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Der Jungbrunnen

Die Quellenachweise der Zitate [Zahl] befinden sich am Ende des Kapitels. Re. Für Gutenberg

Durch die Ankunft des Ehepaares Orloff bekommt für Bismarck der Aufenthalt in Biarritz ein völlig verändertes Gesicht. Bis jetzt hat er sich auf dieser Reise ziemlich einsam gefühlt und keine Menschen gefunden, die ihm die Erholungszeit gesellig verschönt hätten; ruhelos ist er von Ort zu Ort gereist, um seine Langeweile durch den beständig wechselnden Eindruck neuer Landschaften zu bekämpfen. Es fehlte ihm jemand, mit dem er reden und die Zeit angenehm verbringen konnte; er hat niemand getroffen, der ihm in dieser Hinsicht genügte, die Table d'hôte-Bekanntschaft mit der Familie Puységur nicht ausgenommen.

Es wird ihm überhaupt schwer, mit Durchschnittsfranzosen in Fühlung zu kommen: »Der Franzose hat einen Fond von Formalismus in sich, an den wir uns schwer gewöhnen. Die Furcht irgend eine Blöße zu geben, das Bedürfnis, stets außen und innen sonntäglich angetan zu erscheinen, la manie de poser, macht den Umgang ungemütlich. Man wird niemals näher bekannt, und wenn man es sucht, so glauben die Leute, man will sie anpumpen oder heiraten, oder den ehelichen Frieden stören. ... Sie sagen hier: grattez le Russe et le barbare paraîtra; wenn man aber vom Franzosen die Rinde durchzukratzen versucht, so kommt garnichts raus.« [1]

Wonach es ihn verlangt, das sind Freunde, bei denen er sich nicht an die gesellschaftliche Etikette zu halten braucht, Gefährten, die sein Bedürfnis nach einem unbekümmerten und zwanglosen Leben verstehen und teilen, vor denen er in guter Kameradschaft aussprechen kann, was ihm gerade durch den Kopf geht, ohne sich beengt zu fühlen.

Die Orloffs kommen ihm also gerade recht, und nun sie da sind, entschließt er sich, um ihrer Gesellschaft willen noch ein paar Tage länger zu bleiben.

Fürst Orloff ist ein alter Bekannter von ihm, er kennt ihn von Frankfurt her, wo der Fürst nach seiner Verwundung Heilung suchte. Die Persönlichkeit dieses Helden aus dem Krimkriege, der zudem der Sohn jenes Orloff war, der eine entscheidende Rolle in der russischen Diplomatie spielte, erregte damals lebhaftes Interesse in der Frankfurter Gesellschaft. Bismarck machte seine Bekanntschaft, fand ihn sympathisch, und sie begannen sich zu befreunden. Später in St. Petersburg hatte Bismarck Gelegenheit, den Fürsten Nikolai auch auf diplomatischem Gebiete kennen zu lernen, wie er in einem seiner Berichte an Schleinitz erwähnt: »Ich habe diese Zeit benutzt, um mich mit Stackelberg, Balabine, dem Brüsseler Orloff, welche noch hier verweilen, und mit jüngeren Arbeitern des Ministeriums bekannt zu machen.« [2] Er empfing von Orloff einen ausgezeichneten Eindruck, und obwohl er nicht weiter vertraut mit ihm war, können wir wohl glauben, daß sie schon vor der Begegnung in Biarritz in gutem Einvernehmen standen; denn auch Johanna von Bismarck kannte den Fürsten und zeigte sogar eine gewisse Vorliebe für ihn. Die junge Fürstin aber war Bismarck damals nur von einigen flüchtigen Begegnungen am russischen Hofe bekannt.

So sind hier in Biarritz endlich Leute aus Bismarcks eigener Welt aufgetaucht, Menschen, die er kennt und die ihm angenehm sind. Die Orloffs harmonisieren völlig mit Bismarcks Art, denn sie gehören zur besten Gesellschaft, sie sind glänzend erzogen, jedoch weder Pedanten noch Poseure; sie sind intelligent, heiter, liebenswürdig, witzig und jung. Auch sie möchten hier ein einfaches und sorgloses Dasein führen und sich von dem diplomatischen und gesellschaftlichen Leben ausruhen. Zudem hat Bismarck immer etwas für das russische Wesen übrig gehabt, besonders seit seinem Aufenthalt an den Ufern der Newa; und das junge Paar besitzt in hohem Grade eben jenen russischen Charme, der ihm so gefällt. Kein Wunder also, daß er sich unter diesen Umständen nicht gerade beeilt, seine Reise fortzusetzen, zumal da das Meer herrlich ist, die Bäder ihm wohl tun und die Natur ihn entzückt. Am 10. August ist er, statt nach Pau abzureisen, wie er angekündigt hatte, immer noch am baskischen Strande und schreibt an Johanna: »Ich bin noch hier, weil mir die salzige warme See so gut bekommt, daß ich ganz jung wieder werde ... Des Vormittags wandre ich in den Klippen, Haiden und Feldern umher, sehe Baumgärten mit Aloe, Feigen, Mandeln und Einfassung von Tamarinden, schieße nach der Scheibe, nehme mein Bad, sitze auf Felsen, rauchend, die See betrachtend und an Euch denkend. Die Politik habe ich ganz vergessen, lese keine Zeitungen ... Seit vorgestern habe ich an Orloffs eine angenehme Gesellschaft. Du kennst die Frau ja wohl aus St. Petersburg? lustig, frisch und natürlich.« [3]

Während er so seine Abreise nach den Pyrenäen von Tag zu Tag verschiebt, geht seine Post nach den im voraus angegebenen Orten und damit in die Irre. An die verschiedenen Postämter zu schreiben und die Briefe zurückkommen zu lassen, bedeutet einen Zeitverlust von mehr als einer Woche; denn in manchen dieser verlorenen Örtchen gibt es überhaupt nur zweimal wöchentlich Post. Er schlägt daher seiner Frau vor, ihm an die Adresse der Preußischen Gesandtschaft in Paris zu schreiben, von wo aus man ihn immer finden und ihm seine Briefe zustellen kann; doch trotz dieses neuen Verbindungsweges bleibt er vom 3. bis 13. August ohne Nachricht von daheim, und alles, was in die Pyrenäen gesandt wurde, gelangt noch viel später in seine Hände. Abgesehen davon, daß er gerne Nachrichten von zu Hause hätte, ist Bismarck im Grunde sehr zufrieden damit, daß auf diese Weise keine Botschaft aus der Außenwelt zu ihm dringt. Denn das Leben in Biarritz mit den Orloffs zusammen gefällt ihm so, daß er von nichts anderem mehr wissen will. Aus seinen Briefen klingt bald ein neuer, enthusiastischer Ton, und jede Spur von Langweile ist verschwunden. So schreibt er an Johanna: »... Nach jedem Bade fühle ich ein Jahr weniger auf dem alternden Haupte, und wenn ich es auf dreißig bringen sollte ... so siehst Du mich als Göttinger Studenten wieder. Leider sind die Häscher hinter mir. Ein Brief von Bernstorfs verfolgt mich, er ist mir telegraphisch gemeldet, durch ein glückliches Mißverständnis aber nach Bagnères de Luchon geraten, von wo ich ihn erst in 4 Tagen haben kann, Gebirge ohne Eisenbahn und tägliche Post. Wenn er nur keinen directen Ruf nach Berlin bringt! ich bin ganz Seesalz und Sonne. Seit Orloffs hier sind, fehlt es mir auch nicht an Umgang. Ihn kennst Du, und sie würde Dir ebenso gefallen, ganz Deine Abneigung gegen Hof und Salon, wie ein pommersches Fräulein mit grade genug Anflug der großen Welt. Heut sind wir von 7 bis 10 früh spazieren gegangen, über Felsen und Haiden, dann bin ich noch allein bis nach 12 auf den von der Ebbe bloßgelegten Klippen geklettert, 3 Stunden faul auf dem Sofa gelegen, lesend und träumend, um 3 ins Wasser, aus dem ich am liebsten gar nicht wieder herausgegangen wäre; ich blieb über ½ Stunde drin, und habe nachher das Gefühl, daß mir nur die Flügel fehlen um zu fliegen. Nach dem Essen ritten wir spazieren, im Mondschein bei der Ebbe den festen Strand entlang, und dann ging ich noch wieder allein. Du siehst, die alte Rüstigkeit kommt wieder, und ich bin voll Dankes zu Gott dafür. Wenn ich nur erst weiß, daß es Euch recht wohl geht und daß ich von hier nach Reinfeld kann ohne anzukleben, so ist alles schön und herrlich. Ich spreche nur von mir, wie Du siehst ... aber was soll ich Dir von hier melden sonst, als daß Luft und Wasser wie Balsam sind.« [4]

Man erkennt ihn nicht wieder: Er, der so ungeduldig auf eine Entscheidung von Berlin wartete, den dieses Abwarten so nervös machte, den ein solcher Durst nach Tätigkeit verbrannte, er will nichts anderes mehr, als daß man ihn in Ruhe läßt, und fürchtet den Abruf, den er so glühend herbeigewünscht hat. ...

Selbst wenn seine Briefe keine Erklärung enthielten, dürfte man vermuten, daß Bismarck, um derartig seine Pläne und seinen Ehrgeiz vergessen zu können, in Biarritz wohl noch eine andere, stärkere Anziehungskraft als einzig landschaftliche Schönheit und die gesunde Wirkung der Seebäder entdeckt haben müßte. Schon der Brief, den er an seine Frau drei Tage nach dem eben zitierten schreibt – am 14. August, um genau zu sein –, verrät denn auch etwas von dem Gefühl, das ihn bewegt: er beschreibt ihr seinen Tageslauf »alles à trois mit den Orloffs, seit deren Ankunft die Vereinsamung von mir genommen ist. Du erinnerst Dich Deiner Vorliebe für ihn, und ich räche mich jetzt ein wenig mit ihr, indem ich sie recht niedlich und sehr liebenswürdig finde.« [5] Er versucht es scherzhaft darzustellen, aber in Wahrheit beginnt er für die Fürstin ein Gefühl zu hegen, das bloße Freundschaft übersteigt.

Getrieben von dem mächtig angestauten, völlig brachliegenden Vorrat seiner Kräfte, ist Bismarck bisher ziellos durch den Süden Frankreichs geirrt. In Biarritz, wohin der Zufall ihn geführt, ergreift er nun die Gelegenheit, diesen Überschuß in körperlichen Anstrengungen auszugeben; er schwimmt, er erklettert die Felsen, und all das tut ihm wohl. Er empfindet ein Kraftgefühl und Wohlbehagen, wie es ihm nur selten beschieden war, und wie es vielleicht nie wiederkehren wird; seine Lebenslust ist auf dem Höhepunkt. Und es ist offenbar, daß bei einem Manne von so intensiver geistiger Lebendigkeit, wie Bismarck es war, das Herz zur Aufrechterhaltung der Harmonie unbewußt nach einer entsprechenden seelischen Steigerung suchen muß. In diesem Augenblick führt das Schicksal die Fürstin Katharina Orloff in seinen Weg, und eine in ihrer Gesellschaft verbrachte Woche genügt, um Bismarck in den Bann dieser reizenden jungen Frau von 22 Jahren zu ziehen.

Er ist zum unzertrennlichen Gefährten der Orloffs geworden; vom Morgen bis zum Abend sind sie beisammen. Früh stehen sie auf: schon um 7 Uhr sind sie draußen, um an der ›Grande Plage‹ zu baden und gemeinsam über die Klippen zu schlendern, bis sie um 10 Uhr zum Frühstück zurückkehren. Nach dem Essen wird geruht: Siesta und Lektüre bis um 4. Dann kommt das zweite Bad des Tages, gewöhnlich am ›Port vieux‹. An der ›Grande Plage‹ ist die Brandung zum Schwimmen zu stark; hier gibt es auch Strudel, es ist gefährlich, sich über das ausgespannte Seil hinauszuwagen, und schon wenn man ihm nahekommt, ruft ein Trompetenstoß des Wächters den unvorsichtigen Schwimmer zurück. Der ›Port vieux‹ aber ist durch die Felsen geschützt, und hier kann man schwimmen nach Herzenslust. Bismarck, das ist bekannt, war ein glänzender Schwimmer, die Fürstin aber ist erst eine Anfängerin. Doch fehlt es ihr deswegen nicht an Mut, sie hat im Gegenteil nur einen Ehrgeiz, nämlich den, über die Seilgrenze hinauszugelangen, und Bismarck wird oft unruhig und muß manchmal böse werden, bevor sie in die Zone der Sicherheit zurückkehrt. Mit den Wärtern sind sie gut Freund. Gustav und Edmund, die uns in den Briefen begegnen, sind die Bademeister, Jean Baptiste ist der Schwimmlehrer der Fürstin, der sie bei Ebbe auf seinem Rücken bis zum tiefen Wasser trägt. Er ist von herkulischem Körperbau und hat einen Bart, daher bekommt er den Spitznamen Neptun. Nach dem zweiten Bade macht man wieder einen Spaziergang bis zum Diner und am Abend manchmal einen Ausritt »im Schritt, nach Art der Schweizer Berg-Cavalkaden« oder eine Promenade am Strand, um den Untergang der Sonne im Ozean und den Aufgang des Mondes über den Pyrenäen zu bewundern.

Alle Mahlzeiten nehmen sie gemeinsam ein, meistens im Hotel, in den Zimmern der Orloffs. Und Bismarck revanchiert sich, indem er Picknicks in den Grotten und an lauschigen Stellen zwischen den Klippen veranstaltet.

Sie führen ein sorgloses und ungebundenes Leben in der freien Natur und gehen der eleganten Menge aus dem Wege, die sich auf dem Strande zusammendrängt, der seit einem Besuch des französischen Kaiserpaares in Mode gekommen ist. Die drei tun, als ob sie »allein auf dem Lande wären«. Bloß einige Bekannte der Orloffs – die alte Prinzessin Lieven und Wolkoff, ein kränklicher alter Sonderling – werden mit etwas mehr Rücksicht behandelt; den Rest ignorieren sie. Die Fürstin Katharina kleidet sich so einfach, daß ihre eleganten Landsleute sich geringschätzig von ihr abwenden. Was geht es sie an, sie sind ja nicht hier, um sich in das mondäne Leben zu stürzen, sie wollen frei sein und tun, was ihnen gefällt! Einzig das Leben in der frischen Meeresluft dieses bezaubernden Winkels zieht sie an, die Salons des Kasinos haben keinen Reiz für sie. Sie haben schon die ganze Küste durchforscht und sind auf reizende, ganz verlorene Fleckchen gestoßen, denen sie nun Namen geben, die man vergeblich auf der Landkarte suchen würde, und die fortan ihr Reich und ihr Revier bilden. Da gibt es eine »Leuchtturmgrotte«, einen »durchlöcherten Felsen« und ein Plätzchen inmitten der Klippen, das »Kattys Nest« getauft wird – denn Catty ist der vertraute Name der Fürstin – und vor allem spielt die »Möwenklippe« als Lieblingsplatz eine wichtige Rolle. Hier verbringen sie viele Stunden, da lesen, schreiben, picknicken und träumen sie. Hier haben sie sich für den ganzen sonnenheißen Tag des 19. August vereinigt, und Bismarck hat uns das Bild der kleinen Gruppe lebensvoll bewahrt: Fürst Orloff liegt ausgestreckt auf dem Rasen und raucht, Bismarck und Katharina haben sich's nebeneinander zum Schreiben bequem gemacht, indem sie ihre Bücher als Pulte benutzen; sie schreibt an ihre Eltern, er an Johanna: »¼ Meile nördlich von Biarritz ist eine enge Schlucht im Felsenufer, rasig, buschig und schattig, unsichtbar für alle Menschen, durch zwei Felsen mit Haidekraut in Blüte sehe ich das Meer grün und weiß in Schaum und Sonne; neben mir die reizendste aller Frauen, die Du sehr lieben wirst, wenn Du sie näher kennst, ein Stückchen Marie Thadden, etwas Nadi Frau von Polovtsoff. aber originell für sich, lustig, klug und liebenswürdig, hübsch und jung ... wenn ihr zusammenkommt, wirst Du mir vergeben, daß ich etwas für sie schwärme. ... Bin lächerlich gesund, und so glücklich, als ich fern von Euch Lieben sein kann.« [6]

So hat er noch über keine fremde Frau geschrieben und wird es auch nie wieder tun; das ist ein einzigartiger Ausbruch in seinen Briefen. Und ist nicht der Vergleich mit Marie von Thadden fast ein Geständnis? Marie von Thadden, diese Freundin seiner jungen Jahre, mit der ihn eine so gefühlvolle Freundschaft verband, war ja ebenfalls die Frau eines anderen! Wenn in diesem Brief an Johanna sein Gefühl vielleicht gegen seinen Willen mit Gewalt durchbrach, so legt er in dem Briefe, den er am nächsten Tag an seine Schwester schreibt, mit vollem Bewußtsein das Bekenntnis ab: »Seit die Orloffs gekommen sind, lebe ich mit ihnen, als ob wir allein auf dem Lande wären, und habe mich etwas in die niedliche Principesse verliebt ... Sie würde auch Dir sehr gefallen. Figur und Außeres etwa wie die Croy, Herzogin de Croy, geb. Fürstin von Ligne, Gattin des Herzogs Rudolf von Croy. dabei sehr originell, gescheit und lustig, etwas excentrisch, wie ihre Landsmänninnen zu sein pflegen, aber civilisiert durch französisch-deutsche Erziehung.« Allerdings fügt er, um seine Schwester – und vielleicht auch sich selber – zu beruhigen, nach diesem Geständnis hinzu: »Du weißt, wie mir das gelegentlich zustößt, ohne daß es Johanna Schaden tut!« [7]

Bismarck ist also verliebt! Er vergißt die ganze Welt darüber, seine einzige Sorge ist, daß nichts, weder Ereignisse noch Menschen, das Idyll stören möge, in dem er lebt. Und selbst als sein »alter Freund Galen« mit seiner Familie nach Biarritz kommt, um den Besuch in San Sebastian zu erwidern, nimmt Bismarck ihn nicht sehr gnädig, ja fast unhöflich auf: »Sehr mal à propos kamen mir vor drei Tagen Galens hier an ... sie störten mein Behagen ..., es wurde mir schwer, freundlich zu ihnen zu bleiben, vielleicht gelang es mir wirklich nicht, und die Alte wird Geschichten über mich ausbringen. Meinethalben; ich werde alt und dickfellig gegen das qu'en dira-t-on.« [8] Und mit fühlbarer Erleichterung bemerkt er nachträglich am Rande seines Briefes: »Heut sind sie fort!!«

Niemals hat eine fremde Frau solchen Zauber auf Bismarck ausgeübt wie Katharina Orloff. Er wird nicht so sehr von ihrer Jugend und ihrer Schönheit bezwungen – Schönheiten ist er genug in seinem Leben begegnet, er ist an ihnen vorübergegangen, indem er sie bewunderte, doch ohne sich aufzuhalten – als durch das Ganze ihrer ursprünglichen und frischen Persönlichkeit. Denn obwohl sie eine große Dame ist, kann sie von heiterer und sorgloser Einfachheit sein und zu all dem witzig und amüsant. Sie sagt selbst, daß zwei verschiedene Wesen in ihr leben - »die Fürstin Orloff« und »Catty«. Catty ist ein Spottvogel und ein Schelm, ist von elementarem, mitreißendem Schwung. Sie liebt alle möglichen Streiche, und es macht ihr Spaß, ihre Kameraden durch allerlei Unbesonnenheiten in Angst zu setzen, so wenn sie auf die glattesten Felsen steigt oder einen hohen Aquädukt erklettert. Dieses Abenteuer wäre übrigens beinahe übel ausgegangen: denn die Mauer wurde schmal und unsicher und Bismarck hatte gerade noch Zeit, sie zu umfassen und mit ihr herabzuspringen, was er so geschickt tat, daß sie alle beide hinfielen, aber ohne sich zu verletzen. Jahre später, in Versailles, während der Belagerung von Paris, hat Bismarck diesen Vorfall erzählt, er sprach von ihm wie von einem recht gewagten Abenteuer. Wenn Bismarck sie wegen einer Unbesonnenheit ausschilt, ist Katharina jedoch entzückt, denn wenn er böse wird, kann er seinen deutschen Akzent nicht verleugnen und behandelt sie als ›méchante henfant‹. Im übrigen ist sie sehr gescheit und hat klare und feste Anschauungen, die sogar manchmal denen Bismarcks entgegengesetzt sind, besonders auf dem Gebiete der Politik, was zu großen Diskussionen führt. Sie ist mit Entschiedenheit liberal und kämpft gegen die wildreaktionären Ideen an, die zu hegen Bismarck im Rufe steht. Des Abends aber an dem Fenster, das auf das mondbeschienene Meer geöffnet ist, spielt Katharina Beethoven, Chopin, Mendelssohn, deutsche Lieder und volkstümliche französische Chansons. Die Musik hat immer großen Einfluß auf Bismarck geübt; er liebt sie auf seine Weise, egoistisch, verstandesmäßig und leidenschaftlich. Musik muß frei geschenkt werden wie Liebe, sagt er. Das ist gewiß die ideale Art, und da er gesagt hat, gute Musik rege ihn oft nach einer von zwei entgegengesetzten Richtungen an, zu Vorgefühlen des Krieges oder der Idylle, so kann man sich die Wirkung vorstellen, welche die ihm jetzt von der Fürstin Katharina gebotene Musik auf ihn ausübt.

So fließt das süße Leben von Biarritz dahin, und Bismarck, der nur für ein paar Tage gekommen war, denkt nicht daran weiterzuziehen. In seinen Briefen an Johanna spiegelt sich die vollkommene Seligkeit, in der er lebt; er ist so strahlend glücklich, so bezaubert von der baskischen Küste, daß er ihr ankündigt: »Ich kaufe am Ende hier noch einen Ruhesitz in der Haide, wo wir in alten Tagen leben! Pfirsich und Muskat-Trauben essend, wie Kartoffeln.« [9]

Seine Briefe zeugen von wachsendem Wohlgefallen an der Fürstin Katharina, die er mit zärtlichen kleinen Namen nennt: »Catty«, »Kathi«, »Catsch«, selbst »meine bewunderungswürdige Catty« und - diesmal mit etwas mehr Vorsicht - »Kathy, die liebenswürdigste der Frauen bis auf Eine«. Es ist ein amüsantes Detail, daß sogar die preußischen Staatsarchive eine Spur der Intimität Bismarcks mit Katharina Orloff bewahren: der Brief, den er am 24. August als Antwort auf ein Schreiben Bernstorffs an diesen richtet, trägt das blaue Monogramm ›C. O.‹ Bismarck entschuldigt sich deswegen bei dem Minister, indem er sagt, daß, da sein Vorrat an Papier erschöpft sei, er sich das Blatt, auf dem er schreibt, »von einem russischen Freunde« habe borgen müssen. [10]

Und was hält Johanna von alledem? Denn nach den Briefen, die sie in Reinfeld empfängt, wird sie sich allerdings klar darüber, daß ihr Gatte sich in einer ungewöhnlichen Gemütsstimmung befindet. Die Ruhe ihrer Seele aber wird davon nicht berührt. In dieser außerordentlichen Frau lebt eine Kraft der Liebe und des Vertrauens, die sich durch nichts erschüttern läßt. »Wenn ich Anlage zu Neid und Eifersucht hätte, könnte ich mich jetzt wahrscheinlich bis in tiefste Abgründe von diesen Leidenschaften tyrannisieren lassen. In meiner Seele ist aber gar kein Stoff dazu vorhanden, ich freue mich nur immerzu ganz ungeheuer, daß mein lieber Gemahl die reizende Frau dort gefunden, ohne deren Gesellschaft er nimmer so lange Ruhe auf einem Fleck gehabt hätte und dann nicht so gesund geworden wäre, wie er's in jedem Briefe rühmt. Das biskayische Meerwasser und die südfranzösische Luft haben ihm wundervoll wohlgetan, – Gott sei tausend Dank dafür!« [11] Nichts bewegt sie als die Freude über das Wohlsein ihres geliebten Otto. Und so darf auch Bismarck es versuchen, seine Frau in den Enthusiasmus für diese reizende Frau hineinzuziehen: Katharina muß ein paar Worte an Johanna schreiben, um sie über die Gesundheit ihres »Ottochens« zu beruhigen, und: »wenn Du der Orloff freundlich antworten willst, dann tu es auf deutsch; sie spricht es wie wir, schreibt aber lieber französisch. ... Sie ist eine Frau, für die Du Dich passionierten würdest, wenn Du sie kennst«, [12] fügt Bismarck hinzu. Er hat sich selbst für diese Frau begeistert, und jetzt möchte er, daß Johanna seine Begeisterung teile. Das mag zunächst etwas extravagant erscheinen, aber wenn man sich über die eigentliche Natur seiner Beziehungen zu der Fürstin Katharina klar ist, wird es verständlicher. Daß sein Gefühl für sie Liebe ist, darüber kann es nicht den Schatten eines Zweifels geben. Aber es ist eine Liebe, die sich ihrer Grenzen bewußt bleibt und darum freilich nur um so schwärmerischer wird. Allein schon in der Nähe dieser Frau zu leben, die ihm soviel bedeutet, macht Bismarck glücklich; ihre Gegenwart ist ihm genug, es handelt sich um nichts anderes, seine Liebe für sie ist edel und rein, und er braucht sie nicht zu verbergen.

Was Katharina Orloff anbetrifft, so steht sie gerührt und ergriffen vor der unerwarteten Bewunderung des großen Mannes, der 25 Jahre älter ist als sie. Sie hegt für ihn eine unverhohlene Zärtlichkeit und Sympathie. Schließlich finden sie beide eine Formel, die den Charakter ihrer Beziehungen gut ausdrückt. Er ist der Ritter, der ihr in Treuen dient, sie nimmt seine Huldigung entgegen; da er jedoch so viel älter ist als sie, und da sie doch andrerseits sehr viel intimer mit ihm ist als mit irgendwelchen Freunden sonst, räumt sie ihm eine ganz besondere Stellung ein – sie adoptiert ihn als ihren »Onkel« und will künftig seine »Nichte« sein. Auf diese Weise wird er ihr immer sehr nahe stehen und ihre Beziehungen zueinander werden durch diese Wahlverwandtschaft ein für allemal eingeordnet und begrenzt. Zur Besiegelung des Bundes der Wahlverwandtschaft finden sie eine Geste, welche sie noch mehr vereinen soll – auch dies eine Geste voller Zartheit des Gefühls. Auf ihren Spaziergängen haben sie oft den Leuchtturm von Biarritz besucht. Ein Wächter dort, mit Namen Lafleur, ist mit einer der Badefrauen verheiratet und diese, Jeanne, wird demnächst ein Kind bekommen. Ihre Wirtschaft ist ärmlich, fast elend, und die Ankunft des Kindes wird sie noch mehr belasten. Der »Onkel« und die »Nichte« befassen sich nun mit dem Wohl der armen Leute: Katharina leidet tief darunter, kein Kind zu haben, und da sie alles in der Welt hergeben würde, um eines zu besitzen, ist sie um so mehr entsetzt darüber, daß eine solche Aussicht für diesen Haushalt statt Freude nur Sorge bedeutet. Einem plötzlichen Einfall folgend, schlägt sie Bismarck vor, ein wenig Glück in das Leben dieser Armen zu bringen, indem sie gemeinsam Paten des Kindes werden. Bismarck willigt ein, der Vorschlag wird Lafleur unterbreitet, der mit Freuden einverstanden ist. Und als später, im Dezember das Kind geboren wird, ist es ein Junge und empfängt in der Taufe Bismarck zu Ehren den Namen »Othon«.

Fürst Orloff aber hat volles Verständnis für die Neigung, die Bismarck für Katharina empfindet; nachsichtig lächelnd und mit menschlichem Interesse sieht er Katharinas Freundschaft mit diesem Manne zu, in dem er als weitsichtiger Diplomat den großen Politiker der kommenden Zeit erkennt. Und in dem Kulte, den die beiden Männer dieser Frau entgegenbringen, verbinden auch sie sich zu einer offenen und festen Freundschaft, welche später selbst durch politische Meinungsverschiedenheiten niemals erschüttert werden wird.

So hat Bismarck keinen Grund, vor Johanna seine Beziehung zu Katharina Orloff zu verbergen. Nur entdeckt er ihr vielleicht doch nicht die ganze Tiefe seines Gefühls und sucht ihr, was Liebe ist, als Freundschaft zu schildern, an der auch sie teilnehmen soll. Aber gegen seinen Willen sagt der Ton seiner Briefe alles, und der wahre Charakter seines Gefühls wird offenbar. Johanna kennt ihn viel zu gut, um nicht zu merken, was in ihm vorgeht, wenn sie seine Briefe liest. Sie weiß indessen, daß Bismarck seine Grundsätze hat, und auch sie hat die ihren: Vertrauen in ihren Gatten ist das Fundament ihres Wesens. Darum ist sie nicht in Sorge; sie weiß, daß ihr ehelicher Friede nicht bedroht ist.

Er steht so vertraut mit den Orloffs, daß man ihn ganz familiär behandelt. Seine Adoptivverwandtschaft erweitert sich auch noch; denn da nun Katharina einmal seine »Nichte« ist, kommt auch noch ein Fräulein Marie Meynard hinzu, eine entfernte Kusine der Fürstin, die bei ihr etwa die Rolle der Gesellschaftsdame spielt; sie wird wegen ihrer Haare und wegen ihrer Hautfarbe »die Schwarze« genannt. Weil sie also Katharinas Kusine ist, wird sie auch eine Nichte von Bismarck, bloß nennt er sie »die schwarze Nichte«, um sie von Katharina zu unterscheiden, der »Nichte« schlechthin. Und außerdem ist auch noch die alte Erzieherin der Fürstin dabei, die sie begleitet, eine Mademoiselle Guimbal, genannt »Tante Bimbiche«. Zwei Nichten, eine Tante und die Aussicht auf einen Patensohn, wirklich, Bismarck hatte solchen Familienzuwachs nicht vorausgeahnt, als er nach Biarritz kam!

Es ist Ende August; der verzauberte Aufenthalt naht seinem Ende. Die Orloffs werden bald nach den Pyrenäen in der Richtung von Toulouse und Avignon abreisen, um Genf und dann Italien zu erreichen, wo sie die Mutter des Fürsten besuchen wollen. Bismarck hat noch einige Tage Urlaub vor sich und beschließt, die Orloffs auf ihrer Fahrt durch die Pyrenäen zu begleiten. Er will mit ihnen bis nach Avignon gehen, von dort wird er wohl nach Berlin zurückkehren müssen, entweder direkt oder über Paris. Er kann sich nicht dazu entschließen, das Leben an Katharinas Seite abzukürzen, er will es bis zur letzten Minute auskosten; er weiß, was ihn nachher erwartet, ein Leben am Schreibtisch inmitten politischer Unruhe, wo er wieder zu der offiziellen Persönlichkeit werden muß, die seine »Nichte« den »Plenipo«, den Allgewaltigen nennt. Er will diese sorglosen Tage, wo er der »Onkel« und sie ganz einfach »Catty« ist, bis zur Neige genießen; denn wenn sie sich dann wieder in der großen Welt begegnen, wird sie für ihn »die Fürstin Orloff« und damit nicht mehr dieselbe sein.

Am 1. September reist die ganze lustige Gesellschaft nach Pau ab, wo übernachtet wird. Am nächsten Tage besuchen sie Lourdes und Pierrefitte und treffen in Cauterets ein. Von dort machen sie zu Pferd Ausflüge nach St. Sauveur, Barèges und Luz. Am 4. steigen sie in einer ganzen Kavalkade zum Cirque de Gavarnie auf und von dort geht's weiter zum Pic du Midi. In einer Berghütte verbringen sie daselbst die Nacht des 5. September und warten auf den Sonnenaufgang über der Pyrenäenkette. Sie nächtigen am Boden in Decken eingehüllt. Und während Tante Bimbiche ächzend zu schlafen versucht, lesen Orloff und Bismarck in Byron – dem einzigen Buch, das zur Hand ist –, schreiben Briefe, plaudern und vertreiben sich mit allerhand Dummheiten die Zeit. Die Tatsache, daß er nurmehr ein paar freie Tage vor sich sieht, würzt für Bismarck noch den Zauber dieser Stunden: »Ich genieße diese wenigen Tage Freiheit noch wie ein Schuljunge die Ferien, mein Urlaub ist eigentlich heut' zu Ende, ich verlängre ihn eigenmächtig um einige Tage. Was soll ich in Paris? Ich nehme an, daß ich nach Berlin zitiert werde, sobald ich dort ankomme.« [13] Und indem er alle Sorgen in den Wind schlägt und seinen Ehrgeiz vergißt, streift er noch eine Woche länger an der Seite der schönen Frau umher. Man fühlt sich an den wilden Ausflug des jungen Bismarck im Gefolge der Isabella Loraine erinnert, wo er auch seinen Urlaub überschritt, um sich an die Fersen einer geliebten Frau zu heften. Nicht umsonst behauptet er, im Jungbrunnen von Biarritz die Jahre der Jugend wiedergefunden zu haben, denn bei dieser jetzigen Reise zeigt seine Haltung ganz ähnliche Züge wie damals vor fünfundzwanzig Jahren. Nur nähert er sich heute den Fünfzigern, seine Liebe ist ganz platonisch, er ist Gesandter und macht keine Schulden mehr!

Erst in Toulouse, wo sie am 12. September sind, fängt Bismarck an, zur Wirklichkeit zurückzukehren. Er findet dort einen fast 14 Tage alten Brief von Roon vor, in dem der Freund ihm mitteilt, daß, obwohl der König immer noch unentschieden ist, die Zeit sich nähert, wo Bismarck seine Pflicht auf sich nehmen muß: »Gefochten muß und gefochten wird werden ... Ich kann mir denken, daß Sie, mein alter Freund, sehr disgustiert sind ... Aber ich hoffe noch immer, daß Sie um deswillen nicht boudieren, sondern sich vielmehr der altritterlichen Pflicht erinnern werden, den König herauszuhauen, auch wenn er, wie geschehen, sich mutwillig in Gefahr begab ... Ich fingiere daher Ihr Einverständnis und rate, Sie einstweilen zum Ministerpräsidenten ohne Portefeuille zu ernennen, was ich bisher vermieden; es geht nicht anders!« [14]

Dieser Brief tut seine Wirkung, Bismarck fühlt, wie die politische Notwendigkeit wieder Macht über ihn gewinnt, und damit kehren sein Tätigkeitsdrang und sein Ehrgeiz zurück. Er beginnt aus dem schönen Traum heraus zu erwachen, nun gilt es den Kampf aufzunehmen, und nicht umsonst hat Roon an seine Rittertreue appelliert. Er muß sich nun entscheiden: soll er nach Paris zurückkehren und auf Instruktionen warten, oder ist es besser, direkt nach Berlin zu fahren? Letzteres würde ihm sogar erlauben, die Orloffs bis nach Genf zu begleiten, denn das liegt auf dem direkten Wege nach Berlin. »Jedenfalls hat dieses Stückchen Romantik in Berg, Wald, Wellen und Musik sein Ende erreicht und die Sehnsucht nach Euch und der Heimat tritt neben der kahlen Wirklichkeit des Geschäftslebens mit solcher Macht in ihre Rechte«, [15] schreibt er nicht ohne Melancholie von Toulouse an Johanna. Er beschließt diesen Brief, ohne noch zu einer Entscheidung gekommen zu sein; dann macht er einen einsamen Spaziergang durch die Stadt, um seine Gedanken zu ordnen. Als er ins Hotel zurückkommt, ist sein Entschluß gefaßt. Die Stunde der Tätigkeit hat geschlagen, und er stellt Roon ein richtiges Ultimatum: »Meine Sachen liegen noch in Petersburg und werden dort einfrieren, meine Wagen sind in Stettin, meine Pferde bei Berlin auf dem Lande, meine Familie in Pommern, ich selbst auf der Landstraße ... Ich habe in meiner Einsamkeit die alte Gesundheit mit Gottes Hilfe wiedergewonnen und befinde mich wie seit zehn Jahren nicht ...« [16] In seiner Einsamkeit? – Weiter erklärt er, daß er völlig bereit sei, den Posten eines Ministers ohne Portefeuille zu übernehmen, aber er verlangt eine sofortige Entscheidung, ob man ihn nun zum Ministerpräsidenten ernennen oder ihn in Paris lassen will. Im letzteren Fall aber will er sich dort mit seiner Familie endgültig einrichten und nicht dulden, daß man ihn so bald wieder versetzt; man soll ihn gleich für ein paar Jahre in Paris lassen, oder sogleich nach Berlin nehmen. Er mag diese Unsicherheit nicht länger ertragen und will eher seine Entlassung einreichen, als sich ihr von neuem unterwerfen. »Schaffen Sie mir diese oder jede andere Gewißheit, und ich male Engelsflügel an Ihre Photographie!« [16] schließt er.

Das Ultimatum ist gestellt, in seinem starken Innern weiß er wohl, daß man ihn in Berlin nötig hat.

Inzwischen setzt er mit den Orloffs die Reise fort. Am selben Tage, dem 12. September, kommen sie nach Montpellier; und gleich nach der Ankunft schreibt Bismarck an Bernstorff, den preußischen Außenminister, daß er wissen möchte, welche Entscheidung er zu erwarten hat. Zugleich entschuldigt er sich wegen der eigenmächtigen Verlängerung seines Urlaubs um sechs Tage, indem er die Hoffnung ausspricht, daß der Minister »die Theorie einiger Kollegen gutheißt, nach welcher der Gesandte in dem Lande seiner Mission überall auf dem Posten ist«.

Am 14. September sind die Orloffs und Bismarck in Avignon, und hier müssen sie Abschied nehmen. Wie das vor sich gegangen ist, darüber haben wir kein Zeugnis. Der Brief, den Bismarck an diesem Tage an Johanna schreibt, enthält nur ein paar Zeilen: »Nur ein Lebenszeichen schicke ich in Eile zwischen Merkwürdigkeiten und Eisenbahn aus der alten Stadt der Päpste; heut' abend schlafe ich so Gott will in Lyon, übermorgen früh schreibe ich Dir aus Paris mit bessrer Tinte. Oliven, Maulbeeren, Feigen, rote Trauben rundum.« [17]

Hat er ein zu schweres Herz, um mehr zu schreiben? Oder will er Cattys Gegenwart bis zur letzten Minute auskosten und keine Zeit mit langem Schreiben verlieren? Jedenfalls trennen sie sich hier in Avignon, und der schöne Traum ist zu Ende. Bismarck rollt mit dem Zuge nach Paris und seinem Schicksal entgegen. Aber in dem Zigarrenetui, das er immer bei sich trägt, nimmt er ein paar kleine, sorgfältig bewahrte Andenken an Katharina mit: eine Nadel, eine kleine gelbe Blume, etwas Moos, das sie gepflückt, und endlich einen Olivenzweig, den sie ihm auf der Terrasse von Avignon im Augenblick des Abschieds gegeben hat ...

Am 16. September ist Bismarck in Paris. Er erhält hier eine chiffrierte Depesche von Bernstorff als Antwort auf seinen Brief von Montpellier: »Privatbrief vom 12 empfangen. Der König genehmigt, daß Sie jetzt herkommen, und ich rate Ihnen, sogleich zu kommen, da Seine Majestät bald wieder abreist.« Der Ruf nach Berlin ist also da und wird am 18. verstärkt durch das Telegramm Roons: »Beeilen Sie sich. Periculum in mora.« Gefahr in Verzug! Am gleichen Tag reist Bismarck ab.

Aber während dieser zwei kurzen Tage in Paris hat er trotz aller Arbeit Zeit gehabt, an Katharina Orloff zu denken. Denn zum Beweise seiner Anhänglichkeit ist er nach Bellefontaine gegangen, um der Fürstin Trubetzkoi, die ihre Tochter zärtlich liebt, einen Besuch abzustatten. Auch schreibt er an Katharina, die sich jetzt in Genf befindet, einen Brief. Unglücklicherweise ist uns gerade dieser erste von all seinen Briefen an sie nicht erhalten; aber wir wissen, daß er, während er schrieb, »in aller Muße traurig« war und »über seinem Kummer brütete«. Trotz seines Versprechens in dem Brief aus Avignon aber schreibt er nicht an Johanna; der nächste Brief an seine Frau ist eine Woche nach seiner Abreise von Avignon aus Berlin datiert.

Die Fürstin Katharina antwortet sogleich: »Mein lieber Onkel! Bravo, daß Sie so gut französisch schreiben, ich war ganz verwundert darüber, ich erkenne den ›Kannegießer‹ von Biarritz nicht mehr, das ist der illustre Plenipo, der nun wieder zum Vorschein kommt. Es ist gut und lieb von Ihnen, daß Sie während Ihres kurzen Aufenthaltes in Paris Mama nicht vergessen haben, ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, es war eine reizende Aufmerksamkeit ... Wir sind hier in strömendem Regen angekommen ... auch war ich wieder ganz die Fürstin Orloff, und die tolle Catty ist so schnell wie möglich nach Biarritz zurückgekehrt! Wissen Sie, daß ich immer Heimweh nach Biarritz habe? Gestern abend war der See ein wenig wild, ich war ganz glücklich darüber, weil mich sein Rauschen an das Meer erinnerte und ich habe gesummt: ›Ach wer bringt die schönen Tage ...‹ Die anderen Lieder: ›Le petit navire‹, ›La Gitronelle‹, ›Sonne, sonne‹ und ›Schlaf Kindchen‹ sind auch an der Reihe, seitdem ein kleiner Sonnenstrahl erschienen ist ... Zum erstenmal seit ich hier bin, fühle ich mich heute vergnügt, das schlechte Wetter quält mich und bringt mich herunter, und außerdem hat die arme Tilda Tilda ist die deutsche Zofe der Fürstin. gerade ihren Bruder verloren, was mich für sie traurig macht. Übrigens: Tilda schwärmt für Sie! ... Gute Nacht, es ist jetzt Zeit zum Schlafengehen, denn es ist schon 11 Uhr vorbei, und ich bin um ½7 aufgestanden. Die Tante und die schwarze Nichte schlafen, und nur ich kritzle noch wie in Luchon, wo Sie das so zur Verzweiflung brachte – diesmal werden Sie wohl nachsichtiger sein, da es für Sie ist. Gute Nacht also, mein lieber Onkel, leben Sie wohl und vergessen Sie uns nicht ... Dieser letzte Teil des Briefes ist deutsch. So, gute Nacht! Schlafen Sie wohl und träumen Sie von Biarritz! Nikolai läßt Sie grüßen, und ich drücke Ihnen beide Hände von ganzem Herzen. Catty«.

So schreibt sie von Genf am 18. September. Doch am nächsten Tage kommt Verdruß. Bismarck hat bei seinem Besuch bei der gestrengen Fürstin Trubetzkoi zu viel von den Tollheiten und Eskapaden in Biarritz erzählt. Und nun hat Katharina von ihrer Mutter einen Brief mit ernsten Vorstellungen bekommen. Überhaupt ist sie ein wenig beleidigt über die Indiskretion ihres »Onkels« und schreibt ihm ein Briefchen, in dem sie ihre Unzufriedenheit zu erkennen gibt:

»Es war ohne Zweifel sehr lieb und reizend von Ihnen, Mama aufzusuchen, und ich beginne damit, Ihnen tausendmal zu danken, aber ich muß auch ein bißchen schelten. – Ich habe Sie so oft gebeten, Mama nichts von unseren Streichen zu erzählen, Sie haben es trotzdem getan, und sie hat mir einen vorwurfsvollen Brief geschrieben. Sie werden zwar entgegnen, daß Sie fast nichts gesagt haben, sie ist aber jedenfalls böse geworden und hat mir geschrieben: Ich weiß von all Deinen Streichen. Ich ärgere mich ein bißchen über Sie, lieber Onkel, und ich verhehle es Ihnen nicht, diesmal sind Sie nicht mein Schutzengel gewesen, und wenn wir uns jemals in Biarritz wiedersehen, werden Sie mich so gesetzt wie ein Standbild wiederfinden und so verdrießlich wie das schlechte Wetter. Drum gute Nacht und nochmals vielen Dank, doch Spaß beiseite – es war sehr lieb, daß Sie mir Nachrichten von Mama gegeben haben. Sie haben eine Eroberung an ihr gemacht, und ich habe mit viel Vergnügen gehört, daß sie auch eine an Ihnen gemacht hat. Wolkoff hat an Nikolai geschrieben, daß Sie sehr liebenswürdig von ihr gesprochen haben. Ich hoffe, daß Sie auch daran gedacht haben, Medor Medor war der Lieblingshund der Fürstin Katharina. besuchen.

Nikolai umarmt Sie, und ich drücke Ihnen nicht die Hand und verleugne meinen Onkel. Die strenge schwarze Nichte triumphiert, weil Sie mich im Stich gelassen haben, ich belohne Sie mit einem Händedruck. Nikolai umarmt Sie.

Fürstin Orloff.

 

Genf 19. September.

Dieses strafende Brieflein mit der unterstrichenen Unterschrift, welche die ganze Unzufriedenheit der »Nichte« kundgibt, traf Bismarck schon in Berlin und inmitten der ernstesten Tätigkeit. Denn die politische Situation daselbst ist tatsächlich verzweifelt.

Im Schloß Babelsberg geht König Wilhelm ganz niedergeschlagen in seinem Arbeitszimmer hin und her; auf dem Tisch liegt schon seine Abdankungsurkunde, die er nur noch zu unterzeichnen braucht. Roon nennt den Namen Bismarck als letzte Rettung. »Erstens ist er nicht da, und dann wird er jetzt auch nicht mehr wollen«, antwortet der König. Am 20. September betritt Bismark den Schauplatz, mager und sonnenverbrannt, »als hätte er gerade die Wüste auf dem Rücken eines Kamels durchquert«, mit einem Hauch von guter Gesundheit und Energie, der allen auffällt, denen er begegnet. Noch ein Tag geht in Unentschiedenheit dahin. Endlich am 22. wird Bismarck nach Babelsberg gerufen. – »Sind Sie bereit ohne Majorität zu regieren?« fragt ihn der König. – »Ja!« – »Auch ohne Budget?« – »Ja!« – »Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdiciere nicht.«

Nun ist es also geschehen. Bismarck hat vabanque gespielt – und gewonnen. Seine Berechnung war richtig, er ist ganz wie der » Deus ex machina« der antiken Tragödie erschienen, gerade im beabsichtigten psychologischen Augenblick, als nur noch sein Auftreten ein Entkommen aus der Sackgasse, in der man sich verrannt hatte, ermöglichen konnte! Am 23. September erfolgt Bismarcks Ernennung zum Ministerpräsidenten und zum Minister des Auswärtigen. Endlich ist er dahin gelangt, die Macht in Händen zu halten, die so lange Jahre hindurch das Ziel seines Ehrgeizes war. Eine neue Phase seines Lebens beginnt, sie wird ihn zum Ruhm und Siege, schließlich auch zum Sturze führen. Fest und sicher nimmt er die Geschicke Deutschlands und mit ihnen die ganz Europas in die Hand.

Und Biarritz und Catty?

Einige Tage nach seiner Ernennung tat Bismarck im Budgetausschuß des Abgeordnetenhauses, mit dem die Regierung um die Heeresvorlage kämpfte, den historisch gewordenen Ausspruch: »Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.« In dieser Sitzung zieht er aus seinem Zigarrenetui einen kleinen Olivenzweig hervor, zeigt ihn einem neben ihm sitzenden Abgeordneten aus den Reihen der Opposition und sagt: »Diesen in Avignon gepflückten Olivenzweig habe ich mitgebracht, um ihn der Volkspartei als Friedenspfand anzubieten; aber ich sehe, daß die Zeit dazu noch nicht gekommen ist!«

Welch merkwürdige Geste begleitet diesen Augenblick, wo er die Worte ausspricht, die ihm seinen Beinamen eintragen, wie geheimnisvoll verwandelt er auf diese Weise das kleine unbedeutende, aber für ihn unschätzbare Erinnerungszeichen seines soeben verklungenen Herzenserlebnisses in ein politisches Symbol!


Quellenachweise

1. Briefe an Schwester und Schwager S. 139

2. Gesammelte Werke, Bd. III S. 140

3. Briefe an Braut und Gattin S. 447, 448

4. Ebenda S. 448, 449

5. Ebenda S. 449

6. Ebenda S. 450

7. Briefe an Schwester und Schwager S. 141

8. Ebenda S. 142

9. Briefe an Braut und Gattin S. 451

10. Gesammelte Werke, Bd. III S.396-398

11. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck S. 96

12. Briefe an Braut und Gattin S. 454

13. Ebenda S. 457

14. Gedanken und Erinnerungen S. 243

15. Briefe an Braut und Gattin S. 460

16. Gedanken und Erinnerungen S. 243-245

17. Briefe an Braut und Gattin S. 460

18. Gedanken und Erinnerungen, Bd. I S. 268


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