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Fünftes Kapitel.
Auf der Spur der Wunderorchidee

Mit den Indianern auf dem Marsch – John Harland taucht wieder auf – Auf halsbrecherischen Pfaden über die Kordilleren hinweg – Die Llanos des Maracaibosecs – Ankunft bei den Motilons – Maya – Blumensuche im Wald – Orchideen als Insektenfallen – Bolivar wird von einer Schlange gebissen – Die Orchideendecke und die Warnung


Vierzehn Tage waren seit dem Aufbruch Tortugas und seiner weißen Reisegenossen vom Lager bei Valle de Upar vergangen, als der nun recht stattliche Zug der Berittenen – auch Forster und Brockhusen nebst ihren Trägern waren vom Häuptling mit Maultieren versorgt worden – nach einem Marsch, der immer an den Abhängen der Sierra von Pensa entlang genau nach Süden geführt hatte, in der Nähe der Lagune von Zapatosa anlangte. Hier schwenkte die Kolonne nach Osten ab, um die Sierra zu überschreiten und ihr Ziel, die auf der östlichen Seite des Gebirges liegende Ansiedlung des Zipas (Oberhäuptlings) der Motilons, zu erreichen. Von einigen belanglosen Vorfällen abgesehen, war die Reise bisher ohne Störung verlaufen. Nur einmal hatte sich eine auf einem Streifzug befindliche kleine Abteilung der Landpolizei dem Trupp entgegengestellt, um die Indianer nach Waffen zu durchsuchen, war aber beim Anblick der finsteren und entschlossenen Mienen der Leute noch rechtzeitig zu der Erkenntnis gelangt, daß auch in Kolumbien Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist, und hatte sich, etwas verlegen glückliche Reise wünschend, seitwärts in die Büsche geschlagen.

Die Deutschen und ihre Leute ritten immer in einigem Abstand von den Indianern hinter ihnen her und kamen mit ihnen nur an den Lagerstellen in nähere Berührung. In dem Verhältnis zwischen Forster und Tortuga hatte es bisher zwar keine Unstimmigkeiten gegeben, aber ebensowenig konnte von Innigkeit der Beziehungen die Rede sein. Je mehr man sich dem Ziel der Wanderung näherte, desto zurückhaltender wurde das Benehmen des Häuptlings. Wohl suchte der Naturaliensammler ihn durch weitere kleine Geschenke in bessere Laune zu versetzen, es schien aber fast, als ob der habsüchtige alte Indianer größere Erwartungen gehegt hätte und sich enttäuscht fühlte. Jedenfalls war sein Verhalten Albert Forster gegenüber, wenn auch nicht gerade unhöflich, so doch von wahrer Freundlichkeit weit entfernt, während er dem jungen Deutschen, der noch immer das Amulett trug, mit einer gewissen Scheu aus dem Wege ging. Unter diesen Umständen bot sich keine Gelegenheit, mit dem Alten vertraute Gespräche anzuknüpfen und bei ihm Erkundigungen über die bevorstehenden religiösen Zeremonien sowie über die heilige Orchidee einzuziehen. Jede Berührung des Themas hätte wahrscheinlich nur das Mißtrauen des Häuptlings verstärkt und die Lage noch ungemütlicher gemacht, als sie ohnehin schon war.

»Ich kann mir nicht helfen, mir will der alte Tortuga nicht recht gefallen,« sagte Brockhusen eines Abends, als sie, wie immer etwas abgesondert vom Lager der Indianer, vor ihrem Zelt an einem Feuer saßen und ein paar kurz vorher erlegte Waldtauben über den Flammen zum Mahle rösteten. »Wenn er uns nur nicht im Gebirge einfach in Stich läßt – oder gar Schlimmeres plant.«

Obwohl Albert Forster von ähnlichen Gedanken bewegt war, hielt er es doch nicht für ratsam, den Verdacht seines jungen Kameraden zu schüren und ihn in Unruhe zu versetzen. Er suchte deshalb Walters Befürchtungen zu widerlegen. Tortuga war einfach ein mürrischer Querkopf wie so viele der Indios bravos, aber sonst wahrscheinlich ein ganz biederer, ehrlicher Mann. So äußerte sich Forster, insgeheim jedoch beschloß er, seine Wachsamkeit zu verdoppeln und noch mehr als bisher auf der Hut zu sein, um sich gegen unliebsame Überraschungen zu sichern.

In einem kleinen Dorf, bei dem sich der Paßweg zur Kammhöhe der Sierra hinauf abzweigte, hörten die Deutschen von den dort ansässigen halbzivilisierten Indianern, daß einige Tage vorher zwei andere Weiße in Begleitung einiger Träger hier durchgekommen wären und den Paßweg eingeschlagen hätten. Albert Forster stutzte und ließ sich eine Beschreibung der Männer geben. Sie paßte, was den einen von ihnen betraf, ziemlich genau auf John Harland.

Der Naturaliensammler fühlte sich stark beunruhigt. Wenn es wirklich John Harland war – und ein Zweifel daran schien kaum möglich zu sein – wie hatte der Intrigant in Erfahrung bringen können, daß er, Forster, diese Route hier einschlagen würde, an die er bei seinem Aufbruch von Barranquilla noch gar nicht gedacht hatte? Daß Harland seinen Spuren folgen und wiederum, wie schon früher einmal, Ränke schmieden würde, um seine Wege zu durchkreuzen, das hatte Forster ja schon geahnt, als er den Nebenbuhler in Puerto Colombo und Barranquilla auftauchen sah. Aber auf welche Weise mochte Harland das nächste Reiseziel Forsters in Erfahrung gebracht haben? An ein Spiel des Zufalls zu glauben, war der Naturaliensammler nicht geneigt. Gleichviel, an den Tatsachen ließ sich nichts ändern, jetzt mußte man trachten, dem listigen Amerikaner das Intrigenspiel zu verderben und ihm die Trümpfe, die er vielleicht schon in der Hand zu haben glaubte, zu entwinden.

Der Aufstieg des Trupps aus den Niederungen bis zur Paßhöhe der Sierra von Perija dauerte drei Tage und versetzte die Reisenden aus der tropischen Zone allmählich in die Hochgebirgswelt mit ihrer kühlen, dünnen und klaren Luft. Ein von Alexander von Humboldt aufgestelltes System unterscheidet in den Gebirgsländern Mittel- und Südamerikas drei Klimazonen, die durch die Höhenlage bedingt sind. Danach gibt es eine heiße Region ( tierra caliente), welche das Tiefland und die geringen Erhebungen bis 1000 Meter Höhe umfaßt, eine gemäßigte Region ( tierra templada) von 1000 bis 2000 Meter Höhe und eine kalte Region ( tierra fria) von 2000 Meter aufwärts. Natürlich stimmt diese schematische Einteilung, wie alle derartigen Systeme, nur im großen und ganzen, weil die Höhenlage allein nicht entscheidend ist und auch andere Umstände, wie der Einfluß der Winde, die Häufigkeit der Niederschläge usw., eine beträchtliche Rolle spielen. Im allgemeinen aber stimmt es mit den drei Klimazonen so ungefähr, und alle drei halten die Reisenden bei ihrem Aufstieg zur Kammhöhe der Sierra zu passieren»

Wie die meisten Saumpfade in den Kordilleren war auch dieser, der aus den Niederungen des Magdalenenstromes über die Sierra hinweg ins venezolanische hinein zum Tiefland der Lagune von Maracaibo führte, ein uralter, vor vielen Jahrhunderten, vielleicht schon vor Jahrtausenden von den damaligen Eingeborenen angelegter Gebirgsweg, der dann im Laufe einer langen Zeit von den nachfolgenden Geschlechtern immer mehr ausgetreten und verbreitert worden war. Die Verbreiterung mußte sich allerdings auf jene Strecken beschränken, wo ein geräumiges Gelände ihr nichts in den Weg legte, während sie in den engen Schluchten und an den Felsenhängen kaum möglich war. Der Pfad folgte zunächst dem Lauf eines von der Kammhöhe herabbrausenden wilden Bergstromes und schlängelte sich dann zwischen den immer dichter zusammenrückenden, immer schroffer und unzugänglicher werdenden Wänden aus rotem Sandstein und weißem Kalkgestein wie ein verschlagener Pfadfinder hindurch, um schließlich in den höchsten Regionen genötigt zu werden, sich unter Benützung der Vorsprünge des Gesteins, seiner Ausbuchtungen sowie der schmalen Terrassenabsätze um die fast senkrecht abfallenden Felswände der höchsten Gebirgsspitzen herumzuwinden.

Diese Saumpfade in schwindelnder Höhe an den ungeheuren Felsenschroffen über Abgründen von oft 1000 Meter Tiefe und mehr waren mit unerhörter Kühnheit angelegt und hatten für den Neuling, wofern er nicht gerade ein geübter Alpinist war, etwas Erschreckendes. Von unten gesehen, schien es unbegreiflich zu sein, wie jemand im Sattel, und noch dazu auf diesen schmalen Bändern, die häufig kaum mehr als einen Meter breit waren, sich vorwärts bewegen konnte, ohne vom Schwindel ergriffen zu werden und abzustürzen. Pferde wären auf diesen Saumpfaden freilich nicht zu brauchen, sie sind zu bodenscheu und nervös und würden bald schweres Unheil anrichten. Dazu eignet sich nur das im Gebirge ausgewachsene, von klein auf an die höchsten, verwegensten Pfade gewöhnte und gut dressierte Maultier. Es klettert mit der Sicherheit einer Gemse und verfolgt, da es völlig schwindelfrei ist, auch unmittelbar am Rand des furchtbarsten Abgrundes seinen Weg genau so ruhig und sicher, als ob es sich auf einer breiten Landstraße der Ebene befände. Ja es hat sogar, gleich als ob es die Gefahr herausfordern und sich darüber lustig machen wollte, den Hang, immer an der äußersten Kante des Saumpfades zu gehen, so daß man denkt, das Tier müßte jeden Augenblick abgleiten und in die Tiefe stürzen. Aber es scheint nur so, denn mit untrüglichem Instinkt steigt das Maultier über jede wirklich gefährliche Stelle, wo das Gestein unter seinen Hufen etwa abbröckeln könnte, behutsam hinweg. Der Reiter darf das Tier freilich nicht, wie es Neulinge gern tun, durch Ziehen und Zerren mit den Zügeln aus der Ruhe bringen, er muß es völlig sich selbst überlassen.

Walter Brockhusen, der auf so schwindelerregenden Pfaden noch niemals geritten war, mußte sich, obwohl es ihm wahrlich nicht an Beherztheit fehlte, doch gewaltig zusammennehmen, um nicht Anwandlungen von Schwäche zu erliegen. Es wurde ihm bisweilen schwarz vor den Augen, wenn sein Mulus just an den allerschmalsten Stellen des Saumpfades mit seltsamer Hartnäckigkeit nicht an der Innenseite des Pfades, sondern unmittelbar am Rande des Abgrundes ging, auf dessen Boden man hin und wieder, fast senkrecht unter den Reisenden in tausend Meter Tiefe, das Silberband eines Wildbaches schimmern sah. Dem jungen Deutschen war öfter zumute, als ob er ohnmächtig aus dem Sattel sinken und in den Höllenschlund dort unten stürzen müßte – aber er biß die Zähne zusammen und überwand allmählich das Schwindelgefühl, das ihn anfangs zu übermannen drohte.

Endlich verbreiterte sich wieder der Pfad, die Steigung hörte auf, man erreichte die Paßhöhe der Sierra, die wie ein riesiger Wall das Tiefland des Magdalenenstromes vom Tiefland des Sees von Maracaibo trennt. Die Eingeborenen und auch die Deutschen wickelten sich fest in den Poncho, denn kalt und heftig pfiff hier oben der Wind. Noch eine Biegung des Pfades um eine Felsenwand – und plötzlich tat sich vor den Augen der Reisenden ein Panorama auf, das ihnen laute Rufe der Überraschung und des Entzückens entlockte.

Tief unten zu ihren Füßen lag, vom Sonnenlicht überflutet, die unübersehbare Ebene der Llanos Mit dem spanischen Worte Llanos (sprich Ljanos) werden in erster Linie die ungeheuren, zum Teil sehr flußreichen Ebenen Venezuelas und Kolumbiens bezeichnet, die sich vom mittleren und oberen Lauf des Orinoko bis zu den Kordilleren erstrecken. Auch die Ebene rings um den See von Maracaibo muß ihrem ganzen Landschaftscharakter nach zu den Llanos gerechnet werden, obwohl sie durch die Kordilleren von Mérida von den eigentlichen Llanos getrennt ist. ausgebreitet, die, von zwei Ketten der östlichen Kordilleren eingerahmt, die Ufer des Sees von Maracaibo begrenzen. Ein Bild der Unermeßlichkeit und Großartigkeit. Es läßt sich kaum ein schrofferer Gegensatz denken: hier die gewaltigen, bis zur Region des ewigen Schnees ansteigende Riesenmauer der Kordilleren mit ihren wilden Zerklüftungen, ihrer Menge von Gipfeln, dort die gleichmäßige Fläche des Tieflandes, einsam und majestätisch wie das Meer, aus solcher beträchtlichen Höhe gesehen zwar scheinbar sehr gleichförmig, aber dennoch nicht eintönig, denn die Vegetation der Llanos verleiht ihnen reichen Wechsel der Farben. Zahlreiche Wasserläufe, die sich alle ins meerartig weite Becken des Sees von Maracaibo ergießen, winden sich durch die Ebene wie silberne Bänder; große Lagunen, von der starken Feuchtigkeit des fetten Bodens gespeist, blicken wie blaue Riesenaugen zum Himmel. Die meisten der Ströme sind von dichten Waldungen eingerahmt, so daß sich, von hier oben gesehen, drei Hauptfarben miteinander streiten: das schimmernde Blau der Flüsse und Lagunen, das saftige Grün der Weiden, die dunklen Schatten der Wälder, die wie Flecken das Grün unterbrechen. In ihrer wuchtigen Einheitlichkeit wie aus einem Guß geschaffen, in ihrer Unberührtheit und scheinbaren Unendlichkeit von zwingender Größe, so wird diese Landschaft zum Sinnbild einer allmächtigen Schöpferkraft, die den Menschen so recht zum Bewußtsein seiner Nichtigkeit bringt.

In tiefer Ergriffenheit betrachteten Forster und Brockhusen das Panorama der Llanos, während die Indianer, die gleich den meisten Naturmenschen für die Schönheit der Natur nur geringen oder gar keinen Sinn halten, sich im Schutz einer überhängenden Felswand niederließen, um vor dem Abstieg zu rasten.

»Ob man wohl bis zur Lagune von Maracaibo sehen kann?« sagte Walter und setzte das Fernglas an die Augen.

»Das ist kaum möglich, denn wir sind hier ungefähr 180 Kilometer vom Südufer des Sees entfernt, und der Horizont liegt im Dunst,« erwiderte der Naturaliensammler.

Der See – meistens Lagune genannt – von Maracaibo ist die tief ins Festland einschneidende südliche Fortsetzung des Golfes von Maracaibo, eine gewaltige Wasserfläche von etwa 20 000 Quadratkilometer. Sie ist für größere Ozeanschiffe unzugänglich, weil ihr Ausgang gegen den Golf von Maracaibo durch Nehrungen bis auf 500 Meter Breite und nur zwei Meter Wassertiefe eingeengt wird. Südlich von dieser Barre liegt an dem See die Stadt Maracaibo, einer der wichtigsten Handelsplätze Venezuelas mit bedeutender Kaffeeausfuhr.

*

Die Ansiedlung der Motilons lag in einem versteckten Tal am östlichen Abhang der Kordilleren, rings von wildzerklüfteten Felsenmassen und dichten Waldungen umgeben, ein paar Tagereisen von den nächsten Dörfern und Haziendas entfernt. Man hätte meinen sollen, daß die Indianer sich einen ungestörteren Aufenthaltsort als diese entlegene Gegend, weitab von allen Stätten und Einrichtungen moderner Kultur, gar nicht wünschen konnten. Dennoch war die Ansiedlung offenbar nicht auf langes Verweilen berechnet, denn nur ein Teil der Behausungen bestand aus leichten, kunstlos gezimmerten Bretterhütten, während meistenteils Zelte als einfaches Obdach dienten. Alles deutete darauf hin, daß die Indios bravos sich hier nicht für die Dauer niedergelassen hatten, sondern jeden Tag in der Lage sein wollten, ihren Wanderstab weiterzusetzen.

Albert Forster hatte dem Häuptling Tortuga kurz vor der Ankunft am Ziel einen größeren Geldbetrag geschenkt, um den Alten in bessere Stimmung zu versetzen und sich dadurch eine empfehlende Einführung bei den Motilons und ihrem Zipa, dem Oberhäuptling, zu sichern. Die Wirkung der Gabe blieb leider weit hinter den Erwartungen zurück. Tortuga bekundete nur geringe Dankbarkeit und blieb bis zum Abschluß der gemeinschaftlichen Reise verschlossen und mißtrauisch. Nicht minder frostig war die Aufnahme, die Forsters Gesellschaft bei den Motilons fand. Der Oberhäuptling, sie überhaupt nicht zu Gesicht bekamen, ließ den Reisenden eine leer stehende Hütte am Waldesrand, in ziemlich weiter Entfernung von den Hütten und Zelten der eigentlichen Siedelung, zur Unterkunft überweisen. In der Nachbarschaft dieser Hütte befand sich noch eine andere, in der ein kränklicher alter Indianer mit seiner Enkelin hauste.

Es dauerte gar nicht lange, da ließ der Leidende Albert Forster durch Vermittelung seiner Enkelin, die eine Zeitlang eine Missionsschule besucht hatte und ziemlich gut spanisch sprach, um eine »kräftige Medizin« bitten; er hätte gehört, daß der fremde Herr ein Gelehrter wäre, da wüßte er wohl auch Rat und Hilfe für ihn. Es war dem Naturaliensammler nicht unlieb, sich auf diese Weise wenigstens einen Gönner unter den anscheinend sehr spröden und widerhaarigen Indios verschaffen zu können. Geradezu überraschend aber wirkte auf ihn und Brockhusen die Erscheinung der Enkelin. Das junge Mädchen, fast noch ein Kind, war von einem zarten Liebreiz, wie er bei den kolumbischen Indianerinnen, die im allgemeinen keinen Anspruch auf Schönheit erheben können, nur selten angetroffen wird. Die Anmut dieser Tochter der Wildnis wurde noch durch ihre schüchterne Artigkeit sowie durch die wenn auch schlichte, so doch zierliche und saubere Kleidung gehoben. Maya, so nannte sich das Mädchen, schlug errötend die großen schwarzen Augen nieder, als sie der hochgewachsene, blonde Deutsche mit einem liebenswürdigen Kompliment entließ.

»Maya,« sagte Albert Forster scherzend zu Brockhusen, »was für ein wohllautender und an allerlei dunkle Geheimnisse anklingender Name. Denn es ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, daß die Maya ein großes amerikanisches Urvolk mit hochentwickelter Kultur waren. Sie besaßen eine reich entwickelte Bilderschrift und haben als Baumeister Gewaltiges geleistet, die Ruinen ihrer umfangreichen Tempelbauten in Yukatan, Guatemala und Honduras bekunden es heute noch.«

Forster suchte den Großvater Mayas auf, der hauptsächlich von rheumatischen Schmerzen geplagt war, und verabfolgte ihm aus der Reiseapotheke ein zweckdienliches Medikament. Im Laufe des Gesprächs, das sich daran knüpfte, erfuhr der Naturaliensammler eine Neuigkeit, die seine bereits gehegte Vermutung bestätigte: daß nämlich vor einigen Tagen zwei andere weiße Männer mit ein paar Trägern hier durchgekommen wären und, ehe sie weiterzogen, sich eine Zeitlang bei dem Oberhäuptling aufgehalten hätten. Forster ließ sich das Aussehen der Fremden schildern, und auch diesmal paßte die Beschreibung des einen von ihnen genau auf John Harland.

»Rührig ist er, der liebe Kollege, das muß man schon anerkennen,« sagte Forster mit Bitterkeit zu dem jungen Kameraden. » Ihn hat der Zipa empfangen, wie es sich eigentlich auch von selbst versteht – uns aber nicht, was etwas ganz Ungewöhnliches ist und in auffälligem Widerspruch zu den sonst hochgehaltenen Pflichten der Gastlichkeit steht. Es gibt dafür nur die eine und sehr naheliegende Erklärung: Freund Harland hat uns beim Zipa mit bestem Erfolg angeschwärzt und ihn gegen uns aufgebracht. Ich möchte nur wissen, wer sein Begleiter, der andere Weiße, sein mag? Der Beschreibung nach ein waschechter Yankee. Von den beiden darf man anscheinend mit Horaz sagen: par nobile fratrum, ein edles Brüderpaar.«

Albert Forster unternahm, von Walter begleitet, sogleich einen botanischen Streifzug durch die nächste Umgebung des Tales und stellte zu seiner Freude fest, daß der Wald reich an Orchideen war und andere Blumenjäger ihn offenbar noch nicht durchsucht hatten. Leider wird die Orchideenjagd meistens in ganz barbarischer Weise betrieben. Da die wertvollsten Orchideen auf Bäumen wachsen und es den Sammlern zuviel Umstände macht, die Bäume zu erklimmen, werden diese, wenn sie nicht zu stark sind, einfach gefällt, oder man haut wenigstens die Äste ab, die mit den heiß begehrten Pflanzen besetzt sind. Oft genug fällt man die Bäume schon auf die bloße und, wie sich später herausstellt, unzutreffende Vermutung hin, daß sich Orchideen auf ihnen befinden. Selbst in den Fällen, wo die Bäume in ihrem Geäst nur einige wenige Pflanzen bergen, scheut der rücksichtslose Kollektor vor ihrer Vernichtung nicht zurück, denn bei dem hohen Preise der Orchideen lohnen sich schon geringfügige Funde und gilt die Erbeutung von 30 bis 40 Pflanzen in der Woche als genügender Verdienst. So kommt es, daß manche Waldbezirke, die früher reich mit Orchideen und anderen wertvollen Pflanzen besetzt waren, von den Sammlern geradezu verwüstet und nicht bloß ihres kostbaren Blumenschmuckes, sonders auch ihres Holzes beraubt worden sind. Entdeckt einmal ein Orchideenjäger einen noch nicht durchsuchten Wald, der gute Beute verspricht, so sucht er natürlich sein Geheimnis mit Sorgfalt zu hüten und sich die alleinige Ausbeulung des Bezirks zu sichern.

Albert Forster gehörte nicht zu der hier geschilderten Gattung rücksichtsloser, nur auf krassen Eigennutz bedachter Berufsgenossen. Davor schützte ihn schon die Ehrfurcht, die er vor den Werken der göttlichen Natur empfand. Er ging in der schonendsten Weise vor, erbeutete von den aufgefundenen Pflanzenarten niemals mehr, als sein Bedarf verlangte, und hätte es für einen Frevel erachtet, einen Baum niederzulegen und zu vernichten, nur um sich einige Mühe zu sparen.

Die in nördlichen Ländern so stark verbreitete Meinung, daß man sich schon beim ersten Schritt in den Tropenwald in wahren Blütenhainen befände, ist völlig irrig. Im Gegenteil, der Laie, dem das geübte Auge des Botanikers fehlt, kann die Wälder der heißen Zonen unter Umständen stundenlang durchstreifen, ohne daß er ein besonders auffallendes blühendes Gewächs zu Gesicht bekommt. Genau so, wie die tierischen Bewohner jener Waldungen es ausgezeichnet verstehen, sich vor den Blicken des menschlichen Eindringlings zu verbergen, wissen sich auch die pflanzlichen Gebilde, und ganz besonders die schönsten von ihnen, zum großen Teil geradezu unsichtbar zu machen. Sie verschwinden in dem dichten Buschwerk des üppig wuchernden Unterholzes und der zahllosen Blattpflanzen, hauptsächlich der Farne, oder sie treiben die Vorsicht noch weiter und ziehen sich auf Bäume zurück, wo sie, hoch über dem Boden und ihren an den Boden gefesselten Feinden, zwischen Erde und Himmel ein hohes Maß von Sicherheit und Entwicklungsfreiheit genießen. Und zu diesen Epiphyten – wie die Wissenschaft die auf anderen Organismen, besonders auf anderen Pflanzen lebenden Gewächse nennt – gehören auch die meisten und schönsten tropischen Orchideen. Sie sind aber keineswegs Schmarotzer, die ihre nährenden Säfte dem Baum, auf dem sie wachsen, entnehmen, sondern nur sogenannte Scheinschmarotzer oder Überpflanzen, d. h. Gewächse, die ihren Wirt nicht berauben, sondern nur als Unterlage benützen, um dem Kampf mit den bodenständigen Pflanzen entrückt zu sein und mehr Licht und Luft zu genießen, als im dichten, dunklen Urwaldgebüsch geboten wird. Man darf mit Recht sagen: die Orchideen sind auf die Bäume geflüchtet, natürlich nicht von gestern auf heute, sondern in einem unermeßlichen Zeitraum allmählicher Entwicklung und Anpassung. Die epiphytische Orchidee klammert sich mit den Wurzeln an einen Ast, gewisse Arten lassen außerdem auch noch zahlreiche Luftwurzeln lang herabhängen. Sie lebt von Tau und Regen und saugt die nährende Flüssigkeit mit ihren schwammigen Wurzelhüllen wie mit Löschpapier auf.

Bei der Gelegenheit sei übrigens einer Orchidee gedacht, deren Frucht zu den köstlichsten und kostbarsten Gewürzen gehört. Diese Frucht ist die Vanille; sie verleiht, wie bekannt, vielen süßen Speisen und Getränken, ganz besonders aber der Schokolade, den feinen Duft, die Krönung des Wohlgeschmacks. Auch die Vanillenorchidee lebt auf Bäumen; von ihren verschiedenen Arten wächst die geschätzteste in Mexiko, Arten von geringerer Güte kommen in Kolumbien, Guayana und anderen tropischen Ländern vor. Eine Vanillenschote zählt ungefähr 25 000 Samenkörner – ein neuer Beweis dafür, wie ungeheuer verschwenderisch die Natur ist, während andererseits wieder ihr Bestreben so häufig dahin zielt, mit dem geringsten Aufwand von Mitteln die stärksten Wirkungen zu erzielen. Der Gebrauch der Vanille zum Würzen der Schokolade war schon den alten Mexikanern bekannt, die spanischen Eroberer haben dann zugleich mit der Schokolade auch die Vanille nach Europa gebracht.

Albert Forster durfte sich eines durch langjährige Erfahrung geschärften, untrügbar sicheren Blickes für das Aufspüren der Orchideen rühmen. Wie der geschulte Quellenfinder auch ohne Hilfe der Wünschelrute schon an der Beschaffenheit des Geländes und an gewissen Anzeichen merkt, ob die Erde wasserhaltig ist oder nicht, so genügten auch dem Naturaliensammler kleine, nur für seine feine Witterung wahrnehmbare Merkmale, um zu erkennen, ob das Waldgebiet eine befriedigende Ausbeute versprach oder ob sich ein langes Verweilen und Suchen nicht lohnte. Wie schon früher in der Sierra Nevada von Santa Marta sah Walter Brockhusen auch jetzt wieder staunend, mit welcher fein entwickelten Spähergabe der Freund und Mentor sein Ziel verfolgte. Wahrlich, der Name »Orchideenjäger« traf vollkommen den Kernpunkt der Sache. Denn wie der Weidmann das Wild aufspürt und sich an seine Beute heranschleicht, so ging es in sehr ähnlicher Weise auch bei der Blumenjagd zu. Hin und wieder waren ja die in den Baumkronen wachsenden Pflanzen ziemlich deutlich zu sehen. Manchmal aber verrieten sie ihre Anwesenheit nur durch die herabhängenden feinen Luftwurzeln, die nur ein sehr geübtes Auge von den zahllosen Luftwurzeln anderer Epiphyten zu unterscheiden vermochte, und oft genug fehlten auch diese Anzeichen, und Forster mußte dann aus anderen Merkmalen ersehen, ob sich irgendwo in den Wipfeln das gesuchte Pflanzenwild verbarg. Ein solches Merkmal war zum Beispiel die Anwesenheit gewisser geflügelter Insekten in größerer Zahl. Denn die Orchideen leben, wie auch so viele andere Pflanzen, in inniger Zweckgemeinschaft mit Insekten. Sie benötigen diese als Vermittler der Bestäubung und Vermehrung und locken sie deshalb mit ihrem Geruch und Nektar an. Befindet sich das naschhafte Insekt – meistens sind es gewisse Bienen – erst einmal im Innern der Blüte, so wird es durch höchst zweckmäßige, ja man kann sagen raffinierte Vorrichtungen im Bau der Blüte genötigt, seinen Leib mit den Pollen, dem Blütenstaub, zu beladen, um sie später an der Narbe wieder abzuladen und so die Bestäubung zu vermitteln, die von den Orchideen allein ohne fremde Hilfe nicht vorgenommen werden könnte. Manche Orchideen, wie die wundervolle Stanhopea tigrina, bedienen sich zu diesem Zweck förmlicher Fallen, wie sie der listigste menschliche Fallensteller kaum sinnreicher anlegen könnte. Die Blüte der Stanhopea tigrina ist etwa zehr: Zentimeter hoch, ebenso breit und besitzt in ihrem unteren Teil eine Art Kessel oder Sack. Das Innere des Kessels scheidet Nährstoffe aus, dir von den Insekten gierig aufgesucht und abgeweidet werden. Der Futtergast der Stanhopea, eine große Bienenart, findet leicht den Eingang in den Kessel, will er ihn aber gesättigt wieder verlassen, so gleitet er auf den glatten Rändern des Kessels unfehlbar aus und macht nun eine richtige Rutschpartie durch einen schlauchähnlichen Teil der Blüte, ehe er ins Freie gelangt. Bei diesem unfreiwilligen Abrutsch streift er das im Schlauch steckende Staubgefäß, so daß ein winziges Päckchen Pollen an seinem Körper haften bleibt, das er dann später auf ähnliche Weise wieder an die Narbe abgibt. Andere Orchideen, die Catasetum-Arten, schießen sogar zur Erreichung ihres Zwecks. So sonderbar es auch klingen mag: sie sind tatsächlich in den Stand gesetzt, die Pollinarien (Pollenklümpchen) auf den Körper des sie besuchenden Insekts abzuschießen. Besucht das Insekt eine männliche Blüte und berührt es beim Schmausen der Absonderung eines der höchst reizbaren fühlhörnerähnlichen Gebilde auch noch so leicht, so wird dadurch das Abschießen eines Pollenstielchens verursacht, das bis dahin wie eine Sprungfeder zusammengebogen war. Das Pollengeschoß fliegt auf das Insekt, bleibt mit seiner Klebscheibe daran haften und wird von dem Tier, wenn es dann eine weibliche Blüte besucht, auf diese übertragen. Man kann den Vorgang durch ein Experiment, indem man die »Fühlhörner« eines Catasetum künstlich reizt, genau beobachten. Mit Recht sagt der große Naturforscher Darwin, der die Bestäubung bei den Orchideen eingehend studiert und beschrieben hat: »Wer hätte je zu vermuten gewagt, daß die Fortpflanzung einer Art von einer so komplizierten, anscheinend so gekünstelten und doch so natürlichen Einrichtung abhängig gemacht sein könnte.«

Diese Beispiele, nur einige von vielen, mögen zur Veranschaulichung genügen, mit welchen Schlichen und Kniffen die Orchidee darauf ausgeht, das Insekt in den Dienst ihrer Vermehrung zu stellen. Sie benützt dazu ähnliche Einrichtungen, wie sie den fleischfressenden Pflanzen zur Erbeutung ihrer Opfer dienen.

»Ist es ein Wunder,« sagte Albert Forster, als er sich mit seinem jungen Freunde über diese Dinge unterhielt, »daß das Unheimliche und Mystische, das den Orchideen ohnehin schon wegen der phantastischen Formen und Farben ihrer Blüten anhaftet, durch die Seltsamkeiten ihres Baus und ihrer Lebensweise noch erhöht wird? Als der Naturphilosoph Gustav Theodor Fechner im Jahr 1848 sein Werk über das Seelenleben der Pflanzen schrieb, wurde er von den Männern der Wissenschaft für einen Schwärmer und Träumer erklärt. Heute wissen wir längst, daß der innere Zellenaufbau der Pflanze ziemlich genau dem Zellenaufbau aller anderen Organismen, der Mensch nicht ausgenommen, entspricht, und daß auch die Pflanze Nerven und Sinnesorgane, Anpassungsfähigkeit und eine gewisse Energie besitzt. Wir dürfen heute getrost von einer Intelligenz der Pflanze sprechen, ohne uns der Gefahr auszusetzen, als Phantasten verlacht zu werden. Was insbesondere die Orchidee betrifft, so ist der deutsche Botaniker Professor Fitting auf Grund seiner Experimente dahin gelangt, die Narbe der Blüte als das regulierende Organ aller Sinnesäußerungen, also geradezu als eine Art Gehirn zu betrachten.«

Vom glühenden Jagdeifer des Naturaliensammlers angesteckt, nahm Walter Brockhusen am Durchsuchen des Waldes und Bergen der aufgespürten Pflanzen lebhaften Anteil. Zu wiederholten Malen mußten große Bäume mit Hilfe von Steigeisen erklommen werden, damit man an die Orchideen herankommen konnte. Forster entwickelte dabei eine Gewandtheit, die seinen Landsmann, wie schon früher in der Sierra Nevada, von neuem mit Staunen erfüllte, denn wenn auch Walter zu den tüchtigen Turnern gehörte, war ihm der Altere, seinen schon vorgeschrittenen Jahren zum Trotz, im Klettern doch weit voraus, und nur Antonio, der Indianer, konnte es darin mit ihm aufnehmen.

Die Sonne ging zur Rüste, es dämmerte schon stark im Wald, man mußte an die Rückkehr denken. Dieser erste Streifzug durch das neue Gelände hatte sich gelohnt. Mit Befriedigung blickten die Deutschen auf die Beute, die sie sorgfältig in einem Korbe bargen, um sie später im Lager zu ordnen und zu verpacken.

Forster und Brockhusen gingen voran, denselben Weg, den sie gekommen, zurück, die Träger folgten ihnen mit dem Gepäck in kurzem Abstand. Sie halten schon den Rand des Waldes erreicht und sahen das Tal mit der Ansiedlung der Motilons im Halbdunkel der heranbrechenden Nacht vor sich liegen, als ein jäher Angstschrei die Deutschen aus ihrem nachdenklichen Sinnen emporschrecken ließ. Sie wandten sich um und sahen Bolivar wie einen Besessenen umhertanzen. Der Mulatte hatte in einem Gebüsch ein paar verlockend aussehende Beeren pflücken wollen und war von einer Schlange in die Hand gebissen worden. Antonio hatte die Schlange im nächsten Augenblick mit seinem Stock erschlagen, sie lag mit zerbrochenem Rückgrat, noch zuckend, am Boden.

Der Forscher gab dem Reptil vollends den Rest, untersuchte es und sagte ernst zu Walter: »Ein großes Unglück. Die giftigste Viper des Landes. Wenn meine Behandlung nichts hilft, ist der Bursche verloren.«

Von Walter und Antonio dabei unterstützt, umschnürte Albert Forster das Gelenk der gebissenen Hand so fest wie möglich mit Bindfaden, um den Übergang des Giftstoffes in die Blutbahn zu verhindern, und erweiterte die Wunde mit dem Messer, damit sie stärker blutete und das Gift abwanderte. Dann ging es im Laufschritt ins Tal hinab zur Hütte, wobei die Männer den immer schwächer werdenden Mulatten, der sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, zuletzt tragen mußten. Die Enkelin des Nachbarn sah sie kommen und lief ihnen erschrocken entgegen.

»Mach' schnell ein Stück Eisen im Herdfeuer glühend, Maya!« rief Forster dem Mädchen zu. »Einen Feuerhaken oder irgendein ähnliches Eisenstück. Dieser Mann ist von einer giftigen Schlange gebissen worden.«

Der jungen Indianerin war das nichts Unbekanntes, und sie sprang eilends davon, um dem Geheiß Folge zu leisten. Forster und seine Begleiter betteten den Verwundeten, der halb ohnmächtig war und heftig mit dem Atem rang, auf das Lager, dann entnahm der Naturaliensammler seiner Reiseapotheke, in der auch für solche Fälle das Nötige vorgesehen war, eine Lösung von übermangansaurem Kali und spritzte sie rings um die Wunde unter die Haut. Maya brachte das inzwischen glühend gemachte Eisen, und mit diesem wurde die Wunde ausgebrannt – ein schmerzhaftes, aber notwendiges Verfahren, das dem Mulatten ein lautes Jammergeschrei entlockte. Schließlich flößte man dem Kranken noch ein Mittel zum Schwitzen ein und umwickelte ihn mit allen nur erreichbaren Tüchern. Es dauerte nicht lange, da war Bolivar, ohne Fieber und mit normal schlagendem Puls, in Schlaf versunken.

»Ich denke, diese prompte und gründliche Behandlung wird helfen,« sagte Albert Forster. »Daß der Kranke nicht in Krämpfe verfällt, sondern ruhig einschläft, ist schon ein sehr günstiges Zeichen. Es ist merkwürdig, wie verschieden das Schlangengift bei den Menschen wirkt. Manche erliegen ihm ganz rasch, andere wieder kommen geradezu spielend darüber hinweg.«

Als Albert Forster bald darauf zu seinem Nachbar hinüberging, um sich in seiner menschenfreundlichen, hilfreichen Art nach dem Befinden des alten Indianers zu erkundigen, sah er Maya beim flackernden Schein des Herdfeuers sitzen, über eine Handarbeit gebeugt. Das junge Mädchen war mit dem Flechten einer bunten Matte aus verschiedenartig gefärbten Kokosfasern beschäftigt. Einige schon fertige Decken, die sich neben Maya am Boden befanden, legten mit ihren schönen Farben und Ornamenten Zeugnis ab von einem feinen Geschmack und einer nicht alltäglichen Kunstfertigkeit.

Der Naturaliensammler nahm die Arbeiten mit dem prüfenden Blick des Kenners in Augenschein, und Maya errötete vor Freude über das ganze Antlitz, als sie aus seinem Munde Worte schmeichelhafter Anerkennung vernahm. Sie erzählte, daß die Matte, an der sie noch flocht, bis zum übernächsten Tage fertig sein müßte, denn sie werde bei dem großen Fest zur Ausschmückung der Kanzel des Oberpriesters gebraucht.

Damit war man bei einem Thema angelangt, das den Deutschen auf das lebhafteste interessierte.

»Also übermorgen sollen die Feierlichkeiten beginnen?« sagte er. »Findet das Fest hier im Tale statt?«

»Nein, hoch in den Bergen bei der Lagune,« erwiderte das Mädchen. »Dort auf dem Wasser ist es, wo El Dorado sich alle zehn Jahre seinen Getreuen zeigt und in die Fluten steigt, um –«

Maya unterbrach sich plötzlich, wie erschrocken darüber, als hätte sie in ihrer Unbesonnenheit dem Fremden schon vielzuviel verraten. Obwohl sie eine Missionsschule besucht hatte, war es doch zweifelhaft, ob sie sich wirklich als Christin fühlte oder ob sie nicht wieder zu dem uralten heidnischen Kultus ihres Volkes zurückgekehrt war.

Albert Forster verstand den Grund ihrer Verwirrung. Sie war zum Schweigen verpflichtet und hatte sich verplaudert. Gern hatte Forster noch Näheres erfahren, aber es widerstrebte ihm, das arglose Mädchen auszuforschen und in einen schweren Konflikt zu bringen. Die wenigen Worte hatten ihm ohnehin schon wichtige Fingerzeige gegeben. Die Lagune – El Dorado ...

In Gedanken versunken, ließ Albert Forster die auf den Boden liegenden Matten noch einmal langsam durch seine Finger gleiten. Da auf einmal durchzuckte es ihn. Er hielt eine mit Stickereien verzierte wollene Decke in der Hand, die seinen Blicken vorher entgangen war. Die Decke, ein sehr schönes, kunstvoll gearbeitetes Stück, zeigte als farbige Dekoration in ihrer Mitte einen runden Kranz von gleichartigen Orchideen in der heiligen Siebenzahl. Diese Blüten waren von ungewöhnlicher Größe und Schönheit. Sie hatten in der Stellung ihrer Blätter Ähnlichkeit mit einem Kreuz und waren von einem wundervollen, zart gelblich angehauchten, wächsernen Weiß, mit kleinen roten Pünktchen darüber, als hätte sie ein Sprühregen von Blut mit seinen winzigen Tröpfchen benetzt ...

Noch niemals hatte der Naturaliensammler in Wirklichkeit eine Orchidee gesehen wie diese, die hier mit erstaunlicher Hingabe anscheinend ganz naturgetreu nachgebildet war. Das mußte die Sobralia mystica sein, die heilige Wunderorchidee! Die Stickerei der Decke entsprach genau der Beschreibung. Und das Mädchen, aus dessen Händen diese Decke hervorgegangen war, mußte die lebendige Blume als Modell vor Augen gehabt haben, mußte diese Orchidee kennen, kannte wahrscheinlich auch die Stelle der Wildnis, wo sie wuchs!

Maya sah, mit welcher nur mühsam zurückgedrängten Erregung der blonde, bärtige Mann die gestickten Blumen betrachtete, und sie machte eine Bewegung, als ob sie die Decke seinen Händen entreißen wollte. Aber als sie Forsters Blicken begegnete, sank ihre Hand zurück, und ein Ausdruck neuer Verwirrung und Hilflosigkeit trat in ihre lieblichen Züge.

»Maya,« sagte Albert Forster und deutete auf die Orchideen auf der Decke, »wo bekommt man diese Blumen zu sehen, wo wachsen sie?«

Das Mädchen senkte den Kopf mit dem vollen, bläulich-schwarzen Haar und schwieg lange Zeit. Dann erwiderte es mit leiser Stimme:

»Keines Fremden Auge hätte diese Decke sehen dürfen. Niemand, der nicht zu unserem Volk gehört, soll diese Blumen zu sehen bekommen oder gar berühren. Fragt mich nicht weiter danach, Caballero Caballero (Ritter, Kavalier), die im Spanischen übliche höfliche Bezeichnung eines vornehmen Mannes., ich bitte Euch.«

Aber der Naturaliensammler, der sich jetzt seinem Ziel bereits sehr nahe wähnte, wollte sich doch nicht so rasch abfertigen lassen. In noch eindringlicherem Ton sprach er wiederum:

»Siehe, Maya, ich bin wochenlang viele Hunderte von Meilen gereist, über das Gebirge, über die Steppen, durch die Wälder, um diese Blume, diese weiße Orchidee zu suchen und zu finden. Ich habe keine Beschwerden und keine Gefahren gescheut, um in den Besitz dieser Blume zu gelangen, von der ich wohl gehört, die ich aber noch nie gesehen habe und die mein Herz so heiß begehrt. Ist es wirklich eine Sünde, mir, dem Freunde der Blumen, den Ort zu nennen, wo ich sie fände?«

Das Indianermädchen senkte wiederum verwirrt und unschlüssig den Kopf, dann richtete es sich empor, blickte den Mann mit vollen Augen an und erwiderte:

»Es ist die Wahrheit, Caballero, die ich spreche: ich kenne die Stelle nicht, wo diese heilige Blume wächst, ich weiß nur, daß sie im Walde liegt. Niemand, der nicht zur Priesterkaste gehört, darf sich dem Bezirk der heiligen Orchidee nähern – er wäre sonst des Todes. Das ist alles, was ich Euch sagen kann, und ich flehe Euch an, zu keinem von unserem Volk ein Wort von unserem Gespräch zu verraten. Ich wäre verloren, wenn es jemand erführe.«

»Habe herzlichen Dank, Maya. Du darfst meiner Verschwiegenheit sicher sein, kein anderer als mein Reisegenosse soll von unserem Gespräch erfahren,« sagte Albert Forster mit Wärme und drückte dem Mädchen die Hand.

In diesem Augenblick ertönte aus dem Nebenraum die Stimme des Großvaters. Er verlangte nach seiner Enkelin. Forster wünschte den beiden gute Nacht und wandte sich zum Gehen.

Da eilte ihm, als er bereits die Tür hinter sich schließen wollte, das Mädchen nach und flüsterte mit bebender Stimme:

»Reiset weiter, Caballero, mit Eurem jungen Kameraden – je eher, desto besser! Man ist Euch hier nicht wohlgesinnt. Ihr seid im Verdacht, daß Ihr den Geheimnissen unseres Volkes nachspürt. Mein alter schwacher Großvater weiß nichts davon, aber ich habe es erfahren, und mir ist bange um Euch. Ich rate Euch, ich bitte Euch, ziehet weiter, so bald wie möglich, morgen früh, noch besser in dieser Nacht! Ihr befindet Euch in schwerer Gefahr, Caballero. Sprecht zu niemandem ein Wort von meiner Warnung.«

Und noch einmal flüsterte Maya, während ihre Hand die des Mannes suchte, leise, kaum hörbar: »Mir ist bange um Euch« – dann schloß sich die Tür hinter dem Deutschen.


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