Helene Nostitz
Rodin
Helene Nostitz

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Wieder am Meer

Der Tag war voll klarer, unendlicher Helle über dem blauen glitzernden Meer. Vor dem Ausgehn lasen wir auf der Terrasse Lamartine, denn Rodin liebte es, wenn die Eindrücke der Natur durch Lektüre und Musik vorbereitet wurden, wie er auch wohl sagte: »Wenn ich die Primitiven sehe, bilden sie eine Einheit mit dem Leben, das wir hier führen.« Auf den Felsen sammelten junge Männer und Mädchen zum Trocknen ausgelegte Wolle. Wie Tanagra-Figuren bewegten sie sich in ihren drapierten Gewändern von verblichenem Rot. Die Inseln lagen blauschimmernd im Meer, und wir träumten von weiten, gemeinsamen Fahrten. Oft mußte ich Rodin das Gedicht von Baudelaire »Invitation au voyage« vorlesen. An jenem Tage aber sang wiederum im weißen Saal meine Mutter den »Hymnus an die Natur« von Beethoven. Ein Segelschiff fuhr langsam vor der untergehenden Sonne, und Rodin fand seine 58 majestätische Bewegung dem Ausdruck des flammenden Himmels verwandt.

Am nächsten Morgen zogen wir desselben Wegs. Wie weißer Schnee lag die Wolle wieder ausgestreut. Rodin sah heute überall Gestalten. Erst in den knorrigen Bäumen, die am Strande ein Leben voll Kampf gegen die Elemente führten. Da waren solche, die wie schmerzerfüllt eine Zeit lang der Erde folgen mußten, um sich dann wieder in die Luft zu schwingen. Ein anderer hing an einem Felsen; wie eine Flamme wuchs das Grün aus seinem gequälten Stamm. Und immer mehr belebte sich das Gestein. Unter Rodins Augen erstanden griechische Göttergestalten; dort in der Felsenhöhle wurde Andromeda von Perseus befreit; die Meereswogen verwandelten sich in Ungeheuer; bäumende Pferde standen an der Küste, der Schaum spritzte zu ihnen hinauf und erschreckte sie. Und immer mehr beschäftigte den Meister der Gedanke, das Gesehene und Erlebte darzustellen. Aus jener Zeit muß der Einfall zu den Zeichnungen stammen, die er mir später schickte: »Néréide dans la mer« und »Lune Psyché«. Die Nixe liegt wie eine rosaweiße Muschel unter dem zarten Blau der Wellen, die wie ein Schleier sie 59 bedecken. Man hört den Gesang des Meeres, wenn man sie anschaut. Aber mit lässiger, weltumspannender Gebärde träumt die »Lune Psyché« in den weiten Himmeln. Sterne sind ihre Gespielen. Bescheiden schreibt er später darüber: »Wie glücklich bin ich, daß Sie mir die Ehre schenken, einige meiner Zeichnungen auszusuchen. Nur meinen Freunden verdanke ich, daß sie von der Gleichgültigkeit befreit werden, der sie begegnet sind. Ich fürchte so sehr, daß viele Angriffe, die diesen armen Blättern gelten, Ihnen Unannehmlichkeiten verursacht haben.«

Doch unser Weg geht weiter am Meer. Eine weiße Schafherde zieht vorüber wie der Schaum einer Meereswoge und scheint in ein glücklicheres Land zu wandern. Bei Sonnenuntergang dachten wir an Claude Lorrain. Auch für sein Denkmal mußte Rodin kämpfen und konnte es nicht ausführen, wie er es geplant hatte.

An einem anderen sonnigen Morgen spielte ich erst einige Allegros von Beethoven, dann ging es nochmals auf den Monte Nero hinauf. Vor uns schritten wieder die Frauen mit Körben auf dem Haupt. Sie wiegten sich leicht in den Hüften; und ihre wellenhafte Bewegung vor dem Hintergrund der 60 großen Pisaner Ebene und der Carraraberge war wie der musikalische Ausdruck der Landschaft. Rodin schien tiefbewegt. Auf der Höhe wehte stürmischer Wind. Immer wieder sprach Rodin von Beethoven; die Themen der eben gespielten Allegros begleiteten uns. Die Landschaft war immer bläulicher geworden und weiter fortgerückt. Pisa lag gelblich schimmernd im Dunst. Auch Bocca d'Arno, vor der weiten Pineta hellschimmernd, wie das warme Gefühl vor dem Wald der dunklen Reflexion. Das Meer und der Himmel waren eins, wie die große Freundschaft gleichgearteter Seelen, die keinen Horizont kennen, weil die Liebe unendlich ist wie die Ewigkeit. So phantasierte Rodin vor der Landschaft, und mahnte mich wieder, diesen Augenblick festzuhalten. »Ich suche nach meinem Werk, aber ich habe noch nicht den Gedanken gefunden. Die Eingebung ist etwas anderes als das Suchen. Man findet gewöhnlich, wenn man nicht gesucht hat. Die Arbeit steht aber doch hinter jeder Inspiration.« Am Abend besahen wir lange eine Reproduktion von Piero della Francesca. Es zog ihn immer wieder zu diesen frühen Malern, in die er eigentlich erst jetzt sich zu vertiefen begann, wie noch später (bei unserem Florentiner Aufenthalt) 61 in Perugino. Als wir einmal wieder auf den roten Felsen standen, fiel uns ein eigentümlich vom Meer modellierter Stein in die Hände. Ein Stück brach ab, und es schien nun, als wäre eine menschliche Gestalt in weite Falten eingehüllt.

Rodin nahm das Felsstück in die Hand, und wir erkannten den »Balzac«. Die Bewegung des Hauptes, der Schulter, alles war da. Rodin, der aus der großen Natur heraus schaffte und ihr nie entgegen arbeitete, sondern immer ihre wellenhafte Linie zu verfolgen suchte, war stolz darauf, eine Verwandtschaft zwischen diesem kleinen Stein und seinem großen Denkmal zu finden, und er steckte ihn in seinen weiten Mantel.

Das Ende seines ersten Aufenthalts nahte. Noch einmal gingen wir ans Meer; doch war Rodin von bösen Vorahnungen erfüllt. Er habe schlechte Träume gehabt. Er sprach dann wieder über die Form, die er seinen Erlebnissen geben wolle, und die Gestalt der Madonna stieg vor ihm auf. Noch einmal lasen wir am Abend den lieblichen Lamartine, der ihn auch an die Kirche des Monte Nero erinnerte und an die schwebende Ampel im dunklen Raum, und Beethovens Adagios vereinigten uns. Dann fuhr 63 Rodin in die dunkle Nacht hinaus. »C'est la décapitation«, sagte er beim Abschied. Eine italienische Dienerin meinte mit dem gemütvollen Verständnis für kleine Dinge, welches dieses Volk in so hohem Maße besitzt, der Meister würde wiederkommen, denn er hätte seine Pantoffeln vergessen: »tornerà il gran artista«. In einer der Schubladen aber lagen viele Blätter mit Notizen und Skizzen. Bald kam ein Brief, in dem er ausruft: »Ich glaube, ich habe kein Alter mehr, ich verjünge mich feurig, wenn ich an das unsterbliche Meer, an Ardenza denke. Ich brauche dieses Leben dort und unsere Dichter, die ich nicht mehr gehört habe, dieses Leben voll Gesang und Bewunderung der entblößten Sonne. Diese Spaziergänge, die immer gleich, doch voll neuer Ergriffenheiten sind. Schreiben Sie mir darüber.« Und dann am Schluß des Briefes wieder über die Madonna von Monte Nero: »Schicken Sie mir, wenn Sie nach dem Monte Nero fahren, ein Bild, das Sie vor der Kirche kaufen, ein Symbol, das von dieser geliebten kleinen Kirche kommt, deren Ampeln, deren Schatten, deren Betende mir im Gedächtnis bleiben.« 64

 


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