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Noch einmal Biarritz

Die Quellenachweise der Zitate [Zahl] befinden sich am Ende des Kapitels. Re. Für Gutenberg

Am 28. Oktober 1862 kommt Bismarck wiederum nach Paris, diesmal nur für ein paar Tage zu einer Abschiedsaudienz bei Napoleon III. und der Kaiserin Eugenie. Die Orloffs sind aus Italien zurück und wieder in Bellefontaine, wo Bismarck sie am 30. Oktober besucht. »Gestern in Bellefontaine mit Kathi sehr lieb und nett in Reiseerinnerungen geschwärmt«, [1] berichtet er an Johanna. Er hat Katharina ein paar kleine Geschenke mitgebracht, Noten und Photographien von einigen Lieblingsplätzchen in Biarritz, von »Cattys Nest« und dem Zollwächterhäuschen. Doch die Gegenwart der Trubetzkois stört ein wenig, die drei fühlen sich nicht so frei und sorglos wie in Biarritz. Daher schickt ihm Katharina, nachdem er wieder nach Paris abgereist ist, noch am selben Abend ein Briefchen nach, um ihm für seinen Besuch zu danken:

»Ich möchte Ihnen heute noch ein paar Worte schreiben, um Ihnen zu sagen, wie gerührt und dankbar ich bin, daß Sie daran gedacht haben zu kommen, trotz der vielen Geschäfte, die augenblicklich auf Sie warten. Die folgenden drei Sätze sind im Original deutsch. Es ist sehr, sehr liebenswürdig, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich gefreut habe. Sie wiederzusehen, lieber und guter Freund. Wann sehe ich Sie jetzt wieder? Ich bitte, besuchen Sie uns in Brüssel, wir werden so glücklich sein, Sie bei uns zu sehen! Vielen Dank für die Noten, sie haben mir große Freude gemacht, wenn Sie nach Brüssel kommen, werde ich alle Ihre Lieder für Sie spielen und alles, was Sie von Beethoven hören wollen, alles, was ich auf dem schlechten Klavier von Biarritz geradebrecht habe ... Nikolai hat mich beauftragt. Ihnen zu sagen, daß er Sonntag um 5 Uhr in der Gesandtschaft sein wird, um mit Ihnen zu dinieren, wo Sie wollen. Ich möchte so gerne dabei sein! Auf Wiedersehen, mein lieber Onkel, ich hoffe auf bald. ... Wenn Sie auch in mir die tolle Catty von Biarritz nicht wiedergefunden haben, so hoffe ich doch, daß Sie nicht aufhören, an meine herzlichen Gefühle zu glauben. Ihre Nichte Catty.«

Wahrscheinlich ist es ihr schließlich doch geglückt, bei diesem Diner, das Bismarck in Paris gibt, mit dabei zu sein, denn am 2. November schreibt dieser an Johanna: »Ich erwarte Orloffs heut in der Stadt, um mit ihnen zu essen.« [2] Die Audienz in Saint-Cloud, wo Bismarck sein Abberufungsschreiben präsentiert, findet am 1. November statt, und am 3., am Tage nach dem Diner mit den Orloffs, reist er wieder nach Berlin zurück. – Nun hat seine Freiheit ein Ende, er wird vom Wirbel der Ereignisse ergriffen. Er hat keine Minute mehr für sich selbst, und seine Frau bekommt ihn kaum noch zu sehen. »Diesen Schwirr«, klagt sie, »von früh bis spät jeden und jeden Tag vertrage ich kaum ... Man sieht ihn nie und nie – morgens beim Frühstück fünf Minuten während Zeitungsdurchfliegens – also ganz stumme Szene. Darauf verschwindet er in sein Kabinett, nachher zum König, Ministerrat, Kammerscheusal – bis gegen fünf Uhr, wo er gewöhnlich bei irgend einem Diplomaten speist, bis gegen acht Uhr, wo er nur en passant Guten Abend sagt, sich wieder in seine gräßlichen Schreibereien vertieft, bis er um halb zehn zu irgend einer Soiree gerufen wird, nach welcher er wieder arbeitet bis gegen ein Uhr und dann natürlich schlecht schläft. Und so geht's Tag für Tag!« [3] Aber inmitten all der Arbeit, die sich immer mehr anhäuft, findet Bismarck doch noch Zeit, der »Nichte« von Biarritz zu schreiben, die er nicht vergißt. Leider ist uns aus dem Jahre 1862 keiner seiner Briefe an Katharina Orloff erhalten, aber wir haben ihre Antworten; so schreibt sie ihm am 13. November: »Mein liebster Onkel, wenn ich Ihnen noch nicht geantwortet habe, so kommt das nur daher, daß es mir an Zeit gefehlt hat ... Ich denke jetzt an Biarritz und an die Pyrenäen wie an einen ganz fernen Traum, der nie Wirklichkeit gewesen ist. Die heitere Stimmung der vergangenen Zeiten ist auch vorbei. ... Es ist mir, als hätte es diese sorglose Zeit voll heiterer Torheit niemals gegeben! Und Sie, wie geht es Ihnen in Ihrem neuen Leben als gewichtiger ›Pleniplo‹? ... Ich drücke Ihnen die Hände und erwarte Sie immer in Brüssel, vergessen Sie nicht, daß wir auf das Versprechen dieses Besuches bauen.«

Gegen Ende November muß Fürst Orloff nach St. Petersburg reisen, und auf dem Wege besucht er Bismarck in Berlin. Die Fürstin Orloff schreibt in diesen Tagen an ihren Mann: »Heute bist Du mit dem guten Onkel zusammen, und Ihr diskutiert über die Geschicke des Erdballs und bedauert von Zeit zu Zeit, daß Catty nicht dabei ist!« Dann schreibt Bismarck an Katharina, um ihr Nachrichten von ihrem Gatten zu geben, und eines Abends in Paris, als sie von einem Konzert zurückkommt, wartet dieser Brief auf sie. Unter dem Einfluß der Musik, die ihr noch in den Ohren klingt und der Erinnerungen, die Bismarcks Brief wachruft, findet sie keinen Schlaf und schreibt dem »Onkel« folgende Zeilen:

»Paris, 1 Uhr nachts. Das ganze Haus schläft, aber ich bin so wach, daß ich jetzt gleich auf Ihren lieben guten Brief vom 29. November, in dem Sie mir Nachricht von Nikolai bringen, antworten will. ... Ihre Zeilen haben mich soeben angenehm überrascht, gerade nachdem ich einige Quartette von Mendelssohn und von Beethoven gehört hatte (ein Eindruck, der mich bis zu dieser späten Stunde wachgehalten hat). Sagen Sie mir nur, warum Sie mir Ihre Briefe stets durch die Vermittlung der preußischen Gesandtschaft schicken, ich bekomme sie immer mit dem Dekorum, das einer politischen Depesche zukommt, und Reuß Heinrich, Prinz von Reuß, preußischer Legationssekretär in Paris und späterer Gesandter. wird glauben, daß wir ein Komplott miteinander schmieden, um Preußen und Rußland in Gefahr zu bringen. Es ist echt ›Pleniplo‹, geheimnisvolle offizielle Wege zu benützen, statt sich einfach der freundlichen Post zu bedienen! Ich mußte ein bißchen lachen darüber, ich gestehe es Ihnen. ... Aber das macht nichts. Ihr Brief ist sehr gut und lieb, und ich danke Ihnen vielmals. Nein, ich habe die zauberhaften Wochen, die wir in Biarritz verbracht haben, nicht vergessen und niemals werde ich diese Zeit voll Torheit, Frohsinn und Poesie inmitten einer entzückenden Natur vergessen! Ich sehne mich auch sehr oft nach Seeluft und Heide, deutsch. oft schließe ich die Augen, um mir unsere Grotte, die Klippe und den durchbrochenen Felsen, alle die schönen, entzückenden Winkel wieder vorzustellen!

Vielleicht schenkt uns der liebe Gott die Gnade, im nächsten Sommer das alles noch einmal zu erleben, doch ich zweifle daran; so wie eine Rose nicht zweimal blüht, so ist es auch selten, daß eine solch holde, sorglose Zeit sich wiederholt. Aber ich bewahre die schönen Erinnerungen, die wachzurufen mich immer beglücken wird ... Adieu, lieber Onkel ... Gute Nacht, leben Sie wohl ... Ich drücke Ihnen von Herzen die Hände. Wir haben übrigens einen Patensohn: Lafleurs Frau ist niedergekommen!«

Die Erinnerung an die magischen Tage von Biarritz verläßt auch Bismarck nicht; oft kehren seine Gedanken zu der schönen Zeit und zu Catty zurück. Mit Staatsgeschäften überhäuft, hat er buchstäblich keine Zeit, zu träumen und Privatbriefe zu schreiben. Aber während der langweiligen Sitzungen des Abgeordnetenhauses entdeckt er die Möglichkeit, eine sympathischere Korrespondenz zu führen als die, die ihn gewöhnlich beschäftigt; in seinem Ministersessel hört er den Rednern nur mit halbem Ohre zu und läßt indessen seine Feder über »das schlechte Papier des Landtags« laufen, um mit Katharina zu plaudern, wobei er sich den Anschein gibt, als mache er Notizen über die Sitzung. So schreibt er während drei verschiedener Tagungen den Brief, der die Daten des 28. Januar, des 4. Februar und des 11. Februar trägt. Im Tone dieses Briefes klingt die Befriedigung über seine neue Stellung wider. Der harte Kampf, den er gegen die Opposition zu führen hat, scheint ihm Freude zu machen, noch ist er nicht abgespannt durch die übermenschliche Arbeit, die die Konfliktszeit ihm auferlegt. Was ihn in Wahrheit ermüdet, sind einzig die gesellschaftlichen Frondienste, die ihm aufgebürdet werden, und das unregelmäßige, ungesunde Leben, das er führen muß. Nur eine wahre Entspannung gibt es für ihn am Tage, nämlich während seiner einsamen Ausritte: dann eilen seine Gedanken sofort zu Katharina. Er möchte so gern nach Brüssel fahren, auch hat er Katharina ja versprochen zu kommen, und nun scheint sich dazu gerade die richtige Gelegenheit zu bieten – die Orloffs geben einen Ball, zu dem sie ihn eingeladen haben. Unmöglich aber, sich auch nur für einen Tag oder zwei freizumachen, und so muß er auf diesen Plan verzichten.« Siehe Brief Nr. 1.

Die Fürstin Orloff schreibt ihm zwei Tage nach diesem Ball, den er versäumt hat:

 

»Brüssel, den 16. Februar.

Mein lieber Onkel! Es ist mir aus Zufall noch ein Blatt Papier von dem Vorrat übriggeblieben, den wir auf der Möwenklippe benutzten, und ich will es für Sie verwenden! Ihr Brief, lieber Onkel, hat mich gerade in dem Augenblick erreicht, wo ich für den Ball Toilette machte, und ich las ihn, während Tilda Die deutsche Zofe der Fürstin. Catty in die Fürstin Orloff verwandelte. Aus Ihrem Brief glaube ich entnehmen zu können, daß Sie meinen letzten von Paris, den ich im Dezember schrieb und auf den Sie mir nie geantwortet haben, nicht erhalten haben. Ich war glücklich, von Ihnen Nachricht zu bekommen, denn ich glaubte schon. Sie hätten Ihre Kameraden vom Pic du Midi völlig vergessen. Ich aber denke sehr oft mit Sehnsucht Dieses Wort ist im Original deutsch. an das wundervolle Leben, das wir in Biarritz und in den Pyrenäen geführt haben. Während im Ballsaal die Fürstin Orloff vor lauter Gähnen fast erstickt, entfliegt Catty unaufhaltsam auf den Flügeln der Phantasie zu den seligen Gefilden der Möwenklippe. – Dort sieht sie den Onkel wieder, und unterhält sich mit Edmund und Gustav, die törichte Person, und jeder, der die Fürstin unterdessen anredet, fragt sie, warum sie so starr blicke; Catty aber fährt aus ihren Träumereien auf, ärgert und verwirrt die Fürstin, die dem Fragenden dann gewöhnlich eine ganz verkehrte Antwort gibt. Ach, unser schönes Leben von Biarritz wird nie wiederkehren! Das Baden, die Promenaden ins Meer auf dem Rücken von Jean Baptiste, meine Streiche und Onkelchens Zorn – heffrayé par cette vilaine. méchante henfant – all das war so lieb und lustig! Nichts kommt diesem Leben in der frischen Luft gleich, dem freien, unabhängigen Dasein, das so voller Träume war! Ich sage Ihnen: ich lebe in diesem Winter nur halb. – Trotzdem müßte ich lügen, wenn ich nicht zugäbe, daß der Winter doch ganz nett war. Wir haben uns zu einem reizenden kleinen Kreis zusammengefunden, die liebe Prinzessin Galitzin ist der Mittelpunkt, wir sehen uns viel und in aller Vertrautheit, darin besteht der Reiz unserer Zusammenkünfte. Wir haben Theater gespielt, und ich habe mich in einem kleinen Stück, das ›Die Teetasse‹ heißt, ausgezeichnet; man hat mir künstlerisches Talent zuerkannt usw. usw. Unser Ball war gut geglückt, Sie tun mir wirklich leid, ich hätte diese Gelegenheit bestimmt benutzt, um Sie der Fürstin Orloff vorzustellen, die sich an diesem Abend recht anstrengte, eine liebenswürdige Weltdame zu sein, doch ist's ihr leider nur zur Hälfte gelungen. – Die Musik geht auch ihren Gang, und niemals spiele ich das Lied von Mendelssohn, ohne an Onkels Pfeifkünste zu denken. – Der armen schwarzen Nichte geht es ein wenig besser. Adieu, lieber Onkel, Nikolai sagt Ihnen alles Liebe, ich empfehle mich Frau von Bismarck und umarme Marie, wenn sie es erlaubt. Wann schicken Sie uns Ihren neuen Gesandten? ... Leben Sie wohl lieber Onkel – wir hoffen auf Ihren lieben Besuch. Ich drücke Ihnen die Hand.

Ihre Nichte Catty.«

 

So träumen sie alle beide – Bismarck in Berlin inmitten seiner angespannten politischen Tätigkeit und die Fürstin Katharina inmitten des diplomatischen und gesellschaftlichen Lebens in Brüssel – von den gemeinsamen sonnigen Tagen von Biarritz, und diese Erinnerungen sind so kostbar, so unvergleichlich glücklich, daß die Wiederkehr eines solchen Erlebens unmöglich erscheint. Alle ihre Briefe sind von der holden Vergangenheit erfüllt: »Mein Gott! Wie liegt Biarritz weit zurück! Wo ist die gute alte Zeit? Wenn Sie wüßten, wie oft ich an unser glückliches Freiluftleben zurückdenke, an unsere Spaziergänge, an die schönen Wogen bei der Grotte ... Ich habe einen mondänen Winter hinter mir. Sie wissen ja, es geht mir wie Proserpina: Catty ist für sechs Monate schlafen gegangen, und die Fürstin Orloff ist wieder auf dem Plan; das ist auch eine vollgültige Entschuldigung für mein Schweigen, Sie haben mir ja selbst gesagt, daß Sie die Fürstin gar nicht kennen lernen wollen ... Ich wollte, ich wäre am ›Pas de Roland‹ oder in der Grotte, auf dem Pic du Midi oder bei den Wellen jenseits des Seiles. Wenn Sie wüßten, welche Lust ich manchmal habe zu probieren, ob ich das Schwimmen schon wieder verlernt habe! Die kleinen Kinder träumen, daß sie fliegen können, und meine schönen Träume handeln alle vom Schwimmen.« (März 1863.)

Mittlerweile ist die politische Lage derart verwickelt geworden, daß Bismarck immer mehr alle Hände voll zu tun hat. In Preußen hat der Konflikt zwischen der Regierung und der Opposition den Höhepunkt erreicht, es kommt zur Auflösung des Abgeordnetenhauses und zu drakonischen Verordnungen gegen die Preßfreiheit. In dem harten und schweren Kampf, den er führt, steht Bismarck beinahe allein; denn selbst in der Umgebung des Thrones mißbilligt man seine Politik, und der Thronerbe, Prinz Friedrich Wilhelm, der unter dem Einfluß der liberalen Ideen seiner englischen Gattin steht, erklärt sich offen gegen den Ministerpräsidenten.

Auch die Fürstin Katharina, der zu schreiben er seit fast drei Monaten einfach keine Zeit fand, kritisiert. Am 19. Juni schreibt sie ihm:

»Was doch die Entfernung ausmacht! Schämen Sie sich denn nicht, Ihre Nichte so zu vergessen? Habe ich keinen Onkel mehr, ist unser guter Kamerad von der Pyrenäenreise nicht mehr vorhanden? Schämen Sie sich, schämen Sie sich. Sie haben uns weder besucht noch geschrieben. Dieser Satz ist im Original deutsch. Sind Sie denn den Freunden von Biarritz und der Möwenklippe ganz treulos geworden? Ich bekomme oft Nachricht von Ihnen – durch die Zeitung nämlich! Und oft, daß ich's nur gestehe, wage ich es, die Taten meines Onkels zu mißbilligen, ich will's ihm nicht verbergen! Ich erkenne in Ihnen gar nicht mehr den Onkel Bismarck wieder, der so liberal zu sein schien! Verzeihen Sie einem kleinen Gänschen, wie ich's bin, daß es sich ein Urteil über Sie erlaubt. Das ist sehr anmaßend von mir, aber Sie wissen, daß Nichten, besonders wenn sie verwöhnt werden, zu allem fähig sind. Darum erlaube ich mir zu sagen, daß ich schon manchmal Lust bekommen habe, den Namen meinen lieben Onkels aus der Zeitung auszukratzen ... Beiliegend ein neues Porträt Ihrer Nichte, die jetzt die Haare kurz trägt und viel magerer geworden ist, weswegen manche Leute behaupten, daß sie häßlicher, und andere, daß sie schöner geworden sei. Was soll man da glauben? Adieu, mein lieber Onkel, empfehlen Sie mich Frau von Bismarck, und wie geht es den Kindern? Ich drücke Ihnen die Hand, leben Sie wohl, seien Sie vergnügt, zufrieden, glücklich, und möge es Ihnen in Ihrem Amte gelingen, alle wohldenkenden Leute zufrieden zu stellen. Catty Orloff.«

Am politischen Horizont Europas zieht Sturm herauf. Der polnische Aufstand, der im Januar ausgebrochen ist, scheint den Frieden zu bedrohen. Frankreich, England und Österreich haben Noten nach Petersburg geschickt, in denen sie freiheitliche Maßnahmen für Polen fordern, und da sich Rußland taub stellt, spricht man von Ultimatum und Krieg. Besonders in Frankreich erregt die Presse die öffentliche Meinung gegen die russische Regierung und sympathisiert mit den polnischen Insurgenten; die Gemüter sind erhitzt. Nur Preußen steht auf der Seite Rußlands. Und nach der in St. Petersburg überreichten österreichischen Note vom 18. Juni, die einer englischen und einer französischen folgt und der russischen Regierung eine Reihe von Maßnahmen für Polen anempfiehlt – eine Generalamnestie, eine nationale Vertretung usf. –, schlägt Zar Alexander II. eine Besprechung zwischen Preußen, Österreich und Rußland vor, um eine Regierungsform für die polnischen Untertanen der drei Länder auszuarbeiten. Dieser Vorschlag wird von Österreich zurückgewiesen, weil die Kabinette von Wien, London und Paris in gemeinsamer Aktion vereinigt seien und Österreich sich von diesem Block unmöglich absondern könne. Alexander II. schreibt nun an Wilhelm I. und äußert den Wunsch nach einer Verständigung mit Preußen für den Kriegsfall.

Gegen Ende Juni schreibt Bismarck inmitten all dieser Spannungen endlich an seine »Nichte«; dieser Brief ist nicht auf uns gekommen, aber aus der Antwort der Fürstin vom 3. Juli geht hervor, daß Bismarck an die Möglichkeit dachte, im Herbst Urlaub zu nehmen, und daß er fragte, welche Pläne die Orloffs hätten; vielleicht Biarritz? Katharina antwortet:

»Dank für Ihren Brief! Ich habe ihn an Nikolai geschickt, der ihn mir diesen Morgen zurücksandte und erwidert, daß er leider nichts im voraus entscheiden kann, daß wir den lebhaftesten Wunsch haben, nach Biarritz zu gehen, daß es aber in Anbetracht der Ereignisse vielleicht unmöglich sein wird. Die politischen Vorgänge beschäftigen uns, selbst mich, das Mädchen Catty, sehr! Glauben Sie an den Krieg, und glauben Sie, daß, wie die Zeitungen sagen, der Kongreß in Brüssel stattfinden wird? Nikolai bittet Sie, mir Ihre Ansicht in Ihrem nächsten Briefe zu schreiben. Mein armer Vater ist durch die Sorge wegen des Krieges schrecklich aufgeregt; welch großes, unschätzbares Glück für Rußland, wenn er vermieden werden könnte! Ihr Brief hat mich sehr interessiert, Ihr Leben dort wird wohl nicht von der Farbe dieses Papieres sein, Der Brief ist auf rosa Papier geschrieben. und ich halte meinen Spruch aufrecht, daß Sie besser getan hätten, Ihren Posten in Paris zu behalten. Ich glaube ohne weiteres, daß Sie Ihre in Biarritz, am Narrenstrande, erworbene Gesundheit verloren haben! Ach, wenn wir dieses Jahr dorthin zurückkehren könnten? Wir haben ja die Absicht, im Oktober hinzugehen, wenn alles nach Wunsch geht, dann ist's unbedingt notwendig, daß der Onkel dabei ist – Sie müssen auf alle Fälle uns diesen Sommer besuchen kommen ... Ach wenn es auch nur annähernd möglich ist, lassen Sie uns nach Biarritz gehen, geben wir uns das Wort darauf! Dort müßten wir wie im vergangenen Jahre auf den Klippen und im Wasser leben, in der Sonne braten, das Leben genießen und die Politik vergessen ... Die Orthographie Ihres Briefes war würdig, der Akademie präsentiert zu werden, keine Fehler, bravo, ein großer Fortschritt – aber ach. Sie haben ihn reichlich teuer erkauft, denn Sie sind jetzt schrecklich › pleniplo‹ geworden, dessen bin ich ganz sicher ...«

Doch die Pläne für Biarritz verwirklichen sich nicht. Die Orloffs stehen schließlich davon ab, im August sind sie in Spa und gedenken den September in Ostende zu verbringen. Von Mitte Juni bis Mitte August ist der König von Preußen zur Kur in Karlsbad und Gastein, und Bismarck muß ihn begleiten. Nach dem Aufenthalt in Gastein begibt sich der Hof nach Baden-Baden. Den 14. August schreibt Bismarck an seine Gattin: »Von Cathy ein Brief aus Spa, vielleicht besuche ich sie dort, aber wer weiß, ce qu'on devient in acht Tagen, vielleicht schon alles wieder anders«. [4] Bis zum Ende des Monats wird er in Baden-Baden festgehalten, aber in den ersten Septembertagen soll der König nach Berlin zurückkommen; »vielleicht gewinne ich dazwischen Zeit zu einem Abstecher nach Spa, wo ich Orloffs treffe,« [4] meint er am 28. August. Doch unglücklicherweise wird daraus nichts.

Katharina schreibt ihm unter dem Datum »26. und 29. Tage holder Erinnerung an Diners à la chère Catty in der Leuchtturmgrotte«, daß er besser nach Ostende käme, weil sie Spa doch in einigen Tagen verlassen wird. Überdies stirbt am 5. September Johannas Mutter, Luitgarde von Puttkamer. Durch all das wird die Begegnung mit Katharina ins Ungewisse hinausgeschoben, denn, wie Bismarck der Fürstin am 16. September schreibt,« Siehe Brief Nr. 2. hat er keine Möglichkeit, sich während der nächsten Wochen auch nur für vier aufeinanderfolgende Tage frei zu machen, und selbst wenn das anginge, wäre es grausam, diese Tage seiner Frau zu entziehen, die durch den schweren Verlust, den sie gerade erlitten hat, sehr niedergedrückt ist. Katharina erwidert aus Ostende und versucht ihren Onkel zu überzeugen, daß er sie dennoch besuchen müsse: sie sähe wohl ein, daß es seine Pflicht sei, zu seiner Frau zu gehen, aber ob er nicht trotzdem ein bißchen kommen könnte, und wenn es nur für einen oder zwei Tage wäre? Und da er geschrieben hat, er tröste sich mit der Betrachtung der kleinen Andenken von ihr, die er immer in seinem Zigarrenetui mit sich trägt, entgegnet sie ihm: »Ich mache mich keineswegs darüber lustig, daß Sie die kleinen Blumen und das Moos von Port de Vénasque aufgehoben haben, denn ich habe es auch so gemacht. Das war eine schöne Zeit, und ich wollte, ich wäre wieder dort!«

Es wird Oktober und der politische Himmel hat sich immer noch nicht aufgehellt. Preußen verlangt Bundesmaßnahmen gegen Dänemark, und die ausländische Presse – besonders die englische – veröffentlicht heftige Artikel gegen die Bismarcksche Politik. Katharina ist ganz erregt über die Pläne, die man in den Zeitungen ihrem »Onkel« unterschiebt, und am 13. Oktober schreibt sie ihm: »Ihre Depesche ist Ihrem Brief zuvorgekommen, den wir soeben erhalten haben. Nikolai ist von Ihrem Schreiben sehr beunruhigt, um so mehr als er soeben den beiliegenden Artikel gelesen hat. Weder die Depesche noch Bismarcks Brief noch der fragliche Zeitungsartikel konnten wiedergefunden werden. Wäre es denn denkbar, daß Sie solche Ideen hätten! Uns erscheint das ausgeschlossen – lassen Sie es also möglichst schnell dementieren, sonst werden Sie in den Augen der ganzen Welt als ein neuer Attila dastehen! Onkelchen, Kurmacher, etc.!!!! Genug von Politik! Es hätte Nikolai sehr glücklich gemacht, wieder einmal etwas mehr von dem Onkel als von dem Plenipo zu sehen. Ich aber bin ganz verzweifelt, daß Sommer und Herbst vorübergegangen sind, ohne daß Sie Ihr Versprechen, uns aufzusuchen, gehalten haben – es hätte uns so viel Freude gemacht, Ihnen einmal wieder die Hand drücken zu können ...«

Es soll jedoch noch fast ein Jahr vergehen, bevor das ersehnte Wiedersehen zustande kommt. Im Sommer 1864 muß Fürst Orloff für einige Monate auf seine Güter nach Rußland und seine Frau begleitet ihn. Deutschland liegt auf ihrem Weg, man könnte sich also vielleicht in Berlin sehen, wo sie sich zehn Tage aufzuhalten gedenken. Am 20. Juni sind sie in Berlin und besuchen Johanna und die Kinder, Bismarck selbst jedoch, der beim König in Karlsbad ist, kann nicht kommen: »Ich habe Orloffs telegraphiert, ich könnte höchstens auf 2 Tage von hier abkommen, und gefragt, ob wir uns in Schwarzenberg oder Altenburg treffen wollten, ersteres kann ich bequem, letzteres mit einiger Anstrengung in der Zeit abmachen. Können sie nicht, so tut mir's leid.« [5] Und tatsächlich kommt dann die Enttäuschung, daß Catty telegraphiert: »Müssen leider sofort abreisen, hoffen Sie im Herbst zu sehen«, und Bismarck kann am Schluß seines Briefes an Johanna nur traurig hinzusetzen: »Kathsch kommt nicht und ich bleibe ruhig hier.« Noch eine Woche später ist die Enttäuschung sehr lebhaft: »Kathsch hätte wohl nach Schwarzenberg kommen können; wer weiß, wie es im September wird.« [6] Anfang September aber, auf ihrem Rückweg, stellen sich die Orloffs dem Kaiser und der Kaiserin von Rußland vor, die bei Darmstadt in der Sommerfrische sind, und Bismarck, der gerade in Frankfurt ist, findet dort, als er am 10. September in sein Hotel zurückkehrt, ein Briefchen der Fürstin vor, das ihm ihre Anwesenheit mitteilt. Am nächsten Tage fährt Katharina nach Heidelberg, um eine Freundin zu besuchen, und Bismarck begleitet sie. Leider hat er nicht allzuviel freie Zeit, die Zugverbindung ist schlecht, und um zur rechten Zeit wieder in Frankfurt zu sein, muß er in Weinheim aussteigen und in entgegengesetzter Richtung weiterfahren. Aber er hat dennoch einige Stunden mit seiner »Nichte« verbringen können, hat von Biarritz geplaudert und Pläne für den Oktober gemacht, denn vielleicht kann er Urlaub bekommen, und die Orloffs gehen sicher hin.

Mitte September wird Johanna in Reinfeld ziemlich ernstlich krank: sie hat ihre ersten Asthmaanfälle. Aber nach 14 Tagen geht es ihr wieder besser, und nun drängt es Bismarck nach Biarritz. Am 30. September telegraphiert ihm Katharina, daß sie am nächsten Tage dorthin abreist, und am 4. Oktober kann Bismarck an Johanna schreiben: »Ich fand den König heut so günstig für meine Biarritzer Reise gestimmt, daß ich die Gelegenheit beim Schopf ergriff und morgen früh fahre.« [7] Zwei Tage später ist er endlich wieder in Biarritz, wo er vor zwei Jahren so glücklich war. Die alte Zeit kehrt zurück: »Es scheint mir fast wie ein Traum, daß ich wieder hier bin.« [7] – »Da bin ich wirklich, mein Herz, es ist mir wie im Traum; vor mir das Meer, und über mir arbeitet Kathsch in Beethoven ...« [8] Wieder badet er zweimal am Tage; wieder bummelt er mit seiner »Nichte« über die Klippen; wieder nehmen sie von all den geliebten Plätzchen Besitz, von der Möwenklippe, von der Leuchtturmgrotte und von Cattys Nest. Sie leben das frühere Leben noch einmal, und die Widerklänge in den Briefen an Johanna sind uns schon bekannt: »Ich esse mit Orloffs ... wir schlendern am Strand umher, sitzen lesend und schreibend auf den Klippen über dem Wasser ... ich tue absolut nichts als bummeln und essen, wenn ich nicht schlafe ... wir leben ganz unter uns ... das Wasser hat noch 14 Grad und tut mir sehr gut. Kathsch ist lustig wie ein Student ... Wir haben hier gefrühstückt, 3 Meilen östlich von Biarritz, im Gebirge, sitzen im reizenden Sommerwetter am Rande eines rauschenden Stromes ... hohe enge Felsen vor und hinter uns ...« [9] – all das könnte auch gut im Jahre 1862 geschrieben sein. Nur gibt es jetzt etwas mehr Gesellschaft um sie herum: da ist Hamburger, ein Beamter des russischen Außenministeriums, vom Kanzler Gortschakoff mit dem Pressedienst beauftragt, und auch ein Engländer, French, von der englischen Botschaft in Brüssel, ein intimer Freund des Fürsten Orloff, mit seiner russischen Gattin, die mit der Fürstin Katharina verwandt ist.

Vielleicht hat sich auch Bismarck verändert. Sein Gemütszustand ist ein anderer, er befindet sich nicht in der außergewöhnlichen Stimmung, die ihn vor zwei Jahren beseelte, wo ihm die Spannung seines ganzen Wesens angesichts der nahen Verwirklichung seiner Machtträume einen einzigartigen Schwung verlieh. Nun hat er die Macht schon zwei Jahre in Händen, und diese zwei Jahre sind voller Mühen gewesen. Damals hatte er die Politik aus seinen Gedanken verbannt, jetzt darf er sie nicht mehr aus den Augen lassen. Von Biarritz aus überwacht er die Staatsgeschäfte, er muß Depeschen und wichtige Briefe abschicken, an Roon, in die Wilhelmstraße, an den König; mit einem Emissär der dänischen Regierung hat er eine wichtige Unterredung, der zu Beginn auch Fürst Orloff beiwohnt. Das alles macht, daß er nicht so sorglos und frei ist wie damals; und kleine Billette, die ihm die »Nichte« manchmal schickt, treffen ihn mitten in der Arbeit an, wie dieses: »Onkel Bismarck, Monsieur le Grand, großer Minister, höchst illustrer Plenipo, Onkelsti! Nach meinem Bade gehe ich pitsch-patsch, trott-trott nach Bayonne mit Thilda und der Schwarzen. Ich werde also jetzt nicht spazierengehen. Catty.« Trotzdem ist er nicht weniger glücklich als vor zwei Jahren. Denn Bismarck empfindet in der Nähe dieser Frau, die auf ihn einen solchen Zauber ausübt, stets dasselbe Entzücken, stets dieselbe Lebensfreude; wieder ist sie ihm ein Jungbrunnen, der Kraft und Gesundheit wiedergibt. Nur mit Bedauern tritt er endlich den Heimweg an. Und man kann sich denken, daß er lieber geblieben und mit den Orloffs nach Spanien weitergereist wäre, wie diese es planten. Denn er schreibt an Johanna: »In Berlin machen sie Torheiten, und ich habe schon gedroht, mit Orloff nach Spanien zu reisen, wenn sie nicht vernünftig werden.« [10] Und er kommt auf die Idee zurück, sich an der baskischen Küste eine Besitzung zu kaufen: »Ich werde Lübben« (ein Gut in Pommern) »doch wohl nicht kaufen, sondern Ishoux oder etwas bei Dax.« Doch das sind Träume. [11]

Inzwischen greift die harte Wirklichkeit wieder nach ihm: am 25. Oktober morgens reist er nach Paris ab, Herz und Kopf noch voll von Biarritz und dem bezaubernden Leben daselbst. Dieser erste Tag in Paris ist sehr ausgefüllt. Den Vormittag nehmen politische Unterredungen ein, am Nachmittag hat er eine Audienz in St.-Cloud, und am Abend diniert er bei dem französischen Außenminister Drouyn de Lhuys. Zwischen der Audienz und dem Diner findet er dennoch Zeit, einen Brief an Katharina Orloff zu schreiben, einen Brief voller Lebensfreude, guter Laune und Frische. Siehe Brief Nr. 4. Er fügt auch eine kleine politische Nachricht bei, welche nicht verfehlen wird, den Fürsten Orloff zu interessieren. Auch Katharina denkt mit Wehmut zurück, und ein paar Tage nach seiner Abreise schreibt sie an Bismarck:

»Onkelchen, liebes Onkelchen! Es ist zwecklos, Ihnen zu erzählen, bis zu welchem Grade Sie uns fehlen, besonders mir, und welches lebhafte Bedauern über Ihre Abreise Sie in unserem kleinen Kreise hinterlassen haben ... Ich wandere mit meinem treuen Medor auf allen Felsenspitzen herum! Onkelchen, es macht mir richtig Kummer, Ihnen zu sagen, wie schön das Meer heute morgen war! Wir sind am Leuchtturm gewesen, Medor und ich, in der Grotte und auf den Terrassen! Es war herrlich schön Im Original deutsch – die Wellen waren weniger regelmäßig als neulich, aber das Meer war bewegter ... der Schaum stieg vor mir in erstaunliche Höhe auf, ein paarmal bin ich ganz durchnäßt worden. Aber ich habe keine Torheiten gemacht! ... Ich hoffe, daß diese kleine Nachricht zur selben Zeit wie Sie in Berlin ankommt, ich werde Ihnen in wenigen Tagen einen langen Brief schreiben, heute wollte ich Ihnen nur einen Hauch der Meeresbrise schicken! ... Die andern haben Pistolen und Totschläger etc. für die Reise nach Spanien gekauft und sind von Kopf bis zu Fuß bewaffnet – die Pistolen machen mir schreckliche Angst, aber zur Revanche habe ich mir ein kleines Stilett verschafft, das ich nicht hergeben werde – hütet euch also von jetzt an, Feinde der Freiheit! ... Adieu, Onkelchen, tausend liebe und freundschaftliche Grüße ... Schreiben Sie mir und vergessen Sie das liebe kleine Biarritz nicht, wo es so viel Freude und so wenig Überdruß gibt! Leben Sie wohl! Im Original deutsch Ihre Catty.«

Während der Reise in Spanien denkt Katharina stets an ihren »Onkel«; sie schickt ihm Briefe, in denen sie Höhepunkte der Reise beschreibt, und ein Paket Schokolade (»die Sie so lieben, Sie Gourmand!«), um eine Wette zu bezahlen, die sie an ihn verloren hat. Im November ist sie wieder in Bellefontaine; inzwischen hat sie von Bismarck aus Berlin einen Brief bekommen – auch dieser ist uns leider nicht erhalten –, den sie beantwortet, indem sie ihm noch ein paar Nachrichten aus Biarritz gibt: »Ich habe den beiliegenden Brief empfangen, er hat uns alle amüsiert, und Sie werden auch darüber lachen. Es scheint entschieden, daß man mich oft für die Dame Ihres Herzens gehalten hat – zeigen Sie das Frau von Bismarck, es wird ihr Spaß machen!« Augenscheinlich stehen die beiden zu sehr im Licht der Öffentlichkeit, als daß ihr Leben in Biarritz unbeobachtet geblieben wäre; an einem eleganten Badestrand läuft der Klatsch schnell und es gibt böse Zungen genug. Bismarcks Intimität mit der Fürstin Orloff hat Gelegenheit zu böswilligen Zuträgereien gegeben. Johanna hat, so sagt man, sogar anonyme Briefe empfangen, die sie mit Abscheu ins Feuer warf. Ein Lokalblatt in Biarritz soll einen boshaften Artikel veröffentlicht haben, der aus der Feder des Badearztes stammte, und worin alle bekannten Persönlichkeiten, die zur Sommerfrische in dem Badeort weilten, durchgehechelt wurden; der Bismarck betreffende Abschnitt endete mit den Worten: »Die Männer sagten ihm gerne nach, daß er kein ernsthafter Mann sei, die Frauen in Biarritz sind von ihm entzückt.« [12] Der oben angeführte Satz aus dem Briefe der Fürstin Katharina würde, falls ein Beweis überhaupt nötig wäre, vollauf genügen, um alle Zweifel zu zerstreuen und den wahren Charakter ihrer reinen und herzlichen Beziehungen zu Bismarck darzutun. Am Ende desselben Briefes fügt Katharina hinzu: »Sie sind nun wieder der große und berühmte Plenipo geworden, und die Politik hat Sie ganz verschluckt. Erfüllen Sie sich zuweilen mit dem liberalen Geiste Ihrer Nichte. Preußen wird dabei nicht schlechter fahren.« Etwaige Gespräche dieser Art zwischen Bismarck und der kleinen Fürstin, die es wagt, ihre liberalen Ansichten dem Manne von »Blut und Eisen« entgegenzusetzen, dürften allerdings der Würze nicht entbehrt haben, doch in seinen Briefen ließ sich Bismarck begreiflicherweise nicht auf ihre politischen Gedankengänge ein.

So geht das Jahr 1864 zu Ende, in dem die beiden in ihrem geliebten Biarritz die ganze Freude ihres ersten Aufenthaltes wiederfanden. Und neue Erinnerungen kommen zu den alten hinzu und verstärken zwischen ihnen die Bande des Gefühls; beide lassen ein Stück ihres Herzens in Biarritz zurück ... Es sollte das letzte Mal gewesen sein, daß sie das verzauberte Leben dort vereint genossen haben.


Quellenachweise

1. Briefe an Braut und Gattin S. 465

2. Ebenda S. 466

3. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck S. 116/117

4. Briefe an Braut und Gattin S. 476

5. Ebenda S. 484

6. Ebenda S. 486

7. Ebenda S. 495

8. Ebenda S. 496

9. Ebenda S. 497-499

10. Ebenda S. 500

11. Ebenda S. 497

12. Joachim v. Kürenberg, Johanna v. Bismarck S. 147


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