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Briefe Bismarcks an Fürstin Katharina und Fürst Nikolai Orloff

 

1

Berlin, 28. Januar 1863

Meine liebe Nichte.

Seit langem habe ich nicht die Freude gehabt, Ihre Handschrift zu sehen; ich bitte Sie um das Almosen eines kleinen Briefes, damit ich weiß, wie es Ihnen geht und daß Sie Ihren armen Onkel nicht völlig vergessen haben. Ich schleppe die Bleikugel meiner Amtsmisère mit so viel Anstand wie möglich. Manchmal fehlen mir die paar Minuten zum Frühstück, und wenn ich heute die Muße zu einem Briefwechsel finde, der mehr nach meinem Geschmack ist als der, der mich gewöhnlich beschäftigt, so nur deshalb, weil ich den Verhandlungen des Landtages beiwohnen und unverschämte Reden anhören muß, um zu sehen, ob es etwas zu beantworten gibt, und ob meine Kollegen, die andern Minister, bei der Stange bleiben. Gestern habe ich den Abgeordneten eine kleine Rede versetzt, trocken und höflich, die sie wie eine Ohrfeige in dem Augenblick traf, in dem sie uns in die Knie zu zwingen glaubten. Es war die stolze Rede über die Sendung des preußischen Königtums. Es war recht amüsant, aber man wird dieser unfruchtbaren Unterhaltungen müde; sie bewegen sich auf einer Ebene, die nur einem streitsüchtigen Professor oder einem von Aktenstaub und Paragraphen lebenden Juristen behagt. Glücklicherweise geht es meiner Frau und den Kindern vortrefflich; die Kinder waren auf ihrem ersten Ball, einem Kostümball, veranstaltet vom ältesten Sohn des Kronprinzen, dem zukünftigen Thronerben, dessen legitime Rechte ich verteidige. Die Jungens gingen als Matrosen der englischen Marine, meine Tochter im russischen Hofkostüm, das ihr nach meinem väterlichen Geschmack vorzüglich stand. Der Kronprinz hat ihr das Vergnügen und die Ehre erwiesen, einen Walzer mit ihr zu tanzen. Meine kleine Schar kam voller Narrenspossen zurück und träumte von Glück und Poesie, nachdem sie in einen Schlaf gesunken war, wie ihn die Jugend nach dem ersten Ball schläft.

 

4. Februar

Eine Woche haben diese Zeilen in meiner Brieftasche verbracht, ohne beendet zu werden. Ich hatte während dieser Woche sehr viel zu tun; inmitten wichtiger und heikler Arbeiten haben mich zwei Tage Jagd wieder ein wenig hergestellt. Mein Arzt sagt, daß die körperliche Anstrengung bei der Jagd »die geistigen Kräfte ausruhen läßt, während sie den Körper stärkt«. Was mich wirklich ermüdet, sind nicht die Geschäfte, sondern die üppigen Diners und die Frondienste des Karnevals; kein Tag geht ohne einen Ball bei hohen Herrschaften vorüber. Ich verliere dort Zeit und Schlaf, und inzwischen häufen sich die Papiere auf meinem Tische an.

Ich habe mit herzlicher Dankbarkeit Ihre liebenswürdige Einladung für den 14. erhalten; es ist ein sonderbares Zusammentreffen, daß wir beide, Sie in Brüssel und ich in Berlin, den Einfall gehabt haben, am 14., am Valentinstag, einen Ball zu geben. Seit vierzehn Tagen haben wir Hof und Stadt eingeladen, bei uns am kommenden Sonnabend zu tanzen, der König hat mir die Ehre erwiesen, die Einladung anzunehmen. Ich kann also an diesem Tage Berlin nicht verlassen, es tut mir leid, aber ich gebe unsern Plan nicht auf; Ball oder nicht, auf jeden Fall muß ich Ihnen meinen Besuch in Brüssel machen, das ist eine eingegangene Verpflichtung, an deren Erfüllung ich unweigerlich festhalte. Es ist aber lustig, daß wir auf 200 Meilen Entfernung hin denselben Einfall eines Balles bei uns am 14. hatten; zwei Seelen und ein Gedanke.

 

11. Februar

Immer noch ist der Brief nicht abgeschickt! Ohne rechten Grund hatte ich doch noch den Schimmer einer Hoffnung, die bevorstehenden Feste könnten verlegt werden. Mein Sonnabend wurde von der Kronprinzessin beschlagnahmt, I. H. wollte am selben Tage einen Ball geben; sie hat mich aus dem Felde geschlagen, aber der König und die Königin haben geruht, ein Arrangement zu ermöglichen, das mir den nächsten Freitag zur Verfügung stellt; dann wird mir die Prinzessin die Ehre ihrer Gegenwart geben, während ich nun am Sonnabend bei ihr bin. Das bringt meinen Haushalt etwas in Unordnung, und ich komme um die Freude, die mir der Gedanke an unsre gleichzeitigen Feste machte. Es bleibt aber nicht weniger wahr, daß an diesem Tage alle meine Gedanken nach Brüssel gehen werden, wo sie ja ohnehin sehr oft weilen; besonders wenn ich auf den einsamsten Wegen, die es um Berlin herum gibt, meinen täglichen Ritt mache. Das ist der einzige Augenblick, wo mein Geist frei seine natürliche Richtung nehmen kann und wo tausend Erinnerungen an Biarritz und die Pyrenäen – im Stil des » petit navire« – die Öde der Geschäfte verdrängen, mit denen der Rest des Tages mich abstumpft.

Wenn die Seele wirklich die Fähigkeit hat, die man ihr zuschreibt, ihre Empfindungen durch die Weite des Raumes schwingen zu lassen, dann müssen Sie täglich wenigstens von 3 bis 4 Uhr fühlen, daß ich an Sie denke. Tausend Grüße an Nikolai.

Ganz der Ihrige, meine liebe Nichte, küsse ich Ihre schönen Hände.

v. Bismarck.

 

2

Berlin, 16. September 1863

Meine liebe Nichte,

bei der Abreise von Baden hatte ich mir vorgenommen, mich vom König in Darmstadt zu trennen, um von dort geradeswegs nach Spaa zu gehn; ich war sehr unzufrieden, daß mein hoher Herr darauf bestand, mich bis nach Koburg mitzunehmen, wo er der Königin Viktoria einen Besuch abstattete, und ich war entschlossen, sofort nach meiner Ankunft in Berlin wieder abzureisen, um Sie endlich wiederzusehen. Doch der Mensch denkt, und Gott lenkt; in Berlin angekommen, fand ich Ihr Telegramm vor, und ich mußte S. M. noch dankbar sein, mir eine unnütze Reise erspart zu haben, denn Spaa ohne Sie wäre für mich eine traurige Enttäuschung gewesen, und ich wäre unfehlbar am 2. dort angekommen, ohne den glücklichen Eigensinn des Königs, der darauf bestand, mich bei sich zu behalten. Er hat mich über das Ziel meiner Expedition ausgefragt, ich habe es ihm erzählt, und er hat mir zum Trost gesagt: dann werden Sie sie also vierundzwanzig Stunden später sehen. Aber ach, nun sind vierzehn Tage vergangen, und ich bin noch nicht dort.

Hier bin ich in den Strudel der Geschäfte geraten, die sich aus der Auflösung der Kammern und aus dem fürstlichen Possenspiel in Frankfurt Frankfurter Fürstentag, 17. August bis 1. September 1863. ergaben, und es bedurfte des schmerzlichen Verlustes, der mich eben betroffen hat, Bismarcks Schwiegermutter, Luitgarde von Puttkamer, starb am 5. September 1863. um mich all dem für einige Tage zu entreißen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre lieben Worte und für den Anteil, den Sie an unserm Verluste nehmen; meine Frau wird Ihnen ewig dafür dankbar sein, es geht ihr im Augenblick gut, obgleich sie völlig erschöpft ist durch den Schmerz und die beständige Pflege, die sie ihrer Mutter während der letzten Wochen Tag und Nacht widmete. Wie ich, war auch sie zwar auf einen Winter voller Angst und Unruhe gefaßt, doch nicht auf ein so plötzliches Ende. Mir geht der Verlust nicht weniger nah; ich war mit meiner Schwiegermutter durch innigere Bande verbunden, als dies sonst der Fall ist, und in meinem Alter füllt sich die Lücke nicht mehr, die sie in meinem Herzen läßt. Es ist ein Glück, daß ich keine Zeit habe, darüber nachzudenken; die unaufhörliche Bewegung der Amtsmühle läßt mir keine Zeit zum Trauern. Ich habe manchmal Lust, krank zu werden, um eine ligitime Ruhe zu genießen. Es ist nun ein Jahr her, seit wir uns getrennt haben; damals hatte ich Zeit in der Eisenbahn zwischen Lyon und Paris in Muße traurig zu sein. Damals war ich sicher, Sie im Laufe dieses Sommers wiederzusehen, aber jetzt gebe ich die Hoffnung auf. Ich kann mich unmöglich während der nächsten Wochen für vier Tage nacheinander frei machen, und wenn ich es könnte, so wäre es beinahe grausam, nicht zu meiner Frau zu gehen, die sich noch nicht entschließen kann, ihren alten Vater in seiner völligen Einsamkeit zurückzulassen. Ich muß also alle Sehnsucht nach dem Meer unterdrücken, und an jedem andern Ort, fürchte ich, werde ich die Fürstin O. und nicht Catty wiederfinden.

Inzwischen tröste ich mich damit, daß ich mein Zigarrenetui öffne, wo ich neben einer Ihrer Nadeln eine kleine gelbe Blume finde, gepflückt in Superbagnères, Moos vom Port de Vénasque und einen Olivenzweig von der Terrasse in Avignon, – deutsche Sentimentalitäten, werden Sie sagen; einerlei: eines Tages werde ich die Genugtuung haben, Ihnen diese kleinen Andenken an eine frohe Zeit, von der ich träume wie vom paradise lost, zeigen zu können. Seien Sie freigebig mit Briefen für Ihren armen Onkel und grüßen Sie Nikolai von mir.

Ganz der Ihre

v. Bismarck.

 

3

Dieser Brief wurde dem Verfasser von Herrn P. v. Schwabach gegeben.

Reinfeld, 25. September 1864

Meine sehr liebe Nichte,

es war sehr liebenswürdig von Ihnen, unsrer Reise nach Weinheim, die durch die Unpünktlichkeit der Züge allzu plötzlich abgebrochen wurde, durch Ihren Brief einen kleinen Epilog anzufügen. Ich bin traurig nach Frankfurt zurückgekehrt, und die Gesellschaft Dr. Müllers, des Kaiserlichen Leibarztes, der mich bis Darmstadt durch seine Unterhaltung und seine weißen Zähne totschlug, hat mich geradezu krank gemacht. Bei der Ankunft in Berlin fand ich beunruhigendere Nachrichten von hier, als ich nach den letzten Telegrammen hatte vermuten können; ich hatte geglaubt, meine Frau sei von ihrem Unwohlsein vollständig wiederhergestellt, und ich hörte statt dessen, daß sie sich noch im Zustand äußerster Schwäche befand. Ich begab mich geradeswegs hierher zu meinem Schwiegervater und hatte die Freude zu sehn, daß meine arme Frau mit dem Tag meiner Ankunft ihre Kräfte wieder gewann. Sie ist viel kränker gewesen, als man mir gesagt hatte, und erst jetzt ist ihre Genesung eigentlich abgeschlossen. Ich habe 12 Tage hier verbracht, die erste Ruhepause, die ich mir seit zwei Jahren habe gönnen können. Morgen früh fahre ich wieder nach Berlin, wo ich erst übermorgen eintreffe. Falls der Stand der Dinge so ist, wie ich annehme, denke ich nur einige Tage in Berlin zu bleiben und von dort geradeswegs nach Biarritz zu reisen. Ich habe mir von meinem Frankfurter Arzt einen Brief schreiben lassen, in dem er das Meer von Biarritz als unerläßlich für die Erhaltung meines Lebens erklärt hat, und ich habe ihn dazu benutzt, um alle Welt auf diese Reise und meine Abwesenheit während einiger Wochen vorzubereiten. Die einfachste Weise hinzukommen wäre, über Paris zu fahren, Sie dort zu treffen und mit Ihnen weiterzureisen. Nur ist es schwer für mich, über Paris zu fahren, ohne mich aufzuhalten und einen Höflichkeitsbesuch bei Hofe zu machen, wenigstens nach unsern deutschen Gepflogenheiten; auch wird der König wünschen, daß ich ihn nach Baden begleite, wohin er sich zum Geburtstag der Königin am 30. begeben wird. Wenn es so kommt, muß ich über Culloz und Lyon fahren oder einen Zug von Straßburg nach Bordeaux zu erreichen suchen, falls es einen gibt. Wollen Sie so liebenswürdig sein, mir den Tag Ihrer Abreise von Paris und der Ankunft in Biarritz mitzuteilen? Ein Telegramm, das nach Empfang dieses Briefes aufgegeben wird, erreicht mich in Berlin oder folgt mir von dort nach Baden.

Tausend Grüße an Nikolai; er wird gesehen haben, daß seine Ratschläge wegen Schwalbachs befolgt worden sind. Ich küsse Ihre schönen Hände.

Ihr Ihnen für immer ergebener Onkel

v. Bismarck

 

4

Paris, 25. Oktober 1864 Liebe Kathi,

Ihr gestriges Telegramm war eine angenehme Überraschung für mich; ich betrachte es als gutes Vorzeichen, daß Ihr Name und der Ausdruck Ihrer Besorgnis um den erkälteten Onkel mich auf der ersten Etappe meiner Reise überholt haben. Unter der Kälte habe ich nicht allzusehr gelitten, da sich das Ihnen bekannte dicke Plaid als ein Kleidungsstück erwies, das den vergessenen Mantel gut ersetzte, dessentwegen Engel Der persönliche Bediente oder »Leibjäger« Bismarcks. in Verzweiflung war. Ich glaube, dieser vortreffliche Jäger hat sich in Thilda oder Marzelline Kammerzofen der Fürstin Orloff. verliebt; denn dies ist nicht die einzige Vergeßlichkeit, die ihm unterlaufen ist. Nachdem ich Sie aus dem Auge verloren hatte, suchte ich die Beziehung mittelbar festzuhalten durch den Blick auf die Berge, die wir so oft zusammen bewundert haben, bis die letzten hinter den Fichten verschwanden, um nur für einen Augenblick in der Nähe von Dax wieder aufzutauchen, wo man die ganze Kette sieht, sogar die schneebedeckten Gipfel. Kurz, mir war, wie wenn die Eisenbahn in dem Augenblick, wo man eine wunderbare Aussicht genießt, plötzlich in einen Tunnel einfährt und nur noch Dunkelheit und Lärm übrig bleiben. Hinter Arcachon habe ich einen Temperaturwechsel zu spüren bekommen, der mich veranlaßte, die Fenster zum Teil zu schließen, und der mir das Fehlen des Mantels fühlbar machte. Die Empfehlungen von Mr. Léon Ein Biarritzer Bekannter der Orloffs. haben mir ein ausgezeichnetes Schlafabteil eingetragen, und gegen 6 Uhr war ich an demselben Platz eingerichtet, von dem ich Ihnen vor 2 Jahren nach Genf schrieb; Der hier erwähnte Brief hat sich nicht wieder gefunden. aber diesmal hat man mir keine Zeit gelassen, über meinem Kummer zu brüten: eine Brandung im Stil von Biarritz, eine Flut von Papier, schließen mich ein. Ich bin anscheinend noch nicht genug gereist, und statt mit Ihnen in Spanien zu bummeln, droht mir eine Reise nach Wien (es würde die dritte seit Juli sein), um dort den Frieden zu unterzeichnen, der als abgeschlossen gilt. Ich finde, daß dieser Staatsakt genau so dauerhaft sein wird, wenn er die Unterschrift Werthers Baron v. W., preuß. Gesandter in Wien trägt, und werde mich darum drücken.

Ich habe soeben meine Audienz in Saint-Cloud gehabt, bin sehr befriedigt davon, werde bei Mr. Dr. de Lhuys Drouyn de Lhuys, französischer Minister des Auswärtigen. speisen und denke Freitag in Berlin zu sein. Der Kaiser hat mir gesagt, er werde tatsächlich morgen nach Nizza abreisen, obgleich, wie es scheint, der Herr und Meister unseres Freundes Гамбур In russischen Buchstaben Abkürzung von Hamburger. Andreas Feodorowitsch Hamburger, Mitglied des Rats im russischen Ministerium des Auswärtigen, war die rechte Hand des Kanzlers Fürsten Gortschakoff für die Pressesachen. Der »Herr und Meister« ist demnach Gortschakoff. eine letzte Anstrengung gemacht hat, um zu verhindern, daß die Zusammenkunft stattfinde. Kaiser Alexander II. hielt sich in Nizza auf.

Beim Entleeren meiner Brieftasche habe ich die Karte des Herrn Präfekten des Departement Basses Pyrénées mit meiner Zimmernummer darauf gefunden. Wahrscheinlich war es ein Versehen des wenig intelligenten Kellners, der uns bediente, daß er die Karte unter die ungeordneten Papiere geworfen hat, die auf meinem Tische lagen. Der liebenswürdige Präfekt, dessen Generalsekretär wir als einen Mann ganz comme il faut kennen, wird mich also höchster Unhöflichkeit zeihen, da ich es ihm gegenüber sogar in seinem eigenen Departement habe an mir fehlen lassen. Wenn er noch in Biarritz ist, sieht ihn Nikolai vielleicht; ich werde ihm sehr verbunden sein, wenn er dem Herrn Präfekten meine Entschuldigung ausrichten möchte. Ich werde zum Essen gerufen, oder vielmehr der Wagen wird mir gemeldet; denn es ist nicht so bequem hier wie mit unserem Treppchen bei Gardère; Der Besitzer des Hotels in Biarritz. ich muß mich umziehen und bin doch trotz des Schlafwagens so müde, daß ich am liebsten gleich zu Bett ginge; wenn ich an jemand anders schriebe als an Sie, so wäre ich schon eingeschlafen. Sie machen sich keine Vorstellung und werden sich keine machen, bis Sie wieder in Brüssel sind, wie komisch man im Frack und mit Orden aussieht; heute morgen vor dem Aufbruch nach St.Cloud habe ich lachen müssen, als ich meine Aufmachung im Spiegel sah, so wenig bin ich mehr daran gewöhnt; der Zylinder steht mir auch nicht mehr wie früher. Doch man meldet mir, daß S. E. der Gesandte mich erwartet. Auf Wiedersehen denn, meine sehr liebe Nichte, grüßen Sie Nikolai von mir und die Schwarze, Ménard, Gesellschafterin der Fürstin Orloff. Robert, Kammerdiener des Fürsten Orloff. den Präfekten und M. Adena Biarritzer Badearzt. von Ihrem armen Onkel, der ausgeht, um mit sehr ernsthaften Leuten Das Essen fand bei dem Minister des Auswärtigen statt. Es nahmen teil: Minister Drouyn de Lhuys, Bismarck, der preuß. Gesandte in Paris Graf v. d. Goltz und der französische Botschafter in Berlin Graf Benedetti. zu speisen.

Ganz der Ihre

v. Bismarck.

 

5

Biarritz, 21. Oktober 1865

Liebe Katharina!

Es ist wahr, daß Sie mir einen Streich gespielt haben, der die Vorrechte eines » méchante enfant« überschreitet, da er von einer völlig erwachsenen und entwickelten Ungezogenheit war. Ich beklage mich natürlich nicht darüber, daß Sie auf die Befürchtungen Ihrer Frau Mutter Rücksicht genommen haben, obwohl die Cholera niemals in Biarritz gewesen ist, und seit vielen Jahren kein Fall in Bordeaux festgestellt worden ist, während Sie ihr in Paris unbedenklich getrotzt haben. Das ist eine Frage mütterlicher oder persönlicher Empfindung. Aber Sie hätten mir einen sehr großen Dienst erwiesen, wenn Sie mich von der Veränderung Ihrer Absichten zur selben Zeit benachrichtigt hätten, zu der Sie Herrn Gardère Siehe S. 111 Anm. 5. informiert haben. Das war eine Woche vor meiner Abreise von Berlin. In einem der Diskretion der Post anvertrauten Brief kann ich mich über die Bedeutung, die eine solche Verständigung für mich gehabt hätte, nicht weiter auslassen; das ist der Grund, weshalb ich die Gelegenheit der Abreise irgendeines Bekannten abwarten wollte, um Ihnen dann frei das ganze mischief auseinanderzusetzen, das Sie durch Ihr Stillschweigen angerichtet haben. Aber es scheint, daß niemand von hier nach Paris geht, und ich muß Ihnen mit der Post oder gar nicht schreiben; ein verlängertes Schweigen meinerseits könnte Ihnen den Eindruck von Gekränktheit erwecken, und obwohl es mir sehr schmerzlich gewesen ist zu sehen, wie sehr der arme Onkel dem Vergessen ausgesetzt ist, selbst bei Gelegenheiten, wo ihm ein kleines Lebenszeichen von großer Bedeutung wäre, bin ich doch schon auf meinem Lebenslauf zu weit vorgeschritten, und ich habe zu wenig Chance ...

Verzeihen Sie! Ich sehe, daß ich auf ein abgerissenes Blatt schreibe! Der Rest des Briefes fehlt.

 

6

Biarritz, 30. Oktober 1865

Meine liebe Nichte.

Seit der Absendung Ihres letzten Briefes werden Sie meinen erhalten haben, der nach Bellefontaine adressiert war und Ihnen gezeigt haben wird, daß ich mir zwar das Recht zuschrieb, Ihnen zu zürnen, aber nicht den Mut hatte, es auszuüben, trotz dieser elenden Wochen voller Langeweile, die Sie mich hier zubringen lassen. Das Wetter war herrlich bis zur Abreise des Hofes, nur etwas zuviel elegante Leute in überwältigenden Toiletten. Aber dank der vollendeten Organisation dieses Landes haben sogar Wind und Regen, die üblichen Begleiter des Aequinoctiums, offenbar den herrscherlichen Einfluß respektiert oder die Reize der anmutigen Landesherrin haben sie gebändigt; jedenfalls haben sie ihre Wut bis zur Abreise des Hofes vertagt, und erst unmittelbar danach hat der Ozean alle seine bösen Triebe entfesselt; seitdem hatten wir kaum vier Tage ohne Regen, Sturm und Orkan. Und was soll man hier anfangen, wenn man nicht aus der Tür treten kann, ohne in zwei Minuten bis auf die Knochen durchnäßt zu sein? Wenn man sein Schuhwerk viermal am Tage wechseln muß, würde selbst Bastien vor Ablauf einer Woche mit seinen Schuhen zu Ende sein. Nach einem französischen Lied: » Il a des bottes, Bastien«. Das Meer bot während dieser drei Wochen ein großartiges Schauspiel, es drang mehr als einmal in die Kabinen ein und warf das Triftholz bis zur Höhe unserer Fenster empor, machte aber alles Schwimmen unmöglich. Wenn man sich im Bade nur bis zur zweiten Welle vorwagte, wurde man durch einen scharfen Pfiff der Küstenwache gewarnt, sich nicht in einen unwiderstehlichen Strudel zu wagen. Der Port-Vieux war völlig unbrauchbar. Bei diesem Wetter hat meine Frau gar nichts von ihrem Aufenthalt gehabt; sie hat noch keinmal gebadet, und eine von beiden, entweder sie oder meine Tochter, war beständig unpäßlich. Wir sind dageblieben, weil wir von Tag zu Tag auf besseres Wetter hofften und nicht wußten, wohin, ohne in die Galeere des Dienstes zurückzukehren. Mir ist schließlich zumute, als sei ich auf einer einsamen Insel ausgesetzt, und ich bin so weit, daß ich anfange, Berlin Biarritz vorzuziehen. Morgen reisen wir nach Paris ab, wo ich etwa zwei oder drei Tage bleibe; gegen Ende der Woche werden wir also wieder zuhause sein. Zum ersten Mal habe ich Heimweh nach meinen Amtszimmern.

Wissen Sie, Biarritz ist im Grunde ein recht elender Aufenthaltsort, und es ist wenig wahrscheinlich, daß ich jemals wieder hierherkomme. Ich habe alle Unbequemlichkeiten hier schnell vergessen oder übersehen, als ich mit Ihnen zusammen war, jetzt aber bin ich von meiner Täuschung geheilt und nichts bleibt übrig als Langeweile und Verdruß. Erst jetzt, wo Sie fehlten, habe ich bemerkt, daß Herrn Gardères Weine schlecht sind, daß der Siphon, der ausgezeichnet war, als Sie ›Star‹ Name eines Hundes (?). tränkten, nach Metall schmeckt, das Trinkwasser nicht frisch und überhaupt kein Eis da ist, daß alle Betten zu kurz sind und modrig riechen. Essen wir auf dem Zimmer, so werden wir schlecht bedient und schlecht ernährt, essen wir aber unten im Speisesaal, so trifft man oft schlechte Gesellschaft. Gustav ist an Angina erkrankt, Edmund liebt seine Bequemlichkeit und tyrannisiert meine Tochter; unsere Grotte ist naß und schlammig und von Amateurfischern mit Beschlag belegt, unsere Möwenklippe durch einen Steinbruch verpfuscht, die Tamarinden sind abgehauen und die Heide, naß wie ein Schwamm, besteht nur aus den stachligen Kräutern, die Sie auch kennen. Und Sie waren in Ihrem paradiesischen Torquay, nachdem Sie mich hier an diesen stumpfsinnigen Strand spazieren geschickt haben, 600 Meilen von zuhause, damit ich in Platzregen und Böen die Illusion verliere, daß man in Biarritz nur glücklich, heiter und zufrieden sein könne. Ich suchte den Quell der Jugend, und ich bin um zehn Jahre gealtert, das macht genau sechzig Jahre alt. In diesem Augenblick peitscht der Regen die Pflastersteine, das Meer ist weiß und brüllt, meine Frau und Marie schreiben Briefe an Leute, die man vergißt, wenn es schön ist; über unserm Salon ergeht sich eine englische Familie in gymnastischen Übungen, so daß der Kronleuchter zittert; meine Zimmerdecke kracht unter den hölzernen Sohlen des Familienvaters, der droben auf und ab läuft. Sie kriegen mich nicht mehr hierher; überall sonst werde ich Ihnen beweisen, daß ich ein viel zu musterhafter und anhänglicher Onkel bin, um Ihnen zu zürnen. Ich umarme Nikolai und bitte Sie, auch French zu grüßen. Tausend Grüße von meiner Frau und von Marie, die sehr dankbar ist, daß Sie sich ihrer erinnern.

Ganz der Ihre

v. Bismarck

 

7

Berlin, 29. Juni 1866

Meine liebe Nichte,

ich habe den lebhaftesten Anteil an Ihrer Krankheit und an Ihrer Genesung genommen; tausend Dank an Nikolai, daß er an mich gedacht hat. Ich hoffe. Sie sind nun völlig wiederhergestellt; meine Wünsche haben Ihre Reconvaleszenz begleitet. Wenn ich die Lebensweise fortsetze, die ich seit drei Monaten führe, so werde ich unvermeidlich selber krank werden. Je mehr sich die Krise entwickelt, desto mehr konzentrieren sich alle Geschäfte auf mich; man läßt mich nicht mehr zum Schlafen kommen, und doch habe ich viel Schlaf nötig; meine körperlichen wie meine seelischen Reserven werden aufgebraucht. Nach Tagen ununterbrochener harter Arbeit kommt es vor, daß ich um ein oder drei Uhr nachts zum König gerufen werde. Morgen brechen wir zur Armee auf, und der Luftwechsel im Verein mit der körperlichen Bewegung, die das Militärleben mit sich bringt, wird mir gut tun oder die Krankheit zum Ausbruch bringen, die in mir steckt, und die jede Überanstrengung auf die Dauer nach sich zieht. Wir haben gerade ausgezeichnet gute Nachrichten aus Böhmen bekommen; unsere Truppen sind bis jetzt siegreich geblieben, selbst gegen numerisch stark überlegene östreichische Kräfte. Ich sehe in diesen ersten Erfolgen das Unterpfand der Hilfe Gottes, der uns einen guten Weg führen wird. Die hannoversche Armee hat heute Morgen die Waffen gestreckt. Die Stadt ist mit Fahnen geschmückt, und die Menschenmenge, die die Straßen füllt, hat mich wiederholt gezwungen, am Fenster zu erscheinen. Die Popularität bedrückt mich, ich bin sie nicht gewohnt, aber der Mensch schickt sich in alles. Haben Sie die Güte, mir Nachricht von Ihrer teuren Gesundheit zu geben, und verzeihen Sie Ihrem Onkel das Stocken des Briefwechsels – der Druck der Geschäfte ist daran schuld. Grüßen Sie Nikolai von mir! Wenn Sie eine so gute Nichte sind, daß Sie mir schreiben wollen, so adressieren Sie alles nach Berlin, es gehen jeden Tag Kuriere nach dem Hauptquartier. Meine Empfehlungen an Ihre Frau Mutter und tausend Grüße von meiner Frau, die Sie zu Ihrer Genesung beglückwünscht.

Ganz der Ihre v. Bismarck.

 

8

Berlin, 1. Mai 1867

Liebe Katharina.

Bei meiner Rückkehr von einer Reise in die Provinz habe ich das Telegramm vorgefunden, das Nikolai mir liebenswürdigerweise gesandt hat, und ich benutze den ersten freien Augenblick, den mir die Geschäfte und der Hof lassen, um Sie von ganzem Herzen zu beglückwünschen und um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich über Ihr Mutterglück freue, und auch darüber, daß Sie, wie ich mit Vergnügen höre, den Kleinen selber stillen können. Meine Frau hat dasselbe getan, zum Vorteil nicht nur ihrer Kinder. Ich höre, daß Alexis frühreife Veranlagungen zur Naschhaftigkeit und zum Zorne zeigt; das scheint mir unmöglich bei dem Kinde einer Mutter, deren unerschütterliche Kaltblütigkeit und deren Abneigung gegen Déjeuners ich kenne!

Wir haben Ihren Prinzen mit der ganzen üblichen Feierlichkeit verheiratet, Am 25. April wurde in Berlin Prinz Philipp von Flandern mit der Prinzessin von Hohenzollern vermählt. und König Leopold hat mir einen sehr sympathischen Eindruck gemacht, vielleicht weil er unsere erste Unterhaltung damit eröffnete, mit mir von Ihnen zu sprechen und das in Ausdrücken, die ein Echo in meinem Herzen fanden. Er hat mich eingeladen, ihn in Brüssel zu besuchen, und wenn ich die Möglichkeit habe, das auszunutzen, wird das Publikum ebenso in die Irre gehen wie bei dem Gerede, das mich jedesmal innerlich lachen macht, von meinen politischen Reisen nach Biarritz, wo ich doch niemals geblieben und wohin ich nie wieder zurückgekehrt wäre ohne meine liebenswürdige Nichte. Viele Leute sind so unglücklich, von der Existenz Cattys und der Möwenklippe nichts zu wissen; sie suchen am falschen Ort und glauben, es sei die Politik, die mich zweihundert Meilen hinter Paris führe. Sie kennen nicht einmal Gustav, diese politischen Maulaffen, und weder den Leuchtturm noch die Grotte.

 

6. Mai

Seitdem ich diese Zeilen in der Sitzung, in der ich Zeit dafür fand, auf das schlechte Papier des Landtags schrieb, hat mich der angeschwollene Strom der Geschäfte erfaßt. Erst heute finde ich etwas Ruhe, und in diesem Zustand gehört mein erster Gedanke meiner liebenswürdigen Nichte und meinem Großneffen Alexis. Ich glaube sicher, daß ich Sie diesen Sommer wiedersehen werde; wenn Gott will, daß wir Krieg bekommen, so wird er wenigstens nahe der belgischen Grenze beginnen, und ich werde Sie besuchen, um einen Augenblick die Wohltat der belgischen Neutralität zu genießen; wenn, wie ich es von ganzem Herzen wünsche, uns der Friede erhalten bleibt, so habe ich die Möglichkeit, den König zu begleiten, der bei der Rückfahrt von der Pariser Ausstellung oder auf der Hinreise den König von Belgien besuchen und einen oder zwei Tage in Brüssel verbringen wird.

Morgen in London Vom 7. bis 11. Mai 1867 tagte in London die europäische Konferenz, die mit der Neutralisierung des Großherzogtums Luxemburg endete und damit die von Bismarck (am Schluß des Briefes erwähnte) Friedensgarantie bot. wird man die Karten zu einem vielleicht gewagten Spiel mischen, denn wenn wir Krieg bekommen, wird uns gleich eine ganze Serie bevorstehen; wer das erste Mal unterliegt, wird nur die Zeit abwarten, bis er wieder Atem geschöpft hat, um von neuem zu beginnen, und das kann bis in Alexis' alte Tage hinein dauern. Wir werden nicht angreifen, denn wir haben Frankreich nichts zu mißgönnen, aber natürlich werden wir uns verteidigen, und ohne Vermessenheit glaube ich, daß wir es tapfer tun werden. Der Krieg wäre im Grunde lächerlich, ein Waffengang von Fechtmeistern, aber es gehören zwei dazu, um in Frieden zu leben. Die Rüstungen werden, wie im letzten Jahre, den Krieg unvermeidlich machen; bis jetzt haben wir noch keinen einzigen Mann und kein einziges Pferd in Bewegung gesetzt; aber da Frankreich nach seiner Farce im Moniteur seine Kriegsvorbereitungen nur verdoppelt hat, werden wir alles auf einmal nachholen müssen, falls uns die Konferenz nicht unverzüglich Friedensgarantien gibt.

Damit genug von Politik. Grüßen Sie Nicolai und Alexis von mir. Ich küsse Ihre schönen Hände.

Ganz der Ihre

v. Bismarck

 

9

Berlin, 11. Mai 1868

Meine liebste Nichte!

Sie sind außerordentlich liebenswürdig, mich nicht auszuschelten wegen meines Benehmens, das seine Entschuldigung nur in Umständen findet, die Sie nicht verpflichtet sind, ihrem eigentlichen Wert nach anzuerkennen. Nicht daß ich während der ganzen Zeit, in der Ihr Brief wegen Magnus Anton von Magnus, preuß. Legationssekretär, dann preuß. Gesandter in Mexiko. neben meinem Schreibzeug gelegen hat, keine Viertelstunde Zeit gefunden hätte, um Ihnen zu antworten; aber ich habe mit Magnus reden wollen, bevor ich Ihnen meine Meinung sagte, und ich war der Ansicht, daß ich Ihnen nach einem so langen Schweigen einen schönen langen Brief schuldig wäre, der den Gefühlen eines Onkels für die liebenswürdigste seiner Nichten einigermaßen entsprach. Diese Aufgabe, die ich mir einbildete, scheiterte an einem Zustande körperlicher und seelischer Ermüdung, der mir zu wenig gewohnt ist, als daß man ihn Faulheit nennen könnte. Ich bin › used up‹, ich verbringe zwölf Stunden im Bett ohne auszuruhen, und die Arbeit, die mich früher zeitweilig begeisterte, stößt mich ab, ebenso wie jede Körperübung. Ich hoffe, daß eine Zeit völliger Ruhe von drei oder vier Monaten mich im Sommer von diesen Anzeichen einer vorzeitigen Senilität wieder befreien wird, aber im Augenblick genügen die wenigen Stunden, die mein Gesundheitszustand mir zu arbeiten erlaubt, nicht für die dringendsten Angelegenheiten. Wegen meiner Kränklichkeit also bitte ich um Ihre Nachsicht. Ihre Cousine Oubril wird Ihnen gesagt haben, daß Sie, was Magnus anbetrifft, einem Bekehrten predigen. Ich habe immer eine gute Meinung von seiner Eignung für die Geschäfte gehabt, und er hat diese durch sein Verhalten in Mexiko noch übertroffen, wo er ebensoviel Takt und Hingabe gezeigt hat, als ich ihm Intelligenz zutraute. Es handelt sich bloß darum, die Wiederherstellung seiner Gesundheit abzuwarten, seine besondere Begabung zu erkennen, und einen freien Platz zur Verfügung zu haben. Im jetzigen Augenblick sind alle Lücken ausgefüllt, und dennoch würde ich gerne Ihrem Schützling eine Stelle anbieten, wo er seine ausgezeichneten Gaben verwenden könnte.

Was den Kammerdiener Ihres Herrn Vaters anbetrifft, so habe ich nach Empfang Ihres Briefes an die zuständigen Behörden geschrieben. Ich bin nicht zuständig für die Frage, und was auch immer mein Einfluß auf die große Politik dieses Landes sein mag, so fehlt mir doch jede unmittelbare Autorität in den kleinen Angelegenheiten der Verwaltung, und mein entschiedenster Wille würde nicht genügen, um den geringsten Rekruten vom Dienste zu befreien oder von der Verpflichtung, vor seinem Bezirkskommando zu erscheinen. Wenn es wahr ist, wie ich auf Grund Ihrer Angaben annehme, daß Ihr Schützling schon zweimal untersucht worden ist, derart, daß es sich also nur noch darum handeln würde, ihn der letzten der vom Gesetze für jeden vorgeschriebenen drei Untersuchungen zu unterziehn, so wird man, glaube ich, mir die Gefälligkeit erweisen, ihn davon zu befreien. Die offizielle Bezeichnung für seinen Zustand bezüglich der Aushebung würde in diesem Falle lauten: »Zweimal schwach gefunden«; um endgültig frei zu kommen, müßte er dreimal »schwach« befunden werden, d. h. seine Schwächlichkeit müßte bei drei Untersuchungen anerkannt werden, denen er sich innerhalb von drei oder fünf Jahren unterzogen hätte. Wenn das bei ihm der Fall ist, darf ich hoffen, daß die Behörden einwilligen, eine dritte Untersuchung durch einen deutschen Arzt in Frankreich zuzulassen. Wenn dagegen meine Annahmen irrig sind und er noch nicht zum ersten Male von der zustehenden Behörde untersucht worden ist, dann würde, bei allem Eifer, meiner liebenswürdigen Nichte zu dienen, meine Autorität nicht genügen, um eine Gefälligkeit zu erlangen, welche die Beamten, die sie mir erweisen würden, der Amtsenthebung aussetzen würde; sie wissen, daß unsere Gesetze ihnen gegenüber unerbittlich wären, trotz aller meiner Verwendung zu ihren Gunsten. Ich warte beständig auf die Antwort der Lokalbehörden, denen ich geschrieben habe.

Wie schon früher, sind es wieder einmal die parlamentarischen Verhandlungen, die mir Zeit zu diesem Briefe geben, der an Umfang alles übertrifft, was ich seit drei Monaten eigenhändig geschrieben habe; nur Sie allein können meine Feder so in Trab bringen, unter der Begleitmusik von mehr oder weniger geistreichen Reden und Zwischenrufen für oder gegen die Tabaksteuer. Es handelt sch um die Sitzungen des Deutschen Zollparlamentes, in denen über die Tabaksteuer verhandelt wurde. Bismarck war am 11. und 15. Mai 1868 zugegen.

 

15. Mai

Ich empfange soeben die Antwort von Nassau, die zu meinem großen Bedauern feststellt, daß meine obige Annahme falsch war und daß es erst die erste Untersuchung ist, der B. sich unterziehen soll. In diesem Falle ist es laut Gesetz unvermeidlich, daß er sich am 19. ds. vor der Ortsbehörde, die ihn aufgefordert hat zu erscheinen, vorstellt. Ich werde Sorge tragen, die Kommissare anzuweisen, daß sie Ihren Mann so schnell wie möglich erledigen, damit er nach einer Abwesenheit von 36 oder 48 Stunden an seinen Posten zurückkehren kann. Aber es ist unvermeidlich für jeden Preußen, daß er sich wenigstens einmal in seinem Leben – manche noch öfters – in all der Nacktheit, die uns sonst der Anstand mit Kleidern bedecken lehrt, vor der Behörde und dem Militärarzt seines Bezirkes zeige. Selbst ein Befehl des Königs könnte ihn davon nicht dispensiren, es wäre dafür nicht weniger nötig als ein besonderes Gesetz, das durch die beiden Kammern gegangen wäre. Das ist der Absolutismus der Gesetzlichkeit, dem gegenüber ich machtlos bin.

Übermitteln Sie Ihrem Herrn Vater mein aufrichtiges Bedauern wegen dieser unvorhergesehenen Schwierigkeit, die mich daran hindert, ihm einen Dienst zu erweisen. Es war in Ihren Briefen jedoch von »zwei Zeugnissen« die Rede; das hat mich irregeführt.

Ich küsse Ihre Hände und bitte Sie, Nikolai tausend Grüße auszurichten. Seien Sie davon überzeugt, daß mein Eifer, die Befehle Cattys auszuführen, in Berlin immer noch so brennend ist wie in der Leuchtturmsgrotte, daß es mir sehr schmerzlich ist, Sie im Falle von B. zu enttäuschen, und daß ich glücklich sein werde, Ihnen durch Taten zu beweisen, daß es nicht der gute Wille ist, der mir fehlt.

Ganz der Ihre

v. Bismarck.

 

10

Meaux, 18. September 1870

Meine liebe Nichte!

Inmitten des Lärms, der mich umgibt, und der Geschäfte, die mich überhäufen, hat es mir sehr viel Freude gemacht, Ihre Handschrift wiederzusehen und mich den Erinnerungen an die Vergangenheit zu überlassen, die sie in mir hervorruft. Ihr Brief war lange unterwegs, er hat mich erst hier erreicht, wo sich das Hauptquartier seit gestern befindet. Ich habe mich beeilt, die Befehle des Königs zu erbitten, die nötig sind, um die Ihren, die ich mit Vergnügen empfangen habe, auszuführen; denn wenn ich auch bei diesem Leben voll anhaltender Arbeit und recht ernster Erkrankungen, das ich seit einigen Jahren führe, ein schlechter Briefschreiber bin, so bleibt doch mein Eifer, meiner liebenswürdigen Nichte zu Diensten zu sein, immer derselbe. Der König hat soeben an die Armee des Kronprinzen, die in der Gegend von Fontainebleau verteilt ist, die Ordre geschickt, sich nach dem Inhalte des einliegenden Schreibens zu richten. Ich bin überzeugt, daß das genügen wird, um Ihre Frau Mutter unter den Schutz der militärischen Behörden zu stellen; aber jede Armee zieht eine Kette von Marodeuren hinter sich her, die die Wachsamkeit der Befehlshaber zu vereiteln und betrügerische Requisitionen zu machen suchen. Um Bellefontaine gegen das illegale Vorgehen dieser Nachzügler zu schützen, wird es zweckmäßig sein, sich im Namen Ihrer Frau Mutter an den ersten deutschen Offizier zu wenden, dessen Anwesenheit ihr gemeldet wird, und als Bewachung einen ›Armee-Gendarmen‹ zu erbitten, der in Bellefontaine einquartiert würde. Das ist die Militärpolizei, die die Plünderer und Marodeure ohne Gerichtsverhandlung hängen läßt. Der Befehl, eine Schutzwache zu stellen, wird also unsern Militärbehörden auf zwei Wegen zugehen, durch S. K. H. den Kronprinzen und durch Ihre schönen Hände, wenn Sie das beigelegte Schreiben nach Bellefontaine gelangen lassen; aber ich glaube, es wäre gut, es durch einen besonderen Boten zu senden, denn in solcher Nähe von Paris werden die Briefe geöffnet, und man würde das Schreiben, das meine Unterschrift trägt, unterdrücken, ja, man würde Bellefontaine plündern, um zu sagen, die Preußen hätten es getan. Dieser Krieg hat uns gelehrt, was es mit der französischen Zivilisation auf sich hat!

Wir sind meiner Ansicht nach weit vom Frieden entfernt, denn mit wem soll man ihn abschließen? Wir bereiten uns darauf vor, einige Jahre in Frankreich zu verbringen, bevor es zu dem kommt, was man einen Frieden nennen, was aber nur ein Waffenstillstand sein wird; denn was auch die Bedingungen wären, selbst wenn wir ihnen ihre Unkosten doppelt und dreifach zurückzahlten, so würden sie uns niemals verzeihen, daß wir uns so gut gegen ihren sinnlosen Angriff verteidigt haben. Wir wären schön dumm, wenn wir abzögen, ohne den Schlüssel oder die Schlüssel von unserem Tor, d. h. Straßburg und Metz, mitzunehmen; denn sobald sie wieder Atem geschöpft oder Verbündete gefunden haben, werden sie das Lanzenstechen wieder aufnehmen, zum zwanzigstenmal ungefähr seit zwei Jahrhunderten.

Verzeihen Sie diese politischen Bemerkungen und dieses kaum lesbare Gekritzel, aber der Kurier drängt, und einmal in Unterhaltung mit Ihnen begriffen, fällt es mir sehr schwer, ein Ende zu finden. Indem ich Ihre Hände küsse, bitte ich Sie, die Unregelmäßigkeit meiner Korrespondenz zu verzeihen, ich war Ihnen Antwort auf einen Ihrer Briefe schuldig, ich hatte sie in der Sache schon gegeben, indem ich Ihre Befehle ausführte, aber ich hätte es Ihnen mitteilen sollen.

Also, › pa-don‹, und halten Sie mich weiterhin für den ergebensten und unterwürfigsten Onkel von all denen, die Ihnen die Natur oder die Adoption geschenkt haben. Ganz der Ihrige

v. Bismarck.

 

Diesem Brief war folgendes Schreiben beigefügt:

Auf Befehl Sr. Majestät des Königs ersuche ich die Herren Befehlshaber deutscher Truppen, welche in die Nähe des bei Fontainebleau belegenen, von der Frau Fürstin Troubetzkoi, einer russischen Unterthanin, bewohnten Schlosses Bellefontaine kommen, dieses Schloß mit Einquartierung und Requisition gefälligst verschonen und nach Bedürfnis mit einem Armee-Gensdarm behufs Beschützung belegen zu wollen.

???Meaux, den 18. September 1870

Der Kanzler des Norddeutschen Bundes

v. Bismarck

 

Die folgenden beiden Schriftstücke, an den Fürsten Orloff gesandt, beziehen sich gleicherweise auf den Schutz des Schlosses Bellefontaine im Jahre 1870.

Ferrières, den 23. September 1870.

Seiner Exzellenz dem Herrn von Balan, in Brüssel.

Nachdem ich vermittelst Immediatberichts vom 17. d. M. den Wunsch des Kaiserlich Russischen Botschafters, Fürsten Orloff, daß das seiner Schwiegermutter, der Fürstin Troubetzkoi gehörige bei Fontainebleau gelegene Schloß Bellefontaine von Einquartierung und Requisitionen freigehalten werden möge, Seiner Majestät dem Könige vorgetragen, ist mir das abschriftlich beiliegende Schreiben des General-Adjutanten, General-Lieutenants von Treskow vom 21. d. M. zugegangen, wonach den betreffenden Militär-Behörden auf Allerhöchsten Befehl die erforderlichen Weisungen ertheilt worden sind.

Eure Exzellenz ersuche ich ergebenst, den Fürsten Orloff gefälligst hiervon zu benachrichtigen und das beiliegende Schreiben zu seiner Kenntniß zu bringen.

v. Bismarck.

Abschrift.

H. Q. Schloß Ferrières, den 21. September 1870.

Seine Majestät der König haben auf Ew. Exzellenz Immediatbericht vom 17. d. M. betreffend die Freihaltung des Schlosses Bellefontaine mit dem dazu gehörigen Parke von Einquartierung und etwaigen Requisitionen zu bestimmen geruht, daß zur Erfüllung des bezüglichen Wunsches sofort die nöthigen Befehle zu ertheilen seien. In Folge dessen ist dem Ober Commando der III. Armee von diesem Allerhöchsten Befehle Kenntniß gegeben und Seitens desselben das Weitere veranlaßt worden.

Euer Exzellenz beehre ich mich hiervon gehorsamst zu benachrichtigen.

gez. v. Treskow.

 

An
den Königlichen Minister Präsidenten
Herrn Grafen von Bismarck,
Excellenz.

 

11

Berlin, 2. Juni [1871]

Liebe Katharina!

Inmitten einer Reichstagsverhandlung habe ich nur einen Augenblick Zeit, um Ihnen die Beilage Diese Beilage ist verlorengegangen. und die Versicherung meiner unveränderlichen Anhänglichkeit zu senden. Tausend Grüße an Nikolai. Ihr armer Onkel hat arg Heimweh nach den glücklichen Stunden von Biarritz und dem sorglosen Leben, das wir dort führen durften und das so weit entfernt ist von dieser lärmenden Existenz, deren Mühsale mich heute bedrängen. Ich wage es nicht mehr, an jenen Strand zurückzukehren, Gustav und Edmund würden mich ertränken. Ich bitte Sie, mich Madame de Tonnerre in Erinnerung zu bringen, wenn sie noch nicht abgereist ist.

Ganz der Ihre, meine liebe Nichte,

v. Bismarck

 

12

Berlin, 10. November 1871

Meine liebe Nichte!

Ihr liebenswürdiger Brief hat mir zunächst Sehnsucht nach Biarritz und nach der Freiheit, nach vergangenen Zeiten, geweckt. Wenn ich zum Reichstag gehe oder Fragen, die mich nur mäßig interessieren, mit Menschen bespreche, die mich gar nicht interessieren, so denke ich, auf die Gefahr hin, mich gewagten Ablenkungen hinzugeben, an das Leben, das wir wie einst an jenem Strande führen könnten, den mir die Erinnerungen an die Vergangenheit teuer machen. Wenn Sie die Zeitung lesen, wird es Ihnen ebensoviel Spaß machen wie mir, daß man meinem Aufenthalt in Biarritz andauernd politische Bedeutung beilegt: »warum wäre Herr v. B. hierher gekommen, wenn er Napoleon nichts zu sagen gehabt hätte?« Sie wissen wohl, daß die Politik, so sehr sie sich andererorts überall einschleicht, mir in der Leuchtturmsgrotte und auf der Möwenklippe völlig aus dem Sinn gekommen war. Erst im Jahre 1865 bin ich dem Kaiser in B. begegnet, und da hat auch er sich beständig geweigert, die frische Meeresbrise mit Politik zu infizieren.

 

25. Dezember

Soweit bin ich mit der Absicht, Ihnen zu schreiben, vor sechs oder sieben Wochen gekommen, und ich setze nun meinen Brief am ersten Tage fort, wo ich die Bekanntschaft mit meinem Tintenfaß wieder aufnehme. Ich habe das Schreiben fast verlernt. Inzwischen ist meine arme Frau so krank geworden, daß ich mich während der ersten Wochen ernstlich beunruhigte; sie muß noch das Zimmer hüten; als es ihr gerade am schlechtesten ging, erlag ihr Vater seinen 82 Jahren und einer dazu tretenden Krankheit. Ich konnte meiner Frau diesen Verlust nicht verheimlichen, da ich mich ja zur Beerdigung begeben mußte, und diese unerwartete Nachricht hat sie in solche Verzweiflung gestürzt, daß wir durch sehr ernste Sorgen hindurchgegangen sind. Bei der Beerdigung meines Schwiegervaters habe ich mich erkältet und kam nach Pommern mit einer Nervengrippe zurück, die mich für drei Wochen ans Bett gefesselt hat und noch heute ans Zimmer. Meine Frau und ich hatten die absonderliche Beschäftigung, uns gegenseitig zu pflegen, indem jeder abwechselnd die Rolle des Kranken und des Wärters spielte, je nachdem er sich gerade in der Rekonvaleszenz befand oder einen Rückfall hatte. Das ist sehr tugendhaft, aber nicht sehr amüsant. Gegen das herannahende Alter ist kein Kraut gewachsen, und ich fühle ohne Freude, aber auch ohne Bitterkeit, wie mein Gestell physisch und seelisch allmählich in Unordnung gerät. Ich bin müde, und während ich noch mit dem Leben dieser Welt verknüpft bin, fange ich an, den Reiz der beschaulichen Ruhe zu schätzen. Ich würde am liebsten von der Bühne in eine Zuschauerloge abtreten. Ich werde aber schwerlich die Genehmigung dazu erhalten, selbst wenn ich das Publikum, das ich manchmal mit Erfolg unterhalten habe, zum Gähnen brächte. Der König ist zu alt, um in eine Veränderung einzuwilligen, die er für Eigensinn halten würde, wenn kein unabweisbarer Grund vorläge. So wird es mir also verwehrt bleiben, mich vom Dienste meines alten Herrn zurückzuziehn, dem es gottlob vortrefflich geht. Er hat mir eine sehr schöne Besitzung geschenkt, die ganz nach meinem Geschmack ist, einen schönen Wald, weit ausgedehnt, reich an Wild und nur eine halbe Eisenbahnstunde von Hamburg entfernt, ein Asyl, das ich verurteilt bin, mit den Augen des Tantalus zu betrachten. Ich bitte Sie sehr um Verzeihung, liebe Catty, wegen dieser krankhaften Betrachtungen; ich schiebe sie beiseite, um Ihnen zu erzählen, daß ich die Freude hatte, Nikolai zu sehen, der in bester Gesundheit nach St. Petersburg abgereist ist und Sie telegraphisch von seiner Ankunft benachrichtigt haben wird. Ich habe mir mit dem allergrößten Anteil von Ihren Kindern erzählen lassen, von den Schmerzen, durch die Gott Ihr Mutterherz geprüft hat, und von der glücklichen Entwicklung Ihres Sohnes, meines Großneffen. Ich bitte Sie zu glauben, daß Sie unter Ihren alten Freunden keinen sichereren und ergebeneren haben als

den Onkel von Biarritz und vom Pic du Midi

v. Bismarck.

 

13

Berlin, 22. April 1873

Meine liebe Nichte!

Ihr liebenswürdiger Brief war durch das Datum seiner Ankunft eine der angenehmsten Überraschungen, die mir die Mitglieder meiner Familie, zu der ich die Ehre habe, auch die liebenswürdigste aller Nichten zu rechnen, an meinem Geburtstage bereitet haben. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, und während ich Ihren Brief nochmals lese, überkommt mich die mit Trauer gemischte Freude, wie sie die Erinnerung vergangener Zeiten im Einerlei des Alltags in uns erregt. Es ging uns so gut unter der Sonne von Biarritz, und es geht mir hier so schlecht, daß ich unter dem eisigen Hauch unsres Frühlingswindes mit den Zähnen klappere. Ich habe vergessen, mir im Frankfurter Frieden das Recht auszubedingen, daß ich nach Biarritz zurückkehren darf, ohne von unsern Freunden, den Bademeistern, ertränkt zu werden, und für unsern Waisenknaben dort unten Schutzmaßnahmen gegen den Haß, den ihm mein Name zuzieht. Ich bin gern bereit, alles für ihn zu tun, was Sie nützlich und ausführbar finden. Was die pekuniäre Hilfe anbelangt, so werde ich sie in Ihre wohltätigen Hände legen, da Sie sich einmal damit beladen wollen, und ich bitte Sie nur, mir die Summe anzugeben, die Ihnen ungefähr angezeigt scheint, da ich darüber ganz im Ungewissen bin. Von dem, was sonst noch für die Zukunft des armen Kindes Ernstliches geschehen kann, habe ich keine Vorstellung; denn ich weiß nicht, welche Hilfsmittel und Einrichtungen es in Frankreich gibt, um einen Waisenknaben auf seinen späteren Broterwerb vorzubereiten. Wir haben unter verschiedenen Namen Einrichtungen, die sich mit der Erziehung solcher Kinder befassen, aber unsre Gesetze gestatten es nicht, ein Kind fremder Staatsangehörigkeit dort unterzubringen, das weder einen Wohnort noch eine Gemeinde hat, die es aufnehmen würde. Auch schafft die Unkenntnis der Sprache eine weitere Schwierigkeit; ebenso werden die französischen Gesetze die Auswanderung eines Kindes verbieten. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie mich darüber beraten wollten, was man in Frankreich tun könnte, und inzwischen dieses Werk der Nächstenliebe zusammen mit Ihrem Onkel als gute Nichte und Patin fortsetzen wollten.

Ich habe nur sehr schwer an mein Tintenfaß kommen können, um Ihnen diese Zeilen zu schreiben. Geschäfte, Reisen, körperliches und seelisches Mißbehagen und Hof-Feste, wo man meine Person als dekoratives Element mißbraucht! Im Augenblick werden rings um mich meine Koffer gepackt, und in ein paar Stunden werde ich nach St. Petersburg unterwegs sein. Es ist mir politisch unmöglich, den König auf dieser Reise nicht zu begleiten, und es wird mich freuen, einige alte Freunde wiederzusehen; aber mein Gesundheitszustand ist so, daß ich die Wirkung dieses plötzlichen Temperaturwechsels ernstlich fürchte. Die Newa ist noch zugefroren, und das Thermometer wechselt zwischen 2 und 12 Grad Kälte. Das sind gute Aussichten für die Entwicklung meines Rheumatismus.

Ich bitte Sie, Nikolai von mir alles Gute auszurichten und mir seine Freundschaft und die Ihre zu bewahren. Ich verdiene sie durch die Ergebenheit, mit der ich an Ihnen hänge.

v. Bismarck.

 

14

Berlin, 10. Februar 1875

Lieber Freund!

Ich danke Ihnen für die guten Worte, die Sie mir geschrieben haben und die ich mit großer Genugtuung gelesen habe. Ich habe niemals an Ihrer Freundschaft gezweifelt, freue mich aber doch, ihren Ausdruck zu empfangen. Auf meinem Wege, der mir mehr durch eine höhere Gewalt als durch meinen eignen Willen vorgezeichnet wurde, ist es mir nicht beschieden gewesen, mir alle die Freundschaften zu erhalten, auf die ich gerne zählen würde, und in meinem Alter schließt man keine neuen mehr. Wir sehen uns zu meinem Bedauern nur sehr selten, aber es ist immer ein Glück zu wissen, daß man irgendwo einen Freund hat, und die Erinnerung an eine glückliche Vergangenheit ohne die Bitterkeit zu bewahren, die der Abbruch alter Vertrautheit ihr beimischen könnte. Ich hatte viele Freunde, bevor ich Minister wurde, und wenig Feinde, selbst unter meinen Gegnern; ist das heute umgekehrte Verhältnis eine Folge meines Charakters, oder das natürliche Ergebnis einer Ministerlaufbahn, die über die durchschnittliche Dauer hinausreicht? Früher war ich jedenfalls kein schlechter Kamerad, man stellte mir eher das Zeugnis aus, daß leicht mit mir auszukommen sei. Auch kann ich mich unter all den Ministern, die über zehn Jahre im Amte waren – so wenig Mühe sie sich auch gegeben haben, ihre Pflicht zu tun –, keines einzigen erinnern, der am Ende seiner Laufbahn Freunde gehabt hätte; ich kann sogar sagen, daß, wer nicht tot oder abgedankt ist, sich mehr oder weniger allgemein verabscheut sieht. Selbst die Herrscher sind von diesem Schicksal nicht ausgenommen, wenigstens in Deutschland nicht; sie sind jedoch imstande, das Gute, wirklich oder scheinbar, selber zu tun und das Böse ihre Minister tun zu lassen. Die sechs Herrscher, die in Preußen meinem Herrn vorausgegangen sind, waren zum Teil große Männer und auch die andern ragten höher und waren besseren Willens als die meisten Könige. Keiner von ihnen aber hat einen Freund zurückgelassen, keiner sogar, dessen Tod nicht von den Zeitgenossen eher als Erleichterung denn als Verlust empfunden wurde. Und dabei lieben wir unsere Dynastie, wir sind unseren Königen mit dem Herzen verbunden. Wie könnte also ein armer Minister dieser Kälte entgehen, diesem Haß, den die Macht denen einträgt, die sie ausüben?

Verzeihen Sie mir diesen melancholischen Erguß; er beweist Ihnen, wie fest ich an den Freunden halte, die mir bleiben, und wie dankbar ich für die Freundschaft bin, die Sie mir bewahren. Ich bin seit sechs Wochen recht krank, liege 15-20 Stunden zu Bett und leide an Neuralgie und Rheumatismus. Ich hoffe, Katharina wird ihre alte gute Gesundheit wiedergewinnen, und bitte Sie, ihr meine Anhänglichkeit und meine aufrichtigen Wünsche für ihre Gesundheit auszurichten. Meiner Frau geht es diesen Winter gut, und sie langweilt sich auf allen Bällen, wo meine Tochter tanzt. Beide danken Ihnen für Ihr freundliches Gedenken.

Betrachten Sie mich stets und in jeder Lage als Ihren Freund

v. Bismarck

 

15

Berlin, 4. Januar 1876

Ich danke Ihnen von Herzen, lieber Freund, daß Sie beim Jahresbeginn an mich gedacht haben, und ich erwidere aufrichtig die Wünsche, die Sie mir senden. Das Jahr 75 ist uns beiden nicht gnädig gewesen; Ihr Verlust ist der schwerste und schmerzlichste, den ein Mann erleiden kann. Der Verlust der Gefährtin, mit der man den besten Teil des Lebens verbracht hat, schlägt jedem rechten Herzen eine Wunde, die sich nicht mehr schließt; doch der Verlust einer Frau wie Katharina ist das Erlöschen eines Sonnenstrahls, an dem Gott einen teilnehmen ließ und der alle erfreute und belebte, die das Glück seiner Berührung empfingen. Die Erinnerung an die Zeit, da ich diesen Zauber erfuhr, hat mich durch die Aufregungen und Widrigkeiten der Politik begleitet wie der letzte Widerschein eines schönen Tages, der nicht mehr ist. Es ist ganz natürlich, daß Sie um sich eine Leere fühlen, die allein die christliche Ergebung erträglich machen, wenn auch nicht ausfüllen kann.

Mein Kummer ist mit dem Ihren nicht zu vergleichen. Ich leide, da ich meine Tochter leiden sehe Bismarcks Tochter Marie hatte ihren Verlobten, Grafen Wend von Eulenburg, durch den Tod verloren. und die Wirkung beobachte, die ihr Unglück auf die Gesundheit meiner Frau hat, die sichtlich davon angegriffen ist. Ein Mädchen, das vor der Heirat Witwe wird, erholt sich schwerer davon als eine Frau; sie hat nichts zu tun, als über ihrem Unglück zu brüten. Er war ein hervorragender junger Mensch, der, auch ohne der Schwiegersohn eines Ministers zu sein, eine glänzende Karriere gemacht haben würde. Sie haben sich ohne mein Wissen seit langem geliebt, sie hätten es mir früher sagen sollen. Meine Tochter hat ein Glück von vier Wochen mit zwei Monaten voller Ängste und einer Trauer büßen müssen, deren Tiefe nur von der Zeit Heilung hoffen läßt.

Ich selbst bin während der zwölf Monate des Jahres krank gewesen, besonders in Varzin, wo ich weder jagen noch reiten konnte, weder arbeiten noch sogar gehen; ich habe den größten Teil des Sommers im Bett verbracht. Ich konnte nicht den Mut finden, meinem alten Herrn das Opfer der letzten Kräfte, die mir bleiben, zu verweigern, solange der König nicht aus eigenem Willen darauf verzichtet; die physische Unmöglichkeit jedoch wird mich in kurzer Zeit erledigen. Meine Ärzte drohen mir seit einem Jahr mit Todesstrafe, wenn ich mich nicht vollkommen von den Geschäften zurückziehe, und ich selbst dürste nach Ruhe und habe unwiderstehliches Verlangen nach einer Existenz, die mir erlaubt, den Rest meines Lebens in stiller Zurückgezogenheit zu verbringen. Die körperliche und geistige Ermattung lähmt mich, ich würde dem Überdruß am Leben, wenigstens an der Politik, nachgeben, wenn das nicht gegen den Willen Gottes murren hieße, der mir vielleicht die Pflicht auferlegt, in den Sielen zu sterben, die mich drücken; denn er verschafft mir keine anständige Gelegenheit abzutreten. Das Leben, das ich seit einem Jahre führe, ist jedoch für einen Staatsdiener unmöglich. Ich schlafe nur am Tage, von 8 bis mittags oder bis 1 Uhr; wo soll ich da die Zeit zum Arbeiten hernehmen, besonders zusammen mit andern? Seit langem empfange und mache ich keine Besuche mehr, schreibe und beantworte keine Briefe; ich gehe nicht zu Hof, ich lasse es an Höflichkeit gegen alle Welt fehlen, eine Tatsache, die die Zahl meiner Feinde unheimlich vermehrt, über das Maß hinaus, das sich aus der Politik und aus der Erfüllung der Pflichten gegen mein Land von selber ergibt.

Vergeben Sie mir diesen Erguß, mein lieber Nikolai, das passiert mir selten. Ich habe das Bedürfnis, Ihnen zu sagen, daß ich mich unglücklich fühle, während ich gleichzeitig Gott bitte, mich nicht dafür zu bestrafen; denn seine Güte hat mir meine Frau und meine Kinder gelassen, die Ihnen für Ihre guten Worte danken, ich aber umarme Sie als ergebener Freund.

v. Bismarck

 

16

Kissingen, 19. August 1879

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, mein lieber Freund, daß Sie bei Ihrer Durchreise durch Berlin an mich gedacht und das Andenken an sie, die Ihnen das Teuerste war, mit dem Gedanken an mich verbunden haben. In den Augenblicken der Muße, die mir der unaufhörliche Wirbel der Geschäfte läßt, rufe auch ich mir mit Vorliebe die Orte ins Gedächtnis zurück, wo ich das Glück hatte, mit Ihnen und mit Katharina das heitere und glückliche Leben einer Zeit zu leben, wo ich noch nichts mit den Parlamenten und wenig mit den Souveränen zu tun hatte. Unser Aufenthalt in Biarritz, unsre Ausflüge durch die Pyrenäen sind die letzten leuchtenden Punkte meiner verlornen Unabhängigkeit, die ich beim Zurückschauen über siebzehn Jahre ministerieller Sklaverei erblicke. Der Zauber und der Schmerz dieser rückwärts gewandten Blicke liegt in der Erinnerung an Katharina, die mir unauslöschlich bleiben wird, bis zu der Stunde, wo ich ihr in das Land folgen werde, aus dem es keine Rückkehr gibt.

Sie würden mir eine sehr große Freude machen, lieber Nikolai, wenn Sie mir bei der Durchreise durch Deutschland auf der Rückkehr nach Paris einen Augenblick des Wiedersehens schenken könnten; ich wäre sehr glücklich, mit Ihnen nach so viel Jahren und Ereignissen plaudern zu können. Wir werden über Politik sprechen, wenn Sie wollen, oder über Freundschaft und das Andenken Katharinas, wenn die Politik Sie abstößt. Die hier gewünschte Begegnung hat tatsächlich stattgefunden. Fürst Orloff hat dem Kaiser Alexander II. darüber in zwei Schreiben Bericht erstattet, die sich im Archiv des Herausgebers befinden und im Anhang abgedruckt sind. Ich erwarte mit Ungeduld den Augenblick, wo es mir erlaubt sein wird, ins Privatleben zurückzukehren und die kurze Zeit, die mir noch bleibt, meiner Familie, meinen Freunden und meinen Gütern zu widmen, die unter meiner Abwesenheit leiden; aber nach dem Verbrechen, dessen Opfer mein alter Herr wurde, Attentat Nobilings vom 2. Juni 1878. kann ich ihn nicht gegen seinen Willen im Stich lassen. Im März wird er 83 Jahre alt!

Nichtsdestoweniger hätte ich große Lust, mit Ihnen zu plaudern, besonders über die Beziehungen unserer beiden Länder, die zu trüben so viele Leute am Werke sind, deren Pflicht es wäre, sie zu pflegen. Ich glaube, daß es unter den Staatsmännern Europas außerhalb Ihrer Grenzen keinen gibt, der russischer denkt als ich, obwohl Fürst Gortschakoff mir die Ausführung meiner guten Absichten nicht erleichtert hat; meine Anhänglichkeit an den Kaiser Alexander hat darunter nicht gelitten. Auch auf dem Kongreß von 78 ist kein russischer Vorschlag gemacht worden, den ich nicht unterstützt und, auch in den wichtigsten Fragen, durchgesetzt hätte, allein durch meinen Einfluß und meine Anstrengungen, ohne die geringste Mitarbeit von Gortschakoff. Ich weiß also nicht, warum man in Rußland gegen mich die Meute der ministeriellen Presse losläßt. Wenn man es satt hat, einen sicheren und starken Bundesgenossen zu besitzen, so ist die Arbeit, ihn loszuwerden, nicht schwer; aber warum? Ich verstehe nichts von Ihrer Politik, vielleicht könnten Sie mir das Stichwort geben.

Ich reise morgen nach Gastein ab und werde dort bis Mitte September bleiben. Wenn Sie während dieser Zeit durch Berlin kommen, habe ich Pech; wenn Sie später reisen, finden Sie mich in Berlin oder nahe bei Berlin, und ich verspreche Ihnen, nicht ein Wörtchen von Politik zu reden, wenn Ihnen das nicht paßt. Ich werde Ihnen dann nur noch ausführlicher sagen, daß ich immer und mit ganzem Herzen verbleibe

Ihr Freund

v. Bismarck

Entschuldigen Sie meine Schrift, ich habe seit fünf Jahren eine Schußwunde am Handgelenke, Kullmanns Attentat in Kissingen. welche mich beim Schreiben hindert.

 

17

Zwei undatierte Blätter:

Donnerstag [25. September 1879] Zur Datierung siehe Frhr. Lucius von Ballhausen, Bismarck-Erinnerungen S. 176.

Könnten Sie, lieber Nikolai, mich für einen Augenblick zum Plaudern aufsuchen?

Ganz der Ihre v. Bismarck

Ich stehe bis um 2 Uhr zu Ihrer Verfügung, und wenn das zu früh ist, nach 3 Uhr.

Samstag [27. September 1879]

Ich danke Ihnen, mein lieber Freund, daß Sie gekommen sind. Ich bin morgen von 1 bis 5 Uhr zu Hause und zu Ihrer Verfügung. Ich werde mich freuen. Sie zu der Zeit, die Ihnen paßt, zu sehen. Wenn Sie meiner Frau das Vergnügen machen wollen, mit uns zu essen, dann um 5 Uhr. Sie werden dabei Herrn von Saburoff Russischer Botschafter in Berlin. treffen. Auf alle Fälle im Straßenanzug.

Ganz der Ihre v. Bismarck

Anhang


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