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Kurzes Glück.

Es war ein heißer Augustnachmittag des Jahres 1892. Die Sonne brannte schon seit Wochen vom immer klaren Himmel herab, und jeden Morgen stieg sie aus dem Meere so strahlend und glühend wieder empor, wie sie am Abend zuvor an der Landseite untergegangen war. Selbst am Meeresstrande war keine rechte Kühlung zu finden, glatt wie ein Spiegel lag die See da, und die liebliche Musik der am Ufersand zerrinnenden Wellen war verstummt. So war auch der Strand und das Bollwerk des kleinen Hafenstädtchens vereinsamt; die Badegäste, die sich sonst hier gern ergingen, zogen es vor, von den offenen Fenstern des Hotels oder der Strandvillen aus, dem Schauspiel der ein- und ausbugsierenden Seeschiffe zuzuschauen.

Nur ein Paar stand am Bollwerk, die beiden schienen die Hitze nicht zu fühlen; sie blickten mit glänzenden Augen aufs weite Meer hinaus, dorthin, wo man mit scharfem Auge einen letzten festen Punkt an dem im Blau verschwimmenden Horizont erkennen konnte.

Jetzt wies der Mann dahin, und die Dame an seiner Seite folgte der Richtung seiner Hand, – einer in Sturm und Wetter gebräunten Seemannshand, die, wie die ganze kräftige Figur des Mannes, im starken Gegensatz stand zu der zarten behandschuhten Rechten, welche die Dame eben emporhob, um die Augen zu beschatten.

»Dort?« fragte sie, und ihre klaren blauen Augen glänzten. »Dort ist deine Heimat?«

»Ja,« antwortete der Seefahrer und legte seine Linke fest um die schlanke Gestalt, »dort, Karin, ist meine Heimat, das freie und unermeßliche Meer, wo der Menschen Macht ein Ende hat und ein Höherer herrscht –, o wie liebe ich sie, die brausende See,« fuhr er fort und seine Brust hob sich bei seiner Rede, »hat sie mir auch alles geraubt, Vater, Mutter, Geschwister: heute soll sie es mir tausendfach wiedergeben ...«

»Geliebter!« Wie ein Jubelruf klang es von ihren Lippen.

Und wieder schweiften ihre Blicke zu dem fernen Punkt. Da legte sich eine rauhe Hand auf des Mannes Schulter.

»Kaptein!« sagte der Ankömmling, »nu ward Tid! Hei is all dor!«

»Wer?«

»De Swatte!«

Kapitän Olden lachte aus vollem Halse. Gleich darauf schüttelte er einem großen, blonden Herrn die Hand, der allerdings dunkel gekleidet war, und stellte ihn seiner Begleiterin vor.

Dann schritten sie den Landungssteg hinab bis dahin, wo ein kleiner Dampfer unter Dampf lag und aus seinem Schlot leichte Rauchwolken in die klare Luft steigen ließ. Für gewöhnlich war das nur ein Schlepper, der in schweren Nächten hinausfuhr und gefährdete Schiffe einbugsierte, heute aber, wo er anderen Zwecken diente, hatte der Steamer sein Festgewand angelegt. Am Bug wehte ein Wimpel, vom Signalmast flatterte zu Ehren der Gäste, die Norweger waren, die Flagge ihrer Heimat, und hinten am Fock spiegelten sich die deutschen Farben in den Fluten. Und wenn die geriffelten Scheiben einen Blick in die Kajüte gestattet hätten, so wäre man ob des munteren Anblickes einer mit Blumen geschmückten Tafel gar erfreut gewesen.

Kaum hatten die Drei den Schlepper betreten, so warf er von dem Bollwerke los und wandte sich, dem Druck des Mannes am Ruder folgend, der See zu. Nun erst, wo man sich vom Lande losgelöst hatte, umfing die frische Luft die Fahrenden und regte die Sinne an. Das Brautpaar – denn ein solches waren Kapitän Klaus Olden und Karin Warner – stand am Steven und freute sich des Rauschens des durch das Schiff verdrängten Wassers. Hinter ihnen stand Pastor Larsen, ein norwegischer Geistlicher, im eifrigen Gespräch mit dem Führer des Seeschleppers, der dem Wissensdurstigen bald dies bald jenes erklären mußte und das in der kurzen abweisenden Manier der Seeleute tat.

Je weiter man auf der Fahrt kam, desto deutlicher hob sich jener ferne Punkt vom Horizont ab; es war eine gewaltige Bake, die gleichzeitig als die Grenze des freien Meeres galt. Sie war errichtet, erklärte der Kapitän dem Geistlichen, auf dem letzten Felsen einer Insel, die einst weit ausgedehnt war und in früheren Zeiten als ein berüchtigter Unterschlupf der Seeräuber galt. Stürme und das unermeßliche Meer hatten sie abgebröckelt und verkleinert, bis nur dieser Felsen übrig war.

Der Pastor hob das Fernrohr zu dem Seezeichen empor.

»Mir scheint,« sagte er nach einer Weile gedehnt, »als wenn dort in dem Gebälk ein Häuschen angebracht ist.«

»Ganz richtig,« meinte der Kapitän, »Ihre drei Augen haben recht gesehen. Fünf Meter über dem höchsten Flutstand befindet sich in dem Ständerwerk ein Zimmer von genügend Raum für drei zu schlafen. Eine Strohschütte, Portwein und Schiffszwieback sind ebenfalls in der Bude, um Schiffbrüchigen vorläufige Unterkunft und Nahrung zu bieten, bis ihnen vom Lande Hülfe werden kann.«

Inzwischen war man an das Seezeichen dicht herangekommen; eine Weile noch stürmte der Schlepper der offenen See zu, dann wurde beigedreht. Und mitten auf dem schaukelnden Boot, das von Thunfischen umspielt wurde, unter dem freien blauen Himmel, gewiegt von den Wellen der leicht bewegten See, gab der Pastor die Beiden zusammen. Eine Trauung auf offener See –, welche Poesie liegt in den Worten, eine Trauung, bei der der Wellen Rauschen Orgelklang, des Windes leises Säuseln schönste Harmonie bedeutet. Selig hielten sich die Neuvereinten umfangen; was sie seit Jahren erträumt, was sie noch vor Tagen so fern geglaubt, es war vollendet, und wie die See, glatt und glänzend im Sonnenlicht, lag nun das Leben vor ihnen; in solchen Augenblicken heiligen Glücks und süßer Seligkeit sieht man die Wolken nicht, die sich leicht am heitersten Himmel auftürmen können. Und glückselig der Mensch ob solcher Blindheit! Wäre unser Leben noch lebenswert, wenn wir das Schicksal wüßten, das uns droht?

Die Sonne neigte schon zum Untergange, als das Brautschiff sich dem Hafen wieder näherte; aus der Kajüte herauf drang froher Gläserklang und das Lachen heiterer Menschen. Neidlos blickten der Geistliche und der alte grauhaarige Kapitän auf das Glück der beiden Menschen, und als sie sich am Landungssteg trennten, da wünschte der alte Seebär in seiner biederen Weise »immer guten Ehewind« und der Pastor, daß die Sterne allabendlich so freundlich auf das junge Paar herabblicken möchten wie heute. Noch eine gute Weile gingen die Neuvermählten am Strande auf und ab und lauschten dem Nahen der Flut, die sich von fern durch lautes Rauschen meldete.

»Liebliche alt' bekannte Melodien, die sie schon an meiner Wiege sangen,« sagte Klaus still bewegt, »laß sie uns mit hinübernehmen ins Land der Träume!«

Und die Flut kam, sie rauschte an den Strand; der Mond ging auf, und sein silberner Schein fiel auf die Stelle im Meer, wo heute ein Menschenpaar glücklich geworden war.

*

Am Abend des nächsten Tages schieden die jungen Eheleute von der kleinen Hafenstadt. Als sie kurz vor Abgang des Zuges, der sie nach Hamburg bringen sollte, noch einmal zurückblickten auf das Meer, meinte die junge Frau, es bliebe ein Teil ihres Herzens zurück an der zaubervollen Stelle, wo sie ihr Glück gefunden hätte.

»Warte nur noch ein Weilchen, Teure,« antwortete Kapitän Olden, »so wirst du die Stelle wiedersehen. Meine »Stella Maris« liegt in Hamburgs Segelschiffhafen zur Abfahrt bereit, und wenn Wind und Wetter günstig sind, segeln wir in zwei Tagen wieder an unserem Traualtar vorüber.«

Die Zeit drängte zur Abfahrt. Der Zug donnerte aus der Halle des Hafenbahnhofs, und wie ein schöner Traum lagen die zwei Tage am Meere hinter ihnen. – –

Das junge Ehepaar war im Getriebe der Weltstadt untergetaucht; die erste Nacht brachten sie noch im Hotel zu, am nächsten Morgen aber stieg der Seemann mit seiner jungen Frau zum Hafen hinab. Wohl war ihr das Leben am Strande ihrer norwegischen Heimatstadt bekannt, aber das Hasten und Jagen der Menschen, das Rasseln und Poltern der Wagen, das Pfeifen der pfeilschnell dahinschießenden Dampfer und Barkassen, das Läuten der Straßenbahnen, jenes immer wechselnde Bild eines großen Handelshafens, – dies alles drängte ihr den Ausruf auf die Lippen:

»Wie soll man sich da zurecht finden?«

»Es kommt nur auf Gewohnheit an,« zitierte scherzend ihr Gatte und bestieg mit ihr einen der grünen Hafenfahrer, die nach einer Rundtour durch die verschiedenen Häfen auch am »Krahnhöft« anlegen, einem der Einfahrtssäulen des Segelschiffhafens.

Die glühende Augustsonne brannte auf das rastlose Treiben nieder; im dunkelblauen Dunstkreise verschwindend trat die turmgezierte Hansestadt zurück, die glänzende Wasserflut mit ihren zahllosen Schiffen nahm die Aufmerksamkeit in Anspruch. Von Steinwärder und der Veddel her klang das Hämmern der Werftarbeiter, das betäubende Geräusch der Fabriken; elbabwärts sah man große Auswandererschiffe dem fernen Ziele zueilen, von den Kais wurden schwere eiserne Viermaster durch behende Schlepper abgeholt, lange Schleppzüge wanden sich mit kaum geminderter Geschwindigkeit durch die Fluten. Karin Olden wußte kaum, wohin sie ihre Augen zuerst wenden sollte; kaum hatte sie eine winzige Motorbarkasse erblickt, so mußte sie schon wieder nach der anderen Seite blicken, wo der Riesenkrahn einen Elefanten aus dem Bauch eines Afrikadampfers hob.

Hier war Krahnhöft. Sie schritten den Asiakai entlang. Sie mochten ihn halb hinuntergegangen sein, als Olden plötzlich stehen blieb; er wies mit der Hand auf den Strom hinaus, und Karin sah, der Richtung seines Armes folgend, ein ganz über die Toppen geflaggtes Schiff, einen stolzen Segler, an dessen Vordermast sich eine Flagge im leichten Windhauch bewegte. »Stella Maris« stand darauf.

»Die guten Kerle!«

Olden faßte sein junges Weib bei der Hand und schritt zu der Jollenstation hinab, von der ihn bald ein behende gewriggtes Boot an Bord seines Seglers brachte. Ein dreifaches »Hipp! hipp! hurra!« empfing die jungen Eheleute, als sie an Deck erschienen, und der Obermaat sagte ein plattdeutsches Gedicht auf. Karin verstand davon zwar nichts, war aber ganz glücklich, als der Alte ihr mit einer elegant sein sollenden Verbeugung ein Bouquet überreichte. Gerührt reichte sie ihm die Hand.

Dann stiegen sie in die Kajüte hinab. So weit Männerhände es verstehen, war die »Koje« des Kapitäns in ein kleines, freundliches Boudoir verwandelt, in dem sich wohl weilen ließ. Alles war frisch gestrichen, die messingne Lampe, die Einfassungen der »Bullaugen« spiegelblank geputzt, und auf dem Tisch stand ein frischer Strauß.

Heut' war Festtag an Bord der »Stella Maris«; für den Abend hatte Olden für die Leute ein paar Fässer auflegen lassen. Er selbst wollte mit seiner Frau und seinen Steuerleuten an einer geschützten Stelle an Deck zu Abend essen. Das Schiff lag segelfertig; in der nächsten Nacht bei Hochwasser sollte von den Pfählen losgeworfen werden.

Alles war zum Essen bereit. Der Koch hatte sich besondere Mühe gegeben, und man harrte des einzig noch Fehlenden, des ersten Steuermanns. Endlich kam er. Der sonst so muntere Mann war ernst und bleich; das fiel auch Olden gleich auf, und er fragte nach dem Grund seines Aussehens.

»Nicht der Rede wert, Kapitän,« antwortete er und versuchte zu lächeln, »bin etwas hart gelaufen – –«

Er ließ sich der jungen Frau vorstellen, und dann ging man zu Tisch. Bald war man fröhlich und guter Dinge, ließ es sich prächtig munden; nur der erste Steuermann blieb ernst und tat nur widerwillig Bescheid, wenn man ihm zutrank.

Plötzlich frug er: »Wir fahren doch noch die Nacht?«

»Mit Hochwasser!«

»Gott sei Dank!« entrang es sich leise seinen Lippen.

Olden gab ihm einen Wink, und während Karin sich einen Augenblick mit dem zweiten Offizier unterhielt, stand er auf; Larsen folgte ihm.

»Was ist?« fragte der Kapitän kurz.

»Verbieten Sie der Mannschaft das Trinken, Kapitän; die Cholera ist ausgebrochen!«

Olden erbebte. Gegen den Sturm, der das Schiff hin- und herreißt, gegen Wogendrang und Brandung weiß der Schiffer anzukämpfen; sein kaltes Blut, sein wagender Mut verläßt ihn keinen Augenblick: dem gelben Fieber, der Cholera gegenüber ist er mutlos. Den Feind, der ihm kühn die Brust darbietet und im ehrlichen Kampfe mit ihm ringen will, bekämpft er voll Mut; die tückische Krankheit, die sich in den Körper schleicht, wie der Dieb bei Nacht, wie der Tiger an eine Beute, findet ihn entwaffnet.

Der Kapitän blickt hinüber nach der Stadt, deren Türme im goldenen Glanz der Abendsonne gen Himmel ragen.

»Arme Stadt,« sagte er leise, und dann zum Steuermann gewandt: »Kein Wort zu meiner Frau!«

Sie kehren an den Tisch zurück, doch es kommt kein Gespräch mehr in Gang. Die Sonne ist untergegangen, der Steward will Licht bringen, der Kapitän Olden wehrt ihm. »Um 2 Uhr ist Hochwasser; bis dahin müssen wir ruhen.«

Der erste Steuermann bleibt noch an Deck. Hinter der »Seewarte« ist der Mond emporgestiegen; die Stadt liegt ruhig da, sie schlummert. Doch in ihren Gassen schleicht ein Gespenst umher und geht von Haus zu Haus; es steigt in die Paläste und schleicht in die Gänge und Höfe, erbarmungslos Opfer um Opfer heischend. Arme Stadt! Gegen solchen Feind ist niemand gewappnet, und wäre es die Königin der Städte, sie würde dir ebenso widerstandslos verfallen wie du. So denkt der Seemann, der erfahrene, der auf Reisen durch alle Welt auch diesen furchtbaren Feind, der die Menschheit in Scharen niedermäht, kennen gelernt hat. Wer weiß, ob nicht schon in diesem Augenblicke die furchtbare Krankheit an Bord der »Stella Maris« wütet; sie schwimmt mitten auf dem todbringenden Element. Ein Grauen packt ihn bei diesem Gedanken!

*

Kurz nach 1 Uhr kam Kapitän Olden selbst an Deck, stumm drückte er dem Steuermann die Hand. Sie traten an die Reeling: da glitt eine Jolle vorbei, drinnen lag laut stöhnend ein Kranker. Sie ruderten ihn nach dem Seemannshospiz bei den Landungsbrücken. Erbebend wandte sich Olden ab.

»Das ist nicht der Erste,« sagte der Steuermann, »die Barkassen der Hafenpolizei fahren unaufhaltsam, und fast immer bergen sie ein todgeweihtes Opfer.« –

Um 2 Uhr legte sich ein Schlepper längsseit der »Stella Maris«; durch Stahltrossen wurden die beiden Schiffe miteinander verbunden, und dann ging es hinaus auf den still und wie träumend daliegenden Strom. Die prächtigen Elbufer lagen im Mondschein wie eine paradiesische Landschaft da; dieser herrlich gestirnte Augusthimmel, diese milden Lüfte, diese friedlichen Städte und Dörfer, und unter ihnen, in ihnen der schleichende Tod, – welch furchtbarer Kontrast!

Majestätisch glitt das schöne Schiff zwischen den Ufern entlang; der Mond ging unter, und in purpurner Pracht stieg die Sonne aus den Fluten der Elbe empor, dieselbe Hitze verkündend, die den Tod in den Bannkreis der Stadt fesselte. Bald war das Meer erreicht; nun warf der Schlepper los, die Segel der »Stella Maris« blähten sich und das Schiff legte sich ein wenig auf die Seite.

Der Kapitän verließ die Kommandobrücke und begab sich zu seiner Gattin, die schon dabei war, den Kaffee zu bereiten. Sie war blaß; und als Olden sich besorgt nach ihrem Befinden erkundigte, klagte sie über Übelsein.

Er stutzte einen Augenblick und wechselte die Farbe. In demselben Moment machte das Schiff eine schlingernde Bewegung.

»Aha!« lachte er, »schon seekrank, kleine Frau?«

Karin versuchte zu lächeln, es gelang ihr aber nicht. Auch der Kaffee wollte nicht munden. Sorgsam packte Olden sie aufs Sofa und meinte, sie müsse schlafen, dann überwinde man die Seekrankheit am besten. Dann rief ihn der Steuermann an Deck: der Lotse mußte abgesetzt werden. Als er nach einer Weile zurückkehrte, hatte sich Karins Zustand bedeutend verschlimmert: Erbrechen war eingetreten und die matten Augen der kleinen Frau lagen tief in den Höhlen. Trockene Hitze lag auf der Stirn, und auch die Hände glühten.

Den Kapitän packte eine namenlose Angst; er rief Larsen in die Kajüte. Kaum hatte dieser die Patientin erblickt, so rief er den Kapitän beiseite und sagte hastig: »Die Frau muß ins Bett; so warm wie möglich!« Dann eilte er hinaus, und während Olden seine Karin in die Kissen bettete, braute er beim Koch einen Grog, so steif wie möglich. Den Trank flößten sie Karin ein.

»Bringen wir sie zum Schwitzen,« raunte er Olden zu, »so ist sie gerettet!«

Aber alle Bemühungen waren vergeblich! Immer neue Decken und Kissen schleppten sie herbei, immer aufs Neue netzten sie mit heißen Tränken die fiebertrockenen Lippen der Kranken, sie rieben ihr die Füße und Hände, stellten Kessel mit heißem Wasser an das Bett und ließen den Dampf ihr ins Antlitz steigen, warme Umschläge wurden gebracht, – keine Perle des rettungverkündenden Schweißes erschien auf der Stirn.

Tränenlos, starr in seinem Schmerz, saß Olden am Sterbebett der Geliebten, kein Wort wurde laut; geräuschlos waltete Larsen seines Samariteramtes. Nur das immer matter werdende Stöhnen Karins erfüllte den engen, noch hochzeitlich geschmückten Raum. Mittag war noch nicht lange vorüber, – da schlug die Kranke noch einmal die Augen auf.

»Klaus, ich sterbe!«

»O Karin, schon jetzt, so kurz war unser Glück! So kurz –«

»Aber so schön – – so schön –«

Noch ein Augenaufschlag, und Karin hatte ausgelitten.

Larsen hatte sich aus der Totenkammer fortgeschlichen; sein Herz erbebte bei dem Schmerz, den er aus seines Kapitäns Antlitz las. Einmal nur hatte er solch ein Antlitz im Leben gesehen, so furchtbar schmerzzerrissen – und das war nur ein steinernes Bildnis. In der Petrikirche in Hamburg ist links vom Altar ein Steinrelief angebracht; man bringt den toten Jesus seiner Mutter und sie beugt sich über ihn: den ganzen Jammer des Mutterherzens hat der Künstler in das Antlitz gelegt. Gerade so war Oldens Antlitz anzuschauen, wie er so da saß an der Bahre seines Glückes.

Larsen blickte in die Wellen hinab, die nun bald Karins Leichnam umfangen sollten. Der Abend sank herab, die Sonne ging zur Ruhe, – gedankenvoll blickte der Steuermann dem versinkenden Glutball nach.

Plötzlich drang ein Kommando an sein Ohr.

»Beidrehen!« befahl eine heisere Stimme.

Und als er sich umwandte, sah er den Kapitän auf der Brücke am Ruder stehen. Wilden Blickes starrte er in die Ferne, seine Augen glühten, unbedeckten Hauptes stand er da, aber fest hielten seine Fäuste das Ruder umfaßt, das nun herumwirbelte und in Gemeinschaft mit den umgestellten Segeln das Schiff in entgegengesetzter Richtung kreuzen ließ. Lange blieb Olden so stehen, unheimlich anzuschauen: der Wind spielte in seinen Haaren und der aufgehende Mond ließ sein Antlitz geisterhaft weiß erscheinen. Sein funkelndes Auge starrte in die Nacht hinaus, als wollte er in der Ferne etwas erspähen; endlich tauchte im Dunkeln die Grenzbake auf. Kaum hatte Olden sie erblickt, so rief er Larsen ans Ruder. Er wies mit der Hand nach der Bake:

»Dort den Anker fallen lassen!«

Dann ging er hinab. Nach einer Weile rasselte der Anker in die Tiefe. Die Mannschaft versammelte sich an Deck; sie wußte, welch' ernster Feier sie jetzt beiwohnen sollte.

Olden trat aus der Kajüte; auf seinem Arm trug er Karins Leichnam, den er in die norwegische Flagge gehüllt und mit allen Blumen, die man zum Empfang der Braut an Bord gebracht, geschmückt hatte. Der im Zenit stehende Mond blickte ins friedliche Antlitz der jungen Frau. Leise sprach Larsen ein Gebet, dann schlang er einen Schleier um das Haupt der Toten und krönte es mit dem Myrtenkranz.

Die Taue knirschten an den Schiffsplanken, die Wellen rauschten auf und still sank die tote Karin hinab zur ewigen Ruh.

Die »Stella Maris« aber lichtete den Anker und segelte dem offenen Meere zu.


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