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Vorbemerkung

Der vorliegende Roman macht das deutsche Publikum mit einem der kraftvollsten amerikanischen Romanschriftsteller der Gegenwart bekannt, dessen früher Tod der nationalen Literatur der Vereinigten Staaten eine große Hoffnung raubte. – Frank Norris, der Verfasser des » Octopus«, wurde zu Chicago am 5. März 1870 geboren; 1884 kam er mit seinen Eltern nach San Francisco, von da ging er, erst siebzehnjährig, nach Paris, wo er drei Jahre lang in der bekannten Julien-Schule sich der Malerei widmete. Aber schon 1890 kehrte er in seine Heimat zurück und trieb neue allgemeine Studien an der University of California, später an der Harvard University in Cambridge bei Boston, der ältesten und bedeutendsten Universität der Vereinigten Staaten. 1895 begann er in San Francisco seine Laufbahn als Journalist, die ihn als Kriegskorrespondenten nach Südafrika und zwei Jahre später, nach seinem Uebertritt an eine New-Yorker Monatsschrift, Mc Clure's Magazine, nach Kuba führte. Im Jahre 1900 gab er seinen Redakteurposten auf und wurde Lektor der Verlagsfirma Doubleday, Page & Co. in New-York. In dieser Stellung blieb er bis zu seinem Tod, der im Jahre 1902 in Kalifornien erfolgte, wohin er sich mit seiner Frau und seinem sieben Monate alten Töchterchen zwei Monate zuvor begeben hatte.

In der kurzen Frist, die seinem Schaffen gegönnt war, hat Norris neben seiner journalistischen Berufsarbeit eine starke künstlerische Produktivität entfaltet; schon 1890 erschien sein Erstlingswerk, ein kleines Epos » Yvernelle«, in den Universitätsjahren veröffentlichte er Gedichte und kleine Erzählungen und entwarf den Roman » Mc Teague«, der dann erst im Herbst 1895 innerhalb sechs Wochen niedergeschrieben wurde. 1897 erschien der biographische Roman » Blix«, 1899 » A man's woman«; im Frühjahr 1900 begann er sein großes Hauptwerk, das auf drei Teile geplante » Epos des Weizens«, dessen erster Teil, der »Octopus« schon im Herbst des gleichen Jahres vollendet und 1901 veröffentlicht wurde; den zweiten Teil, » The Pit«, schrieb er nach mehrmonatigen intensiven Vorarbeiten vom Herbst 1901 bis Frühling 1902 nieder. Vom dritten Teil, » The Wolf«, ist nur ein Entwurf vorhanden; ehe Norris die Ausarbeitung beginnen konnte, nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand.

Aber schon der Torso der Trilogie, den wir in den beiden ersten, zum Abschluß gelangten Romanen besitzen, ist ein würdiges Denkmal für den Autor, ein beredtes Zeugnis für seine große Begabung, die gewiß noch Höheres geleistet haben würde, hätte das Schicksal ihr Zeit zur vollen Entwicklung gegönnt. Den Hauptinhalt der drei Werke »vom Weizen« hat Norris selbst in einer kurzen Vorbemerkung (siehe S. 7 f.) mit wenigen Worten angegeben. Dem Leser muß es überlassen bleiben, selber ganz die Darstellungskraft, die Lebensfülle zu empfinden und zu ermessen, die in dem großangelegten Gemälde zusammengedrängt ist, das sein Schöpfer mit der knappen Notiz umschrieben, es solle »den Kampf zwischen Weizenbauer und Eisenbahntrust« schildern. Hier sei, um den Standpunkt zu bezeichnen, von dem aus das Werk betrachtet und gewürdigt werden will, nur darauf hingewiesen, daß der »Octopus«, gleich den meisten Werken Zolas, in erster Linie ein sozialer Roman ist, dessen »Helden«, genau genommen, nicht einzelne Menschen, sondern bestimmte Gesellschaftsschichten und Faktoren des politisch-wirtschaftlichen Lebens sind und dessen Handlung durch eines der schwersten wirtschaftlichen Probleme, das Verhältnis zwischen den Produzenten und denen, die das Produzierte an die Konsumenten vermitteln, bestimmt wird. Das klingt abstrakt; aber der Dichter hat die scheinbar abstrakte Idee, die doch aus dem unmittelbarsten Leben des Tages erwächst, wieder völlig zu lebendiger Anschaulichkeit plastisch gestaltet. Denn die beiden im Kampf liegenden wirtschaftlichen Faktoren führt er uns in einer vielköpfigen Schar einzelner Menschen verkörpert vor, Menschen, mit denen zu hoffen und zu arbeiten, zu kämpfen und zu verzweifeln er uns zwingt, Menschen, von denen jeder einzelne sein eignes Gesicht, seine eigne Sprache und sein eignes Herz hat. Weiche Träumer und brutale Draufgänger, beschauliche Naturen und tatfrohe Arbeiter, feingebildete Männer und harmlos schlichte Gesellen, Frauen von allerlei Stand und Art, unschuldige Kinder, die im Kampf der Erwachsenen mit zu Boden gestampft werden. In voller Wirklichkeit, wie diese Menschen selbst, sehen wir ihr Tagewerk und ihr Arbeiten für die Zukunft, vor allem aber auch die Natur, die sie umgibt. In den Naturschilderungen entfaltet der Dichter ein Gefühl, dessen Intensität uns an seinen Landsmann Thoreau erinnert, und eine Kunst der Farbengebung und Perspektive, die es uns begreiflich macht, daß er sich zum Maler berufen glauben konnte. Besonders aber tritt in seinen Naturgemälden auch ein großartiger Zug zum Symbolischen hervor; hier verrät sich am deutlichsten, wieviel Norris von Zola gelernt hat, aber nicht als Nachahmer, sondern als Künstler von verwandter Art und gleich hohem Streben. – Daß so viel Reichtum des Könnens und Gestaltens Raum braucht, sich zu entfalten, ist wohl selbstverständlich; auch in den mächtigen äußeren Dimensionen erinnert der »Octopus« an Werke Zolas und der großen Meister des russischen Romans. Und gleich diesen weist auch das Kolossalgemälde des Amerikaners keine leere Stelle, keinen toten Fleck auf. Jeder wahrhaft Empfängliche wird sich der künstlerischen Kraft, die hier zu ihm spricht, willig hingeben, das Stück Leben einer großen, zukunftreichen Nation, das sich vor ihm auftut, miterleben, gebannt durch den Zauber, der von diesem, wie von jedem starken Kunstwerk ausströmt.


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