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Das elfte Abenteuer mit Fliegen und Spinnen

Dieter saß zu Haus und schrieb seine Schularbeiten: Wenn ein Ei sechs Pfennig kostet, wieviel kosten zwölf Eier?

Das machte dem Dieter keine Schwierigkeiten. Er rechnete nicht lange und schrieb hin: Zweiundsiebzig Pfennig.

Wenn die Miete für ein Ruderboot und für eine Stunde eine Mark kostet, wieviel kostet die Miete für drei Ruderboote und für zwei Stunden?

Wieder schrieb Dieter ohne viel Rechnerei hin: Sechs Mark.

Wenn aber die Miete für vier Ruderboote und für drei Stunden neun Mark kostet, wieviel kostet die Miete für ein Ruderboot und für eine Stunde?

Jetzt mußte sich Dieter schon mehr anstrengen, aber er schrieb bald hin: Fünfundsiebzig Pfennig.

Seine Mutter beobachtete ihren rechnenden Sohn und wollte auch eine Aufgabe stellen: »Dieter, du kannst doch so schön rechnen, kannst du mir folgende Aufgabe lösen? Ein Dampfer ist 45 Meter lang, 15 Meter breit, der Schornstein ist 12 Meter hoch. Wie alt ist der Kapitän?«

Dieter wußte mit der Aufgabe nichts anzufangen. Er dachte nach und rechnete, konnte aber keine Lösung finden. Dann fragte er: »Wie rechnet man das eigentlich? Wie alt ist denn der Kapitän?«

Die Mutter antwortete: »Fünfzig Jahre.«

»Warum? Wie hast du das gerechnet?«

»Der Kapitän hat es mir gesagt.«

Die Mutter mußte lachen, und Dieter fühlte, daß er nichts Besseres machen konnte als auch lachen. Jetzt hatte ihn aber die Mutter hineingelegt.

Die Rechenaufgaben waren fertig, nun mußte Dieter noch einen deutschen Aufsatz schreiben. Der Lehrer hatte das Thema gestellt: »Warum sind die Stubenfliegen schädlich?« Schade, daß Dieter den Doktor schon einige Zeit nicht aufgesucht hatte. Der hätte ihm sicher sehr viel von den Stubenfliegen erzählen können, viel mehr, als der Lehrer wußte. Aber der Doktor hatte sich schon einige Zeit nicht sprechen lassen. Der tat in der letzten Zeit wieder so geheimnisvoll und hatte viel zu tun. Sicher hatte er für die Kinder eine große Überraschung. Da war Dieter aber gespannt! Ob der Doktor ein neues U-Boot baute?

Aber der Aufsatz muß geschrieben werden. Vielleicht weiß die Mutter etwas von den Fliegen. »Mutter, warum sind die Stubenfliegen so schädlich?«

»Die Stubenfliegen? Wenn man sich eine Viertelstunde zum Schlaf niedergelegt hat, dann kommen die kleinen Plagegeister und stören immerzu. Summ summ summ summ ... verrückt kann man dabei werden. – Aber ich weiß eine Fliege, die ist nicht schädlich. Das ist die Winterfliege, die Glücksfliege. Wer im Winter eine Fliege in der Wohnung hat, der ist glücklich dran. Die Winterfliege darf man nicht töten, denn die bringt Glück.«

»Aber Mutter, das ist ja gerade die gefährlichste Fliege. Im Anfang des Winters sterben die Fliegen alle weg. Ein kleiner Pilz befällt die Fliegen, durchwuchert den Fliegenkörper, und die Tiere gehen alle zugrunde. Wir wären glücklich dran, wenn es allen Fliegen so ginge. Aber ein paar Fliegen retten sich über den Winter in den warmen Wohnungen, werden dort von den Menschen geschützt, weil die Menschen glauben, die Winterfliegen brächten Glück. Gerade diese Winterfliegen legen im Frühjahr die vielen Eier, daß wir uns vor Fliegen nicht retten können. Die Winterfliegen sind unsere Unglücksfliegen.«

»Das habe ich noch gar nicht gehört. Warum sind denn die Fliegen so schädlich?«

»Mutter, da die Fliege im Mülleimer, schau mal hin, jetzt setzt sie sich auf den Tisch, nun geht sie an das Brot heran. Geh weg, du böse Fliege! Ist das artig, erst im Mülleimer umherzukramen und dann auf dem Tisch, bei den Eßwaren, spazierenzugehen? Die Fliegen machen nicht nur alles schmutzig, sie verbreiten auch überall die Krankheitskeime. Fliegen sind wie Gift. Was würdest du sagen, Mutter, wenn ich mit meinen Beinen durch den Tümpel watete, dann auf den Teppich ginge und zuletzt auf den Tisch kletterte, ohne mir die Beine zu waschen?«

»Na, so viel Schmutz machen ja die Fliegen nicht wie du mit deinen Füßen.«

»Wer in den Mülleimern und Gruben halten sich die kleinen Krankheitskeime auf. Viel Schmutz verschleppen die Fliegen nicht, aber sie tragen die Krankheitskeime mit sich umher, und das genügt, um die Fliegen für gefährlich zu erklären. Deine Glücksfliegen bringen uns nur Unglück.«

»Den dicken Brummer da an der Scheibe, den kannst du totmachen, der ärgert mich immer. Der hat auch lange genug gelebt, der Alte. Aber die jungen Fliegen, die ganz kleinen, die laß noch leben. Die haben ja erst seit kurzer Zeit die Welt gesehen.«

»Mutter, das stimmt nicht. Die großen Brummer sind nicht die alten Fliegen, und die kleinen Fliegen sind nicht die jungen. Die kleinen Fliegen bleiben immer klein, auch wenn sie ganz alt geworden sind, und die Brummer waren schon bei ihrer Geburt so groß. Es gibt eben viele Fliegensorten.«

»Junge, woher weißt du denn das alles? Du willst wohl später mal Professor werden, du kleiner Fliegendoktor? Wer hat dir denn das alles erzählt?«

Beinahe hätte Dieter wieder gesagt: Das hat mir alles der Doktor Kleinermacher erzählt, aber er biß sich auf die Zunge und verriet seinen Doktor nicht. Brav schrieb er seinen Aufsatz über die Schädlichkeit der Fliegen, und dann nahm er sich ernstlich vor, mit der Traute gemeinsam zum Doktor Kleinermacher zu gehen. Von den Fliegen sollte der Doktor erzählen. Und dann sollte er noch zeigen, was er denn seit einiger Zeit so geheimnisvoll baute. Das hielt man ja gar nicht mehr aus vor Neugierde!

Bald traf er sich mit der Traute, und seine Spielgefährtin war gleich bereit, mit ihm zu gehen.

Energisch pochte Dieter beim Doktor an:

»Guten Tag, Doktor Kleinermacher. Willst du denn gar nichts mehr von uns wissen? Wir halten das nicht mehr aus. Und dann habe ich noch einen Aufsatz geschrieben, über die Schädlichkeit der Stubenfliegen. Kannst du mir noch etwas von den Fliegen erzählen?«

Der Doktor war gar nicht böse. Er lächelte wieder sein freundliches Lächeln, hieß die Kinder willkommen und nahm sie in seiner Wohnung auf.

»Zuerst mal deine dummen Fliegen. Aber du weißt ja, warum die Fliegen schädlich sind, das habe ich dir doch schon mal erzählt. Die Sache mit den Krankheitskeimen kennst du doch. Und wie so eine Fliege entsteht, will ich dir ganz kurz erzählen. Einmal in ihrem Leben feiert eine Stubenfliege Hochzeit. Nach drei Tagen legt sie schon Eier, so siebzig bis neunzig Stück, und die legt sie überall hin, wo Schmutz oder Mist ist. Das mit dem Eierlegen macht die Fliege so ungefähr viermal. Nach sechs Stunden, es können auch vierundzwanzig werden, kriechen aus den Eiern kleine Maden heraus, Maden ohne Kopf, ohne Beine und ohne Augen. Die Maden wühlen vierzehn Tage in ihrem Schmutz umher, fressen und werden dabei ganz schön rundlich. Dann geben sie vorläufig ihr Leben auf und verpuppen sich. Nach drei bis vier Tagen kommt aus der Puppe eine fix und fertige Fliege. Die Fliege hat gleich die richtige Größe, denn sie wächst nicht mehr. Nach vierzehn Tagen geht die Eierlegerei der neuen Fliege wieder los. Eine Stubenfliege wird so ungefähr acht bis zehn Wochen alt. Wenn sie stirbt, ist sie schon Großmutter geworden.

So eine Winterglücksfliege hat nach einem Vierteljahr, wenn keine Kinder umkommen und alles gut geht, eine Nachkommenschaft von über zwanzig Millionen Fliegen.«

»Oooh!«

»Aber es geht nicht alles gut. Die Fliegen haben auch ihre Feinde, und jedes Ei kann nicht zur Made werden, besonders wenn die Hausfrau sauber ist und keinen Schmutz in ihrer Wohnung duldet. – Aber nun genug von deinen dummen Fliegen. Ich habe viel was Besseres, eine große Überraschung für euch.«

Dann ging der Doktor an seinen Schrank, holte eine kleine Schachtel hervor, öffnete sie und nahm ein kleines, winziges Flugzeug heraus, so klein, nicht größer als eine Libelle. Jedes Kind bekam ein Vergrößerungsglas in die Hand, und dann erklärte der Doktor sein Wunderwerk. Das Flugzeug hatte einen Propellerantrieb mit starken Motoren. Es war aus bestem Stahl gearbeitet. Die Kabinen waren nicht offen, denn man konnte ja nicht wissen, welche Gefahren dem Flugzeug drohten. Dafür waren aber die Kabinen mit großen Fenstern versehen, um den Ausblick nicht zu verhindern. Und um einen langsamen Flug zu ermöglichen, hatte das Flugzeug Windmühlenflügel. Damit konnte die Maschine des Doktors sogar in der Luft stillstehen. Aber der Doktor hatte noch an mehr gedacht. Wohl war die Geschwindigkeit durch den Antrieb der Propeller nicht gering, aber in der Natur gab es so schnell fliegende Raubvögel, daß man auf alles gefaßt sein mußte. Deshalb hatte der Doktor im Rumpf des Flugzeuges eine Raketenanlage eingebaut. Wenn die abgefeuert wurde, dann schoß das Flugzeug dahin, daß kein Falke die Zwerge einholen konnte.

Von allen Seiten wurde das Wunderwerk staunend betrachtet, und die Freude wollte kein Ende nehmen. Was der Doktor alles bauen konnte! Wirklich, der Doktor konnte alles. Gab es einen Menschen, der noch mehr konnte?

Dann öffnete der Doktor die Stubenfenster. »Wir wollen gleich einsteigen. Zuerst machen wir eine Runde in der Stube, und dann geht es hinaus in die frische Luft.« Die drei stellten sich auf den Tisch, das Flugzeug stand gleichfalls auf dem Tisch, und jeder nahm einen Schluck aus der Flasche. Immer mehr schrumpften die drei zusammen, bis sie so klein wie Fliegen waren. Dann gingen sie auf ihr Flugzeug zu, das startbereit auf dem Tische stand. Der Doktor führte die beiden Kinder auf ihre Sitze, dann warf er den Propeller an und bestieg selbst das Flugzeug. Da die Windmühlenflügel oberhalb des Flugzeuges auch in Tätigkeit traten, erhob sich das Flugzeug ohne Anlauf sanft wie eine Feder über den Tisch. Der Doktor jubelte, und Traute ergriff vor Freude Dieters Hand, drückte sie sehr, so sehr freute sie sich über das neue Abenteuer und die Fliegerei.

Zuerst probte der Doktor sein Flugzeug noch aus. Er flog sacht und langsam empor, dann machte er einen langsamen Flug nach vorn und schließlich sogar nach hinten. Es klappte alles vorzüglich.

Nun aber mal einen tollen Gang einschalten! Dort brummte eine Fliege durch das Zimmer. Hinterher mit Gebrüll! Die Fliege kreiste immer im Zimmer herum, das Flugzeug immer hinterher, und wenn sich die Fliege ausruhen wollte, dann hielt das Flugzeug in der Luft an, so daß sie die Fliege nie aus den Augen verloren. Wunderbar, bei jedem Griff gehorchte das Flugzeug dem Doktor.

Im Fliegen konnten die Kinder die Fliege gut beobachten. Die beiden Augen bedeckten fast den gesamten Kopf der Fliege. Nur zwei Flügel hat die Stubenfliege, die anderen beiden Flügel sind zu kleinen Schwingkolben verkümmert. Der Doktor erzählte den Kindern, daß die Fliege mit diesen Schwingkolben balanciere und ihr Gleichgewicht herstelle. Wenn man den Fliegen diese Schwingkolben abschneide, dann torkelten sie in der Luft wie Betrunkene umher.

Da unten auf den Tisch hatte sich eine andere Fliege niedergelassen und schlürfte den Zucker auf. Vorsichtig ging das Flugzeug hinunter und hielt in der Nähe der Fliege. Die Zuckerstückchen kann die Fliege nicht aufessen, die Zuckerstückchen sind viel zu groß. Mit ihrem Rüssel drückt sie etwas Speichel auf den Zucker, der Zucker löst sich auf, und nun saugt die Fliege durch ihren Rüssel den Zuckersaft auf. Alles Eßbare muß die Fliege mit ihrem Speichel besabbern, pfui, Fliege!

Beim Fliegen konnten die Kinder die Flügel der Fliege gar nicht beobachten, so schnell gingen diese auf und nieder. Die Kinder wollten wissen, wie viele Male die Flügel in der Sekunde auf und nieder gehen. Der Doktor antwortete:

»Beim Kohlweißling gehen die Flügel in der Sekunde neunmal auf und nieder; das ist doch schon ganz schön, nicht wahr? Bei der Libelle geht es schon besser, achtundzwanzigmal bewegen sich die Flügel in der Sekunde. Bei der Biene gibt es schon hundertneunzig Bewegungen in der Sekunde, aber bei der Stubenfliege, haltet euch fest, die Flügel der Stubenfliege bewegen sich in der Sekunde dreihundertdreißigmal auf und nieder! Kein Wunder, daß man die Flügel gar nicht mehr wahrnehmen kann und daß das so ein Gebrumm gibt.«

Was der Doktor alles erzählen kann, man kommt aus dem Staunen nicht heraus! Nun aber genug von den Stubenfliegen! Das Fenster steht offen, die Natur ruft! Hinaus aus dem Zimmer und hinein in die frische Luft! Wie ein Falke sauste das Flugzeug durch das Fenster. Elegant wich es jedem Hindernis aus, beschrieb herrliche Kurven in der Luft und schraubte sich immer höher. Die drei schwelgten im Höhenrausch der Fliegerei.

Nun aber zurück zur Erde, die Kinder wollten ja etwas sehen. Da, zwischen den Zweigen, hing ein Spinnennetz. Ein dicker Brummer zappelte im Vogelspinnenleim und verwickelte sich immer mehr im Gestrüpp. Das Flugzeug hielt direkt in der Luft vor dem Spinnennetz. Deutlich konnte Dieter sehen, daß nicht alle Spinnenfäden voller Spinnenleim waren, sondern immer nur in kleinen Abständen befanden sich winzige Klebetröpfchen. Eine Spinne kann unbehelligt wie ein Seiltänzer ihr eigenes Netz überschreiten, aber jedes andere Tier verwickelt sich unbarmherzig in den Wäscheleinen der Spinne.

Kaum saß der dicke Brummer im Spinnennetz und zappelte, als schon die Spinne aus ihrem Versteck hervorkam, auf das Opfer zustürzte und geschickt einen Giftbiß anbrachte, damit der Brummer nicht mehr so lebenskräftig bliebe. Wohl ließen die heftigsten Bewegungen nach, aber ganz erstarb das Zappeln nicht. Jetzt spann die Spinne ihr Opfer ein, und das geschah rasend schnell. Fortlaufend wurde ein Faden aus der Spinnendrüse herausgedrückt, und dabei wurde das Opfer mit den Beinen immerzu herumgedreht, damit der Spinnenfaden den Brummer einwickeln konnte. Dann hängte sie den Spinnbeutel mit dem halbtoten Brummer zum Spinnennetz hinaus und suchte wieder ihr Versteck auf. Wenn der Hunger kommt, ist immer noch Zeit zum Essen.

Der Doktor brachte seine Maschine wieder in Gang und flog langsam vom Baum auf eine Mauer zu. Hier hielt er wieder an, denn er hatte etwas gesehen, was er beobachten wollte. Auf der Mauerwand saß ein Spinnerich. Unterhalb der Spinne saß eine kleine Fliege. Die Spinne ließ ihr Opfer nicht aus den Augen, aber nirgends hatte sie ein Netz gespannt.

Jetzt – was war denn los? – sprang die Spinne von der Mauer in die Tiefe, direkt auf die Fliege los. Die Spinne erreichte die Fliege, aber auch das Opfer hatte sich von der Wand losgelassen, und nun schwebten beide, wie von einem unsichtbaren Faden gehalten, in der Luft. Was sollte das bedeuten?

Der Doktor erklärte: »Das ist hier die sogenannte Hüpfspinne. Sie spinnt kein Netz, sondern spinnt nur einen Faden, den befestigt sie auf ihrem Sitzplatz. Wenn sie nun auf die Fliege drauflos springt, wie ein lebendig gewordener Lasso, dann springt sie nur so weit, wie der Faden reicht, und schwebt dann mit ihrer Beute in der Luft, vorausgesetzt, sie hat die Beute erwischt.

Ja, nicht alle Spinnen können spinnen. In Südrußland gibt es Walzspinnen, ziemlich große Biester, die gehen wie die Wölfe auf Jagd, ohne jemals ein Fangnetz auszuspinnen. Und auch die berühmte Vogelspinne Amerikas webt sich kein Netz zusammen. In schlechten Büchern sieht man manchmal Bilder. Eine riesige Vogelspinne hat sich ein Netz gebaut, und darin zappelt eine schöne Nachtigall. Gierig kommt die Vogelspinne auf den Vogel zu und will ihm das Blut aussaugen. Das ist alles Unfug. Eine Vogelspinne webt sich kein Netz. Sie überfällt Insekten, manchmal auch Eidechsen und Frösche, und wenn sie Glück hat – das kommt sehr selten vor –, dann erwischt sie auch einen kranken oder einen schlafenden kleinen Vogel. Der Name Vogelspinne ist ebenso irreführend, als wenn man mich Austernesser oder Sekttrinker nennen würde.

Unsere Spinnen sind übrigens auch nicht von Pappe. Zwar ihr Gift ist nicht schädlich, die Kreuzspinne kann noch nicht mal unsere Haut durchbeißen, und wenn sie es könnte, so viel Gift hat sie nicht wie die Tarantel in Italien oder die Skorpione. Wer von der Tarantel gestochen wird, der tanzt ganz verrückt eine Tarantella. Nein, so gefährlich sind unserer Spinnen nicht. Sie sind sogar nützlich, abgesehen davon, daß sie uns Bienen wegfangen.

Aber ich wollte euch etwas anderes erzählen. Die Spinnenweibchen sind fast alle größer als die Männchen. Wenn nun so ein kleines Männchen auf der Brautschau ist und sich bei einem Weibchen vorstellt, dann muß sich das kleine Kerlchen vorsehen. Eins, zwei, drei, hast du nicht gesehen, schon hat das stärkere Weibchen den armen Brautwerber erwischt, totgebissen und frißt ihn auf. Ein Glück, daß unter Menschen bessere Sitten herrschen.«

Beim Gespräch hatte der Doktor langsam wieder aufgedreht und startete freieren Höhen zu. Hei, das machte Spaß, wie ein geölter Blitz durch die Luft zu fliegen. Dahinten flogen Vögel, es waren Schwalben. Hin zu ihnen! Die Schwalben waren bald erreicht, jetzt aber wollten die Vögel nach dem Flugzeug schnappen, dachten sie doch, es sei eine Libelle, aber das Flugzeug war flink und bog den Schwalben immer geschickt aus. Lassen wir das, es könnte gefährlich werden. Als die Maschine den Schwalben auswich und schon ziemlich entfernt von den Vögeln war, kam ein anderer kleiner Vogel auf das Flugzeug zu. Es war keine Schwalbe, sah aber wie eine Schwalbe aus. »Das ist der Mauersegler, einer unserer besten Flieger«, sagte der Doktor. Kaum hatte er ausgesprochen, als er merkte, daß mit dem Mauersegler nicht zu spaßen war. Er versuchte wie die Schwalbe, das Flugzeug zu schnappen, und der Doktor merkte mit Schrecken, daß der Mauersegler flinker als die Maschine war. Aber wozu haben wir denn unsere Raketen? Dieter muß sich an das Steuer setzen, und der Doktor macht die Raketenanlage zurecht. Als die ersten Rückstöße der Rakete einsetzen, fliegt die Maschine so schnell dahin, daß der Mauersegler langsam zurückbleibt. Auch dieser Gefahr entronnen! Vor Sperlingen und Krähen ist man sicher. Bei dem Mauersegler aber wird die Sache doch gefährlicher.

Wieder legte der Doktor elegante Bogen ein, beschrieb schöne Kurven und wollte sogar Kunstfiguren üben, als ein Blick aus dem Fenster lehrte, daß wieder Gefahr drohte. Der schnellste Vogel aller Vögel schoß jetzt auf das Flugzeug zu. Der Baumfalke ist nicht so groß wie sein Bruder, der Wanderfalke, aber noch schneller als er kann er die Luft durchsausen. Der Wanderfalke fängt wohl Schwalben, aber die Mauersegler holt er nicht ein. Dagegen fängt der Baumfalke auch Mauersegler. Er ist der König aller Flieger. Nun schnell an die Raketenanlage! Alles wird zurechtgemacht, die ersten Rückstöße setzen ein, dann folgen immer weitere, aber der Abstand zwischen Baumfalken und Maschine will sich nicht vergrößern. Wie soll das nur enden! Wenn nun die Raketen ausgehen? Und immer noch fliegt der Baumfalke hinterher. Es ist ein Jammer!

Jetzt schießt der Doktor mit seiner Maschine nach unten. Wir müssen das rettende Blätterdach aufsuchen, da kann uns der Baumfalke nicht so leicht folgen. Schnell hinunter! Als sie im Walde waren, mäßigte der Doktor seine Geschwindigkeit, um nicht an die Bäume zu stoßen. Jetzt war man wohl aller Gefahr entronnen – dem Himmel sei Dank!

Da! Was war denn das? An irgend etwas Weiches war das Flugzeug gestoßen. Es zitterte noch etwas in der Luft, dann aber stand es still. Nur die Propeller arbeiteten noch etwas, aber bedeutend langsamer.

Ein Blick zum Fenster hinaus ließ die Lage erkennen. Das Flugzeug saß in einem Spinnennetz. Der Propeller arbeitete noch, riß auch ein paar Löcher in das Netz, dann aber verwickelte er sich mehr und mehr, bis er aufgehalten wurde.

Wozu haben wir unsere Raketenanlage? Ein paar Schüsse nach hinten, und wir werden frei sein. Aber die Raketenanlage war hin, sie war aufgebraucht. Der Wettflug mit dem Baumfalken hatte das Letzte hergegeben. Was nun? Dieter wollte das Fenster öffnen und hinausklettern, aber der Doktor hielt ihn zurück, denn eine große Spinne nahte sich eilig dem Flugzeug, wollte irgendwo einen Biß anbringen, konnte aber keine weiche Stelle finden. Dann drehte sie das Flugzeug wirbelnd herum und spann und spann einen langen Faden, der das Flugzeug wie in einen Beutel einwickelte. Zum Schluß hängte sie den Beutel mit dem Flugzeug zum Netz hinaus. Vielleicht wird das harte Flugzeug mal weich, daß man es verzehren und aufsaugen kann, dachte die Spinne.

Während des Herumwirbelns der Maschine wurden die drei Insassen so herumgeschleudert, daß Dieter nicht mehr wußte, welche Arme und welche Beine ihm denn eigentlich gehörten. Den anderen ging es ebenso, und alle klagten über Schwindel und schmerzhafte Beulen. Pfui, so eine Spinne! Der Doktor klagte und schalt sich einen Esel, daß er nicht eine Maschinengewehr-Anlage eingebaut hatte.

Nun wurde es aber Zeit, die Maschine zu verlassen. Dieter ging an das Fenster und wollte es öffnen. Bei jeder Bewegung aber sauste die Spinne heran und wollte wissen, was mit ihrer Beute los war, ob sie wieder lebendig wurde.

Außerhalb des Flugzeuges lauerte die Spinne, lauerte der Tod, in der Maschine konnte man auch nicht mehr bleiben. Wenn das Wachsen einsetzte, mußte schon die Freiheit gewonnen sein. Was tun?

Der Doktor beratschlagte eingehend alle Fluchtmöglichkeiten. Man kam zu folgendem Ergebnis: Sobald das Wachstum einsetzen sollte, wollten sich alle aus dem Fenster stürzen und in die Tiefe fallen lassen. Ehe man unten ankomme, sei man schon groß geworden, und der Fall sei nicht so schlimm.

Die drei setzten sich, so gut es ging, in ihrem Flugzeug hin, denn die Maschine stand mit dem Kopf nach unten, und warteten auf ihr Wachstum. Ihre traurigen Gedanken wurden von eigentümlichen Geräuschen unterbrochen. Es pochte von außen gegen die Maschine. Sollte die Spinne versuchen, das Flugzeug zu öffnen? Jetzt wurde das Klopfen stärker, und bald war es ein Schmettern und Schlagen, daß allen die Sinne vergehen wollten. Deutlich merkten die drei, wie von der Wucht der unheimlichen Schläge das Flugzeug Beulen bekam. Was war denn das nun wieder?

Der Doktor kletterte nach einem Fenster und sah nach außen. »Kinder, es hagelt! Eisblöcke so groß wie unser Flugzeug donnern gegen unsere Maschine. Wenn das nur gut geht!«

Aber das Flugzeug war so sauber in Spinnenfäden eingepackt, daß die Schläge etwas gemildert wurden. Schlimm genug blieb es aber, denn in dem Höllenkonzert vergingen den dreien die Sinne. Wird das Flugzeug alles aushalten, wird es zerschlagen werden? Dann sind auch wir tot, denn diese Schneeballschlacht hält kein Mensch aus.

Jetzt zitterte und schwankte das Spinnennetz. Große Löcher wurden in das Kunstwerk hineingehauen, und die Fetzen flogen. Da, jetzt rissen die Spinnenseile, und das Flugzeug sauste nach unten. Aber der Sturz war nicht so schlimm wie das Eisbombardement, denn der Grasboden milderte den Sturz.

Im Flugzeug gab es jedoch neue Beulen, doch diesmal nicht in das Maschinenmetall, die Zwerge erhielten selbst die Beulen. Vor lauter Aufregung sing Traute an zu weinen, wollte hinaus und nach Hause eilen. Der Doktor und Dieter hielten das Mädchen zurück, aber ihnen selbst war nicht wohl bei dem Höllenkonzert des Hagels.

Endlich ließ der Hagelschlag nach. Das Flugzeug war so verbeult, daß der Doktor nicht die Tür aufmachen konnte. Auch die Fenster klemmten. Man entschloß sich, die Fenster zu zerschlagen; so kletterten die drei aus ihrer einst so stolzen Maschine hinaus. Wie sah das arme Flugzeug jetzt aus! Die Propeller zerbrochen, das Höhensteuer verbogen, die Windmühlenflügel zersplittert und dann der vollkommen verbeulte Rumpf des Flugzeuges!

Die Maschine war nicht mehr zu benutzen.

Traurig standen die drei vor dem zerstörten Werk, und der Doktor konnte sich nicht halten, er mußte ein paar Tränen zerdrücken. Mitten in dieser traurigen Stimmung setzte das Größerwerden ein. Der Doktor konnte seine Tränen nicht abwischen, so sehr war der Körper mit dem Wachstum beschäftigt. Als die Kinder den Doktor im Wachstum ansahen, mußten sie laut lachen, obgleich noch immer Tränen aus den Augen des Doktors kullerten. Aber der Anblick war zu komisch.

Die Tränen, so wie sie das Auge verlassen hatten, wuchsen nicht mit, sondern blieben so klein, wie sie waren. Den Kindern erschien daher der Vorgang des Weinens so: Aus den Augen des Doktors kullerten normale Tränen. Diese wurden immer kleiner, und ehe sie die Backen hinunterrollen konnten, waren sie schon verschwunden. Der Doktor konnte das Schauspiel von oben selbst bewundern, und er mußte selbst lachen.

Ende gut, alles gut. Das Abenteuer war sehr gefährlich und sehr aufregend gewesen. Traute und der Doktor hatten Tränen vergossen, alle drei hatten Beulen erhalten, und die Beulen waren leider im Wachstum mit gewachsen, und doch gingen alle lächelnd nach Haus.

Im Hause des Doktors reinigte man sich, bürstete sich ab und wusch sich, und dann setzten sich alle drei an den Kaffeetisch. Beim Trinken und Essen erzählten sich die drei ihre Abenteuer, und immerzu ging es über den Tisch: »Weißt du noch, damals ...«

Nach dem Essen holte der Doktor ein dickes Buch herbei. Er sagte: »Wißt ihr, was ich hier habe, meine Kinder? Hier schrieb ich alle Abenteuer auf, die wir drei erlebt haben. Das Buch wird immer dicker. Aber mal muß ich es ja drucken lassen. Schließlich kann man ja noch einen zweiten Band herausgeben. Aber so ganz dicke Bücher hat der Buchdrucker nicht gern. Jetzt schreibe ich unser letztes Abenteuer ein, das letzte Kapitel, und dann wird es gedruckt. Ist das nicht ein feiner Gedanke?«

Dieter und Traute gingen hocherfreut nach Hause und waren stolz darauf, nun auch in einem Buch zu stehen. Ihren Eltern setzten sie so lange zu, bis sie das Buch kauften. Und dann hatten sie ihre Abenteuer im Bücherschrank.

Kinder, habt ihr schon das Buch vom Dieter, der Traute und dem Doktor Kleinermacher gelesen?


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