Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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13. Kapitel

Der junge Villiers – das Muster eines ebenso schnellen wie zuverlässigen Beamten – hatte sich, kaum daß ihm von Fouché der Auftrag geworden war, in einen Fiaker gestürzt: »Nach der Pitié!« Die Fahrt ging zwar durch das üble Viertel um den Platz Maubert, wo wahrhaftig kein Mensch seines Lebens sicher war, aber er gelangte dennoch glücklich am Tor des alten Hospitals an, das – noch hinter dem Gardin des Plantes und den Weinlagerhäusern – schon unter Ludwig XIII. erbaut worden war. Da ließ er denn den Anstaltsdirektor im Namen des Herrn Polizeiministers richtig mitten aus dem Schlaf wecken, teilte dem noch gänzlich Schlaftrunkenen, der vom Attentat natürlich keine Ahnung hatte, die Sache mit zwei Worten mit und sodann wurde auch der wachhabende Arzt herbeigerufen. Durch endlose Korridore kam der Bürger Villiers zuletzt bis an das Bett Braconneaus, der mit geschlossenen Augen, blaß, gerade wie ein Toter lag.

»Der arme Teufel! es steht wohl gar schlimm mit ihm?« meinte der Sekretär Fouchés.

»Es ist überhaupt unglaublich, daß er nicht längst tot ist. So liegt er nun schon all die drei Tage. Die Kugel ging ihm durch und durch und hat höchstwahrscheinlich die Wirbelsäule dabei gestreift ... Es ist nicht die geringste Bewußtseinsäußerung an ihm wahrzunehmen ... aber er lebt ... das ist alles ...«

»Verflucht! Dabei wäre es für meinen Chef von größter Wichtigkeit, wenn der Mann sich uns verständlich machen könnte –«

»Der Doktor Dupuytren war heute mittag wieder da, um nach dem Patienten zu sehen ... Der interessiert sich so sehr für den schwierigen Fall ... Er kommt auch morgen wieder ... Ich werde ihm von dem Wunsch des Bürgers Fouché Mitteilung machen ... Vielleicht –«

»Meinen Sie nicht, daß man den wie tot daliegenden Kranken durch irgendwelche Mittel für Augenblicke wenigstens irgendwie vernehmungsfähig machen könnte –«

»Der Doktor Dupuytren ist ein äußerst geschickter Arzt. Ich werde es ihm sagen ...«

»Es wäre aber doch besser, wenn man es ihm gleich morgen in aller Früh mitteilen würde ... Es handelt sich nämlich um eine unendlich wichtige staatliche Angelegenheit, die absolut keinen Aufschub duldet ...«

»Sie müssen mit der menschlichen Natur rechnen. Am Bett eines Sterbenden hört alle Gewalt auf ...«

»Nun, Bürger, ich zähle bestimmt auf Ihren Eifer in dieser Sache. Ich werde dem Bürger-Minister nun meine Meldungen über hier machen, darauf wird er sich sicher direkt mit Ihnen in Verbindung setzen...«

Pilliers ging wieder. – Alles in allem konnte Saint-Régeant wirklich von Glück reden. Carbon war unmittelbar nach der Explosion zu seiner geruhigen Pförtnerstelle ins Kloster zur Heimsuchung zurückgekehrt. Und Limoëlan – im Augenblick zur Stadt hinaus und jetzt bald zwanzig Meilen weit von Paris. Der wollte nach der Bretagne und Georges Bericht ablegen. Saint-Régeant, glaubte er, sei tot; der ging ihn also nichts mehr an. Überhaupt zählte für diesen rücksichtslosen Parteigänger, der unter den Greueln der Chouanerie sozusagen groß geworden war, ein Menschenleben mehr oder weniger gar nichts. Auf seinem Wege hatte er bald erfahren, daß Bonaparte glücklich davongekommen war. Das war für ihn die Hauptsache. Mit andern Worten: jetzt hieß es, die ganze Sache noch einmal von vorne anfangen. – Über das ganze Attentat und all seine Urheber war eben ein undurchdringliches Dunkel gebreitet. Von der Karre waren nur ein paar armselige Trümmer geblieben, vom Faß und jenem Flintenlauf rein gar nichts, und so mußte man sich wohl oder übel an die zwei Vorderfüße des Schimmels halten, die man gefunden hatte. Dubois' Agenten durchstöberten das ganze Stadtviertel. Vergebens. Die Fouchésche Polizei verhielt sich völlig abwartend, bis auf weitere Befehle. Das Einzige, was schnell und sicher zur Entdeckung geführt hätte: die Überwachung des Hauses in der Rue du Dragon unterblieb. Soufflard und Clément beschäftigten sich ausschließlich mit dem Gasthof zum »Roten Löwen«. Bis endlich einem eine Stallaterne aufging, und das war, als ein Inspektor Soufflard von einer gewissen Karre samt Schimmel erzählte. Da schlug sich der Riese vor den Kopf, daß ein ausgewachsener Ochse dabei hätte draufgehen können, stieß einen sakramentsen Fluch aus und wurde so rot wie die Mütze eines Sanskulotten.

»Ui – die Teufelskerle! Das waren sie! Na, die haben uns mal schön an der Nase rumgeführt!«

Und ließ Clément allein auf der Roten Löwen-Wache und rannte zu Fouché. Zehn Uhr morgens war's eben und Rapp war bereits im Auftrag Bonapartes sich erkundigen gekommen: ob man Neues wüßte. Antwort: man wüßte – leider – gar nichts. Da hatte der Adjutant sehr von oben herab getan und spöttisch durchblicken lassen, daß Fouché nun wohl ein toter Mann wäre; im übrigen erwarte der Erste Konsul den Minister bestimmt innerhalb zwei Stunden – noch vor der Staatsratssitzung. Fouché aber hatte trüb und kalt und so gar nicht, als ob es endgültig um sein Amt und wohl auch um seine Freiheit geschehen wäre, erwidert, er werde pünktlich zur Stelle sein, und vertraute im übrigen auf die göttliche Vorsehung aller Polizei: auf den allmächtigen Zufall. Da schob Villiers auch schon den riesenhaften Soufflard zur Tür herein.

»Bürger-Minister – dieser Agent liefert uns soeben ein wichtiges Indizium. Vielleicht sind wir damit der ganzen Geschichte neu auf der Spur. Der Wagen, der in der Rue de Chartres mitsamt dem Schimmel und mehreren Fässern in die Luft gesprengt wurde, ist höchst wahrscheinlich identisch mit einer Karre, die gestern sechs Uhr abends vor dem ›,Roten Löwen‹, – dem uns bekannten Royalistenschlupfwinkel – vorfuhr, an der ebenfalls ein Schimmel angespannt war, und auf die sodann drei Kerle zwei Fässer aufluden.«

»Ja, und in dem einen Faß –« bemerkte Soufflard, »war bestimmt Wein, denn wir haben ihn noch probiert, nachdem ich den drei Kerlen aufladen geholfen hatte ...«

»Ach was – du hast geholfen?« sprach Fouché. »Dann hast du dich also auch mit ihnen unterhalten – wie? Nun sag' einmal – wie sahen die aus? Groß, klein, schlecht angezogen ...«

»Sie sahen mir richtig wie Arbeiter aus. Nichts Verdächtiges an Kleidung wie in Bewegung ... Sie sagten mir auch noch, daß sie den Wein nach dem Faubourg Antoine liefern sollten ...«

»War es denn auch wirklich Wein?«

»Selbst – verständlich. In einem Faß wenigstens gewiß.«

»Und im andern?«

»Tja, Bürger-Minister ... vom andern könnt' ich's nu freilich nicht so ganz bestimmt behaupten ...«

»Villiers!« sprach Fouché da. »Gehen Sie sogleich mit einem Kommissär und untersuchen Sie den ›,Roten Löwen‹, vom Keller bis zum Dachboden. Verhaften Sie alles, was Ihnen verdächtig vorkommt. Auf jeden Fall bringen Sie mir den Besitzer vom ›,Roten Löwen‹, her und heizen Sie ihm gleich tüchtig ein, daß ihm das Gestehen leicht wird. Du aber, Soufflard, begibst dich unverzüglich wieder nach der Rue du Dragon und gibst mir auf das Haus acht, das Braconneau im Verdacht hatte.«

Fouché klingelte.

»Man schicke sofort nach dem Inspektor, der die aufgelesenen Trümmer vom Ort des Attentats unter sich hat ... Und daß mir sogleich eine Umfrage in allen Stadtvierteln angestellt wird, wer etwa seit gestern eine Karre und einen Schimmel vermißt ... Los, los, los!«

Da kam ein Lakai und meldete, der Direktor von der Pitié möchte den Bürger-Minister sprechen. Und nun kam einigermaßen wieder Leben in das Gesicht Fouchés. Nur der Ton seiner Stimme blieb der gleiche: »Soll kommen.« Villiers und Soufflard waren bereits fort und Fouché allein. Er stand vom Stuhl auf, ging zum Spiegel und ordnete seine Haarlöckchen. Und die Kaltblütigkeit dieses Mannes war überhaupt staunenswert.

»Nun, Bürger-Direktor?« wandte er sich zum Eintretenden um. »Wie weit sind Sie? Sind Ihre Ärzte zu irgendeinem Resultat gekommen?«

»Gewiß, Bürger-Minister. Es ist zwar nicht viel, aber es ist immerhin etwas. Der junge Doktor Dupuytren und Doktor Broussais waren gemeinsam bemüht, um den Todkranken aus seiner Starrheit und Teilnahmlosigkeit herauszureißen ... So hat denn Broussais diesen Braconneau zur Ader gelassen ...«

»Das auch noch! Wo der arme Teufel sowieso schon soviel Blut verloren hatte!«

»Der Doktor Dupuytren hat ihm Brennkegel an der Schädelbasis gesetzt ... Daß wenn das eine Mittel nichts hilft, dann eben das andere ... Und so ist Braconneau richtig aufgewacht ...«

»Also schnell! wir müssen hin.«

»Das wäre vergeblich, Bürger-Minister. Er ist dann gleich wieder in seine Schlafsucht verfallen. Aber einige Minuten lang war er doch wach ... ich erzählte ihm mit ein paar Worten vom Attentat... da belebte er sich wunderbar ... ja, er wurde sogar richtig rot, trotz des Aderlasses und so weiter, und rief beinah: ›,Saint-Régeant! sicher!‹,«

»Waren Sie allein bei ihm, als er das sagte?« forschte Fouché.

»Ich – und die beiden Ärzte. Aber Sie dürfen ganz beruhigt sein, Bürger-Minister, für die Herren ist die Sache ebenso Berufsgeheimnis wie für mich ...«

»Und weiter?«

»Er fiel wieder zurück, aber da haben wir ihn denn Äther einatmen lassen, darauf belebte er sich wieder etwas und stammelte: »Schreiben ... an den Bürger Fouché ...« Und er diktierte mir, während er tatsächlich mit dem Tode rang, die drei Zeilen, die ich Ihnen hier mitgebracht habe. Hoffentlich können Sie damit etwas anfangen, für mich sind sie ohne Zusammenhang, daß sie mir wie das reine Delirium vorkommen.«

Er überreichte Fouché ein Blatt Papier. Der Minister las:

»In der ›,Blauen Mütze‹, ... weiß man ... Saint - »Régeant – Victor Leclerc ... Bürgerin Lerebourg »... Rue du Dragon ...«

Das ließ sich in der Tat wie ein Rebus an. Fouché legte das Blatt auf seinen Schreibtisch, dankte dem Direktor der Pitié vielmals für dessen Bemühungen und machte sich daran, sowie er allein war, diese rätselhafte Inschrift zu entziffern. Für ihn war vielmehr der Ausruf des Polizisten bei der Nachricht vom Attentat in der Rue Saint-Nicaise: »Saint-Régeant! sicher!« der springende Punkt. Damit sagte Braconneau klar (und hatte es wohl auch bereits geahnt): Saint-Régeant ist der Täter. Und in der Tat war ja auch nichts wahrscheinlicher als das. Der war mit Georges und Hyde nach Paris gekommen; die beiden letzteren nach der Audienz beim Ersten Konsul wieder abgereist und er also allein zurückgeblieben, um den Beschluß des royalistischen Komitees in die Tat umzusetzen. – Und Fouché nahm von neuem das Blatt Papier zur Hand und fing an zu studieren: »In der ›,Blauen Mütze‹, ... weiß man ...« Die »Blaue Mütze« ... das war doch jenes Geschäft ... und sein stupendes Gedächtnis, auf das er sich jederzeit verlassen konnte, reagierte sogleich: Der Kaufmann – ein gewisser Lerebourg. Durchaus regierungsfreundlich. »Hoflieferant der Madame Bonaparte« und überhaupt des ganzen konsulschen »Hofs«. Der Besitzer der »Blauen Mütze« selber über jeden Verdacht erhaben ... aber neben ihm ... um ihn... war da was?... gab's da was?... Und Fouché fand – vorläufig – noch nichts. Wie ein Schleier lag's um die »Blaue Mütze«; und der verflixte Schleier wollte absolut nicht weggehen. Dabei war's sicher, daß das ganze Geheimnis von Braconneau in die paar Worte zusammengefaßt war, die nur scheinbar wie ohne allen Zusammenhang dastanden. Und der Minister griff wieder zu dem Blatt Papier und las wieder und wieder ... mit einem Male gab er dem Zettel einen leichten Stubs und lachte ohne einen Laut ... Unheimlich. Teuflisch. Des Rätsels Lösung. Nun hatte er den Hauptschuldigen – und hielt ihn. Saint-Régeant – Victor Leclerc. Nun erinnerte sich der Minister, daß ihm Braconneau erzählt hatte, wie Lerebourg und Victor Leclerc einander kennen lernten, sehr intime Freundschaft schlossen, und wie dann die Sympathie der Bürgerin Lerebourg, einer Vendeerin, für den Vendéer Saint-Régeant noch dazukam. Es war doch eigentlich höchst einfach. Man wußte in der »Blauen Mütze« alles was Fouché wissen wollte: wo Saint-Régeant war, wie und durch wen das Verbrechen begangen wurde und wohin sich die Täter geflüchtet. Und der Minister wollte schon am Glockenstrang ziehen, als ihm noch dieses einfiel: Wen nun aber von der »Blauen Mütze« festnehmen? Lerebourg und seine Frau? Wohl. Aber die Kommis, die Mamsells, Hausdiener usw. laufen lassen? Das ging doch nicht. Unter diesen konnte erst recht noch ein Komplize sein, der Saint-Régeant sofort warnte ... Und Fouché nahm das Blatt Papier zum zehnten Male vor – und verwunderte sich über seine eigene Überstürzung und Kopflosigkeit. Die Hauptsache: »Bürgerin Lerebourg – Rue du Dragon« hatte er ganz außer acht gelassen! Dabei war Saint-Régeant sicher Rue du Dragon versteckt gewesen und war's vielleicht noch! Na, und was Bürgerin Lerebourg just mit Rue du Dragon zu schaffen hatte – das konnte nicht viel anders denn Liebe sein!

Aber jetzt – langsam – langsam – langsam. Die Rue du Dragon halte ich doch besetzt. Und was die »Blaue Mütze« angeht, so läuft die mir erst recht nicht weg. Ich bin völlig der Herr der Situation – oh, und wie siegessicher kann ich nun meine Worte beim Ersten Konsul setzen. Er erwartet mich noch vor der Staatsratssitzung. Was mir ein Vergnügen sein soll, werter Herr Bonaparte. Alle Achtung, auf dem Schlachtfeld ist dir keiner über, aber in polizeilichen Dingen kommst du doch nicht gegen mich auf. Du wirst Augen machen, Freundchen! ...

Fouché ließ sich das Frühstück bringen. Seinem Sekretär Villiers aber trug er auf, er möchte gegen vier Uhr etwa nach der »Blauen Mütze« fahren und die Bürgerin Lerebourg bitten, zu ihm – dem Minister – zu kommen.

»Wenn sie Sie fragt: in welcher Angelegenheit, so sagen Sie ihr nur ruhig: in einer rein geschäftlichen. Ich hätte zweifellos eine Bestellung oder so. Sie können das artig, ja scherzend sagen – auf jeden Fall machen Sie ihr nicht etwa Angst. Beruhigen Sie sie, falls sie es doch mit der Angst zu tun bekommt, daß es absolut in keiner polizeilichen Angelegenheit wäre. Dabei aber verlieren Sie sie mir keine Sekunde aus den Augen und achten Sie mir vor allem darauf, daß sie nicht plötzlich was verschluckt ... Gift oder so – Sie verstehen! Wenn zufällig der Bürger Lerebourg und womöglich an Stelle seiner Frau zu mir kommen wollte – das gibt's nicht. Und sowie Sie überhaupt von seiten des Ehemanns oder seiner Frau dem leisesten Widerstand begegnen, nehmen Sie sie fest und lassen außerdem alle Hauseingänge besetzen, daß niemand, auch der Portier nicht, und überhaupt keines Menschen Seele herauskann. Verstanden? Gut. Bestellen Sie 'n Wagen. Ich fahr' nach den Tuilerien.«

Gegen ein Uhr betrat Fouché das Vorzimmer vor dem Arbeitszimmer des Ersten Konsuls. Er wurde auch sogleich vorgelassen und fand Bonaparte in großer Konferenz mit Réal, Thibaudeau, Defermon und Admiral Truguet. Das waren auch so vier Getreue des Ersten Konsuls, mit dem einen Unterschied, daß sich Defermon und Truguet wohl noch ein Wörtchen zu sagen getrauten, wohingegen die beiden einstigen Jakobiner bereits die ausgemachtesten Höflinge waren. Bonaparte nickte Fouché nur flüchtig zu und sprach ruhig zu den andern weiter, als ob der Polizeiminister völlig auf dem laufenden wäre:

»Ich denke dabei nicht an mich, sondern an die öffentliche Ordnung, die aufrechtzuerhalten meine Pflicht ist. Ich bin dermaßen von der Notwendigkeit von Repressalien überzeugt, daß ich mich meinetwegen ganz allein als Tribunal einsetze und die Verräter aburteile. Fünfzehn oder zwanzig der Elenden werden zum Tode verurteilt und zweihundert etwa deportiert... dann wird aber auch endlich Ruhe im Lande sein!«

Eine Stille erst. Dann getraute sich Admiral Truguet wohl ein Wörtchen mit Bonaparte zu reden:

»Elende, Elende, was heißt das? Ich meine, wir müssen da doch etwas unterscheiden. Es sind nicht nur Revolutionäre, sondern da haben wir ebensogut die Emigrierten, die haufenweise zurückkehren durften und jetzt bereits die auf Befehl der Nation verkauften Güter antasten wollen. Und dann die Chouans, die die ganze Bretagne mit Krieg überziehen, von den wiederaufgetauchten Pfaffen nicht zu reden, die namentlich den ganzen, Süden aufwiegeln und schlechtweg eine Gegenrevolution vorbereiten. Ich meine ...«

»Aber, Bürger Truguet,« unterbrach ihn da der Erste Konsul, »Sie meinen doch nicht im Ernst, daß die paar Schlottergreise, die aus dem Exil zurückkehren durften und weiter nichts wollen als in Frieden leben, und ein paar aus der Versenkung aufgetauchte Pfaffen die öffentliche Sicherheit bedrohen können? Dieser paar Hampelmänner wegen – das Vaterland in Gefahr? Das glauben Sie doch selber nicht! Nein – alle Gefahr kommt einzig von den Septembrisierern, für Sie so gut wie für mich. Ja, auch Sie alle werden von denen mit tödlichem Haß verfolgt. Für Verräter gehalten und zuletzt für – Royalisten. Da müßt' ich Sie ja alle miteinander ebenfalls nach Sinnamari oder Madagaskar schicken ... nein, also ich lass' mir nicht länger mehr was weismachen und ich kenne die Alleinschuldigen ganz genau!« Da gestattete sich Fouché ein solch protestierendes Achselzucken, daß Bonaparte unwillkürlich innehielt. Er fixierte den Polizeiminister sehr stark: Na nu rede du!... Aber Fouché blieb stumm, mit gesenktem Blick, entschlossen, mit der Wahrheit nicht gar so öffentlich herauszurücken. – Der Erste Konsul wandte sich zu den übrigen:

»Ich verlasse mich also auf Sie, Bürger, bei den Maßnahmen, die nun zu treffen sind. Erwarten Sie mich im Staatsrat; ich komm' im Augenblick nach ...«

Die Herren gingen. Nun trat Bonaparte an Fouché heran, der immer noch seine geheimnisvolle Miene aufhatte:

»Was sollte Ihr Achselzucken vorhin bedeuten, Bürger-Minister?«

»Ich wollte Sie davor bewahren, General, daß Sie sich in Versprechungen einließen, die Sie hinterher hätten unmöglich halten können.«

»Wieso?«

»Weil all Ihre diesbezüglichen Vermutungen durch die Tatsache widerlegt worden wären.«

»Sie kennen also die Urheber des Attentats?«

»Ich kenne den Haupttäter. Die Mitschuldigen werd' ich schon auch noch herausbekommen.«

»Und wer ist der Elende?«

»Herr de Saint-Régeant.«

»Der Freund von Georges und Hyde de Neuville?«

»Derselbe.« Da sah Bonaparte den jungen starken Vendéer leibhaftig wieder vor sich und hörte ihn von Frankreichs Zukunft und den Rechten des Königtums sprechen. Hörte wieder den heißen stürmischen Ton ... Wahrhaftig ein Soldat, wie er ihn sich nur an der Spitze eins seiner Regimenter wünschen konnte ... Und ein solcher Mann hatte in kläglichem Parteiinteresse Tod und Sterben um sich gesät ... Wahnsinnig – für ein Nichts! Soweit also konnte politische Verblendung einen solch gescheiten und tapfern Jungen treiben: bis zur Brutalität und Feigheit eines wilden Tieres!

»Haben Sie ihn?« Scharf, schneidend fuhr das heraus.

»Noch nicht. Aber das kann nur noch eine Frage von Stunden sein. Vor morgen jedenfalls halt' ich ihn sicher. Ich weiß, wo ich ihn suchen muß und wie ich ihn fasse.«

»So. Und aber die Anstifter – Georges! Rivière! Polignac! und dann die Prinzen! – die wahrhaft Schuldigen, die sind fern vom Schuß – was? Denen geht's gut – wie? Die haben's vergnüglich – ja? Bis es mir eines schönen Tages zu bunt wird – und wenn ich ihn mir von über der Grenze drüben holen muß! – einer der Bourbonen muß her! muß her! und ich stell' ihn vor ein Kriegsgericht und lass' ihn während der Sitzung erschießen!«

Und Bonaparte geriet in einen solchen Paroxysmus der Wut, daß er seinen Hut ergriff, der da auf einem Tisch lag, ihn auf die Erde schmiß und ihn mit fortgesetzten Fußtritten bis in eine Ecke seines Arbeitszimmers bearbeitete. Das sollte seinen rasenden Nerven gut tun.

Im selben Augenblick kam Bourrienne mit dem Portefeuille des Ersten Konsuls herein. Sah den Hut, hob ihn auf, richtete ihn mit ein paar Klapsen zurecht und meldete:

»General – der Staatsrat ist versammelt und erwartet Sie.«

»Also, Bürger Fouché –« das sprach Bonaparte schon wieder ganz ruhig, »machen Sie! verlieren Sie keine Zeit und halten Sie mich jederzeit auf dem laufenden! Ich wüßte nichts, das im Augenblick für mich wichtiger wäre, als dies ...«

Und nahm seine Schnupftabaksdose von seinem Schreibtisch, entließ Fouché mit einem Neigen des Kopfes und ging mit seinem Sekretär zusammen hinaus.

In der »Blauen Mütze« verging der Tag, der mit der glücklichen Flucht Saint-Régeants so verheißungsvoll eingesetzt hatte, genau wie jeder andere; nur vermochte das Gewohnte die von tausend Ängsten gemarterten Leutchen heute bei weitem nicht auszufüllen. Lerebourg getraute sich seiner Frau gegenüber nicht einmal den Namen Victor Leclerc mit einer Silbe zu erwähnen: das schien ihm schon viel zu gefährlich, und überhaupt war ihm selbst die Luft hier in seinem Hause verdächtig, gerade als ob der Verschwörer einen Geruch von Blut und Pulverdampf zurückgelassen hätte. In einem jeden Kunden, der kam, vermutete er einen Spion; und zu Mittag hatten weder er noch seine Frau auch nur einen Bissen hinunterwürgen können. Gegen zwei Uhr nachmittag ging Lerebourg aus; aber nicht in Geschäften etwa, wie er sonst täglich zu tun Pflegte, sondern nur um irgendwie herumzuhorchen. Im Café Lamblin traf er mehrere Bekannte – alle natürlich höchst entrüstet über das Attentat, und insonders der Tod des kleinen Töchterchens des Kesselschmieds in jenem Kellerladen erregte die Gemüter.

»Sollte man so etwas denn glauben? Läßt der Unmensch sein Pferd von diesem kleinen Kind halten, wo er doch genau wußte, daß es mit in Stücke zerrissen würde! Es ist nicht zu sagen! Gevierteilt sollte der Kerl werden, und es ist wahrhaftig nur zu bedauern, daß diese Art Strafe abgeschafft worden ist!...«

Dabei hatte das Erbarmen Saint-Régeants mit diesem kleinen Mädchen Bonaparte schlechtweg das Leben gerettet. Und Lerebourg hatte es aus Victor Leclercs eigenem Munde gehört, wie sehr er den Tod dieses Kindes beklage; ja, Leclerc hatte schier geweint, als er davon sprach. So hörte Lerebourg den Verwünschungen seiner Freunde nur mit recht geteilten Gefühlen zu,

»Es heißt, daß Bonaparte die ewigen Verschwörungen der Terroristen nun endlich gründlich satt habe. Er will einen zweiten Fructidor statuieren und mit diesen Bluthunden nun einmal gewaltig aufräumen,«

»Andere sagen wieder, die Chouans wollten die Regierung stürzen und die Monarchie wieder herstellen. Ganze Pariser Regimenter sollten schon dafür gewonnen gewesen sein ...«

»Das ist sicher, daß wenn der Erste Konsul wirklich dabei umgekommen wäre ...«

»Ja, wer wohl hätte da schnell die Zügel der Regierung übernehmen können?«

»Sein Bruder Joseph sicher nicht!«

»Lucien schon eher. Der hat sich am 18. Brumaire sehr ausgezeichnet.«

»Sagt mir, was ihr wollt: was wären sie alle miteinander ohne Bonaparte gewesen?«

»Nein, ohne Bonaparte würde eben wieder die reine Anarchie ... oder aber die Bourbonen ...«

»Na, und was wäre dann? Das gäb' eine haarige Rechnerei wegen der Nationalgüter mit den Emigrierten. Da sag' ich nur das eine: Gott erhalt' uns Bonaparte. Und man soll ihn überhaupt jetzt bald zum Konsul auf Lebenszeit ernennen, damit wir endlich einmal unsere Ruh' haben!«

»Hat denn die Polizei schon irgendwelche Spur von den Tätern?«

»Dubois hat seine besten Spürhunde nach allen Richtungen ausgeschickt.«

»Und Fouché?«

»Bei dem kennt man sich niemals aus ... Der Erste Konsul und er sind etwas überkreuz miteinander. Das ist 'n gar Heimlicher ...«

»Paßt auf – und mit einem Male überrascht der uns alle mit der vollendeten Tatsache! Er ist ja doch der geschickteste – und ich hab's immer gesagt!« –

Währenddem hatte es Frau Lerebourg ebenfalls nicht mehr im Geschäft gelitten. Sie fieberte schier, und ihr verstörtes Wesen begann nachgerade aufzufallen. So schloß sie sich oben in ihrem Zimmer ein, um sich in ihrer Niedergeschlagenheit und ihrem Schmerz völlig gehen lassen zu können; lag nun schon eine Stunde auf ihrem Sofa und bemühte sich, an überhaupt nichts mehr zu denken; da klopfte es leise und das Mädchen kam herein.

»Jemand möchte Madame geschäftlich sprechen.«

»Er soll sich an eine der Mamsells wenden.«

»Er möchte aber ausdrücklich Madame selber sprechen.«

Emilie fuhr mit einem Male rasend auf:

»Wer?«

»Ein junger Mann. Elegant. Sehr nett ...«

»Gut. Führen Sie ihn ins Privatkontor vom Herrn ...«

Sie steckte schnell ihr Haarband auf, das sich gelockert hatte, und ging voller Angst ins Zimmer nebenan, wo der Sekretär Villiers sie bereits erwartete.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Bürgerin,« sprach der mit vollendeter Höflichkeit und sah auch sonst ganz harmlos aus, »wenn ich so eigensinnig war und nur Sie selber sprechen wollte ... Ich komme im Auftrag des Bürgers Fouché – und Sie möchten die große Liebenswürdigkeit haben, zu ihm zu kommen ...« »Zum Polizeiminister?« Das klang wie ein unterdrückter Schrei.

»Aber nein, Bürgerin,« verbesserte Villiers sie lächelnd, »nicht zum Polizeiminister, sondern einzig zum Bürger Fouché ... Ich komme nicht groß amtlich, sondern einfach privat... Ich glaube, es ist etwas Geschäftliches ... Aber das wird Ihnen der Bürger Fouché ja am besten selber sagen können ...«

»Muß ich sofort hin?«

»Wenn ich bitten darf ...«

»Mein Mann ist nicht da. Ich bin allein im Geschäft...«

»Sie sind in einer kleinen Stunde sicher wieder zurück. Mein Wagen wartet vor der Tür ...«

»Ich muß also ... ›,mit‹, Ihnen?«

»Nur zu Ihrer größern Bequemlichkeit. Damit's um so schneller geht.«

»Kann ich ein Wort an meinen Gatten zurücklassen?«

»Warum das? Sie sind sicher vor ihm wieder zurück.«

»Nun, Bürger, sagen Sie's doch lieber gleich ... ich bin verhaftet!«

»Aber wieso? Haben Sie ein so schlechtes Gewissen?«

Emilie begriff, sie war einfach verloren, wenn sie in ihrer Bestürzung länger so weiter redete. Sie tat schon richtig verzweifelt, war kreideweiß übers ganze Gesicht, und ihre Augen waren ihr entsetzt zurückgetreten und lagen ganz schwarz ...

»Aber ich muß doch Mantel und Hut haben ...«

»Rufen Sie doch einfach Ihr Mädchen ...«

Ihr war schon alles gleich. Sie klingelte und sagte dann noch:

»Wenn mein Mann vor mir zurückkommen sollte ... ich bin nur auf einen Augenblick fortgegangen ...«

Da aber richtete sie sich auf und gewann ihre Fassung wieder. Sie dachte an Saint-Régeant, den sie retten mußte, an ihren Gatten, den sie um jeden Preis verteidigen mußte, und an sich selber. Sie wandte sich nach Villiers um und sprach ganz gefestigt:

»Also gehen wir. Aber wir wollen nicht erst durch den Laden ... wozu auch? Wir gehen besser die Wohnungstreppe hinunter.«

Die gleiche Treppe, die heute morgen noch Saint-Régeant hinabgegangen war ... Heute morgen noch. Vor Stunden kaum. Und schon war Fouché vielleicht im Besitz des ganzen schrecklichen Geheimnisses! –

In der Tat liefen bei der Polizei beinah fortgesetzt neue und eminent wichtige Nachrichten ein. So hatte in einer Weinstampe bei Vaugirard draußen ein als Bürger verkleideter Agent bei einer Tasse Kaffee gehört, wie ein Gemüsegärtner zu einem Kameraden bei einer Flasche Wein sagte:

»Ja also, ich mein', ich weiß genau, woher der Schimmel und die Karre in der Rue Saint-Nicaise waren!« »Ach nee!«

»Doch! Wenn nämlich der Schinder an der linken Vorderhaxe eine Hufspalte und drinnen eine Wucherung und über der Fessel eine Durchfäule hatte, dann ist es der, den ich meine!«

Nun war dieser Agent just einer von den Leuten, der bei der Untersuchung der Wagentrümmer und der beiden Schimmelvorderhaxen dabei gewesen war, und Aufspalte samt Wucherung stimmten ganz genau, wenn er auch auf die Durchfäule über der Fessel nicht hatte schwören können. Aber das genügte ja auch schon reichlich, und kaum daß der Gemüsegartner das Weinbeisel verließ, kaufte sich der Agent den Mann, setzte ihn in eine Droschke und fuhr ihn nach dem Polizeiministerium, Mit ein paar Drohungen und ein paar Grobheiten hatte ein Kommissär sodann bald alles aus dem Kerl heraus – und das war wahrhaftig nicht wenig. Ein gewisser François, Pförtner vom Kloster zur Heimsuchung, hatte von einem gewissen Stellmacher Poliveau eine alte Karre und einen elenden Schimmel für hundert Franken gekauft – unter der Bedingung, daß er das Fuhrwerk von dem Tage an jederzeit abholen lassen könnte. Was denn auch gestern nachmittag geschehen war, und der Stellmacher hatte noch eine solche Freude gehabt, daß er den Krempel so glänzend losgeschlagen hätte ... Nun wurde sofort ein Agent nach Vaugirard geschickt, um den Stellmacher zu verhaften, und ein zweiter nach dem Kloster zur Heimsuchung, um den Pförtner François festzunehmen. – Fouché konnte also wirklich von Glück sagen. Die Sache machte sich vom ersten Augenblick an über die Maßen glänzend. Die fürchterlichen Polizeikrallen waren bereits ausgereckt und konnten im nächsten Augenblick vielleicht schon sicher zuhacken.

Da kam nun eben auch noch Villiers herein, der die Bürgerin Lerebourg glücklich herbeigeschafft und vorläufig in seinem eigenen Zimmer eingeschlossen hatte – und Fouché war schon ganz geiersatte Befriedigung – im voraus.


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