Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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2. Kapitel

Im »Schwarzen Roß« in Yvetot blühte das Geschäft, als das Kabriolett mit Hyde und Saint-Régeant zum Hof hereinfuhr. Es war Markttag, und die reichen Bauersleute waren alle zur Stadt gekommen. Die Uhr im großen Speisesaal schlug eben zwölf, und der erste Gang der Table d'hôte war grade vorüber, als die beiden Reisenden eintraten. Eins der Serviermädchen deckte ihnen in einer Ecke an einem Katzentischchen, denn die ganze Tafel war durchaus besetzt, und servierte ihnen nach. Saint-Régeant in seiner angeborenen Sorglosigkeit und von der sieben Stunden langen Fahrt über Land tüchtig ausgehungert machte sich sogleich übers Essen her; der vorsichtigere Hyde hingegen wollte sich zunächst einmal über seine Tischgenossen ein wenig klar werden. Ein kleiner magerer Herr fiel ihm auf: der hatte gar etwas Lauerndes im Gesicht – mit seinem kurzen lockigen Rothaar; er hatte einen grünen Karrick mit Metallknöpfen an, ein mehr als buntes Kamisol und trug nußbraune Hosen und Stulpstiefel. Er schnitt bei seinen Reden eigentlich gehörig auf, aber das war wohl alles nur Maske und dahinter steckte eine ganz bestimmte Absicht. Dabei wandte er sich mit Vorliebe an einen recht gutmütig aussehenden Herrn in langem braunem Überzieher und Tuchgamaschen. – Die andern Gäste waren Pächter, Roßhändler und ein paar Beamte. Am obersten Ende der Tafel thronte ein Gendarmerieunteroffizier, der von den Mägden auch stets zu allererst bedient wurde.

»Ob Sie mir's glauben oder nicht –« fing da der Mann im grünen Karrick eben wieder an, »ich bin das letzte halbe Jahr in ganz Frankreich herumgekommen – aber keine Provinz erscheint mir ruhiger und sicherer als die Normandie ... Da hat's aber auch gar keine Gefahr, behaupte ich – ein Kind kann da von Yvetot bis Bolbec gehen, ohne daß ihm was Verdächtiges begegnet.«

»Bloß darf das Kind nicht zu hübsch sein,« meinte ein Pächter und lachte laut. »Die Herren Wegelagerer sind äußerst liebenswürdig und fassen, wenn grad mal keine Börse zur Hand ist, zur Not auch ein bißchen unters Kinn!«

»Und wenn schon?« beharrte der Mann im Karrick. »Aber – Spaß beiseite – ich behaupte –«

»Sie behaupten –« unterbrach ihn jetzt der Gendarm. »Was sagen Sie aber dazu, Bürger, daß vorgestern erst wieder bei Malaunay die Diligence von vier maskierten Kerlen angefallen worden ist – was? – Mein Gott ja – die Beute war ja nicht so groß.... die Kleinigkeit von 50 000 Franken Diepper Steuergelder aus dem Postillionkoffer!«

»Und sonst bloß noch das bißchen Hab und Gut, das die einzelnen Reisenden mithatten!« setzte der Pächtersmann trocken hinzu.

»Ei, in Dreiteufelsnamen!« plusterte sich der Mann im Karrick auf; – »und das hat sich die feige Gesellschaft so mir nichts dir nichts bieten lassen?«

»Erlauben Sie, Bürger –« mischte sich jetzt der Reisende im langen braunen Überzieher ein; »zwei der Insassen zogen sehr wohl ihre Pistolen .... nur hat es nicht allzuviel genützt .... Nämlich, die hatten ihre Waffen zur Vorsicht in die Tasche im Kutschvorhang gesteckt, aber der Postillion muß irgendwie noch vorsichtiger gewesen sein und die sämtlichen Kugeln herausgenommen haben .... Die Schüsse krachten ja wohl, indes –«

»So eine Schufterei! Und was machten die Strauchdiebe?«

»Was Strauchdiebe so machen! Erst kehrten sie alle Taschen und Koffer um, dann legten sie dem Postillion ans Herz, er möchte wiederaufsitzen und weiterfahren .... na, das ließ sich der natürlich nicht zweimal sagen!«

»Ich vermute, daß Sie der eine von den beiden waren, die sich immerhin zur Wehr setzten .... Ist Ihnen dann nicht was extra Unangenehmes widerfahren dafür, daß Sie die Burschen wenigstens aufs Korn genommen hatten?«

»Durchaus nicht. Sie rieten mir nur höflich, ich solle mich ein anderes Mal nicht wieder durch Feuerwaffen in Verlegenheit bringen lassen, denn ich hätte meinen Irrtum ja nun wohl eingesehen .... Darauf schwangen sie sich in den Sattel, gaben beide Sporen und – weg waren sie!«

»Und Sie hatten das Nachsehn?«

»Im Gegenteil – ich hatte so ein bißchen Vorsehung gespielt. Das Allerwertvollste steckte in meinen Gamaschen – und darauf waren sie nicht gekommen –«

»Na – Sie sind mir der Rechte!« Der Mann im Karrick schrie's beinah und machte kein sehr geistreiches Gesicht dabei. »Die Kerle müssen die reinen Wadenstrümpfe in ihrem Kopf gehabt haben, daß sie ihren Kopf nicht besser in Ihren Wadenstrümpfen hatten!«

»Bürger –« mischte sich da der Gendarm wieder ein; »wär's nicht am End' gescheiter, Sie behielten Ihren Trick für sich? Ich bin zwar fest davon überzeugt, daß Sie hier unter lauter ehrlichen Leuten sind, aber nehmen Sie nur einmal an, es befände sich ganz zufällig einer jener Spießgesellen mit an unserem Tische .... das könnte Ihnen heute abend zwischen Dunkel und Siehstmichnicht etwas teuer zu stehen kommen!«

»I wo! Zwei Tage hintereinander wagt die Bande nun und nimmer einen Überfall an ein und derselben Straße! Die sind nach dem gelungenen Coup heut schon am anderen Ende der Normandie – sicher!«

»Ja, meinen Sie denn, wir hätten es da nur mit einer einzigen Bande zu tun?« trumpfte der Mann im Karrick nun mit dem geraden Gegenteil davon auf, was er erst behauptet hatte. »Es ist nirgends schlimmer wie zwischen Rouen und Paris. Um Rambouillet herum kennen Sie sich vor Fußbrennerbanden überhaupt nicht mehr aus! Sie können nicht eher wieder von Glück sagen, als bis Sie in Versailles sind –«

»Um Gottes willen, Herr, Sie jagen mir da keinen gelinden Schrecken ein.« Der Herr im langen braunen Überzieher war ganz blaß geworden. »Da tu' ich vielleicht besser und nehme mir allein einen Wagen, statt daß ich mit der Post fahre. Oder finden Sie nicht auch, daß ich als einzelner weniger auffalle, ich will sagen, harmloser erscheine –«

»Führen Sie denn eine so große Summe bei sich oder – ?« fragte der Mann im Karrick und grinste.

»Das weniger, lieber Herr, aber Ware – Ware!«

»Von solch winzigem Format?«

Der Reisende antwortete nicht. Aber der Herr im Karrick schien's darauf angelegt zu haben, den Unvorsichtigen zu immer noch gefährlicherem Ausplaudern zu verlocken.

»Dann handelt sich's um Edelsteine – wie? Bei meiner Seel' – da können Sie was erleben! Das ist dem Gesindel noch lieber als Gold! – Sie müssen unbedingt eine Eskorte haben – unbedingt!«

»Nicht nötig!« mischte sich nun Saint-Régeant dazwischen. »Mein Kollege und ich fahren im Kabriolett nach Rouen. Wir sind um vier ungefähr dort .... und ich lade Sie sehr gerne auf, Bürger. – Ich bin denn doch gespannt, was uns auf unserem Weg gar so Gefährliches begegnen sollte –«

Der Reisende sah den Sprecher an und faßte sofort Zutrauen zu dem jugendlichen und artigen Gesicht: »Ich nehme Ihre unendlich liebenswürdige Einladung mit herzlichstem Dank an. Nur .... ich fürchte, ich geniere die Herren –«

»Wir werden uns eben ein bißchen drücken. Und da Ihre Reichtümer so wenig Platz beanspruchen –«

»Ich will Ihnen gerne anvertrauen, welche Bewandtnis –«

»Um's Himmels willen – keine Bewandtnis. Ich will absolut nicht wissen, was Sie da bei sich haben. Es könnte ja auch verbotene Ware sein – und ich möchte mich beileibe nicht schlecht mit der Regierung stellen, indem ich wissentlich Konterbande –«

»Was die Regierung fürchtet,« unterbrach der Gendarm, »ist weniger Schleichware, als vielmehr die Verschwörungen der Chouans und die Ketzereien der Jakobiner .... General Bonaparte ist die sicherste Gewähr für die öffentliche Ruhe, und trotzdem will man ihn stürzen oder ermorden .... Aber das Glück ist mit ihm – ich hab' ihn nicht umsonst bei Arcole und Favorite gegen die Österreicher gesehn!«

»Ah – Sie haben den italienischen Feldzug mitgemacht?« erkundigte sich Hyde, der bislang wie teilnahmlos dagesessen hatte.

»Jawohl, Bürger. Ich hab' Seite an Seite mit dem General einen gehörigen Bajonettstich abgekriegt, und da hat er mich zum Unteroffizier befördert .... Ich bin dann um meine Versetzung zur Gendarmerie eingekommen .... Aber was ich sagen wollte: ein Karnickel wie der General Bonaparte – ein Teufelsbraten mit einem Wort!«

»Wer hätte das vor noch fünf Jahren gedacht!«

»Das ist ja das Wunderbare! Der kam einfach wie ein Sturmwind über uns – unter Blitz und Donner –«

»Ja. Und genau so kann er wieder gehn –« bemerkte Hyde ganz leichthin. »Nur daß er dann unfehlbar eine riesige Lücke hinterlassen würde –«

»Sehr richtig bemerkt!« schloß der Gendarm und war sichtlich befriedigt.

Das Diner war zu Ende. Man stand allgemein auf. Der Herr im Karrick aber ließ sie alle voran hinausgehn, trat wie von ungefähr auf den Gendarm zu und murmelte mit einem Blick nach der Ecke, wo Hyde und Saint-Régeant saßen:

»Lassen Sie sich von den beiden mal so'n bißchen die Papiere geben –«

»Haben Sie mir zu befehlen?« versetzte der Gendarm gereizt.

»Ja.«

»Das müßten wir erst mal sehen!«

Da zog der Mann eine Brieftasche aus seinem grünen Karrick und hielt dem Vertreter der öffentlichen Gewalt eine Karte unter die Nase: – Polizeiministerium .... Dienstausweis des pp. Braconneau .... Gez. Fouché. – Der Polizist nahm die Knochen zusammen, stach vorschriftsmäßig an seinen Polizeihut hinauf und stotterte: »Entschuldigen .... Ich wußte nicht .... Zu Befehl!«

Draußen im Hof hatte Saint-Régeant erst den Gastwirt auf die Seite genommen und stand nun dabei, wie an das Biviller Kabriolett ein mächtiger Grauschimmel angespannt wurde; da tippte ihm der Gendarm auf die Schulter:

»Ein Reisender wie Sie, der's mit der Regierung nicht gern verderben möchte, wie Sie selbst vorhin noch sagten, ist wohl auch mit den sonstigen Formalitäten im reinen – nicht?«

»Ach, Sie möchten meinen Paß einsehen?« erriet Saint-Régeant sogleich. »Aber mit Vergnügen!«

Das ging eins – zwei, und der Brigadier hielt ein vierfach gefaltetes Dokument in Händen. Breitete es aus und ... stimmte es? Victor Leclerc, Seidenwarenreisender, wohnhaft zu Paris, rue des Prouvaires No. 7. Signalement ...: wohl, wohl, das stimmte ganz genau. – Saint-Régeant hatte sich derweil am Kopfgestell des Gauls etwas zu schaffen gemacht:

»Wünschen Sie den Paß meines Kollegen gleichfalls zu visitieren? Ich rufe ihn!«

»Nein. Nicht nötig. Alles in Ordnung.«

»Den Teufel auch, wenn das nicht wäre! ... So hochnotpeinlich war die Polizei noch niemals wie heutzutage. Auf dem Weg von Fécamp hierher gab's überhaupt nichts als immer wieder Patrouillen. An die zehnmal mindestens haben wir die Pässe vorgezeigt ....« »Und wer, meinen Sie, hat die Schuld? Dieser gottverfluchte Frotté! – Glücklicherweise hat er sich nun von hier verzogen und wird seit zwei Tagen schon von drüben, von Argentan her, gemeldet ...«

»Gratuliere!« sagte Saint-Régeant.

Der Gendarm trollte sich über den Hof zu dem Herrn im Karrick hinüber, der dort, die Hände in den Taschen, auf und ab spazierte.

»Sie haben ihn in falschem Verdacht gehabt. Ein Reiseonkel. Victor Leclerc. Auf der Tour von Fécamp nach Paris.«

»Das ist zwar im Grunde kein Grund –« knurrte der, drehte sich glatt um und pfiff einem Stallburschen, der gleich darauf mit einem fertig gesattelten Gaul am Zügel herbei kam. Der Mann saß auf, gab dem Burschen sein Trinkgeld, grüßte nach dem Wirt hinüber und ritt, kaum daß er im Schritt zum Hoftor hinaus war, in gutem Trab davon.

Bald saßen auch Hyde und der Reisende im langen braunen Überzieher im Kabriolett. Saint-Régeant, der erst noch die Rechnung beglichen hatte, schickte sich ebenfalls an, aufzusteigen; da aber – er hatte den einen Fuß bereits auf dem Wagentritt – hielt ihn der Wirt an einem Rockzipfel zurück und sagte ihm ins Ohr:

»Haben Sie den Kerl im grünen Karrick gesehen, der wie ein Roßtäuscher aussah und Ihnen soeben vorausgeritten ist? Der Gendarmerieunteroffizier hat mir's verraten: es ist einer von der Polizei und er hat einen Verdacht auf euch. Also – Augen auf! ... In Rouen – rue des Charrettes – kehren Sie übrigens beim ›,Großen Hirschen‹, ein ... der Wirt kennt mein Pferd ... Sie haben also nicht eine Silbe Erklärung nötig ... Glückliche Reise, meine Herren!«

»Danke.«

Wieder kutschierte Saint-Régeant; und am Abend in Rouen dann: das gleiche Spiel wie in Yvetot. Der Wirt empfängt die Gäste auf das zuvorkommendste – Mahlzeit – Schlafgelegenheit – die Namen, die sie nennen, genügen ihm vollauf. (Nur daß bei dieser Gelegenheit Hyde und sein Freund auch erfuhren, daß der Reisende, den sie mitgenommen hatten, ein gewisser François Lerebourg, Modewarenhändler aus Paris sei!) Eine ruhige Nacht – ein zeitiges Frühstück – diesmal ein kräftiger Rappe vors Kabriolett – und dann Geflüster vom Wirt:

»Fahren Sie in Evreux beim Posthalter zu. Mein Rappe, den er gut kennt, ist die ganze Legitimation, die Sie nötig haben. Grüßen Sie ihn, bitte, von mir – und wir sehen uns vielleicht in dieser Woche noch ... Glückliche Reise, die Herren!«

Der Rappe lief so gut wie der Grauschimmel; und so ging die Reise von Rouen nach Evreux. Ohne jeden Zwischenfall; die Landleute überall friedlich bei ihrer Feldarbeit. – So gedrückt aber bis Rouen der Bürger Lerebourg gewesen war, so sehr ging er nunmehr aus sich heraus, und binnen zwei, drei Stunden waren Hyde und Saint-Régeant über die Verhältnisse des Kaufmanns vollständig unterrichtet. – Fünfundvierzig Jahre war er alt und hatte eine ganz junge Frau. Aus einer sehr adeligen Familie, die bei der großen Revolution umgekommen war. Mutterseelenallein und völlig mittellos wie Fräulein Emilie in der Welt dagestanden hatte, hatte sie Lerebourg – im Thermidor – bei sich aufgenommen. Als Ladenmädchen erst; dann aber war sie dem Modewarenhändler durch ihre große Intelligenz wie ihre körperliche Grazie schlechterdings unentbehrlich geworden. Schließlich hatte sie sogar in eine Heirat mit ihm gewilligt – und er schien überhaupt ein restloses Vertrauen zu ihr zu haben, verehrte sie schier wie ein höheres Wesen und sprach nur in den höchsten Tönen von ihr. Sein Geschäft hatte – dank seiner Frau – eine große Ausdehnung genommen. Sie war es gewesen, die eine eigene Konfektionsabteilung aufgemacht hatte; und nicht zuletzt war auch das ihr Werk, daß ihn eine seine Spekulation bis heraus an die See geführt hatte. Nämlich da hatte ein Schmuggler mit einer ganzen Schiffsladung von Waren auch eine Sendung kostbarer Spitzen aus England herüberzulotsen verstanden – und die Zollwächter hatten, na ja, ein Auge dabei zugedrückt ... nicht so – leider – die Chouans; kurz – der wackere Lerebourg hatte nur die allerkostbarsten Stücke zu verstecken vermocht; alles andere war den Geierkrallen der Briganten zum Opfer gefallen. Die Spitzen waren übrigens für Madame Bonaparte bestimmt, eine seiner besten Kundinnen, die wirklich rührend mithalf, daß der Pariser Handel, der durch eine so lange Zeit der Unruhen tief im argen gelegen hatte, endlich wieder in Schwung kam.

Bei Erwähnung so hoher Verbindungen hatten Saint-Régeant und Hyde einen vielsagenden Blick ausgetauscht. Die Bekanntschaft mit dem Modewarenhändler war am Ende gar nicht zu verachten. Es war auf alle Fälle gut, ein wenig nett mit dem Mann zu sein ...

In der Nähe von Rambouillet, bei einem biederen Landmann, der also den Posthalter von Evreux darstellen sollte, fuhr man zu. Die gleiche herzliche Aufnahme – dieselben geheimen Beziehungen zwischen Wirt und Gast wie bisher. Aber dieser Pachthof lag weit von der großen Landstraße ab und durchaus einsam da, und man hatte sich bis zu ihm rechtschaffen durchfragen müssen. So war's schon völlig dunkel, als man ankam, und ein Unwetter schien im Anzug. Der alte weißhaarige Pächter – sein Sohn stand beim Heer – setzte den Herren ein Nachtmahl vor; das Gesinde war bereits schlafen gegangen; nur noch der Schäfer, der seine Hammelherde heimgetrieben hatte, kam herein, holte sich einen Topf Zider, ein Stück Käse und Brot und machte sich damit in seinen Schafstall; – es war überhaupt seltsam still. Der greise Pächter sprach fast kein Wort, er schien von etwas sehr bedrückt; und als er gar mit einer Überängstlichkeit die Fensterläden und die Haustür verschloß, da konnte sich Hyde nicht länger mehr halten:

»Haben Sie eine solche Furcht vor Einbrechern? Wo wir doch heute nacht hier bei Ihnen sind!« Der alte Mann wiegte langsam mit dem Kopf:

»Bei uns ist's seit einiger Zeit schon gar nicht mehr geheuer ... Da tut man denn, was man kann ...«

»Gesindel?«

»Fußbrenner –« sprach der Alte und sprach's so leise, als ob ihm der Name allein Angst machte. »Vor einer Woche haben sie die Pächterei von den Buisserets drüben heimgesucht ... den Mann ermordet ... alles Geld mit fortgenommen ... die Scheunen angesteckt ... das ganze Wohnhaus demoliert...«

»Teufel!« entfuhr's Saint-Régeant.

»Wir in Paris sind der Ansicht –« erzählte Lerebourg, »die Fußbrenner seien weiter nichts als Chouans, die für die Armeen in der Bretagne und Normandie plündern ...«

»Das glaub' ich nun wieder weniger,« entgegnete der Pächter. »Die Art und Weise, wie sie's treiben, wie sie rauben und morden, ist nicht die von Parteigängern ... Übrigens, wenn das wirklich Chouans wären ...«

Bei solcherlei Entschuldigungen zugunsten des wahren Charakters der Chouans hätte der Alte leicht aus der Schule plaudern können. Deshalb legte Hyde den Finger an den Mund. Der Greis begriff's zwar nicht gleich, spielte aber dann doch sofort lieber den Vergeßlichen:

»Aber, mein Gott, ich muß doch Ihre Betten herrichten ... Wo die Herren gewiß sehr müde sind ...«

Lerebourg sollte im ersten Stock schlafen. Der Pächter geleitete ihn über eine sehr steile Stiege hinauf. Als der Wirt dann wieder herab kam, sprach Hyde: »Ich hab' Ihnen vorhin ein Zeichen gemacht, weil wir uns – politisch – über unsern Reisegefährten nicht recht klar sind. Ein patenter Mann soweit; aber ob er auf unserer Seite steht, ist ungewiß .... Deshalb fand ich es für besser, wenn er auch nicht erführe, wer wir sind.... Überdem – wir wollen uns hier aufs Ohr legen und für alle Fälle gleich in den Kleidern bleiben ...«

Die Nacht war finster. Von Zeit zu Zeit nur ein greller Blitz, und in die Stille hinein ein rollender Donner. Zwei Stunden mochten so vergangen sein, und alles schien in tiefem Schlummer zu liegen – da zerriß ein gräßlicher Schrei das Dunkel und von den Viehställen irrten Lichter her. Ein Trupp von ungefähr zwanzig Männern in den abenteuerlichsten Uniformzusammenstellungen rückte gegen das Wohnhaus an. Der Schäfer, den zwei bewaffnete Kerle in Infanteriehosen und Husarenrücken zwischen sich genommen hatten, stieß noch ein paar mörderische Schreie aus, bis ihn ein kräftiger Kolbenstoß stumm machte. Stille war wieder; bis auf das Geräusch der Schritte dieses absonderlichen Soldatenhaufens vor der Türe des Pachthofs. Im Innern war sogleich alles in Bereitschaft; der Wirt, Saint-Régeant, Hyde und Lerebourg schon im Erdgeschoß versammelt – dazu zwei Knechte. Höchst kaltblütig sahen Hyde und Saint-Régeant die Zündhütchen auf ihren Pistolen nach; nur Lerebourg zitterte ein wenig, als er seine Mordwaffe aus seinem langen braunen Überzieher hervorpraktizierte. Der Pächter lud eine Doppelflinte; auf dem Tisch vor ihm lag eine mächtige Axt und ein Kavalleriesäbel. Jeder der Knechte hatte eine Sense. Kein Wort wurde gesprochen; es wußte jeder, es ging ums Leben .... Da geschah ein gewaltiger Stoß gegen die Haustür:

»Aufgemacht!«

»Wer ist denn da?« fragte der Pächter.

»Das werdet ihr nachher schon sehn!«

»Ich mach' nicht auf mitten in der Nacht – sei's, wer es sei –«

Eine Stille erst, dann ein furchtbarer Stoß. Noch ein Stoß – das Schloß sprang auf. Ein dritter – und die aus allen Angeln gerissene Türfüllung stürzte mit lautem Krachen ein – und ein Geheul und ein Getrappel und ein Gestampf, als ob's mit Pferden über eine Brücke zum Haus hereinginge. Auf zehn Schritt dann die beiden Parteien einander gegenüber. Ein baumlanger Kerl in einem grauen Tuchanzug, mit Ledergamaschen und einem Dreimaster auf dem Kopf trat vor und rief:

»Ergebt euch! Es nützt euch ja doch nichts! Ich bin der Müller von Limours. Geldschrankschlüssel heraus – im Namen des Königs!«

Bei diesen Worten erblaßte Saint-Régeant. Er tat gleichfalls einen Schritt vor und maß den Mann gebieterisch:

»Wenn du wirklich für die Armee des Königs wirkst, hast du doch einen militärischen Rang oder eine Order ... Herzeigen! »Da!« rief der Müller und zog zwei geladene Pistolen.

»Aber du mußt doch wenigstens ein Erkennungszeichen haben!« fragte der junge Mann von neuem.

»Allemal das da!« und der Vrigant zielte auf Saint-Régeant.

Da zückte der Royalist blitzschnell seinerseits die Pistole – der Schuß ging in die Luft – , im nächsten Augenblick aber drang er mit dem Reitersäbel auf den Müller ein und schlitzte ihm mit verkehrter Hand die eine Backe auf. Zugleich drückten Hyde und der Pächter ab, aber die auf der andern Seite waren gleichfalls nicht faul gewesen. Ein Feuer und ein Dampf; fünf Tote und vier Verwundete blieben auf den Fliesen. Der greise Pächter hatte einen tödlichen Schuß in den Unterleib abbekommen; der Müller und einer der Knechte wälzten sich stöhnend und wimmernd. Der Banditenhaufen hatte sich unter solchen Verlusten auf den Hof zurückgezogen; Hyde, Saint-Régeant, Lerebourg und der zweite Knecht waren unverletzt und luden neu.

»Es mögen ihrer immer noch ein Dutzend sein,« sprach Saint-Régeant, der die Kerle vom Fenster aus beobachten konnte.

»Aber ihr Anführer ist zurückgeblieben, und so haben wir sie hübsch in der Hand,« versetzte Hyde. »Los! erst die Tür verbarrikadiert, damit wir etwas Deckung haben – und dann beraten wir!«

Schnell war der Eingang mit einem großen Kleiderkasten verstellt, mit einer Truhe und zwei Bänken als Verstrebung. Dann stieß Saint-Régeant den Müller etwas unsanft mit der Stiefelspitze an, daß der laut aufjammerte (sein Gesicht war über und über voll Blut):

»Hallo, mein Lieber! Vielleicht besprechen wir uns erst mal in aller Ruhe, eh' ihr uns zum äußersten treibt. Ihr wolltet den Mann da berauben und habt ihn gemordet .... dafür ist deine Bande nun hübsch dezimiert und mit dir selber können wir machen, was wir wollen! Wir sind hier auf der Durchreise und haben solange nichts gegen euer Terroristentum, solange ihr uns ungeschoren laßt. Wir wollen uns hier nicht lange als Polizei aufspielen: wenn du deinen Leuten befiehlst, daß sie sich dünne machen sollen, ziehen wir gleichfalls sofort ab, und du kannst hierbleiben oder zum Teufel und seiner Großmutter gehn, was ja auf ein und dasselbe herauskommt ... Also wie gefällt dir der Vorschlag?«

»Ihr Kreuzhimmelherrgottsakra –« schäumte der Müller.

»Zum Beten haben wir leider keine Zeit. Also los!«

»Was soll ich denn?«

»Deinen Kumpanen befehlen, daß sie gefälligst verschwinden sollen!«

»Bringt mich ans Fenster –«

Saint-Régeant gab dem Knecht einen Wink, er solle mit anfassen. »Hupp – la!« Sie halfen dem Schwankenden ans Fenster hin, und wo der sich anhielt, ward alles voll Blut von seinen Händen.

»Bist du da, Le Grêlé«? Ja?« Rauh rief's der Müller. »Hörst du mich?« »Ja, Hauptmann!«

»Wir haben hier herinnen soeben verhandelt....

Sie sind uns über .... nichts zu machen ...Übrigens ist der Pächter tot und kann uns also nicht mehr zeigen, wo er das Geld hat ... Ihr zieht euch jetzt bis hinter die Kreuzstraße zurück und wartet dort auf mich, bis die mich hier ausgelassen haben, Petit-Colin ist ja hier bei mir, der wird mich schleppen müssen. Verstanden?«

»Ja, Hauptmann. Aber gnad Gott denen, die Euch was getan haben – die sollen was erleben!«

»Paß nur auf, daß du nicht gleich was erlebst, du Lauselümmel, du verdammter! Wirst du sofort gehorchen!« schrie Saint-Régeant mit einer Lungenkraft, die man ihm gar nicht zugetraut hätte.

Ein Murren danach draußen in der Nacht; ein Schrei – und grad wie wenn man einen schweren Sack ins Wasser geschmissen hätte. Dann wurde wieder alles still; und die, schien's, taten, wie der Müller ihnen befohlen. Hyde stand an der Tür und sah ein Feuerchen aufflammen: in dem rötlichen Schein trollten sich eben die letzten von dem Haufen davon.

»Was sie bloß mit dem Schäfer angestellt haben mögen?« meinte Saint-Régeant.

In dem großen Wassertümpel mitten auf dem Hof schlug etwas um sich.

»O dieses Pack! Sie wollten den armen Kerl ertränken! Schnell! Heugabeln! Stangen! Haken!«

Der eine Knecht sprang so wie er war in den Tümpel und fischte den Schäfer heraus. Der hatte eine große klaffende Kopfwunde; aber er atmete doch noch. Jetzt schlug er die Augen auf .... jetzt schloß er sie wieder vor der Feuersbrunst, die, rasend um sich griff.

»Ja, meine Lieben,« sprach Saint-Régeant zu dem einen triefnassen Knecht und was noch sonst an Gesinde herbeigekommen war, »wir haben hier nichts mehr zu schaffen. Euer Pachthof brennt – rettet, was zu retten ist – holt Hilfe von Rambouillet – wir aber müssen anspannen und fort!«

Ein Laufen hin und her. Aber während die einen noch die Leiche des Pächters heraustrugen und im taghellen Feuerschein nach einem seitlich gelegenen Schuppen schafften, spannten die andern den tanzenden Rappen vors Kabriolett und fuhren davon – Paris entgegen.


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