Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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Herr Haafenhaar

Unmöglich kann länger verborgen bleiben, daß Piephacke am Hofe nicht sonderlich beliebt war. Im fehlte die Eichung, und die Tillen wollten nun einmal sozusagen jeder seine Nummer haben, etwa wie im städtischen Schlachthaus draußen auf der Ochsenstraße ein trichinenfreies Schwein sich unbefriedigt fühlen mußte, solange es nicht seinen Schlachtstempel auf der Keule trug. Die gesamte Hofdienerschaft sah sich allein durch des Gefreiten Erscheinen beunruhigt gleich dem Tillener Offizierkorps, das gemeint, in seinen »vitalsten Interessen« (man liebte in jener Zeit solch fremde Prägungen) geschädigt zu sein, weil der Königlich Borussische Trainleutnant Friedrich Wilhelm Guß, wenn auch unter Verlust eines Dienstjahres, eingeschoben worden war. Genau wie auch der Redaktionsstab des ›Proleten‹, bei dem als Schriftleiter plötzlich ein Herr Samosch Goldstaub aufgetaucht, der nicht Tille, ja nicht einmal Deutscher war, sondern bisher im Dienste Lodzer Textilindustriellen das Zarentum verherrlicht, auf der Reise von Lodz nach Tillenau aber den Zaren wie den Staub abgeschüttelt hatte. Nun nannte er sich S. Gold, wobei er nicht widersprach, wenn man das S. als Siegfried deutete.

Piephacke war jetzt augenscheinlich ohne Daseinsberechtigung, konnte doch der regierende Herr nicht wohl einen Burschen haben, genau wie Ernst der Dritte nicht mehr Rittmeister war, sondern Tillener Oberst, und auch das vielleicht nicht sicher, da er doch borussischer General geworden. Wir erinnern uns, daß Puppchen schon einmal dem Gefreiten ähnliche Ranggeheimnisse gedeutet hatte.

Nun darf gerade der Gefreite Piephacke ein Musterbeispiel genannt werden zur Widerlegung des Aberglaubens, ein König könne tun und lassen, was er wolle. Ernst dem Dritten waren Grenzen gezogen wie jedem anderen auch. Als er nämlich dem Kriegsminister Generalleutnant Kotz von Gerben beim Vortrage sagte, er wolle den Gefreiten Piephacke als Burschen behalten, antwortete Seine Exzellenz kurz:

»Eine Burschenstelle bei Seiner Majestät dem König ist nicht etatmäßig.«

Der junge Herrscher betonte lebhaft, er möchte sich von dem ihm seit zwei Jahren Vertrauten nicht trennen. Da verfärbte sich gelb des Kriegsgottes dunkle Haut, als sei ihm Galle durch den Gallengang in den Zwölffingerdarm getreten, und er erklärte rundweg, über den Mann könne vor Ablauf seiner Dienstzeit im Herbst unter keinen Umständen verfügt werden.

Der König, leicht verletzt, wie es leider seinem Wesen entsprach, schien nun aus Trotz etwas anderes durchsetzen zu wollen. Er bestand plötzlich darauf, ungeachtet seines Freundes Warnung, den Rauhreiter zum Generaladjutanten zu bekommen. Erstaunlicherweise war Kotz von Gerben sofort einverstanden. Wie nun aber des jungen Herrschers Begeisterung angesichts zu leicht erreichten Zieles ein wenig abflaute, so daß er selbst einwand, die Ernennung würde am Ende bei den Hofstaaten Schwierigkeiten hervorrufen, schloß der Kriegsgott klirrend die Absätze:

»So viel Freiheit werden Euer Majestät doch wohl noch haben, Kotz Donnerwetter ja!«

Und Ernst der Dritte antwortete fast zaghaft:

»Der selige Kronprinz hat mir nämlich einmal gesagt: ›Ich habe keine Freiheit. Ich bin der Kronprinz.‹«

Der Kriegsminister stieß höchst unehrerbietig den Säbel auf:

»Aber Euer Majestät sind der König, Kotz Schwerebrett ja!«

Ein Träumer hätte sich Tronje Hagen also denken können.

Wieder tun wir einen Blick in die Seele der Fürsten. Ernst der Dritte empfindet Genugtuung, sich durchgesetzt zu haben, ahnt aber die wahren Beweggründe nicht. Hier sind sie:

Erstens: Die Quatsch hatten den Kotz von Gerben Fehde angesagt, weil der Kriegsgott des Oberstabelmeisters Sohn, Leibdragonerrittmeister, nicht zum Adjutanten genommen, stand doch auch Kotz von Gerben, einst armer Infanterist, in ausgesprochenem Gegensatz zu allem, was Leibdragoner hieß.

Zweitens: Der Kriegsgott hatte vor zwei Dutzend Jahren gesiegt im Wettbewerb mit Graf Schellenlaut um Fräulein Bella Finderlohn aus Stangenberg, deren als Waise sofort greifbare Millionen eine kleine Seitenverbiegung der Wirbelsäule nach rechts leicht übersehen ließen.

Drittens: Die Mutter Ihrer Exzellenz war eine Rauh aus Stangenberg.

Alles kommt, was kommen muß; so verflüchtigte sich denn Piephacke. Aber wenn irgendeiner geglaubt, dieser Mißgelegene würde nun etwa nicht wiederkehren, so hätte er den Schluß ohne den gerechten und jetzt noch dazu gereizten Sinn des jungen Königs gemacht. Im Taschenbuch, das Ernst der Dritte schon als Rittmeister geführt, fand sich vermerkt: »Piephacke 1.Oktober Hofdienst.« Und dieses noch dazu mit dem rätselhaften Zusatze: »Kotz Schwerebrett ja!« Wir wissen dieses durch die würdige Hofscheuerfrau Frau Forscher-Trieb, die das Büchlein, vom Könige auf dem Nachttisch vergessen, beim Bettmachen fand und bedauerlicherweise just las, als er, da er den Verlust bemerkt, wiederkam, es zu holen. Ernst der Dritte beklagte sich über solche Neugier beim Oberhofmarschall. Als dieser sofort die Ablösung der Scheuerfrau veranlassen wollte, befahl der König, indem er offensichtlich aus dem Vorgang mit dem Kriegsgotte gelernt:

»Die Hofscheuerfrau Lore-Lene wird den Dienst bei mir übernehmen!«

Nun ist es klar, wie eine bisher völlig unbekannte weibliche Kraft, zweimal in Allerhöchstem Munde, nicht völlig Mißdeutungen entgehen konnte. In der Tat nannte der Hofklatsch das hübsche blonde und vollschlanke Mädchen bald augenzwinkernd die Leibscheuerfrau Seiner Majestät, ein Ausdruck, der die Hofdame Mirabella von Wunderlich und ihren Kreis ganz ausnehmend beschäftigte.

Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, daß der König insofern dem Klatsch Vorschub leistete, als er sich gern mit Lore-Lene unterhielt. Ihm fehlte seit Piephackes Verschwinden eine Seele, sich mitzuteilen. Dazu erwies sich aber – jeder Einsichtige muß es begreifen – Puppchen wie der Rauhreiter, der Kriegsgott wie Minister von Forsicht, von den Oberhofchargen gar nicht zu reden, gleich ungeeignet. Bei Lore-Lene schien zwar, seit sie wußte, wer der junge »Adschutant « war, die erste Mundesche Unbefangenheit einer ängstlichen Ehrerbietung gewichen, aber Ernst der Dritte überwand durch seine Gabe, mit jedem reden zu können, bald ihren Speicherschluß. Nach Vorträgen, Sitzungen, Besichtigungen, Empfängen, die einander, dem berüchtigten Vormerkkalender folgend, in vernichtendem Gleichmaße ablösten, war es ihm eine Erholung, Lore-Lene zuzuhören, wenn sie etliches aus der kleinen Welt der Hofküche erzählte oder von der Großen Munde sprach, die sie beide liebten.

Freilich entging Ernst der Dritte nicht völlig der Gefahr, sich allerlei zutragen zu lassen, Samenkörner zu Gnade oder Ungnade, denn der tägliche Bartkratzer, sonst der geeignete Mann, hohen Herren Klatsch zuzustecken, kam nicht in Frage. Zu des Hoffriseurs Schuppenfall Enttäuschung nahm nämlich Seine Majestät, wie er es aus Leutnants-Sparsamkeit gewöhnt, sich selbst den Bart ab.

Eines Tages nun fühlte sich der junge König bedrückt, und seine blauen, schwarz bewimperten und immer traurig blickenden Augen schienen schwermütiger noch als sonst. Die Herbstübungen hatten begonnen, und es bekümmerte ihn, daß er ihnen zum erstenmal fernbleiben mußte. Was wollten achtundvierzig Stunden besagen, die er am Schluß bei Gelegenheit der Korpsmanöver vom Kriegsgott hinausgelassen werden sollte! Auch war der Tag besonders schwer gewesen: eine der vielen Dienstpflichten nach der anderen hatte ihn von früh sechs Uhr ab in Atem gehalten. Abends aber fand beim schönen Theodor im Nordischen Palais ein (wegen der Hoftrauer stilles) Familiendiner statt. Ein paar Nichten der Prinzessin Ingeborg weilten zu Besuch, denen man doch wenigstens etwas bieten wollte.

Nun sah Ernst der Dritte wie ein Schulknabe nach der Uhr: er hatte noch knapp dreiviertel Stunden Zeit. Die Unterschriften, vom Kabinettsekretär Geheimrat Doktor Kleber auf den Schreibtisch gelegt, konnte er am Ende nachts nach der Rückkehr erledigen. Und da erblicken wir Seine Majestät mit einem Male, ohne den Lakai und stellvertretenden Kammerdiener Demuth II zu rufen, an den Kleiderschrank treten. Die sporenbewehrten Zugstiefel fliegen in die Ecke, die Uniform auf das Sofa des Schlafzimmers, und ein paar Minuten darauf verläßt ein schlanker junger Herr das Schloß. Die Gefahr festgenommen zu werden, ist längst gebannt, denn Seine Majestät kennt die Diensttreppe. Nun sind die königlichen Gemächer leer, und die beiden Leibdragoner, die mit gezogenem Säbel auf dem Gange stehen, bewachen nur noch eine ledige Hose, über dem Sofa kniend, wie der um Vergebung flehende, vor Zerknirschung völlig zusammengefallene verlorene Sohn.

Der König atmet auf, als das alte graue Schloß hinter ihm liegt. Wie frisch ist die Luft! Wie frei ist ihm zu Sinn! Es war doch schön als Rittmeister! Ruhig gehen die Menschen an ihm vorbei, keiner blickt ihn an. Und Seine Majestät freut sich, daß er neulich dem Hofphotograph Freundlich nicht hat sitzen wollen, denn so geht am Ende sein Bild noch immer um als gewalttätig blickender Lebkuchengeneral. Ernst der Dritte bleibt vor ein paar Läden stehen, Läden, früher nur immer betrachtet als ein Unerreichbares, weil er zu arm war, solche Dinge zu kaufen. Da kommt ein fast protziges Gefühl über ihn: Haha, das kann er sich nun alles leisten! Kann er es? Eigentlich weiß er es nicht. Und es wird ihm das Erstaunliche erst bewußt: solange er nun König ist, hat er, bisher so bitter zu rechnen gezwungen, noch nichts ausgegeben. Alles wird ja bezahlt! Da fällt ihm ein, ob er auch Geld bei sich hat? Jawohl, er fühlt seine Geldtasche, die noch von früher im Zivil steckengeblieben ist. Mit einem Male blickt ihn ein Offizier an, und plötzlich, entsetzlich, macht der Offizier Front, Front auf der belebten Straße. Wer ist es? Graf Druff, der junge Leibdragoner, dem er nachts auf Schloßwache gesagt hat: »Das ist eine Sauerei, Herr Leutnant!« Wie da der König dankt, steigt ihm das Blut in die Wangen, denn schon bleiben die Leute stehen.

Da sieht er Haarsalben, Riechwässer, drei lächelnde Wachsköpfe mit übertrieben geordnetem Haarwuchs, und in schnellem Entschluß rettet er sich in den Laden. Zwei Herren liegen hingegossen im Stuhl in weißen Mänteln. Ein Wildgelockter, den Kamm im Haar, nimmt ihm mit speckigglänzenden Händen den Hut ab. Wie er ihn aufhängt, blickt er schnell hinein: kein Namenszug, ein einfacher Filz, darin: Adolf Haasenhaar, Hutfabrik, Illzenau. Ehe der König es sich versieht, hat auch er einen weißen Mantel um. Was soll er tun? Rasiert ist er, also sagt er zu dem im Spiegel ihm gegenüber:

»Haarschneiden, bitte. Rundherum kurz.«

Die Schere klappert, und der König sitzt versunken. Der Herr neben ihm, Generaldirektor Doktor Siegmund Erfasser von der Effau (Fäkalien-Veredlungs-Gesellschaft m.b.H.), abgemagert und mit still-grämlichem Ausdruck, setzt ununterbrochen die dicke, rissige Zunge in Bewegung. Als der König den Namen seines Ministerpräsidenten hört, merkt er auf.

»Warum hat der Forsicht dem Schreyer nicht eins auf die Finger jejeben? Er ist eben kein Debatter, verstehn Sie mich!« (Siehe das Urteil des Kronprinzen.)

Da fährt der andere Herr herum im weißen Mantel, von dem er sich kaum abhebt mit seinem weißblonden Haar, dem milchweißen Gesicht und der rosigen Regenbogenhaut:

»Der Könich sollte ihn absäjen, absäjen!« Generaldirektor Doktor Siegmund Erfasser zuckt die Achseln und zieht mit affenartig behaarten Händen den weißen Mantel zusammen:

»Was wollen Sie, hat er 'nen anderen?«

Der Kakerlake, Kommerzienrat Fixen, Direktor der Illzbank, meint überlegen:

»Bitte, Kotz von Gerben, Kotz von Gerben oder Sturz, Sturz – die schmeißen's, die schmeißen's!«

Gereizt wie ein Zuckerkranker antwortet der Generaldirekter:

»Junker und Offiziere können wir nicht brauchen. Wir brauchen Fortschritt, verstehn Sie mich?«

Doch der Kommerzienrat, Rittmeister der Landwehr a.D. schließt die Augen, wie jedesmal, wenn er gegen das Licht sehen muß. Leider kann der König nicht vernehmen, was er spricht, denn in diesem Augenblick hält ihm der Haarkräusler den Handspiegel vor und fragt:

»Ist es recht so, Herr Haasenhaar?«

Er hat nur flüchtig Adolf Haasenhaar und nicht die von Schweiß und Pomade etwas dunkel gefärbte »Hutfabrik« gelesen. Und Herr Haasenhaar geruht, in den Spiegel zu sehen. Aber was erblickt er da? Sein Kopf ist kurz geschoren wie englischer Rasen. Im Eifer des Lauschens hat er es nicht gemerkt. Nun dürfte dieses augenscheinlich ein Fall sein, wo selbst der König sein Recht verloren hat; er ist ja auch hier nur Herr Haasenhaar, und Herr Haasenhaar geruht zu sagen: »Sehr schön!«

Im stillen aber denkt er: Hund, verfluchter!

Inzwischen sind über Mantelausschütteln und Kopfwaschen die Ministerstürzler verschwunden. Ernst der Dritte erhebt sich und greift in die Tasche, um zu zahlen. Doch dem seines Hauptschmuckes schmählich Beraubten sträuben sich die Stoppeln, denn was findet er statt der Börse, die er zu fühlen geglaubt? Einen Putzlappen Piephackes! Der Himmel mag wissen, wie er dahin gekommen ist! Des Königs Gesicht verfärbt sich so dunkel wie das des Kriegsgottes. Er faßt in die Brusttasche, doch in seinem Taschenbuche sind nur Dinge, die Frau Forscher-Trieb erfreut hätten, aber kein Geld. Und der junge König versteht plötzlich den Besitzlosen, den Hungernden fast, denen er schon einmal nahe gewesen, als er einst mit seinem bißchen Gelde nicht auskommen konnte. Er bekennt dem Haarkünstler, er habe »sein Portemonnaie vergessen«, und es ist gut, daß gerade niemand im Laden ist. Der Mann meint sauersüß: »O bitte, es hat keine Eile, Herr Haasenhaar; Sie bezahlen das nächste Mal.«

Und gerade bei diesem »Haasenhaar« ist es Ernst dem Dritten, als könne er jetzt unmöglich sagen: »Ich bin nämlich zufällig der König!« Schon meint der mit dem Kamm und den speckig-glänzenden Fingern: »Vielleicht darf ich um Ihre werte Adresse bitten?« Nein, wer er ist, sagt er nicht, und einen Augenblick fragt sich der junge Herrscher: soll er ihm seine Uhr als Pfand lassen? Da aber eben jemand eintritt, antwortet er kurz:

»Meine Adresse ist Königliches Residenzschloß. Ich werde das Geld gleich schicken.«

Ernst der Dritte eilt davon, nachdem er sich noch umgeblickt nach dem Namensschild: »Fridolin Kahlschnitt, Herren- und Damenfriseur.« Unterwegs denkt der König: Wenn das Böswetter wüßte! Und dann geht der Königliche Lakai Demuth II hinüber in seiner grünen Livree mit rotem Vorstoß, und Herr Kahlschnitt blickt ihn erstaunt an, während er zahlt, wichtig, etwas von oben herab, längst nicht so bescheiden wie Herr Haasenhaar. Der Bartkratzer, dem doch Zweifel gekommen, fragt: »Erlauben Sie gütigst, Herr ... Herr Kammerdiener, wer war denn wohl der Herr?«

Demuth II, der Lakai, antwortet, gestehen wir es nur, einigermaßen gnädig:

»Das wissen Sie nicht? Seine Machestät der Könich.«

Herr Kahlschnitt verbeugt sich vor Demuth II viel tiefer als vor Herrn Haasenhaar.

Auch der schöne Theodor verbeugte sich an diesem denkwürdigen Abend, als er in der Vorhalle des Nordischen Palais den König empfing, merkwürdig tief, wie immer gegen den Chef des Hauses.

Puppchen, der Seine Majestät begleitet, aß mit dem Gefolge für sich. Die Herrschaften wollten nämlich, wie Prinzessin Ingeborg gesagt, »einmal wirklich etwas von unserem jungen Rex haben«. In der Tat war niemand anwesend als Prinzessin Aurora und die beiden jungen nordischen Prinzessinnen Ingrid und Ebba. Sie waren weizenährenblond, blauäugig, mit bleichsüchtiger Hautfarbe und so herrlichen Zähnen, daß sie augenscheinlich erziehlich angehalten worden, sie zu zeigen, denn sie lachten immer. Gelegenheit gab es genug. Man hatte allseitig den jungen Rex wegen seiner veränderten Haartracht erstaunt betrachtet. Nun berichtete er von seinem Abenteuer so nett, daß die froheste Laune herrschte, ja die Heiterkeit erreichte ihren Höhepunkt, als er erzählte, wie der Friseur Kahlschnitt ihn genannt. Da sagte die immer einem Scherze geneigte Prinzessin Ingeborg, indem sie dem jungen Rex den Schnaps anbot:

»Nehmen Sie nicht einen Aquavit, Herr Haasenhaar?«

Das fand die alte Prinzessin Aurora – man denke sich, der Basileus (denn sie war immer um eine Geschlechtsfolge zurück) ein Herr Haasenhaar! – so überwältigend komisch, daß ihr beim Lachen der Zahnersatz herunterklappte. Aber der schöne Theodor half darüber hinweg, indem er trocken bemerkte, er sei dem Barkeeper in Greenpoint heute noch zwanzig Cents schuldig. Das schade aber nichts, weil ihm der Kerl sein einziges Paar Strümpfe geklaut. Wir haben den schönen Theodor in Unterhosen gesehen – aber ohne Strümpfe?

Solch merkwürdige Geständnisse hörte die Prinzessin nicht gern. Es war doch eigentlich etwas entwürdigend.

Da nun einmal vom Gelde gesprochen wurde, so machte der schöne Theodor auf das Tafelgeschirr aufmerksam. Kein Heymer Porzellan wie in der Königlichen Hofhaltung, sondern italienische Renaissance-Fayencen. Er nannte nach dem Essen den abenteuerlichen Wert eines der Gubbioteller, denn er liebte alles auf den Preis hin zu betrachten. Der junge Rex rief in seiner bescheidenen Natürlichkeit:

»Gott sei Dank, daß ich das nicht bei der Suppe gewußt habe, sonst hätte ich mich nicht mehr zu essen getraut!«

»Warum denn, Majestät?« fragte mit ihrem schönen Lächeln Prinzessin Ebba, die an seinen Lippen hing.

»Ja, wenn ich nun einen kaputt gemacht hätte, das könnte ich doch gar nicht bezahlen!« ...

Es ist gesagt worden, daß es die Absicht des Familiendiners war, etwas zu tun für die beiden nordischen Gäste, da man wegen der Hoftrauer das Theater nicht besuchen konnte. Nun kam Prinzessin Ingeborg, die, wie oft Kinderlose, erstaunlich jugendlich geblieben war, auf den glänzenden Einfall, »Schwarzer Peter« zu spielen. Dabei stellte sich aber das Erstaunliche heraus: der Rex kannte keine Karten. Sein Vater, der in Gott ruhende Peter, hatte so viel »verjeut«, daß Ernst der Zweite für die Erziehung des Prinzen Arbogast als eine der Grundlinien aufgestellt: »Keine Karte anrühren!« Da wir nun einmal den harten Schatten beschwören, um den man heute zwar schwarze Kleider trug, aber Schwarzen Peter spielen wollte, so mag erwähnt werden, daß der Basileus bei Begründung solch erziehlicher Maßnahme zu Exzellenz von Böswetter gesagt halte: »Karten spielen nur Leute, die sich geistig nicht zu beschäftigen wissen.«

Wie sich nun also der Schwarze Peter als »nicht angängig« (solche Wendungen brauchten die Tillener Behörden mit Vorliebe) erwies, verfiel die kindlich-heitere Prinzessin Ingeborg, die gerade durch dieses ihr Wesen den Armen und Kranken ein Engel geworden war, auf jenes bekannte witzige Spiel, bei dem ein Ring, im Mehlhaufen versteckt, ängstlich gemieden wird, obwohl reihum jeder am Tisch einen kühnvorsichtigen Schnitt mit dem Messer in den weißen Staub wagt. Durch das Lachen bei dem gefährlichen Vorgang (mußte doch, wer den Ring traf, ihn mit den Lippen herausziehen) sprühte das Mehl schon umher. Als nun aber Ernst der Dritte beherzt einhieb und richtig den Ring berührte, er dann das Gesicht über die Schüssel bog, den Ring erfaßte, fallen ließ, wieder zugriff, um ihn endlich zwischen den Zähnen zu halten, das Kinn weiß, die Wangen weiß, den Schnurrbart weiß, ja die Nasenspitze weiß, gepudert wie ein Hanswurst im Zirkus, da fand die Heiterkeit kein Ende.

Die alte Prinzessin Aurora, die in der Abgeschiedenheit ihres vierten Stockes Wassertrakt der Freuden nicht gar zu viele genoß, sagte beim Abschiedskuß zur Gastgeberin:

»Ach, meine gute Ingeborch, so habe ich mich aber schon lange nicht mehr unterhalten! Ist unser junger Rex nicht himmlisch?«

Das fanden sie alle. Am meisten aber, wie es schien, die beiden nordischen Gäste. Prinzessin Ingeborg, die immer ihr Glück (sie war in ihrer Art glücklich mit dem schönen Theodor, der doch in jüngeren Jahren immer Weiber im Kopfe gehabt) auch anderen mitteilen wollte und so als Ehestifterin bekannt war, flüsterte daher beim Abschied dem jungen Rex zu:

»Hast du nicht gemerkt, was du angerichtet hast?«

Er, noch immer mit weißer Nase, hatte nichts gemerkt. Da erweiterte sie ihre »Interessensphäre«, wie ihr hoher Gemahl gesagt haben würde:

»Ich glaube, ich glaube, Ebbas kleines Herzchen...«

Ernst der Dritte errötete und gab zurück – es ist erwiesen, denn der schöne Theodor trat eben hinzu:

»Aber... aber... ich kann doch nicht... es ist doch Hoftrauer...«

Wir wollen uns nur klar sein: bei dem Gedanken, heiraten zu sollen, überkam ihn ein Grausen; auch fand er, daß, wenn der Königsbetrieb so weiterging, er dazu einfach keine Zeit gehabt haben würde.

Nun aufgebrochen wurde, erschien das Gefolge, das ebenso gern wie ausgiebig für sich allein gegessen hatte. Mirabella von Wunderlich zeigte rote Bäckchen vor Aufregung über den reichen Tag, und es war rührend, wie die alte Prinzessin, vor Glück gleichfalls über sich hinausgesteigert, ihre Hofdame umarmte, als ob sie sich nach einer langen Reise wiedersähen. Dabei stöhnte sie:

»Nein, mein armes Pfläumchen, es war zu himmlisch, zu himmlisch!«

Der Basileus hatte sie nämlich einst, sowohl auf den Vornamen wie auf ihre vorgerückteren Jahre anspielend, eine reife Pflaume genannt.

Da stand Puppchen mit dem Einglase und lächelte befriedigt über seine Bedeutung im engsten Kreise der Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften. Sohn des Steuereinnehmers Pupp und seiner Gattin geborenen Gänseklein, deren Vater doch noch in der Ludergasse hinterm Ladentisch Schilling verkauft, die Elle zu drei guten Groschen! Und er, Pupps Emil, Major und Flügeladjutant nun schon zweier Könige! Aber das Strahlen auf Puppchens Gesicht wich jäher Bestürzung, als er Seine Majestät gewahrte mit der Pudernase eines Hanswursts. Selbst nicht unverliebten (jedoch durch Vorwärtsdrang gezähmten) Blutes stieg ein entsetzlicher Verdacht in seiner Seele auf: sollte Seine Machestät unser Allergnädigster König etwa... die Damen puderten sich ja heutzutage fast alle... aber welche?

Auch der Privatsekretär Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Theodor, der freie Schweizer Doktor Vögeli aus Zürich-Außersihl, schien höfisch zu erstarren. Der persönliche Adjutant Rittmeister Graf Schlußeisen dagegen tauschte einen Blick des Einverständnisses mit der blonden Hofdame der Prinzessin Ingeborg, Fräulein Lulu von Nothdurft, der die Hoftrauer glänzend stand, doppelt bei ihren frischen Farben, weil Graf Schlußeisen sie von rückwärts gekniffen hatte, durchaus nicht anders als ein Bauer aus der Illz sein Mädel. Es soll aber zur Rechtfertigung lieber gleich gesagt werden, daß die beiden heimlich verlobt waren, blieb doch bei Prinzessin Ingeborgs Ehestiftungsdrang keine ihrer Hofdamen länger als ein Jahr unvermählt.

Aber verlieren wir uns nicht: ehe der Leibjäger dem Könige den Mantel umhing, trat Puppchen mit drei gemessenen Schritten auf Seine Majestät zu und flüsterte etwas, scharf betonend, als ob auf der Bühne der treue alte Diener dem bedrohten Fürsten zuzischt: »Herr, die Häscher!«

Der Flügeladjutant meinte zum mindesten, er habe dem König Ehre und Leben gerettet. Ernst der Dritte aber zog ruhig sein Taschentuch, wischte sich das Gesicht und sprach die bedenklichen und rätselhaften Worte: »Ich mußte so nahe heran!«

Puppchen wurde blaß. Wahrscheinlich dachte er: und das will nun ein König sein!

Der Rex hatte Prinzessin Aurora liebenswürdig angeboten, sie in seinem Kraftwagen nach Tillenau mitzunehmen. Nun sagte er zu Mirabella von Wunderlich:

»Gnädiges Fräulein, Sie müssen schon allein zurückfahren, aber Major Pupp wird Sie begleiten. Oder schickt sich das nicht für ein junges Mädchen?«

Die reife Pflaume, glückselig über des jungen Rex gnädigen Scherz, versank in einen so tiefen Hofknicks, daß Fersenbein und großer Gesäßmuskel sich fast berührten:

»Machestät, als Hofdame habe ich doch Frauenrang!«

»So?« antwortete der König. Kannte er denn solch wichtige Hofbestimmung nicht? Puppchen aber hat gewiß gedacht: Seine Majestät hat wieder mal keine Ahnung. Und was er für Sachen redet! Gefährlich!

Als die Gäste verschwunden waren, auch der nordische Besuch sich zurückgezogen hatte, sagte Prinzessin Ingeborg:

»Ob Ebba nicht was für den jungen Rex wäre?«

Der Prinz antwortete mit seinem berühmten Lächeln, das ihm so gut stand:

»Na, ich bin für Prolongation! Wir wollen ihm die Freiheit noch etwas lassen!«

Und Prinzessin Ingeborg, die längst mit dem einst Flatterhaften Frieden geschlossen, gab doch etwas spitz zurück:

»Die Freiheit nehmen sich ja manche auch so!«

Solches wissen wir vom Prinzen selbst, machte er doch aus seinem Herzen keine Mördergrube.


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