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Der deutsche Wald wird lebendig

Nie ist der Doktor Kleinermacher zu Hause. Man kann abends kommen, man kann nachmittags kommen, man kann Sonntags kommen – immer ist die Tür beim Doktor Kleinermacher verschlossen. Ist der Doktor verreist? Ist er zu Hause und will nicht öffnen? Dieter und Traute wußten nicht mehr, was sie dazu sagen sollten.

»Du böser Doktor Kleinermacher, sei doch so gut und laß uns herein! Guter Doktor Kleinermacher, bist du uns böse?« Dieter bummerte jetzt so wild gegen die Tür, daß es im ganzen Hause dröhnte.

»He, Doktor Kleinermacher, willst du denn gar nichts mehr von uns wissen? Antworte doch, gib uns ein paar Worte, sage uns, daß du nicht zu Hause bist, dann können wir beruhigt gehen.«

Dieter machte eine Pause und lauschte. »Nee, darauf fällt der Doktor nicht 'rein. So dumm ist er nicht.« Es blieb alles still. »Sicher sitzt der Doktor ruhig in seiner Studierstube, lacht sich eins ins Fäustchen und hört uns hier draußen krakeelen. Was hat er nur? Er war doch immer so gut zu uns. Nun, mit einemmal, soll alles aus sein? Das ist ja zum Heulen!«

Dieter und Traute waren sehr traurig. Nun gingen sie schon zum zehnten Male ergebnislos nach Haus, sie konnten den Doktor nicht erreichen. Ist das das Ende einer großen Freundschaft?

Dieter und Traute erzählten sich auf dem Heimweg von den Abenteuern mit Doktor Kleinermacher. Schön war es mit ihm. Da hatte sich der Doktor ein Zauberwasser zusammengebraut, ein Wunderwasser, und wenn man davon trinkt, dann wird man so klein, so klein, wie man es sich wünscht. Oft hatten die drei aus der Wunderflasche getrunken, und dann waren sie als Zwerge in den Bienenkorb gegangen, in das Ameisennest, in den Maulwurfsgang ... Was man da alles erlebte und schaute! Schön war es mit dem Doktor Kleinermacher! Und wie interessant der Doktor erzählen konnte! Herrlich! Man konnte nicht genug erlauschen von den Wundern der Natur. Und erst die Abenteuer! Im Bienenkorb gibt es größere Abenteuer als in Indien unter Tigern und Elefanten. Und gefährlicher ist es im Bienenkorb und bei den Ameisen als in Afrika unter Hyänen und Löwen.

»Und wie gut der Doktor zu uns war. Man hat ihn ordentlich liebgewonnen. Jetzt sitzt er hinter seiner verschlossenen Tür und läßt uns nicht hinein. So einen Mann wie den Doktor Kleinermacher finden wir nicht wieder. Man könnte sich vor Wut in das eigene Fleisch beißen.«

Die kleine, zarte Traute war empört: »Aber Dieter, so etwas sagt man doch nicht. Übrigens ist es auch Unsinn, kein Mensch bekommt so etwas fertig.«

Doch Dieter war ein kleiner Racker: »Was, Traute, ich kriege das nicht fertig? Weißt du, wie ich das mache? Ich renne so rasend schnell um eine Litfaßsäule, daß ich mich selbst einhole, und dann beiße ich mich vor Wut in das eigene Fleisch.«

So ein Bengel, der Dieter, Traute mußte herzhaft lachen, und auch Dieter lachte laut mit.

»Na, Kinder, euch scheint es ja gut zu gehen. Worüber lacht ihr denn?«

Den beiden Kindern blieb vor Staunen das Lachen im Halse stecken. Da stand vor ihnen der so lange gesuchte Doktor Kleinermacher. Einen Spaten hatte er wie ein Gewehr geschultert, und auf dem Rücken trug er einen Rucksack. Nein, so etwas!

»Kinder, macht mal beide euer Mäulchen wieder zu. Erst lacht ihr und könnt kein Ende finden, und jetzt bekommt ihr den Schnabel nicht mehr zu. Was ist euch denn?«

»Doktor Kleinermacher, wo warst du denn? Wir waren so oft bei dir, und niemals hast du uns geöffnet. Du hast uns immer an deiner Tür klopfen lassen. Ist das eine Art, wo wir doch so gute Freunde sind, wo wir uns so gut verstanden haben, wo wir so viel Abenteuer gemeinsam erlebt haben? Das ist wenig nett von dir, Doktor!«

»Ich kann doch nicht öffnen, wenn ich nicht zu Haus bin.«

»Du warst nicht zu Haus? Wo warst du denn immer?«

»In meinem Garten, Kinder. Das ist meine neue Leidenschaft.«

»In deinem Garten ...?«

»Ja, ich habe jetzt einen eigenen Garten, den müßt ihr sehen. Kinder, den Garten habe ich so richtig liebgewonnen. Einen Morgen ist er groß. Wißt ihr, wieviel das ist? Was ein Bauer in den Morgenstunden umpflügen kann, das ist ein Morgen groß. In meinem Garten arbeite ich alle Tage. Spaß macht das, Kinder! Ihr wißt gar nicht, wie schön ein eigener Garten ist.«

Traute war sofort begeistert: »Einen Garten, fein Doktor! Ach, ich stelle mir alles so schön vor. In der Mitte eine große Rasenfläche, rechts ist ein Steingarten, links ist ein kleiner Teich, dann sind noch Blautannen da, Heckenrosen, irischer Wacholder ...«

»Langsam, langsam. Traute! Ich habe auch noch andere Sachen. Zum Beispiel pflanze ich Kohl, Kartoffeln, Mohrrüben und Gurken.«

Jetzt meldete sich Dieter entrüstet:

»Doktor, das kann dein Ernst nicht sein! Wer wird sich denn mit Kohl abgeben? Kartoffeln, Mohrrüben und Kohl kauft man sich. Ein Doktor Kleinermacher darf nicht unter die Kohlbauern gehen, dazu ist unser Doktor zu schade. Entschuldige, aber ich finde deine ganze Gartenidee reichlich dumm. Die Buddelei mit der Schippe ist alles andere als eine schöne Sache. Und wenn ich an den Mist denke, dann wird mir ganz schlimm zumute. Du mußt dich doch mit ganz anderen Sachen beschäftigen, bei deinem Köpfchen. Es ist schade um dich. Nee, Doktor, hänge die Kohlzüchterei wieder an den Nagel.«

»Dieter, du wolltest doch früher mal nach Indien fahren, nicht wahr? Ich sagte dir damals, die Heimat sei viel schöner. Dann zeigte ich dir mein Wunderwasser, und wir gingen auf Abenteuer aus. Darüber hast du Indien ganz vergessen. War es nicht so? Jetzt glaubst du, mein Gemüsegarten sei nichts Besonderes. Wollen wir wetten, daß du von meinem Gemüsegarten noch schwärmen wirst? Sieh mal, ich kann dir gar nicht mit Worten schildern, wie schön das ist, Land umzugraben. Das muß man erleben.

Wenn ich im Hochsommer einen Spaten voll Erde umwerfe, dann steigt mir ein Duft in die Nase, so würzig, das riecht so nach Wurzeln, so ein Erdgeruch ... Ich kann dir nur sagen, ich bin ganz weg. Aber das kannst du nicht verstehen, du mußt selbst einen Spaten in die Hand nehmen und im Hochsommer umgraben. Und dann die Bäumchen, die ich im Herbst gepflanzt habe. Was meinst du wohl, wie sehr ich den ganzen Winter an die Bäumchen denke. Ich träume sogar von ihnen. Werden die Knospen im Frühling treiben, werden Blättchen hervorwachsen? Und wenn dann wirklich die Blätter kommen, dann freue ich mich wie ein Kind. Man kann schon sein Herz im Garten verlieren. Das können die anderen aber nicht verstehen. Die spotten nur über die Kleinsiedler und Laubenkolonisten. Das sei ein armseliges Völkchen. Was die Siedler aber für Freude an ihrem Garten haben, das ahnen die anderen gar nicht. Es gab mal einen Kaiser, der fand so viel Freude am Umgraben und Kohlbauen, daß er darüber seinen Kaiserthron vergaß. Er lehnte es ab, Kaiser zu bleiben, er wollte weiter Kohl bauen.«

»Aber Doktor, das ist doch aus einem Märchen.«

»Nein, das ist aus der Geschichte, aus der Weltgeschichte. Das steht in den Büchern.«

»Doktor, das hört sich doch wie ein Scherz an. Ein Kaiser will Kohlbauer sein? Das ist ja lächerlich. Ich habe mal gehört, daß ein Fürst sein Zepter verlegt hatte, darum mußte er vorübergehend mit der Regierung aussetzen.«

»Nein, nein, das ist kein Witz, das ist Tatsache. Ich will euch die Geschichte erzählen. Aber kommt mit mir nach Haus. Bei Kaffee und Kuchen läßt es sich besser plaudern.«

Dieter und Traute gingen mit ihrem Doktor zur Wohnung, und Dieter überlegte unterwegs immer zweifelnd: ein Kaiser will kein Kaiser, sondern Kohlbauer sein? Das ist doch Unsinn! Der Doktor will uns einen Bären aufbinden.

Die drei langten bald an, der Doktor schloß seine Wohnungstür auf, und nach einiger Zeit saßen die drei wieder vereint am Kaffeetisch des Doktor Kleinermacher, und der erzählte eine kurze Geschichte, die war so wundersam wie der Doktor selbst.

»Es war einmal ein römisches Kaiserreich. Das reichte von Arabien bis nach Spanien und von Ägypten bis an die Nordsee. Kaiser kamen und gingen, regierten schlecht und gut, manche lebten sehr lange, manche aber wurden bald wieder ermordet. Manchmal folgten die Söhne auf ihre Väter, meist böse Söhne auf gute Väter. Dann wieder suchten sich die Kaiser die besten aus ihrer Umgebung aus und nahmen sie an Kindes Statt an. Die Adoptivkaiser waren gar nicht so schlecht. Bald ging aber alles wieder durcheinander. Oft ernannte der Senat die neuen Kaiser, meist aber erklärten die Heere ihre Heerführer zu Herrschern. Da es nun aber mehrere Heere im großen römischen Reiche gab, gab es oft auch mehrere Kaiser zur gleichen Zeit. Es war ein Elend mit den Kaisern im alten Rom. Das Reich wollte nicht zur Ruhe kommen, immerzu gab es Bürgerkrieg. Ihr werdet ja davon in der Schule schon gehört haben. Geschichte habt ihr doch gern, nicht wahr? Ich jedenfalls habe Geschichte immer sehr gern in der Schule gehabt, viel lieber als die Pause.

Scherz beiseite. Nun kam ein Kaiser auf den Thron, der wollte allem Elend ein Ende machen. Er wollte die Kaisernachfolge für alle Zeiten regeln. Der Kaiser hieß Diokletian. Er teilte das große römische Reich in zwei Hälften. Im Osten regierte er weiter als Oberkaiser, im Westen ernannte er einen Nebenkaiser. Beide Kaiser sollten sich je einen Unterkaiser ernennen. Nach zwanzig Jahren sollten die Oberkaiser abdanken und die Unterkaiser an die Reihe kommen. Das sollte dann so weitergehen bis in alle Ewigkeit.

Kaiser Diokletian dankte mit seinem Kaiserkollegen wirklich ab. In Salona lebte er auf seinem Gute und widmete sich der Landwirtschaft. Er hatte sehr viel Freude am Landbestellen und Pflanzenzüchten. Daß er einst Kaiser war, vergaß er ganz. Da kam wieder Unordnung in die Kaiserfolge. Das System war doch nicht so gut, wie es sich Diokletian gedacht hatte. Man rief wieder nach einem starken Kaiser und forderte Diokletian auf, den Thron zu besteigen. Aber Diokletian schrieb an die Männer der Staatsführung:

Würdet ihr den Kohl sehen, den ich zu Salona mit eigenen Händen gepflanzt, ihr würdet von eurem Verlangen abstehen, mich wieder zum Kaiser machen zu wollen.

Was sagt ihr dazu? Ein Kaiser lehnt es ab, wieder Kaiser zu werden, weil ihm das Kohlbauen viel interessanter vorkommt. Na, ihr staunt darüber, weil ihr nicht wißt, wie schön es ist, einen Garten zu bestellen. Das muß jeder erst mal erleben. Und wenn ihr einen Garten habt, dann kommt ihr davon nicht mehr los.«

»Doktor, wir glauben dir alles, weil du immer recht hast! Wir müssen uns von dir überzeugen lassen, da bleibt uns gar nichts anderes übrig. Aber schade ist es doch! Wir werden mit dir Samen ausstreuen, umgraben, Bäume pflanzen und den Kohl begießen. Viel lieber würden wir aber mit dir auf Abenteuer ausgehen. Ist denn dein Wunderwasser ausgetrocknet? Soll aus dem Doktor Kleinermacher ein Doktor Kohlbauer werden? Es ist wirklich schade, daß wir nicht mehr mit dir auf Abenteuer ausziehen sollen.«

»Wer sagt euch denn, daß der Doktor Kleinermacher kein Wunderwasser mehr hat? Natürlich werden wir uns wieder verkleinern, auch werden wir wieder Abenteuer bestehen, und alle Abenteuer werden wir in unserem Garten erleben. Er ist der Schauplatz für viele, viele lebensgefährliche Abenteuer. Dazu lade ich euch ein.«

»Hurra! Der Doktor Kleinermacher soll leben! Er will wieder mit uns auf Abenteuerfahrt gehen! Der Doktor Kleinermacher ist der prächtigste, beste, herrlichste Mann auf der Erde. Und sein Garten soll auch leben! Denn was dem Doktor lieb ist, das haben wir auch lieb. Ob der Garten rund oder viereckig ist, ob er voller Unkraut oder voller Blumenkohl ist, ob dort bunte Blumen wachsen oder Kohlköpfe, das ist uns alles gleich. Der Garten gehört unserem Doktor Kleinermacher, und darum ist der Garten schön.«

So jubilierten die Kinder, umarmten ihren lieben Doktor und ließen ihm keine Ruhe.

»Doktor, sofort hin zum Garten! Vergiß auch nicht die Wunderflasche. Das ist die Hauptsache. Heute soll noch ein frischfröhliches, ein lebensgefährliches Abenteuer starten. Doktor, wir freuen uns ja so, daß wir wieder bei dir sind, daß du uns nicht vergessen hast. Wenn es auch nicht nett von dir war, so lange nichts von dir hören zu lassen.«

Der Doktor bekam keine Luft. Endlich konnte er antworten: »Liebe Kinder, Ruhe! Ihr tötet mich ja. Also, alles nach der Reihe. Heute ist es zu spät zum Gartenbesuch und zur Abenteuerfahrt. Zum nächsten Sonntag lade ich euch herzlichst ein. Abgemacht. Und nun, warum ich so lange nichts von mir hören ließ? Kinder, so ein Garten kostet viel Arbeit. Darüber vergißt man ganz seine Freunde. Und dann wollte ich euch auch den fertigen Garten zeigen. Aber ich sehe ein, fertig werde ich nie damit. Immer habe ich etwas Neues zu pflanzen und umzugraben. Jetzt ist aber die Zeit um. Ob der Garten fertig ist oder nicht, auf meine beiden kleinen Freunde will ich nicht länger verzichten. Wir bleiben jetzt wieder für lange Zeit zusammen. Ja, ja, Kinder, ein Stückchen Land kann einem so lieb werden wie Menschenkinder.«

Dann holte der Doktor einen großen Plan hervor, auf dem waren säuberlich alle Bäume und Sträucher, die Beete, die Laube, die drei Komposthaufen, die Jauchetonne und der Steinhaufen eingezeichnet. Vorn lag der Obst- und Gemüsegarten, und hinter der Laube, da rauschte der deutsche Wald.

Was soll denn das sein, der »deutsche Wald«?

Ach, der Doktor hat doch überall seine Eigenarten. Andere pflanzen sich seltene Bäume und Sträucher aus fremden Ländern in den Garten, Gewächse aus Hinterindien und China. Auf dem Platze aber, den der Doktor seinen deutschen Wald nannte, da hatte er deutsche Bäume und Sträucher, wie sie in unserem Walde wachsen, gepflanzt.

Das hatte niemand in seinem Garten. Aber es war nicht so einfach. Zum Beispiel wollte er sich eine richtige Waldkiefer pflanzen. Er ging zur Baumschule und forderte eine Waldkiefer. Der Gärtner sah den Doktor sehr komisch an.

»Wie, bitte?«

»Eine Waldkiefer, so wie sie in unserem Walde wächst: Pinus silvestris, auf gut deutsch Kiefer des Waldes.«

»Die führen wir leider nicht. Aber ich kann Ihnen eine herrliche Weymouthskiefer verkaufen. Oder wie wäre es mit einer Pinus montana, einer Bergkiefer?«

»Danke, ich möchte eine Waldkiefer.«

Der Doktor besuchte vier Baumschulen und konnte keine Waldkiefer erhalten. Er mußte zum Förster gehen, und dann konnte er sich aus dem Walde eine kleine Kiefer holen. Dabei ist eine Waldkiefer so schön, wenn sie allein steht und sich entwickeln kann. Die sieht so knorrig und zackig aus. Der Doktor schmunzelte immer selbstzufrieden, wenn er seine Kiefer anblickte.

Mit dem Wacholder war es genau so. Er wollte einen Lüneburger-Heide-Wacholder, und man wollte ihm einen irischen Wacholder aufschwatzen und Wacholdersorten aus aller Herren Ländern. Aber der Doktor hatte einen dicken Kopf, und er bestand auf seinem Lüneburger-Heide-Wacholder. Juniperus communis, nichts anderes. Die Gärtner schüttelten die Köpfe. So ein Kauz, er kauft sich die »seltensten« Sachen, nämlich die Bäume und Sträucher, die überall in unserer Heimat wachsen. Nein, so etwas, das ist aber ein närrischer Herr.

Wenn der Doktor durch seinen kleinen Wald spazierenging, dann unterhielt er sich mit den Bäumen, als ob er mit Menschen spräche. Denn die Bäume waren ihm Menschen.

Die Fichten und Tannen waren Ritter ohne Furcht und Tadel. Edel war ihr Wuchs, und die Nadeln und Zweige richteten sie so ebenmäßig und gerade empor wie Ritter ihre Speere vor dem Turnier. Ihr seid Helden, ihr Tannen und Fichten, ihr müßt immer um edle Frauen kämpfen. Und da sind edle Frauen unter den Bäumen. Da ist die Birke, die reine Jungfrau. Ihr Kleid ist so herrlich weiß, so sauber, ein schmuckes Fräulein, die Birke. Es lohnt sich schon, um sie zu kämpfen. Oder wollen die Ritter um Frau Venus selbst streiten – Frau Venus in strahlender Schönheit? Wenn der Vogelbeerbaum seine herrlichen roten Beeren trägt, dann hat Frau Venus ihren schönsten Schmuck angelegt. Der Doktor lächelte immer, wenn er sich den Vogelbeerbaum ansah, seine Frau Venus.

Nicht alle Frauen können die ewige Jugend erhalten. Andere Bäume werden Bürgerinnen, Mütter, ehrbare Frauen. Da ist die Mume Frau Linde. Sie ist gesund und kräftig. Die Ritter wollen nicht um Frau Linde kämpfen, aber man muß vor ihr den Hut abnehmen. Die alte gute Linde flößt Ehrfurcht ein. Man muß sie wie eine Mutter verehren, die Mume Frau Linde und die Pfahlbürgerin Frau Ulme.

Da sind aber noch andere tapfere Männer unter den Bäumen. Der alte germanische Recke lebte schon, ehe es Ritter gab. Der alte Herr Eibe hat schon Jahrhunderte hinter sich. Wie zum Streit steht er meist bereit. Es ist ernster, blutiger Kampf, der aus ihm spricht.

Und da steht ja auch Götz von Berlichingen persönlich, der Kämpe mit der eisernen Faust. Die Eiche ist so zerrissen und verwittert, aber so knorrig und pfundig, so zackig und kraftvoll. Herr Götz von Berlichingen weiß nichts von glatter Höflichkeit und tändelnder Sprache.

Ganz anders ist der feine Herr, der Biedermann, der Herr Buche mit seinen enganliegenden Hosen. Immer vornehm und dabei solide und gut ernährt. Immer will er auf dem besten Baden stehen, Humusboden. Für Hungerleider hat er nichts übrig. Zur Vornehmheit gehört eine gute Grundlage. Biedermänner verstehen zu leben.

Die Kiefer ist genügsamer. Auch auf armseligem Sandboden läßt es sich wachsen und leben. Nur Mut, nur immer Arbeit und Fleiß, es geht auch so! Wer viel arbeitet und tüchtig wächst, kommt auch auf Sandboden vorwärts. Man kann sich keine enganliegenden Silberhosen anziehen, und doch bekommt man so etwas vom Adel der Arbeit. Der Doktor stand vor seiner Kiefer und fand die Kiefer schön. Ja, ich liebe dich, Kiefer, das wollen die anderen nicht begreifen, du Arbeiter unter den Bäumen.

Aber da waren noch andere Bäume: Himmelstürmer und Optimisten wollen in den Himmel hineinwachsen. Immer vorwärts und aufwärts, immer drängen, stoßen und wachsen. Vorwärts, aufwärts! Die Welt ist schön, die Welt ist groß, der Himmel ist weit, aber wir werden ihn schon erreichen. Nur immer an das Gute glauben! Wir meckern nicht, wir verzweifeln nicht, es ist alles gut, es ist alles schön. Es ist eine Lust, zu leben!

So wachsen die Eschen und die Pyramidenpappeln in den Himmel. Der Boden ist zwar trocken, aber tief unten, sehr tief, da sickert ein Wässerlein in der Erde. Hinauf in den Himmel mit den Zweigen, und tief, tief hinab mit den langen Wurzeln zum Wasser. Noch immer bleibt der Sand trocken und staubig, aber wir werden es schon erreichen, das Wasser. Wir glauben immer an das Gute. Und dann erreichen die ersten Wurzelspitzen das Wasser. Hei, schmeckt das Wasser köstlich. Die Pappeln trinken in langen Zügen, und der Baum lacht über alle Blätter. Haben wir es nicht immer gesagt, das Leben sei schön? Dem Doktor wuchsen Flügel, wenn er sich seine Pappeln und Eschen ansah.

Mitten im Gemüsegarten steht Hans Sachs, »der Schuh ... macher und Poet dazu«, der Apfelbaum. Wie Gedichte so zart sind seine Blüten, und saftig, nützlich und schön sind seine Äpfel. Der Apfelbaum ist eine ruhige, runde, schöne und gesunde Sache. Er ist nicht so groß wie ein Himmelstürmer, aber schön ist er doch. Er ist nicht so knorrig wie die Eiche, aber eigenwillig wächst auch er, Hans Sachs, der Meistersinger, der Apfelbaum. Dem Doktor lief immer das Wasser im Munde zusammen, wenn er vor dem Apfelbaum stand.

Fremdlinge gab es auch im Garten. Aber sie hatten sich das Bürgerrecht erworben im deutschen Wald. Da kam ein König aus dem Süden, die Kastanie. Würde und Erhabenheit, der König aus dem Süden weiß, was er sich schuldig ist. Da kam, wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, direkt aus dem Morgenland, aus dem Orient, ein Baum. Die Platane ist nicht nordisch geworden in unserer Heimat, jedoch sie bleibt ein Gast für immer, wir kennen das Gastrecht. Nur wenn die Winter zu hart werden, dann friert das Märchen aus dem Morgenlande. Aber die Platane bleibt bei uns, sie will nicht mehr auswandern.

Aus Amerika kam die Akazie. Sie schloß Freundschaft mit der Kiefer, leben sie doch beide gern auf sandigem Boden. Und manchmal meinte die Akazie: »Weißt du, Freund Kiefer, mir ist, als ob eure Streusandbüchse für mich erschaffen wurde. Euer Boden ist meine Heimat. Ich bleibe bei euch bis an den Rest meiner Tage.« Dabei sprach die Akazie noch etwas mit einem fremden Akzent, aber den überhörte man, man will doch nicht so sein.

Finstere Gesellen waren da noch im Garten. Meuchelmörder und Kindesentführer, Wegelagerer und Strauchdiebe. Das lichtscheue Gesindel wächst erst im Dunkeln zur vollen Größe. Wenn die Weiden in den Nächten auftauchten, dann zitterte die Espe, und sie fürchtete sich sehr. Zitterpappel, Zitterpappel, schau dir den Götz von Berlichingen an, oder den Arbeiter da drüben, die Kiefer, die lassen sich von den Weiden nicht erschrecken. Nur Mut, dann erlaubt sich das Gesindel nichts. Nicht so ängstlich, ihr Zitterpappeln. Selbst die Buche hat keine Angst, die findet das nämlich nicht vornehm, wenn man Furcht hat. Man muß in Schönheit sterben können.

So ging der Doktor Kleinermacher durch den Teil seines Gartens, den er den »deutschen Wald« nannte. Alles um ihn herum wurde lebendig. Als der Doktor den Kindern seine Eindrücke erzählt hatte, da wurde vor den Kindern der Garten immer größer und größer. So herrlich geht es zu in Doktor Kleinermachers Garten? Das ist ja nicht wieder gutzumachen, daß wir den Doktor zum Freunde haben. Und Dieter rief begeistert:

»Doktor, jetzt glaube ich ganz fest an deinen Garten. Ich glaube sogar daran, daß du uns den Gemüsegarten noch schön machst. Dir gelingt eben alles. Ach, wenn es doch nur erst Sonntag wäre!«


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