Helene Nostitz
Rodin
Helene Nostitz

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Erste Begegnung

Als ich zum erstenmal Rodin in seinem abgetrennten Pavillon der Pariser Weltausstellung begegnete, war es wohl das große, gewichtige Schweigen um ihn, was mich am stärksten erfaßte. Er stand mit seinem langen Bart, den Kopf gesenkt und betrachtete schweigend eine seiner Plastiken. Noch ging er nicht auf uns zu. Da geschah das Wunder, daß eine neue, lichterfüllte Welt vor seinen Werken sich für mich öffnete, die Wellen meiner 25 Ergriffenheit führten ihn zu mir, und die Sprache fand sich, die bis über den Tod hinaus uns nie verlassen sollte. Wie ich in diesem Frühling vor knospenden Kastanienbäumen diese Zeilen schreibe, ist es mir, als leitete mich seine Hand und bestimmte die Worte, die aus den Gesprächen und Briefen von mir wiedergegeben werden sollen. Denn es verlangte ihn nach dem Verstandenwerden, er sehnte sich nach den Schülern, die seine Werke weiter entwickeln würden, und oft im Gespräch mahnte er mich, das zusammen Erlebte für die Mitwelt darzustellen. Doch an jenem ersten Tag konnte ich in der Fülle der Werke nur einzelne fassen. Bald kehrte ich zurück vor die Gruppe »Frühling und Liebe« und vor den »sterbenden Dichter«, der, wie Viktor Hugo von den tröstenden Musen umgeben, den Tod nur in seiner Schönheit schaut. 26

 


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