Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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Herr Schellack

Wie ein Fleckfieber ging es durch ganz Tillen: Seine Majestät der König, sonst grundsätzlich nur auf lebendigen Gäulen sichtbar, ritt neuerdings Karussellpferdchen. Jeder beurteilte es verschieden; eine kaum so bald wiederkehrende Gelegenheit, in die Schichtung jener Zeit einen Blick zu werfen.

Um der Gerechtigkeit willen muß vorweg gesagt werden, daß der einzige Ahnungslose im Lande Ernst der Dritte war. Vielleicht hätte die Wissenschaft von all dem Klatsch, der Höchstseiner Person notwendig wie ein Schatten folgte, ihn jenem Weltschmerze überantwortet, der als Erbteil einer schweren Jugend ihn bisweilen befiel.

Die Tillen wußten von den Lebensbedingungen ihrer Menschenbrüder einer anderen gesellschaftlichen Schicht so gut wie nichts. Oder war nicht etwa der Hausdiener Schuhkrähm überzeugt, daß Herr Gastfänger, knallprotzreicher Besitzer des Grand Hôtel am Tillkai, ihm das Doppelte an Lohn hätte zahlen können, während in Wirklichkeit an jedem Dachziegel seines Grand Hôtel eine Hypothek hing, wie die vergoldeten Nüsse am Christbaum? Wer sagt uns aber nun, ob nicht andererseits Herr Gastfänger die Schuld am schlechten Geschäftsgange seinem allzu lässigen Personale zuschob?

Hielt nicht der hohlbrüstige Schuhmachermeister Brandsohle in Tillenau, Osterburger Straße hundertundsiebzehn, Fachmann für Klump- und Plattfüße, seinen Gehilfen Crispin Pech für stinkend faul, weil er bei der Arbeit schwer schnaufend aussetzte, während doch der Arme durch den ständigen Druck des Knieriems an einer eitrigen Entzündung litt? Und meinte nicht wiederum besagter Gehilfe Crispin Pech, sein Meister sei ein hundsgemeiner Leuteschinder, obwohl er doch seinen einstigen Lehrling Ernst Glanzkappe, der wegen Krämpfen an Hand- und Armmuskulatur den Beruf wechseln mußte, auf eigene Kosten ein anderes Handwerk hatte lernen lassen?

Wenn nun solche sich nicht verstanden, die doch aus den gleichen Verhältnissen wie ihre Angestellten gewachsen waren, indem der Wirt als Fahrstuhljunge begonnen, der Schuhmachermeister aber einst Lehrling gewesen, wie sollte dann wohl Fräulein Ozaena Lange-Sicht, einziger Sproß des Generaldirektors der Tillener Wechselbank, etwa die Gedankenwelt der Biereinschenkerstochter Uvula Schaumstrich fassen, die ihr als Verkäuferin bei Stutz & Federspiel »imitiert echte Straußenfedern« als das Allerfeinste angepriesen, während Ozaena Lange-Sicht meinte, nur, nur straußenechte tragen zu können? Glaubten sie nun nicht bei Biereinschenkers, jener unnütze Wechselbalg triebe den ganzen Tag nichts anderes als Straußenfedern verwerfen, während Ozaena in Wirklichkeit den Doktor der Rechte gemacht hatte, weil ihr überarbeiteter Vater sich im Verarmungswahn einbildete, die Lange-Sichten würden einmal verhungern müssen? Meinte aber nicht wiederum Ozaena, die Uvula Schaumstrich sei eine völlig verworfene Person, weil sie eine seidene Bluse trug? übrigens eine abgelegte der Frau Federspiel, die Uvula Schaumstrich noch dazu in Teilbeträgen vom Gehalt abgezogen wurde!

Wie konnte solches Nichtwissen verwunderlich sein, wo doch oft die sich Nächsten nichts ahnten einer vom anderen? Gab es nicht Heimlichkeiten zwischen Mann und Frau? Verstand nicht meist das Alter die Gedankenwelt der Jugend nicht mehr, und schienen nicht oft der Eltern Ansichten den Kindern rückständig, wenn nicht gar gefährlich? Klaffte nicht letzten Endes ein rätselhafter Abgrund zwischen dem Fühlen von Mann und Weib? Oder haben vielleicht alle, die vor den Altar getreten, einander gestanden, daß die Sterne sie einmal schwach gesehen, ja erniedrigt vielleicht? War die Geschäftsehre des untadeligen Seidenhändlers Maulbeer in Firma Cocon & Co., Stechbahn siebenundachtzig, der keine Forderung annahm als auf Kontokorrent, nicht eine andere als die ebenso untadelige Offiziersehre des Kriegsgottes Kotz von Gerben? Stand nicht der Kantianer der Tillenauer Universität Privatdozent der Philosophie Doktor Im. Perativ, dem aller Reichtum der Sprache selbstverständliches Rüstzeug bedeutete, dem Handlanger Michel Simpel, der mit sechshundert Wörtern Sprachschatz glänzend auskam, geistig so fern wie eine Amöbe dem Menschenaffen? Erlebte der Generalintendant Freiherr von Malthus nicht täglich, daß die Hökerin Karoline Schote von der Städtischen Markthalle III, oder die Familie Schiebetanz, Osterburger Ring hundertdreiundachtzig, in der, kraft auswärtiger Industriewerte errungenen, ersten Rangloge über den bittersten Ernst sich schief lachten, während sie bei göttlich schwebender Hechelrede steinerne Gesichter machten? Entnahmen dem Zusammenstoß zwischen Elektrischer und einem der bekannten blauen und duftenden Wagen der Effau auf der Sigismundstraße die halbwüchsige Puberta Zöpfchen, die gerade zur Schule, die Köchin Minna Schmalzpelle, die eben einkaufen ging, der Wirkliche Geheime Rat Starrschedel, der just die Elektrische bestieg, wie der Städtische Straßenkehrer Ernst Müll, der dort gemeinnützig Staub aufwirbelte, nicht viermal andere Dinge?

Und dann sollten die Menschen, wie Herr Schreyer behauptete, gleich sein, oder es sollte gar, nach Ansicht des Herrn Wühlheimer, die »wahre Intelligenz« bei den »unverbrauchten« unteren Klassen ruhen? In Wirklichkeit gab es Naturesel ebensogut bei Beamten, Adel und Bürgertum, wie bei jenen, die dem »Proleten« nahestanden, nur daß oben schon deshalb mehr Wissen sein mußte, weil man jenen, wie dem Könige in Außensee, mehr beigebracht, während arme Leute solche Schulbildung sich für ihre Kinder nicht leisten konnten. So hatte die Zeit den seit Geschlechtern vornehmlich körperlich Arbeitenden derbere Hände, den Gelehrten und den Herren-Geschlechtern feinere Geistesgaben und schärfere Herrscherinstinkte angezüchtet, etwa wie die Riesenlöffel der belgischen Rammler im Gegensatz zu den bescheideneren Ohren gewöhnlicher Kaninchen. Wobei keineswegs behauptet werden soll, daß der gemeine Stallhase nicht der seelisch bessere, ja geistig höher stehende sein kann.

Wie seltsam fern die Menschen einander sind, erfuhr Ernst der Dritte selbst. Wir wissen, daß es seine Gepflogenheit war, aus armen Leutnantsjahren überkommen, wo Frau Siebenwurff, Bäcker Hefe, der Osterbauer, ja sogar Herr Moritz Schofel seine Freunde gewesen, mit dem Geringsten zu reden wie mit seinesgleichen.

Da geschah es, als der selige Sommeraufenthalt auf der Schloßinsel dem Ende entgegenneigte, daß Ernst der Dritte von einer Besichtigung der neuen Talsperre in der Hohen Tafel unvermutet frühzeitig zurückkehrte. Die blonde Lore-Lene pflückte gerade in den Parkwiesen einen Feldstrauß für die Vase auf dem Schreibtisch des Königs, der einfachste Blumen allen Treibhauskostbarkeiten vorzog. Der Storchschnabel des Fräuleins Notburga Reckzeh, dem der junge Herrscher am Sarge Ernsts des Zweiten den Ehrenplatz angewiesen, bürgt dafür. Piephacke aber versorgte noch, nachdem Ernst der Dritte sich nach der staubigen Fahrt im See erfrischt, Badezelle und Wäsche, wobei er die Gelegenheit wahrnahm, Seiner Majestät nachzubaden.

Nun war die Abwesenheit des Königs dazu benutzt worden, die Möbel im Schlafzimmer aufpolieren zu lassen, die bei jenem verhängnisvollen Bombenattentat des Badeofens einigermaßen gelitten hatten. Als nun Ernst der Dritte eintrat, schlug ihm ein ungewohnter Geruch entgegen. Unwillkürlich blickte er mißtrauisch zum Badeofen, von dem alles zu erwarten stand, doch jener tat völlig unschuldig. Dabei gewahrte Seine Majestät einen fremden Mann, niedergebeugt auf die Platte des Tischchens, wo sonst die keineswegs überschwengliche Ausrüstung zur Körperpflege lag, nämlich Kamm und Bürste, Nagelschere und Feile, sowie das Rasierzeug. Der Mann, der mit einem Leinenballen auf der Tischplatte rätselhafte Bahnen fuhr, war aber niemand anderes als der Tischlergeselle Herr Joseph Schellack aus Holüber. Er blickte kaum auf, mochte er doch den Eingetretenen etwa für einen Gärtnergehilfen halten, nicht unerklärlich bei dem braunrot verbrannten Gesicht, dem halb offenen Hemd, den Hausschuhen an bloßen Füßen, und dem wirren Haar, wie eben Seine Majestät aus dem Wasser zu kommen pflegte.

Wir kennen die seit dem Tischlertage besonders engen Beziehungen zwischen König und Tischlern, nichts also natürlicher, als daß Ernst der Dritte dem Manne einen freundlichen »Guten Morgen« bot, worauf jener freilich nur brummend erwiderte. Trotzdem stellte der hohe Herr einige Fragen über das ruhelose Kreisen mit dem Polierballen auf der Tischplatte. Herr Joseph Schellack gab berufsgeschwollen Auskunft, wahrscheinlich weil er es für unglaublich hielt, daß jener nicht einmal wußte, was doch jedem Lehrling bekannt war. Der König aber entschuldigte lächelnd seine grobe Unwissenheit: Er habe noch nie in seinem Leben poliert.

Es würde zu weit führen, die ganze Unterhaltung zwischen König und Tischler wiederzugeben. Gesagt mag nur sein, daß Herr Joseph Schellack allmählich gleich einem im Tiegel erstarrten und aufgewärmten Tischlerleim flüssig wurde und bald Volksreden schwang, als befände er sich in einer Wahlversammlung. Er versicherte, der »Arbeeter« sei der einzige Werte Schaffende im Lande. Ernst der Dritte nickte zustimmend: Auch er empfände für einen, der nicht arbeite, keine Achtung. Nur bestand der Verdacht, daß die beiden darunter etwas durchaus Verschiedenes verstanden, stellte es sich doch heraus, wie der Tischler Joseph Schellack geistige Arbeit unmöglich als »Arbeet« anerkennen konnte. Allein der »Arbeeter« arbeitete.

Da meinte nachdenklich der falsche Gärtnergehilfe, dessen braungebrannte Hände gewiß auf Arbeit deuteten (Ernst der Dritte trug ungern Handschuhe, zog sie jedenfalls beim Reiten immer aus), dann arbeite doch augenscheinlich Herr Schreyer auch nicht. Der Tischler Joseph Schellack erklärte aber erstaunlicherweise, Herr Schreyer habe zum »arbeeten« keine Zeit. Woraus der Gärtner wiederum folgerte, dann sei also Herr Schreyer nicht einer der Werte Schaffenden im Lande.

Während solcher Auseinandersetzung fuhr Herr Joseph Schellack mit seinem Lappen ruhelos jene durchaus rätselhaften Kreise. Unmöglich geistig hoch anzuschlagen, stellten sie also ohne Zweifel »Arbeet« dar. Da nun diese, obwohl rein maschinenmäßige Tätigkeit dennoch in die Gedankengänge des Schleifenfahrers einige Zusammenhanglosigkeit brachte, so riet ihm der Gärtner, der Folgerichtigkeit halber, doch einen Augenblick aufzuhören. Aber jener wies es weit von sich: das Polieren dürfe man nie unterbrechen; was so ein richtiger »Arbeeter« sei, der habe eben niemals Ruhe.

Der König nun dachte an den Vormerkkalender und stimmte ihm abermals bei. So ist nicht zu leugnen, daß sie einander näherkamen. Unglücklicherweise nur ward der Dauerredner dermaßen fließend, daß er dennoch seine Irrfahrten aufgab und mit dem Lappen in der Luft stehen blieb, worauf der Gärtner in Rücksicht auf seine Tischplatte dringend bat fortzufahren. Doch Herr Schellack hielt eine Wahlrede mit Schlagworten aus dem »Proleten«. Leider in völlig sinnwidrigem Zusammenhang, auch beugte er bedauernswerterweise die Hauptwörter falsch und vergewaltigte die Zeitwörter, indem er sie auf bisher noch ganz unbekannte Weise abwandelte. Bei solch schwerem Kampf mit der Muttersprache ist es begreiflich, daß er mehr für die Internationale eingenommen war. Bald nannte er denn auch alle, die nicht polierten, Blutsauger und stellte die Behauptung auf, Besitz sei Diebstahl. Da er nun dabei, während er immer unruhig nach der Tür blickte, die Uhr zog, so gewahrte der Gärtner ein schwer silbernes Gehäuse.

Hier muß leider ein wenig schöner Zug des jungen Königs vermerkt werden. Kann man es nämlich anders als durch Neid erklären, daß Ernst der Dritte seine berühmte, abscheuliche Tombakuhr zog und auf der Unterlage des Satzes, daß Eigentum Diebstahl sei, Herrn Schellack einen Tausch vorschlug, da er ja doch ein eigentliches Recht auf die herrliche silberne Uhr gar nicht besäße?

Herr Joseph Schellack lehnte erbittert ab, die Uhr sei sein Eigentum. Somit scheint die Behauptung gerechtfertigt, daß hier augenscheinlich bei ihm ein Diebstahl vorlag, der aber den Vorteil besaß, jenen häßlichen Neidanfall des Gärtners vergessen zu machen. Immerhin war Herr Schellack über solche Zumutung derart in Wut geraten, daß er zur Bekräftigung seiner Weigerung den Polierballen bei jedem Worte kräftig auf die schöne Tischplatte, die empfindlich war wie eine Tischlerseele, aufstieß.

Mochten nun des Gärtners heute etwas verwilderte Züge sein Staunen zum Ausdruck gebracht haben, kurz, der Tischler hielt es für angebracht (immer mit wiederholt ängstlichen Blicken zur Tür), seine proletarische Armut darzulegen. Dabei konnte man ihm endlich ins Gesicht sehen, während er bisher gesprochen, ohne den Gärtner recht anzublicken. Nun ward es offenbar, der Arme schielte nach allen Seiten, ob nach eines anderen Gut, ob durch die ständig auf einen Punkt gerichtete »Arbeet« (Tischplatte oder Schreyer und Genossen) bleibe dahingestellt. Man muß nicht alles wissen.

Da nun aber die Armut einmal betont worden, so versicherte der Gärtner, er besitze dafür um so innigeres Verständnis, als er selbst oft schwere Zeiten durchgemacht habe. Das benutzte der Rundfahrer zu fragen, was der jetzige Gärtner denn früher gewesen sei? Ernst der Dritte antwortete selbstverständlich: »Offizier!«

Dieses nun zeitigte eine für die Tischplatte äußerst verderbliche Wirkung: Herr Schellack schob im gleichen Augenblick wütend sein Arbeitszeug zusammen. Doch der Gärtner lächelte: Er sei jedoch nach einer unglücklichen Besichtigung, und da er einen anderen Beruf in Aussicht gehabt, genötigt worden, seinen Abschied zu nehmen.

Ob nun Herr Joseph Schellack meinte, er stünde einem schmählich Entlassenen gegenüber, vor dem man um so mehr reden könne, weil der wüste Kerl barfuß und mit Wirrhaar nichts mehr vom Offizier an sich trug, ja vielleicht gar Genosse geworden war, kurz er begann allerlei Dinge auszukramen, die erhärteten, was anfangs behauptet worden ist, daß die Schichten in Tillen sich so wenig verstanden, wie etwa der Leiter der Tillenauer Sternwarte und ein blindes Minenpferd.

Doch plötzlich hielt er inne: Piephacke, die Badewäsche unter dem Arm, stand unter der Tür und durchbohrte den Tischler Schellack mit seinen blauen Mundeaugen, als wollte er sagen: »Sich mal ha, wer hat sich denn da in unsern Stall verloofen?« Zugleich meldete er:

»Seiner Machestät, der Kurier!« Der Tischler erbleichte, machte eine, angesichts der Wahlrede, entschieden gesinnungslose, tiefe Verbeugung. Dabei ließ er vor innerer Bewegung die Politurflasche, patsch, fallen. Sie zerplatzte auf dem von Piephacke täglich gesäuberten Fußboden, so daß es erklärlich ist, daß der heftige Sohn der Munde, als er seine Arbeit vernichtet sah, sich mit dem Rufe: »Sau verfluchtige!« auf den Tischler stürzte, augenscheinlich bereit, ihn kurzerhand ums Leben zu bringen. Die Lage schien einen Augenblick derart bedrohlich, daß der König hinzusprang, um den Genossen zu befreien. Dann befahl Seine Majestät:

»Piephacke, der Mann soll gut verpflegt werden!«

Piephacke schlug die Absätze zusammen und rief Herrn Schellack zu mit unzweifelhaft drohender Gebärde: »Gehst mit!«

Damit verließen sie das Zimmer und die, wie man gegen das Licht sehen konnte, fleckige Tischplatte, was wohl vom Druck des Polierballens bei besonders bedeutsamen Stellen der Wahlrede herrührte. Ernst der Dritte kleidete sich schnell an, wobei er immer um den Bombeneinschlag am Boden einen Bogen beschrieb, denn schon wartete der Kabinettssekretär mit der Mappe, die der Kurier gebracht, zum Vortrag. Der König konnte nicht essen gehen wie Herr Schellack, nein, Seine Majestät mußte arbeiten, obwohl seine geistige Arbeit ja, nach Herrn Schellack, keine ›Arbeet‹ war.

Der Mann aber, der doch als ›Arbeeter‹ niemals Ruhe fand, machte Schicht. Er mußte nach Holüber fahren, um frische Politur zu holen, so fand er, es lohne sich überhaupt nicht mehr, heute wiederanzufangen. Er geruhte also, die Schloßinsel zu verlassen, die offensichtlich zu Wahlreden statt ›Arbeet‹ nicht der rechte Boden schien. Erstaunlich blieb nur, daß der Tischler alles daransetzte, vor seinem Verduften den König noch einmal zu sehen. In der Tat gelang es Herrn Schellack, wie, wird wohl immer unaufgeklärt bleiben, seinen Lebensretter auf der Treppe abzufangen, als der zum Essen ging, mit jener bisweilen mehrstündigen Verspätung, wenn der Kurier unvermutet Eiliges gebracht. Was König und Genosse miteinander gesprochen, ist nie völlig ans Licht gekommen, immerhin war die Schallleitung im Treppenhaus nicht schlecht, wodurch feststeht, daß Herr Joseph Schellack Ernst den Dritten nicht eben sehr klassenbewußt angefleht hat, ihn nicht »unjlücklich zu machen, er habe es char nich so chemeint«. Überliefert ist die Antwort des Königs:

»Es war mir sehr lehrreich, auch mal eine andere Meinung zu hören, als ich sonst zu hören bekomme. Haben Sie ja keine Angst. Ich verspreche Ihnen volle Verschwiegenheit.«

Der rote Tischler hat die Schloßinsel nie wieder betreten, aber jener Politurfleck ist noch heute zu sehen, vielleicht echt, am Ende auch erneuert, etwa wie das Glas im Schachklub »Springer«, aus dem Seine Majestät niemals getrunken. Wer soll in unseren unsicheren Zeiten Wahrheit und Überlieferung scheiden? Wußte Herr Schellack – und damit kehren wir zum Anfang zurück – so wenig von einem Offiziers- und Königswort? In der Tat hat Ernst der Dritte sein Versprechen gehalten. Nur dunkle Andeutungen mögen sich auf den Tischler Joseph Schellack beziehen lassen. So einmal – längst war es Winter, ja bald Frühling geworden, und das königliche Hoflager wieder nach Tillenau zurückverlegt –, als man am Hofe von der Zunahme roter Stimmen gesprochen und Seine Majestät schmunzelnd nach dem verschollenen Tischler fragte. (Fast erwartete man, er würde ihn nach üblicher Gepflogenheit seinen Freund nennen.) Wie nun Hausmarschall Graf Schellenlaut sich mit ständigem die Zähne-Weisen entschuldigte, er habe nicht geahnt, wes Geistes Kind der Mann sei, fiel wieder eines jener erstaunlichen Worte Ernsts des Dritten, die bisweilen die Tillen aufhorchen ließen:

»Gott, jeder wühlt am Ende für seinen Stand. Der Reiche für die Besitzenden, Herr Schellack für die Besitzlosen, wenn sie auch manchmal viel schönere Uhren haben als ich!«

Es ist, als vernähme man ein Lachen irgendwo!


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