Richard Nordhausen
Das Gespenst
Richard Nordhausen

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VI.

Nun rauschten und brausten in den mächtigen Fabrikgebäuden hinter der Villa Lasser die Maschinen wieder, dröhnten und klapperten rastlos vom frühen Morgen bis in die Sommernacht hinein, als hätten sie viel Versäumtes nachzuholen. Aber im Hause selber blieb es stumm. Der Vater hatte seine Verbindung mit Fräulein Minden gelöst; waren ihm doch handgreifliche Beweise dafür geliefert worden, daß sie ihn betrogen und verhöhnt hatte in jenen düsteren Jahren, die er längst begraben wähnte und deren Schatten nun wieder unheilbringend aufstiegen. Seinem Schwiegersohne gegenüber war er ein ganz anderer geworden. Es gab kein vertrauliches Wort mehr zwischen beiden; ihr Verkehr beschränkte sich auf die Geschäftsstunden, und ihre Unterhaltungen drehten sich allein um Gegenstände, die die Fabrik betrafen. Lasser hatte die Machtvollkommenheiten Martiensens dazu so beschnitten, daß dem Jüngeren keine Gelegenheit mehr geboten war, selbständig zu wirken, und Heinrich, den dies Mißtrauen um so tiefer kränkte, als er wohl fühlte, daß es verdient war, tat trotzig nichts, den alten Herrn versöhnlicher zu stimmen. Der hauste nun im zweiten Stockwerk der Villa, das er nach dem Streik für sich hatte einrichten lassen, und blieb tagelang allein in seiner Einsamkeit. Der stolze, selbstbewußte und lebensfrohe Mann war aus gewohnten Gleisen so weit hinausgeschleudert, so tief gedemütigt worden, daß er sich nur langsam wieder fand. Unerträglicher Druck lastete auf dem Hause, und mit jedem Tage ward die Entfremdung zwischen den einzelnen Gliedern der Familie größer. Marianne hatte sich daran gewöhnt, ihren Mann mit gleichgültigen, ja feindseligen Blicken zu betrachten, und Heinrich, der in seiner ohnehin gereizten Stimmung ihre Lieblosigkeit doppelt empfand, vergalt Gleiches mit Gleichem. Die junge Frau dachte nicht daran, wie unrecht und verkehrt sie handelte, versenkte sich viel mehr immer tiefer in ihre gefährlichen Lieblingsträume, in süßselige Erinnerungen, und immer glänzender trat das lichtumwobene Bild des Jugendgespielen vor sie hin. Das Geheimnis, worin er sich hüllte, die Wucht, mit der er gleichsam aus den Wolken seine vernichtenden Schläge geführt hatte, fesselten ihre Einbildungskraft mit magischer Gewalt, erhitzten ihre Leidenschaft für den Verschollenen und doch so Nahen zur Weißglut. Sie sann auf Mittel und Wege, ihm zu begegnen. Sie schrieb wiederholt an ihn, obwohl er nie, sei es auch nur durch ein Zeichen, antwortete; sie wagte es einmal sogar, durch die Straßen, worin er wohnte, zu schlendern – ohne ihm zu begegnen. Und weil sie wußte, daß diese neuerwachte, täglich wachsende, törichte Liebe ein Verbrechen war, das sie ängstlich vor den Augen ihrer Angehörigen verbergen mußte, ward ihr Haß und ihr Grimm wider sie immer wilder. Nur mühsam hielt sie an sich, ihnen nicht in wütenden, flammenden Worten vorzuwerfen, was sie an ihr gesündigt hatten, sie offen verantwortlich zu machen für die Katastrophe, die im Anzug war, wie ein Gewitter niedergehen mußte über dies Haus des Unglücks und des Unfriedens. Mehr als einmal war sie entschlossen, vor den Vater zu treten und Befreiung aus den quälenden Verhältnissen zu verlangen. Der Gedanke einer Scheidung von Heinrich beschäftigte sie unablässig. Sie wußte wohl, daß er sie trotz alledem zärtlich liebte, in seiner Art, aber sie wußte auch, daß er einer Lösung ihrer Ehe keine unübersteiglichen Hindernisse in den Weg legen würde.

In der Frühe eines goldenen Sonnentages saß sie, wie das ihre Gewohnheit geworden war, verträumt am Fenster, dann und wann einen flüchtigen Blick auf den Vater werfend, der um diese Stunde seinen Morgenspaziergang im Garten machte. Es setzte sie einigermaßen in Erstaunen, daß er plötzlich unter ihrem Fenster stehen blieb, hinaufgrüßte und winkte. Sie bequemte sich dazu, ihm einen guten Tag zu bieten.

»Komm einmal herunter, Mieze«, sagte er dann. »Ich habe etwas mit dir zu besprechen – etwas Wichtiges.« Für sie gab es in allen diesen Tagen nur ein Ding von Wichtigkeit, und als sie seine Worte hörte, wußte sie, daß es sich nur um dies eine handeln konnte. Nach wenigen Minuten war sie im Garten und ging an seiner Seite.

»Ich habe heute nacht einen seltsamen Traum gehabt«, begann er, mit seinem Spazierstock Kreise in den Kies zeichnend. »Reinhold war drüben in der Fabrik, jung und frisch wie ehemals. Das heißt, ein fremder Reinhold, ein Doppelgänger. Der eigentliche blieb draußen, lief vorm Tor auf und ab, wagte sich aber nicht hinein. Ein närrischer Traum.«

»Ja, ja«, erwiderte sie stockend. Es wunderte sie, daß er den verhaßten Namen so ohne jedes Zeichen des Widerwillens aussprach.

Konrad schwieg eine Weile, und sie hörten beide das leise Summen des Morgenwindes, den frohen Jubel der Finken im Gezweig.

»Wir richten uns zugrund' auf diese Weise, Mieze,« sagte der Vater. »Es wird täglich dunkler und unheimlicher hier; es steht jemand zwischen uns und nimmt uns Luft und Licht. Vielleicht beschwören wir das Gespenst, wenn wir es mutig beim Namen nennen. Und ich will meine Tage nicht in Haß beschließen. Ich habe mir mein Alter anders gedacht, Mieze.«

Sie öffnete die Augen weit und schloß sie, wie trunken vor Glück und zitterndem Hoffen. »Wie denn, Papa?«

»Du weißt, wo er wohnt – nicht wahr?«

Sie nickte nur.

»Daß es so gekommen ist, Kind, glaube mir, ich trage keine Schuld daran. Wenigstens keine Schuld, die ich bewußt auf mich genommen hätte. Es war mein Lieblingswunsch und auch der deines seligen Onkels, daß Reinhold und du –«

»Laß das, laß das!« unterbrach sie ihn hastig, purpurrot im Gesicht. In diesem Augenblick deuchte es sie eine Entweihung, daß andere als sie selbst dem wonnigen Gedanken nachhängen wollten. »Solche Wünsche sind jetzt etwas deplaziert, Papa – und du hast mich ja auch so recht gut verheiratet.« Die höhnische Bitterkeit ihres Tones entging ihm nicht, aber er tat, als hätte er sie überhört.

»Ich will mit Reinhold sprechen,« sagte er langsam, vor einer prachtvollen Buche stehen bleibend und mit dem Finger die Buchstaben nachziehend, die in den Stamm gegraben waren. »M und R, zierlich verschlungen – er hatte viel Geschick für solche Spielereien. Ja. Ich glaube, er wird die Schule des Lebens drüben hinreichend durchgemacht und wird ausgetobt haben, Mieze. Es ist doch gut, daß wir uns mit ihm versöhnen, ehe ich sterben gehe. Ich will zu ihm.«

»Er ist stolz und unbeugsam, Papa – und gerade jetzt, wo er so tief im Elend ist, wird er dich nicht sehen wollen. Laß es mich vermitteln, liebster Papa – ach bitte.«

»Du weißt, wo er sich aufhält? Du willst ihm schreiben – gut, schreib' ihm, daß er kommen möge.«

Sie hütete sich wohl, zu sagen, daß sie ihn bereits drei-, viermal eingeladen hatte, und daß er trotzdem nicht gekommen war. Sie hatte bereits einen Plan fertig, einen kühnen Überrumpelungsplan. »Ja, ich will ihm noch heute schreiben.« Plötzlich senkte sie das Haupt. »Und Heinrich?« preßte sie scheu hervor.

»Heinrich, Heinrich – was geht mich Heinrich an!« grollte Lasser. »Sie werden sich vertragen müssen. Ich hab's satt. Bin ich erst einmal tot, braucht er doch jemanden, der ihn leitet. Und es ist mir zu unheimlich in diesem Hause, so still, so ... Er wird Unruhe mitbringen, paß auf. Er wird die Fabrik groß machen, ja, ja. Was geht mich Heinrich an!«

»Aber mich, Papa, aber mich –«

»Dich?« Und von dem Klang ihrer Stimme seltsam berührt, trat er ihr einen kleinen Schritt näher. »Aber Marianne, du wirst doch nicht etwa –«

Und da warf sie sich aufschluchzend in seine Arme, und ihr Mund, den sie dicht an sein Herz gepreßt hatte, flüsterte: »Ich liebe ihn, Vater, ich liebe ihn noch – immer werd' ich ihn lieben und hab' ihn immer geliebt ... o mein Gott –«


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