Georg Freiherr von Ompteda
Die Tafelrunde
Georg Freiherr von Ompteda

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Von lieben Mädeln.

Gottes Donnerwetter nee, die hatten keene ›Mandeloogen‹, nee, aber angucken konnten sie einen, ehrlich wie'n guter Freund, und gaben einem die Hand – keine faule mit langen Fingernägeln, sondern eine, die zugriff in Haus und Hof. Rissig mochte sie wohl sein, aber 'n fremder Schmachtlappen mit Tintenfleckenoogen, der hätte sie nich gekriegt. Gottes Donnerwetter nee!

Aber nun zum Signalement, wie's im Soldbuch gestanden hätte, falls sie hätten dienen müssen. Die hätten's getan, das sag' ich nur, und der Chasseuroffizier wäre nich bis Berlin gekommen, schon wegen der lieben Mädel nich. Liebe Mädel sind's gewesen, das muß wahr sein! Blond waren sie wie reifer Roggen, Oogen wie Vergißmeinnicht am Bach und Farben – Perlenteint? Nee – Elfenbein? Nee. Totes Zeug das! Die hatten Gesichter – wie Milch und Blut. Ach Gott, ach Gott, was sind das für liebe Dinger gewesen!

Sie hatten nich viel, weiß der Deubel, nee, aber sind die Kröten die Hauptsache? Wo das erst mal anfängt – sind wir ooch schon aufm absteigenden Ast. Hat einer je gehört, daß 'n Infanteriestabsoffizier Großkapitalist gewesen wäre? Und so war denn Vater – Papa hieß er nich – also Vater hatte's nich gerade dazu, sich die Sporen vergolden zu lassen. Wäre ja ooch dienstlich ausgeschlossen gewesen!

Waren das Abende dort! Nich wie die in Lägranksch!

Hat sich was! Im Dunkeln im Garten rumgemiezt wurde da freilich nich – janz einfach, weil's keinen gab, und im Spiegel oogengeklimpert und Feldtelegraphie versucht – nee, nee, das gab's ooch nich. Janz einfach, weil's außer Vatern seinem Rasierspiegel und der seligen Mutter ihrem kleenen gesprungenen über'm Waschtisch keenen gab. 'ne großartige Frisiererei war nich. Früh: eins, zwei, drei! 'raus aus den Federn, rin ins Waschbecken, daß die Tropfen nur so flogen. Wasser wurde nich gespart. Kostete ja nischt. Und dann gekämmt und gestriegelt, Zöpfe geflochten, jede für sich, und dabei spritzten sie sich wie die Bengels im Wasser, daß der Ulk nicht fehle. Hui, war's da im Winter oft kalt, ganz rot liefen die weißen Arme an, und Pusteln drauf wie die Gänse, wenn sie gerupft sind. Verweichlicht war man nich, denn die Waschkleider, die sie im Haus, auch im Winter, trugen, waren gerade keene Pelze nich. Wäre auch nur lästig gewesen, denn man stahl dem lieben Herrgott nich den Tag.

Unter uns – außer dem Burschen gab's bei Oberstleutnants nur ein Mädchen für die groben Arbeiten, Holz-kleinmachen, Kohlen-schleppen, Schrubbern, Waschen – und Tür öffnen, wenn der Bursche nich da war. Natürlich nur bei Fremden. Vatern machte man schon auf, sei's Anne-Marie ...

Ach so, Kotz Schwerebrett, jetzt möcht' ich sie doch vorstellen, die lieben Mädel, alle sechse – ja, ja – sechs Stück. Da galt es, Sparmeister sein, um die sechs hungrigen Spatzenmäuler zu stopfen. Mit Verlaub, Spatz hieß nur die eine, im bürgerlichen Leben eben Jungfer Anne-Marie geheißen. Spatz hieß sie, weil sie die frechste wäre, hatte der Vater gemeint. Weil an ihr nichts war als Haut und Knochen, wie so'n armer kleiner Spatz, meinte die übrige Bande, als da war: der Hans, nämlich die Älteste. Getauft natürlich Johanna, aber weil sie mit starker, fast männlicher Sicherheit sozusagen als Stubenältester den übrigen vorstand, aus Hannchen über das Hänschen zum Hans entwickelt. Brumbrum. Baßstimme. Widerspruch ausjeschlossen!

Aber nichts Unweibliches war am Hans! Beileibe nich! Gerade der Hans war zierlich gebaut, mit feinen Gliedern und schlanker Taille. Der Blondkopf saß so sicher und stolz auf dem langen Hals! Und die dünnen Finger, die zarten Hände hätten zu einer Königin gepaßt – das heißt, vorher hätten sie erst mal vier Wochen Schonzeit gebraucht zum Glattwerden von der Arbeit im Haus.

Der Hans war die erste auf. Trara, trara, tetterettätrara! Reveille geblasen. Der Hans zog den Mädeln die Bettdecken fort: ›Aufstehn! Aufstehn!‹ Und wenn die Trudl, Gertrud natürlich, bat: ›Noch ein bißchen, Hans!‹ kam's nicht selten vor, daß die halbe Waschschale drübergeschüttet wurde, bis die Trudl mit beiden Beinen aus dem Bett sprang. Ein Bild des Jammers, stand sie da mit eingekrampften Zehen an den Füßen und so verschlafen, ach herrjemine, so verschlafen! Aber das half nichts: anziehen galt's, fix, fix, vorwärts, daß dich der Hohle beiße! Dann mußte noch obendrein das Laken zum Trocknen aufgehängt werden. Höchst eigenhändig! Kammerfrau nich vorhanden! Fix, fix, vorwärts, denn unten dampfte schon die Milch mit der Dreierzeile Semmel. Drei Wecken pro Mädel, mehr gab's nich. Ja, ja: dreimal sechs ist achtzehn, und einen Pfennig das Stück. Das gab dann ein Pusten und Blasen, und der Spatz verzog den Mund: ›Pfui, ist das heiß!‹ Aber der Hans stand da mit der Uhr in der Hand. Punkt dreiviertel hieß es zur Schule gehen, denn Zuspätkommen gab's bei den Oberstleutnantsmädeln freilich nicht. Da wurde denn die Milch hin und her gegossen aus der Oberschale in die Untertasse und aus der Untertasse in die Oberschale und immer wieder versucht: ›Geht's nun?‹ – ›Ach Hans, es ist so heiß!‹ Doch der Hans stand da, unbarmherzig, mit der Uhr und machte grimme Augen: ›Runter mit der wilden Katze!‹

Dann trollten die Kleinen davon in die Schule: Trudl und der Spatz. Der Hans ging aber oft heimlich hinterher, daß sie unterwegs keine Dummheiten trieben.

Ja, der Hans war überall, kochte, schurigelte die Kleinen, lief treppauf und treppab zum Einkaufen und zu Besorgungen, und von der Wohnung im dritten Stock hinauf in die Mansarden. – Oberstleutnants hatten nur eine halbe Etage und den Dachstock dazu. Der Hans ging zuletzt zu Bett, denn abends galt es noch, Strümpfe stopfen und Wäsche nachsehen und Kleider ausbessern und das Haushaltungsbuch führen. Alles machte der Hans allein. Die Trudl und der Spatz hatten zu viel mit Schularbeiten zu tun. Übrigens hatte der Spatz davon immer Tintenflecken an den Fingern. Und leider kaute er damals an den Nägeln. Aber, bitte, sagen Sie das nich weiter, gnädigste Schwester und meine Herren. Es könnte ihm in seiner späteren Laufbahn zur Ehe schaden.

Übrigens mit dem Heiraten steht das so dahin. Mit Sicherheit wußte man es nur von einer, von der schönen Ida, dem ›Paradepferd‹, das all die andern lieben Mädel schlug. Hübsch war sie, das mußten ihr sogar die Freundinnen lassen. Dabei war sie keene Puppenschönheit, sondern ein rechtes, liebes deutsches Mädel, die nich mit die Oogen klapperte, sondern durchs Leben ging mit der Gewißheit: kommt er und klopft an, natürlich der Rechte, wird aufgetan. Das heißt: gekommen war noch keener, aber bei der konnte es ja nich fehlen! Die Schwestern sprachen ooch nie anders von ihr als: ›Ja, die Ida ist schön!‹ Das war die einzige Schwäche. Verzeihlich, nicht wahr, wenn man sich liebhat, wie die sechs Mädel einander! Die schöne Ida ging denn ooch ein wenig dahin, als wollte sie immer sagen: Ich bin ooch schön!

Das meinte nun die Käthe, die dritte, nich von sich. Und dabei war sie doch ein Bild von einem Mädel, mit ihren himmelblauen Guckoogen und der Milch- und Blutfarbe wie sie alle. Sie las abends Vater die Zeitung vor, denn er hatte immer mit den Augen zu tun, seit dem Hieb, den er bei Königgrätz von dem kleinen österreichischen Bombenschmeißer mit dem Faschinenmesser abgekriegt hatte. Die Narbe lief durch beide Augenbrauen quer über die Nase. Deshalb sah nämlich Vater immer so finster drein, und er war doch so gut! Gesprochen wurde freilich nie von Vaters schwachen Augen, vielleicht hätte es beim Avancement schaden können! Käthe mußte ooch alles Militärische vorlesen, das aus der Regimentsbibliothek geborgt wurde, denn Vater mußte sich doch weiterbilden!

So kam es, daß, wenn mal 'n paar Herren des Regiments zum Abendbrot kamen – kalten Aufschnitt gab's und Tee und Bier, holla, fertig – und vom Dienst gequasselt wurde, die Käthe in Felddienstordnung und Exerzierreglement natürlich besser Bescheid wußte als die Herren Leutnants all' tosammen. Das wär 'n Kompagniechef geworden, die Käthe, Gottes Donnerwetter ja! Und daß die für so'n armen Leidträger – jawohl, meine Herren, seitdem ich 'ne Kompagnie führe, weiß ich's – eigens von unserm Herrgott geschaffen war, daran zweifelte keener im Regiment.

Ach Gott, war das nett, so'n Abend bei Oberstleutnants! Den Hans sah man dann nur ab und zu. Die Trudl und der Spatz waren zwar schon zu Bett gebracht, aber fürs Essen mußte doch einer sorgen. Man merkte es, denn wenn der Hans auch die Schürze jedesmal draußen abband und auf den Stuhl legte, links gleich neben der Tür, so verrieten doch die glühenden Backen, daß er an der Herdglut gestanden. Die kluge Käthe ließ dafür drinnen das Feuer der Unterhaltung nich ausgehen, und die schöne Ida saß dabei in ihrem hübschen Kleide – denn ihr wurde das meiste spendiert –, drehte den feinen Kopf rechts und drehte ihn links und sah alle an, als wollte sie sagen: Ja, ja! Ja, ja! Denn – nun, ich will es nur eingestehen – sie war nich gerade die hellste der sechs lieben Mädels.

Sechs? Da habe ich ja die Eva ganz vergessen! Eva, den Tausendbund, das Quecksilber, Eva mit den ewig lachenden blauen Oogen! Die brachte Leben in die Bude! Gottes Donnerwetter ja! Wenn Ida in stiller Schönheit schwieg, der Hans den Burschen überwachte, daß er auch die Zervelat-, die Leberwurst und die Hausschlachtene nich hinschmeiße, wenn Käthe Felddienst übte, exerzierte oder auf Kriegsgeschichte prüfte und oben in der Mansarde die Trudl und der Spatz süß schlummerten – pardon übrigens, der Hans hat sie mal dabei erwischt, daß sie heimlich stibitzte Lichtstümpfchen entzündet hatten und die ›52 Sonntage‹ lasen! – also dann blitzte es um Evas Oogen, sie würgte am Schinken, und der Tee lief ihr immerfort in die falsche Kehle, daß ihr Nachbar ihr den Rücken klopfen mußte – denn die lieben Mädel waren nich von Marzipan, und in ihrer reinen Natürlichkeit durfte man sie ruhig behandeln wie gute Kameraden, die man doch ooch nich so einfach ersticken läßt! Ja, da war gewiß irgend was los, denn die Eva hatte den Deubel im Leib! Hatte sie etwa dem Herrn Hauptmann mit der großen polierten Glatze Stecknadeln durch den Mützenboden gestochen, daß es ihn beim Nachhausegehen kratzen würde wie ein Igel? Oder etwa wieder dem Herrn Oberstabsarzt über Schmerzen in der Seite geklagt, bis ihr nach langer schwieriger Auseinandersetzung und tiefstem Bedauern die Veranlassung einfiel, nämlich: sie habe so über den Herrn Oberstabsarzt lachen müssen?

Aber keener nahm dem Mädel was übel! Überhaupt übelnehmen bei Oberstleutnants? Na, den hätte ich mal sehen mögen! Den hätten sie runtergeputzt alle sechs. Ja alle sechse, denn sie wären imstande gewesen, die beiden Kleinen eigens dazu aus den Betten zu holen. Das war nun freilich an dem Abend, an den ich jetzt denke, nich nötig, denn wie so die janze Jesellschaft bei Tisch sitzt, fängt plötzlich die Hängelampe an zu zittern und zu zucken, zu schwingen und zu pendeln, daß alles aufblickt. Ist's ein Erdbeben? Ist mobil gemacht, und die Schießerei geht schon los?

Mitnichten. Wie sollte das ooch sein? Aber jetzt tanzt die Lampe förmlich. Erschrocken blickt man sich an. Da: Getrampel, etwas wie Springen und Scherzen. Der Hans fährt auf. Ein Wort sagt er nur: ›Der Spatz!‹ Schon ist der Hans fort. Hui, ›es geistert‹, ruft Eva mit grausigem Ausdruck. Vater nimmt ein Licht. Draußen auf der Kommode, wo die Lampen stehen, sind noch mehr, denn zum Schlafengehen hinauf in die Mansarde kriegt jedes der Mädel seine Talgfunzel. Nun schleicht die janze Bande ruf. Die Leutnants, der Oberstabsarzt, ja sogar der Fähnrich. Der Herr Hauptmann, der immer Angst hat vor Zug, nimmt vorsichtshalber seine Mütze mit – in der Hand. Auf den Zehen geht über die Treppe der Fackelzug, und Eva blickt sich immer um und macht, die Hand an den Lippen: ›Pst! Pst!‹ Je näher sie dem Zimmer kommen, wo Trudl und der Spatz friedlich schlummern, desto mehr schuttert der Boden. Seltsame Laute dringen heraus, und plötzlich reißt Eva die Tür auf. Was erblickt man da? Zwei weiße Gestalten, in wildem Auf und Ab durchs Zimmer gegeneinander stürzend. Und als die ganze Gesellschaft dasteht: Vater, der Oberstabsarzt, Hans, Ida, Käthe, Eva und die Leutnants alle, erkennen sie Trudl und den Spatz, die, in ihre Laken gehüllt, bei nachtschlafender Zeit im Schein des blassen Mondes – erstes Viertel – Fandango tanzen. Oder ist es Tarantella? Und im gleichen Oogenblick – es zieht bei der offenen Tür – hat der Hauptmann die Mütze aufgesetzt, schreit laut auf, wie von Lanzenstichen einer Ulanenattacke durchbohrt, und faßt sich an seine Platte!

Aber übelnehmen bei Oberstleutnants?

Übrigens ist ja noch alles vorbei wie ein Spuk: mit einem Hechtsprung sind die beiden weißen Gestalten in ihre Betten gefahren. Da liegen sie, regungslos in tiefem Schlaf. Nur seltsam, seltsam, ist es von Träumen? Ist es die Wärme der vielen Lichter des Fackelzuges im Zimmer? Ihre Gesichter werden leise rot unter dem blonden Haar, nun brennend, jetzt wie die Paradiesäppel.

Vater schüttelt nur den Kopf: sieh da die Kleinen! Wer hätte das gedacht! Er wird die Kandare ein wenig mehr anziehen müssen! Und doch, parieren sie nich sonst aufs Wort? Wie alte Soldaten? Sind sie nich exerziert wie sie? Alles ging militärisch zu: das war zu Weihnachten am besten zu erkennen. Sechs Mädel waren es. Sechs Tische standen in der Eßstube aufgebaut. Drei rechts, drei links. Wenn Vater dann mit dem Burschen den Baum angezündet, ließ er in seinem Zimmer die sechs Mädel antreten. In zwei Gliedern. Genau gerichtet. Gottes Donnerwetter, man war Soldat! Dann: ›Stillgestanden!‹ – ›Rechtsum!‹ – ›Bataillon – marsch!‹ – Die Türen flogen auf. Lichterglanz und Weihnachtsfreude, aber die Kompagnie sah nichts davon, sie war im Dienst. Ins Zimmer marschierten sie hinein – Hände an der Hosen- – pardon Kleidernaht – und hielten erst wie auf Donnerschlag, als das Kommando klang: ›Bataillon – halt!‹ Dann aber kam: ›Erstes Glied rechts, zweites links – um!‹ – ›Bataillon – marsch – halt!‹ Und die sechs Mädel standen wie angemauert, rechts und links vor ihren sechs Tischen. 's war nich viel druf, gewiß, denn, wie ich schon sagte, Schmalhans war Küchenmeister, aber ob nich Neugierde, Sehnsucht, deutscher Weihnachtsjubel in sechs Herzen zitterte von sechs lieben Mädeln? Keene regte sich. Preußische Soldatenkinder nich stillestehen? Gottes Donnerwetter, wir stehen, wenn's befohlen wird, Hände an der Hosennaht, vierzehn Tage im Granatfeuer! Also: Vater wartet. Kein Hauch. Totenstille wie beim Stillgestanden. Nur die Zweige am Christbaum knistern, und steil und unbeweglich wie die sechs Mädel brennen die Lichter. Und dann endlich das Kommando: ›Rührt euch!‹ Wie ein Mann setzen sie den linken Fuß vor, lachen, jubeln, staunen, bücken sich und greifen nach der Puppe, Trudl nach der kleinen Puppenstube, der Spatz nach dem Buch, Käthe, Eva nach Strümpfen, Taschentüchern, die schöne Ida aber nach dem neuen Hut, um den sie zweimal schon geweint. Der Hans aber sieht seinen Tisch nich an, erst muß er mit Vater dem Burschen und dem Hausmädchen ihre Sachen zeigen. Und dann singen sie zusammen alte, schöne deutsche Weihnachtslieder und sitzen mit Vater unterm brennenden Boom, und mit seinen Ältesten spricht er von Mutter, die nun schon seit Jahren da oben ist, von wo die Engel herabschweben mit ihrem ›Ehre sei Gott in der Höhe‹. Und die schöne Ida hat ihren Hut aufgesetzt, Käthe liest, Eva hat unversehens einen Appel vom Boom genascht, als wie im Paradiese, Trudl badet schon ihr Püppchen, der Spatz aber sitzt auf Vaters Knie, und die wilde Fandangotänzerin legt heute das Haupt an seine Brust mit schweren Lidern: ›Vatti, ich bin so müde!‹

Und der Hans bindet die Schürze um, das Essen fertigzumachen, und sagt als leuchtendste Weihnachtsfreude:

›Vater, nächstes Jahr um die Zeit hast du ein Regiment!‹

Aber Mandeloogen haben sie nich, ooch keene seidenen Wimpern, nee, aber was sind dagegen die Abende von Lägranksch? Gottes Donnerwetter ja!


Ein Strahlen lag auf allen Gesichtern. Oberstleutnant Runges feine Züge erschienen im Feuerkreis:

»Nun, jetzt hat er ja sein Regiment!«

»Er ist bei Mars-la-Tour gefallen!«

Der Baß des Premierleutnants klang ganz weich, als er es sagte, und fast in seine Worte hinein tönte des Regimentsadjutanten warme Bitte: »Wenn wir Paris haben, lieber Bugk, und es ginge heim ...«

Der große Rotblondbärtige unterbrach ihn:

»Ich verstehe ... aber eene davon, das möchte ich nur gleich sagen, ist nich mehr zu haben! Gottes Donnerwetter! Nee!«

Und er ließ sich langsam unter dem Lächeln der Tafelrunde in seinen Stuhl zurücksinken. In dem Schweigen nun vernahm man deutlich der Johanniterschwester doch nur geflüsterte Worte:

»Arme Mädchen!«

Der Oberst wandte sich zu ihr:

»Aber er fiel auf dem Felde der Ehre. Das ist ein Trost für alle, die zurückbleiben, Kinder, Eltern, Frauen! Sie müssen das oft mitangesehen haben, gnädigste Schwester?«

Gräfin Viktoria Vellin richtete sich auf:

»Erlebt. Selbst erlebt, Herr von Kranich. Mein Mann ist gefallen. Ich bin stolz auf ihn.«

Die Gräfin Viktoria Vellin saß kerzengerade da und starrte auf die prasselnden Scheite im Kamin, ernst, als sähe sie eine Gestalt vor sich. Die Herren folgten ihr mit den Blicken. Niemand wollte fragen. Sie begann von selbst. Zuerst halbleise, nicht aber schwach und weich, sondern nur wie einer, dem die Bilder vorschweben, ungewiß, ob er sie halten und zwingen wird. Dann laut, schnell, gleich einem, der die drängende Fülle der Gesichte andern mitteilen will, ehe sie zerflossen sind:


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