Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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Prinz Arbogast Ernst Peter Franz von Osterburg-Hilligenstadt

Prinz Arbogast zählte erst vierzehn Jahre, als sein Vater starb. Der König, auf dessen Gnade der junge Sproß der Seitenlinie jetzt allein angewiesen blieb, übertrug die Sorge um ihn dem Schatullverwalter Wirklichen Geheimen Rat von Böswetter. Dieser nun, aus engen Verhältnissen emporgekommen und erst seit einigen Jahren geadelt, kannte nur eines: Sparsamkeit. Er verwaltete des alten Herrschers Privatvermögen, nicht durch glänzende Anlage es mehrend, sondern mit einer Knauserigkeit, die ihm seines Herrn Schätzung, Ernst dem Zweiten aber den Ruf eines Knickers eingetragen hatte.

Die Erziehung des Prinzen Arbogast sollte also möglichst wenig kosten. Da er nun auf dem Gymnasium in Stangenberg sitzengeblieben war, fürchtete Exzellenz von Böswetter, er möchte bei einer Wiederholung solch betrüblichen Vorfalles dem Könige zu kostspielig werden, und steckte ihn kurzerhand in die Erziehungsanstalt Außensee. Bei verzweifelten Eltern hatte sie einen Ruf etwa wie das Rauhe Haus in Hamburg, das in jener fernen Zeit allen nicht gut tuenden Schülern als Schwarzer Mann vorgehalten wurde, ohne daß im Grunde einer Näheres davon wußte. Nun war der Prinz aber weit begabter als seine Lehrer, die einst die Berufewahl nur als Brotfrage angesehen. Auch drängten sich nicht eben die ersten Schulmänner nach Außensee, einem kleinen, landschaftlich freilich herrlich gelegenen Örtchen am Westufer des Tillensees, denn dort gab es im Winter keine Unterhaltung. Der Lehrkörper ersetzte also durch Schärfe, was ihm an Bedeutung abging.

Freilich fehlte es in dieser Anstalt nicht an schwierigen Schülern, die mit stillem Widerstand, ja sogar mit Umsturzmitteln arbeiteten. Die Lehrer waren vor chinesischen Stinktöpfen wie jähen Entladungen nie ganz sicher. Solch merkwürdiges Arbeitsfeld pflegte immerhin nur eine Minderheit von Gewaltmenschen, die in diesem strengen Hause auch gewöhnlich nur kurze Zeit tätig sein durften. Die meisten Schüler, ursprünglich gute Jungen, aufsässig erst geworden in Händen von Erziehern, die sich selbst nicht beherrschten, besaßen gerade an jener Stelle, wo im Hirn der Rechensinn vermeintlich sitzt, leider keine Windungen.

Zu diesen zählte Prinz Arbogast. Während er in Sprachen, Länderkunde und Geschichte spielend vorwärts kam, schien ihm alles versagt, was unter oder über einem Bruchstriche stand. Dieses konnte der Rechenlehrer, Herr Doktor Siegfried Matheser, nicht fassen. Die kleine gewöhnliche Kaulquappe mit rachitischen Säbelbeinen, dicker, vorgeneigter Stirn, winzigen Äuglein, kiemenartigen Ohren, die Arme meist angezogen, sah einer Menschenfrucht nicht ganz unähnlich. Da er nun noch dazu in jedem bescheidenen Ansatz den »Embryo« erblickte zu kommender »Weltgleichung«, so konnte es nicht fehlen, daß ihn die Schüler, die immer am schnellsten die Albernheiten ihrer Lehrer aufgreifen, den Embryo nannten.

Besagter Doktor Isidor Matheser nun, rieb sich vor allem an Arbogasts Abstammung. Nie rief er ihn anders auf als: »He, der dumme Prinz da!« So kam es, daß in dem bescheidenen, oft verträumten Prinzen Arbogast ein hilfloser Haß erwuchs gegen seinen Peiniger, der ihn beschimpfte, ohne daß er hätte antworten dürfen. Da er nun auf eine Beschwerde beim Rektor Grobheiten erntete, so faßte sich der kleine Prinz ein Herz und schrieb an den König. Die Folgen solchen Briefes waren, daß Exzellenz von Böswetter beritten antwortete, der Prinz habe damit die vorgesetzte Stelle, nämlich ihn, umgangen, der König aber Allerhöchsteigenhändig: a) Prinzen sind da, um das Doppelte zu lernen als andere Leute; b) Lehrer sind die von Gott den Schülern übergeordnete Gewalt; c) Arbogast kostet so viel Geld, daß er alles tun muß, um vorwärts zu kommen.

Dadurch geriet der Prinz in derart verzweifelte Stimmung, daß er heimlich ein Boot losmachte und auf den Tillensee hinausfuhr, um zu fliehen. Zwar wußte er nicht wohin, besaß auch kein Geld, doch in der Anstalt wollte er keinesfalls bleiben. Als er nun längs der Dampfschifflandungsbrücke auf den gewaltigen See hinausruderte, der in seiner himmelgespiegelten Bläue gleich einem Meere vor ihm lag, schwebte dem überspannten Knaben etwas vor wie ein Blutzeugentod, mit dessen Ärgernis er sich an allen Lehrern rächen könnte. Und er beschloß, sich das Leben zu nehmen. Da hörte er plötzlich Klatschen, Glucksen und sah Kreise im Wasser ziehen. In die klare Tiefe blickend, entdeckte er auf dem lehmigen Seeboden eine weibliche Gestalt mit luftgeblähtem Rock.

Prinz Arbogast, ein guter Schwimmer (schon deshalb schien ein Tod durch Ertränken zweifelhaft), besann sich keinen Augenblick, sondern sprang über Bord, tauchte, und es gelang ihm, die scheinbar Leblose ans Ufer zu bringen. Inzwischen kamen Schüler; auch der Physiklehrer Professor Doktor Fall, der eben mit seiner Gattin lustwandelte. Er brachte die Dame ins Leben zurück, übrigens war sie weder jung noch schön, sondern die überreife Lehrerin Fräulein Undine Wasserscheu, die wegen verschmähter Liebe das Königreich Tillen ein für allemal hatte verlassen wollen.

Während nun Prinz Arbogast von Professor Fall belobt ward, lief die Gerettete, ehe jemand an ein Zurückhalten denken konnte, den Landungssteg hinaus und stürzte sich von neuem in die blaue Flut. Prinz Arbogast aber sprang ihr ein zweites Mal nach und brachte die überfällige Jungfrau, die Zähne in ihren Kragen eingeschlagen, wie ein treuer Pudel sein Stück Holz, an Land. Dann aber lief er in die Anstalt, um sich umzuziehen, denn das Wasser hatte nur neun Grad Celsius Wärme.

Damit war der »dumme Prinz« mit einem Male der Held des Tages. Im »Illzenauer Anzeiger« stand der Vorfall. Da jedoch einige Unrichtigkeiten untergelaufen, wie die Angabe der Wasserwärme mit elf Grad Celsius, so mußte die Sache richtiggestellt werden. Dieses unternahm denn auch der Zeichenlehrer der Anstalt, Herr Raffael Kreis, der, um seinen kärglichen Bezügen aufzuhelfen, heimlich am »Tillenauer Boten« Berichterstatter war für Tillensee und Hohe Munde. Kunstmaler mit brauner Sammetjacke, jedoch in Absonderlichkeiten verloren, hatte er nie etwas verkauft, dagegen ein Berufsmodell geheiratet und sechs Kinder in die Welt gesetzt. Sie durchzubringen war er Zeichenlehrer in Außensee geworden, zugleich an der Höheren Töchterschule des Nachbarortes Bankert. Ein Name, der übrigens vorsichtige Eltern schon öfters abgeschreckt, ihre Töchter dieser sonst ausgezeichneten Anstalt zu überantworten.

Besagter Herr Raffael Kreis verfaßte also einen langen (Zeilengeld) und farbigen (Maler) Aufsatz, worin er das Ultramarin des Sees mit Liebe mischte, und daraus die »Märchengestalt eines jungen Sprossen unseres geliebten Königshauses« steigen ließ in Verbindung mit neun Wärmegraden Celsius, Lehrerin und Bankert. Aber solche Mischung von Prinz, Lehrerin und Bankert konnte zu Hintergedanken Veranlassung geben. Der ›Prolet‹, das Stangenberger rote Blatt, ließ denn auch hämisch durchblicken, mit der Lebensrettung von seiten Seiner Durchlaucht des Prinzen Arbogast aus dem erlauchten Osterburger Hause schiene es seine eigene Bewandtnis zu haben. Es wurde daher im ›Staatsanzeiger‹ das Alter der Lebensmüden mit siebenundvierzig und das des Prinzen mit vierzehn genannt, zugleich erhielt Prinz Arbogast für zweimalige Rettung eines Menschen vom Tode des Ertrinkens die goldene Lebensrettungsmedaille. Kultusminister Exzellenz Doktor Bloede überbrachte sie sogar selbst. Hierzu fand feierlicher Festaktus statt, und der Minister wohnte auch dem Unterrichte bei. Offenbar wollte er auf Befehl des Königs Herrn Doktor Siegfried Matheser kennenlernen. Der Embryo geriet darob in solche Aufregung, daß er sich an der Tafel einspann in allerlei Rechenwurzelzeug, ein Freimaurergeheimnis zwischen ihm und einigen wenigen Mathematikbegabten, und so gar nicht merkte, wie inzwischen Seine Exzellenz den Hörsaal verlassen. Wohl aber der Rektor, mit dem der Minister draußen eine lange Unterredung hatte über mangelnden Beruf zum Jugendbildner.

Fortan nannte der Embryo den Prinzen Durchlaucht, und wie Prinz Peter einst, abschiedsreif, in den sechsundsechziger Krieg gezogen, aber mit dem Maria-Theresien-Orden zurückgekehrt, so endete seines Sohnes Arbogast Auszug zum Blutzeugentod mit der goldenen Lebensrettungsmedaille, darauf die Inschrift: Vita donorum suprema.


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