Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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12. Kapitel.

Nicht eines Blickes würdigte der Erste Konsul beim Aussteigen vor der Opera seinen Wagen. Sondern ging sogleich durch das Vestibül nach seiner Proszeniumsloge. Lannes und Bessières folgten ihm. Die Wandelgänge waren leer; das Oratorium hatte bereits angefangen, Garat und Madame Barbier-Valbonne, die die Hauptrollen sangen, standen auf der Bühne. Bonaparte hielt sich sehr im Hintergrund der Loge auf, und nun erst, mit einem Blick von einem seiner Generäle zum andern, fand er ein Wort für das Geschehnis:

»Die Schurken wollten mich wohl in die Luft sprengen!«

Und dann mit einer wunderbaren Gleichgültigkeit zu Bessières gewendet:

»Ach, holen Sie mir doch, bitte, ein Programm von dem Oratorium da.«

Da kam auch schon Josephine herein. Ganz blaß noch und ihre Robe mit Blut bedeckt. Hinter ihr Hortense, die im Gesicht von Glassplittern verletzt worden war; und Karoline Murat, gänzlich unverletzt. Josephine eilte auf ihren Gatten zu, und indem sie ihn an beiden Schultern ergriff: »Du lebst! Ein Wunder! Wir haben deinen Wagen gesehen – und der war in einer einzigen großen Flamme! Und auch an unserer Kutsche, die doch mindestens zwanzig Schritt hinter eurer war, ist keine Glasscheibe ganz geblieben.«

»Hast du dich sehr geängstigt, liebe Josephine?«

»Nur um dich, mein Guter, Hortense hat laut aufgeschrien; denn sie wurde doch durch Glassplitter im Gesicht verletzt ... Madame Murat ist so tapfer wie ihr Gatte ... Übrigens hat uns der Oberst Rapp gesagt: wenn man nicht im allerersten Augenblick getroffen ist, hat's keine Gefahr mehr ...«

»Das waren wieder einmal diese elenden Terroristen!« sprach Bonaparte mit aufsteigendem Zorn.

Im Publikum entstand eine Bewegung. Murmeln wurde im ganzen Saale laut. Die Nachricht vom Attentat begann sich durchs Parkett zu verbreiten, und die Zuschauer interessierten sich weit mehr für die soeben Angekommenen als für was da oben auf der Bühne gesungen wurde. Und wenn der berühmte Garat, der erklärte Liebling aller Musikenthusiasten, noch hundertmal ein neues Werk von Haydn sang. Bonaparte empfand das wohl, und nun trat auch noch Bessières mit dem Programm in der Hand ein:

»General, es geht das Gerücht, daß Sie verwundet seien. Es ist unbedingt nötig, daß Sie sich zeigen.«

Der Erste Konsul tat ein paar Schritt bis an die Brüstung vor. Zwischen den Samtvorhängen und dem dunkeln Tapetenton zum Hintergrund leuchtete sein gebieterisches blasses schönes Haupt auf. Ein gewaltiges Brausen vom Parterre bis zur Galerie. Die Männer aufgesprungen und: »Hoch Bonaparte!« schreiend. Die Frauen applaudierend. Die Musik schwieg. Und das war im Grunde genommen nicht nur ein Tausend Zuschauer, sondern hier malte sich ein Bild von ganz Frankreich, wenn man es nicht gar als eine Huldigung der göttlichen Vorsehung schlankweg auffassen wollte. Verkörperten sich doch in dem einen Mann die Hoffnungen des ganzen Vaterlandes ... Der Erste Konsul lächelte, grüßte mit dem Kopf, dankte mit einer Bewegung und setzte sich. Neben ihm Josephine. Und auch Hortense und Karoline nahmen nun Platz. Die Aufführung nahm ihren Fortgang – aber das Interesse war dahin. Garat mit einem Male ungewöhnlich matt; Madame Barbier sichtlich zerstreut. Sie empfanden: es hörte ihnen ja doch niemand mehr zu. Der Applaus am Schluß des ersten Teils – mäßig. Und kaum daß der Vorhang gefallen war – ein Lärmen und Schreien, ein Hin und Her, und aufgeregte Gruppen allenthalben. Eine große Anzahl offizieller Persönlichkeiten wohnte der Aufführung bei. Réal, Thibaudeau, Lebrun eilten nach der Loge des Konsuls. Cambacérès las in seiner Proszeniumsloge vor versammeltem Publikum dem Polizeipräfekten Dubois, der eine wahre Armesündermiene aufsteckte, gehörig die Leviten – – und nur Fouché war nicht da. Auf welche Tatsache Réal dem Ersten Konsul gegenüber sogleich höchst perfidermaßen anspielte:

»Der Polizeiminister hat wohl so wenig eine Ahnung von allem, was geschehen ist, daß er jetzt zweifellos friedlich in seinem Bettchen schläft ...«

Bonaparte tat, als hätte er das gar nicht gehört. Aber die Blässe seines Gesichts wandelte sich in Grau und seine Lippen zogen sich völlig ein. Da schleppte Cambacérès eben den armen Dubois herein, der sich so klein wie möglich machte, nur daß ihn sein Herr und Gebieter nicht allzusehr sähe.

Bonaparte sprach:

»Na, Cambacérès, da wären Sie um ein Haar Erster Konsul geworden!«

»General! Ganz Frankreich fühlt in diesem Augenblick, daß die göttliche Vorsehung mit Ihnen und also auch mit ihm war!«

Und obwohl das verdächtig nach einem frommen Sprüchlein klang, drückte es doch so sehr die Meinung aller Welt aus, daß sich beifällig ein Murmeln erhob. Josephine aber faltete geradeaus die Hände und gestattete sich das fast allzu kühne Wort:

»Gott hat ein Wunder an uns getan!«

Es stand da zwar ein gutes halbes Dutzend ehemaliger Jakobiner herum, die einst den König zum Tode verurteilt und die Pfaffen reihenweise auf die Guillotine geschickt hatten. Und dennoch getraute sich keiner zu mucksen. Einzig Lannes knurrte aus einem Winkel heraus: »Aber ich bitt' euch, was hat denn der liebe Gott dabei zu schaffen!« Da aber stieß ihn auch schon Bessières derart mit dem Ellbogen in die Seite, daß es ihm schier den Atem versetzte und er schwieg. Und nun nahm Cambacérès wieder das Wort:

»General, wollen Sie bis zum Schluß der Aufführung bleiben?«

»Nein, ich fahr' sogleich nach den Tuilerien zurück. Sie, Cambacérès, begleiten mich wohl und schaffen mir den Bürger Fouché zur Stelle ... Josephine, du kannst mit den Damen noch bleiben, wenn du willst ... ich lasse euch Bessières und Rapp da ...«

»Nein! Augenblicklich macht mir die Musik auch kein Vergnügen mehr ... Übrigens muß sich Hortense verbinden lassen ... und ich graule mich auch vor mir selber in dem blutigen Kleid da ... ich will mit ... ich möchte dich nicht allein lassen ...«

»Gut. Dann fahren wir!«

Und Bonaparte ging durch die Wandelgänge des Theaters als erster und ganz allein voraus. Hinter ihm her seine Familie, seine Generäle, seine Minister, seine Beamtenschaft. Alles entblößte ehrerbietig das Haupt vor ihm; die Dahinterstehenden riefen: »Hoch!« Er schritt durch all die Leute durch: gemessen, sicher, schlicht – in seiner kleinen Uniform, die so auffallend zu allem Geglitzer und Gefunkel seiner Suite und Umgebung kontrastierte. Und nur für den Gardegrenadier im Vestibül, der mit über und über strahlendem Gesicht vor ihm präsentierte, hatte er ein Lächeln. – Dann aber in den Tuilerien brach es bei ihm los. Solange hatte er an sich gehalten. Hier nun lief er mit großen Schritten im Salon, im Erdgeschoß, hin und her – hin und her. Er brauchte ja stets viel körperliche Bewegung, um eine große seelische Erregung gehörig auszutoben; und schrie:

»Aber ich werde ein fürchterliches Exempel statuieren! Um mich muß absolute Sicherheit herrschen; und daß gleich zwanzig Leute, die mich im Vorüberfahren auf der Straße grüßen wollen, dabei den Tod finden sollen – das nun schon gar nicht! das nun schon gar nicht! Ich rede da durchaus nicht für mich. In dem Augenblick, wo ich alle Gewalt an mich nahm, übernahm ich ebensogut alle Gefahr. Ich weiß sehr wohl, daß mich die Revolutionsmänner genau so sehr hassen wie die Königsmänner. Die einen, weil ich Ordnung und Frieden aufrecht erhalten will, die andern, weil ich ihnen ihren König nicht wiedergebe. Aber nun will ich es ihnen endlich einmal zeigen – ob weiß oder rot, mir ganz egal! – und die Züchtigung soll eine so exemplarische sein, daß ihnen ein für allemal die Lust vergehen soll, mit mir anzubinden!«

Er mußte stehenbleiben und Atem schöpfen. Eine erdrückende Stille in dem Salon. Keiner wagte eine Silbe, obwohl es die allerersten Persönlichkeiten des Staates waren. Da nahm Bonaparte sein wütendes Auf- und Abgehen wieder auf:

»Das ist nun das viertemal seit einem Jahr, daß man mich zu ermorden versucht hat. Aber – es wird auch das letztemal gewesen sein. Die Terroristen sind die allein Schuldigen – ich weiß es. Ich hab' es auch Fouché in diesen Tagen noch immer wieder gesagt – aber er glaubt's nicht, er glaubt mir's einfach nicht! Warum? Weil die ganzen Schuldigen ehemalige Kameraden von ihm sind. Und einige sogar sind seine Freunde geblieben – bis auf den heutigen Tag ...«

Die Tür ging auf – und die Wirkung war eine so verblüffende, daß selbst der Erste Konsul stehenblieb und schwieg: der, den er soeben so fürchterlich angeklagt hatte, trat über die Schwelle. Totenblaß, mager, die erloschenen Augen ins Leere gerichtet; so kam Fouché auf seinen Herrn und Meister zu. Auf zehn Schritt weit verneigte er sich zu tiefem Gruße und wartete, daß man ihn anredete. Bonaparte schloß die Augen und nahm sich mit einem einzigen Ruck, schien's, zusammen; stand einen Augenblick wie eine Statue und machte dann eine so heftige Bewegung, daß ihm alles Blut und Leben ins Gesicht zurückkehrte; ergriff Fouché am Arm und führte ihn bis in die entlegenste Saalecke, wie um zu verhindern, daß die übrigen Anwesenden etwas davon verstehen könnten:

»Nun – so sind meine Befürchtungen also wahr geworden? Und ich war also doch ein bißchen besser unterrichtet als Ihre Leute? Um ein Haar, Fouché – und ich wäre draufgegangen; Sie können sich also zu dem kleinen Zufall, der mir günstiger war, nur gratulieren. Denn wenn ich nun tot gewesen wäre, hätte Sie das Volk doch in tausend Stücke gerissen –«

Da aber schnitt Fouché eine so beleidigte Grimasse, daß Bonaparte einen Augenblick sprachlos war. Er ließ den Minister in der Saalecke stehen, lief wieder mit großen Schritten auf und ab und wetterte drauflos: »Ihre ganze Polizei ist ein Idiotenpack – noch durchaus ancien régime. Absolut immer noch der alte Schlendrian des Herrn Lenoir ... Bis ich Sie eines schönen Tages abtakele und einen meiner Gendarmen an Ihre Stelle setze. Dann sollen Sie sehen, in was für einem andern Ton das gleich geht! Dies Land hat nach zehn Jahren unbeschreiblicher Stürme absolute Ruhe nötig und erwartet sie einzig von mir und soll wahrhaftig nicht umsonst gewartet haben. Alle Intriganten und Agitatoren sollen unbarmherzig verfolgt werden! Ich will nicht länger mehr, daß man einen schimpflichen Handel mit der öffentlichen Sicherheit treibt! und ich mache alle jene für ihre Unfähigkeit oder Verräterei verantwortlich, die entweder nichts verstehen können oder – was noch viel schlimmer ist – nichts verhindern wollen!«

Das war deutlich genug. Das war Ungnade und Sturz zugleich. Und die Anwesenden drückten sich sämtlich sehr von Fouché und der Polizeiminister stand ganz allein. Aber der tat, als hätte er die Drohungen des Ersten Konsuls überhaupt nicht gehört. Lehnte unbeweglich am Kamin und wartete, bis der Sturm hier vorüber wäre. Und das fühlte natürlich auch Bonaparte nur zu deutlich und so beugte er wohlweislich vor:

»Jetzt ist's aus und vorbei und ich lasse mir nicht länger mehr was einreden. Weder ein Chouan noch ein Emigrierter, noch ein ehemaliger Adeliger, noch ein einstiger Pfaffe war diesmal dabei ... Ich kenne die Urheber des Attentats und ich werde sie mir schon zu langen wissen!« Und er sah Fouché dabei starr an. Der aber kräuselte die dünnen Lippen und zuckte mit den Achseln. Da blitzte es noch grimmiger in Bonapartes Augen auf:

»Oder wollen Sie es auch noch leugnen? Wissen Sie überhaupt etwas? So reden Sie doch!«

Sie standen wieder in der äußersten Saalecke beisammen. Aller Augen auf sie her gerichtet. Nun entschloß sich Fouché endlich zu sprechen:

»Ich weiß, wer's war. Und noch vor Ende dieser Woche hab' ich die Schuldigen fest. Und wenn ich nicht ein Pech gehabt hätte, wie's jedem Menschen einmal passieren kann, dann wären sie schon vor der Ausführung ihres scheußlichen Vorhabens verhaftet gewesen.«

»Wieder die Royalisten, was? Wieder die Komplizen von Georges?« »Ich werde es zu beweisen wissen, daß ich richtig informiert gewesen bin.«

»Nehmen Sie sich ja in acht, Fouché! Spielen Sie nicht auch noch mit mir! Diesmal spazieren Sie unweigerlich mit allen andern nach Sinnamari!«

»General, ich fürchte nicht das mindeste für mich. Ich bin mir dessen absolut sicher, was ich vorhabe. Nichtsdestoweniger will ich auch denen nachforschen, die Sie im Verdacht haben. Es gibt da wohl ein revolutionäres Residium, das immer wieder aufbrausen will und die öffentliche Ordnung bedrohen ...«

»Na, wenn Sie's nur endlich einmal selber eingestehen! Aber wie können die Leute eigentlich ungestraft zusammenkommen und konspirieren? Sie versammeln sich in den Freimaurerlogen und Sie wissen es! All die Elenden werden deportiert; morgen schon lass' ich durch den Staatsrat ein dahingehendes Dekret vorbereiten ... ich will nicht wieder die Schafotts aufgerichtet sehen, aber die Sippschaft muß mir aus dem Land hinaus!«

Es war ein immerwährendes Kommen und Gehen hier im Saal von Beamten, Repräsentanten und Offizieren, die sämtlich ihre tiefste Ergebenheit dartun oder ihren höchsten Eifer ausdrücken wollten. In diesem Augenblick aber trat der Polizeipräfekt Dubois ein. Der sollte Fouché als Prügeljunge herhalten. Mit einem recht höhnischen Grinsen machte der Polizeiminister Bonaparte auf den Präfekten aufmerksam, und der Erste Konsul knöpfte sich den armen Kerl auch sogleich vor, der nichts als ein paar faule Entschuldigungen zu stottern wußte.

»Jawohl! Sie können natürlich absolut nichts dafür, daß es den Kerlen nicht vollends geglückt ist! Ja, sagen Sie einmal, wie es möglich war, daß die sich unter Ihren Augen ganze Fässer Pulver verschaffen konnten, um ein halbes Stadtviertel damit in die Luft zu sprengen! Bürger Dubois, wissen Sie, was ich als Polizeipräfekt täte, wenn mir eine derartige Blamage passieren würde? Aufhängen tät' ich mich!«

Damit wandte ihm Bonaparte den Rücken. Dem hatte er es gegeben. Aber nun schien auch aller Zorn des Ersten Konsuls verraucht zu sein und er sprach zu Fouché: »Gehen Sie heute abend noch an die Arbeit. Die Pariser Bevölkerung muß unverzüglich beruhigt werden. Sie können mir Ihren Pflichteifer nur dadurch erweisen, daß Sie einen vollen Erfolg haben.«

Fouché verneigte sich; die Höflinge öffneten ihm bereitwilligst eine Gasse und er ging. Im Vestibül fand er seinen Sekretär Villiers bereits ungeduldig auf ihn warten; er stützte sich auf den Arm des jungen Mannes, mit einer solchen Ruhe, als ob er soeben alle und jede Gunstbezeugung seines Herrn und Gebieters empfangen hätte, und schritt hinaus nach seinem Wagen.

Im Wagen sodann sagte er zu Villiers: »Einen Augenblick war's, als ob er mich fressen wollte! Wenn ich ihm im geringsten widersprochen hätte – ich glaub', er hätte mich vom Fleck weg verhaften lassen ... Aber es ist auch jetzt immer noch kein Spaß, Villiers –«

Villiers zog ein Paar Pistolen aus der Tasche:

»Ich hatte mir schon so etwas Ähnliches gedacht... Aber ohne etlichen Widerstand wär' das bei Gott nicht abgegangen!«

Das trübsinnige Gesicht Fouchés verklärte sich zu einem wahren Lächeln:

»Sie sind mir also treu ergeben, Villiers?«

»Jawohl, Bürger-Minister.«

Das Lächeln Fouchés war wie weggewischt:

»Na, dann... bleib' ich Minister.«

Er dachte ein paar Augenblicke nach, dann zog er die Schnur im Wagen, die bis zum Arm des Kutschers führte – ein Zeichen, daß der halten sollte: »Villiers, laufen Sie mal gleich ins Hospital de la Pitié. Wecken Sie den Direktor auf und sagen Sie, Sie kämen von mir. Fragen Sie ihn nach dem Befinden Braconneaus, und wenn er noch am Leben ist, dann kommen Sie sofort wieder zu mir und bringen mir Nachricht. In diesem Falle will ich morgen in aller Früh selber zu dem Manne hin. Befehlen Sie dem Direktor, daß er alles tun soll, daß ich mich mit dem Patienten verständigen kann.«

Der Sekretär stieg aus. Fouché fuhr nach Hause und legte sich schlafen.


Der Bürger Lerebourg war nach allem, was er auf der Straße gehört und in der Rue de Chartres sodann mit eigenen Augen gesehen hatte, wieder nach Hause gerannt, um seiner Frau die entsetzliche Neuigkeit mitzuteilen. Aber Emilie empfing ihn sofort mit einem gar geheimnisvollen »Ps-s-st!« und zog ihn in sein Zimmer, wo sie sicher sein konnte, daß niemand Fremdes sie hörte:

»Während du weg warst, ist hier was Entsetzliches geschehen.«

»Nanu?«

»Mit einem Male steht Victor Leclerc vor der Tür ... über und über mit Blut bedeckt ... und kann sich kaum aufrecht erhalten.«

»Oh! der arme Mensch! der ist sicher bei der entsetzlichen Katastrophe ebenfalls mit verwundet worden!!«

»Ich konnt' ihn doch nicht vor der Tür stehen lassen ... er war total erschöpft ... so hab' ich ihn in die Kammer oben hinaufgebracht ...«

»Das war sehr klug von dir! Hast du auch schon einen Arzt geholt?«

»Unmöglich!«

»Wieso?«

»Das ist ja gerade das Fürchterliche! Der Bürger Leclerc war irgendwie dabei und wenn es nun aufkäme, daß er hier bei uns ist, ging's ihm wohl gar nicht gut, und wir hätten ebenfalls große Scherereien ...«

»Ich bin ein anständiger Bürger!« schrie Lerebourg.

»Um Gottes willen! nicht so laut!« Emilie war erschrocken zusammengefahren. »Es geht bei ihm vielleicht um seinen Kopf!«

»Aber – großer Gott im Himmel! – der sonst so gesetzte Bursche ... der ist doch kein Verschwörer?«

»Er ist irgendwie in die Sache hineingezogen worden ... Schädliche Einflüsse, du weißt ... kurz und gut, wir schaffen die Tatsache nicht mehr aus der Welt: er war bei dem heutigen verbrecherischen Anschlag dabei ...«

»Der! der liebe, nette Kerl! und uns so hinters Licht geführt! ... Das Attentat war der scheußlichsten eins: ein Haufen Tote, in Fetzen zerrissen, Männer, Frauen, Kinder ... Wer hätte das von Leclerc gedacht?«

»Wenn wir ihn jetzt von uns hier fortschicken, ist er verloren. Er kommt nicht bis zur nächsten Straßenecke, so ist er schon in den Händen der Polizei –« »Wer sagt denn von fortschicken? Ich verabscheue zwar seine grausige Tat, aber ihn ausliefern ... Denn das hieße ihn doch direkt ausliefern ...«

»Gewiß ... Aber hier bei uns kann er auch nicht ewig bleiben. Morgen schon würde man ihn entdecken. Es ist ein günstiger Zufall, daß der Bursche vom Magazin heute gerade außer Hause schläft, sonst würde der doch heute nacht schon merken, daß wer in der andern Kammer ist, und würde davon sprechen und alles wäre entdeckt! Victor Leclerc muß also morgen in aller Früh aus dem Haus!«

»Aber wohin dann mit ihm?«

»Er weiß schon wohin. Er sagte mir auch das Haus, wo er absolut sicher ist. Er hatte nur heute die Kraft nicht mehr, bis dahin zu kommen ... also wirst du ihn morgen in aller Frühe hinbringen.«

»Aber wie?«

»Ich werde Jerôme morgen um acht Uhr schon einen Gang machen lassen, nachdem er unsern Geschäftswagen im Hof fix und fertig angespannt hat. Dann führen wir Leclerc die Hintertreppe herab und er verbirgt sich im Wagen. Unsere Fräuleins sind um die Stunde noch nicht da, also merkt es kein Mensch. Du setzt dich dann selber auf den Bock und fährst nach der Rue du Dragon, Ecke Rue de la Huchette. Dort steigt Victor Leclerc aus, und du hast weiter nichts zu tun. als wieder heimzufahren!«

»Aber, liebe Frau, wenn man mich auf dem Weg anhält?« »Du tust gerade, als ob dich in unserm ganzen Viertel kein Mensch kennen würde. Niemand wird dich hier bei uns anhalten, und sowie du erst weiter vom Ort des Attentats weg bist, wird's erst recht keinem mehr einfallen. Im übrigen müssen wir schon etwas riskieren um den Preis, aus der gefährlichen Klemme herauszukommen, in der wir uns momentan durch unsern lieben Logierbesuch befinden!«

»Da hast du wieder recht! Dieser verteufelte Victor Leclerc! Wer hätte das von ihm gedacht? Er war doch immer so zart wie ein Fräulein. Übrigens stammt der mörderische Anschlag von den Terroristen ... also ist er auch einer von der Sorte?«

»Nein! Er ist Royalist. Er hat mir alles gestanden. Sie wollten Bonaparte töten und einen neuen König einsetzen.«

»So'n Wahnsinn! Wozu hätte man denn dann Ludwig XVI. eigentlich geköpft? So rein für nichts und wieder nichts? Frankreich pfeift auf'n König – der Erste Konsul ist unser Mann! – Ach, daß ich mich aber derart in Leclerc täuschen konnte – nein, nein, nein, nein! Ich hielt ihn für'n ordentlichen Geschäftsmann – und nun ist er'n Verschwörer! Ja, wem soll man denn da eigentlich noch trauen!«

»Willst du ihn sehen?«

»Selbstverständlich!«

»So komm. Nur geh leise. Er ist verbunden und alles, aber er liegt im Fieber ...«

»Ist er denn so schwer verwundet?« »Es hätt' wohl nicht viel gefehlt, dann hätt's ihm den ganzen rechten Arm weggerissen ...«

»Armer Teufel!«

Aber so human war Lerebourg nun einmal veranlagt: Nachdem er die Tat Leclercs durchaus verurteilt, beklagte er die Wunde, die der Täter dabei abgekriegt hatte. – So gingen sie denn nach der Mansarde hinauf, wo auf einem Gurtbett Victor Leclerc lag – leichenblaß vor vielem Blutverlust. Als Lerebourg eintrat, wollte sich der junge Mann aufrichten. Ungeachtet des wahnsinnigen Schmerzes, der sich sogleich auf seinem Gesicht widerspiegelte. Emilie indes nahm ihn bei den Schultern und legte ihn sachte wieder hin.

»Rühren Sie sich nicht. Bleiben Sie sein stille liegen, sonst ist's um allen Verband geschehen. Na ist mein Gatte, der gekommen ist, nur um Sie tüchtig auszuschelten.«

»Später! später!« unterbrach sie sogleich Lerebourg, dem beim Anblick des Verwundeten das Herz blutete. »Um Gottes willen jetzt keine Vorwürfe, sondern nur Ruhe ... Ruhe ... Es ist schrecklich, daß wir ihn hier bei uns nicht gesund Pflegen können! In vierzehn Tagen wär' er wieder auf den Beinen gewesen. Aber ... es ist leider unmöglich! Ach, Leclerc, daß Sie sich in so einen Wahnsinn und so eine Scheußlichkeit verwickeln lassen konnten! Und ich hatte doch solch großes Zutrauen zu Ihnen! Ja, wem soll man denn da eigentlich noch trauen!« »Mein teuerer Freund!« mahnte Madame Lerebourg.

»Natürlich ... du hast recht ... ich lasse mich da sogleich hinreißen ... Aber unrecht hat doch er – er allein! ... Na also ... wir wollen sehen, daß wir ihn aus seiner schlimmen Lage befreien können ... bis auf morgen denn ... und versuchen Sie ja zu schlafen.«

»Ich bleibe noch, etwas hier ... Geh du nur hübsch allein hinunter ...« sprach Emilie zu ihrem folgsamen Gatten. »Ich hab' nur noch ... ich komm' einen Augenblick später nach ...«

Lerebourg ging natürlich nicht, ohne Leclerc noch einmal all seiner Anteilnahme versichert zu haben. Darauf setzte sich Emilie ans Bett des Verwundeten, hielt seine schlaffe Linke zwischen ihren beiden Händen und bemühte sich herzlich, ihn zu beruhigen, zu ermutigen und ihm neue Hoffnung einzuflößen. Und ihre Liebe war in der Tat wie ein Wunder: eine wohlige Abspannung geschah allmählich in Saint-Régeant, die Nerven wurden wieder friedlicher, sein Herz ruhiger, die Augen fielen ihm zu und es kam ein Schlaf über ihn, der den Erschöpften nicht nur die Schmerzen vergessen ließ, sondern auch all die nachwirkenden Schrecken. Da löste die junge Frau behutsam ihre Finger von seiner Hand, stand auf und ging leise hinaus und nahm aber den Schlüssel zur Mansarde mit.

In ihrem Zimmer angelangt, saß sie indes noch lange angekleidet und wach, denn sie kam doch nun eigentlich erst zum Nachdenken und zur Besinnung, so sehr hatten sich die Ereignisse überstürzt. Sie hatte ja gar nicht mehr gewußt, was sie tat, als der Unglückliche mit einem Male an ihre Tür klopfte und um Rettung flehte. Aus ihr und ihrer Angst hatte sich das alles ganz mechanisch vollzogen – und jetzt erst dämmerte ihr die Ungeheuerlichkeit der Tat Saint-Régeants.

Jetzt erst malte sich ihr in grausig deutlichen Konturen das Blutbad, das jene Höllenmaschine angerichtet hatte. In keinem Fall, unter keinem Vorwand, und selbst nicht für die gerechteste Sache der Welt schien ihr ein einzelner Mord entschuldbar – wie erst eine solche Massaker, die eine ganze Straße unter Blut setzte! Und der Urheber dieser nicht auszudenkenden Tat war der Mann, den sie vergötterte! Und statt daß sie ihn verabscheute und – eija! – der strafenden Gerechtigkeit auslieferte, liebte sie ihn immer noch und kannte keine andere Sorge als ihn zu schützen, zu verbergen, zu retten! Damit machte sie sich ja zur Mitschuldigen und würde es zweifelsohne bald grausam genug bezahlen müssen! Und sie fror vor Angst und sie fand keine Tränen. – Wie aber, wenn sie Saint-Régeant wirklich auslieferte? Nur damit sie selber rein von Gewissen und – ohne Strafe blieb? Sie hätte das nicht vermocht, selbst um den Preis ihres Lebens nicht. So blieb ihr nichts als das angefangene Werk zu Ende zu führen und Saint-Régeant vor der schrecklichen Gefahr zu bewahren, in der er sich befand. Was dann noch kam, war beten, weinen und die Sünden bereuen, die sie begangen hatte und – noch begehen würde. – Zwei Uhr nach Mitternacht war's, als sie sich endlich gewaltsam aus ihrem schmerzlichen Sinnieren riß. Still lag die schlafende Stadt. Die Gasse verödet. Aber im Schatten da unten lauerte vielleicht bereits die Polizei und sann aus dieser Finsternis heraus auf nichts denn auf blutige Rache ...

Um sechs Uhr morgens wachte, wie gewöhnlich, Lerebourg auf und begab sich dann sogleich nach der Mansarde zu Saint-Régeant. Aber da traf er bereits seine Frau an, die den Verwundeten neu verband. Der junge Mann fühlte sich schon wieder bedeutend gekräftigt und war sicher, daß er den Transport ganz gut überstehen würde. Er bat Lerebourg tausendmal um Entschuldigung, daß er ihn in eine solche gefährliche Lage versetzt hätte; aber der Kaufmann wehrte mit einer Schlichtheit ab, die am besten von dessen persönlichem Mut zeugte:

»Ach was! Ich wär' doch noch in einer viel gefährlicheren Lage, wenn Sie noch länger hier bei mir blieben! Nun aber, Leclerc, geben Sie mir, bitte, Ihr Ehrenwort, daß Sie, sowie Sie glücklich aus allen diesen Schwierigkeiten heraus sind, nie wieder sich in derartiges einlassen!«

»Ich schwöre es Ihnen« – versprach der Royalist mit einem trüben Lächeln. »Wer ein einziges Mal das Unglück hatte, soviel Blut um nichts zu vergießen, dem bleibt nur zweierlei: sich irgendwo verkriechen oder zu sterben. Mir ist's gleich, was das Geschick mit mir vorhat. Jedenfalls hab' ich einen wahren Abscheu vor mir selber und mein einziger Wunsch ist, Buße tun. Sei's durch Beten oder Sterben!«

»Na nu aber ... Kopf hoch, Leclerc. In Ihrem Alter flüchtet man nicht aus dem Leben, um in einem Kloster einzig der Beschaulichkeit und der Reue zu frönen. Lieber widmen Sie sich irgendeinem guten allgemeinen Zweck, das rehabilitiert Sie am besten in Ihren eigenen Augen ... Aber in diesem Augenblick handelt sich's zu allererst: sich nicht erwischen lassen. Ich denke mir ...«

»Lieber Herr Lerebourg – ich denke dabei wahrhaftig weniger an mich als an Sie. Ich wäre untröstlich, wenn Sie meinetwegen auch noch Scherereien hätten ... Ich bin Ihnen ja so unendlich dankbar für all Ihre Liebe und Güte, die Sie mir ...«

»Kein Wort weiter! Das machen wir alles in einer späteren glücklicheren Stunde ab. Ich lass' Ihnen meine Frau hier – ich selber aber muß hinunter und alles zum Ausfahren bereit machen ...«

Und wieder einmal ließ der Nichtsahnende und allzu Vertrauensselige Emilie ruhig mit dem jungen Mann allein. – Die junge Frau war ganz verstört im Gesicht: vor Gewissensbissen, Schlaflosigkeit und Weinen. Sie litt unsäglich und wagte doch keinen Laut der Klage noch der Abbitte. Sie mußte es eben leiden und sah's als gerechte Strafe für ihre Sünde an. – Nun half sie Saint-Régeant beim Aufstehen und Anziehen. Sie waren allein und einander bis zur Berührung nah; indes kein ja selbst kein Blick. Es schien da etwas zu sein, das sie auf ewig trennte; sie beide und all ihre Liebe. – Bis Saint-Régeant sich nicht mehr halten konnte, sie lange traurig ansah und traurig-düster sprach:

»Wär's denn nicht besser gewesen – ich wär' zusammen mit den vielen Unschuldigen zugrunde gegangen? Was soll mir denn dies Leben noch, da nun auch Sie – eija! – sich von mir abgewandt haben – vor geheimem Graun. Hören Sie, verschaffen Sie mir irgendeine Waffe und ich gehe von hier auf die Straße hinaus und soviel hundert Schritt weit fort, daß Sie nicht kompromittiert sind, und mache meinem Leben ein Ende!«

»Grausam genug von Ihnen, mich noch um so etwas zu bitten!« schrie Emilie voller Weh auf. »Ich denke nur daran, wie ich Sie retten kann, und Sie machen mir mit Ihrer gänzlichen Verzweiflung als erster einen Strich durch die Rechnung ... Lassen Sie mir doch wenigstens soviel Zeit, bis ich mich von all meinem Schrecken erholt habe. Ich gehöre Ihnen – ach! Sie wissen es wohl – was immer auch kommen mag ... meine Bestimmung scheint mir ganz und gar, all Ihre Gefahren und all Ihr Schicksal mit Ihnen zu teilen ... Für mich hoffe ich nichts mehr, nur von meinem Gatten möcht' ich das Äußerste abwenden, der soll nicht leiden wie ich, der Ehrliche, Hilfreiche, denn das hat er gewiß nicht um uns verdient, daß der nun auch noch ...«

»Oh, ich begreife Sie vollkommen! Sie haben ja so recht! Ihr Gatte muß geschont werden, selbst um diesen Preis, daß wir das Schlimmste, das uns passieren kann, wagen und auf uns nehmen –« Da hielt sie ihm ihre Hand hin, und fast wie ein Lächeln glitt's über ihre abgehärmten Züge:

»So ist's recht. So will ich Sie haben und wissen. Aber nun ist's Zeit, daß Sie gehen. Sagen wir uns Lebewohl ... wir sehen uns ja doch nie wieder...«

Sie umschlangen sich ein letztes Mal, so wild und so verzweifelt, als ob sie wüßten, daß der Kuß in der Tat der letzte wäre. Dann nahm Emilie ihren Freund bei der Hand und führte ihn über die Treppe in den ersten Stock herab.

»Und nun wartest du einen Augenblick – ja? Ich will sehen, ob mein Mann schon unten ist.«

Sie lief im Dunkeln leichtfüßig bis in den Hof hinab. Aber einen Augenblick später nur kam sie schon wieder die halbe Treppe herauf und winkte ihm und flüsterte: »Komm.«

Der Geschäftswagen im Hof stand schon völlig parat. Eine Menge Stoffe aufgeladen; und nur unter großer Anstrengung und Schmerzen schlüpfte Saint-Régeant durch die Ballots hindurch bis in seinen ausgesparten Schlupfwinkel. Ein letzter Abschiedsblick zu Emilie hin, ein Händedruck noch für Lerebourg, dann deckte ihn das Wachstuch zu und der Kaufmann kletterte auf den Bock und fuhr im Schritt zum Tor auf die Rue Saint-Honoré hinaus. Auf der Gasse war's bereits lebendig. Kommis, die ins Geschäft eilten, Arbeiter, zu ihrer Arbeit. Ladenbesitzer, die die Laden vor ihren Schaufenstern öffneten. Die Gemüsefrau, die ihren Kohl und ihre Rüben an ihrem Stand aufstapelte, rief ihm zu: »So früh schon unterwegs, Bürger Lerebourg? Daran erkennt man den guten Geschäftsmann.«

»Ich muß nach der Post fahren. Sonst fährt die ohne meine Ballen ab. Darin versteht die Post keinen Spaß.«

»Doch da kommt schon wieder eine Gendarmenpatrouille!...«

Eine Gendarmerieabteilung näherte sich von Saint-Roch her. Lerebourg hielt, immer im Schritt, aufs Palais-Royal zu. Einen um den andern Augenblick von Leuten aus dem Viertel begrüßt und angeredet. Da hörte er den Tapezierer Sinval, wie der zum Gendarmerieunteroffizier sagte:

»Was? Aber das ist doch der Bürger Lerebourg von der ›,Blauen Mütze‹,! Na, wissen Sie, wenn Ihnen der schon verdächtig vorkommt, dann stecken Sie nur lieber gleich das ganze Stadtviertel ein! Haha ...! einer von den friedliebendsten Bürgern überhaupt ...!«

Auf dies Zeugnis seines Nachbarn hin entging Lerebourg glücklich der Durchsuchung seines Wagens. Aber es rieselte ihm doch eiskalt den Rücken herab, als er durch die Kette von Gendarmen durchfuhr, und er schnaufte erst wieder richtig auf, als er erst einmal am Kai unten war. Da hieb er dem Gaul dann eins über und langte ein paar Minuten später an der Ecke vom Kai und der Rue du Dragon an. Da hielt er. Drehte sich auf seinem Kutschbock um und sprach leise in den Wagen hinein:

»Leclerc – pst! – da wären wir. Meinen Sie, daß Sie imstande sind und aussteigen können?« »Ich glaube wohl. Aber sehen Sie sich erst tüchtig um, ob uns niemand beobachtet.«

Lerebourg sprang ab. Aber er sah weit und breit nichts Verdächtiges:

»Der Augenblick ist gerade günstig. Kommen Sie nur.«

Saint-Régeant arbeitete sich mühsam und vorsichtig heraus. Aber er konnte vor Bewegung dann kaum sprechen und die Stimme zitterte ihm gar sehr:

»Leben Sie wohl. Mein Leben verdanke ich Ihnen und gehört Ihnen nun auch, Sie großmütiger und edler Mann, der Sie das Ihrige für mich aufs Spiel gesetzt haben! Aber – bitte – fahren Sie nun wieder zurück und bleiben Sie keinen Augenblick länger hier!«

Und Saint-Régeant war auch schon davon und Lerebourg war ganz verstört ob solcher Trennung. Teils ängstigte er sich fürchterlich, was ihm daraus noch alles blühen könnte, teils machte er sich die schwersten Vorwürfe, daß er vielleicht doch zu wenig für ihn getan hätte, der ihm fast so lieb war wie ein eigener Sohn. Die Schritte Saint-Régeants verhallten, ohne daß weiter was geschah, und dabei beruhigte sich Lerebourg wieder einigermaßen. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, und als er dann von fern den jungen Mann gar wohlbehalten auf Nummer 35 zur Haustür hineinverschwinden sah, schwang er sich wieder auf seinen Sitz, gab dem Gaul eins mit der Peitsche und fuhr erst an den Kais lang, dann über die Champs-Elysées und den Platz »de la Revolution« ohne jeden Zwischenfall bis zu sich nach Hause.


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