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Das zweite Abenteuer im Bienenkorb

Es vergingen einige Tage, ehe die Kinder wieder etwas von dem Doktor hörten. Tapfer hielt Traute allen Versuchungen stand, irgend jemand von den Abenteuern mit Doktor Kleinermacher zu erzählen, und auch Dieter sprach kein Wort von seinen Erlebnissen. Desto mehr hatten sich die beiden Kinder selbst zu erzählen. Traute wagte anfangs gar nicht, einen Tropfen Wasser zu trinken, da es ihr zu leid tat, die herrlichen Lebewesen im Wassertropfen zu vernichten. Aber Dieter klärte sie auf. So viel hatte er schon vom Doktor Kleinermacher gehört, daß reines Leitungswasser bei weitem nicht so viele lebendige Wesen enthalte, wie sie gesehen hatten. Je trüber das Wasser ist, desto mehr entwickelt sich darin die Tier- und Pflanzenwelt. Ja, wenn das Wasser sogar rieche und man kaum den üblen Geruch aushalte, dann sei der Reichtum der Tierwelt unausdenkbar. Wenn man einen Tropfen Jauchewasser unter das Mikroskop lege, müsse man staunen.

So gingen die Gespräche der Kinder einige Tage hin, und der Doktor ließ nichts mehr von sich hören. Tat es dem Doktor Kleinermacher etwa leid, die Kinder in sein Geheimnis eingeweiht zu haben? Fürchtete er, daß die beiden ihn verraten könnten?

Aber er hatte doch fest versprochen, Dieter und Traute zu einem neuen Abenteuer einzuladen.

Dieter hielt die Ungewißheit nicht mehr aus und suchte Doktor Kleinermacher auf. Freudestrahlend kam er zurück und holte Traute ab: »Es ist soweit, Traute, wir erleben ein neues Abenteuer. Der Doktor mußte nur noch einige Vorbereitungen treffen, und damit ist er jetzt fertig. Wir sollen beide kommen. Traute, freu dich mit mir, ich führe dich hin, schnell, mach dich fertig.«

Nicht zur Wohnung des Doktors führte jetzt Dieter seine Traute, sondern aus der Stadt heraus, und ihr Weg endete bei einem Landhaus. Ein Landwirt, der zugleich Imker war, nannte sich Besitzer des Häuschens. Im Garten trafen sie dann auch den Doktor.

»Guten Tag, Kinder«, sagte der Doktor, »ich habe alles vorbereitet, und jetzt kann es losgehen. Ihr müßt wissen, diesmal ist es nicht so einfach wie beim Wassertropfen. Wir drei wollen nämlich einen Bienenkorb aufsuchen und zusehen, wie die fleißigen Bienen ihren Honig bereiten.« Traute klatschte vor Neugierde und Begeisterung in die Hände, und Dieter wollte sofort von dem Wunderwasser trinken. Aber der Doktor wehrte ab.

»Ihr macht euch die Sache zu einfach. Wenn es nach euch ginge, sollten wir also vom Wunderwasser trinken, und dann könnten wir ja zusehen, wie wir Zwerge auf den hohen Bienenkorb hinaufkommen. Die Kletterei wäre zu anstrengend, und fliegen können wir auch nicht.«

Dieter meinte, man müßte neben dem Bienenkorb ein Brettergestell aufbauen.

»Gut«, sagte der Doktor; »inzwischen kommt der Besitzer, der ja von unserm Geheimnis nichts erfahren darf, und räumt das Brettergestell weg, während wir als Zwerge im Bienenkorb sind. Wie sollen wir dann wieder hinausgelangen? Ja, ja, Dieter, das sind so unsere Schwierigkeiten. Was sagst du aber zu folgender Sache? Die Bienen haben einen empfindlichen Stachel und töten jeden Fremdling, der in den Bienenkorb hinein will. Wie sollen wir uns dagegen wappnen?«

»Dann ziehen wir uns Ritterrüstungen an«, meinte Dieter.

»Aber woher nehmen und nicht stehlen?« antwortete der Doktor. »Doch ich will der Qual ein Ende machen. Hört mal zu. Zuerst dürft ihr nicht zuviel von dem Wunderwasser trinken, denn es darf nicht so stark wirken wie beim letzten Male. Wir wollen nicht so klein werden wie ein Stäubchen, sondern nur etwas kleiner als Bienen. Darum recht sparsam trinken, nur ein kleines Schlückchen nehmen. So, das wäre das erste. Nun seht euch mal auf der Erde um. Da vor euch liegen drei betäubte Bienen. Ich habe sie eingefangen, vorsichtig betäubt und auf die Erde gelegt. Die müssen wir als Zwerge erreichen und uns daraufsetzen. Wenn die Bienen erwachen, fliegen sie so mit euch zum Bienenkorb. Aber ehe sie erwachen, streicht kräftig mit euren Händen durch das Fell der Bienen und reibt euch dann alle Glieder ein. Die Bienen töten nämlich alles in ihrem Bau, was nicht den bekannten Nestgeruch hat. Habt ihr euch so tüchtig eingerieben, daß ihr denselben Geruch habt wie die Bienen, dann werdet ihr nicht getötet. Von dem Geruch werdet ihr selbst kaum etwas verspüren, denn die Bienen haben viel feinere Nasen als ihr. So, nun ist alles vorbereitet. Die Vorstellung kann beginnen.«

Damit nahm der Doktor die Wunderflasche, trank einen mäßigen Schluck, und die beiden Kinder taten dasselbe. Das Jucken und Zucken, das jetzt durch den Körper ging, kannten die Kinder nun schon. Auch wußten sie, daß die heitere Stimmung, die sie ergriff, vom Genuß des Wunderwassers herrührte. Aber sie mußten doch wieder staunen, wie die Bäume und Sträucher immer größer wurden und wie das Gras über sie hinwegwuchs. Zwar standen sie auf einer sandigen Stelle, aber die hohen Gräser in einiger Entfernung kamen ihnen wie ungeheure, große Türme vor. Bald hörte das Größerwerden der Welt auf, und sie betrachteten nun den Boden, auf dem sie standen. Die Sandkörner lagen wie kopfgroße Felsen umher, es war keine Freude, auf solchem Pflaster zu laufen; es war aber bedeutend besser als damals das Gebirge der Tischplatte. Wie der Doktor befohlen hatte, suchten sie nun die drei betäubten Bienen. Richtig, da lagen sie.

Kaum hatte Traute ihre Biene erblickt, so schrak sie voller Widerwillen vor dem Ungetüm zurück. Dieter kämpfte alle Furcht tapfer nieder, aber Traute konnte sich dem Ungeheuer nicht nähern. Erst als der Doktor und Dieter schon auf ihren Bienen Platz genommen hatten, näherte sie sich schüchtern dem Fabelwesen. Und die Biene sah in der Tat furchterregend aus. Die Haare, die uns sonst wie ein Sammetfell erscheinen, wirkten in der Nähe wie ein struppiges Borstenkleid. Der Hinterleib bewegte sich selbst in der Betäubung auf und nieder, denn die Insekten atmen nicht durch den Mund, sondern durch viele Leibesöffnungen, die sich an der Seite des Körpers befinden. Die Flügel schienen aus Glas zu sein, und der Kopf hatte ein paar Augen, die fast seine gesamte Oberfläche einnahmen. Aber Traute kämpfte allen Widerwillen nieder, ging schaudernd, aber unaufhaltsam auf ihre Biene zu und setzte sich zwischen Brust und Hinterleib, direkt hinter den Flügeln auf das Insekt. Dann tat sie das, was auch der Doktor und Dieter machten: mit ihren Händen wühlte sie auf dem Körper der Biene zwischen den Borsten umher und bestrich dann mit den Händen ihr Gesicht, ihre Arme, ihren Hals ... und das setzte sie fort, immer mit dem Gedanken: wenn ich deinen Geruch nicht habe, schreckliche Biene, dann töten mich deine Kameraden.

Plötzlich bemerkte sie, wie Leben in die betäubte Biene kam. Erst bewegten sich die Fühler hin und her, dann fing das Tier mit seinen sechs Beinen an zu kriechen, dann wurden die Flügel probeweise in Bewegung gesetzt, daß um die Ohren der armen Traute ein Wind sauste, der ihr alle Sinne nahm. Krampfhaft hielt sie sich an den Borsten der Biene fest, und jetzt merkte sie auch, wie das Insekt in die Luft schoß. Zwar war der Flug nicht ganz sicher, die Biene flog zum erstenmal mit Passagier, in ihrer noch nicht ganz überstandenen Betäubung kam ihr der Luftreiter nicht völlig zum Bewußtsein, aber der Flug war doch so schnell, daß Traute nicht wußte, ob sie noch lebte oder schon tot sei. Die Biene aber hatte nur einen Gedanken, hin zum heimatlichen Bienenkorb!

Dieter mußte ähnliche Empfindungen durchmachen. Er war zwar ein mutiger Junge, aber der Flug zum Bienenkorb deuchte ihm doch wie ein Flug in schwindlige Stratosphären. Nur der Doktor war in jeder Lage Herr über sich selbst. Sein Wissensdurst war zu groß, als daß er sich irgend etwas entgehen lassen wollte. So beobachtete er beim Besteigen seines »Flugzeuges«, daß die Biene von Bienenläusen geplagt wurde. Das sind Tiere, die am Körper der Bienen schmarotzen und das Aussehen von Läusen haben. Zwar saugen die Bienenläuse kein Blut, sie suchen nur nach Nahrungsresten auf der Oberfläche des Körpers, aber viele Bienenläuse können der Biene doch unangenehm werden.

Auf dem Brettchen vor dem Flugloch des Bienenkorbes landeten die drei Bienen, und dann krochen sie hintereinander in das dunkle Flugloch. Wie ein stolzer Spanier auf seinem Streitroß, so ritt der Doktor in den düsteren Bienenkorb hinein. Kaum waren die drei drin, so gab er den Kindern ein Zeichen, von den Reittieren abzuspringen. Traute kam dabei zu Fall. Sie stürzte so unglücklich, daß die Biene mit ihren Hinterbeinen über Traute hinwegging. Das Kind schrie ängstlich auf. Dieter und der Doktor eilten hilfsbereit herbei, aber Traute war gesund und munter, nur der Schreck lag ihr noch in allen Gliedern. Sie jammerte, daß sie sich so sehr fürchte und daß sie lieber daheim geblieben wäre.

Der Doktor tröstete sie, so gut er konnte. »Sieh mal, Traute, die Tiere tun uns nichts, wir haben ja denselben Geruch wie sie. Nur Wesen mit fremdem Geruch greifen sie an. Dir geschieht wirklich nichts.« Auch Dieter nahm sich der Traute an, dabei war ihm aber nicht viel besser zumute als ihr. In dem dunklen Bienenkorb konnte er gar nichts sehen. Nur dicht am Flugloch war einige Helligkeit, sonst spürte er weiter nichts als ein ungeheures Krabbeln, Rauschen und Vorüberrascheln, ohne irgend etwas sehen zu können. Dabei spürte er eine Backofenwärme in der dunklen Höhle, und er merkte, wie ein warmer Luftstrom zum Flugloch hinwehte, und ein etwas kühlerer Luftstrom ging von außen nach innen. Wer sollte in dieser unheimlichen Welt keine Furcht bekommen?

Aber allmählich gewöhnten sich die Augen an das Dunkle, und langsam begann jeder in dem großen düsteren Dom die Dinge zu unterscheiden. Mit Erstaunen gewahrten sie, daß keine Biene von ihnen Notiz nahm. Jede Imme krabbelte an ihnen geschäftig vorüber, ohne sich über die Gäste zu wundern. Die Kreaturen dort haben unseren Nestgeruch, das genügt – so dachten anscheinend die Bienen.

Jetzt beruhigte sich auch Traute, und alle drei versuchten, die Dinge in dem großen Dom, genannt Bienenkorb, zu unterscheiden. Zuerst erblickten sie eine ungeheure Wand mit unzähligen sechsseitigen Öffnungen. Auf diesen Wabenöffnungen krabbelten so viele Bienen wirr durcheinander, daß Dieter zuerst weder System noch Ordnung erkennen konnte. Dann aber sah er, daß um eine größere Biene sich ein besonderer Kreis bildete. Die Biene in der Mitte war nicht nur größer, sondern auch schlanker und hatte gelbliche Hinterfüße, im Gegensatz zu den dunkleren Hinterfüßen der anderen Bienen. Die größere Biene war unzweifelhaft die Königin. Immer waren ein paar Arbeiterinnen um die Königin bemüht, reichten ihr Nahrung zu, fütterten sie und waren ihr in jeder Art dienstbar. Die Königin aber legte immerzu Eier, wie am laufenden Bande setzte sie unbekümmert ihre Tierproduktion fort. Ihren Hinterkörper senkte sie für einen Augenblick in eine Zelle, ließ ein Ei fallen, und dann beehrte sie die nächste Zelle.

Der Doktor Kleinermacher hatte den Kindern viel zu erzählen: »Hier könnt ihr wieder mal sehen, Kinder, wie unsere Worte und Begriffe verkehrt sind. So eine Königin lebt drei bis fünf Jahre. Immerzu legt sie Eier, es sind am Tage ungefähr fünfhundert; wenn sie sich aber anstrengt, kann sie am Tage sogar zweitausend Eier legen. Das ist ihre Beschäftigung, weiter nichts, und zu diesem Geschöpf sagen wir Königin. Ich sage euch, es ist eine Schwerarbeiterin. Nicht die »Königin« lenkt und regiert den Bienenstaat, sondern die klugen, zahllosen Arbeiterinnen. Wir werden das noch beobachten können. Schaut mal hin, da werden Eier in ziemlich kleine Zellen gelegt. Es sind befruchtete Eier, wie ich euch verraten kann. Legt die Königin ein unbefruchtetes Ei, dann wächst eine männliche Biene, eine Drohne daraus. Eine Arbeiterin ist nämlich ein Weibchen, allerdings ein verkümmertes Weibchen. Das echte Weibchen ist allein die Königin. Da oben seht ihr eine viel größere Zelle. Sie ist auch nicht sechseckig, sondern ragt weit hervor. Da hinein wird ein befruchtetes Ei gelegt. Die Made in der größeren Zelle erhält eine besondere Nahrung, und nach einiger Zeit hat sich eine neue Königin entwickelt. Ist das nicht sonderbar? Nur die Wiege ist geräumiger und größer, und die Nahrung ist besser und auserwählter, und schon wird aus dem gewöhnlichen Ei eine Königin. Das ist so sonderbar, daß ich mich immer wieder darüber wundere. Denkt euch mal an, wenn bei uns die Schlosser, Tischler, Beamten, Soldaten und Priester auch nur durch eine besondere Wiege und durch besondere Nahrung zu ihren Berufen bestimmt würden!

Nun muß ich euch mal erklären, was aus einem gewöhnlichen Arbeiterinnenei wird. Aus dem Ei kriecht bald eine kleine Larve, wie eine Made aussehend. Die Made wird von den Bienen mit Honig und Blütenstaub gefüttert, und nach einiger Zeit verpuppt sich die Larve und wird eine bleiche, scheinbar leblose Mumie. Jetzt machen die Bienen einen Deckel auf die Zelle, damit die Puppe Ruhe und Zeit hat, sich zu entwickeln. Da, schaut mal hin, dort kommt eine Puppe zum Leben und will eine Biene werden!«

Dieter und Traute folgten dem Finger des Doktors und sahen aus einer Zelle eine bleiche, farblose Biene kriechen. Die Neugeborene war nicht kleiner als die anderen Bienen. Sie war aber noch unbeholfen, und sofort kamen emsige Bienenammen gerannt, halfen der Neuen, sich aus der Zelle zu befreien, und entfernten die letzten Schalen und Reste der Puppenhülle. Sehr besorgt waren die Ammen um die Neugeborene.

Die junggeborene Biene durfte noch nicht den Bau verlassen, sondern mußte im Bienenkorb bleiben. Die blassen Bienen können die Sonnenstrahlen noch nicht aushalten. Es gab auch genug Arbeit für die Bienenjugend im Hause. Dieter und Traute sahen, wie junge Bienen eine Kette bildeten bis zur Öffnung des großen Bienenkorbes. Dann schlug die Bienenreihe im Takte die Flügel und sorgte so für die Lüftung des Baues. Die jungen Bienen übernahmen die Aufgabe von Ventilatoren. Frische Luft soll in den Bau hineinkommen, damit die Bienen besser atmen können. Auch muß der Honig in den Zellen dickflüssiger werden, er muß eindampfen, und das kann er nur, wenn die Luft immer wieder erneuert wird.

Andere junge Bienen übernahmen die Aufräumungsarbeiten im Bau. Sie hatten Stubendienst. Die Bienen sind nämlich sehr sauber, und sie gehen lieber an Darmkrankheiten zugrunde, ehe sie ihren Bau selbst beschmutzen. Aber die bösen Männer, die Drohnen, sind bei weitem nicht so sauber, und so müssen die jungen Hausmädchen ständig sauber machen. Ist der Schmutz zu groß, daß er nicht hinausgeschafft werden kann, dann breiten die Bienen Wachs und Bienenkitt über den Schandfleck, und der Unrat ist luftdicht abgeschlossen. Ja, die Bienen sind sehr sauber. Die alternden Arbeiterinnen sterben im Freien, verlassen von allen ihren Kameradinnen, mit ihrer Leiche verunzieren sie nicht den Bau. Der Kameradschaftsgeist der Bienen kann von niemand überboten werden.

Das war noch nicht die gesamte Hausarbeit der jungen Bienen. Andere drückten aus den Ringen ihres Hinterleibes Wachsplatten heraus und bauten mit diesem Wachs die sechsseitigen Zellen. Die Bienen haben keine Maschinen und keine Werkzeuge, ihr Körper ersetzt alle Werkzeuge und Maschinen. In ihren Leibern formen sie wie in einer großen Fabrik Wachsplatten zum Wabenbau. Jetzt beobachteten Dieter und Traute eine junge Biene, die zum erstenmal einen Flugversuch unternahm. Ihre bleiche Farbe hatte sie verloren. Lange probierte sie ihre Flügel vor dem Flugloch, dann startete sie in die unbekannte, neue Welt. Aber die Biene flog nicht davon, sondern blieb immer fliegend in der Nähe des Flugloches, den Kopf immerwährend dem Flugloche zugewandt. Erst als sie sich lange genug den äußeren Eingang des Bienenkorbes eingeprägt hatte, flog sie von dannen.

Jetzt wandten sich Dieter und Traute wieder dem Innern des Honigdomes zu. Vieles hätten sie gar nicht verstanden, wenn der Doktor es ihnen nicht erklärt hätte. Nicht alle Zellen dienten der Aufzucht der jungen Brut. Die meisten Zellen waren Vorratskammern für Honig und Blütenstaub. Die fleißigen Arbeiterinnen müssen nämlich nicht nur für sich, für die Brut und für die Königin Honig sammeln, sie müssen auch Vorrat für den langen Winter schaffen und außerdem noch die faulen Drohnen ernähren. Den meisten Honig aber stiehlt der Mensch.

Aus den Blüten saugen die Bienen den flüssigen Nektar. Nektar ist aber noch lange kein Honig. Der Nektar der Blüten muß erst in den Honigmagen der Bienen wandern. Dort wird er tüchtig umgewandelt. Er verliert viel Wasser, und aus dem Zucker des Nektars wird der Zucker des Honigs. Aus dem Magen kommt der Honig endlich in die Wachszellen. Aber noch lange ist der Honig nicht fertig. Immer noch muß er Wasser verlieren und verdunsten. Daher bemühen sich auch die jungen Bienen, mit ihren Flügel-Ventilatoren die Luft zu erneuern. Zum Schlusse sticht die Biene in den Honig hinein und fügt dem süßen Saft einen Tropfen Ameisensäure zu. Ameisensäure ist nämlich in dem Giftstachel der Bienen. Die Chemiker bezeichnen diesen Stoff so, weil die Ameisen den gleichen Giftstoff haben. Mit dem »Gift« versehen hält sich der Honig besser. Auf die Wabe kommt nun ein Deckel aus Wachs, und der Honig ist fertig.

Die Bienen essen aber nicht nur Honig. Sie verlangen auch nach »Bienenbrot«, und Bienenbrot besteht aus Blütenstaub, aus den sogenannten Pollen. Dieter und Traute sahen, wie immer neue Arbeiterinnen von der Reise im Sonnenschein zurückkamen. Ihre Beine waren so voller Blütenstaub, daß es aussah, als hätten sie bunte Hosen an.

Nektar und Blütenstaub, das ist noch nicht alles, was die Bienen sammeln. Das Wachs bereiten sie in ihrem eigenen Körper, den Bienenkitt aber sammeln sie von den harzigen, klebrigen Knospen der Bäume. Mit Bienenkitt verstopfen sie dann die Ritzen und Schäden ihres Baues.

Nicht immer finden die Bienen im Freien Honigblüten und Nektar. Dieter besann sich darauf, daß die Blätter mancher Bäume mit einer durchsichtigen, klebrigen Masse überzogen waren. Der Doktor hatte ihm früher erzählt, daß die Blattläuse diesen klebrigen Zuckerguß erzeugen, auf den besonders die Ameisen scharf sind. Aber auch die Bienen saugen diesen »Honigtau« auf und verarbeiten ihn zu echtem Honig. Nur soll dieser Honig bei weitem nicht so gut sein wie der Blütenhonig.

Drei bis fünf Jahre alt wird die Königin, die Arbeiterin aber nur sechs bis acht Wochen. Sie arbeitet sich buchstäblich zu Tode. Immerzu ist sie unterwegs, um neuen Honig und Blütenstaub zu suchen. Dabei werden die zarten Flügel immer mehr beschädigt, bis sie schließlich zu dünnen Streifen ausfransen. Noch kann die Arbeiterin auf ihrem letzten Fluge die Blüte erreichen; mit Honig und Blütenstaub beladen, kann sie sich aber nicht wieder erheben, und sie bleibt draußen und erwartet in der kühlen Nacht ihren Tod.

Manchmal erscheint auch der Bienenwolf, eine Wespenart, überfällt draußen die sammelnde Arbeiterin, betäubt die Biene und schleppt die Beute zu seiner Brut, um dieser Nahrung zu geben.

Dieter und Traute hatten immer wieder in dem dunklen Honigdom etwas zu sehen und hörten unermüdlich auf die erklärenden Worte des Doktors Kleinermacher. Was war jetzt wieder los?

Durch den ganzen Bau ging eine Aufregung. Die Bienen summten nervös, vergaßen ihre Arbeit und rannten ohne jede Ordnung wirr durcheinander. Irgendein großes Ereignis kündigte sich an. Hatten die Bienen die drei fremden Menschen entdeckt und wollten sie den Bau alarmieren, um die drei Eindringlinge hinauszuwerfen?

Traute und Dieter bangten um ihr Leben, doch der Doktor lächelte nur. Die Sache würde also schon in Ordnung gehen, denn der Doktor Kleinermacher wußte ja alles.

Jetzt rannte auch die Königin aufgeregt hin und her. Zornig und erbost stieß sie immer wieder einen kampfesmutigen Laut aus, der ungefähr wie tü-tü klang. Aus einer Königinnenwiege antwortete es hinter dem Wachsdeckel qua-qua. Das war für die Königin genug. Wütend wollte sie sich auf die Königinwiege stürzen. Sie hatte selbst ihrer Thronfolgerin das Leben gegeben, nun war die Kronprinzessin in der Wiege fertig und wollte die alte Dame vom Throne stürzen. Zornig rannte die Königin auf die große Zelle zu und wollte den Deckel abreißen, die noch junge Königin herauszerren und zu Tode stechen. Aber die Arbeiterinnen duldeten keinen Königinnenmord. Schützend stellten sie sich mit ihren Leibern vor die königliche Wiege und wehrten die noch regierende Majestät ab.

Revolution im Bienenkorb! Die Untertanen verweigern den Gehorsam! Die Königin soll nicht unumschränkt herrschen können! Nun wird es Zeit, den aus den Fugen geratenen Staat zu verlassen. Die Königin drängte zum Ausgang, dem sie sich seit Monaten nicht mehr genähert hatte, und ihre Augen, die sich bisher nur im Halbdunkel betätigten, setzte sie jetzt der prallen Sonne aus. Sie ging nicht allein, die Königin. Hunderte von Untertanen schlossen sich der beleidigten Königin an und versuchten mit ihr die Reise in das Unbekannte, irgendwo wollten sie eine neue Heimat finden.

Von dem Strom der zum Ausgang drängenden Bienen wurden die drei mitgerissen, und es blieb ihnen weiter nichts übrig, als sich von den Tieren treiben zu lassen. Der Doktor setzte sich kurz entschlossen auf eine Biene und benutzte das Insekt wieder als Reittier. Er rief den Kindern zu, das gleiche zu tun, denn wenn sie von den Bienen zum Abgrund gedrängt wurden, dann stürzten sie sicher zu Tode, so glaubte er.

Kaum hatten die drei die Bienenrücken eingenommen, so ging auch schon die Reise in die blaue Luft los. Zu Hunderten schwärmten die Bienen umher, immer hinter ihrer vom Thron gestürzten Königin. Der Schwarm der Bienen wallte auf und nieder. Traute mußte sich ängstlich festhalten, um nicht bei der wilden Reise über Bäume und Sträucher das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei tönte das Gebrumme und Gesumme der Bienen wie eine Flotte von Hunderten von Bombengeschwadern. Vor Angst und Furcht schloß sie beide Augen. Dieter aber wollte sich die sonderbare Welt von oben ansehen und hielt die Augen tapfer auf, obgleich auch ihn die Furcht so packte, daß er zitterte. Nur beim Doktor schien die Wißbegier über jede Furcht zu siegen.

Nun kam der aufgeregte Bienenschwarm zur Ruhe. Die Königin hatte sich an einen Ast gesetzt, und alle Bienen klammerten sich in langem Schlauch an ihre Königin an. Endlich, endlich war die tolle Reise zu Ende. Da die Bienen sich nicht rückten und rührten, mußten die drei zusehen, wie sie ihren unglücklichen Platz verlassen konnten. Sich einfach herabfallen zu lassen, hätte den sicheren Tod bedeutet. Ein Sturz von der schwindligen Höhe wäre Wahnsinn gewesen, so meinten sie. Zum Glück hatten sich ihre Reittiere nicht weit vom Aste niedergelassen. Mit Grauen dachten die drei daran, was geschehen wäre, wenn ihre Bienen sich zufällig nicht so günstig, sondern weitab vom Ast und tief drinnen im Bienenschwarm niedergelassen hätten. So aber konnten sie den Ast mit einiger Mühe erreichen. Nur mußte Dieter der Traute beim Klettern über die Bienenleiber behilflich sein. Endlich waren sie zum Ast gelangt und wollten sich gerade zur Ruhe niederlassen, als wieder das bekannte Prickeln und Zucken im Körper einsetzte.

»Aha, wir werden größer«, sagte der Doktor, »nun seid recht vorsichtig, Kinder! Richtet eure Körperstellung so ein, daß ihr beim Wachsen mit gespreizten Beinen über dem Ast sitzt. In einer anderen Stellung könntet ihr vom Baume fallen.«

Die Kinder taten, was der Doktor riet, und richtig, als sie wieder die Normalgröße hatten, saßen sie mit gespreizten Beinen auf einem Ast, und dicht unter ihnen klammerten sich die Bienen zu einem großen Schwarmbeutel zusammen.

Noch hatten sich die Kinder nicht an den neuen Anblick gewöhnt, als vom Gartentor her die Stimme des Imkers schallte:

»Was muß ich sehen, meine Bienen haben geschwärmt! Ich muß sie schnell einfangen! Und was macht ihr da oben auf dem Baume? Deswegen braucht man doch nicht auf die Bäume zu klettern! Kinder, habt ihr aber Angst! Die Bienen tun euch doch nichts.« Er stellte eine Leiter an den Baum, und die drei kletterten hinab.

Sie hatten keine Lust, nach ihrem sonderbaren Erlebnis mit dem Imker gleichgültige Gespräche zu führen. Rasch verabschiedeten sie sich und suchten ihre Wohnungen auf.


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