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Jerusalem

Der Dampfer brachte mich von Venedig nach Jaffa. Er gehört zu der Flotte des Norddeutschen Lloyd, der seine Flagge jetzt mehr als früher im südlichen Mittelmeer zeigt. Das Schiff war wie ein gutes Gasthaus, dessen Terrassen, vom Seewasser bespritzt, bis an die Küste des Heiligen Landes reichen. Eine Gesellschaft von zweihundert evangelischen Pastoren nebst Angehörigen hatte von der angenehmen Einrichtung Gebrauch gemacht. Sie sangen »Großer Gott wir loben dich«, als das Schiff an den Gärten des Lido vorüber ins Meer fuhr. Zwischen Posaunenchor, Seekrankheit und schönem Wetter mit »Besichtigung« von Korfu erlebten wir ein einziges Gemisch von Kreuzzugstimmung und Gegenwart. Als am fünften Tag die Küste Palästinas schmal und gelb zwischen dem Blau des Himmels und des Meeres erschien und dann ein kleines Boot mich durch die Klippen zu den schlüpfrigen Stufen der alten Mole brachte, da ging ich, froh wieder allein zu sein, meiner Wege. Die theologische Atmosphäre an Bord hatte mir ein wenig den Atem verschlagen, es war mir schließlich nicht anders, als sei ich fünf Tage lang mit einem Kongreß von Gas- und Wasserfachleuten eingesperrt gewesen. Nur die Stewards in ihren weißen Jacken waren bis zuletzt immer oben geschwommen über dieser Masse von Loden und schwarzen Gehröcken. Ich sah es nicht und fühlte es doch angenehm, daß ein Extrazug sie nun alle sofort nach Jerusalem brachte. Ich blieb in Jaffa, besuchte die deutschen und die jüdischen Ansiedlungen dort, und als ich nach ein paar Tagen auch oben in Jerusalem war, auf einer Dachterrasse mitten in der bleichen Stadt, im Mondschein, unter einem kühlen, von nebelhaft wehenden Wolken vergeisterten Himmel und wie über vieles Totengebein zur Schlucht des Kidron hinunterschaute, da kam aus der Ferne noch einmal ein Choral, vom Posaunenchor geblasen. Es war ein Abschiedsgruß jener Landsleute, die am nächsten Tag aus dieser Stadt verschwanden. Ich winkte im stillen den guten Gesichtern nach. Nun schien es mir, als sei ich angekommen.

 

In die großen Pflastersteine der Gassen von Jaffa sind die Muscheln des Meeres hineingebacken. Die Menschen in Palästina gleichen diesen Steinen. Die Geister des Landes wandeln über ihnen. Die Muscheln sind die Merkwürdigkeiten der Vergangenheit, alle die tausend kleinen Dinge des Glaubens wie des Unglaubens, die Hoffnungen und die Hoffnungslosigkeiten einer Welt. Es wird schwer halten, in Palästina einen Menschen zu finden, in dessen verborgeneren Ecken nicht irgendein Funke von Mystik schlummert. Es scheint allerdings immer auch einen zweiten zu geben, der auf diesen Funken von Mystik bei den anderen spekuliert. Vielleicht geht hier deshalb ein jeder umher wie mit einem verschlossenen Kästchen in der Tasche. Der Trieb zu Gott führt die meisten hierher und aneinander vorüber. Es ist eigentlich nur die Schuld der Gebildeten, wenn sie sich hierüber in Worte nie so recht zu fassen wissen.

In Jaffa traf ich zwei Männer im Gespräch. Der eine war einen Kopf größer als der andere, ein hagerer Amerikaner mit glattem Gesicht und kurzgeschnittenem grauen Haar; man mochte meinen, daß er eine Lebensperiode als Geschäftsmann schon hinter sich habe und mochte sich fragen, was er in diesem Land wolle. Der andere war ein Jude. Man sah an seinem Gesicht und an seinen Kleidern, er war in Amerika nicht geboren, aber dort gewesen. Er sah kräftig und frisch aus und sperrte gern den Mund auf, um sein starkes weißes Gebiß zu zeigen.

Jemand erzählte mir die Geschichte von diesem Amerikaner. Er war eine Art Missionar, ein trockener Seitenzweig auf dem großen, ohnehin etwas dürren Stammbaum von Lewis Way. Lewis Way, ein Geistlicher von vornehmer englischer Abkunft, war ein Begründer der Mission unter den Juden, die sich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts über Schottland, Deutschland und Amerika verzweigte. Seine Beziehungen reichten bis zum Zaren Alexander I., den er im Jahr 1817 überredete, zwei Ukase zu erlassen, die den Getauften in Rußland große Vorteile versprachen. Lewis Way kam auf seine Ideen bei einem Spazierritt in der Grafschaft Devonshire, in einem Eichenwald. Es war fast ein Urwald, denn die verstorbene Besitzerin hatte diesen Wald in ihrem Testament bestimmt, zu verwildern bis auf den Tag, da Israel wieder in den Besitz seines Landes und der Heiligen Stadt gelangt sei. Jener Amerikaner nun, der in Jerusalem seit fünfzehn Jahren lebt, ist dort Verwalter eines Weinberges, der einer alten Dame in London gehört. Das Gut heißt Abrahams Weinberg und soll den Juden übergeben werden, wenn die Zeit kommt, daß sie von selber Christus suchen und bekennen. In dem Weinberg dürfen nur jüdische Arbeiter beschäftigt werden; dem Verwalter ist auferlegt, keine Werbe für den christlichen Glauben zu treiben, mit Juden aber viel zu verkehren. Er wohnt also in dem einzigen streng jüdischen Hotel, das es in Jerusalem gibt; gelegentlich kommt er einmal nach Jaffa, um sich von der rituellen Kost zu erholen.

Der jüdische Gentleman aber, der mit dem Amerikaner sprach, war aus Rußland. Er war Journalist gewesen, hatte das Reich Nikolai II. nach der Revolution verlassen und war Zionist geworden. Da ich mit ihm bekannt wurde, so erfuhr ich durch ihn selbst, er sei schon zum zweitenmal in Palästina. Hier im Hotel der deutschen Kolonie wohne er schon längere Zeit und nehme täglich arabischen Unterricht. Es scheint, daß er irgendeine größere wirtschaftliche Unternehmung vorbereitet und sich in den Verhältnissen des Landes gründlich umsieht. Neben uns sitzt ein italienischer Herr, der nach Bedarf deutsch, englisch, russisch und arabisch spricht. Zu allem hat man hier Gelegenheit. Er ist der Vertreter einer großen norditalienischen Firma, die nach Odessa und in die Türkei exportiert und neuerdings in Palästina die Marseiller Ziegel mit italienischen bekämpft, die immer in Barkenladungen nach Jaffa kommen. Schließlich haben die Ziegeleien beider Seiten zu leben, denn in diesem Lande werden ja jetzt viele Häuser neu gebaut. Wir drei kommen bei Tisch miteinander auf die russische Literatur zu sprechen. Der Jude rühmt ihren befreienden Geist, er nennt sie den Gärstoff der ganzen östlichen Welt. – Aber die wirtschaftlichen Umwälzungen darf man daneben auch nicht vergessen! – Schön. Nehmen Sie die Juden in Russisch-Polen. Sie stehn in einem großen wirtschaftlichen Kampf, sie hassen Rußland, und doch ist ihr Drang nach Nationalität und Freiheit geweckt von der russischen Literatur, die zuletzt noch Schiller in sich aufgenommen hat, ehe sie selbständig wurde. – Das sind Juden, die ein eigenes geistiges Gesetz ohnedies in sich tragen. – Was wollen Sie! auch die Führer der panislamischen Bewegung, die Redakteure der arabisch geschriebenen Zeitungen in Konstantinopel, in Kairo und in Kalkutta sogar, sind zumeist Tataren, die auf russischen Gymnasien erzogen sind. Sie haben einen Zionismus, wie wir den unsrigen. – Ich meine, die Führer des modernen Zionismus sind doch deutsche Gelehrte, Kaufleute und Ingenieure? – Meinetwegen. Aber in den Tausenden, die dann wirklich nach Palästina kommen, besteht zu diesen »Daatschen« nur ein kühles Verhältnis, wie es zwischen der russischen Masse und den neunmalklugen Deutschen im Osten auch besteht.

 

Der Zug verläßt den kleinen, von Menschen wimmelnden Bahnhof von Jaffa bei schmetternden Hörnerklängen. Eine Kompanie türkischer Soldaten in groben, grünlichen Uniformen bildet Reihe. Der abfahrende Zug ist vollgestopft mit Soldaten, die zum Fenster hinauswinken und einen wilden Gesang anstimmen. Wir sind noch zwischen den Häusern der Stadt, aber aus den Fenstern des Zuges strecken sich rauhe Hände mit Revolvern; Schüsse krachen in die Luft und wecken ein Geheul des Beifalls. Erst draußen, da wir über die Wiesen fahren, kehrt Ruhe ein. Die Soldaten sind Verstärkungen für die Wache der Grabeskirche während der orthodoxen Osterfeiertage, auch steht dort oben in Jerusalem das mohammedanische Mosesfest und das Passah der Juden bevor. Das Militär füllt den Zug mehr als zur Hälfte, die gewöhnlichen Passagiere müssen sich etwas zusammendrängen. Ich sitze zwischen einem alten schwäbischen Templerkolonisten, der vor vierzig Jahren in Palästina eingewandert ist, und einer in schwarze Lumpen gehüllten koptischen Frau, die eine merkwürdige gelbe Metallhülse über der Nasenwurzel trägt, einem Wesen mit scheußlich bemalten Händen. Gegenüber sitzt ein türkischer Geistlicher. Sein wachsweißes Turbantuch ist am Rande ein wenig vergilbt wie eine welkende Kamelie. Seine Nachbarin ist eine rundäugige jüdische Frau. Sie hält ihr festtäglich geputztes Kind auf dem Schoß und trägt einen riesigen schwarzen Plüschhut voll wallender Federn, unechter Veilchen und blitzender Glasstücke.

Im hohen Gras der Niederung stehn stämmige Schafgarben mit großen, weißen, tellerförmigen Blüten, die in der Mitte ein schwarzes Insekt zu tragen scheinen. Es beginnt der Anstieg auf mäßig geneigte, schwach begrünte Berghöhen, in enge, rauhe und felsige Täler mit Höhlen in den Felswänden und tief eingerissenen rauhen Betten versandeter Wildbäche. Der Geistliche scheint ein Bedürfnis nach Unterhaltung zu haben. Er teilt dem Schwaben mit, er habe Land zu verkaufen. Der Schwabe entgegnet, daß er kein Landkäufer sei, der Türke erwidert, daß er ihn für einen Juden gehalten habe. Er versucht auch an dem Geplauder mit unserer Nachbarin teilzunehmen, aber der Schwabe hat keine Lust, den Übersetzer zu spielen. Sie ist aus Lemberg und wohnt seit kurzem in Tel-Awiw, dem modernen, an den Dünen von Jaffa errichteten Stadtviertel. Sie erzählt uns in ihrem fremd und zugleich vertrautklingenden Jiddisch die lange Geschichte von der Übersiedlung ihrer Familie; die Gründung einer Seifenfabrik scheint dabei irgendeine Rolle zu spielen. Der Türke steckt gelangweilt das Gesicht zum Fenster hinaus, stützt das Kinn auf den Arm und beginnt vor sich hin zu singen. Allmählich gerät er in Feuer; seine lose, verhaltene und spielende Stimme flicht ein seelenhaftes Band in das gleichmäßige Klirren und Schnaufen des Zuges.

Bei den Aufenthalten benutzen die Frommen die Zeit, um auf dem Bahnsteig ihre Teppiche auszubreiten und das Abendgebet zu sprechen. Landleute verkaufen frischen Lauch an die Buntgekleideten, die dann während der Fahrt auf den Trittbrettern sitzen und den Leckerbissen bis auf die krausen, grünen Blätter verzehren. Der Himmel ist von Regenwolken schwer, wir nähern uns ihnen gleichsam. Zuweilen finden sich dürftig bestellte Felder, von Steinwällen eingefaßt, in den von Geröll gefüllten Bergrinnen. Nun werden die ersten Zeichen von Jerusalem sichtbar; es sind die gelblichen, europäisch aussehenden Häuser einer draußen gelegenen Templersiedelung. Endlich hält der Zug auf einer wagerechten Rampe an. Ein paar Augenblicke noch ist er von Menschen umbrandet, dann bleibt er leer zurück. Die Ankömmlinge begeben sich zu Wagen und zu Fuß zur Stadt. Man geht am Rand einer breiten und tiefen Talmulde hin. Drüben umschlingt eine mittelalterliche Mauer die Höhe des Berges. Hier am Weg stehen elende Baracken, die uns ihre Rückwände, ihren Kehricht und massenhaft zum Trocknen aufgehängte Wäsche zeigen. Es sind die Notlager für eingewanderte Juden: eine recht trübselige Belagerung der Burg Davids da drüben.

 

Nun bin ich in Jerusalem. Ich wohne in einem bescheiden stillen Hospiz, gehe umher in den getreppten tiefen Gassen, in den Kirchen und in den Höfen der Klöster und begegne, ganz ohne Bekannte hier, und mitten unter der Menge, die ihr Geschrei plötzlich wie Waffen hervorzieht und auf den Vorübergehenden einhaut, nur einem Menschen immer wieder, der schon im Eisenbahnzug mit mir herauffuhr. Es ist ein arabischer Pilger mit grünem Turban, ein junger Mensch, dem die blasse Gesichtsfarbe und der dicke Hals ein idiotisches Aussehen geben.

 

Nach dem Nachtessen führt mich der Hausvater zur Grabeskirche. Der Weg dorthin führt durch enge, überwölbte und nur von wenigen Herdfeuern und Steinöllampen beleuchtete Gassen, dann über einen kleinen, italienisch kahlen Platz in den breiten Vorraum der Kirche, die schon von Finsternis erfüllt ist. Ein Summen dringt uns entgegen. Wir steigen im vollkommenen Dunkel eine sehr schmale und steile Treppe hinauf und gelangen in eine von Dunst gefüllte Katakombe. Eine Mauer von Menschen umdrängt den Altar, dessen funkelnde, unerkennbare Gegenstände von bunten Lampen beleuchtet sind. Diese Stätte ist Golgatha. Breites, langhaariges, russisches Bauernvolk ist hier versammelt. Das von Silber und Edelsteinen und ruhig brennenden Kerzen schimmernde Heiligtum der Höhle beleuchtet undeutlich die Gesichter. Als ein unendlich ehrfürchtiges, niemals endendes Echo von Urbegebnissen raunen hier die tiefen Bässe der Männer und die schärferen, vor Befangenheit umgeschlagenen Altstimmen der Frauen. Den Felsen, auf dem wir stehen, durchzieht der Spalt des Erdbebens. In der Vertiefung vor dem Altar, die jetzt mit Silber eingefaßt ist, soll das Kreuz gestanden haben. Welch ein Ort der schmerzlich süßen Schauer. Die Russen werden hier die Nacht verbringen mit feierlichen Gesängen, tiefen, hingegebenen Verbeugungen und Bekreuzigungen. Die Alten, voller Kummer über ihr Ermatten, werden vielleicht später auf den schmalen steinernen Wandbänken ein wenig ruhen dürfen, den Rüstigen aber gräbt sich in dieser Nacht der zehrende Wunsch nach dem ewigen Besitz dieser hochheiligen Stätte in das Herz.

Der neue Kreuzzug

Stimme der Balkanslawen

Wie das Heu im Winde von der Gabel,
Weht das Laub im Herbst von unsern Bäumen.
Brüder! in den Scheuern ist die Ernte,
Ist der Mais, das blinkende Getreide.
Brüder! auf die Schultern das Gewehr!

Das Gewehr auf hunderttausend Schultern!
Vor uns her die wohlverhüllten Fahnen:
Tragt sie sorgsam, sorgsam wie ein Freier,
Der mit seinem bunten Blumenstrauß
Eilig, freudig, Trommelklang im Herzen,
Zur Geliebten, zu der Schönsten will.

Zu der Schönsten, zur Geliebten vorwärts!
Auf den Hügeln drüben winkt die Freiheit.
Aus dem Zorn der Herzen, aus uralten
Bittern Bränden schlägt die helle Flamme,
Blitzt empor an tausend Bajonetten,
Gräbt sich in die Menschenleiber ein.

Asche wird der Wall der Menschenleiber;
Ihre Wagen brechen, ihre Räder
Stocken festgeklammert in der Erde.
Ihrer Burgen graue Steine wanken,
Und in seiner roten Todeszähre
Sinkt der Feind zu unsern Füßen hin.

Jubelnd werfen wir auf die Gefallnen
Uns zu Füßen die zerbrochnen Ketten;
Herrlich strahlt das Kreuz mit goldnen Armen,
Vor uns wandernd, auf Byzanz hernieder,
Schimmert ferne auf Jerusalem.

In Jerusalem die kleinen Steine,
Die das echte Kreuz getragen, o sie beben
Wollustvoll, denn eines Volkes Lippen
Dürsten, sie zu küssen, und es schmachten
Diese Lippen, dort dich einzuatmen,
Überwundner Tod, und Duft der Ewigkeit!

Leben, Tod und ewiges Leben allen,
Die des großen Winters Leid getragen!
Eilt, ihr Völker, hin gleich Elefanten,
Eure Könige auf breiten Rücken:
Werft sie kniend, Schwert und Krone stürzend,
Vor dem großen Ökumenen in den Staub!

Dann mit unsrer Brust voll junger Narben
Stellen wir uns in der Völker Reihe,
In die stolze Reihe jener Starken,
Die uns noch den Bruderkuß verweigern.
Traumerwachend, noch mit Blut beronnen,
Fassen wir gewaltig ihre Hand.

Stimme der Mächte

Wir, die Starken, stehn beiseite,
Sehn die weiß erhellten Nächte,
Hören Luft und Stein erkrachen,
Sehn sich Blut und Krume mischen,
Sehen eures Feuers Strahl.

Eures Feuers greller Strahl
Raucht in unsre dumpfen Kreise,
Und ihr müßt den Zoll uns geben:
Eurer Männer Siegsgeschrei
Macht uns längst die Kehle trocken
Nach dem Quell, der dorten rinnt.

Denn der Quell, Jerusalem,
Rinnt für alle, alle haben
Bitter einst um ihn geblutet;
Soll der ganze Erdkreis wieder
Schrecklich blühn von Blutesrosen?
Naht ihm, doch mit Waffen nicht.

Stimme der Türken

Hat uns Gottes Grimm geschlagen?
Hat euch andre Gunst erhoben?
Nein, es ist ein Gott allein,
Der euch ein Jahrtausend lang
Hat in unsre Hand gegeben.
Mags im Westen Abend werden,
Dort im Osten glüht sein Tag.

Ewig glüht sein Tag im Osten.
Weiße Berge hoch im Morgen,
Grüne Länder uns im Rücken,
Die noch leer sind wie der Mond.
Länder, reich an Erz und Wasser,
Bieten Trauben, Holz und Korn.

Dort aus jener Mondesleere
Kamen wir mit wehenden Schweifen,
Einst mit Schwertmusik und Mohren,
Trugen Geißeln in den Händen,
Griffen nach Europens Schlüssel.
Wohl, so seid ihr losgebunden,
Nahm ihn Gott von uns zurück.

Nahm er euch des Friedens Schlüssel,
Wird er uns die Tränen küssen,
Die im Winterfrost erstarrten,
Jene Tränen, dort vergossen,
Fallen fruchtbar wie der Tau
Auf die Länder morgenwärts.

In den Ländern seiner Sonne
Weckt er uns zu neuem Wesen,
Zeigt uns seine brache Erde,
Lagert uns an sichern Felsen,
Und das Bett von unserm Rücken
Legt er in ein neues Zelt.

Neue Zelte, Holz und Steine,
Ziegelblauglanz, schlanke Türme
Preisen ihn in Herrlichkeit.
Mag in Nacht der Westen sinken,
Vor dem klaren Morgenhimmel
Lobt des Rufers helle Stimme
Gottes sanftgeneigten Mond.

Gott hat seine Nagelspur
So ins Firmament gegraben;
Feinde, eure Freiheitsbäume
Stürzen rauhe Wirbel wieder.
Eurer Kirche Kinderlieber
Endet stets ein Schrei: Erbarmen!
Und ihr ließet uns das Pfand.

Ließt das Sinnbild eurer Leiden
Immer noch in unsern Händen.
Heilig ist des Kreuzes Stätte,
Aber wird die Erde enger,
Wird das Herz der Menschen heißer,
Muß sie Gott vor Toren schützen:
Unser bleibt Jerusalem.

 

Ich finde, ach, die deutschen evangelischen Pilger in der neuen, kahlen Erlöserkirche wieder. Ich bin noch ein wenig berauscht von dem bunten, heidnischen Glanz des Festzuges, der sich zur Feier des Palmsonntags um die Kapelle des Heiligen Grabes bewegte. Ich hörte die griechische Liturgie in der von gelben Kostbarkeiten angefüllten Kathedrale der Grabeskirche. Wie ein Lagerfeuer der Menschenmenge brannten die unzähligen Kerzen in einem steinernen Becken, der feurige Glanz umspielte den Becher mit der geflochtenen Kugel, die nach alter Fabel den Mittelpunkt der Welt bedeutet. Die Stühle der Patriarchen, die seidenen Fahnen, die riesigen Kandelaber, die dunkeln Bilder und goldbeschlagenen Säulen überragten das heiße Gedränge. Dann strömte voll Erregung alles hinaus in den von hohen, zweistöckigen Kreuzgewölben umgebenen Kuppelbau und schloß sich im Nu als eine kreisrunde Menschenmauer zusammen, in deren Mitte die Prozession sich hinwand. Läufer mit silberbeschlagenen Stöcken machten den Anfang, es folgte ein abessinischer Neger mit einem riesigen, grauschimmernden Ölbaumast; dann kamen die Mönche, die zitronengelb gekleideten singenden Leviten mit den blumigen Kirchenfahnen, der weißbärtige Patriarch, umwölkt von Weihrauch, zum Schluß einige Laienpersonen, in der Mitte der russische Konsul in Staatsuniform mit dem hellblauen Ordensband. Ein Getöse sondergleichen füllte die Kirche und ihre von innen beleuchteten Kapellen.

Hier in der andern Kirche klingt die Orgel schneidend zum Gemeindegesang. Die hohen, kahlen Hallen im Tageslicht wirken heimatlich auf mich, trotz ihrer romanischen Strenge und ihrer arabischen Flächenfärbung, und mit einem freudelosen Ernst. Frierend, unbeweglich und untätig sitzen die Hörer in ihren Stühlen. Der Konsistorialrat auf der Kanzel in seinem schwarzen Luthertalar schlägt den Psalm auf und liest: »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen.« Die Predigt bringt einen klaren, abendländischen Theologenverstand zum Ausdruck, einen kühlen Silberglanz mag sie haben wie ein stiller nordischer Mittag. Doch nicht mehr. Wir stehen hier auf dem Boden Davids. Ja, ja, denke ich, denn die Gedankengänge des Redners da oben erlauben manche kleine Einschaltungen: David ist noch immer populär in der Christenheit. Er ist im Grund liebenswürdiger als Moses, der in seiner Jugend einen dunkeln Zug zum Verbrechen aufweist und schließlich alles von sich abstößt. Weil David ein mutiger Junge war wie irgendein Matrose auf dem Atlantischen Ozean, weil er allerhand böse Abenteuer erleben mußte und seinem Freund Jonathan treu war, darum hält man etwas auf ihn in der germanischen Welt. Er war ein Mann nach dem Herzen Karls des Großen und der Sänger auf der Wartburg; auch die einfachen Leute haben eine Vorliebe für ihn: im deutschen Märchen bringt es der Hirtenjunge zum König. Man stellt sich ihn vor mit einer Zackenkrone auf den braunen Locken und einer goldenen Harfe in der Hand. Es darf nicht verschwiegen werden, daß in seinem höheren Alter ein paar Züge an ihm herauskommen, über die man im Schulunterricht hinweggeht. Aber selbst diese Züge hinzugerechnet, war er ein ganzer Mann und einer der wenigen, deren Dichtertum und Frommheit man ernst nimmt. Wir alle, die wir da sitzen: dieser Ort hier ist eigentlich unser Ziel; es gibt für uns kaum einen tiefern Kern in dem alten Davidsreich als diese Stunde. Wir befinden uns innerhalb der von dem König David um die alte offene Jebusiterstadt gezogenen Mauer, mag sie auch längst wieder zu einem Teil des Erdreichs geworden und von den Kellern ebenfalls längst baufällig gewordener Häuser überschwiegen sein. Von dem Reich des Königs ist nichts übrig als dies gewaltige Runzelwerk von mäßig hohen Bergen, die vor ihm schon da waren und rauh und kahl sind wie Austernschalen, die Schluchten mit den schwer zugänglichen Höhlenlöchern, aus denen der Regen längst jede Spur verborgenen Wohnens hinausgewaschen hat, und die Schwermut der Juden in der Welt. Vielleicht ist die Luft das einzige Beständige einer Landschaft.

Ich will nicht sagen, daß viele der Zuhörer sich während der Predigt von solchem Gedankenspiel zerstreuen ließen. Einige, die schon seit Tagesanbruch auf den Beinen waren und die Landreise nach Bethlehem hin und zurück an diesem Morgen geleistet hatten, saßen vom Schlaf überwältigt da und nickten. Das ist die Rache der Gesellschaftsreisen. Aber gewiß empfanden die meisten weder Schläfrigkeit, noch litten sie an inneren Ablenkungen, sondern sammelten in dankbarem Herzen den Schatz einer lieblichen Stunde zu Füßen Gottes. Gekühlt und heiter traten endlich alle, während die Glocken läuteten, in den heißen Sonnenschein des morgenländischen Tages hinaus und versprachen einander am Nachmittag auf dem Skopus zu treffen.

 

Ich verlasse an diesem Sonntagnachmittag die engen Gassen der Stadt, um nach Bethanien zu gehn. Vor dem alten Stadttor, das nach Damaskus führt, begegne ich einem Zug mohammedanischer Pilger, die ihre grüne, zerfetzte Fahne entrollen und auf den Pauken eine schnarrende Musik vollführen. Draußen steht ein neues, großes, höchst kräftiges Steingebäude, auf dem die schwarz-weiß-rote Flagge weht. Die Landstraße führt an der Stadtmauer entlang. Diese, das Werk eines großen Sultans vor fünfhundert Jahren, ist hoch und wohlerhalten. Sie besteht aus braunen Quadern, die jetzt von Gras und Flechten bewachsen sind. Wie ein Graben eingeschnitten, führt die Landstraße ein wenig bergab, auf der einen Seite die Mauer, auf der andern zuweilen ein Steinbruch, ein Feld mit Ölbäumen oder eine mit splitterförmigen alten Grabsteinen besäte Schafweide. Man kommt an der Kapelle des heiligen Stephanus vorüber. Dort oben mögen die Verfolger die Feldsteine aufgehoben haben, um den Märtyrer zu steinigen; Paulus, ein fünfzehnjähriger eifriger Knabe damals, war mit hinausgelaufen, um zu helfen; man hieß ihn die Mäntel bewachen, welche die Männer hingeworfen hatten. Ein Pfad führt zwischen Ölbäumen und Gerstenfeldern in ein Seitentälchen und steil den Skopusberg hinauf. Dort oben an der Stelle, wo einst Titus mit seinem Heer lagerte, und die verzweifelten Verteidiger der Stadt, nur mit Panzern und Schwertern bewaffnet, der eisernen Legion entgegen stürmten, steht jetzt das feste Haus der Auguste-Viktoria-Stiftung, und es gibt dort heute nachmittag Kaffee und Streuselkuchen.

 

Die Landstraße nach Bethanien aber legt sich mit einem weitgeschwungenen Bogen um den Ölberg. Sie gibt noch einmal den Blick frei auf die hügelig erhobene und von mittelalterlichen Zinnen gekrönte Stadt, dann folgt sie einem langgezogenen und weich geformten Tal. Der Maueranschlag eines Tierschutzvereins bittet in mehreren Sprachen, Grausamkeit gegen Tiere zu vermeiden. Amerikaner traben zu Pferde vorüber, gefolgt von frechen Beduinen auf niedern Eseln. Nach einer Weile begegnet mir ein Trupp Pilger, die mit ihrem Brotsack und dem Blechkessel an der Seite, dem Birkenstab in der Hand und dem Kreuzchen auf der Brust, vom fernen Jordan in ihr großes gastliches Russenhospiz heimwandern. Da gehen sie in ihren Pluderhosen und ausgetretenen Bastschuhen, mit den sauer ersparten Rubelscheinen, die in den Rock eingenäht oder in den Fußlappen versteckt sind, und nehmen aus diesem Land die Zeichen ihrer Pilgerschaft übers Meer mit heim: ein Säckchen Erde, eine Flasche Jordanwasser oder geweihtes Öl, und die biblischen Gewürze Dill, Thymian und Kümmel; bunt gedruckte Bilder der heiligen Stadt Hierosolym und das grobe Sterbehemd, dessen Maß in der Grabeskirche am Salbungsstein genommen ist, an der schmalen, fleischfarbenen, zwei Meter langen Marmorplatte, auf der einst Nikodemus den Leichnam des Gottessohnes salbte.

Am Eingang des langgestreckten Dorfes, das sich an die Wand des Berges schmiegt, erwarten mich zwei Damen in weißen Tropenhüten. Sie fassen sich ein Herz und fragen, ob ich sie durch das Dorf begleiten würde; sie wollen zum Grabe des Lazarus, aber sie wissen es nicht zu finden; man hat mit Steinen nach ihnen geworfen. So gehen wir denn zusammen. Es sind schwedische Missionarinnen. Die Gesichter von beiden sehen alt und abgearbeitet, zwar zäh, doch kränklich aus. Sie sind aus Indien auf der Heimreise und wollen am Heiligen Land nicht so vorüberfahren. Suchend und nicht findend gelangen wir über das Dorf hinaus ins freie Feld und bleiben endlich vor der hohen Mauer eines Gehöftes stehen. Ich klopfe kräftig, es dauert lange, bis man uns öffnet. Ein mürrischer, großgewachsener Grieche in der Tracht eines Priesterzöglings, ein junger Mensch mit struppigem, dunkelrotem Haar, fragt, was wir wollen. Da wir uns nun einmal hierher verirrt haben, so läßt er uns ein und führt uns in die Kapelle, die in der Mitte des zur Wiese gewordenen Hofes steht, und zeigt auf einen Stein. Es ist die Stelle, bis zu der die Schwester des Lazarus dem Herrn entgegenlief und wo dann Jesus sich niedersetzte und den Freund beweinte. Die beiden Damen nehmen ihr dünnes, von Goldschnitt blinkendes Taschenbüchlein heraus und suchen mit freudigem Eifer das Begebnis im Evangelium. Der Priesterzögling begleitet uns in das Dorf zurück und übergibt uns dort einem Fellachen, der nach den üblichen Verhandlungen bereit ist, uns das Grab des Lazarus zu zeigen. Es ist eine Felsenhöhle mit schmalem Eingang und steilen Kellerstufen. Wir erhalten Wachslichter und steigen hinunter. Selbst die Damen scheinen nicht anzunehmen, daß es sich um den bezeugten Ort der Auferweckung handele. Aber es genügt, in diese uralten, bedrückenden Grabräume hinabzusteigen, um auch jene Stimme zu hören, die einst den Gestorbenen vor die Augen der Menschen an das Tageslicht heraufrief. Lazarus, erschrocken und geblendet in der Türöffnung, auferwacht, seinen im Jubel der Tränen glänzenden Freunden lächelnd; und Jesus, sich abwendend auf die ängstliche Frage, ob nun der Erwachte nicht bald aufs neue sterben muß?

 

An der Rückseite des Ölberges wandere ich mit den befriedigten Damen den schmalen schwierigen Pfad empor. Oben erreichen wir die Mauer eines Grundstücks, das die Franziskaner vor kurzem erworben haben. Das große eiserne Tor steht offen. Wir setzen uns auf die Schwelle und sehn den Abhang hinunter über Blumenbeete und jung gepflanzte Bäume. Der Abhang scheint Berge und Hügel bis ins Unendliche einzufassen; in loser Häufung haben alle diese Schädel und Höcker sich gesammelt bis hinab zu der entfernten schwarzblauen Wassersohle. Tagereisen weit gleicht das Land den unzähligen erstarrten Wellen einer im Rausch der Schöpfung leidenschaftlich wogenden Erde. Ich sitze schweigend mit den beiden fremden Frauen auf der Schwelle des Klostergartens. Das öde, stellenwärts von einem rosigen Hauch gefleckte Land liegt zu unsern Füßen, der Wind spielt in den Gräsern. In der äußersten Ferne, vor den dämmerig blauen Bergzügen jenseits des Jordans, die den Himmelsrand begrenzen, unterscheidet das Auge die schwarzen Gehölze, die den Fluß bis an das Salzmeer begleiten.

 

Es ist dieselbe große Landschaft, die ich nach einer Stunde oben von der Höhe des Skopus noch einmal, und noch großartiger, sehe. Als ob ein Badender seine Zehe an einen Kiesel stößt, so scheinen hier die ungeheuern Winde des Weltraumes die Erde zu berühren. Das schwere Eichentor des burgähnlichen Stiftungsgebäudes ist durch eine steinerne Vorhalle gegen den Druck der Stürme geschützt. Der große Garten ist völlig kahl, Büsche und Blumen wollen in dieser reißenden Luft nicht wachsen. Es ist beunruhigend, in so stürmisch bewegter Luft auf eine in unzähligen Wellen abgesetzte Landschaft hinabzusehn, die in der vollkommenen Klarheit der Atmosphäre so deutlich und so nah erscheint und sich nicht im mindesten bewegt.

Drinnen in dem grauen, von Bogenlauben umgebenen Gebäude, dessen blinkende Fenster die Stubenreihen und große Hallen belichten, lebt die stille Schar der mit weißen Hauben geschmückten Kaiserswerther Schwestern. Die deutschen Besucher sitzen an langen Tischen vor den Kaffeetassen. Sie hören wieder einen Vortrag, und die etwas steifen romanischen Figuren der Wandgemälde schaun auf sie herab. Endlich brechen alle geräuschvoll auf. Sie bilden im Hof eine Gruppe, ein Photograph stellt sie zurecht und schließt sie dann alle, die zufriedenen Gesichter, in seinen vom schwarzen Tuch verdeckten Kasten.

 

Eh noch die Reihe der Wagen, die draußen vor dem Tor der endlos langen Gartenmauer wartet, sich wieder füllt und in Bewegung setzt, bin ich weitergegangen, und ich steige den von Bruchfelsen beschütteten jähen Abhang des Ölbergs hinunter. Ein paar Fremde betrachten von hier aus, nachdenklich an einen Mauerrest gelehnt, ein wenig abseits von dem Pfade, die Stadt. Sie haben das Buch oder eine Karte der Hand wie alle. Ja, es ist ein schwermütiger Anblick, das dort drüben. Man steht den Tempelplatz. Ein paar arabische Frauen stehn am Brunnen, sonst ist er leer wie ein Brett. Er ist wie eine große, von unzähligen versteckten Trümmern getragene Ebene in der Gefangenschaft der Stadtmauer; traurig wie der Rest eines verbrannten Planeten hängt über ihr die schwarze Kuppel der Omar-Moschee. Einzelne Beter mögen unter ihr auf den bunten Teppichen in den Nischen des großen Rundgebäudes liegen. In der Mitte aber, unter der Kuppel, kauert wie ein gefangenes Tier in seinem Gitter der graue nackte Fels, einst der Gipfel des in Jahrhunderten überbauten und geglätteten Berges Moria. Man kann in den Keller unter diesen Fels hinuntersteigen und ihn schweben sehn. Durch das Loch in seiner Mitte troff einst das Blut der Opfertiere. Es heißt nach den Berichten eitler Geschichtschreiber, daß einst in Jerusalem an jedem Passahfest eine Viertelmillion Lämmer geblutet habe. So sehr groß und volkreich war die Stadt, und das Fest war ein Rausch von Grausamkeiten und von Gottesnähe. Aus dem Tempel stoß das Blut der geschlachteten Tiere in einem starken Strudel zur Schlucht hinunter. Versteckt wie die Kanäle des Tempels sind die unterirdischen Hallen des Tempelplatzes. Man steigt zu ihnen hinab und bestaunt die kräftigen Säulen, die von Ketten eingekerbt und abgerieben sind wie die Pfosten eines Stalles. Es sind die Gewölbe des Königs Salomo, des großen Maurers. Schon zeigen sie ihre ganze Tiefe nicht mehr. Die Erde ist an den Pfeilern in die Höhe gewachsen, man schreitet auf den Schichten eingestampften Schuttes.

Der stolzeste Ritterorden des Abendlandes führte einst den Tempel Salomos in seinem Wappen. Noch die schwäbischen Bauern, die vor einem halben Jahrhundert nach Palästina zogen, träumten, den versunkenen Tempel in Herrlichkeit wiederaufzurichten; sie glaubten, daß einst Künstler kommen sollten, die ihn erbauten, als die Bezalel des neuen Gottesdienstes. Noch ist das tausendjährige Reich nicht gekommen, und der Gottesdienst der Templer ist in seinen äußeren Formen leer geblieben wie dieser Tempelplatz. Auf ihm ruht eine Wucht von Weissagungen, guten und schlimmen Weissagungen von der Wiederkunft Christi und vom Unheil des Antichristus, und hier betrachten sich auch die Gläubigen untereinander mit Mißtrauen wegen der herben Gegensätze ihrer Auslegungen. Vielleicht kommt die Erfüllung von einer andern Seite. Die Augen amerikanischer Besucher betrachten zuweilen abschätzend den flachen Raum dort unten. Ist etwa schon das bare Gold vorhanden, dies Heiligtum dem Islam abzukaufen? Sollte nicht auch der jüdische Eigensinn von diesem Traum gestreift worden sein, hier auf dieser Anhöhe? Hat man nicht heimlich schon begonnen, den neuen Tempel zu errichten? Die Gelehrten mit ihren Ausgrabungen machen den Anfang. Aus dem Geschaufel der Tagelöhner, unter dem feinen Spaten der Archäologen erstehen die alten im Land verstreuten Städte mit ihren in den Grund versunkenen Mauerbogen. Von der Königsstadt Samaria zieht ein Feldbähnlein den Schutt hinweg wie eine Decke und enthüllt die Gemächer, die gestürzten, vom Brand geschwärzten Säulen, das Heiligtum des Baal, das im Buch der Könige beschrieben ist. Man legt auf Tonscherben den Finger, die dreitausend Jahre außerhalb der Welt gewesen waren, mit ihren Schriftzügen als Quittungen über Öl und Wein für den Haushalt längst im Staub aufgelöster Landesherren. In Sichem, in Gaza, am See Genezareth wird ein gleiches einst geschehen.

Durch den niederen Durchlaß der Mauer von Gethsemane muß jeder gebückt den Garten betreten. An der Mauer sind die vierzehn Leidensstationen. O tiefe, von den Schwergefühlen der Ehrfurcht, des Schmerzes, der Unwürdigkeit und des Dankes bewegte Andacht der Gläubigen an dieser Stelle. Uralte Ölbäume mit zitternden Blättern winden sich hier aus dem Boden empor wie Schlangenknäuel. Gleich alten Tieren erhalten sie das Gnadenbrot. Beete von Stiefmütterchen, Levkojen und Rosen, eingefaßt von Rosmarin und Immortellen, liegen als Teppiche zu ihren Füßen. Ein greiser Mönch in brauner Kutte ist der Wärter dieser Bäume. Er erlaubt mir, einen Strauß zu pflücken. Viele Besucher beneiden diesen gütigen und demütigen Jünger des heiligen Franziskus.


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