Helene Nostitz
Rodin
Helene Nostitz

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Ein Tag mit Rodin und Maillol

Eines Tages gab unser Freund Harry Keßler ein Frühstück für Rodin und Maillol in einem von blühenden Akazienbäumen umgebenen Pavillon. In dem Eßzimmer stand nur ein Werk von Rodin und eins von Maillol über Büschen Irisblüten. Die gegenseitige ehrerbietige Anerkennung der beiden großen Künstler verbreitete eine gehobene und lichte Atmosphäre, in der die Gespräche von selber immer umfangreicher und beglückender wurden. Der Duft der Akazienbäume drang herein. Wir zogen dann noch in Rodins Atelier, wo ich Beethoven spielen mußte, dessen Macht besonders stark auf uns wirkte. Rodin war 95 ganz im Zuhören versenkt, während Maillol unauffällig seinen Kopf zeichnete. Dieser Tag hatte alle besten Kräfte gelöst und befreit. Gegen Sonnenuntergang fuhren wir nach Meudon hinauf. Rodin zeigte mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit andere Werke – Bilder und antike Torse, bis Keßler endlich erlösend rief: »Mais ce sont vos œuvres que nous voulons voir, maître.« So nahm er denn aus den Vitrinen einen Entwurf nach dem andern heraus. Über uns aber erhob sich mächtig der Balzac und schien der Menschheit zu drohen, die dieses Werk nicht anerkennen wollte. Unterdessen war die schöne Abendstunde in Meudon gekommen, die Gärten und Bildwerke verklärte. Wir versammelten uns alle unter den hohen Bögen des Museums, die über der Landschaft stehen. Dort saß schon länger müßig und halb verträumt Maillols Frau. Ihre üppige Gestalt mit dem starken schwarzen Haarknoten stammte aus ihrer südfranzösischen Heimat. Sie ist das Urbild aller Frauengestalten Maillols und duldet kein anderes weibliches Modell in seinem Atelier. Rodin betrachtete sie, und als wir danach allein unter den hohen Säulen vor dem Sonnenuntergang standen, fing er an, mit mir über die Mission der Frau zu reden. Die 97 Allbefruchtende, die Allbeglückerin sollte sie sein: »La muse.«

Nur im Zusammenhang mit dem Ganzen konnte er die Frau verstehen, in der Hingabe an das Weltall über den eignen vorgeschriebenen Kreis hinaus. Er kehrt auch immer wieder in seinen Briefen dazu zurück: »Für uns Künstler ist die sanfte Frau die mächtige Vermittlerin Gottes. Sie läßt in ihrer Heiligkeit aus unserem Herzen unsere Kräfte und unseren Genius hervorströmen, damit wir tausendfach ihn in unseren Werken Gestalt gewinnen lassen. Die schone Schale meines Lebens ist gefüllt mit den herrlichsten, leuchtendsten, stolzesten, jungfräulichsten Blumen. Ganz seelisch. Aber ist nicht die große Freude in der Phantasie, und ist es nicht ein Vorzug des Menschen, daß er die Muse erfunden hat, die gewaltige Erweckerin, wie die Beatrice des Dante. Jeder hat in seinem Leben eine Kraft, die ihn behütet.« Wie ich Rodin aus Bayreuth über Brunhilde geschrieben hatte und über ihren von einem Flammenmeer behüteten Schlaf, beschäftigte ihn dieser Gedanke: »Sie haben mir Ihre Eindrücke von Bayreuth wiedergegeben. Ich danke Ihnen, daß Sie zu dem Entwurf, den Sie bei mir gesehen haben, 98 mich um den Namen Brunhilde bitten. Dieses Symbol Brunhilde enthält so viele Dinge. Ist es meine Einbildung, die so einfach die Wahrheit darin erkennt?« Dann kommt wieder seine überquellende Bejahung des Lebens: »Welches Glück, Gott in der Vielgestaltigkeit seiner Schöpfung zu betrachten, selbst in den Blumen, die mir gleichgültig und zu klein erschienen, als ich jung war. Seien wir solcher Erkenntnis dankbar, die auch das Verständnis für die Frau in sich schließt, die die Männer wegen ihrer tierischen Triebe nicht kennen und die gleich den Blumen so tief religiös ist. Der Schmerz der Frau ist fast immer verborgen. Ich möchte ein junges Modell finden, das nur durch seine allzugroße Jugend und Schönheit leidet. Seine ganz neue Seele ahnt und fühlt das Leben.«

Auf unseren vielen Spaziergängen am Meer war unter dem Einfluß von Rodins Phantasie ein kleines Märchen entstanden. »Eine Welle im Meer seufzt und sehnt sich, – sie möchte wirklich leiden und leben. Gott hört ihre Bitte, und auf dem Strande liegt ein weißer Frauenkörper, in den die Welle sich verwandelt hat. Alle Vögel singen. Da tritt der ›Mann des ersten Zeitalters‹ aus dem Wald.

99 Wie Gestirne bewegen sich die beiden Gestalten zueinander und vereinigen sich. Das Meer rauscht. Monate vergehn, da sind die zwei Menschen wieder am Ufer. Die Frau windet sich in dumpfen Qualen. Der Schrei des neuen Menschen erschallt. Der Mann versteht nicht. Die Frau wird von den Wellen fortgespült, und das neugeborne Kind liegt hilflos auf dem Strande. Der Mann steht vor dem ersten Schmerz, den er noch nicht gekannt hat. Schluchzend brechen sich die Wellen.« Rodin schreibt später darüber: »Diese ruhelose Welle, die nach Liebe und Tod hindrängt, ist sie nicht das Symbol des Herzens, sein Pulsschlag? Welches majestätische Bild: Wie Gestirne sich bewegend, nähern sie sich einander. Welche Anregung für mein Werk, diese Frau voller Lieblichkeit, die ihren Schmerz sehen läßt, denn ihr ganzer Torso ist bewegt. Der Künstler sieht die süße Gnade, die uns geschenkt ist. In einer langen Tradition ist das Meisterwerk der Frau und des Kindes begriffen worden in allen Zeiten. Nicht so sehr von den Griechen, bei denen das Kind die Liebe der Venus bedeutet, aber zur Zeit der Ägypter ist die Frau und das Kind von allen Göttinnen und Göttern die größte. Neu belebt durch die christliche Tradition, steht diese Glorie wieder 100 auf in den Madonnen von Perugino und Raphael, strenger in der spanischen Periode des zwölften Jahrhunderts.« Das Leiden der Frau verkörperte für Rodin die tiefe Sehnsucht, die unser aller Erbteil ist.

 


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