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Auf der Rolltreppe in der Speisekammer

Wir dürfen uns nicht wieder so lange mit der Vorrede aufhalten«, rief Doktor Kleinermacher bei der nächsten Zusammenkunft den Kindern schon von weitem zu, »wir haben diesmal viel zu viel vor, die Dunkelheit bricht gleich herein, also flink hinein ins nächste Abenteuer!«

»Wo soll es denn diesmal hingehen?« fragte Dieter.

»In die Speisekammer!« antwortete der Doktor kurz.

»Aber nicht wieder mit deinem Fahrstuhl«, redete Traute dazwischen, »im Dunkeln ist bei unserer schwachen Beleuchtung so ein Aufzug mit offenen Fenstern ja lebensgefährlich.«

»Richtig, Traute«, antwortete der Doktor, »ich habe mir auch schon Vorwürfe gemacht, euch so ein Beförderungsmittel angeboten zu haben. Viel habe ich überlegt und gebastelt. Nun glaube ich, die richtige Lösung gefunden zu haben. Schaut mal hinein.« Dabei machte der Doktor die Tür zur Speisekammer auf, und die Kinder sahen kleine Treppen von der Erde bis zu den Fächern der Kammer hinaufgehen. Der Doktor zog ein Uhrwerk auf. Ehe aber die Treppe in Bewegung geriet, hatte der Doktor ein Streichholz ergriffen und am Eingang zur ersten Rolltreppe entlanggeführt. Die Vorrichtung hatte nämlich ein elektrisches Auge. Erst dann setzte sich der Mechanismus in Gang, wenn ein unsichtbarer, infraroter Lichtstrahl unterbrochen wurde, also ein Zwerg die Rolltreppe betrat. Und die Rolle des Zwerges mußte jetzt ein Streichholz vertreten. Nach einer kleinen Spanne Zeit, die ausreichte, um die jeweils unterste Stufe gut bis nach dem oberen Ende zu befördern, stand die Rolltreppe wieder still. Der Doktor erklärte: »Die Treppe darf nicht immerzu laufen, sonst werden die Tiere verscheucht. Auch würde das Uhrwerk dann zu schnell ablaufen. Darum habe ich das sogenannte elektrische Auge eingebaut. Ist es dir so recht, Traute?«

Und der Traute war es recht. Doktor Kleinermacher hatte doch ein Köpfchen. Immer wieder erfand er neue Sachen, immer wieder brachte er neue Überraschungen. Der Doktor war doch ein Tausendkünstler. Die Begeisterung von Traute und Dieter war groß.

»Jetzt aber los«, sagte Dieter, »ich habe gerade die rechte Stimmung. Kopfüber hinein in das nächste Abenteuer! Hinein!«

Der Doktor machte alles startklar. Er legte drei kleine Gewehre auf den Erdboden, stellte drei noch kleinere Laternen daneben, und zum Schluß holte er die Wunderflasche. Die Dämmerung brach herein. Es konnte beginnen.

Der Doktor tat seinen vorschriftsmäßigen Schluck, auch die Traute, und zum Schluß der Dieter. Gluck, gluck, Wunderpulle, du bist mir die liebste Flasche. Ohne dich könnten wir keine Abenteuer bestehen. Gluck, gluck. Aber, o weh! In seiner Begeisterung hatte Dieter zu tief in die Flasche geguckt. Sein Schluck war zu kräftig, er wurde kleiner und kleiner, das Kleinerwerden wollte gar keine Ende nehmen.

Schließlich wurde er so klein, daß Traute ihm wie eine Riesin erschien. Was war denn das?

Traute und der Doktor konnten sich nach dem ersten Schreck nicht mehr halten. Sie mußten lachen, laut lachen. Aber Dieter stand da; in seinem Ärger vergaß er die Beherrschung und heulte laut los. »Das ganze Abenteuer ist futsch. So eine Gemeinheit. Jetzt müssen wir abwarten, bis wir wieder größer geworden sind, und dann kann es noch 'mal losgehen. Das Gewehr und die Laterne kann ich ja gar nicht tragen, die Sachen sind ja viel zu schwer für mich, und bei deiner schönen Rolltreppe rutsche ich durch die Spalten. Warum lacht ihr denn, hui, hui, huiüiii.«

Traute wurde zuerst wieder ernst. »Armer Dieter, was hat denn nur mein armer Dieter? Jetzt bist du mein kleines Baby. So ein starker Junge, den kann ich ja in meine Tasche stecken.« Dabei hob Traute den Dieter hoch und steckte ihn in ihre Brusttasche. Bald schaute Dieter mit dem Kopf heraus und sah sich mit seinen verheulten Augen die Welt an. Der Doktor ergriff zwei Gewehre und zwei Laternen und sagte: »Das ist gar nicht so übel. Der Dieter kann jetzt bestimmt ebensoviel sehen, wie wir. Warum sollen wir also auf unser Abenteuer verzichten? Wir setzen uns in Bewegung. Warum mußt du auch so übermäßig trinken«, knurrte er vorwurfsvoll.

Dieter protestierte zunächst. Aber was half ihm das alles. Er konnte gegen die Zwergriesen doch nichts ausrichten. Die drei wanderten zur Rolltreppe. Dieter immer in Trautes Brusttasche. Kaum hatten sie die Rolltreppe betreten, als sich die Vorrichtung schon in Bewegung setzte. Das elektrische Auge der Rolltreppe funktionierte großartig. Langsam ging es höher, immer höher. Dieter hatte sich beruhigt und schaute aus der Tasche heraus, wie aus einem Balkon. Es war ihm gar nicht so unangenehm, immer getragen zu werden.

Höher und höher ging die Fahrt ins Dunkle. Nur schwach wurden die Stufen durch die Laternen der Zwerge beleuchtet. Langsam rollte die Treppe empor. Der Doktor stand, beide Gewehre unter dem Arm, vorn, und zwei Stufen tiefer folgte ihm Traute mit dem Dieter-Däumling. »Bitte, links stehenbleiben und rechts überholen lassen«, rief Traute im Übermut den Doktor an. Der Doktor lachte. Bald war das erste Brett der Speisekammer erreicht. Der Doktor sprang von der Treppe, und hinter ihm tat Traute das gleiche. Zwischen großen Töpfen aus Metall, Ton und Glas gingen die beiden umher. Als Traute sich umsah, hörte sie, daß die Treppe stehengeblieben war, denn sehen konnte sie ja nichts mehr. Der Doktor hatte offenbar ein bestimmtes Ziel.

»Zuerst will ich euch einen Käfer zeigen, den sogenannten Obstfreund. Er nascht gern an Dörrobst, besonders an getrockneten Feigen.«

Da rief Traute dazwischen: »Verhalte dich ruhig in meiner Tasche, Dieter. Du zappelst immerfort herum, als wenn du aus Quecksilber wärst. Wenn du nicht bald ruhig bist, setze ich dich ab, du Zappelphilipp.«

Dieter wollte antworten, seine Stimme war aber so dünn, daß man ihn nicht sofort verstehen konnte. Da ließ er es bleiben. Inzwischen waren die beiden Zwerge auch bei der Obstschale angekommen, die mit getrockneten Feigen belegt war. Der Doktor hatte an die Obstschale eine kleine Treppe angestellt, die die beiden bestiegen. Aber soviel sie hereinleuchteten, der Obstfreund war nicht zu entdecken.

Ärgerlich sagte der Doktor: »Die Führung fängt ja gut an. Das erste Schauobjekt hat sich wohl versteckt. Wenn das so weitergeht, dann werden wir überhaupt keine Tiere in der Speisekammer finden. Aber wir wollen hier nicht unnütz stehenbleiben. Dort hinten habe ich etwas Korn ausgeschüttet.«

Die beiden gingen auf den Kornhaufen zu. Zuerst konnten sie nichts entdecken, als aber Traute um den Haufen herumging, leuchtete sie mit ihrer Laterne auf ein Gespinst, das sich um mehrere Getreidekörner legte. »Hier ist sicher eine Spinne. Gibt es so etwas, eine Kornspinne?«

Mit seinem Gewehr zerriß der Doktor das Gespinst, und dabei entdeckte er einen Wurm, der die Körner anbohrte und den Inhalt auffraß. Der Wurm hatte eine gelbliche Farbe, sein Kopf und sein Nacken aber waren dunkler. Mitten im Korn lagen die Kotballen des Wurmes, die einen üblen Geruch verbreiteten.

»Ein Wurm frißt Körner und spinnt sich dabei ein, damit er ungestört fressen kann. Was ist das, Doktor?« fragte Traute.

»Das ist weder ein Wurm, noch eine Spinne, das ist eine Schmetterlingsraupe.«

»Eine Raupe?«

»Jawohl, eine Schmetterlingsraupe. Die Müller sprechen zwar auch von dem weißen Kornwurm, es ist aber doch eine Raupe von einem Verwandten der Kleidermotte. Im Korn frißt sich die Raupe satt, und dann verpuppt sie sich im Gebälk. Die Puppe sieht so bräunlich-gelb aus. Manchmal legt sich die Raupe auch in einem ausgefressenen Korn schlafen und verpuppt sich dort. Nach einiger Zeit kommt dann der Schmetterling hervor. Der hat weißliche bis dunkelgraue Vorderflügel und dunkle Zeichnungen darauf. Die Hinterflügel sind etwas kleiner gehalten. Die Müller schimpfen mit Recht auf den weißen Kornwurm, denn er macht das Getreide unansehnlich und gibt dem Korn einen üblen Geruch. Schau nur, Traute, wie dick und fett die Raupe ist. Man könnte daraus Öl pressen, so wohl genährt sieht das Vieh aus.«

»Wie kann nun der weiße Kornwurm bekämpft werden? Der alte Plinius, das war ein römischer Naturforscher, meinte, man sollte eine Kröte fangen und das lebende Tier in der Speisekammer aufhängen. Das ist natürlich Unsinn. Wenn man das Getreide oft lüftet, verzieht sich der Kornwurm viel leichter.«

Dieter meldete sich mit seiner spillerigen Stimme aus der Tasche: »Weißt du noch, Traute, wie wir immer zu den Schmetterlingen sagten? Splittermännchen sagte wir zu den Tieren.«

Aber Traute wollte Dieter ein wenig ärgern, sie war ja jetzt so viel größer: »Ruhig bist du, Dieter, sonst stopfe ich dich in die Tasche so tief hinein, daß du nichts mehr sehen kannst.«

Dieter schwieg beleidigt.

Auf ihrer Wanderung auf dem Speisekammerbrett kamen sie auch an einem Stück abgerissener Tapete vorbei. Der Doktor hatte wirklich keine Ordnung. Man merkte doch, wo keine Frau im Hause war. Traute wollte einen Umweg um den Tapetenfetzen machen, da entdeckte sie unter dem Papier merkwürdige Tiere, die sich rasch und schlängelnd bewegten. Der Körper war spindelförmig, die Farbe silbern. Lang waren die beiden Fühler, aber noch länger drei Schwänze am Hinterteil. Was sind denn das wieder für Tiere? Sechs Beine haben sie, die Schnelläufer. Es werden also Insekten sein, aber was für Insekten? Der Doktor mußte erklärend einspringen. »Das sind die sogenannten Silberfischchen. Man nennt das Einzeltier auch Zuckergast. Die Tiere sind sehr lichtscheu. Darum rennen sie auch so, weil wir sie mit unseren Laternen aufschreckten. Sie sollen – wie es heißt – Süßigkeiten naschen, aber vielmehr sind sie hinter allen Sachen her, die Stärke enthalten. Über Nahrungsmittel, die Stärke in sich haben, stürzen sich die Silberfische mit Begeisterung. Sogar an frisch gestärkter Wäsche sollen sie knabbern. Aber die Tiere sind nicht gefährlich, sie nippen nur, davon geht die Wäsche nicht entzwei. Auch hinter Tapeten sitzen die Silberfische, da nagen sie den Kleister ab. Wenn man irgendwo Tapete abreißt, kann man die flinken Silberfische oft entdecken.

Du hast schon recht, Traute, sechs Beine: es sind wirklich Insekten, und noch dazu sehr eigenartige. Sieh mal, die Insekten kennen meist drei Lebensepochen. Aus dem Ei kommt die Larve, die Larve wird zur Puppe, und aus der Puppe kommt erst das fertige Tier. Die Silberfische werden gleich als Silberfische geboren. Man glaubt daher, daß die Silberfische sehr tief in der Ordnung der Insekten stehen. Auch haben die Insekten meist Flügel. Selbst die flügellosen Insekten haben früher Flügel gehabt, die im Laufe der Zeit verkümmerten. Die Silberfische dagegen haben niemals Flügel besessen. Man spricht bei den Silberfischen von Ur-Insekten. Verstehst du das, Traute?«

Traute verstand nicht alles. Aber Dieter in ihrer Tasche hatte es gut begriffen. Vor Aufregung strampelte er so sehr mit seinen Beinen, daß Traute laut aufschrie: »Au!«

»Was hast du denn«, fragte der Doktor, »strengt das Nachdenken so an, daß du Schmerzen dabei empfindest?«

»Nein, aber Dieter strampelt so arg ungeschickt in der Tasche, und da habe ich einen Schreck bekommen.«

»So ein Schlingel. Hau' ihm eins von oben runter.«

»Das kann ich nicht, Doktor, ich habe Angst, ich zerdrücke ihn dabei. Mit Babys muß man zart umgehen.«

»Richtig, Traute, ich hätte dir das auch gar nicht zugetraut. Ich habe es nur gesagt, weil ich genau weiß, daß Traute sich an einem Schwächeren nie vergreift.«

So mußte der Dieter die Frotzeleien über sich ergehen lassen.

Die drei waren – während sie sich so unterhielten – an eine riesige, nicht zugedeckte Schüssel gekommen. Wieder hatte der Doktor eine winzige Leiter herangestellt. Sie kletterten hinauf und sahen in der Schüssel eine weiße wellige Fläche, wie bei einem schlecht zugefrorenen See. Was mag das sein? Das ist doch nicht etwa ...? Aber natürlich, das ist fest gewordenes Schmalz!

»Doktor, was gibt es denn hier zu sehen?«

»Ich wollte euch noch eine Schmetterlingsraupe zeigen.«

»Eine Schmetterlingsraupe? Hier? Ich habe zwar gehört, unser Lehrer erzählte es uns einmal, daß die Engländer Butterfliege zum Schmetterling sagen. Aber den Namen Schmalzfliege habe ich noch nie gehört«, fuhr Traute dazwischen.

»Pst, pst! Da krabbelt was!« Dieter hatte es zuerst entdeckt. Eine borstige, glänzend braune Raupe kroch über das Fett. Der Doktor wußte Bescheid: »Das ist die Raupe des sogenannten Fettzünslers, man sagt auch Fettschabe oder Schmalzzünsler dazu. Die Raupe nascht an Butter, Schmalz oder auch Speck. Die fette Nahrung bekommt der Raupe natürlich gut, so daß sie sehr fett dabei wird. In der Speisekammer verpuppt sich die Raupe, und dann kommt der Schmetterling heraus. Der Schmetterling hat rotgraue, seidenglänzende Flügel. Die Hinterflügel tragen Fransen. Der Rüssel fehlt dem Schmetterling ganz; denn die Falter denken nur an Liebe und Hochzeit, zum Fressen haben sie keine Zeit und keine Neigung. Schmalz und Butter bleiben vor den Faltern sicher. Aber die Raupen fressen desto tapferer.«

Käfer und Würmer hatte Traute erwartet, aber Schmetterlinge in der Speisekammer? Das ging über alle Erwartungen. Kopfschüttelnd stieg sie die Treppe am Schmalznapf wieder abwärts.

»Dieter, hast du gesehen, wie fett die Raupe war? Hättest du am Schmalznapf eine Schmetterlingsraupe erwartet?« Aber auch Dieter war erstaunt und erklärte, daß er sich über gar nichts mehr wundern würde. Im übrigen würden bei ihm zu Hause die Schmalztöpfe immer fest zugebunden!

Jetzt führte der Doktor, der diese Bemerkung erfreulicherweise überhört hatte, die Traute bis an das Ende des Brettes, wo wieder eine Rolltreppe war, die sich sofort in Bewegung setzte, als der Doktor die Treppe betrat. Auch Traute bestieg die Stufen. Jetzt ging es langsam hinauf nach dem zweiten Regal der Speisekammer. Oben angekommen, wußte der Doktor auch im Dunkeln sofort, wo er seine aufgestellten Sachen wieder finden konnte. In einer flachen Schale breitete sich eine Flüssigkeit aus. Der Geruch war zu deutlich; die helle Flüssigkeit in der Schale war nichts anderes als Essig. Gibt es etwa auch Essigschmetterlinge? Beim Doktor mußte man sich auf alles gefaßt machen. Neugierig beugte sich Traute über den Rand der Schale.

»Was schwimmt denn da herum? Mitten im Essig? Kinder, jetzt gibt es sogar schon ein Essigaquarium! Die Tiere sehen ja aus wie Aale, und so schlängeln sie sich auch durch das Wasser. Was ist denn das, Doktor? Können denn die Tiere vom Essig leben? Nein, dafür bedanke ich mich, weiter nichts als Essig zu trinken. Arme Tiere.«

»Ja, Traute, das sind die sogenannten Essigälchen. Es sind aber keine richtigen Aale, sondern Würmer, sogenannte Fadenwürmer. Und den Essig trinken sie auch nicht, darin schwimmen sie nur. Im Essig befinden sich feine Pilze, mikroskopisch feine, vielleicht kann sie Dieter erkennen, von diesen Pilzen leben die Essigälchen. Es gab Zeiten, da die Älchen in Massen den Essig füllten, so daß sich die Menschen ekelten, mit Essig Salat zu bereiten. Aber jetzt sind es weniger geworden. Früher stellte man nämlich noch mehr Weinessig her, in dem es mehr Pilze gab, so daß sich die Älchen wohler fühlten. Von unserem modernen Essig wollen die Älchen wenig wissen. Dafür siedeln sie sich lieber in sauer gewordenem Kleister an. Auch in Bierfilzen kann man sie in Massen finden, wenn der Schankwirt sein Geschirr nicht gut säubert und die feuchten Bierfilze nie auskocht.«

Traute fragte: »Sag mal, Doktor, wenn nun die Essigälchen in unseren Magen kommen, schadet uns das nichts?«

»Nein, die werden sofort von den Magensäften abgetötet. Die Essigfabrikanten haben früher sogar behauptet, daß die Essigälchen dem Essig erst den richtigen Geschmack gäben. – Sie dich vor, Traute, beuge dich nicht so weit über das Becken, sonst rutscht dir der Dieter aus der Tasche und fällt in den Essig hinein!«

Aber Dieter hielt sich gut fest.

Traute hatte genug von den Essigälchen und ließ sich vom Doktor einem neuen Ziele zuführen. »Jetzt werde ich dir mal springende Würmer zeigen. Ich kann dir sagen, die Würmer können springen, da können wir Menschen gar nicht mit.«

Die beiden kamen ihrem Ziele näher, da schrie Traute plötzlich: »Wohin führst du mich denn, Doktor, müssen wir etwa unbedingt an dem Käse vorüber? Der stinkt ja fürchterlich!«

»Aber, Traute, das mußt du vertragen können auf unseren Abenteuern. Wenn dir der Käse schon aus der Ferne soviel Kummer bereitet, was willst du erst sagen, wenn wir dicht davor stehen?«

»So schnell wie möglich gehe ich vorüber, ich trage doch die Verantwortung für zwei, nicht wahr, Dieter?« widersprach Traute.

Aber der Doktor sagte: »Vorübergehen, nein, wir bleiben davor stehen, der Käse ist unser Ziel.« – »Um des Himmel willen, meine arme Nase.« Und auch Dieter seufzte in der Tasche.

Richtig, der Doktor ging geradenwegs auf den Käse zu: »Hier sind meine springenden Würmer.«

Traute war zögernd an den Käse herangetreten. Sie hielt sich ihre Nase zu, und auch Dieter tat das gleiche. Der Käse in der Speisekammer roch bedeutend mehr als der Käse im Küchenschrank. Der Käse im Schrank war ein harter Käse, der hier aber ein weicher. Traute wollte rasch hinweg, dann aber blieb sie doch voller Neugierde stehen. Sie sah weiße Maden im Käse. Hin und wieder richtete sich eine Made auf, stand Kopf, schlängelte mit ihrem Körper im Kreise herum, und dann, hopp, sprang sie im weiten Satz bis zum Tellerrand. Dann tat das gleiche wieder eine andere. »Hopp! Die können aber springen. Der Käse hat Maden, das ist häßlich, aber ulkig sind die Maden doch. Sind das etwa die berühmten Käsemaden?«

»Ja, das sind die berühmten Käsemaden. Daraus werden später die Käsefliegen. Die erwachsenen Fliegen sind schwarz und haben ziegelrote Augen.«

»Die jüngsten Larven kriechen nur«, erklärte der Doktor dozierend weiter, »die erwachsenen aber bewegen sich ausschließlich springend, und die Richtung der Sprünge geht immer nach dem Dunkeln hin. Man zählte bei einer erwachsenen Made in 10 Minuten 47 Sprünge, der weiteste maß 23, der höchste 20 Zentimeter. Da die erwachsene Larve sieben Millimeter lang ist, machen diese Höchstleistungen das 30fache und 33fache der eigenen Länge aus! Wollten wir Menschen mit ähnlichen Werten aufwarten, müßten wir 56 Meter weit und 50 Meter hoch springen! Das ist so viel, wie zwei Großstadthäuser neben- oder übereinandergestellt ausmachen. Und die Gesamtstrecke, die die Made in diesen 10 Minuten zurücklegte, betrug ein Meter, das ist das 1400fache ihrer Körperlänge. Ein Mensch geht in der Zeit das 580fache seiner Länge, wollte er es der Käsemade gleich tun, müßte er zweieinhalb Kilometer in 10 Minuten schaffen. Auch an Speck, Schinken und Wurst sind Käsemaden häufige Gäste-, aus einem handgroßen Stück fetten Schinkens wurden einmal 3153 Käsemaden herausgeholt! Und in den USA, dem Lande, in dem die Schädlingsbekämpfung am stärksten entwickelt ist, wird der jährliche Schaden durch Käsefliegen auf mindestens 1 Million Dollar geschätzt. Käsemaden können sich auch in Salz (!), in Kot und in toten Tieren, ja sogar im Körper lebender Menschen entwickeln. Kommen sie mit Käse oder geräuchertem Fleisch in den Magen oder Darm von Menschen, so kann das unangenehme Folgen haben. Käsemaden gehören nämlich zu den wenigen Tierarten, die dort nicht getötet werden, sondern weiter leben und mit ihren scharfen Mundhaken die Darmwand verletzen und Blutungen und Eiterungen hervorrufen können.«

»Pfui, ihr Käsefliegen, wo es stänkert, da müßt ihr Fliegen auch dabei sein. Pfui über euch! Ich werde Käse nie wieder offen stehen lassen.«

»Ja, hätte ich den Käse nicht offen hierher gestellt, hättet ihr die Käsemaden nicht kennengelernt«, unterbrach sie der Doktor.

»Sag' mal, Doktor, was ist denn das da? Das haben wir doch schon gesehen. Das sind ja wieder die Käsemilben aus dem Küchenschrank. Du sagtest uns doch damals, die Käsemilben gehen nur an Hartkäse. Nun finden wir am Weichkäse auch Käsemilben.«

»Nein, das sind keine Käsemilben, das sind Mehlmilben.«

»Aber Doktor, im Käse sind doch keine Mehlmilben.«

»Gewiß, seht euch die Milben nur an. Erstens sind sie breiter gebaut, dann haben sie auch weniger Stacheln. Ja, die Mehlmilben sind auch solche Allerweltsfresser. Im feuchten Mehl und Getreide, im Käse, in Grieß, Graupen, Grütze und Haferflocken, Fleischmehl, Tee und Tabak schmarotzen sie. Von Mehlmilben verseuchte Nahrungsmittel können giftig wirken und Erkrankungen von Pferden, Schweinen und Rindern hervorrufen. Sie können sich bei Massenvermehrung sogar auf der menschlichen Haut ansiedeln und Ausschlag und Entzündungen hervorrufen. Dieter, du sagt ja gar nichts mehr?«

»Ich staune nur, und wenn ich etwas sage, dann drückt mich die Traute so sehr, daß ich Angst um mein Leben habe. Wo ich doch so klein bin, muß ich schon immer recht artig sein.«

»Brav so, Dieter«, lachte der Doktor, »endlich haben wir dich mal kleingekriegt.«

Wieder wanderten die beiden der Rolltreppe zu. Sie wollten jetzt nach unten. Schon standen sie auf der ersten Stufe, da schlug sich der Doktor vor den Kopf: »Kinder was bin ich doch für ein Esel, da habe ich die Rolltreppe konstruiert und war so stolz auf meine Erfindung, und jetzt fällt mir meine Eselei ein. Hinauf geht die Rolltreppe zwar, aber nicht hinunter. So eine Nachlässigkeit! Wir müssen die Rolltreppe also hinunter wandern.« Langsam und bedächtig ging es durch den großen dunklen Raum der Speisekammer hinab. Aber als sie die letzte Stufe passierten, da gingen sie am elektrischen Auge vorüber, und sofort setzte sich die Rolltreppe nach oben in Bewegung. Schnell mußten sie abspringen, wenn sie nicht wieder emporgetragen werden wollten. Auf dem Regal entlang ging es dann zur zweiten Rolltreppe. Wieder mußten sie die stillstehende Treppe hinabsteigen, und wieder setzte sich die Treppe in Bewegung, als sie unten ankamen. Endlich standen sie glücklich unten auf dem Boden der Speisekammer.

»Eigentlich wären wir fertig«, sagte der Doktor, »aber ich vermute, wir haben noch viel Zeit bis zu unserem Größerwerden. Stelle deine Laterne ab und setze dich hier her, Traute, wir wollen noch etwas plaudern. Eine schöne große Speisekammer, nicht wahr, und was für Tiere alles hier drin sind ... Was ist denn das, ich lasse mich braten, wenn das nicht ein Mauseloch ist. Richtig, das ist ein Mauseloch.«

Der Doktor ging mit seiner Laterne voraus und bald sahen die beiden im Holz der Leiste ein großes Loch, viel, viel größer als sie selbst waren. Dem Doktor juckte es in den Gliedern. Da müßte man mal hineingehen. Aber wenn die Maus kommt, dann beißt sie uns Zwerge tot wie nichts. Sie wird noch nicht einmal satt von uns beiden, vom Dieter ganz zu schweigen. Aber wozu haben wir denn unsere Gewehre?

»Traute, hast du Mut, oder soll ich allein hineingehen?«

»Dann nimm mich mit«, bat Dieter aus der Tasche.

»Nein, ich komme auch mit! Wo Dieter ist, da will ich auch sein. Wenn wir schon von Mäusen gefressen werden müssen, dann aber auch alle«, erwiderte Traute. Der Doktor band sich die Laterne vor den Bauch und hing sein zweites Gewehr über die Schulter. Der Traute befestigte er die Laterne auf dem Rücken. Dieter mußte sich da oben draufsetzen, damit er den Rückweg beobachten und bei Gefahr sofort Alarm schlagen konnte. Das ging ohne weiteres, da die Laterne ja mit kaltem Licht arbeitete und nicht heiß wurde. So zogen die drei denn in das Mauseloch. Der Doktor und Traute hielten die Gewehre ständig in Anschlag.

Ihr Weg führte zwischen Holzleiste und Kalkwand entlang. Kalkkrümel lagen auf dem Boden, und auch die Holzwand der Leiste war sehr unregelmäßig. Jetzt hatte die Schlucht ein Ende, dafür öffnete sich unten ein Loch im Holz. Hier mußte es weitergehen. Der Doktor leuchtete hinein und entdeckte einen Schuttberg, auf den man hinabsteigen konnte. Aha, es ging unter der Holzdiele weiter. Zwischen Schutt, Staub und Brettern führte der Weg im Dunkeln entlang. Manchmal sanken die Zwerge zwar bis zu den Knien ein, einmal die Traute sogar bis zum Bauch, aber immer wieder konnten sie sich herauskrabbeln. Jetzt schien der Gang aber wirklich ein Ende zu haben. Und da war auch das Mausenest. Hoch hielt der Doktor seine Lampe empor, und was sie sahen, war wirklich wunderbar.

In einem Nest von Papier, Federn, Holzspänen und Lappen lagen sechs kleine junge Mäuse. Die Tiere waren bedeutend heller als erwachsene Mäuse, auch hatten sie noch keine Haare, und die Augen waren noch geschlossen.

Lange betrachtete der Doktor schweigend das Idyll, dann fing er an: »Das ist gar nicht so etwas seltenes, was wir hier sehen. Die Mäuschen-Mutter wirft im Jahre fünf- bis sechsmal, und immer sind es vier bis acht Junge. Ist das nicht toll? Nach sieben bis acht Tagen erhalten die Mausekinder erst ihr Haarkleid, und am dreizehnten Tage öffnen sie zum ersten Male ihre Augen. Dann sind sie aber auch, wenn man so sagen darf, ziemlich fertig. Bald verlassen sie Nest und Mutter und gehen selbständig auf Raub aus. Das Nest muß freigemacht werden für neue Kinder.«

»Was die Mäuse fressen, ist erstaunlich. Es sind richtige Allesfresser. Lebensmittel, die von den Mäusen nicht verzehrt werden, gibt es gar nicht. Und dazu benagen sie noch Holz, Papier, Bücher, Geldscheine, alte Latschen, es ist ein Jammer mit den Mäusen. Wenn sie nur das Nagen sein ließen. Dabei sind die kleinen Dinger putzsüchtig, immer müssen sie an ihrem Körper herumarbeiten. So ekelhaft Ratten sind, so niedlich können Mäuse sein. Ich habe schon oft gehört, daß ein Mann oder eine Frau eine Maus mit einer Mausefalle fingen und dann das hübsche Tier nicht töten konnten. Es sah so ›süß‹ aus. Ja, vor Mäusen haben fast alle Frauen Angst. Aber wenn sie wirklich einmal eine Maus in Ruhe sehen, dann verlieben sie sich in das Tier. Gefangene Mäuse werden auch leicht zahm und haben einen gutmütigen Charakter. Schon mancher Gefängnisinsasse hat mit einer selbstgezähmten Maus Freundschaft geschlossen. Die Chinesen und Japaner züchten sogar Mäuse, und zwar die berühmten Tanzmäuse, die possierlich immer im Kreise herumsausen.

Habt ihr schon einmal etwas von ›Singmäusen‹ gehört? Es soll wirklich Mäuse geben, die ›singen‹ können. Das ist natürlich übertrieben. Sie piepen nur etwas melodischer. Man hat Singmäuse näher untersucht und gefunden, daß es schwerkranke Tiere sind. Sie sind von Haarwürmern oder von der Finne des Katzenbandwurms befallen. Die Luftröhre verengt sich, und die Leber schwillt riesig an. Ihr Gesang ist ihr Todesröcheln, weiter nichts. Darum sind Singmäuse auch so zutraulich, weil die Krankheit die angeborene Vorsicht abtötet. Es gibt noch mehr Geschichten von der Maus. Im unaufgeklärten Mittelalter glaubte man ernsthaft, daß die Hexen Mäuse machen können. Man hat als Hexen verschriene Frauen so lange gefoltert, bis sie in ihrer Todesangst eingestanden, daß sie Mäuse machen könnten.

Aber auch die Wissenschaft beschäftigte sich mit den Mäusen. Unsere Ratten sind eingewandert, die Mäuse scheinen aber schon in uralten Zeiten in unserem Vaterlande gelebt zu haben.

Interessant ist auch ihr Schwanz. Die Entwicklungslehre sagt, daß sich die Vögel und Säugetiere von den Reptilien, also von den Eidechsen her entwickelt hätten. So zeigen die Vögel an ihren Füßen noch die charakteristischen Reptilienschuppen. Aber auch Mäuse und Ratten tragen Schuppen am Schwanze. Das ist der letzte Rest der Reptilienverwandtschaft. Bei den meisten anderen Säugetieren hat das Haar die Schuppen verdrängt, das allerdings oberflächlich auch oft geschuppt ist. – Aber das führt sicher zu weit. Wir müssen hier hinaus, sonst wachsen wir im Mauseloch und stoßen uns die Köpfe an der Diele.«

Die beiden machten kehrt. Der Doktor führte wieder, und Traute ging hinterdrein, auf dem Rücken ihre Laterne samt den Dieter tragend. Sie fanden den Rückweg gut und standen bald draußen auf dem Fußboden der Speisekammer. So, nun konnte das Wachsen beginnen.

»Was sind denn das für Geräusche?« Der Doktor hielt seine Laterne empor, und Traute machte ihr Gewehr schußbereit. Oben, von einem Regal zu einem anderen Brettchen, hatte der Doktor dicht am Fenster eine Leine gespannt, um dort seine kleine Wäsche aufzuhängen. Oben auf dem Brettchen lag etwas Speck. Unterhalb des Brettchens war Papier mit Reißnägeln an die Wand geheftet. Eine Maus versuchte, am Papier nach oben zu klettern, um zu dem Speck zu gelangen. Obgleich sie sehr hoch kam, fast bis zum Brettchen, reichten ihre Kräfte doch nicht aus, das Brettchen zu erreichen.

Nun gab sie das Papierklettern auf, kletterte auf ein Regal und bestieg von hier aus die Leine. Die Maus wird doch nicht! Jawohl, die Maus versuchte ihre Kunst als Seiltänzerin nicht ohne Erfolg. Vorsichtig kam sie auf der Leine vorwärts, dabei auch ihren Schwanz benutzend, um vom Seil nicht herabzufallen. Ihr Schwanz war bald Balancierstange, bald Wickelschwanz zum Festhalten. Ihre Nase war immer schnuppernd dem Speck zugewandt.

Jetzt hielt sie inne. Hatte sie die beiden Zwerge bemerkt? Was sollte das bedeuten? Die Maus verließ schnell das Seil, kletterte wieder hinab, äußerst eilig und geschwinde und versuchte, das Mauseloch zu erreichen. Dort aber standen die drei Zwerge, das konnte ja gut werden!

Aber es kam alles anders.

Eine Spitzmaus war in die Speisekammer eingedrungen. Sie hatte die Hausmaus beobachtet und wollte die echte Maus fressen, die sich nun schnell zu retten versuchte. Denn die Spitzmäuse sind gar keine Mäuse, obgleich sie so heißen und aussehen. Sie sind Insektenfresser und dem Igel und Maulwurf verwandt. »Die Spitzmäuse haben ein spitzes Maul, sehen aber sonst so aus wie Mäuse, sind jedoch etwas kleiner. Aber ein Gebiß hat die Spitzmaus! Seht nur, echt Raubtier. Und fressen kann sie! Sie frißt täglich ihr eigenes Gewicht. Der alte Brehm sagte schon, ein Glück, daß die Spitzmäuse nicht so groß wie Löwen sind, sie würden alles Leben auf der Erde vernichten«, flüsterte der Doktor.

Die Spitzmaus sah die Hausmaus in der Speisekammer, und ihre Freßlust war erwacht. Noch hatte die Hausmaus das Mauseloch nicht erreicht, da sprang sie schon auf das arme Tier zu, saß ihr im Nacken und biß so kräftig zu, daß die Hausmaus zusammenbrach. Jetzt fraß sie schmatzend ihre Namensvetterin, mit der sie nicht verwandt war, auf. »Die Spitzmaus ist so gefräßig, daß sie nicht einmal einen Winterschlaf hält, sie könnte ja eine Mahlzeit versäumen«, dozierte der Doktor leise weiter. »In den Wohnungen hält sie sich nicht oft auf, meist ist sie mehr in der freien Natur anzutreffen.

Sonst frißt das Raubtier nur Schaben und Heimchen oder andere Insekten, eine Maus sättigt jedoch ganz anders. Die Mahlzeit ist ja größer als die Räuberin selbst. Übrigens nascht sie auch gern Fleisch, Speck und Mehl. Aber nur nachts geht sie in die Häuser, den Tag mag sie nicht. Unter Sonnenschein leidet das Tier geradezu. Findet die Spitzmaus nicht genug Nahrung, dann stürzt sie sich über andere Spitzmäuse her und frißt sogar die eigenen Kinder. Spitzmäuse können Kannibalen sein«, erläuterte der Doktor.

Laut schmatzte die Spitzmaus, und die drei Zwerge beobachteten das Schlachtfest. Da kam ein Geräusch vom Fenster. Das Fenster der Speisekammer war nur angelehnt und wurde jetzt von außen gewaltsam aufgestoßen. Die Spitzmaus hielt im Fressen inne und schaute nach oben. Eine große Katze blickte zum Fenster hinein. Jetzt war es für die Spitzmaus Zeit zum flüchten. Mit einer Katze kann selbst eine Spitzmaus nicht fertig werden.

Aber zu spät. Schnell war die Katze zur Spitzmaus hinabgesprungen und biß zu. Die Spitzmaus war mausetot. Aber voller Ekel wandte sich die Katze ab, als sie das getötete Tier fressen wollte. Der Moschusgestank behagte ihr gar nicht. Das Vieh stinkt ja entsetzlich. Und so etwas soll man fressen! Auch Hunde und der Marder beißen wohl Spitzmäuse tot, aber fressen, nein, dafür danken sie, das Vieh stinkt zu sehr. Nur Eulen und andere Raubvögel, Störche und Kreuzottern, die fressen Spitzmausfleisch, da sie nicht so empfindliche Nasen haben.

»Früher glaubte man, eine Katze, die eine Spitzmaus gefressen habe, müsse sterben, weil die Spitzmäuse giftig seien. Aber das stimmt nicht. Der Geruch verleidet der Katze nur den Braten. Die Sache mit der Giftigkeit ist Legende, ebenso wie es Legende ist, daß eine Spitzmaus, die auf eine Wagenrinne im Sand gerät, nicht mehr aus der Wagenrinne herauslaufen kann.«

Die Katze zog sich von der Spitzmaus zurück und wollte sich nach neuer Nahrung umsehen. Da entdeckte sie die beiden Zwerge. Traute schrie auf: »Um alles in der Welt! Will uns die Katze fressen? Das ist ja ungeheuerlich! Was nützen uns da die Gewehre, die Kugeln kitzeln ja die Katze nur. Was soll man nur tun? Das ist ja entsetzlich!«

Langsam kam die Katze auf die beiden Zwerge zu. Ins Mauseloch krauchen? Aber natürlich, wozu sind denn Mauselöcher da? Schnell versteckten sich der Doktor und Traute im Mauseloch, aber die Katze ging nicht fort, sondern wartete geduldig auf das Wiedererscheinen der Zwerge. Das konnte ja gut werden!

Jetzt setzte auch noch das Größerwerden ein. Schon prickelte es im Körper, die drei Zwerge wuchsen. Schon füllten sie fast den ganzen Gang im Mauseloch mit ihren Körpern aus. Sie mußten sich ducken, aber es wurde immer beängstigender, immer unerträglicher. Jetzt war es dem Doktor egal. Er mußte hinaus. Das konnte kein Mensch aushalten. Auch die Traute und der Dieter kamen heraus. Die Katze wollte auf den Doktor zuspringen, da hielt sie inne. Was war denn das? Das Tier da wuchs ja, wurde immer größer. Hatte man so etwas schon gesehen? Das war ja unheimlich. Mit einem Satz war die Katze auf dem Fensterbrett und sprang draußen hinab. Groß und alt konnte man werden, aber man lernte nie aus. Es gab wirklich Kreaturen, die konnten wachsen, immerzu wachsen, bis in den Himmel hinein, nie mehr in ihrem Leben suchte die Katze die Speisekammer auf.

Der Doktor und Traute hatten ihre Originalgröße erreicht. Aber Dieter war noch so klein wie eine Puppe. »Beeile dich, Dieter, wir müssen nach Hause, es ist sehr spät geworden. Beeile dich mit dem Wachsen.« Als Traute ausgeredet hatte, war Dieter inzwischen schon größer geworden als Traute selbst, und er foppte sie: »Was willst du denn, du Knirps, willst du etwa einen alten Mann verulken?«

Lachend gingen beide in Begleitung des Doktors nach Hause, der im stillen beschloß, sein Speisekammerfenster schnellstens mit einem engmaschigen Drahtgewebe zu versehen, damit die Tiere in Zukunft nicht mehr eindringen können. Auch das Mauseloch wollte er mit Glasscherben und Gips verschließen.


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