Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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Im Osterland

Faltet nun die Hände, betet, Ernst dem Dritten möge eine beschieden werden, die sein Leben krönt mit jener Krone, von der erst neulich Hofprediger Balsam in der Schloßkirche gesprochen nach dem Worte der Schrift: »Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.« (Offenbarung 2, l0.)

Der König wartete geduldig auf das, was nun kommen sollte, und alles ging seinen Lauf wie einst, als sei Seine Majestät niemals Señor gewesen. Nur das Bockbein war still in sein Ministerium zurückgesprungen. Nach eigenem Geständnis hatte er sich unter den »wilden Sportsleuten« in Kap Salinas nicht wohl gefühlt. So verschwand es sang- und klanglos wie einst Puppchen.

»Ein Hofnarr weniger!« sagte der Rauhreiter.

Die Vorträge bei Seiner Majestät hielt der Kabinettssekretär Geheimrat Doktor Kleber wieder allein. Vom Bockbein hatte er die Kürze übernommen, wenn auch nicht das archaische Lächeln, dessen Alleinvertreter für Tillen der verflossene Vortragende Rat blieb. Jener innere Widerspruch, daß der Kleber Geheimrat war und dabei doch nur Sekretär hieß, wurde beseitigt, und er auf des Königs Wunsch gleichsam als Pflaster auf die Kap-Salinas-Wunde zum Kabinettsrat befördert. Um so empörter war Seine Majestät, als Sturz meldete, der Neuernannte, damit nicht zufrieden, habe den »Geheimen Kabinettsrat« beansprucht. Ein Ausfluß jener ebenso lächerlichen wie unwürdigen Eifersucht am Tillener Hofe, wo jeder dem anderen Orden, Titel und Rangklasse mißgönnte, wie die Hökerinnen am Osterburger Markt einander Verdienst und Standplatz. Ernst der Dritte soll über solches Ansinnen wiederum eines jener Worte haben fallen lassen, deren man ihn schon entwöhnt gehofft:

»Können wir ihn nicht zum Wirklichen Ganz Geheimen Oberkleber ernennen?«

Im Grunde bedeutete übrigens das Wiedererscheinen des Herrn Kabinettsrates nichts als eine Niederlage des Rex. Allerdings war ein Wechsel bei passender Gelegenheit in Aussicht genommen, und hierzu konnte eine Vermählung Seiner Majestät den Anlaß bieten, wie denn überhaupt bei solcher Gelegenheit der Hof aufgefrischt und ein großes Kesseltreiben veranstaltet werden sollte.

Vorderhand war freilich an eine Brautschau noch nicht zu denken, wenn auch der Herr Oberhofprediger Dr. theol. Salbader jetzt öfters in seinen Traureden merkwürdige Anspielungen machte, als ob ein hohes Beispiel drohe. Immerhin sah man alle maßgebenden Kräfte am Werk. Prinzessin Ingeborg, tief beglückt über eine Aufgabe, die ihr glänzend lag, ward ohne den Gothaischen Genealogischen Hofkalender kaum mehr gesehen.

Da hätte eine Otagra gepaßt, aber drohend stand hinter diesem uralten Fürstengeschlecht eine immer sich wiederholende Taubheit. Oder durfte man die junge und schöne Lacerta, einzige Tochter des Königs Salamander des Vierten von Amphibien aus dem alten Hause der Lurche, ins Auge fassen, deren Großmutter wie älteste Schwester so schweres Ärgernis gegeben? Hatte man mit Erblichkeit nicht genug am warnenden Beispiele des armen Kronprinzen?

Wie wäre es gewesen mit einer der vielen Prinzessinnen von Franken, durchwegs nett, gescheit und so »dekorative« Erscheinungen? Aber mußte nicht hier die allzu nahe Verwandtschaft Bedenken erregen? Schon sechsmal im Laufe der letzten hundert Jahre hatte sich fränkisches und Osterburger Blut vermischt.

Der schöne Theodor, trotz seiner Einstellung auf Mister White, erstaunlich mit dem Gotha vertraut, hielt einmal bei Tisch einen Vererbungsvortrag so heikler Art, daß Prinzessin Ingeborg, in Rücksicht auf die zarten Ohren der jungen Gräfin Lamm, ihrer neuen Hofdame (Rittmeister Graf Schlußeisen hatte Fräulein Lulu von Nothdurft nun endlich heimgeführt und war in die Front zurückgetreten), ihren Gemahl dringend bat zu schweigen, wobei der freie Schweizer Doktor Vögeli ständig auf seinen Teller niederlächelte.

Man sieht, hier lagen ungeahnte Schwierigkeiten: die eine war zu arm, die andere nicht hochgezogen genug, die dritte noch ein Kind. Bei einer Kaiserstochter, noch dazu mit erheblichem Vermögen, bestand der Verdacht, die Arme möchte den Keim einer in ihrem Hause nicht seltenen Lungenkrankheit in sich tragen. Bei der reizendsten und geistreichsten lagen in ihrer nächsten Verwandtschaft so viele Fälle geistiger Erkrankung vor, daß man geneigt war, ihren Rededrang wie ihre Ideenflucht bereits nicht mehr für gesund zu halten.

Hier nun führte der schöne Theodor abermals Dinge an, vor denen die kleine Gräfin Lamm, genannt das »Lämmchen«, bewahrt werden mußte. So blieb nichts anderes übrig, als die Hofdame mit irgendeinem Auftrage zur alten Prinzessin Aurora zu schicken, die leider von den Heiratsplänen unterrichtet worden. Leider, denn alles, was man ihr anvertraute, erfuhr unrettbar das Mirabellchen, und was das Mirabellchen wußte, übertrug sich zwangsläufig auf den Jungfernbund, damit aber schien es dem Hofklatsch überantwortet. Die fremden Hofdamen, an die man sich vertraulich gewandt, sandten bisweilen Lichtbilder ein, die trotz aller Überarbeitung ihrer Verfertiger einen etwa noch in Gewissenszweifeln verstrickten Mönchsanwärter vor Schreck zu sofortiger Ablegung des Gelübdes veranlaßt hätten. Auskünfte kamen auch über schwierige Gemütsart, so daß man um des armen Rex Seelenfrieden hätte bangen müssen. Etliche endlich hatten politische Gründe gegen sich, so eine Gälin, die sich kaum eingewöhnt haben würde, zumal unter den Tillen eine tiefe Abneigung gegen die kalte Selbstsucht dieses Volkes bestand.

Überlassen wir nun die Prinzessin ihrer ebenso erregenden wie verantwortungsreichen Tätigkeit, indem die Frage aufsteht: was tat inzwischen Ernst der Dritte?

Mit einem Worte sei es umrissen: er tat Dienst, empfing, erteilte Audienzen, hörte Vorträge, eröffnete Ausstellungen, wohnte Besichtigungen bei, besuchte Krankenhäuser und Wohltätigkeitsanstalten, musterte staatliche und städtische Einrichtungen. Bisweilen war es nichts als geduldige und leidende Anwesenheit bei irgendwelchen Vorgängen, aber jetzt nach schon manchem Jahr der Übung war Seine Majestät dahin gekommen, zuerst bescheiden, bald aber immer tatkräftiger Vorschläge zu machen, oder Dinge zu beanstanden, die ihm nicht gefielen.

Da er nun dabei, der eigenen Vergangenheit eingedenk, den Vorteil der Kleinen wahrte, das Tillener Volk jener Tage aber sich gewöhnt hatte, hinter jeder Stellungnahme für Untenstehende die rote Hand zu erblicken, so nannte man bald Ernst den Dritten, der doch nur Gerechtigkeitssinn und ein mitfühlendes Herz sprechen ließ, den roten König.

Daß dieses manchem kürzlich erst zu Wohlstand Gelangtem keineswegs gefiel, zum mindesten aber nicht Königlich dünkte, ist um so weniger ein Wunder zu nennen, als der Rex für Protzen und Emporkömmlinge nichts übrig hatte. Wurde ihm eines solchen Auszeichnung nahegelegt, so fiel eine seiner eigenartigen Redewendungen: »Den schiebe ich nicht. Das hat er schon selbst besorgt!«

Es ist nicht zu leugnen, daß es darüber öfters Meinungsverschiedenheiten mit Sturz gab. So war der Bäcker Dietrich Hefe, den der König bei Gelegenheit einer Anwesenheit in Illzenau durchaus zum Hofmundbäcker ernennen wollte, in eine recht dumme Angelegenheit verwickelt wegen Verwendung von nicht einwandfreiem Mehl. Zwar schien es mehr Fahrlässigkeit, da der alte Hefe, statt sich um sein Geschäft zu kümmern, lieber angelte, immerhin konnte man einen passenderen Augenblick finden, ihm einen Hoftitel zu verleihen. Das Unglück wollte nun, daß Sturz auch bei einem zweiten Freunde Seiner Majestät Einsprache erheben mußte. Ernst der Dritte wünschte nämlich am gleichen Tage Herrn Moritz Schofel, Inhaber des Zehnpfennigbasares in Illzenau, zum Kommerzienrat zu ernennen. Einer jener sonderbaren Einfälle, wie sie Regierende kennzeichnen, für die es in der Güte ihres Herzens nichts Beglückenderes gibt, als alten Freunden aus ihrer dunklen Zeit kraft der neuen Stellung eine Freude zu bereiten.

Der Minister machte geltend, wie Herr Moritz Schofel vielleicht ein ganz braver Mann sein möchte, aber nichts als der Besitzer eines Zehnpfennigbasares in einer Kleinstadt des Landes. Das hieße denn doch mit einem Kommerzienrat nach Spatzen schießen, indem für andere, die Welthäusern vorstanden, dann dieser Titel keine Auszeichnung mehr bedeuten konnte.

Wir kennen leider den unschönen übelnehmerischen Zug im Wesen jenes lauteren Mannes, genannt Ernst der Dritte, König von Tillen. Es schien, als wolle er, nun ihm der Hofmundbäcker abgeschlagen, wenigstens bei Herrn Moritz Schofel seinen Willen durchsetzen. Aber Sturz blieb fest, ja, so unglaublich es klingen mag, einen Augenblick drohte etwas wie eine Kabinettskrise. Der König ließ den Unterlippenabzieher spielen und wurde förmlich:

»Sie sind wohl Antisemit, Exzellenz?«

Der Minister riß seine dicken Oberschenkel zusammen, als trüge er seine Dragoneruniform, die ihm zu eng war:

»Machestät! In diesem Zusammenhange kann das nur bedeuten, daß ich meine Pflichten von Rassenfragen abhängich mache. Ich darf versichern, daß ich nur das Wohl des Staates und das Ansehen der Krone im Sinn habe. Wenn Euer Machestät aber meinen, ich unterlegte meinen Ratschlägen andere Gründe, so fürchte ich leider, zur Führung der Staatsgeschäfte nicht länger brauchbar zu sein.«

Ernst der Dritte (betreten): »Ich weiß ja, immer wenn ich mal einen Wunsch habe, geht es nicht.«

Sturz: »Wenn etwas gegen das Interesse der Krone ist, dann allerdings – nee. Sonst aber lasse ich mir für Euer Machestät ein Bein abschneiden. Jawoll!«

Ernst der Dritte (lachend und gewonnen): »Dann können auch Sie nicht mehr reiten. Das habe ich von Ihnen gelernt. Also was kann Schofel werden?«

Sturz: »Hoflieferant!«

Ernst der Dritte (noch mehr lachend): »Der Hof kauft doch nicht im Zehnpfennigbasar?«

Sturz:»Schofel hat neuerdings auch eine Fufzig-Pfennich-Abteilung!«

Ernst der Dritte (schnell, als fürchte er, Sturz könne sein Angebot zurückziehen): »Gut, abgemacht!«

Sturz: »Aber dann hätte ich eine alleruntertänigste Bitte. Euer Machestät möchten den Herrn Achat, Inhaber der Firma Zitrin & Katzenauge, Edelsteinschleiferei in Tafelberg, zum Kommerzienrat ernennen, damit niemand sagen kann, unter der Regierung Euer Machestät würden die Juden nur schofel behandelt.«

Ernst der Dritte gestand es zu, und wie immer, sobald etwas abgetan war, das ihn bedrängt, schien er in jener gehobenen Stimmung, wo man erwarten durfte, irgendeine Huld würde sich entladen. Ist es nun erstaunlich, da ohnehin der Besuch in Illzenau wegen noch nicht zeitgemäßer Gnadenbeweise verschoben wurde, daß der Rex jene Fahrt in die Munde unternahm, die er schon als Señor geplant?

Zum erstenmal tat sich Tillens schönste Landschaft auf, die wir bisher nur vom gewaltigen See aus als fernes Rätsel erblickt. Von weitem nichts als in schwimmendem Blau eine Wand mit darübergebauten Zacken, ward sie jetzt reich gegliedert, und die Eckstreben des Ostertales wuchsen immer deutlicher heraus; mit ihnen Ernsts des Dritten Jugend. Da geschah es, daß er seines Freundes Hand drückte. Wessen sonst? War er doch nur von ihm begleitet, wie einst auf jener denkwürdigen Fahrt zur Schloßinsel mit dem großen Motorkenner Piephacke. Stolz und schweigsam saß der heute neben Leibfchofför Panne. Ein Herr, denn er trug einen prächtigen Anzug aus dem »feinen Hund« an der Stechbahn. Nur der weiße Selbstbinder deutete dunkel auf irgendwelche frohe Dienstbarkeit einem gütigen Herrn.

Wieder tauchten die glücklichen Inseln aus der Flut. Und bald war man mitten in der Tillei: in Bankert wie Küßchen, in Holüber und Seeblick, in Kopf und Bätsch. Niemand erkannte den König, und das beglückte ihn. Als aber in Außensee die Landungsbrücke einen Augenblick nur sichtbar ward, als der graue Kasten der Anstalt vorüberglitt, da reckte sich Ernst der Dritte. Vergebens: Doktor Fall war tot, Raffael Kreis schmählich vom Wasser zum Feuer übergelaufen, und daß Herr Doktor Matheser nicht sichtbar ward, hat niemand bedauert.

Wie sie dann, immer an der wildschäumenden Oster hin, ins Ostertal einbogen, wie darauf der Kleine Stoißer (942 Meter) und der Große Stoißer(1086 Meter) emporwuchsen, noch Schnee in den sonnabgewandten Rinnen und Runsen der Nordwand, wie endlich die stolze Kette der hohen Munde absank zum zerklüfteten Igel (849 Meter), dessen Türmen einst Arbo und Medicus Erstbesteigungen abgerungen, wie nun das grüne Tal der Oster vor ihnen lag mit frischen Matten und dunkeln Fichtenwäldern, daraus neubefiederte Lärchen als helle Tupfen leuchteten, als habe der Herrgott, müde seiner strengen Wochenarbeit, Sonntags den Pinsel ausgewischt, da, ja da sagte der Leibarzt:

»Wo ist Kap Salinas!« Und der Rex:

»Heimat!«

Die Straße endete. Der Wagen hielt. Nur noch Bergpfade führten hinan. Geheimrat Schotter, Bearbeiter des Straßen- und Wegebaues im Ministerium des Innern, hatte die Straße bis zum Ostersee weiterführen wollen, was zweifellos im Landtag Schwierigkeiten begegnet wäre. Steigt da nicht der Verdacht auf, der verfluchte, er habe alleruntertänigst nach Seiner Majestät geschielt, indem damit der erste Schritt getan war, einen Weg zur Osterburg abzweigen zu lassen? Dämmert nicht plötzlich die Gestalt des Herrn Hofbaurates Einsturz, Stammtischfreund des Herrn Geheimrat Schotter? Aber Ernst der Dritte wollte die feierliche Hoheit des Tales nicht durch Stullenpapier entweiht sehen und durch das schöne Lied, das alle echten Tillen sangen, sobald sie zu viert auftraten:

»Wenn ich den Wald seh', muß ich wei... hei... hei... i... nen...«

Droben ragten aus hochgeschossenen Fichten die Trümmer der Osterburg. Die Höhen ging es hinan immer an Berghöfen vorüber. Als sie einen Bauer beim Holzmachen trafen, blieb Ernst der Dritte stehen und tratschte über Holzverkauf und Milchertrag, und wo Mädel an den Hängen Gras schnitten, fragte er sie, ob es geregnet habe.

Da er nun wie ein Mundebauer sprach und durch Reiten die braune Hautfärbung des Señor sich bewahrt hatte, so antworteten sie, denn sie hielten ihn nicht für eine dumme Stadtlaterne, wie man in der Munde sagte. Mit dem Hütebuben vom Osterbauer saß der König auf einem gewaltigen Felsblock, der einmal in grauer Vorzeit vom Großen Stoißer abgestürzt sein mochte, und der Bub reckte die Hand aus und sprach zum wahren Könige dieses Landes:

»Sich mal ha, wohin d'schaust, alles mein Reich!«

»Bist denn da Kenich?« fragt Ernst der Dritte.

Der Hütebub nickt: »Hütekenich!«

»Und die Krone?«

»Braucht's nicht. Meine Küh' kennen mi au so!«

»Und das Zepter?«

»Zepta? Ah so!«

Da zeigt er seine Peitsche aus Weichselholz; daran sind rundum Köpfe geschnitzt: der Osterbauer im langen Bart, und der Hütebub selbst, wie er sich im Bach geschaut, denn Spiegel hat er keinen; und ein Mädel, schön, und es lacht. Der König fragt, wer es ist.

»Pfui du, kennst nicht die Lore-Lene?«

Da wird Ernst der Dritte still. Aber heißen sie in der Munde nicht alle Ernst und Lore-Lene?

Dann gehen sie davon, während die Sonne sprüht und die Kuhschellen läuten und feierlicher Mittag ist, und Grasruch weht und irgendwo Wasser rauscht, und die Tannen duften. Ernst der Dritte erstaunt über die Kraft der Schnitzerei, fragt den Bub, wie alt er ist.

»Schon via, an die zwölfe!«

Der König lächelt:

»Sich mal ha, und schon Kenich?«

»Hütekenich!«

Da zieht Seine Majestät, der das armselige Messer gesehen, mit dem der Bub schnitzt, aus der Tasche sein schönes Messer mit fünf blitzenden Klingen, das er in Kap Salinas erstanden, und schenkt es dem jungen Künstler. Der Hütebub betrachtet seinen Schatz: »Jetzt kommst au dran!«

Und fängt schon an zu schneiden.

Da steht der Osterbauer und kraut sich den struppigen Bart, der den Blähhals verdeckt. Er blickt den König an: ist er's, ist er's nicht? Spricht kein Wort. Sie treten in die große Bauernstube. Zum Ersticken heiß. Die Osterbäuerin, den Ehering auf dem dritten Finger, wischt den Stuhl ab. Am großen Tisch in der Ecke hat einst Prinz Arbo gesessen. Er fragt, was es zu essen gibt, denn er hat Hunger: Pamms. Der König strahlt: Pamms! Gleich zieht er den Rock aus wie die Knechte, die mählich die Stube füllen, in Hemdsärmeln alle, und alle im Bart. Braungebrannt von der Arbeit stehen sie da mit Riesenhänden: der große Ernst und der kleine Ernst und der Stallernst und der Holzernst und der Zickenernst. Und wie Bauern untereinander reicht der König jedem die Hand.

Nun kommen die Mägde: die große Lene und die kleine Lene und die Küchenlene und die dürre Lore und die dicke Lore. Blond alle. Und Mundezähne. Man sieht sie, denn alle grinsen. Einer jeden gibt der König die Hand, aber erst wischen sie sich die Finger an der Schürze.

Dann treten sie an den Tisch, Ernst der Dritte, der Leibarzt und der Osterbauer. Piephacke will auf der Ofenbank essen, doch die Küchenlene, die aufträgt und ihn wegen des weißen Selbstbinders für den obersten der Fremden hält, möchte ihn obenan setzen. Da deutet der Osterbauer ohne ein Wort auf ein Bild an der Wand: Ernst der Dritte, aus der ›Illustrierten Beilage des Landwirtes‹ geschnitten und mit einer Haarnadel am Getäfel befestigt.

Nun redet erst recht keiner mehr. Der Osterbauer faltet die Hände. Alle falten sie die Hände, runzlich, knorrig und braun, mit schwarzen Nägeln von der harten Arbeit. Dann spricht der Ofterbauer das uralte Tischgebet, das um diese Stunde an jedem Bauerntisch gebetet wird in der ganzen Munde:

»Da steht die Schüssel, sich mal ha,
Der Herrgott hat gedeckt.
Herr Jesu Christ, sitz' nieda da,
Damit's uns bessa schmeckt! Amen!«

Und sie setzen sich, aber ein Platz bleibt frei für den Herrn Jesus Christus. Die Gäste haben Teller bekommen. Die Bauern tunken in die Schüssel, auch Piephacke aus alter Übung trotz seinem Anzüge vom feinen Hund. Apfelwein, das Mundewasser, steht auf dem Tisch. Ernst der Dritte stößt mit allen an. Keiner spricht. Wie sie fertig sind und schon den Mund sich wischen mit dem Handrücken, trägt die Osterbäuerin noch eins auf zu Ehren des Besuches. Das rechte Mundeessen: Quark mit Zimt, Backpflaumen und Gurken.

Ernst dem Dritten dreht sich der Magen um, doch tapfer fährt er mit seinem Löffel in die große dampfende Schüssel. Da er wie die Bauern ißt, bekommt er auch nicht wieder einen Teller. Wie nun alles gierig in den gewaltigen Hafen langt, klappt des Königs Löffel an den des Zickenernst. Ist mal so beim Mundeessen. Und wenn Seine Majestät das Grausen ankommt, spült er's halt mit Mundewasser hinunter.

Dann stehen sie auf, ein jeder steckt seinen Löffel in Schürzenbund oder Leibriemen, sie falten die Hände, und der Osterbauer betet, was Mundebauern beten seit vielen hundert Jahren:

»Wir danken dir für Speis' und Trank,
Herr Jesu geh hinaus,
Wir brauchen dich jetzt auf dem Feld,
Das Essen ist nun aus! Amen!«

Und dem Gebete wird Erfüllung. Oder ist des Herren Jesu Platz, den frommer Sinn ihm täglich frei läßt, etwa nicht leer?

Nun sieht man durch das Fenster, draußen wo die Wiesen grün geleuchtet und der Brunnen geplätschert, etwas sich bewegen. Weiße Hemdsärmel und blaue Schürzen. Ab und zu erscheint ein dunkles Gesicht an den Scheiben und schaut herein: kommt er immer noch nicht? Wie nun Ernst der Dritte hinaustritt, findet er das ganze Tal versammelt. Ein paar junge Burschen, die den König bei Besichtigungen gesehen, geben das Zeichen: die Hüte sinken herab, daß die goldene Nachmittagssonne die arbeitsdunkeln Bauerngesichter bestrahlt. Der König redet mit allen, redet so einfach, redet, wie sie selber reden, daß jede Scheu vergeht.

Musik ist bei der Hand. Woher nur so schnell? Und die Wiese hinterm Osterhof, frisch gemäht, lädt ein zum Tanz. Wer schwenkt da die runde Osterbäuerin auf dem grünen Plan? Wer stampft da mit der dürren Lore den wilden Mundehopser? Sollte es jener sein, der einst gesagt, Hofball ist Klimbim?

Mundewasser fließt und Schweiß. Schaden beide nichts, denn der Apfelrausch ist nicht schwer, und die Ernste schmieren ihre feuchte Hand den Lore-Lenen nicht auf den Rücken, nein, vorsorglich wird das baumwollene Sacktuch untergelegt.

Über Jubel und Trubel sinkt der Abend nieder. Still ist Ernst der Dritte mit dem Freunde davon; auf den Gottesacker. Dort steht das lieblichste Grabmal im Osterland, und bei der sinkenden Sonne glühen in der noch frischen Vergoldung die Worte: »Hier ruht Lore-Lene.« Der König läßt sich den Kranz geben, den Piephacke im Rucksacke getragen. Aber es währt und währt, denn der Mann im schönen Anzuge zerrt und zieht, richtet die Blätter auf, biegt die Blumen zurecht, soweit sie nicht im Dunkel des Rucksackes zurückgeblieben sind. Hat etwa der Getreue auf Rosen gesessen? Was täte es! War nicht auch Fräulein Notburga Reckzehs Storchschnabel, obwohl von inneren wie äußeren Erschütterungen einigermaßen mitgenommen, viel schöner als das Prunkgewinde aus der Hofgärtnerei?

Piephacke überreicht beschämt den Überrest eines einst holden Kranzes, und wir vernehmen wieder eines der seltsam gefaßten und nachdenklichen Worte Ernsts des Dritten:

»Tut nichts, Piephacke, Gott sieht in die Herzen und nicht in den Rucksack!«

Nun ist es ganz Nacht geworden. Beim Osterbauer sitzen sie abermals am Tisch, darüber selbstgezogene Unschlittkerzen brennen auf der Krone, die der Hütebub gefertigt. Nun die Kühe schlafen, bringt er dem König sein Zepter mit Ernsts des Dritten schnellgeschnitztem Kopf. Ähnlich nicht, aber voller Wurf, so daß der Herrscher zu ihm spricht:

»Schau du, wenn d' mal groß bist, sollst mi besuchen in Tillenau!«

Und denkt, er wird ihn seinem Freunde Raffael Kreis überantworten; der mag ihn zu einem Bildhauer bringen.

Nun aber, wo sie ihren König Ernst schon recht kennen und das Mundewasser mithilft, geht ein Summen durch die Stube, daß man bisweilen an die Judenschule im Tillenauer Schlosse denken könnte. Da fangen sie an zu sticheln auf Piephacke, Mundesohn und ohne Bart! Wächst nicht jedem in der Munde ein Bart über den Blähhals? Piephacke aber, mählich gereizt, daß ihm etwas fehlt, zieht sein Taschenbuch. Er hat es sich angeschafft, weil er's bei den Adjutanten gesehen. Nun tut er gar wichtig und geheimnisvoll, entfaltet ein Papier und zeigt, wie auch er ein rechter Sohn der Munde ist, nur trägt er seine Manneswürde nicht immer so protzig vor aller Augen. Da kommen denn ein paar abgeschnittene struppige Härchen zum Vorschein, schön auf rosa Papier geklebt: der Schnurrbart, der geopferte. Nun gibt es ein Lachen ohne Ende. Und der Bart wandert um den Tisch. Die Lenen kichern und die Loren streicheln sich gar damit die Lippen. Unschuldig, hängt ja kein Mann dran!

Nun aber ist es Zeit zum Heimweg! Ernst der Dritte nimmt die Osterbäuerin abseits und zieht hervor, was er Böswetter nur schwer abgerungen: Goldstücke, eine ganze Hand voll. Die läßt er der Bäuerin in die gern aufgespannte Schürze gleiten:

»Als Bub ham s' mia Pamms und Nachtlaga geschenkt, weil i so gar gering gewesen bin. Nun ich's zu was gebracht hab', sich mal ha, tragt's Zinsen!«

Der Osterbauer hätte es nicht angenommen, aber es blinkt so schön, und sie ist Weib:

»Für mei Gärtlein und die Hühna, Machestät!«

Der König lächelt:

»Schaust zu, vialeicht ist mein Bild druf!«

Nun erst sieht sie den Kopf Ernsts des Dritten und schlägt die Hände zusammen:

»Jetzt kommt's ins Glasschrankl oba mein Bett.«

Draußen stehen die Bauern, jeder eine Laterne in Händen. Wiese, Weg, Wald: ein Licht am anderen. Und nun geht es hinab, der König in der Mitte. Rundum, vor, neben, hinter ihm eine Wehr von eisernen Bauernfäusten. Die Musik marschiert voran und tutet, Kickser wohl hier und da, aber der Weg ist rauh und das Mundewasser gut. Wenn die Bläser einmal schweigen, dann heben die Burschen an zu singen in der tiefen Dunkelheit der Nacht. Alte Mundelieder erklingen sehnsüchtig: »Im Ostatale rauschen hohe Tannen!« oder derb: »Mein Mädel ist keine Stadtlatern', sie hat, was jeda hat so gern.«

Wie da der König lacht, blitzen die Augen der Burschen. Und die Loren und die Lenen in ihrer blonden Zöpfe Pracht, untergehakt in Reihen so breit, daß immer ab und zu eine in den Graben purzelt, kichern und denken: lieber Kenich, komm nua recht bald wieda!

So geht es durch die wundersame Nacht. Ja wundersam, denn in der Ferne drunten am See sieht man die Lichter der Tillei blinken, und gegen die ziehenden Wolken, die den Mond verhüllen, stehen die Stoißer und der Igel mit feinen Stacheln und der Dreispitz. Matt blinkt das alte Gemäuer der Osterburg herüber. Da plötzlich leuchten zwei Feueraugen, als lauere ein Drache im finsteren Tann. Und die Mädel: hu, hu, schmiegen sich eins ans andere. Panne ist's mit seinem Wagen. Die Loren und die Lenen und die Ernste drängen sich um den König. Der alte Seebauer mit seinem wirren weißen Haar und dem langen Bart, darunter der leise Blähhals, ruft, die Laterne hoch erhoben, daß alle ihren König Ernst auch recht sehen sollen:

»Wiedakommen, Seina Machestä't!«

»Bleibst da! Bleibst da!«

klingt es hoch und tief. Als Ernst der Dritte etwas spricht von Dienst, er wird aber dennoch kommen, hebt ein Juchzen an und Schreien, ein Jubeln und Stampfen wie beim Mundehopser, daß der Boden ängstlich zu zittern beginnt. Und immer dröhnend:

»Bleibst da! Bleibst da!«

Kein Hoch, kein Hurra. Tusch ist nicht da. Wie dann der Wagen die Kehren hinabgleitet, leuchtet der ganze Berg von Laternen, die zu ihren Höfen streben. Nicht Stadtlaternen, nein, derbe Bauern, die Kraft, die Gesundheit Tillens, Bauern, die einmal, wenn es not täte, ihre starken Arme erheben würden für ihren Ernst. Ernst, der sie alle sind. Wie da die Lichtpunkte wandern über Berg und Wald, blinzeln sie nur noch, und dann ist alles wieder dunkel. Die Munde dahin gleich Spuk und Traum.

Ernst der Dritte seufzt:

»Nun muß ich wieder ins Kummt!«

Dann aber, als hätte ihn das Lied, das er doch fernhalten wollte vom ernsten Ostertal, angesteckt, das schöne Lied: »Wenn ich den Wald seh', muß ich wei..hei..hei..i.. nen!« sagt er in seinem tiefen Glück traurig vor sich hin, echter Tille, der er ist:

»Hier möchte man begraben sein.«


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