Georg Freiherr von Ompteda
Die Tafelrunde
Georg Freiherr von Ompteda

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Vom Tode fürs Vaterland.

Über die in tiefem Schlummer nur leise atmende Erde, durch sternenlose Nacht marschiert schweigend die Kompagnie. Vorwärts, wie es einen andern Weg nicht gibt für preußische Soldaten. Dem Abend zu heben sich die großen Gestalten vom Himmel ab, dann wieder ahnt man gegen das dunkelnde Land die weißen Gardelitzen. Kein Ton, kein Laut als einmal das Knacken eines Herbstzweiges unter dem Druck schwerer Kommißstiefel. Dann ein Wink: ein Flüstern gleitet durch die Reihen wie der Wind wellenkräuselnd über einen See, und – ,halt'.

Vorn der Hauptmann. Groß. Blond. Niedersächsisches Blut. Die blauen Augen sind dorthin gerichtet, wo man die Höhen ahnt in der Ferne. Er lauscht. Nur ein Bach plätschert irgendwo.

Vorwärts. Leise. Da mit einem Male – wo kommt er her? – ein Riesenschatten. Etwas hebt sich über ihm, spitz – der Turm. Die Kompagnie steht an einer hohen Mauer. Lang streckt sie sich hin.

Ein Wink – wiederum ›halt‹ – und ›nieder‹. Die Grenadiere knien. ›Gewehr – ab.‹ Lautlos sinken hundert und mehr Gewehrläufe.

Der Hauptmann tritt an die Mauer. Er tastet. Da ist das Tor. Es knarrt. Entschluß: ein Ruck, und es geht lautlos auf. Stufen führen hinan. Heller leuchtet etwas. Einzeln. Hochragend. Der Hauptmann tritt hinauf: die Steine wachsen. Nun sind sie breit: marmorne, eiserne, hölzerne Arme. Kreuze. Hügel nun. Tafeln. Gitter. Grabsteine. Ein Kirchhof.

Der Hauptmann schreitet zwischen den Gräbern hin. Der Lebende über den Toten. Unten liegen sie in langen engen Reihen wie gefallene Schützenketten auf dem Schlachtfelde, Mann an Mann.

Die Mauer macht ein Knie, die Reihen der Toten trennend von den Lebenden, die dort unten wohnten im verlassenen Dorf. Der Hauptmann tritt dicht an die gegen den Erddruck des hochliegenden Kirchhofs gewaltig stark gegründete Mauer. Wie sich sein Auge mählich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt, dämmern unten Dächer. Über ihnen das weite Land, ein Grau, ein Dunkel in nächtiger Finsternis. Über Höhen errät man die Linie des Himmels.

Der Hauptmann holt die Kompagnie. Die Gardisten tasten sich vor zwischen den Gräbern. An der langen Mauer natürlichem Festungswall ziehen sie sich auseinander. Die Zugführer dahinter. ›Nieder!‹ – ›Ruhen!‹ Und der Riesenkerls gewaltige Bauernglieder strecken sich auf Steinplatten wie grasigem Hügel und lehmig harter Erde. Oben die Lebenden, unten die Toten.

Die Gardisten stemmen das Kinn in die schwielige Hand. Gewehr im Arm, die Knie auseinanderfallend, schließen sie die Augen, nicken ein, träumen von Muttern, vom Feld daheim, das sie lassen mußten, ehe denn die Ernte kam. Wie steht das Korn? Wie das zweite Gras? Wer wird es mähen? ,Es ist ein Schnitter, der heißt Tod!'

Der blutjunge, weißblonde Leutnant, mit weißen Wimpern, kein Haar am Kinn, steht, prall in seine Uniform geschnürt, auf dem höchsten Grabhügel, denn er ist nur ein kleines Kerlchen, um über die Mauer zu spähen. Er rührt sich nicht, das Einglas im linken Auge. Der Fähnrich, hinter dem nächsten Zuge, ragt bei seinen sechseinhalb Fuß über die steinplattenabgedeckte Mauer, ohne auf einen Grabhügel zu treten. Drüben dem Vizefeldwebel mit dem mächtigen, struppigen roten Bart blinken Kriegsdenkmünzen, bei Düppel geholt und Königgrätz, auf der Brust.

Unbeweglich starren die drei. Unbeweglich steil der Hauptmann. Nur manchmal läuft sein Blick über die Schläfer längs der Mauer. Lasset sie ruhen, wie die Reihen unter ihnen, die der Rasen deckt, lasset sie ruhen! Steinern steht der Hauptmann zwischen den Grabkreuzen und wartet, bis auf der leise atmenden Erde der Tag erwacht, drüben auf den Höhen, hinter denen gestern nach unentschiedenem Gefecht todesmatt der Feind sich gelagert.

Der Hauptmann träumt. Er denkt an seine braven Leute, die gestern den Tod starben, den herrlichsten auf Gottes schöner Erde, den Tod fürs Vaterland. ›Fallen wie Kräuter im Maien.‹ Er denkt an seine Offiziere, neben ihm geblieben beim vergeblichen Angriff auf den hochgelegenen Kirchhof, den sie eben nächtlich besetzt, da der erschöpfte Gegner ihn geräumt. Der Hauptmann denkt heim. Er ließ eine junge Frau zurück. Wochen kaum vor der Kriegserklärung wurde sie sein. Er greift an seine Brust, wo unter dem Waffenrock ein kleines rundes Bildnis hängt. Er hält es umfaßt. So steht er unbeweglich.

Aus tiefem Dunkel klärt mählich sich der Himmel. Fahl schauen jetzt die Dächer herauf von der Senkung, in der das Dorf liegt. Der Hauptmann mustert die Reihe der Schläfer an der Kirchhofswand. In langer Reihe hocken sie, Gewehr im Arm.

Aber da...? Wer liegt da? Rot die Hose? Ein Franzose mitten unter den Gardisten? Und sie rühren sich nicht? Und da, noch einer. Drüben eins, drei – fünf – zehn ... zwischen den Gräbern. Hebt keiner die Hand gegen die Preußen? Wacht keiner auf?

Der Hauptmann wendet sich um, wie das Licht steigt. Da, hinter ihm, steht die weiße Mauer der Kirche, da lehnen sie, ruhen sie, schlafen sie den ewigen Schlaf, die Rothosen, wie die da unten unter der Erde, in langen engen Reihen, Mann an Mann. Nun haben auch die Zugführer die Gefallenen erblickt. Dem Vizefeldwebel zuckt kein Nerv. Er kennt's von Schleswig wie Böhmen. Täglich Brot des Krieges. Der kleine Leutnant läßt zwischen den weißblonden Wimpern die Augen wandern, starr durch das dicke, eingeklemmte Glas. ›Verflucht‹, brummt er. ›Verflucht‹ ist alles, was er gestern sagte, als er hinter seinem Hauptmann in den Hof drang, wo die Leichen geschichtet lagen, wo der Stolz der Garde fiel.

Der lange Fähnrich aber starrt einem Linienoffizier ins Gesicht, dicht zu seinen Füßen, der ihn wieder ansieht, seltsam-grausig, ohne die Lider niederzuschlagen – aus verglasten Augen. Und der Reihe nach erwachen die Gardisten, erblicken ihre Nachbarn, die toten Franzosen, eindoubliert zwischen sie wie eine verstärkte Schützenkette. Und die Preußen stehen auf, einer nach dem andern, packen zwei und zwei die Leichen, tragen sie ein Stück zurück, werfen sie irgendwohin zwischen die Gräber. Werfen – zum Legen ist keine Zeit. Platz den Lebenden, noch Lebenden, über den Toten, vor den Toten.

Steil steht der Hauptmann, die linke Hand am Waffenrock, wo die Kapsel mit dem Bilde ruht, in der Rechten das Glas.

Und es wird Tag. Rot ist der Himmel entzündet. Wie Blut. Blut wird der Morgen kosten. Blut über den blutigen Mittag hin, bis zum blutigen Abend, wenn die Sonne das Firmament von neuem färbt, gleich Blut, warmem, dampfendem Menschenblut.

Noch liegt Schweigen über der erwachenden Erde. Drunten im Dorf, das die Patrullen abgesucht, ist alles Leben erstorben. Die Höhen hinan in den Weinbergen Totenstille. Kein Tier blieb in den verlassenen Häusern. Kein Vogel singt im Herbstlaub dem jungen Tag entgegen. Der Kanonen Gebrüll, der Gewehre Geknatter trieb alle lebende Kreatur davon. Hier atmet nur die Brust der Sieger, denn Sieger wollen, Sieger werden sie sein, ob im Leben, ob im Tode!

Da gibt der Hauptmann einen Wink: ›Auf!‹ Die Köpfe tauchen über den Mauerrand. Todbergende Läufe strecken sich dem Feind entgegen. ›Geladen!‹ Leise klappern die Schlösser. Alles wieder still. Man hört den Atem der Menschenbrust. Hell wird es und heller.

Plötzlich: Bumm – – Bumm. Kanonendonner. Puff – ein Schuß. Das Echo von drüben. Puff – Puff – Puff, und Bumm – Bumm – Bumm. Eine Salve peitscht hin wie ein Schlag. Schützenfeuer – trtrtrrrrrrr, gleich Trommelwirbel. Drüben auf den Hügeln steigen Wölklein auf. Patsch – hinter den Gardisten schlägt es an die Kirchenwand, daß der Kalk spritzt: verirrte Chassepotkugeln. Und dann ununterbrochen: Bumm – Bumm, ratsch – puff – trrrrrrr. ... Die Höhen drüben beginnen zu leben. In den Weingärten blinkt es: rote Hosen, rote Käppis. Weiße Dampfwolken schweben darüber. Eine Kolonne wälzt sich herab. Hui, wird die empfangen!

Dunststreifen ziehen hin, lagernd über den Hängen. Geknatter und Geprassel und Getöse. Schmettern und Gellen, Dröhnen und Donner. Hornruf. Trommelwirbel. Durch das Toben gellt lächerlich klar ein grelles, näselndes Kommando.

Der Hauptmann winkt die Zugführer heran. Deutet ihnen das Ziel. Das Einglas blitzt hinüber, des langen Fähnrichs helle Augen, des Rotbarts drohende, die schon so oft den Tod erblickt. Und alle vier mustert vom Boden der tote französische Offizier aus schwarzen, glasigen Augensternen.

Mit einem Male richtet sich der Hauptmann hoch auf. Er läßt die Hand von der Brust: versunken Weib und Weichheit vor Kampf und Krieg. Mit heller Mannesstimme gellt sein Kommando: ›Legt an!‹ – ›Feuer!‹ – Dumpf kracht die Salve.

Echo von der Kirchenwand. Der Pulverdampf, weit hinaus ins Leere über das Dorf getragen, schlägt, vom Wind erfaßt, zurück. Wickelt die Schützenreihe ein, während die Schlösser rasseln beim ›Geladen!‹ Die Wolke ist verblasen.

›Legt an!‹ – ›Feuer!‹ kommandiert der Hauptmann. Auf der Grabplatte steht er, die Absätze geschlossen, wie in Potsdam im Dienst vor der Kompagnie.

Drüben stockt das Feuer. Aus den Weingärten verzieht sich der Rauch. Keine neuen Pulverwolken steigen, als schwiegen sie verblüfft ob des neuen Angriffs. Die dritte Salve kracht. Nun: Schützenfeuer. Da stehen die Kerls längs der Mauer, just hoch genug zum Armauflegen, zielen kalt und ruhig wie auf dem Schießstand. Die drüben haben sich gefaßt und senden Antwort. Doch ihre Kugeln gehen zu hoch. Sie pladdern in die Kirchenwand. Kalk rieselt nieder.

Aber da, was ist da? Droben, wo die Höhen jetzt scharf gegen den Himmel stehen, fahren Geschütze auf. Wie sie in die Feuerstellung jagen! Die Protzen machen kehrt. Nun im Bogen herum. Zurück. Von der Helle abgehoben, sieht man Männchen richten, laufen, holen, zurücktreten. Rasch zieht einer die Zündschnur ab. Feuerstrahl. Weit rollt die Dampfwolke vor. Gerade dem Kirchhof entgegen. Patsch, Krach, Prarrarra ... die Ziegel poltern unten im Dorf von den Dächern. Zu kurz! – Bumm, tönt das Echo.

Und die Gardisten feuern weiter. Steil steht der Hauptmann.

Nun wieder drüben auf der Höhe: Blitz. Rauchwolke. Sssssss. Rrrrrr. ... Übers Kirchendach. Ganz knapp. – Bumm, das Echo.

›Die große Gabel!‹ ruft der lange Fähnrich, als hätte er's auf Kriegsschule eben gelernt. Steil steht der Hauptmann.

Zum drittenmal: Blitz! Bautz, Krach, bumm-bumm. Tief unten an der Mauer platzt die krepierende Granate. Gefreiter Jürgen beugt sich spöttisch vor, wie der Anzeiger auf dem Schießstand, zu zeigen, wo der Schuß gesessen.

Steil steht der Hauptmann.

Da blitzt es wieder. Ssssss. Über die Köpfe kommt der eiserne Gruß gezogen, so nahe, daß man den Luftzug spürt.

Im Winkel an der Kirchenwand, wo die Toten liegen, wirft die Granate ihren Trichter auf. Bu-u-u-mm! Erde, Kugeln, Sprengstücke fliegen.

›Det war die kleene Jabel‹, sagt der Vize.

Steil steht der Hauptmann.

Und wieder leuchtet drüben ein Feuerschlund. Die Gardisten bücken sich.

›Verflucht. Der sitzt!‹ meckert der kleine Leutnant. Er grinst durch seine Scherbe. Eins – zwei – drei – vier. Da ist auch schon der Eisengruß. Sssss. Rrrrr... Bumm. Er kämmt die Mauer. Ziegel, Platten, Steine fliegen. Zwei Gardisten regungslos, kopflose Rümpfe. Mitten im Streuungskegel steht der Leutnant. Stand. Liegt auf einem Grabe, über dem, der drunten modert. Zerfetzt, zerrissen! Hat sich nicht gequält. Das Einglas hängt ihm noch im Auge. Hilft ihm nichts mehr. Der blonde kleine Kerl sieht nie wieder.

Steil steht der Hauptmann.

Doch nur einen Augenblick. Rechts, seitwärts der Schützenlinie, hebt sich eine Grabplatte, höher, stolzer als die andern. Mit einem Sprung steht der Hauptmann oben, und sein Fuß deckt den Namen ›Maréchal de France‹. Wie kommt der her? Alle Augen blicken auf den Hauptmann: wie er hinüberstarrt zur feuernden Batterie, die Absätze geschlossen, als übte er in Potsdam im Kasernenhof die Kompagnieschule.

Da, drüben: Blitz!

Der Hauptmann hebt den Säbel. Hell mit lauter Mannesstimme schallt das Kommando, während die Waffe sinkt: ›Nieder!‹

Und seine Kerls tauchen unter. Kaum sind die Köpfe fort, kommt die Granate, kämmt die Kirchhofsmauer, prasselnd streicht sie Steine fort, streut ihren tödlichen Regen zwischen die Gräber bis zur Kirchenwand, wo die Sprengstücke, Vögeln gleich, die sich am Fenster den Kopf eingerannt, im Fluge gebrochen, platt zu Boden fallen.

Schon sind die Leute wieder auf. Schicken: Paff- paff-trrrr die Antwort, ruhig, ohne Blinzeln. Der Hauptmann wacht ja doch für sie, den Blick zur Höhe. – Blitz! Hei wie der leuchtet gegen die dunkle Wetterwolke. Eins – zwei – drei – vier – wird die Granate da sein. Hoch fährt der Säbel. Grell klingt durch all das Tosen, Krachen, Knattern des Hauptmanns: ›Nieder!‹ Alle liegen gedeckt. Nur er steht steil, jedem sichtbar wie ein Riesengrabkreuz, den Säbel ausgestreckt, die Absätze geschlossen, auf dem Grabe des Marschalls von Frankreich. Keine Wimper zuckt. Und immer gellt sein Kommando durch das Brüllen der Schlacht, während neben ihm die Granaten die Mauer kämmen: ›Auf – Nieder – Auf – Nieder!‹

Schon ist ein Teil der Kirchhofsmauer abgedeckt. Die Leute ducken sich platt, dicht an den schützenden Steinen. Nun schon die Beine eingezogen, denn hie und da bleibt einer liegen mit blassem Gesicht, die Hände auf der Brust verkrampft, von abgeprellten Granatsplittern getroffen.

Steil steht der Hauptmann. Hell klingt sein ›Auf!‹ – sein ›Nieder!‹

Der Feldwebel kommt, den Hauptmann abzulösen. Er bittet, er fleht. ›Nein!‹ Ein Blick trifft den Feldwebel, ein Blick, der ist Befehl. Da: Blitz, und noch einmal so gewaltig klingt das Kommando: ›Nieder!‹

Lange steht der Hauptmann. Steht frei, ungedeckt, zu sehen, zu schützen, zu decken – die andern. Sprengstücke surren, Mauerteile spritzen umher. Steil steht der Hauptmann. Immer tönt sein Kommando. Schon schweigt dort oben ein Geschütz: die Bedienung fehlt – schon krepieren deutsche Schrapnelle über der feindlichen Batterie und speien einen Eisenregen darüber hin – da tönt wieder die helle Mannesstimme: ›Nieder!‹ Eins – zwei – drei – vier. Die Granate kämmt die Mauer. Prrr ... spritzen die Steine – Bumm.

Alles still. Die Gardisten warten. Kommt kein ›Auf‹? Ein Vorwitziger steckt den Kopf über die Mauer. Wo ist der Hauptmann? Der Vize erhebt sich. Wo ist der Herr Hauptmann? Immer länger wächst der Fähnrich empor. Wo ist der Hauptmann? Er läuft auf den rechten Flügel. Der Hauptmann steht nicht mehr da. Lang ausgestreckt liegt er auf dem Grabe des Marschalls von Frankreich. Unten der Tote. Oben ein Toter.

Wer warnt nun: ›Nieder!‹, wenn der Blitz drüben dort leuchtet? Der Fähnrich reckt sich empor, wie sein Hauptmann die Absätze geschlossen, in alter preußischer Manneszucht. ›Auf!‹ tönt sein Kommando. Dann starrt er hinüber und wartet auf den Blitz. Wartet ... Die Feuermünder schweigen. Wartet. ... Blauröckige Dragoner rasen in die Batterie hinein. Wie man die Pferde gegen den Himmel sieht und die zum Hiebe niedersausenden Klingen!

Und die Gardisten senden, sicher zielend, den Tod in die Weingärten drüben.

Der lange Fähnrich will seinem Hauptmann helfen. Wasser. Besser legen. Irgend etwas. Er faßt seine Hand. Er neigt sich zum Ohr. Er öffnet den Waffenrock über der zerschossenen Brust: die Kapsel, das Bild seiner jungen Frau, ist hineingerissen in die blutige Höhle. Der junge Mensch, vorzeitig aus dem Kadettenkorps entlassen, da das Vaterland jeden braucht, weicht zurück mit starrem Gesicht. Wie in Ehrfucht faltet er die Hände vor dem, der sein Hauptmann gewesen, der den schönsten Tod gestorben ist auf Gottes ganzer weiter, blühender Erde, den Tod fürs Vaterland. In all dem Toben der Schlacht, während jubelnd herüberklingt das Signal ›Avancieren‹ und das brausende ›Hurra‹ stürmender deutscher Soldaten, spricht er die einfach-alten, ewigen Worte: ›Vater unser, der du bist im Himmel!‹

 

Jeder hatte gefühlt, der Hauptmann, von dessen Tod sie erzählt, war ihr Mann gewesen, und aller Augen ruhten nun bewundernd auf der Frau, die aus tiefstem Leid ihrer Seele sich emporgefunden zu stolzem Angedenken. Oberstleutnant Runge wandte sich zu ihr gedämpft, als solle die Frage allein für sie bestimmt sein:

»Und Sie haben gerade den Beruf erwählt, der Ihnen täglich nur der Verwundeten Qualen vorführt?«

Ganz einfach gab die junge Witwe zurück:

»Um sie zu lindern, Herr Oberstleutnant. Ich stehe völlig allein auf der Welt. Ich muß fühlen, daß ich nützlich bin, sonst ...«

Sie senkte die gerade Stirn über der feingeschwungenen Nase:

»Wenn ich ohne Tätigkeit meinen Gedanken nachhinge, könnte neben dem Stolz über den Soldatentod meines Mannes am Ende der Mensch die Oberhand gewinnen, der sein Einziges verloren hat!«

Man hörte bei der Stille das leise Prasseln der Scheite im Kamin. Der Oberst, dem weiche Stimmung nicht lag, küßte der Gräfin wie im Mitgefühl die Hand, dann schnitt er alle Wehmut ab:

»Nun, meine Herren, wer fährt fort?«

Die Tafelrunde blickte sich um. Unwillkürlich lehnte man sich im Halbkreis vor. Niemand schien beginnen zu wollen. Oberst von Kranich musterte die Herren der Reihe nach. Plötzlich sagte er zum Zahlmeister Lattmann:

»Wie war's, wenn wir einmal ganz was anderes hörten? Nicht von Tod und Wunden, sondern von Sold und Verpflegung! Lieber Lattmann, erzählen Sie doch mal 'n Schwank aus Ihrem Leben!«

Der Zahlmeister erhob sich halb und ließ sich wieder nieder, offenbar in hohe Verlegenheit versetzt. Er könne nicht sprechen, meinte er, außerdem fiele ihm wirklich nichts ein.

Wie Oberst von Kranich nicht litt, daß einer sich aus dem Kreise der Tafelrunde stahl, wie er auf den Oberstleutnant deshalb zu sticheln pflegte, so gewann es den Anschein, als sähe er in der Weigerung etwas wie Spielverderben.

Da trat der Regimentsadjutant, der bei mancher Zusammenarbeit den Zahlmeister hochachten gelernt, in die Bresche:

»Gestatten Herr Oberst, daß ich etwas von Verpflegung, Requisition und solcherlei zum besten gebe?«

»Natürlich, lieber Heydrich!«

Oberst von Kranich rieb sich befriedigt die Hände, öffnete ein paar Knöpfe der Uniform, zog ein Zigarrenetui und entzündete behaglich sein letztes rauchbares Kraut. Zahlmeister Lattmanns Gesicht aber verschwand erleichtert aus dem Lichtkreis des Feuers in den Tiefen seines Stuhles.

Und der Adjutant hub an mit einem Schmunzeln, gleichsam in bewußtem Gegensatz zu der schönen und tapfern Frau, die im Ernst ihrer Erzählung nicht zu überbieten schien. Er sah dem Vorgesetzten dabei nicht ins Gesicht, sondern schien sich an die Leutnants zu wenden, als könne er so leichter seinen unbekümmerten Ton festhalten:


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