte Fabel, die ihn später für einen heimlichen Jünger des Nazareners erklärte.

Diesem Manne nun machte sich Gott selbst auf seine wunderbare und grundlose Weise zum Mieter. Gott kehrte in seinem Garten ein wie ein hoher Gast, der in das Haus eines niedrigen Menschen einkehrt und mit seiner Anwesenheit allein diesen Menschen zwingt, ihm Bett und Schüssel abzutreten. Ihn aber zwang Gott zur Abtretung des Grabes, das er sich in einem grüblerischen Selbstbewußtsein in seinem Garten hatte hauen lassen. Denn die Römer in ihrer Schärfe hatten, sowie sie die weichen Fluren in der Umgebung der Stadt verwüsteten, jene Gegend, wo die Gärten und Sommerbauten der Reichen lagen, als Hinrichtungsorte ausersehen und schlugen dort die Verurteilten an das Kreuz. Der Nazarener erlitt auf der Stätte neben Josephs Garten das Sterben. Da überwältigte ihn das Elend des Volkes, das in einem so schreckenvollen Taumel des Hasses den Unschuldigen aus dem Leben stieß. Ein Gefühl des Jammers trieb ihn aus seinem Hause vor die Stadt und ließ ihn zu einem Zeugen der Klagen furchtsamer Jünger, des markerschütternden Weherufes werden. Er machte sich unter einem inneren Befehl auf den Weg zu Pilatus, um an Stelle der furchtsamen Anverwandten den Leichnam sich zusprechen zu lassen und besorgte, von immer größerem Trotz und Verzweiflung angetrieben, alle die Gänge, die bei einem Todesfall nötig sind. So kamen Spezereien und reine Tücher zur Stelle. Am Abend half er selber die blutigen Hände und Füße des Leichnams von den Nägeln lösen, ihn verhüllen und ihn nach der Beweinung in dem Felsgehäuse bergen.

In jener Nacht vermochte Joseph nicht zu schlafen. Er wälzte sich heiß auf dem Lager in der verschlossenen Kammer. Seltsam, einen anderen im eigenen Grab zu betrauern. Er stand auf und ging durch das Haus und löschte jedes Licht, um Tod und Grab zu schmecken, um recht bei sich zu sein in dem völlig schwarzen Dunkel. Schweres Entsetzen und Unbehagen der Seele! War es nur die Trauer um den Tod des milden Menschen aus Galiläa? War es nicht viel mehr ein heftiger Neid und Sehnsucht nach dem weggeschenkten Grab, nach seinem eignen Grabe? Das zerriß ihm seine Miene fast.

Man denke sich aber seine Bestürzung, als am zweitnächsten Tag die Boten kamen, die ihm sagten, das Grab sei offen und leer gefunden. Es ist mein Grab! wiederholte nun in ihm laut die Stimme seines abergläubischen Widerspruchs. Es weigert sich, einen anderen aufzunehmen als mich, den wirklichen Herrn. Ich bin es, der seit vielen Sommern vor diesem Ort in den Büschen mit seinen Büchern vor dem ausgehöhlten Fels gesessen hat. Die leere Höhle har sich wie eine Zisterne angefüllt mit dem Gedanken an den Tod und mit dem Denken über der im Land heimlich verbreiteten, geheimnisvollen Lehre vom künftigen Auferstehn der Toten. Und dies mein Grab ist mir anhänglich geworden wie ein Hündlein, das von jedem anderen sich trennt, um nur dem eigenen Herrn zu folgen.

Man erzählte ihm ferner die Gerüchte, die besagten, der Nazarener sei auferstanden; er sei den Frauen und den Jüngern im Leibe erschienen. Das erregte ihn insgeheim mit Entrüstung und Unruhe: er hielt es für unmöglich, daß dann nicht auch ihm, dem Besitzer selber, von dem Auferstandenen die unzweifelhafte Anzeige davon geworden sei. Da dergleichen nichts geschah, so verhehlte er nirgends seine Ansicht, das Grab sei heimlich aufgebrochen und der Leichnam sei gestohlen worden. Die Tatsache selbst blieb schweigsam und gab ihm für diese Ansicht keine Bestätigungen. Aber was bedeutet selbst das zweifelhafte Auferstehen eines Toten gegen das Abhandenkommen des Leichnams, das außer Frage war. Für ihn allein wurde dann das Wunder um so größer: daß ein Grab keinen anderen haben will als den, der für es bestimmt ist! Er hätte aufbrüllen mögen in einem geisterhaften Jubel wie ein Irrsinniger. Doch dann beschwichtigte ihn die gewohnte strenge Besonnenheit des Denkens, und er erwog bekümmert und enttäuscht die andere Möglichkeit: die Möglichkeit des Auferstehens, da er ja an eine solche Treue des Grabes nicht herzlich glauben konnte. Zauberern mochten die Gegenstände folgen; er, Joseph, aber war kein Zauberer, er war ein Zweifler im höchsten Fall. Dachte er an den stillen Glanz und den heimlichen, unerhörten Ruhm des Nazareners, so überkam ihn ein vernichtendes Gefühl. Es beleidigte ihn und demütigte ihn, daß jener, wenn er kraft einer ungeahnten göttlichen Verbindung imstande war, den Lebenden zu erscheinen und wie ein Lebender umherzugehn, es unterließ, auch ihm zu erscheinen und ihm zu danken. War der Nazarener wirklich einer von jenen, welche die Erde, nach den Sagen der Mystiker, in ihrem Schoß zu behalten nicht vermag, dann hatte das Wunder vor drei Tagen schon begonnen, als er, Joseph, in seiner inneren Unwiderständigkeit sich zum Dienste des Geopferten hergab. Sein Grab war dann zur Hülse geworden, aus der die göttliche Frucht hervorbricht. Gelobt sei Gott, der ihm diesen Meteorstein auf den Acker gesandt hat. Doch der Acker hat ihn nicht behalten, der überirdische Gast schwebt nun umher und erschreckt die Menschen durch Erscheinungen. Ihm allein, dem Glaubensunfähigen, erscheint er nicht.

Da meinte Joseph endlich an einem Morgen sich zu erinnern, daß er die Erscheinung gehabt habe. Doch ach, lebte denn in ihm nicht deutlicher der beängstigende und zugleich beseligende Eindruck? Der Traum wiederholte sich klarer in den folgenden Nächten, bis sich dann aus ihm wie eine Schneeflocke die lichte Gestalt des Nazareners löste und ihn mit feurigen Augen ansah. Dessen erinnerte er sich genau am anderen Tag. Dennoch fragte er sich, ob er nicht geträumt habe! Und durch diese bohrende Frage fiel er sogleich dem Schmerz und der Scham seiner alten Zweifelsucht anheim. Der Traum wiederholte sich nicht mehr; er mußte es bei der Ungewißheit bewenden lassen und beschloß denn, das Grab mit der geborstenen Platte zu bedecken und den Garten von nun an zu meiden. In der folgenden Nacht aber erschien ihm für das rätselhafte Erlebnis ein neues geträumtes Sinnbild: es war eine durch Bastbänder umflochtene, scheinbar unlösbar fest verschlossene und in ihrem Glanz gehemmte kristallene Kugel, die zu ihm Herabstieg und sich in seinen Trinkbecher legte, als er ihn eben zum Mund zu führen gedachte. Er fand am Morgen diese Kugel wirklich in seinem Becher. Er nahm sie und trug sie hinaus, vergrub sie unter einem Busch und schloß den Garten für immer zu.

Joseph erlebte es zwar, wie auf die Sage von der Auferstehung die Anhängerschaft des Nazareners sich wie ein Brand verbreitete. Er selber, zu dem sehr oft die Zweifler kamen, um ihn um Auskunft über die seltsame Tatsache zu fragen und die von seinen dunkeln Antworten unbefriedigt blieben, zog sich zurück von allem Menschenumgang als ein Zuschauer, doch als ein Unbeteiligter an dem glimmenden Aufruhr der Gemüter, und er starb, noch eh die Stadt von den Römern belagert und dem Erdboden gleichgemacht wurde. In einem der steinigen Täler, die Jerusalem umgeben, ist sein Leib neben den Unzähligen und Namenlosen versenkt. Der Becher mit der Kugel aber wurde bei den Grabungen unter dem Kaiser Konstantin gefunden und zunächst für ein Hauszeichen gehalten. Man befestigte ihn über dem Tor der griechischen Kirche, die zum Schmuck des Heiligen Grabes und zum ewigen Gedenken die Stätte des einstigen Gartens einnahm, und das merkwürdige Zeichen der Gnade und des Verweises ist dort heute noch zu sehn. Viele erblicken in diesem Zeichen den Mittelpunkt der Welt.

Dem Joseph von Arimathia aber hat Gott das Recht gegeben, aus dem unerkennbaren Staub seines Grabes sich nachts zu erheben und mit jenem Sinnbild in den Händen andere zu besuchen; insbesondere aber in Zweifel gefallenen Menschen als ein Gast des Schlafes zu erscheinen und ihnen die Unruhe und Niedrigkeit ihres Herzens bewußt zu machen.

II

Von den Fußwanderungen, der Hitze und dem Lärm des Tages ermüdet, verbringe ich die Abendstunde auf dem Dach des Hauses. Unendlich hoch und vollkommen ungetrübt mit ihren Sternen steht die Himmelskuppel über Jerusalem. Ich denke an das ferne kühle Meer, das sich im Mondlicht knittert. Ich sehe in der Nachmittagssonne die geschaukelten, mit hellen Farben ausgemalten Ruderboote, die Reisende von der Treppe des Dampfschiffs abholen und durch die Brandung gleiten und immer neue Ankömmlinge auf den Boden dieses Landes setzen. Ist irgendwo am Himmel Gottes unsichtbarer Thron, dann ist er hier, und der Wind, der groß und klar über diese Berghöhen hinstreicht, breitet die Wolken unter ihm aus wie einen Teppich. Ich erschauere in der kühlen, durchsichtigen Nebelluft. Vielleicht hat nichts so sehr zu der heimlichen Erregtheit der Menschen dieses Ortes beigetragen wie dieser täglich sich wiederholende rasche Wechsel zwischen dem Lastgefühl des Tages und der holden Erfrischtheit, die einen tiefen Schlaf gewährt.

Die Dachhöfe sind verlassen, die Schluchten der Stadt sind dunkel geworden. Nur an den Kreuzungen der Gassen brennt die Laterne. Wächter gehn umher und pochen mit dem Stab auf die Steine, andere sitzen tief im Hintergrund der mit Haufen von Getreide und Feldfrucht gefüllten Gewölbe. Fern im Tal, über dem Hain der Ölbäume, glänzt im angreifenden blassen Mondlicht die goldene Kuppel der Russenkirche. Wer mag dort wachen hinter der Gartenmauer von Gethsemane? Jetzt hat der Wärter die alten flüsternden Bäume allein gelassen und schläft irgendwo, in seiner Zelle ausgestreckt. Morgen wird er wieder vor den Besuchern stehn und ihnen Sträuße pflücken.

Ich bin bereit, in meine Kammer zu gehn. Der Schatten einer Wolke legt sich über die bleichen Dächer. In diesem Augenblick kommt der kleine bärtige Mann in der braunen Kutte die Stufen zu mir heraufgestiegen. Ganz leicht berührt er meinen Arm und sagt mit ruhigster Stimme: ich werde dir das zeigen, folge mir.

 

Ich stand auf und ging mit ihm. Ich war verwundert, denn in den Gassen war ein Leben wie an einem Markttag. Die Köche buken, die Kaufleute saßen, von ihren Kunden besucht, bei ihren Waren, und die Morgensonne schien. Über den Budiken hingen die Schilder, der Katalog der Straße in allen Sprachen: das krause, würmergleiche Arabisch, die Runen der Griechen, die wuchtigen Keilzeichen der Hebräer, die steifen in sich geschlossenen Buchstaben der Lateiner und die gleichsam beschädigten Ziffern des armenischen Alphabets. Wir traten in ein Gewölbe. Es war eine leere große Halle, nur nach dem Tageslicht der Straße zu lagen Hügel von Weizenkörnern, Körbe voll Oliven, Sesamsaat und kleine Kisten mit Seife. Ich erkannte beim Hinaufsehn zur Decke, daß zu diesem Bau die Bogenreste eines edlen älteren Gewölbes verwendet waren. Aus welcher Zeit es stammte, wer vermöchte das zu sagen? Der Mönch führte mich durch einen Hof, wo Maultiertreiber und Karawanenlenker ihre Tiere ruhen ließen, dann klopfte er an eine Pforte, die den Eingängen der Ställe glich. Die Pforte ging auf; es war ein Einheimischer, der uns einließ und sein Haupt tief niederbeugte.

Wir befanden uns in einem Saal, dessen Wände aus hellem Marmor gemauert waren; ein Gitter war an seinem Ende und eine Gittertür. Der Pförtner brachte Lichter. Wir stiegen einen Gang von Stufen abwärts tief unter die Straße und gelangten in einen von Menschen angefüllten Raum. Es waren Männer in langen schwarzen, braunen und gelblichweißen Ordenskleidern, mit Kapuzen über den Köpfen oder den Schleiern vor dem Gesicht. Als hätten alle Provinzen der Welt sich eingefunden und Geistliche entsendet, so bemerkte ich in dieser Menge neben Griechen und Lateinern auch nordländische Pastoren und fremde Häretiker in Trauerkleidern und fahl gekleidete Männer aus Asien, die von ihren gelben Stirnen die Abzeichen der Kaste ausgelöscht hatten. Die weite Halle war von feinen Schäften eines Säulenganges umgeben wie die Halle eines Palastes in einem Garten; aber alles war in die Erde der Felsstücke und des Lehmes versunken, die Zwischenräume der Säulen waren ausgefüllt. Mir schien es nun, als sei eine der Wände fortgehoben. Die mahlende Bewegung der zusammengedrängten Menge schob mich vorwärts, ich sah in eine Grotte, die in der Dunkelheit gebettet lag wie ein blaues Glas; es war das blaue, durchsonnte Tageslicht, das sie auf eine unerklärliche Weise füllte. Auf dem Boden dort stand ein steinerner Trog ohne Deckel. Er war wie die ägyptischen Sarkophage aus dunklem rotkörnigem Granit gehauen. Ich vermochte zu sehen, daß ein Leichnam in diesem Behälter lag. Der Leichnam war mit schmalen, weißen, bitter duftenden Tüchern umwunden, als sei er eben erst bestattet worden. Auch das Haar und Gesicht des Verblichenen war sichtbar, die bleiche Haut der Wangen war von oben her mit Blut überronnen wie mit feinen Fäden, auf der Stirn waren Risse und Spuren wie von Nadeln. Ich wollte näher hintreten, damit ich die ganze Gestalt des Mißhandelten zu sehen und mein inneres Erschauern begreifen möchte. Indessen vernahm ich aus den Versammelten einen Gesang:

Dies ist der Leib, der gewandelt ist in Galiläa, heraufgekommen nach Jerusalem und geblutet hat am Kreuz der Römer. Begraben im Garten des Joseph, gerettet von den Jüngern und bestattet in der Schatzkammer.

Weh aber denen, die gewandelt sind im Fleisch und verlassen sind ohne Auferstehung. Wehe denen, die begraben sind und nicht auferstanden.

Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?

Vollkommenheit, Einheit, Maß, Kraft der Völker, Wachstum im Geist, Kaisertum, Reich Gottes.

Hier ist Christus. Einziges unter den Gräbern, unbewegt von Anfang, ein Stein der Welt und wird den Staub nicht sehn bis an der Welt Ende.

In diesem Augenblick betrat vor allen ein Mensch die Halle; er hatte einen Kranz von Eichenblättern in seinem Haar und trug ein weißes Kleid wie die wälischen Seher; sein Angesicht allein war dunkel und zeigte die morgenländische Seele. Er trug in seinen Händen eine grüne gläserne Schüssel, ein Feuer strahlte aus ihrer Mitte. Während er in dem von ihm getragenen Licht dastand, sprach er Worte, die ihn wie ein Gezweig alsbald umgaben.

Ich war vom Meer heraufgekommen,
Ich war vom Makkabäerstamm.
Ich hatte Schwerter mitgenommen,
Ich suchte Löwen, fand ein Lamm.
Gerüstet war mein Haus zum Feste,
Sie kamen her, die groben Gäste,
Es kam der Herr der Eselin,
Samt Zwölfen mit bescheidnem Sinn.
Sie aßen still ihr Abendmahl
Aus meiner Schüssel und Pokal.
Den Judas habe ich verkehrt;
Dem Petrus schenkte ich ein Schwert.
Ich wollt durch sie das Volk anzünden,
Sie aber waren wie die Blinden
Und gingen ihre Wege fort.
Ischarioth verriet den Ort.
Der Meister ward allein gefangen
Und tags am Kreuze aufgehangen.
Da ward zur Vesper Mitternacht;
Er schrie hinaus: es ist vollbracht.
Ich nahm ihn von dem Holze fort,
Bracht ihn an den verborgnen Ort,
Drum er der Auferstandne hieß.
Gott dennoch unsre Stadt verstieß.
Ein Kriegsknecht aus dem Britenland
Wies mir den Weg zum fernen Strand,
Die Schüssel, drin das Blut hintroff,
Bracht ich an König Artus' Hof
Als edlen Gral und Heiligtum,
Erwarb mir großes Geld und Ruhm.
Der Heiden Herr ist Jesus Christ,
Mein Judenvolk zerbrochen ist.
Mich könnt sein Blutquell nicht erlaben.
Ich lieg in Worms der Stadt begraben.

Nach dieser Aufsage schwand die Erscheinung. Mein Führer sagte: es war Joseph von Arimathia. Ich sah alle niederknien in einem beklommenen Schweigen und manche in ein Schluchzen ausbrechen, jene, die fühlten, daß fortan die Kraft von ihnen genommen sei, in Lauterkeit den übernommenen Glauben zu predigen. Ich trat vorwärts und sah das Antlitz in dem steinernen Sarg. Es war schöner und schmerzlicher als es die großen Maler darzustellen vermögen, tot wie ein Stein, doch zugleich lebendiger als alles, was in der Bewegung ist. Ein Spinne hing in der Luft an dem demantenen Faden, ein Rotkehlchen saß auf dem Rand des Steins zu seinen Füßen, draußen vor dem Trog im Grase glänzte eine Eidechse mit schlankem hartem Leib und winzigen wachen Augen. Da ich mich nun niederbeugen wollte, stieß sich meine Stirn, und ich entdeckte, daß die Luft spröd und undurchdringlich war. Ich trat zurück und gewahrte mit Schrecken, daß die Spinne, der Vogel und die Eidechse unbeweglich, nicht anders als die Mücke, die mit ihren unversehrten Flügeln im Bernstein gefangen sitzt, nicht tot noch lebend, in diesem tagesblauen Stein gefangen standen.

In diesem Augenblick schrien alle: Er ist nicht auferstanden! und warfen sich zu Boden. Der Mönch ergriff meine Hand und führte mich stark auf die Gasse zurück. Ein Zug von Pilgern begegnete uns dort, die heute angekommen waren, die trugen Palmenzweige und riefen voller Freude, denn sie wußten nicht, was unter der Erde war und wie die Wenigen dort unten sich vor den verborgenen Erscheinungen wanden: Gepriesen sei, der niedergefahren ist zur Hölle, den Jüngern erschienen in den vierzig Tagen an den Örtern des jüdischen Landes und in Galiläa, gen Himmel gefahren und sitzt zur Rechten der Kraft. Christ ist erstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!

 

In dem Gewimmel verlor ich meinen Führer und sah, es war jener Wächter von Gethsemane gewesen. Ich kam in das Haus zurück und erzählte, was ich gesehen hatte. Der Hausvater, obgleich nur ein Laiendiener des der Kirche nicht mehr zugehörenden Ordens, doch vertraut mit den Dingen in der Stadt, sagte: er habe wohl gehört, daß auch ein anderes Grab Christi in Jerusalem bestehe und in den Tagen zwischen den großen Festen heimlich besucht werde. Näheres darüber habe er nie in Erfahrung bringen können. Der letzte ihm bekannt Gewordene, der auf eine geheime Weise ebenfalls dorthin geführt wurde, sei ein Kandidat der Theologie aus Basel gewesen. Der sei danach zu den Behörden gegangen, um den offenbaren Betrug und Unfug aufzuheben, mit welchem Erfolg, sei nicht bekannt geworden. Es handele sich um die Grabkammer des Barrabas. Der Schlüssel dazu befinde sich in Händen einer berüchtigten Sippe, deren Stamm angeblich auf den Übeltäter zurückgehe, der an Stelle des Herrn freigelassen, später aber nochmals ergriffen und getötet worden sei. Das vorige Haupt der Sippe, ein Mohammedaner namens Dschawud Efendi, einer der vornehmen und reichen Bodenbesitzer in der Stadt, sei von einem entfernten Verwandten erschlagen worden. Es gehe die Sage, daß alle männlichen Glieder dieser Familie ihr Leben auf eine gewaltsame Weise verlieren. Seien die ältesten von den Juden gesteinigt, von den Römern gehängt, von den Griechen vergiftet, von den Sarazenen erstochen, von den Franken während der Kreuzzüge erschlagen worden, so seien andere in Armut gestorben, wieder andere durch einen Unglücksfall, durch eigne Hand oder von der Hand der Türken ums Leben gekommen. Im übrigen gebe es, wie bekannt sei, in Jerusalem von allen Heiligtümern ein zweites und gar drittes, vom Teufel eigens geschaffen, um die Gläubigen zu verwirren. Daher der unaufhörliche Zank und Streit um die heiligen Orte, das Mißtrauen der verschiedenen Bekenner gegeneinander. Am schlimmsten seien die Mohren, die am Heiligen Grab vielerlei scheußliche aus Holz oder Knochen geschnitzte Gegenstände weihen und sie später in Afrika verbreiten. Dunkle Bewandtnis habe es wohl auch mit der grünen Schale des Joseph von Arimathia, die, wie man lese, in England, nach anderer Überlieferung in den Pyrenäen oder auf einer Burg in Deutschland aufbewahrt und dort neuerdings auch auf dem Theater als der heilige Gral verehrt werde.

III

Da ich zu glauben nicht vermochte, so zwang mich Gott zu sehen und führte mich in das Gefängnis der sichtbaren Dinge. Es lenkten mich, Anreiz und Widerstand in einem, die steinigen Wege durch Jerusalem. Ich sah über der quälenden Stadt das Feuerblau des Südhimmels und die purpurgoldene Dämmerung des Abends und verbrachte, ungesättigt von dem Glück des Hierseins, die Ruhestunde auf dem Dach des Hauses und in Selbstgesprächen.

Ausgestreckt im Stuhl und das Gesicht emporgewendet, sah ich den Kuppeldom der Grabeskirche und die gelben Steine der Moscheen, die mit Festigkeit über diesen Dächern ragen. Es sind die Strafen und die Mahnungen; Steingebilde, doch nicht unzerstörbar. In diese Luft streckten sich einst auch die gewaltigen Wehrtürme des Herodes und sind gefallen.

Als ich die Stufen hinaufkam, erwartete mich ein jüdischer Mann, der setzte sich zu mir und sprach von Gott als dem unverteilten Wesen ohne einen Geist zum Gefährten und ohne den Sohn. Aber mit dem jüdischen Volk hat doch derselbe Gott den Bund geschlossen und tut an ihm das fortwirkende Wunder. Denn da die Juden gegenwärtig unter allen Vorwänden das Land Israel erwerben, um es zu einem künftigen Wechselhof zu machen für den Handel zwischen Indien und den Städten des Abendlandes, bekennen sie die tauben und unbewußten Eigenschaften des Wassers, das in ein Land hernieder regnet und weiß, daß es in den Reben aufsteigt und zu Wein wird.

Die weißen steinernen Dächer, die uns umgeben, senken sich abwärts in ein trockenes Tal. Der Berg Skopus hebt sich aus der mattgefärbten Helle. Die flachen Dächer mit ihren versteckten Spalten, den zuweilen erkennbaren Gärten und Höfen, wo am Tag Pfauen und Gazellen in ihrer Haft den Blick der Mitleidigen auf sich ziehn und den vielen, wie Blasen hervorgequollenen, aus Quadern geformten Kammerwölbungen, mit kurzen Brückenbogen, weißen Kaminen und schwarzen Zypressenwipfeln, bilden einen engen und verschwiegenen Zusammenhang.

Auf dem Dom unter dem letzten Flor der Wolken klimmt ein Mann mit einer Fackel. Während es dunkler wird, beginnt dort oben im Windzug ein Edelsteinkreuz zu flackern aus unzähligen kleinen bunten Lichtern.

Mit stiller Seele beteiligt an der geheimnisvollen Umkehr des Tages in die Nacht, während ringsum alles im ersten Schlafe atmet, sprechen wir vom heimlichen Sinn der Propheten, von denen einer gesagt hat: der Herr wird plagen alle Heiden, die nicht heraufkommen, das Laubhüttenfest zu halten. Doch hat ein anderer seinem Volk gedroht, daß sie einst den erkennen werden, den sie durchstochen haben. Schon unerkennbar in der Dunkelheit, sitzen wir bei der Auslegung einander wie Bewaffnete gegenüber und verstummen feindselig. Der alte Zank ist ausgebrochen. Ich geleite den Besucher zu den Stufen, bereit, ihn im Schlaf zu vergessen.

Wie duftet in meiner Kammer der Strauß von wilden Rosen mit seiner wunderzarten Kraft. Auf meinem Bett liege ich und schwebe wie in einem festgebundenen Kahn auf einer durchsichtigen und fast unwahrnehmbaren Welle. Weites taghelles Land ist vor den Fenstern; unter ihren Bogen steht ein bärtiger Mann vor einem Pult. Er schaut von seinem Buch auf und sagt: Ich bin es, Joseph von Arimathia. Lies das Geschriebene.

Wohl war in dem unsichtbaren Buch die Schrift, die er zu lesen gab, schon lange Zeit vergangen; aber ich erkannte das Geschriebene als ein ewig Gegenwärtiges wie es von Anfang enthalten und auseinander gefaltet und wieder zurückgekehrt war in den Fruchtknoten alles Geschaffenen, und las dieses.

 

An dem Tag, da ich, Joseph, auf das Fest mich bereitete im Warten auf das Reich Gottes, das nah verkündet war, unterbrach mich der Bote des Rats und ich folgte ihm in die Versammlung, die handelte über den Sohn des Zimmermanns, Jesus, der in der Stadt das Volk bewegte; der war fort gewesen und wiedergekommen, um dem Fest beizuwohnen. Denn die Obersten des Volkes hüteten sich, diesem Lehrer im Tempel zu begegnen und fürchteten ihn seiner Gleichnisse wegen; darum besprachen sie, wie sie ihn entfernen sollten. Ich aber, der zu ihrer Freundschaft nicht mehr gehörte, denn ich glaubte an diesen Gesandten Gottes und hatte seine Taten gesehen, beschwor sie, den Geweihten nicht anzutasten. Da ließen sie einen Mann hervortreten, es war Judas der Wechsler, ein seit Mutterleib Gezeichneter, dessen Jesus sich erbarmt hatte seines Eifers wegen und der ihm folgte. Der wiederholte vor der Versammlung, daß es gut sei, den Meister in Gewahrsam zu nehmen über das Fest, damit der Zwiespalt im Volk vor den Fremden verborgen bleibe. Und sie lobten diesen Törichten, ich allein schied aus ihrer Mitte und sandte einen Boten fort, Jesus zu suchen und ihm zu sagen: nimm Wohnung, du Mann Gottes, im Sommerhause deines Knechtes Joseph. Am Abend kam der Bote wieder und hatten ihn nicht gefunden. In der Frühe aber sah man die Fremden, die auf das Fest gekommen waren und eine Menge, die dem Rat anhing und jenem falschen Jünger glaubte, vor das Richthaus laufen und fordern, daß Jesus gekreuzigt würde. Denn in der Nacht hatte man ihn gefangen. Die Gefangenen verurteilte der Landpfleger. Als nun jener Judas hörte, daß sein Herr verurteilt war, entwich er vor die Stadt und erhängte sich. Ich aber stand unter den Zuschauern und wartete mit Furcht und Zittern der Zeichen, die geschehen sollten.

Und da man die Gefangenen hinausführte, sah der Meister den allerärmsten gleich, doch sein Angesicht war das des Elias, des Wundertäters, da er auf den Jordan zuging, um ihn mit einem Schlag seines Mantels mittendurch zu teilen. Die Frauen schrien zu ihm und berührten seinen Mantel, er aber trug das Kreuz. Und da man ihn anstieß, denn die Kriegsknechte gingen ihres Schrittes, sprach er ein Wort zu einem Knaben, und man sah alsbald diesen Knaben einer Lerche, die er unter seinem Kleide trug, die Freiheit geben. Der Zug stieg hinauf durch die Gassen. Aber sie gingen nicht zu der Richtstätte auf dem Berg vor dem Tor, das nach Damaskus führt, sondern wendeten sich nach einem andern Ort, und es war dieser Ort der Hügel über meinem Garten. Da verbarg ich mich, in Schreck und großer Freude, denn ich wartete des Wunders, das mir verheißen war durch den Mund des Boten von dem Meister: die Stunde ist nah, daß ich in deinem Garten ein Lager halten werde. Ich sah die Männer auf dem Hügel und hörte die Hämmer und die Schreie, und da die Zuschauer fortgegangen waren, ragten die drei Kreuze, und ich sah ihn in der Mitte schweben, und die Krieger saßen zu seinen Füßen mit ihren Weinkrügen und zerrissen seinen Mantel. Da verhüllte ich mein Haupt und trat in meinen Garten in einer tiefen Stille. Und ich hörte den Ruf eines Sterbenden in dieser Stille und fiel mit dem Gesicht auf einen Felsen.

Siehe, da zerbrach ein Getöse wie von einem Donner die innerste Erde, und wie ich eilends aufstand, öffnete der Fels seine Seite und war eine kleine Höhle wie ein neues Grab. Und ich gedachte des Wortes, das Jesus gesagt hatte und sah das Grab an, daß es für ihn sei, ihn dort hinein zu legen, und ich erinnerte mich aus der Zeit, da ich für den Garten ein Lösegeld gegeben hatte, daß er einem jüdischen Mann gehörte, der war im Krieg verschollen, und die Römer hatten sein Eigentum genommen. So machte ich mich auf und lief, den Leichnam von dem Landpfleger zu fordern. Und ich trat vor Pilatus ohne Furcht und empfing die Zusage und eilte hinaus, den Heiligen von dem Holz abzupflücken wie eine reife Frucht. Und mit mir ging Nikodemus, ein vornehmer Grieche, der Jude geworden war, der war vor mir zum Landpfleger gegangen, daß er dasselbe forderte, aber er hatte nicht gewagt in das Haus zu gehn; der redete zu mir, da ich aus dem Saal des Landpflegers kam: o Menschenbruder! und faßte sich ein Herz und half mir. Es kamen auch die Frauen herzu und wickelten den Gestorbenen in eine Leinwand. Und da wir das Alles bereitet und ihn geborgen hatten, war es Abend. Wir wälzten den Stein vor das Grab und gingen jeder in sein Haus und blieben in der Stadt verborgen.

Es war über das Fest große Unruhe in allen; und am dritten Tag unserer Verborgenheit bereiteten die Frauen in meinem Haus die heimliche Flucht, und die Tür blieb verschlossen. Da traten Kriegsleute in die Gasse und schlugen an meine Tür. Wir wähnten, das Ende sei gekommen. Da trat Jesus zu mir und legte mir seine Hand auf. Ich fiel nieder. Er hob mich auf und sprach: Fürchte dich nicht. Und jene Kriegsknechte, die hereintraten, waren abgesandt von denen, die das Grab hüteten, und sagten: Seine Jünger kamen des Nachts, da wir schliefen, und stahlen ihn. Ich glaubte aber nicht diesen Männern und ging aus, frei von Furcht und verkündete die Erscheinung des Auferstandenen und sammelte seine Jünger. Da wir, an fünfhundert, zum erstenmal beisammen waren, erschien uns der Herr. Und es erhob sich von dem Tag an ein Wind des Geistes über das Land und ergriff beides, Juden und Fremde und alle Städte in Syrien und Ägypten. Und mein Haus ward aufgetan auch jenem Saulus, der war einer der Jünglinge, die den Panzer unter dem Mantel trugen und mit schnellen Pferden die verfolgten, die draußen reisten, die Botschaft der Auferstehung zu verkünden. Diesen erschreckte der Herr vor Damaskus und warf ihn zu Boden und erhob ihn unter die Seinen und zerbrach durch ihn das gewaltige Werk der Römer von innen her. Und ich ward alt, ein Genosse der Gemeinde zu Jerusalem und wartete der Auferstehung der Jünger Jesu des Messias und sah die Herrlichkeit Gottes und ward begraben im Gebirg eh man das Meer sieht. Bei dem Herrn ist viel Erlösung. Und er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden.

Am Abend, da es kühle war,
Ward Adams Fallen offenbar.
Am Abend drücket ihn der Heiland nieder,
Am Abend kam die Taube wieder
Und trug ein Ölblatt in dem Munde.
O schöne Zeit, o Abendstunde!
Der Friedensschluß ist nun mit Gott gemacht,
Denn Jesus hat sein Kreuz vollbracht.
Sein Leichnam kommt zur Ruh.
Ach, liebe Seele, bitte du,
Geh lasse dir den toten Jesus schenken,
O heilsames, o köstlichs Angedenken!

 

Da ich noch lag, nicht mehr lesend, nur in das holde Singen eingebettet, das von einer einzelnen Stimme vor der schweigenden Orgel und dem schweigenden Chor der deutschen Sänger aus einer weiten Ferne wehte wie der Hauch der Rosen, der die dunkle Kammer füllte, sah ich über mir das Gesicht des wiedergekehrten Besuchers und hörte ihn trotzig sagen: Er steht aber nicht aus, wie die Unbeschnittenen meinen. Der Besucher glich einem der Erschlagenen von Bittir, und auch die Rosen an meinem Bett waren der Duft von Bittir, wo das Blut von den Bergen floß, als Judäa verwüstet wurde. Er wies dorthin und sagte: Sei gesegnet, Fremdling, mit den Rosen, die aus meinem Blute sind.

 

Der große Hohenstaufe Friedrich, mit der Krone des Königs von Jerusalem auf dem Haupt, ließ sich zur Westmauer führen und sah die klagenden Juden. Keiner wagte es, sie von dort zu entfernen. Man zeigte ihm einen Mann dort an der Mauer, der täglich an derselben Stelle stand, immer in derselben Weise seinen Kopf in eine zwischen zwei Steinen herausgebrochene Spalte legte und hineinsprach wie zu einem lebenden Wesen. Derselbe Mensch steht dort noch heute. Neben ihm in langer Reihe stehen die Männer in schwarzen Kaftanen, mit abgeschabten fuchsig glänzenden Hüten, die denen der französischen Kapläne ähnlich sehen. Dazwischen ist einer, dessen Reiseanzug von einem englischen Schneider stammen mag, ein kleiner Mann mit rasierten Wangen, der halblaut aus seinem in weiches Leder gebundenen Taschenbuch die seltsamen Zeichen abliest, die an Laubsägen erinnern. Von solchen Zeichen sind Sprüche mit Kalk oder mit Kohle hier auf die alten Quadersteine der Mauer hingemalt. Ein paar bleiche, mädchenhafte galizische Knaben in langen Kleidern und mit Schläfenlocken lesen ebenfalls die Gebete; ein langer schmieriger Vater zieht gelegentlich einen an den Ohren. Eine Gruppe von Paradiesvögeln steht zwischen allen diesen grauen Spatzen und schwarzen Raben. Es sind feiste behäbige Gestalten in buntgeflammten Seidenkleidern mit Querstreifen von Grün, Blau und Karmin, oder Weiß, Gelb und Rot, oder Grün, Karmin und Scharlach. Bucharische Juden, nicht Aschkenasim wie die übrigen aus dem Reich des Zaren ausgewanderten, sondern Sephardim wie jene, die in Persien, in Bagdad, im Jemen, in Ägypten, am Nordrand von Afrika und als Spaniolen in der Levante leben. Sie bewohnen ein schönes, nagelneues Viertel in der Jaffavorstadt; dort stehen ihre mit feiner Steinmetzarbeit verzierten Häuser, in bunte Gärten zurückgezogen. Viele dieser Häuser sind erst im Bau, andere noch unbewohnt, denn die Besitzer sind noch einmal in das alte Ausland zurückgekehrt, um ihre Geschäfte abzustellen. Auch Frauen, in weiten kleinbürgerlichen Kleidern, sitzen an der Mauer auf einer Bank, die sie selbst herzugetragen haben. Die Männer weinen nicht, sie stehen nur da und lesen; diese Frauen aber netzen die Steine mit Tränen. Soeben kommt eine Gruppe von Fremden; sie zürnen noch über den labyrinthischen Zugang dieses Orts, der durch die schmutzigsten Gassen des Araberviertels führt. Jetzt schweigen sie. Ein Mann, viel zu elegant für hier, wendet sich plötzlich ab mit zuckendem Mund.

 

Es ist ein Freitagabend im alten jüdischen Stadtteil. Unmöglich, sich ohne Führer in diesen stinkenden, von niederen Fenstern und Höfen umlauerten Gassen zurechtzufinden. Man sieht in trödelhafte Stuben, Huren stehen in den Hausgängen. An einer Straßenecke schreit gellend ein Weib und rauft ihr Haar; die Nachbarn laufen zusammen; das türkische Militär hat ihr den Sohn fortgenommen, jetzt am Festesvorabend! Wir betreten einen Hausgang, durchschreiten einen kleinen Hinterhof, steigen breitere Stufen hinauf und stehen im hochgewölbten Tor einer Synagoge. Der Gottesdienst hat noch nicht begonnen, die Lichter werden gerade angezündet. Erst wenige Männer sitzen in den Bänken. Es sind alte Schnorrer mit demütigen Gehröcken und ängstlichen Gesichtern, wie sie manchmal auf dem Frankfurter Hauptbahnhof ankommen und wieder verschwinden. Auf dem Podium in der Mitte des Raumes, der sich langsam erhellt, – denn aus dem Loch der Galerie kommt an langer Stange ein Flämmchen und zündet in der Kuppel einen Kreis von Lichtern an, – sitzt ein Mann im Kaftan, tief versunken. Mit einem faden schwermütigen Lächeln schaut er vor sich hin, er spricht nie ein Wort. Er glaubt, er sei der Messias. Er findet sich ein, wenn die Synagoge geöffnet wird; wenn sie geschlossen wird, führt man ihn nach Hause. Ein merkwürdiges Wandbild lichtet sich jetzt über dem Eingang: ein ganzer Instrumentenladen von Violinen, Klarinetten, Flöten und Baßgeigen, durchflochten von Weidenzweigen an den Wassern zu Babel.

Wir wollen auf den Gottesdienst nicht warten, wir gehn weiter durch die Gassen. Hinten in einer von Kehricht und Bausteinen fast unzugänglichen Sackgasse erhebt sich die Wand einer anderen Synagoge; die hoch gelegenen großen Fenster sind erleuchtet. Drinnen in dem mäßig großen, durch Anbau erweiterten Raum brennen Lampen in Milchglaskugeln, an der Decke hängen venezianische Leuchter mit Kerzen. Männer in farbigen Seidenkaftanen und Pelzmützen sitzen hier, weit übergebeugt, mit aufgestützten Armen, lesend und diskutierend an einem schweren, mit alten Scharteken besetzten Tisch. Ihre seideglänzenden Kaftane gleichen einem Strauß von gelben, himmelblauen, veilchenfarbenen und fleischfarbenen Hyazinthen. So gingen die Vorväter in den deutschen Städten des dreizehnten Jahrhunderts gekleidet, eh die tragische Wanderung nach Polen begann und das Schiff des heutigen Ostjudentums sich im Schlamme festfuhr. Es herrscht hier ein goldenes gedämpftes Licht, das an den Glasflüssen der Leuchter, an silbernen Kandelabern, an alten Truhen, an einer schönen seltsamen Wanduhr, an rotsamtenen und mit Silber gestickten Decken spielt. Vielleicht sah Rembrandt Ähnliches im alten Amsterdam. Junge Burschen in gelben Kaftanen kommen einzeln herein, einige schwatzen noch im Vorraum, manche bringen die brennende Zigarette oder einen Mund voll Tabakrauch bis in die Tür. Jemand hat inzwischen alle Lampen des seitwärts gelegenen Raumes, wo die Bänke stehn, angezündet; plötzlich erhebt sich die durchdringende und doch weiche Stimme des Vorsängers. Mit einem Schlag verändert sich alles. Im Umdrehen erwachen diese Menschen zu einem andern Sein. Die Alten schreien Verse einer unverständlichen Sprache. Einige haben rasch in den Chorstühlen an der Wand ihre Sitze eingenommen. Ihre Oberkörper halten keine Ruhe mehr; einer der Greise faßt grausam in seinen silbernen Bart, ein anderer schlägt beide Fäuste auf seine Brust und stiert zur Decke mit verzerrtem Gesicht und schüttelt sich in Besessenheit. Der Vorsänger, sich windend, mit verhülltem Haupt: Erbarme dich über Zion. – Chor: Sammle die Kinder Jerusalems. – Vorsänger: Eile, Zions Erlöser! – Chor: Sprich zum Herzen Jerusalems. – Vorsänger: Schönheit möge Zion umgeben. – Chor: Ach, wende dich gnädig zu Jerusalem. – Vorsänger: Möge bald das Königreich Zion wieder erscheinen. – Chor: Tröste, die trauern über Jerusalem. – Vorsänger: Möge Friede und Wonne einkehren in Zion. – Chor: Und der Zweig aufsprossen zu Jerusalem. –

Diese emporstöhnende Liturgie in ihrem dahinflutenden Rhythmus, mit ihren kurzen Stockungen gleicht den Gebeten in den Klöstern der Mongolei. Dem brausenden Gemurmel fehlen nur die langgezogenen und berstenden Posaunentöne, als schrieen die Tiere des Waldes mit bei diesem Ansturm auf Gott.

 

An den tiefen schmalen Gassen von Jerusalem, die den Berghang hinunterführen, sind Kellerfenster, durch die man düstere verlassene Grabmäler erblickt; in den von Gewölben und armseligen Butiken umdunkelten Querstraßen gehen Nonnen mit Palmzweigen durch das Gedränge, Menschen knien nieder, und das hörnerne Klappern von Eselhufen macht ihre Gebete schwindlig hier am Ziel. Ein Unterbau von Schutt trägt die zerstückten, tausendfach gebrochenen Gebäude. Die mit scharfen Splittern und mit Grabsteinen besäten Abhänge und Felder rings, diese unbeschreiblich rauhen und verwilderten Täler, die den Fuß verletzten und den Körper des Wanderers ermüden, sind ganz eins geworden mit der unüberwindlichen Sage, die in allen Ritzen der Steine nistet. Diese Stadtmauern sind Mittelalter, und doch ist diese gewaltige alpine Festung wie mit einem einzigen Hammer zerschlagen und fortgeschüttet, und am Abend sind auch die Menschen wie zerschlagen von allen den Beschwerden. Alles geht früh zu Bett in den großen halboffenen Felsenzimmern an der Terrasse; sogleich kommt der Schlaf. Doch von einem fernen Hahnenschrei erfaßt, strömen nun die leichten, ernsten, leidenschaftlichen Träume. Christen, Juden, Mohammedaner, alle werden Fanatiker hier in Jerusalem! Ich stehe auf und schaue wie von einem Turm in die Stadt hinab; nirgends in den Straßen sind die Lichter angezündet. Die Glocken aller Kirchen läuten. Die Straßen sind erschreckend dunkel. Nur in einigen Synagogen ist Licht, doch das Licht kann nicht aus den Fenstern. Und während dort drinnen in den taghell erleuchteten Synagogen die Beter mit verhüllten Schultern und verzerrten Gesichtern gen Himmel schreien, öffnen sich in der Stadt die Pforten der Herbergen, der Pilgerhäuser und der Stiftungen. Bei verstummenden Glocken, ohne Gesang, ohne Lichter treten die Menschen den Gang zum Grabe an. Sie treffen sich in den Straßen, sie vereinigen sich zu einem Strom und erkennen einander nicht, ob es Griechen oder Deutsche, Russen oder Kopten sind. Wie das Wasser aus einem Schwamm strömen sie hervor aus den starren Gelassen der Häuser und füllen die Grabeskirche in einem unabsehbaren Gedräng. Nicht eine Kerze noch Ampel brennt hier, die mit Gold und farbigen Steinen bedeckten Bilder schweben dunkel und erloschen. Plötzlich scheinen die Mauern, die Wölbungen weggehoben, die Menge lagert, jeder einzelne fühlt sich nicht mehr denn einen Stein oder ein Sandkorn, doch plötzlich sehen alle den Gekreuzigten. Seine Haut ist schmutzig und voll grüner Leichenflecken; in den Poren stecken da und dort noch Dornen, beklebt mit braungewordenem Blut. In den weit aufgerissenen, unflätigen und brandigen Wunden der Hände hängt der tote Körper, von seinem Gewicht herabgezogen. Die grauen, mit einem derben eisernen Zimmermannsnagel übereinander gehefteten Füße sind elefantenmäßig geschwollen, auf einen nassen Holzklotz genagelt, eine einzige gräßliche Masse. Der Kopf hängt haltlos an dem schlaffen Hals, unnatürlich tief gesunken, fast tiefer als die Schultern, und ein Dornenkranz von fanatischer stechender Spitzigkeit sticht nach allen Seiten; Dornen von der Länge eines ausgewachsenen Fingers um das ekel gewordene und verzerrte Haupt, das von innen her in einem grauen Schatten liegt. Die Unterlippe hängt herab und entblößt die Reihe weißer schöner Zähne zu einem Grinsen. Die auf einen unbehauenen Birkenkloben genagelten Hände weisen mit gespreizten Fingern in die Ecke. Der Himmel ist schwarz wie altes Schuhleder.

Zwei Ungeheuer, nicht mehr menschliche Gestalten, stehn an seiner Seite. Links die Gestalt einer Frau, unförmig geworden vor Stillstehn. Ganz abgestumpft und vermodert sind die Farben ihres gewaltigen Kleids. In den Mienen, die vor Gram häßlich sind, liegt nichts als der einzige Ausdruck einer unsäglichen tiefen zentnerschweren Verdrießlichkeit. Rechts steht ein Mann. Sein Gewand ist gestern vielleicht noch schön und neu gewesen, es ist vor lauter Rissen und Beulen zu einem Lumpen geworden. Mit einer Gebärde, die bei einen Mann ganz ungewöhnlich ist, ringt er die Hände. In seinem Gesicht, auf seinem zwergenhaften Kopf ist die Haut zusammengeschrumpft, sie ist in Falten nach den Nasenwinkeln zusammengezogen und bildet Riefen nach den Mundecken. Seine überanstrengten, ausgetrockneten Augen verbergen sich in den geröteten Hauträndern, in grauen Höhlen, fast wie Schlitzaugen. Seine bucklige niedre Stirn, seine Backen, auf denen rote Bartstoppeln hervorbrechen wie Höllenflämmchen, sind unedel, ja gemein; aber ein unsäglicher Gram gibt diesem Antlitz eine ewige Vollkommenheit des Jammers. Ein trostloser, ganz finsterer Himmel darüber, schwarzgrau wie der Rauch aller Fabrikschlote dieser Erde, läßt die drei Gestalten wie einen starken Marsch erklingen, der verrückt macht in seiner unbeweglichen Trauer; es ist ein Vorwurf ohne Anklage, keiner denkt daran, anzuklagen. Die heimliche Krankheit ist aufgebrochen. Die Menschen sind Stein geworden in ihrem stumpfen Entsetzen. Plötzlich legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich wende mich um, sehe aber niemand. Nur eine Stimme spricht: Male cogitasti de me.


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