Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Reinfälle

Ja, auch die Kaufmannslist wächst nicht in den Himmel. Oft genug wird der Kaufmann trotz aller List seinen Meister finden. Und zwar geschieht es gewöhnlich dem überschlauen Kaufmann, vor allem aber muß bei einem Wettstreit zweier wirklich ›geriebener‹ Kaufherren schließlich einer letzten Endes der Reingefallene sein – wie das die köstliche Geschichte von den beiden Amsterdamer Kaufleuten erzählt. Sie wollen einander selbst bei der Morgengabe für ihre sich heiratenden Kinder übertölpeln.

Daß nicht alle Kaufmannslist in den Himmel wächst, sondern manchmal mit einem vergnügenden Reinfall endigt, gibt eine Gewißheit von wenigstens manchmal wirksamer irdischer Gerechtigkeit, So erheitern die Kaufleute sich und uns mit ihren Geschichten von den Reinfällen.

.

Karrikatur: Daumier

 

Der überschlaue Kaufmann.

Ein Kaufmann hatte einen Beutel mit 800 Gulden verloren und ließ öffentlich verkünden, daß er dem Finder, der ihm den Beutel wiederbrächte, 100 Gulden Belohnung geben werde. Ein armer, aber ehrlicher Mann, der den Beutel fand, trug ihn zu dem Kaufmann in den Gasthof, wo dieser wohnte. Der Kaufmann freute sich sehr, als er seinen Beutel wieder sah, dachte aber sofort daran, wie er wohl den Finder um die versprochene Belohnung bringen könnte. Er zählte also den Inhalt durch, warf dann dem armen Mann fünf Gulden auf den Tisch und sagte: »Hier geb' ich Euch noch fünf Gulden. Die hundert Gulden Belohnung habt Ihr Euch ja, wie ich sehe, schon herausgenommen, denn er enthielt neunhundert Gulden, Das war recht von Euch!«

Der Finder war keineswegs auf die hundert Gulden so erpicht, obgleich er sie gut gebrauchen konnte. Aber es ärgerte ihn, daß ihm der andere eine Unredlichkeit vorwarf, und er bestand auf seinem Recht, bis sie dann endlich beide zum Gericht gingen. Der Richter, der den ganzen Sachverhalt wohl durchschaute, ließ sich von dem Kaufmann schwören, daß 900 Gulden in dem Beutel gewesen wären, und dann von dem Finder, daß der gefundene Beutel nur 800 Gulden enthalten habe. Hierauf gab er folgendes Urteil ab:

»Da jeder der beiden die Wahrheit durch einen Eid bekräftigt hat, so ist der gefundene Beutel offenbar nicht derselbe, der verloren wurde. Der Kaufmann muß daher warten, bis jemand einen Beutel mit 900 Gulden findet, der andere aber kann den Beutel mit den 800 Gulden ruhig behalten, bis sich jemand findet, der ihm nachweist, daß er einen mit 800 Gulden verloren hat.«

So geschah es, und der allzu schlaue Kaufmann mußte mit langer Nase abziehen.

 

Der geprellte Kaufmann.

Eine in Gaunerstücken wohlbewanderte Frau ging eines Tages zu einem Wundarzt und sagte ihm, sie würde ihm unter einem Vorwand ihren Neffen schicken, der zu Zeiten nicht recht bei Sinnen wäre. Der Hausarzt hätte ihm einen Aderlaß verordnet, aber sie könne ihn nicht dazu bringen. Man solle ihn daher, wenn er sich sträube, eventuell mit Gewalt zur Ader lassen. Dann gab sie dem Wundarzt einen falschen Namen an und sagte, sie würde das Honorar sofort bezahlen.

Vom Wundarzt ging sie zu einem Kaufmann, der mit seidenen Stoffen handelte, suchte sich einige Stücke aus, zog ihre Börse und tat, als habe sie nicht genug Geld eingesteckt. »Mein Herr,« sagte sie zu dem Kaufmann, »wollen Sie wohl so gut sein und einen von Ihren Leuten mit mir schicken?« – »Sehr gern, Madame«, antwortete er. Er befahl also einem seiner Lehrlinge, die ausgesuchten und eingepackten Stoffe zu nehmen und die Dame zu ihrer Wohnung zu begleiten. Die Dame ging aber mit dem Lehrling zum Wundarzt.

Als sie an dessen Haus angekommen war, sagte sie zu dem Lehrling, er solle einen Augenblick warten, sie hole sich den Schlüssel zu ihrem Zimmer. Hierauf trat sie in die Stube des Wundarztes und sagte zu ihm: »Mein Herr, mein Neffe steht draußen vor der Tür. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!« Dann trat sie wieder auf die Straße, winkte den jungen Mann herbei und sagte: »Mein Freund, gib mir die Stoffe und gehe in dieses Zimmer, dort wirst du die Bezahlung erhalten.« Der Lehrling ging hinein, und die Gaunerin machte sich durch eine Hintertür aus dem Hause hinaus.

Kaum war der junge Mensch in das Zimmer getreten, da befahl ihm sogleich der Wundarzt, sich zu setzen, »Ich bin nicht müde!« antwortete er. – »Sie müssen sich setzen!« – »Wie, mein Herr, ich muß?« – »Das versteht sich von selbst, wie kann ich Sie sonst zur Ader lassen?« – »Sie irren sich, mein Herr, ich will nicht zur Ader gelassen werden, ich will Bezahlung haben!«

»Machen Sie nicht so viele Umstände!« unterbrach ihn der Wundarzt. »Setzen Sie sich gutwillig nieder, sonst muß ich Gewalt anwenden!« –

»Ich begreife nicht das Geringste von dem, was Sie sagen!« –

»Ich um so besser, denn ich weiß, woran es Ihnen fehlt.« Zu gleicher Zeit winkte er einigen Gesellen, die den Lehrling anfaßten und auf einen Stuhl banden. Der arme Teufel konnte vor Entsetzen kein Wort hervorbringen, und ehe er von seinem Erstaunen wieder zu sich selbst kam, hatte man ihm eine tüchtige Portion Blut abgezapft.

Es dauerte eine geraume Weile, ehe man die ganze Geschichte durchschaute, aber der Kaufmann bekam ebensowenig das Geld für die Seide, noch der Wundarzt das seinige für seine Arbeit, noch der Lehrling eine Entschädigung für das verlorene Blut.

 

Die beiden Kaufleute.

Als im Jahre 1795 die französischen Soldaten in Amsterdam einrückten, wurden sie von den Bewohnern als Befreier begrüßt. Ein reicher Kaufmann namens Woerden bekam bei dieser Gelegenheit den Auftrag durch die provisorische Regierung, in Monatsfrist vierhunderttausend Heringe für den Bedarf der Armee zu liefern.

Nun war der einzige Sohn Woerdens mit der Tochter eines ebenfalls sehr reichen Kaufmanns, der van Elburg hieß, verlobt, und die Väter konnten sich nur noch nicht über die Höhe der Mitgift für das Mädchen einigen, da der etwas geizige van Elburg ihr nur viertausend Dukaten mitgeben wollte. Es brachte aber der Heringsauftrag den schlauen Woerden auf eine Idee, wie er den zukünftigen Schwiegervater seines Sohnes zu einer höheren Mitgift zwingen könnte.

Am nächsten Tag ging er zu ihm hin und sagte: »Guten Tag, Meister Elburg, wollen Sie ein gutes Geschäft machen? Ich muß vierhunderttausend Heringe binnen vier Wochen liefern, können Sie die mir in drei Wochen verschaffen?«

»Zu wieviel?«

»Zu zehn Gulden das Tausend!«

»Gut, ich nehme an! Aber jetzt zu Tisch, dann können wir von anderem reden.«

Bei Tisch sprachen sie über die bevorstehende Hochzeit und einigten sich dahin, daß sie in acht Tagen stattfinden sollte. Doch weigerte sich van Elburg nochmals, die Mitgift auch nur um einen Stüber zu erhöhen.

Als nun der Hochzeitstag herangekommen war, kehrten der alte und der junge Woerden in dem Hause van Elburgs ein, wo schon eine große Anzahl von Freunden und Bekannten im festlich geschmückten Gesellschaftssaale versammelt war.

»Meister Woerden,« sagte van Elburg zu dem Alten, »ich bin in großer Verlegenheit, ich muß Sie sprechen!«

»Was haben Sie denn?« fragte Woerden, innerlich vergnügt, denn er wußte schon, welche Sorge den andern quälte.

»Sie wissen ja, daß ich Ihnen viermalhunderttausend Heringe zu liefern habe, ich habe aber nicht einen einzigen Hering bekommen können, sie sind alle verkauft.«

»Nun, ich werde Ihnen nachher einen Ausweg sagen«, meinte Woerden, »Laßt uns jetzt erst die Trauung vornehmen.«

Man trat also den Weg zur Kirche an, und einen Augenblick darauf war das junge Paar eingesegnet. Kaum waren sie dann wieder nach Hause zurückgekehrt, da sagte Woerden zu van Elburg:

»Die Heringe konnten Sie deshalb nicht kaufen, weil ich sie schon vorher gekauft hatte. Natürlich wollte ich Sie nicht in eine wirkliche Verlegenheit setzen, aber da ich meinen Sohn demnächst selbständig mache und ihm bedeutend mehr Mitgift mitgebe, als Sie Ihrer Tochter, so wollte ich Sie auf diese Weise veranlassen, Ihre Mitgift zu verdoppeln. Sind Sie damit einverstanden? Wir sind dann quitt!«

Van Elburg überlegte eine Weile und sagte dann: »Sie sind ein ausgezeichneter Kaufmann. Ich bin in ein schlaues Netz gegangen und werde mich fügen.«

Nach dieser Unterredung begaben sich die beiden zum Hochzeitsfest zurück, und von dem Abgemachten war nicht mehr die Rede.

Acht Tage später suchte van Elburg seine Tochter auf und sprach bei dieser Gelegenheit auch mit dem alten Woerden. Diesmal war dieser in Verlegenheit.

»Ach Gott,« jammerte Woerden, »ich bin ganz in Verzweiflung. Die Fischer können mir die ganzen Heringe nicht liefern, kein einziges Faß ist zu haben. Die ganze Lieferung geht zugrunde.«

»Die Sache kann ich Ihnen erklären«, sagte ruhig van Elburg. »Sie haben alle meine Heringe gekauft, und ich habe alle Fässer aufgekauft. Ich könnte Sie jetzt zwingen, sie mir zu einem sehr teuern Preis abzunehmen. Da es mir aber nur darum zu tun ist, nicht mehr als viertausend Dukaten Mitgift zu bezahlen, so lasse ich sie um die Summe, die ich Ihnen für die Heringe zuzahlen mußte. Wir beide sind dann wieder quitt.«

Jetzt mußte auch Woerden über die seine Art lachen, wie van Elburg seinen Streich pariert hatte, und er reichte dem Schwiegervater seines Sohnes die Hand.

Aus einem alten Schwankbuch.

 

Ein Hutgeschäft.

Ein Kaufmann in Marseille hatte ein ziemlich beträchtliches Vermögen zusammengespart und beschloß, da gerade mehrere Kaufleute mit Schiffsladungen nach Marokko gingen, einmal einen solchen Handel nach dem Ausland zu wagen. Dabei fragte er einen Juden um Rat, was sich wohl am besten dazu eignete, und der Jude sagte ihm, er solle doch mit einer Ladung Hüte absegeln. Auf diese Idee sei noch keiner gekommen, und wenn er es heimlich anfinge, so daß ihm keiner Konkurrenz machen könnte, dann müßte er damit gewiß ein besonders gutes Geschäft machen.

Auf diesen Rat hin kaufte der in solchen Dingen unerfahrene Kaufmann für einen großen Teil seines Vermögens Hüte, ließ sie in Kisten verpacken und fuhr damit nach Marrokko ab. Natürlich blieb dort, wo alle Menschen einen Turban trugen, seine Ware unverkauft liegen, während die andern Kaufleute die ihrige rasch und gut absetzten.

Alle Leute lachten über den Dummkopf, der eine Ladung Ware mitgebracht hatte, die kein Mensch gebrauchen konnte, auch der Sultan, der einmalig zufällig vorüberkam, konnte sich des Lachens nicht erwehren, als er das Hutmagazin gewahrte. Er knüpfte aber mit dem betrübten Christen ein Gespräch an, und dieser erzählte ihm nun offenherzig, daß ein Jude, der nach Marokko Handel treibe, ihn zu der Spekulation verleitet habe.

»Ein Jude?« fragte der Sultan, »und er treibt Handel mit Marokko? – Nun gut, die Juden sollen es entgelten! – Ich befehle dir, daß du keinen dieser Hüte unter vier Zechinen verkaufst.«

Der Christ gelobte, dem Gebot pünktlich Folge zu leisten. –

Am nächsten Tag erschien ein Befehl, der bei schwerer Strafe jedem Juden gebot, einen Hut zu tragen.

Sogleich füllte sich das Magazin des Kaufmanns mit Käufern; aber die Juden waren außer sich über den hohen Preis, welchen der Fremde für seine Hüte forderte. Ungeachtet alles Handelns hielt er den Preis von vier Zechinen fest, und da die Juden nun einmal ohne Hut sich nicht sehen lassen durften, so mußten sie, wenn auch wehklagend, zahlen – und in kurzer Zeit war der Kaufmann seine Hüte los.

Kaum war das Magazin ausgeräumt, so ging dem Kaufmann abermals ein Befehl des Sultans zu, der dahin lautete, er solle keinen Hut über einen halben Piaster wieder ankaufen – und gleich darauf wurde den Juden kund getan, es solle sich keiner bei der härtesten Strafe mit einem Hute sehen lassen.

Jetzt strömte wieder alles zu dem Kaufmann, um ihm die Hüte wieder zu verkaufen. Da gab es dann ein großes Geschrei, als er sich beharrlich weigerte, mehr als den ihm vorgeschriebenen Preis zu bezahlen. Um nur nicht alles zu verlieren, nahmen die Juden endlich den halben Piaster – und der Kaufmann kehrte so mit seiner ganzen Ladung nach Hause zurück. Er hatte nicht einen einzigen Hut verkauft – und doch ein hübsches Geschäft gemacht.

(Anfang 19. Jahrhundert.)

 

Der geprellte Juwelenhändler.

Unter der Regierung Wilhelm II. wurde ein Berliner Hofjuwelier das Opfer eines raffinierten Gaunerstreiches, Es war kurz vor Weihnachten, als ein sehr elegant gekleideter Herr in den Laden trat, um sich Schmucksachen auszusuchen.

Während er noch dabei war, trat ein Gardeoffizier herein, begrüßte den ersten sehr artig und vertraut mit der Anrede: »Lieber Graf!« und fragte im Laufe des Gesprächs, ob der Schmuck zu einem Festgeschenk für seine Braut bestimmt sei. Dann half er mit suchen, fand nichts kostbar genug, bis endlich beider Wahl auf ein sehr schönes und teures Geschmeide fiel.

Der angebliche Graf hatte nicht soviel Geld bei sich, um den Schmuck gleich bezahlen zu können, obgleich er ihn gern gleich mitgenommen hätte. Schließlich kam man auf den Ausweg, daß der Graf den Schmuck mitnehmen und ihn seinem Hotelier zur Aufbewahrung geben wollte, um dann den Betrag zu bezahlen. Inzwischen ließ er als Pfand seine Brieftasche zurück, in der sich für einen sehr hohen Betrag Staatspapiere befanden.

»Sie warten doch auf mich, lieber Baron!« sagte er zu dem Offizier. »Ich muß nachher mit den Papieren nur noch zur Bank und bin dann ganz frei. Ich hoffe, daß Sie mit mir frühstücken werden!«

Der Graf empfing seinen Schmuck, und der Offizier blieb allein im Laden, da auch er nach einem Schmuck sehen wollte.

Kurze Zeit darauf trat aber ein Schutzmann in den Laden und verlangte den Eigentümer zu sprechen. Indem er mit diesem zur Seite trat, beschrieb er den Fortgegangenen, der im Verdacht der Falschmünzerei stehe, und fragte, ob er hier etwas gekauft und womit er bezahlt habe. Als der Beamte die Geschichte mit der Brieftasche hörte, ließ er sich die darin befindlichen Papiere zeigen und sagte sofort:

»Sie sind betrogen worden, die Wertpapiere sind gefälscht, ich muß sie beschlagnahmen.«

Er nahm sie an sich und erfuhr nun, daß der im vorderen Ladenraum sitzende Offizier mit dem Fälscher ganz bekannt gewesen und vielleicht ein Komplize desselben sei. Der Schutzmann forderte nun den Offizier sehr höflich, aber doch bestimmt auf, mit ihm zur Wache zu kommen, um sich dort zu legitimieren. Der Offizier fuhr entrüstet auf und weigerte sich mit Hinweis auf seine Uniform, mitzukommen. Schließlich ging er aber doch mit, und der Beamte versicherte dem Juwelier noch, daß er sofort seinen Schmuck zurückbekommen würde. Damit verließen die beiden den Laden, und der Juwelier sah sie ebensowenig jemals wieder wie den Schmuck oder den falschen Grafen. Denn auch der Schutzmann war ein Gauner, der seine Rolle nur gespielt hatte, um seinen Kollegen ungefährdet aus dem Laden herauszuholen.

 

Schuhhandel.

In einen eleganten Schuhladen traten zwei anständig gekleidete junge Männer. »Mein Herr,« sagte der eine, »ich bin ein Fremder und wünsche ein Paar Schuhe zu kaufen. Da mir nun mein Freund hier gesagt hat, Sie wären das beste Geschäft hier in der Stadt, so wende ich mich an Sie. Ich muß in einigen Stunden wieder abreisen und hoffe, daß Sie mich gut bedienen.«

Der Schuhwarenhändler lud unter Verbeugungen die beiden Herren zum Sitzen ein und begann ihnen seine elegantesten Schuhe vorzulegen.

Der Fremde versuchte verschiedene und entschied sich endlich für ein Paar der besten Stiefel, die vorhanden waren.

»Lieber Freund!« sagte da der Begleiter. »In wenigen Stunden sind wir am Ziel unserer Reise. Warum willst du da noch Stiefel kaufen, die nicht für dich gemacht sind?« –

»Sie passen mir sehr gut!« –

»Ich sage dir, sie passen dir nicht, du kannst gar nicht darin gehen, du bist ja schon ganz heiß geworden!« –

»Heiß bin ich nur, weil es hier im Laden so heiß ist. Machen Sie doch die Tür etwas auf!«

Der Kaufmann beeilte sich, dem Wunsche seines Kunden zu willfahren.

Dieser, dem man die alten Schuhe eingepackt und übergeben hatte, zog jetzt seine Börse, um die Stiefel zu bezahlen, während sein Freund noch immer daran herumtadelte und endlich sagte: »Du siehst einfach lächerlich in den viel zu kleinen Schuhen aus, wie ein lahmer Storch!«

Bei diesen Worten gab der beleidigte Käufer seinem Freunde eine Ohrfeige, und da der andere ihm nichts schuldig blieb, so ohrfeigten sie sich weiter, bis der Tadelsüchtige die Flucht ergriff und sein Freund wütend hinter ihm herlief.

Der Ladenbesitzer sah ihnen interessiert nach: »Hoffentlich holt er diesen abscheulichen Kerl ein!« murmelte er vor sich hin.

Ob der Käufer aber wirklich seinen Freund einholen konnte oder nicht, das erfuhr er niemals, denn weder der eine noch der andere ließ sich noch einmal bei ihm sehen, und das elegante Paar Stiefel blieb auch verschwunden.

(Mitte 19. Jahrhundert.)

 

Ein raffinierter Betrug.

Es war schon spät am Abend, als der Prokurist des Herrn van Kappel, eines angesehenen Handelsherrn in Amsterdam, in das Zimmer seines Prinzipals eintrat, ein Paket eben aus London eingetroffener Briefe auf ein Tischchen legte und schweigend wartete, bis sie gelesen waren, da er nicht ohne Grund vermutete, er werde einige Aufträge erhalten. Bald aber wunderte er sich, als sich das Gesicht des Kaufmanns mit einer finsteren Wolke überzog.

»Donner und Blitz!« rief van Kappel, nachdem er den Brief, den er in der Hand hielt, zwei- oder dreimal durchgelesen hatte, »Welch ein Schlag für das Haus Bennet und Pord! Wer hätte das erwartet? Was ist da zu tun?«

»Sind Bennet und Pord bankrott?« fragte der Prokurist erstaunt.

»Bankrott? Nein, so weit geht es doch nicht, obgleich die Sache schlimm genug ist. Sie haben einen ansehnlichen Verlust gehabt. Aber lesen Sie selbst, Jansen, und sagen Sie mir Ihre Meinung, was wir tun sollen.«

Der Prokurist Jansen las: »Mit großem Bedauern zeigen wir Ihnen die Flucht des einzigen Sohnes unseres würdigen und redlichen Kassierers an. Der junge Mann hat von unserem Hause akzeptierte Wechsel für eine bedeutende Summe mitgenommen, die Sie unten angegeben finden. Wir haben seine Spur bis an Bord eines Schiffes verfolgt, das nach Holland abgegangen ist, und glauben, daß er sich nach Amsterdam gewandt hat, wo ja unser Haus bekannt ist, um die Wechsel, die er bei sich hat, diskontieren zu lassen. Der junge Mann ist groß und gut gebaut und hat ein hübsches Gesicht; Augen und Haare sind schwarz, und als er abreiste, trauerte er um seine verstorbene Mutter. Wenn es Ihnen möglich wäre, denselben zu entdecken, so würden Sie uns einen großen Dienst erweisen, besonders wenn er die Wechsel noch besitzt. Da wir aber die größte Achtung vor der Rechtschaffenheit und Treue seines Vaters haben, der der älteste Angestellte unseres Hauses ist, so möchten wir die Sache nicht gern öffentlich werden lassen. Wir ersuchen Sie demnach, wenn Sie die Rückgabe der Wechsel von dem jungen Mann erlangen, ihn an Bord des zunächst abgehenden Schiffes nach Batavia zu senden, ihm zu gleicher Zeit 200 Louisdor zu geben, womit sie uns belasten mögen, und ihm das Versprechen abzunehmen, nicht eher nach England zurückzukehren, bis er die Erlaubnis dazu erhält.

Wir sind mit aller Hochachtung

Ihr ergebener Diener
Bennet, Pord & Comp

»Ich wette,« sagte Jansen, der Prokurist, nachdem er den Brief gelesen hatte, »daß der junge Mann kein anderer ist als der, den ich diesen Morgen vor der Börse herumgehen sah. Er schien sehr unruhig und ängstlich zu sein und suchte die Blicke der Vorübergehenden zu vermeiden; übrigens paßt die Beschreibung in dem Briefe ganz auf seine Person.«

»Das kann sich ja nicht glücklicher treffen«, meinte der Kaufmann. »Er muß morgen aufgesucht werden, und wenn Sie ihn gefunden haben, so bringen Sie ihn zu mir. Ich werde alles tun, um meinen trefflichen Freunden Bennet und Pord in London die Gefälligkeit zu erweisen, um die sie mich gebeten haben.«

Den andern Tag war Jansen frühzeitig auf der Börse, vergebens wartete er mehrere Stunden und wollte schon zurückgehen, als er endlich den Mann, den er suchte, aus einem jüdischen Bankierhaus treten sah.

Der Fremde ging vor Jansen vorbei und sagte laut: »Solch ein Hund! Er muß kein Gewissen haben. Siebzig Prozent Diskont auf Wechsel von dem besten Hause in London!«

Jansen trat näher und sagte: »Es scheint Ihnen dort drüben nicht nach Wunsch gegangen zu sein. Wenn sie Geschäfte abzumachen haben, dann wenden Sie sich doch an eine alte, eingesessene Firma. Mein Haus ist nicht weit entfernt, vielleicht werden Sie sich mit uns schneller über Ihre Geschäftssache einigen.«

»Recht gern,« antwortete der Fremde, »wenn zwar je schneller, desto besser, denn ich muß Amsterdam morgen früh verlassen.«

Jansen führte ihn nach seinem Prinzipal, der nach wenigen Minuten erschien. Der würdige Holländer war kein Mann von vielen Worten. Er sagte deshalb: »Nun, da haben wir Sie endlich! Sie brauchen nicht zu leugnen, ich weiß alles. Sehen Sie da!« Und er zeigte ihm den Brief.

Wie vom Blitz getroffen fiel der Fremde auf die Knie.

»Ich bin verloren!« rief er, »Verloren auf immer! Ach, mein Vater, mein braver Vater, was wird aus dir werden? Entehrt durch mein Verbrechen wirst du unter Gram und Schmerzen sterben. Und meine Mutter!« fuhr er, von Schluchzen unterbrochen, fort, »Ist es nicht so weit gekommen, daß ich mich deines Todes freuen muß? So ist dir der Anblick der beiden und der Schande deines schuldbeladenen Sohnes doch erspart geblieben.«

»Junger Mann! Junger Mann!« sprach der gute Kaufmann, den eine solche offenbare Reue rührte, »stehen Sie auf und hören Sie mich an. Haben Sie die Wechsel noch?«

»Ich habe sie. Ach, wie glücklich schätze ich mich, das Anerbieten des habsüchtigen Bankiers nicht angenommen zu haben! Hier sind sie, nehmen Sie dieselben, ich beschwöre Sie!« Damit zog er ein großes Portefeuille aus seiner Brusttasche. »Sie werden sehen, daß nicht ein Wechsel fehlt. Schonen Sie mich, und mein künftiges Leben wird die Aufrichtigkeit meiner Reue beweisen. Ach ja, Herr, ich fühle tiefe Reue, aber retten Sie mir das eben, denn die Schande würde ich nicht ertragen können.«

»Nun, fassen Sie Mut,« sagte van Kappel, »Sie kennen das Sprichwort: wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten. Setzen Sie sich also und hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe. Es freut mich, daß der Zufall es möglich macht, so schnell die Wünsche meiner englischen Freunde erfüllen zu können. Ihre Unruhe hat Ihnen nicht erlaubt, den Brief, den sie mir schreiben, ganz zu Ende zu lesen. Nehmen Sie ihn wieder und sehen Sie, wie edel man gegen Sie handeln will. Der Kredit Ihres Hauses ist gerettet, und man hat keineswegs die Absicht, Sie ins Verderben zu stürzen. Lesen Sie alles ruhig durch, und unterdessen lassen Sie, Jensen, Erfrischungen mit einigen Flaschen Johannisberger kommen, denn ich werde allemal durstig, wenn mich etwas besonders angreift.«

Der Fremde bedeckte, als er den Brief zu ende gelesen hatte, sein Gesicht von neuem mit den Händen und sprach unter Schluchzen: »Soviel Nachsicht verdiene ich nicht. Ach, mein guter Vater, das ist nur Dein Lohn für deine treuen Dienste!«

Van Kappel ließ den Gedanken des reuigen Sünders freien Lauf, bis ein Diener hereintrat und die Erfrischungen auf den Tisch stellte. Sobald sich der Diener wieder entfernt hatte, nahm der Kaufmann das Wort und sagte:

»Nun, junger Mann, erzählen Sie mir, welcher Teufel Sie zu der schnellen Tat verführte – die Weiber oder das Spiel?«

»Schonen Sie mich, ich bitte Sie, würdiger Mann. Ich werde alles frei und offen gestehen, aber mein Vater soll zuerst mein Bekenntnis erfahren.«

»So trinken Sie, Sie bleiben als mein Gast in meinem Hause, bis wir eine Gelegenheit für Sie nach Batavia gefunden haben. Wäre nicht vorige Nacht mein gutes Schiff, die ›Christine‹, unter Segel gegangen –«

»Mit Ihrer Erlaubnis,« unterbrach ihn Jansen, »die ›Christine‹ hat den Hafen noch nicht verlassen. Der Wind war gestern abend noch zu stark, als daß man in der Dunkelheit die Abfahrt hätte versuchen können.«

»Sie haben Glück, junger Mann«, rief van Kappel heiter. »Die ›Christine‹ gewährt Ihnen die eines Prinzen würdigen Bequemlichkeiten. Schließen Sie die Wechsel ein. Jansen, und bringen Sie mir zweihundert Louisdor für den jungen Mann, Sie aber essen schnell ein paar Bissen, denn ich glaube, Sie haben keine Zeit zu verlieren.«

Nach beendetem Mahle überreichte der Kaufmann dem Fremden die zweihundert Louisdor und gab ihm dabei so viele gute Ratschläge, wie er bei der Kürze der Zeit nur konnte. Der Engländer erschöpfte sich in Danksagungen und versprach, von nun an untadelig zu leben, drückte dem guten van Kappel die Hand, der vor Tränen der Gerührtheit nicht sprechen konnte, und begab sich dann mit Jansen an Bord der »Christine«. Der Kommis empfahl dem Kapitän von seiten seines Herrn, für den Passagier alle möglichen Rücksichten zu nehmen, das Schiff segelte ab und war nach wenigen Stunden aus dem Gesicht verschwunden. Den andern Tag beeilte sich van Kappel, an das Haus Bennet, Pord & Comp. die so glücklich wiedererlangten Wechsel nebst einem ausführlichen Bericht zu übersenden.

Kurz darauf erhielt der gute Amsterdamer von England folgende Antwort:

Lieber Herr!

Durch Gegenwärtiges zeigen wir Ihnen an, daß uns keine Wechsel entwendet worden, und die, welche Sie uns mit Ihrem Letzten einschickten, falsch sind, daß unser Kassierer seine Frau nicht verloren hat, weil er nie verheiratet gewesen ist; folglich hat er auch keinen Sohn.

Wir bedauern aufrichtig, daß Ihr Eifer für das Interesse unseres Hauses Sie in eine so unangenehme Sache verwickelt und Sie zum Opfer eines schlauen Betrügers gemacht hat.

Wir sind, lieber Herr, mit aller Hochachtung

Bennet, Pord & Comp.

 

Ein gutes Geschäft.

Zu einem bekannten Konditoreibesitzer, der ziemlich geizig war, kam einmal ein Fremder, der sich die ausgestellten Backwaren prüfend ansah, bis der Chef des Hauses, der gerade da war, ihn fragte, was zu seinen Diensten stehe.

»Na, ich möchte gern etwas essen, aber es ist nichts Rechtes da!«

»Wie, nichts rechtes da?« rief entrüstet der Ladenbesitzer. »Sehen Sie sich gefälligst alle die Kuchen und Backwaren an, die hier ausstehen!«

»Ach, die Kleinigkeit!« meinte der Fremde mit verächtlichem Blick, »Das verzehre ich alles auf einmal, und dann hätten Ihre Gäste alle nichts mehr zu essen.«

»Sie wollen sich wohl über mich lustig machen!« rief der empörte Konditor jetzt noch wütender.

»Nun, ich wette mit Ihnen, daß ich alles, was da im Laden ist, in weniger als einer Viertelstunde aufesse!«

»Gut, ich wette!«

»Und ich halte!«

»Ich wette mit Ihnen um tausend Mark«, schrie der Ladenbesitzer außer sich.

»Ich soll Ihnen wohl auch noch Ihr Geld abnehmen? Für mich ist die ganze Sache nur eine Kleinigkeit und ein Spaß, aber um doch eine Summe zu nennen, wollen wir einfach um fünf Groschen wetten.«

Der Ladenbesitzer war einverstanden, und der Fremde begann nun einen förmlichen Vernichtungskrieg auf die Kuchen und Bäckereien auszuführen. Was nur Gutes zu finden war, verschlang er mit der Schnelligkeit einer Riesenschlange, die nach langem hungern ein Kaninchen verschlingt. Ein Tischchen nach dem andern leerte sich – aber es gab noch so manches zu verzehren, und der Konditor triumphierte innerlich, als er sah, daß der Fremde nur mit Mühe noch einige kleine Stücke hinabwürgte.

Plötzlich hielt dieser inne, nahm langsam ein Fünfgroschenstück aus der Tasche und wandte sich zu dem Konditor, der sich vergnügt über den Ausgang der Wette die Hände rieb.

»Hier sind die fünf Groschen!« sagte er. »Ich kann nicht mehr, ich habe meine Wette verloren.« Und er schritt langsam zur Tür hin.

Der Konditor sah ihm verblüfft nach. Er begriff jetzt erst, daß er gefoppt war und trotz seiner gewonnenen Wette ein sehr schlechtes Geschäft gemacht hatte.

»Halt!« rief er dem Fremden nach, »Einen Augenblick!«

Der Fremde, der sich schon in der Haustür befand, kam ruhig zurück.

»Wollen Sie mir noch einen Gefallen tun?« fragte der Konditor. »Hier haben Sie fünf Mark. Und nun gehen Sie morgen dort drüben zu meinem Konkurrenten und spielen Sie ihm denselben Streich!«

Der Fremde besah sich die fünf Mark, steckte sie in die Tasche und sagte langsam:

»Besten Dank, das Geld kann ich gut gebrauchen. Ich würde Ihnen auch gern diesen Gefallen tun, leider geht es aber nicht!«

»Wieso?« fragte verwundert der Konditor. »Warum soll das nicht gehen?«

»Weil ich schon gestern in seinem Geschäft war und dieselbe Geschichte gemacht habe. Er gab mir dann Zehn Mark, damit ich Ihnen diesen streich spielen sollte.«

Und mit einem höflichen Lächeln verließ der fremde Gast den vor Wut fast platzenden Konditor.

(Mitte 19. Jahrhundert.)

 

Geschäftliche Kontrolle.

Ein Bäckermeister bezog seine Butter regelmäßig von einem Bauern aus der Umgegend, der dafür auch sein Brot bei dem Bäcker kaufte. Eines Tages schien es dem Bäckermeister, als ob die Butterpakete, die jedes drei Pfund wiegen sollten, doch ziemlich klein seien. Er wog eins nach, er wog ein anderes nach, er wog alle Butterpakete nach, und alle hatten sie ein erhebliches Untergewicht Wütend ging er zum Gericht, um den Bauern wegen Betrug anzuzeigen und für alle Butter, die er schon früher bezogen hatte, Schadenersatz zu verlangen.

»Herr Richter,« sagte der verklagte und zur Rede gestellte Bauer, »das ist aber ganz unmöglich, daß meine Butter nicht das richtige Gewicht haben soll. Seit Jahren beziehe ich von dem Bäcker meine Brote, und da habe ich die Butter immer mit seinen Fünfpfundbroten als Gewicht abgewogen.«

Nun wurden die Brote des Bäckers nachgewogen. Kein einziges hatte das richtige Gewicht. Der Bäcker zog jetzt schleunigst seine Klage zurück.

 

Schlechtes Gewissen.

Ein Handwerker in einer englischen Stadt ließ durch sein Dienstmädchen in einem Spezereiwarengeschäft zehn Pfund Farinzucker kaufen. Als er den Zucker untersuchte, fand er, daß der Kaufmann mindestens eineinhalb Pfund Sand darunter gemischt hatte. Leider konnte der Handwerker von dem Dienstmädchen, das erst kürzlich vom Lande gekommen war und die Stadt noch nicht kannte, nicht genau ermitteln, in welchem Laden es eigentlich den Zucker gekauft hatte, und so ließ er am anderen Tag in der Zeitung folgende Aufforderung erscheinen:

»Wenn der Spezereiwarenhändler, der mir gestern unter zehn Pfund Zucker betrügerischerweise anderthalb Pfund Sand mitverkauft hat, mir nicht umgehend die anderthalb Pfund Zucker ins Haus schickt, um die er mich betrogen hat, so werde ich seinen Namen in diesem Blatte öffentlich an den Pranger stellen.« –

Am Tag darauf erhielt der Handwerker elf Pakete mit je anderthalb Pfund Zucker von ebenso vielen Kaufleuten, die jedenfalls ähnliche Handlungen auf dem Gewissen hatten und deshalb die Öffentlichkeit fürchteten.

 

Das Hohelied vom Zolltarif.

Von Alexander Moszkowski.

Mir ging es im Kopf wie treibende Mühlen,
Ich las mit ziemlich gemischten Gefühlen,
Die Menge Artikel mit ihren Zöllen,
Die wir nunmehr berappen söllen:
Die Felle und Häute, rohe, gegerbte,
Die flimmernde Seide, gezwirnte, gefärbte,
Gespinste vom Pferde-, vom Hundehaare,
Fußbodentepp'che als Meterware,
Künstliche Blumen zum Sonnenschirme,
Künstliche Käfer und sonst'ges Gewürme,
Die Ochsen, die Kühe, die Lämmer und Böcke,
Die Öle, die Schmalze, die Schinken und Specke,
Die Krebse, die Schnecken, die fettigen Trane,
Die Eier, die Dotter, die Milch und die Sahne,
Den Honig in Stöcken, in Körben und Kästen,
Die Enten zum Schlachten, die Gänse zum Mästen,
Die Hölzer, zersägt in Bretter und Latten,
Die Haare der Ziegen und Bisamratten,
Die Zuckersubstanzen von Rohr und Rüben,
Sago und Mais, im Korn und zerrieben,
Kaffee-Essenz in gebrannter Melasse,
Liköre in Flaschen, im Kübel, im Fasse,
Most von den Trauben, gekocht und gedickt,
Wein mit Mixturenzusatz verschickt,
Die feinen Gewebe mit Kanten und Borten,
Getreidestengel von allen Sorten,
Die Kürbisköpfe und die Melonen,
Die Apfelsinen und die Zitronen – –
Hier mußte ich stocken, mir fuhr's durch den Sinn:
Kreuzdonnerwetter, wo soll das hin?
Die Zölle sollen doch Einfluß besitzen,
Um unsere Heimatprodukte zu schützen,
Wo sind denn nun aber auf unseren Fluren
Die deutschen Zitron- und Orangenkulturen?
Sahst du schon einmal bei uns im Grünen
Zitronen wachsen und Apfelsinen?
Das ist ganz egal, erklärt der Tarif,
Bei mir ist es bloß das Verteuerungsmotiv,
Und wächst keine Südfrucht im deutschen Revier,
So soll sie mir wenigstens blechen dafür!
Und wie auch der Zeiten Verschiedenheit klafft,
Es dreht sich doch alles um eine Welle:
Die »Hohenzollern« sind abgeschafft,
Dafür regieren die »Hohen Zölle«!

 

Die Werbung.

Von Johannes Trojan.

Isidor, genannt der Schöne,
Geht auf dem Produktenmarkte,
Auf den Lippen süßes Lächeln,
Holdes Schmachten in den Blicken
Und im Herzen Liebesflammen,
Aber sonst ganz beim Geschäfte,
Spiritus belebt und steigend,
Mehl behauptet, Roggen fest.

Und auf dem Produktenmarkte
Sieht er der Geliebten Vater.
Auf ihn zu geht er mit Lächeln,
Redet vieles, glühend wirbt er,
Und der Alte hört ihn zornig,
Aber sonst ganz beim Geschäfte.
Rüböl ruhig, Weizen fester,
Hafer loco, kein Geschäft.

Isidor, genannt der Schöne,
Geht auf dem Produktenmarkte,
Seine Blicke sind erloschen,
Und sein Hut ist eingetrieben.
Innerlich ist er zerschmettert,
Aber sonst ganz beim Geschäfte.
Butter leblos, Leinöl weichend,
Gerste still und Erbsen flau.

 

Aufklärung und Enttäuschung.

Gattin: »Ich fürchte fast, lieber Richard, dich darauf aufmerksam zu machen, daß uns auf Schritt und Tritt ein Herr nachfolgt. Bei deiner Eifersucht ...«

Gatt: »Ach, liebe Emilie, wie sehr wünschte ich, daß du recht hättest! Aber leider hat es dieses Ungeheuer auf mich abgesehen – es ist Herr Meier von der Firma Meier & Kompagnie, dessen Wechsel ich noch nicht eingelöst habe.«

 

Buchführung.

Zwei Arbeiter laden Getreidesäcke ab, und der eine, der sehr genau ist, markiert die Anzahl der von ihm hineingetragenen Säcke dadurch, daß er für jeden Sack einen Kreidestrich an den Steinpfosten des Eingangstores macht. Plötzlich sieht der andere Arbeiter, wie sich ein großer Hund an den Steinpfosten stellt und seine Visitenkarte abgibt.

»Du, Wilhelm,« ruft da der zweite Arbeiter, »da radiert einer in deinem Hauptbuch herum!«

 

Der Fachmann.

Leutnant (auf einem Ball): »Mein Herr, ich finde es sonderbar, daß Sie die Toiletten dieser Damen mit auffallender Geringschätzung mustern, und muß mir Aufklärung über dieses Benehmen erbitten!«

Herr (mit Würde seine Karte überreichend): »Ich stehe jederzeit zu Diensten.«

Die Damen (erregt zum Leutnant): »Aber, in welche Gefahr stürzen Sie sich unserethalben! Wer ist denn der Herr, der Sie gefordert hat?«

Leutnant (die Karte lesend): »Sebastian Fädlein, Damenschneider.«

 

Geschäftsneckerei.

Ein Bäcker begegnete einem Fleischer: »Guten Morgen, lieber Freund, wo kommst du denn her?« – »Ich komme gerade aus deinem Laden, wo ich mir ein Brot gekauft habe«, sagte der Fleischer, – »Ein Brot?« fragte der Bäcker erstaunt, »Wo hast du es denn?« – »O, ich hab' es in die Westentasche gesteckt«, sagte der Fleischer und ging seiner Wege.

Der Bäcker ärgerte sich sehr über diese Anspielung auf die Kleinheit seiner Brote und beschloß, es dem andern bei der nächsten Gelegenheit heimzuzahlen. Wenige Tage später traf er den Fleischer wieder auf der Straße. Schnell ging er auf ihn zu und fragte: »Weißt du auch, wo ich herkomme?« – »Nein,« – »Aus deinem Laden, wo ich einen Ochsenkopf gekauft habe.« – »Und wo hast du ihn denn?« fragte der Fleischer. – »Unter meiner Mütze!« antwortete der Bäcker stolz und ging hocherhobenen Hauptes weiter.


 << zurück weiter >>