Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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16. Kapitel.

Soeben waren die Fensterläden des Lerebourgschen Kaufhauses aufgemacht worden, und der Frühaufsteher Lerebourg stand unter der Tür und schöpfte ein wenig Luft. Acht Uhr am Morgen war's und die Rue Saint-Honoré wurde schon ganz lebendig. Da kam ein Zeitungsverkäufer die Straße herauf und schrie in einem fort mit heiserer Stimme:

»Der ›,Publicateur‹,! ... Ausführliche Schilderung der Hinrichtung des Massenmörders Saint-Régeant!«

Der Kaufmann wurde ganz blaß, rief den Mann herbei und ließ sich das Blatt geben. Auf der ersten Seite, fett gedruckt:

»Heute früh um 5 Uhr fand die Hinrichtung Saint-Régeants und Carbons statt. Die beiden Übeltäter starben mit dem größten Zynismus und ohne ein Wort des Bedauerns für die unschuldigen Opfer bei ihrem Attentat, Carbon wurde im letzten Augenblick denn doch etwas schwach und mußte zum Schafott beinah hinaufgetragen werden. Saint-Régeant aber war von einer schlechtweg empörenden Kaltblütigkeit und bot eisern die Stirn dem Tod.«

Einige Zeilen weiter stand die folgende Nachricht: »Gestern ist ein Schub von 160 Terroristen nach Guyana abgegangen, die alle der Verschwörung gegen den Staat überführt waren. In demselben Augenblick, in welchem die Elenden Saint-Régeant, Carbon und Komplizen den Ersten Konsul zu ermorden versuchten, planten die Terroristen ein neues Régime voller Blut und Kot, ähnlich, wie es vor dem 18. Brumaire um das arme Frankreich bestellt war. Nachdem nun all diese Empörer ausgeliefert sind, hofft die Konsularregierung die Ordnung und den Frieden bald im ganzen Lande endgültig wiederherstellen zu können.«

Lerebourg dachte: Also hat Bonaparte zwei Fliegen auf einen Schlag gefangen. Hat sich einfach die Royalisten zunutze gemacht, um sich die Jakobiner gleichfalls vom Halse schaffen zu können. Dabei haben die beiden Parteien sicher nichts miteinander gehabt – sicher nicht! – dazu hatten sie einen zu wütigen Haß aufeinander. Wie denn auch? wenn es Saint-Régeant mit seinen Helfershelfern gewesen ist, können's doch nicht zu gleicher Zeit die Babouvisten gewesen sein! Indes, sei dem, wie ihm wolle, die Hauptsache ist, wie das Blatt hier auch ganz genau schreibt, daß für etliche Zeit wenigstens wieder Ruhe herrschen wird ...

Da kam Fräulein Hermance angerannt und war schrecklich aufgeregt und rief schon von weitem:

»Ach, Bürger Lerebourg, der arme – arme Victor Leclerc. Ein so hübscher Junge, und so höflich, und so zuvorkommend ... und nun so ein entsetzliches Ende!«

»Schon gut, schon gut!« sprach der Prinzipal und sah seine Verkäuferin ziemlich scheel an. »Halten Sie sich nicht länger mehr auf ... Sie müßten eigentlich bereits auf Ihrem Posten sein ... Ihre Kolleginnen sind längst da ...«

»Ach, ich hab' doch der Hinrichtung beigewohnt ... Die Bürgerin Régnault hat mir dermaßen den Kopf vollgeredet. ... Die war übrigens gleich mit einer ganzen Gesellschaft da: Bürgerin Hamelin und die Bürgerin –«

»Was!« fiel ihr Lerebourg ins Wort. »Sie konnten sich nicht enthalten und waren sogar – entsetzlich! – dabei!«

»Der Platz war schwarz von Leuten ... Sie können mir glauben, daß ich nicht die einzige gewesen bin ...«

»Schon gut, mein Kind,« sprach der Kaufherr, »aber nun sind Sie wohl so liebenswürdig und reden mir nicht lange darüber ... besonders nicht vor meiner Frau.«

»I, wo werd' ich denn?« Und das kam eigentlich verdächtig schnippisch heraus. »Aber wie können der Herr von mir so etwas denken! Ich bin doch keine ›,Person‹, und weiß ganz genau, was ich mir zu denken habe!«

Und sie schwenkte zum Laden hinein, legte ihre Schute und ihren Umhang ab und machte sich an ihre Arbeit.

Als um zehn Uhr seine Frau immer noch nicht erschienen war, lief Lerebourg in die Wohnung hinauf. – Am Ende fehlte Emilie etwas, und er war nicht umsonst in einer solchen geheimen Unruhe. Er horchte an ihrer Tür, hörte aber nichts, meinte, sie sei wohl noch einmal eingeschlafen, und ging in sein Kontor, Rechnungen sichten. – Eine weitere Stunde verstrich; Mittag war nahe; da entschloß sich Lerebourg, doch zu seiner Frau mal hineinzuschauen. Aber da waren die Jalousien zu, die Vorhänge vor, und das ganze Zimmer überhaupt eine Dunkelheit.

Er ging ans Bett heran, rief sie leise bei ihrem Namen ... keine Antwort. Lauter ... wieder keine Antwort. Da bekam er's mit der Angst. Er riß alles auf, Vorhänge, Fenster, Jalousien – das helle Tageslicht fiel herein und er wendete sich um – da tat er aber einen hohlen, gräßlichen Schrei. Wachsbleich von Farbe – die Augen starr – und mit offenem Mund lag Emilie da. Ganz verstört stürzte er hin ... packte sie bei der Hand ... die Hand eiskalt ... riß sie in die Höh' ... der ganze Körper wie Eis ... wollte sie erwärmen ... wieder zum Bewußtsein bringen ... vergebens. Sie glitt ihm unter den Händen aufs Kopfkissen zurück ... mit ihrem wundervollen aufgelösten Haar, das gerade wie auf einem Wasser trieb ... und ihr Kopf wackelte im Zurücksinken. Da fiel er vor dem Bett auf die Knie, ein Schluchzen stieß ihm fast das Herz ab, und weinte und jammerte.

Bis seine Augen mit einem Male entsetzt auf einem entkorkten Fläschchen haften blieben ... das Fläschchen leer ... davon hatte sie in der Nacht eingenommen? Er tappt danach und liest: Digitalin. Das Fläschchen entfällt ihm ... rollt auf dem Boden hin ... Gift! Seine Frau hat sich vergiftet! Vergiftet!

Da steigt mit einem Male – alle Tränen haben längst aufgehört zu fließen – ein wahnwitziger Verdacht in ihm auf: Saint-Régeant und Emilie zu ein und derselben Stunde tot. Das ist plötzlich da und wird größer und größer und wächst riesengroß ... seine Hand fährt aus und wie bittend zu Emilie hin, daß sie es ihm im Tod noch gestehen möchte ... da, mit einer blitzschnellen Bewegung reißt er der Leiche was aus den Händen, die sie wie zum letzten Gebet über der Brust gefaltet hat ... und liest. Und liest.

Blut steigt ihm zu Gesicht. Ein krächzender Schrei. Und im Fallen noch eine Bewegung machend, die wie ein Fluch sein soll, schlägt er ohnmächtig am Bett hin.

 
Ende.


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