Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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6. Kapitel

Als am andern Morgen die Bürgerin Lerebourg in den Laden herunterkam, unterhielten sich zwei ihrer Verkäuferinnen über etwas, das ihr gar nicht gefiel. Fräulein Hermance richtete Musselinkrawatten in einer Schachtel und Fräulein Zoé zählte Etiketten; aber während eine jede fleißig bei ihrer Arbeit war – denn in der »Blauen Mütze« gab's kein Herumstehen und Feiern – , schwätzten sie ebenso eifrig drauflos:

»Nein, nein,« sprach Hermance. – »ich bin nun mal für den Leutnant de Canouville ... So ein hübscher strammer Soldat! und wie der zu Pferde sitzt!«

»Militär, Militär – das ist nie nichts Gewisses!« entgegnete Zoé. »Da bist du mitten in der höchsten Seligkeit .... plauz! blasen die Trompeten, und dahin geht's mit dem Reitersmann, nach Deutschland oder Italien ... Das sind Aufsitzer im wahrsten Sinn des Worts, und ob er jemals wiederkommt, weiß man überhaupt nicht. Oder er kommt mit einem Arm oder Fuß weniger zurück, na, und dann? Da lob' ich mir doch vielmehr einen Kaufmann oder so ... so einen forschen Kerl wie den Herrn Victor Leclerc zum Beispiel –« »Da wirst du gefälligst die Finger 'von lassen, mein Liebling –«

Doch da kam die schöne Emilie.

»Ist Herr Lerebourg nicht da?«

»Wie, bitte? Nein, Madame,« sprach Hermance. »Herr Lerebourg ist in seinem Privatkontor, und Herr Leclerc ist bei ihm.«

Das Privatkontor, darinnen Herr Lerebourg seine Geschäftsbücher, Modekoffer und Muster hatte, lag nach dem Hof hinaus. Als die Prinzipalin der »Blauen Mütze« dort eintrat, stand Saint-Régeant am Schreibtisch vor vielen etikettierten Bändern und Samtstreifen, und Lerebourg setzte ihm Qualitäten und Preise auseinander:

»Mit diesem Samt machen Sie in Lyon ein aufgelegtes Geschäft. Auf der Tour zurück aber reisen Sie unbedingt über Saint-Etienne – der Bänder wegen. Eine glänzende Spekulation, kann ich Ihnen sagen! ... Für Herren- wie Damengarderobe ist in diesem Winter die Mode Bänder und nochmal Bänder. Die kriegen Sie jetzt zu einem Spottpreis, und ein Vierteljahr später schlagen wir sie mit dreihundert Prozent los. Kaufen Sie also auf, was Sie kriegen – doch vergessen Sie darüber um Gottes willen nicht: Borten, Litzen, Tressen, Fransen! General Bonaparte ist sehr für neue Eleganz der Uniformen ... Ein Korps gewinnt durchs Aussehen, meint er ... Passen Sie bloß einmal auf, was wir bald für strahlende Offiziersuniformen haben werden ... Hat er Ihnen übrigens davon bei Ihrer Audienz nichts gesagt?« Saint-Régeant begrüßte erst Madame Lerebourg; dann berichtete er von seiner Audienz bei Bonaparte:

»Nein, davon hat er mir wirklich nichts gesagt. Er fragte mich nur über die Lyoner Fabrikation aus; die scheint ihn allerdings sehr zu interessieren ... Er will, glaube ich, für alle Staatsbeamten das Tragen von Samt und Seide vorschreiben, um der Industrie der zweitgrößten Stadt Frankreichs den Markt zu sichern ...«

»Na, da sehen Sie! Der große, große Mann, der von den Höhen höchster Politik herabsteigt, um sich des platten Handels anzunehmen! Was für ein bewundernswerter Geist! Sagen Sie selber, Herr Leclerc, ist der nicht wahrhaft würdig, über Frankreich zu herrschen?«

»Herrschen, herrschen – ist das nicht ein bißchen zuviel gesagt, Bürger Lerebourg?« unterbrach ihn Saint-Regéant und lachte. »Wir haben das Königreich doch nicht gestürzt, um den Nächstbesten – Hergelaufenen –«

»Stopp, stopp!« rief Lerebourg. »Das stimmt nicht ganz, langsam! Man will ihn zum Konsul auf Lebenszeit ernennen! Und das soll unser Glück sein!«

»Ich denke, du wolltest mit Herrn Leclerc über Bänder und Seiden reden,« mischte sich nun die schöne Emilie ein. »Das ist ihm auch sicher wissenswerter als die ewige Politik –«

»Du hast recht – wie immer, meine liebe Frau. Aber wir haben bereits alles Nötige besprochen ... und da der Bürger Leclerc morgen abreist ...« »Was! Sie reisen ab?« Das war wie ein leiser Aufschrei.

»Ich muß, Madame. Meine Geschäfte rufen mich dringend nach Lyon. Ich bin nur noch Ihrem Gatten zuliebe geblieben; aber nun heißt's das Versäumte nachholen ... Ich hab' bereits meinen Platz bis Chalon belegt; von dort fahr' ich mit dem Schiff weiter bis Lyon ...«

»Aber heut wird er noch einmal mit uns frühstücken ...«

»Ich bedauere sehr, aber es ist mir unmöglich. Ich werde erwartet ...«

»Was! also dann sehen wir Sie nicht mehr?«

»Aber der Bürger Leclerc könnte doch heute in den Pavillon de Hanovre kommen, wo du zum Ball hingehst?« schlug Lerebourg vor. »Na sehen Sie eine äußerst elegante Reunion und unsere schönsten Damen. Wir gehen natürlich hauptsächlich wegen der Mode hin und um unsere Beziehungen aufrecht zu erhalten ... Madame Hamelin beispielsweise ist sehr oft da, und auch der Bürger Barras geruht zuweilen hinzukommen ...«

»Also – kommen Sie?« fragte Emilie leise.

»Gewiß, Madame. Ich werde nicht verfehlen. Auf heute abend denn.«


Zur selben Stunde drang der Bürger Braconneau dreist bis in die Privatwohnung Fouchés ein. Der einstige Rednersmann war noch im Schlafrock; er las Berichte durch, während ihm sein Diener eben die Stiefel anzog, und sah auch gar nicht auf, als der Polizist eintrat: er mußte ihn wohl am Schritt erkannt haben.

»Braconneau?«

»Ja, ich bin's, Bürger-Minister; und ich bring' Neues.«

Der Kammerdiener verschwand auf ein Zeichen Fouchés.

»Der Erste Konsul hat gestern abend Georges, Hyde de Neuville und den Chevalier de Saint-Régeant in Privataudienz empfangen.«

»Ach! Und wer hat die Sache gedeichselt?«

»Josephine.«

»Madame Bonaparte, wenn ich bitten darf, Braconneau. Wir sind nicht mehr im Thermidor ... Wir haben schon Brumaire gehabt ...«

»Na – nu, verteidigen Sie sie auch noch! Sie kostet Sie schon sowieso soviel – und da macht sie solche Sachen hinter Ihrem Rücken! Es wär' doch wahrhaftig ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, daß sie Ihnen wenigstens ein Wort davon gesagt hätte!«

»Gut, gut, Braconneau. Aber sehen Sie – ich hab's doch lieber, wenn Sie mir sowas verraten. Dafür hab' ich Madame Bonaparte dann wieder in der Hand. Also: Georges, Hyde und Saint-Régeant – sagten Sie – gestern abend in den Tuilerien?«

»Im gelben Salon. Im Erdgeschoß.«

»Wie sind sie hingekommen?«

»Saint-Régeant kam mit Bürger und Bürgerin Lerebourg von der ›,Blauen Mütze‹,.« »Kenn' ich, kenn' ich. Meine Lieferanten ... Also – die schöne Emilie ist dabei? Da ist also Liebe mit im Spiel?«

»Das weiß ich noch nicht ... Georges und Hyde warteten im Tuilerienhof ... Rapp hat sie dann heraufgeholt...«

»Also war der Erste Konsul benachrichtigt ... Und wann sind sie wieder weggegangen?«

»Bürger und Bürgerin Lerebourg um neun Uhr mit ihren Mustern ... Die drei Gesandten der Prinzen um elf ... Was mag das bloß gewesen sein?«

»Ich weiß es. Sie wollten von ihm, daß er die Bourbonen wieder auf den Thron setzte, und ...«

Er machte eine Pause und grinste:

».... und sie waren wahrhaftig so dumm und glaubten, er würde für einen andern als sich selber arbeiten!«

»Und nun ...«

»Und nun, Braconneau, werden sie versuchen, ihn zu ermorden. Wie sie das schon öfter versucht haben. Und wer weiß, ob's ihnen diesmal nicht gelingt? ... Das wär' natürlich sehr bedauerlich für mich und überhaupt alle, die mit mir sind. Denn dann käm' die Partei Lucien und Joseph ans Ruder, und von denen hätten wir alles zu befürchten!«

»Haben Sie denn soviel vom Ersten Konsul zu erhoffen?«

»Wenn er Konsul bleibt – nein. Aber wenn er ... Kaiser wird – ja. Dann hat er mich höchst nötig, denn dann hat er – diesmal – die Jakobiner und Royalisten alle miteinander gegen sich und da hilft wahrhaftig keine bloße Schloßwache mehr –«

»Was hätten Sie von den Royalisten zu erhoffen?«

»Zu was sie mich eben gebrauchen könnten.«

»Und von den Jakobinern?«

»Allemal nur das Schafott, Braconneau!«

Sie schwiegen beide eine Weile. Dann sah Fouché – aus seinen blassen und scheinbar leidenden Zügen – Braconneau mit seinen Totenaugen an:

»Jedenfalls überwachen Sie mir die drei Kerle hübsch weiter und halten Sie persönlich sich an den, der Ihnen der verwegenste scheint. Die andern zwei lassen Sie durch Ihre Leute beobachten. Ich erwarte über alles Bericht ...«

Braconneau ging. – Über den Pont-Neuf nach dem Quai des Orfèvres. Dort trat er in ein kleines Haus ein und klopfte – über eine Treppe – dreimal hintereinander, aber in einer recht seltsamen Weise an eine Tür. Eine alte Frau, mit einer Haube, öffnete.

»Sind Briefe da? Ist sonst wer gekommen?«

»Leribier war gestern abend hier. Er wollte wiederkommen. Sag', soll ich ihm was bestellen?«

»Nachher. Jetzt, Victoire, los, los, los! Heißes Wasser – und hilf mir beim Umziehen!«

Die alte Magd ging nach der Küche und stellte Wasser auf. Derweil hantierte Braconneau schon in seinem Zimmer, das die reine Schauspielergarderobe war. Ein Dutzend Haubenstöcke, und jeder trug eine andere Perücke. Schränke und Kasten voller Kostüme. Auf einem Toilettentisch Schminktöpfe, Bürsten, Quasten, Pinsel. Als rotgesichtiger, rauhbärtiger, rotgelockter Bourgeois war Braconneau hereingekommen – als wohlrasierter, wohlgepuderter Stutzer mit Chapeau claque und einem Spazierstock à Ia Herkuleskeule ging er daraus hervor. Ein paar Anweisungen noch für die alte Dienerin, und Braconneau spazierte schon wieder unten auf dem Kai, aber seine Gangweise hatte nun etwas gar Hopsendes, Walzendes – was wohl zu seiner Maske gehörte. Als er in der Rue de l'Arbre-Sec im »Roten Löwen« ankam, war's elf. Im Speisesaal stand eine ganze Anzahl Gäste eben vom Frühstück auf. Braconneau aber ging nach dem kleinen Kontor, wo die Frau Wirtin mit Rechnungen beschäftigt war.

»Sieh da! der Herr Chevalier! Eine Ewigkeit, daß Sie nicht mehr bei uns waren ...«

»Madame Brigard, ich komm' soeben von einer kleinen Reise zurück ... Ist der Herr Abbé de Valoris da?«

»Pst! aber doch nicht ›,Abbé‹,!« ermahnte ihn die Wirtin.

»Ach, richtig! Nun also – ist der Herr ›,Kapitän‹, da?«

»Ich will ihm gleich sagen, daß Sie da sind.«

»Was für Umstände! Welche Geheimtuerei!«

»Wir müssen doppelt vorsichtig sein. Die Polizei – –«

»Die verfluchte Polizei! Ist man denn keinen Augenblick mehr sicher?« »Ach, Herr Chevalier – Fouché ist ein Teufel!«

»Zu seiner Großmutter mit ihm! ... Aber da ist ja mein lieber Freund ...«

Ein schlanker, kräftiger junger Mann mit blitzenden Augen trat lachend hinzu. Sein blauer Anzug von militärischem Zuschnitt. Auf dem kurzen, lockigen, ungepuderten Haar ein martialischer Dreimaster.

»Mein guter Lavernières!« rief er mit wohlklingender Stimme. »Mein teuerer Freund! Wie geht's, wie steht's? Wie geht's im Pharao – und wie steht's mit den kleinen Mädchen?«

»Aber es ist doch keine Menschenseele in der Nähe!« lachte Braconneau. »Wozu also groß Rollen spielen?«

Valoris nahm den Inkroyable-Mann auf die Seite:

»Gehn wir lieber etwas ... Sie wollen mich doch sprechen?«

»Ich kam – ob Sie nichts Neues wüßten!«

Sie bummelten die Rue de l'Arbre-Sec nach dem Kai hinab.

»Ich reise ab – nach der Normandie zurück,« sagte Valoris. »Ich h ab' hier nichts mehr zu tun. Der Abbé« Bernier hat einen Auftrag für mich an das Komitee von Caen. Es ist alles hübsch friedlich ...«

»Ich hätte von unsern hohen Herren etwas anderes erwartet ... Haben die denn bei Bonaparte gar nichts ausgerichtet und kommt daher die allgemeine Mutlosigkeit?«

»Bei Bonaparte – ausgerichtet? Woher wissen Sie –« »Fouché jubelt seit gestern abend, es wär' alles für die Katz' gewesen. Sie müssen nämlich wissen, daß ihm die Witwe Beauharnais alles und jedes überbringt. Und was etwa noch übrig bleibt, erfährt er von Bourrienne ... Und was mich betrifft, so steh' ich mich eben gut mit dem Polizeiminister ...«

»Das ist wahr, Lavernières; Sie haben uns wirklich schon bedeutende Dienste erwiesen. Ich selber bin durch Sie schon dreimal der Verhaftung entgangen, und unser liebster Coster de Saint-Victor ist durch Sie wieder freigelassen worden ... Aber – aber – ich sage es Ihnen ganz offen, Lavernières, Sie stehen bei einigen Herren von uns in ziemlichem Verdacht, und ich hab' bis jetzt alle mögliche Mühe gehabt, ihnen das auszureden. Die Herren behaupten nun einmal. Sie seien so wohlinformiert, daß Sie mit einem Fuß unbedingt im feindlichen Lager stehen müßten. Und – sie wollen nun einmal nicht mehr, daß ich Sie mit ihnen zusammenbringe!«

»Ist es die Möglichkeit!« Der falsche Lavernières schien ganz verzweifelt. »Nachdem ich ihnen derart meine Ergebenheit bewiesen – ja, mich geradezu für sie aufgeopfert – ! Was soll ich denn da bloß machen?«

Sie waren bis ganz nah ans Wasser gekommen. Da wo die großen Zitterpappeln hart am Uferrande stehen. Kein Mensch rings zu erblicken.

»Ja, was soll ich denn da bloß machen?«

Valoris ging ganz auf seinen Ton ein:

»Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig als – Sie gehn mit mir nach der Normandie. Dort beweisen Sie uns dann, daß Sie es ehrlich meinen. Paar leichte Aufgaben: Sie halten einige Kuriere an und überfallen etliche Gendarmeriepatrouillen. Nichts leichter als das – und dann wird man Ihnen schon wieder glauben. Nur wenn Sie weiter so fortfahren und immer blaß um unsere Pariser Freunde herumschleichen ... denken Sie nur einmal an, was Ihnen da passieren dürfte. Ich sollte Sie beispielsweise heute bis hieher ans Wasser lotsen und Ihnen dann eine Kugel durch den Kopf jagen –« Und der Kapitän zog eine Pistole aus der Tasche und legte auf Braconneau an.

»Aber, Valoris – machen Sie doch keinen solchen Blödsinn, ja? Das ist hoffentlich nur ein Scherz ...«

»Wenn ich Sie wirklich hätte töten sollen, Lavernières, dann wär's bereits geschehen. Ich wollt's Ihnen nur ein bißchen zeigen, um es Ihnen zu ersparen. Wenn ich Ihnen also raten soll, schleichen Sie nicht länger um uns herum... Sie wissen, wo Sie mich finden, wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben; aber seien Sie versichert, daß wir Sie nicht mehr aus den Augen lassen. Wenn Sie wirklich ein Spitzel sind, wie manche von Ihnen glauben, lassen Sie die Royalisten ungeschoren, sonst geht's Ihnen schlecht. Kümmern Sie sich lieber um die Jakobiner ... Adieu, Lavernières ... Seien Sie mir nicht böse, wenn ich Sie etwas erschreckt habe ...«

»Ich verzeih' Ihnen nur nicht, daß Sie einen solchen Verdacht auf mich haben konnten! Ich Hab' Sie lieb gehabt, Valoris!«

»Sagen Sie besser: Sie hätten mich lieber!«

Braconneau sah dem Davongehenden einigermaßen stupide nach ... Dann meinte er achselzuckend:

»Auch gut! So werde ich mein Augenmerk auf die ›,Blaue Mütze‹, richten und mich ein wenig mehr mit dem lieben Saint-Régeant beschäftigen. Mit denen da ist doch nichts mehr zu machen!«


Im Hinterzimmer vom »Roten Löwen«, noch hinter dem kleinen Kontor der Wirtin, waren diejenigen versammelt, an die Braconneau sich heranzumachen versucht hatte. Um einen Tisch, der voll von Papieren lag, fünf Männer in leiser Unterhaltung. Georges, der Bequemlichkeit halber in Hemdsärmeln, Hyde und Saint-Régeant; ferner der Marquis de Polignac und jener junge Royalist Coster de Saint-Victor, dem der Pseudo-Lavernières die Pforten des Prison de l'Abbaye geöffnet hatte. Der Abbé de Valoris kam durch einen Druck auf eine geheime Feder in der Mauer, worauf sich die Tür geräuschlos öffnete, herein.

»Wie war's?« fragte Hyde.

»Abgewimmelt. Er war ziemlich baff, und ich glaube, er kommt nicht wieder. Erschießen wär' freilich das beste gewesen, aber Saint-Victor wollte ja nicht ... Wir müssen sofort von hier ausziehen, denn Fouché weiß sicher heut nachmittag schon alles und wird uns einen andern Agenten auf den Hals schicken ... Ich weiß ein Haus in der Rue du Dragon; dort wohnt eine Modistin namens Virginie Grandeau. Die ist uns unbedingt ergeben. In deren Wohnung hinter der Küche ist ein Schlupfwinkel, den kein Mensch findet. Die Hausbewohner selber haben keine Ahnung. Abbé Edgeworth, der Beichtvater des König-Märtyrers und Monseigneur de Carbonnières waren dort ein halbes Jahr lang versteckt, und nichts ist ihnen geschehen. Ich schlage vor: Cadoudal, Saint-Régeant und Hyde ziehen heut abend schon dorthin.«

»Davon nachher,« fiel Georges ein. »Vor allem, meine Herren, entscheiden wir uns. Dieser Bonaparte will Frankreich für sich einsacken. Jeder Vergleich gescheitert – wir müssen also handeln. Was tun wir?«

»Es gab von vornherein nur zwei Wege,« erklärte Saint-Régeant. »Wir müssen uns den Ersten Konsul vom Halse schaffen.«

»Das heißt: töten!« sprach Polignac.

Eine Stille war. Es handelte sich immerhin um den Sieger von Rivoli, Arcole und bei den Pyramiden. Das fühlten die Herren – allem Wagemut zum Trotz. Georges war der erste, der das Schweigen brach:

»Aber auf welche Art ihn töten? Es gibt mehrere Arten. Erschießen – erdolchen? Ich bin offen gestanden nicht dafür. Ich find's armselig – kleinlich. Das ist so ... persönlich. Das hat nichts von dem großen Akt einer Hinrichtung und gar nichts von der Ehrenhaftigkeit eines Kampfes. Und außerdem kann man vorbeitreffen. Und dann erst wär' das Unglück voll. Da wär's schon gescheiter, wir machten überhaupt nichts. Nehmen wir nur einmal an: wir würden ihn bloß verwunden. Das wär' doch der Gipfel seiner Popularität! Nein also, wir müssen ihn und seine ganze Partei – mit einem Wort – besiegen! Und ich bitte die Herren, mich an die Spitze einer solchen Expedition zu stellen.«

»Ist gut, Georges, aber wie denken Sie sich das?« fragte Hyde und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, um in aller Ruhe zuhören zu können.

»Etwa so: Ich zitiere, sagen wir, dreißig meiner Königsjäger aus der Bretagne herbei. Auf verschiedenen Wegen natürlich und alle verkleidet. Als Hausierer, Kärrner, Arbeiter usw. Mittlerweile verschaffe ich Uniformen der Konsulargarde. Unter dem Vorwand einer Remonte für die Garnison Versailles kauf' ich genügend Pferde auf und stelle sie in der Nähe von Paris – im Montrouge zum Beispiel – bei einem Mann, der sicher ist ein. Nicht? Wann passe ich eine Fahrt des Ersten Konsuls nach Saint-Cloud ab und lege mich in Sèvres oder Boulogne in den Hinterhalt. Der Wagen Bonapartes ist stets höchstens von einem Dutzend Leuten begleitet. Ich komme ihnen auf der freien Landstraße entgegen. Dank unseren Uniformen komm' ich bis an sie heran und greife sie an, noch ehe sie sich von ihrem Staunen erholt haben. Den Säbel in der Hand ruf' ich: Bonaparte raus! Und dann mag Gott zwischen uns beiden entscheiden! Oder vielmehr – eigentlich – ich bürg' für sein Leben – oder noch besser gesagt: für seinen Tod!« »Allerhand Hochachtung, das nenne ich ritterlich gehandelt,« sprach Coster. »Aber – zum Teufel mit der Ritterlichkeit einem solchen Kerl gegenüber! Nein, Georges, nein – und wie leicht könnte er Ihnen dabei auskommen! Oder aber es wär' just sein Schwager Murat bei ihm ... und mit dem nehmen Sie's nicht auf, Georges! Also wenn ich Ihnen sage, daß der Ihnen über ist! Ja, wissen Sie denn nicht, wie der in Ägypten die berühmtesten Mamelucken Mourads nur so einfach in die Pfanne gehauen hat? Nein, also – wir müssen viel praktischer, viel sicherer dabei vorgehen. Ein derartiges Scharmützel ist nur allzu ungewiß. Denken Sie doch auch, daß Sie vorher verraten werden könnten, und daß er vielleicht mit einer Eskadron Dragoner daherkommt. Dann sind Sie der Verspielte. Unter dreißig Verschwörern ist leicht ein Verräter ...«

»Für meine Leute bürg' ich!« rief Cadoudal.

»In einer Schlacht in der Bretagne – ja. Aber nicht bei einem Komplott auf Pariser Pflaster. Spielkarten ... Die Weiber schon allein ... Nein, also Georges, wir verlassen uns auf Sie; aber Sie dürfen sich nicht allzusehr auf andere verlassen!«

»Was denn aber?«

Da erzählte Saint-Régeant; leise, ganz leise:

»Ich weiß von einer sehr merkwürdigen Maschine, die aber zu gleicher Zeit merkwürdig einfach ist. Es ist ein Faß: hundert Pfund Pulver und weitere hundert Pfund Splitter und Kugeln. Zum Spundloch hinein geht ein Flintenlauf. Das Ganze wird auf einem Handwagen an den beabsichtigten Ort gebracht. Dann braucht man bloß abzudrücken wie bei einer andern Flinte auch, und der Schuß geht los ... und wenn im selben Augenblick in angemessener Entfernung gerade der General Bonaparte zu Wagen oder Pferd vorüberkommt, dann stirbt er wie ein Held von seiner Sorte sterben soll: unter Donner und Blitz!«

»Das ist nicht so übel ausgedacht,« meinte Hyde und lächelte fein. »Unser lieber Freund Saint-Régeant scheint ein wahrer Kunstfeuerwerker zu sein.«

»Jeder tut, was er kann, meine Herren,« sprach der junge Mann. »Die Erfindung stammt übrigens absolut nicht von mir – sondern von einem gewissen Chevalier – und vorigen Monat hat sie die Polizei ›,entdeckt‹,. Dieser Chevalier büßt dafür im Kerker, aber von seinem Pulverfäßchen kann Gebrauch machen, wer will!«

»Selbstverständlich büßt der Betreffende sein Leben dabei!« brummte Georges.

»So bitte ich die Herren,« sprach Saint-Régeant, »mich mit der Ausführung betrauen zu wollen.«

Cadoudal gab's einen Ruck. Die Backen zitterten ihm. Seine riesigen Fäuste krampften sich ein, und er preßte sie zwischen seine eisernen Knie:

»Heilige Mutter Anna! das muß wahr sein: der Junge ist brav! Ich bin mit der Geschichte zwar nicht einverstanden – aber Respekt! Respekt! sag' ich! – Dunner nochmal! – Also, meine Herren, da hätten wir nun zwei Vorschläge, den meinigen und den des Herrn de Saint-Régeant. Stimmen Sie ab!«

»Ich bin für den Vorschlag Saint-Régeants,« erklärte Coster. »Er hat alle Aussichten für sich. Wir brauchen uns gar nicht lang' mehr besinnen.«

Hyde, Polignac und Valoris stimmten ebenfalls dafür.

»Also einverstanden, meine Herren,« erklärte Polignac. »Um nun unserm jungen Freund die Aufgabe zu erleichtern, tun wir am besten und verlassen alle Paris – aber derart, daß es auffällt. Georges, Sie gehen wieder nach der Bretagne; Sie, Hyde, kehren nach England zu den Prinzen zurück; Valoris fährt nach Deutschland. Ich selber reise nach Rouen; ich hab' dort zu tun. Sowie uns die Polizei derart zerstreut weiß, beruhigt sie sich und die Überwachung ist nicht mehr so streng, also daß Saint-Régeant nach Belieben operieren kann. – Wie wollen Sie das eigentlich – genauer gesagt – anfangen, mein lieber Saint-Régeant?«

»Meine Herrn, ich muß dabei unbedingte Vollmacht haben. Ich brauche – im gegebenen Moment – höchstens irgend zwei Burschen, und selbst die sollen bis zum letzten Augenblick völlig im unklaren bleiben ... Übrigens mache ich es vorerst genau wie Sie: ich reise ebenfalls ab. Und komm' zu meiner Stunde zurück.«

»Aber wie bekommen wir Nachricht von Ihnen?«

»Sie brauchen doch keine Nachrichten mehr! Sie werden die Explosion hören – und ich denke, das ist Nachricht genug!« »Aber jetzt, Mann, kommen Sie in meine Arme!« schrie Cadoudal. »Ich fürchte, es ist auf Nimmerwiedersehen. Empfehlen Sie sich dem lieben Herrgott – ich will Sie dem König empfehlen!«

Und er nahm den jungen Mann an seine breite Brust und gab ihm den Bruderkuß. – Darauf gaben die sechs einer dem andern die Hand – und einer nach dem andern verließ das geheime Hinterzimmer vom »Roten Löwen«.


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