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5. Der Freischütz.

(1817-1821)

 

Der »Freischütz« ist Weber und hat seinen Namen in die Unsterblichkeit hinübergetragen. Er stellt eine ganze Seite unseres deutschen Wesens dar, uralt wie wir selbst und mächtig wie unsere Geschichte, die Geschichte unseres Geisteslebens. Will man ihn ganz verstehen, so muß man mit Herz und Sinnen in den Zauber der romantischen Welt zu dringen trachten, aus der er entstanden ist und seine unerhörte Wirkung auf alles was Volk und Leben heißt gewonnen hat. Einer hat es vor allen anderen vermocht, uns diesen Eigenzauber des Freischützen auch durch das bloße Wort nahe zu bringen. Aber dieser Eine ist auch der Aechteste und Größte, der ihn für sich ergriffen und nach seiner vollen Macht und seiner inneren Wahrheit zur Wirkung gebracht hat: Richard Wagner. Ihm folgen wir zunächst hier und zwar in der Darstellung der Freischützsage, wie er sie im Jahre 1841 vor der Aufführung des Werkes dem »Pariser Publikum«, also einer sehr unromantischen Zuhörerschaft gab.

Inmitten der böhmischen Wälder, so alt wie die Welt, erzählt er, liegt die Wolfsschlucht, von welcher die Sage sich bis zum dreißigjährigen Kriege, der die letzten Spuren alter deutscher Herrlichkeit zertrümmerte, lebendig erhielt, nun aber wie so vieles ahnungsvolle Gedenken im Volke erstarb. Schon damals kannten die meisten die geheimnisvolle Schlucht nur vom Hörensagen. Es hieß nämlich, dieser oder jener Jäger sei einmal durch wilde Waldeseinöden auf unbekannten Pfaden und in unbestimmbarer Richtung irrend, ohne zu wissen wie, an den Saum der Wolfsschlucht gerathen. Dieser erzählte dann grauenvolle Dinge, die er dort hinabblickend gewahrt, vor denen sich der Zuhörer bekreuzte und den Heiligen zum Schutze gegen Verirrung in jene Gegend empfahl. Schon beim Herannahen hatte der Jäger ein seltsames Geräusch vernommen; dumpfes Aechzen und Stöhnen durchwehte bei voller Windstille das breite Geäst der alten Tannen, welche von selbst ihre schwarzen Häupter hin und her bewegten. Am Saume angelangt blickte er dann in einen Abgrund, auf dessen Tiefe sein Auge nicht dringen konnte: Felsenriffe ragten da empor in der Gestalt menschlicher Glieder und scheußlich verzerrter Gesichter, daneben Haufen schwarzer Steine von der Form riesiger Kröten und Eidechsen, in größerer Tiefe schienen diese Steine lebendig, sie bewegten sich, krochen und rollten in schweren wüsten Massen dahin, der Boden unter ihnen war aber nicht mehr zu unterscheiden. Nur fahle Nebel stiegen unaufhörlich von dort herauf und verbreiteten Pestgestank. Hie und da zertheilten sich diese und entfalteten sich in breiten Streifen, welche die Form menschlicher Wesen mit krampfhaft verzerrten Gesichtszügen annahmen. Inmitten aller dieser Gräuel saß auf einem faulen Baumstamme eine ungeheure Eule in der Tagesruhe erstarrt; ihr gegenüber ein dunkles Felsenthor, dessen Eingang zwei aus Schlange, Kröte und Eidechse grauenhaft gebildete Ungeheuer bewachten. Diese wie alles von scheinbarem Leben Beseelte, was der Abgrund barg, lagen wie im Todesschlafe, und was sich zu bewegen schien, dünkte nur die Bewegung des tief Träumenden, so daß es dem Jäger schrecklich ahnte, daß all dieses Gezücht wohl erst um Mitternacht sich beleben möchte.

Aber mehr noch als das was er sah, erfüllte ihn was er hörte mit Grausen. Ein Sturmwind, der nichts bewegte und dessen Wehen er selbst nicht fühlte, heulte über die Schlucht dahin, hielt plötzlich wie sich selbst belauschend inne, um in verstärkter Wuth wieder loszubrechen. Gräßliche Klagelaute drangen dann von unten herauf, dann entschwebte dem Schlunde der Tiefe ein unzähliger Schwarm krächzender Raubvögel, erhob sich wie eine schwarze Decke über der Schlucht und senkte sich so in die Nacht zurück. Ihr Gekreisch klang dem Jäger wie das Stöhnen Verdammter und zerriß sein Herz mit nie empfundenem Schmerz. Nie hatte er solchen Schrei gehört, gegen den das Gekrächze der Raben ihm Nachtigallengesang dünkte. Und nun wieder – schwieg alles, jede Bewegung erstarrte. Nur im tiefen Grunde schien es schwer zu kriechen und die Eule schlug wie im Traume einmal mit den Flügeln.

Der unerschrockenste, mit dem nächtlichen Waldesgrausen wohlbekannte Jäger floh, von unsäglicher Angst getrieben, wie ein gescheuchtes Reh von dannen, und ohne auf Pfade zu achten, rannte er auf das Gerathewohl dein ersten Weiler, der ersten Hütte zu, um nur einem menschlichen Wesen zu begegnen, dem er das grauenhaft Erlebte erzählen konnte, das in Worte zu fassen ihm doch nie gelingen wollte. Wie vor dieser Erscheinung sich bewahren?

Glücklich der Jüngling, der im Herzen eine fromme treue Liebe trägt: sie allein vermag jenes Grauen, dem er sich verfallen dünkt, zu verscheuchen. Ist nicht die Geliebte sein Schutzgeist, der Gnadenengel, der ihm überall folgt, in ihm strahlt und über sein ganzes innere Leben Frieden und Heiterkeit verbreitet? Seitdem er liebt, ist er nicht mehr der rauhe unerbittliche Jäger, der beim Abschlachten des Wildes sich am Blute berauschte: sein Mädchen hat ihn das Göttliche der Schöpfung zu erkennen und die geheimnisvoll aus der Waldesstille zu ihm redenden Stimmen zu vernehmen gelehrt. Jetzt fühlt er sich oft vom Mitleid ergriffen, wenn leicht und zierlich das Reh durch die Gebüsche hüpft, dann erfüllt er mit widerwilligem Zagen seine Berufspflicht und er kann weinen, wenn er die Thräne im Auge des gemordeten edlen Wildes zu seinen Füßen gewahrt.

Und doch muß er das rauhe Waidwerk lieben. Denn seiner Geschicklichkeit als Jäger und Tüchtigkeit als Schütze verdankt er es, um der Geliebten Hand werben zu dürfen. Die Tochter des Försters kann nur dem Nachfolger des Vaters im Amte angehören: um sich die Erbförsterei zu erwerben, muß ihm aber am Hochzeitstage der »Probeschuß« glücken. Erweist er sich da nicht als sicher treffender Schütze, verfehlt er das Ziel, so verlor er mit der Försterei die Braut. Nun hat er sich zu stählen, hart und fest muß ihm das Herz stehen, soll ihm der Blick nicht schwanken, die Hand nicht beben.

Doch je näher die Entscheidung heranrückt, um so feindseliger scheint ihm das Glück zu werden. Bis dahin der geschickteste Schütze geschieht es ihm jetzt oft, daß er tagelang die Wälder durchstreift, ohne die mindeste Beute heimbringen zu können. Welcher Unstern verfolgt ihn? Wäre es das Mitleid mit dem ihm so zutraulich gewordenen Wilde des Waldes, was ihm Auge und Hand schwächt, warum schießt er denn fehl, wenn er auf einen jener Raubvögel zielt, für die er in keiner Weise Mitgefühl hat? Warum gar verfehlt er das Ziel beim Scheibenschießen, wenn es gilt, der Geliebten ein gewonnenes Band heimzubringen, um ihr die bange Sorge zu verscheuchen? Der alte Förster schüttelt den Kopf, die Besorgnis der Braut wächst mit jedem Tage, unser Jäger schleicht durch die Wälder, finsteren Gedanken preisgegeben. Er sinnt seinem Mißgeschicke nach und will es ergründen. Da dämmert in ihm die Erinnerung an den Tag auf, als sein Verhängnis ihn an den Saum der Wolfsschlucht führte: das stöhnende Aechzen in den Tannenzweigen, das scheußliche Gekrächze des nächtlichen Vogelschwarms will ihm von neuem die Sinne verwirren. Er glaubt sich einer höllischen Macht verfallen, die, eifersüchtig auf sein Glück, ihm Verderben geschworen. Alles was er vom »wilden Jäger« und seiner Jagd gehört, kommt ihm jetzt in den Sinn. Dies war ein höllisches Durcheinander von Jägern, Pferden, Hunden und Hirschen, das in ungesegneter Zeit um Mitternacht über die Wälder dahinzog. Wehe dem, der auf dem Wege sich befand! Das menschliche Herz war zu schwach, dem Eindrucke dieses Getöses von Waffengeklirre, schrecklichem Waidgebrüll, Hörnerrufen, Hundegebell und Pferdegewieher zu widerstehen: wer der »wilden Jagd« begegnet war, starb fast immer kurze Zeit darauf. Der junge Jäger entsann sich auch, von dem Anführer der luftigen Meute gehört zu haben: ein zur Hölle verdammter gottloser Jagdfürst, der nun als böser Geist »Samiel« darauf auszieht, unter getreuen Jägern für seine nächtlichen Fahrten anzuwerben. Zwar verlacht sein Jagdgeselle, wenn unser Jüngling hierüber mit ihm verkehrt, die Sage vom wilden Jäger als eine Alfanzerei. Doch gerade dieser wilde tückische Bursch ist es, der ihm selbst ein ahnungsvolles Grauen erweckt. In der That ist dieser schon von Samiel geworben: er weiß von geheimen Mitteln, von magischen Einwirkungen, dank deren man seines Schusses gewiß werden könne. Dieser sagte ihm, wenn man um eine gewisse Stunde an einem bestimmten Orte sich einstelle, könne man durch leicht vorgenommene Beschwörungen Geister bannen und sich dienstpflichtig machen; wolle er ihm hierbei folgen, so verspreche er ihm Kugeln, die das fernste Ziel nach Willkür treffen: dies seien »Freikugeln« und wer sie gebrauche, sei ein »Freischütz«.

Starr verwundert hatte der Jüngling gelauscht. Sollte er nicht an die Einwirkung unsichtbarer Geister glauben, wenn er bedachte, wie er, früher der beste Schütze, seiner Büchse, die bis dahin nie seinem Augenziele versagt hatte, jetzt nicht mehr vertrauen durfte? Schon ist der Friede seiner Seele getrübt, in ihm schwanken Glauben und Hoffen. Der Tag der Entscheidung naht, sein Schicksal, sonst in seiner Hand, ist feindlichen Mächten anheimgefallen: sie muß er mit ihren eigenen Waffen besiegen. Es ist entschlossen. Wo soll er sich zum Kugelgießen einfinden? In der Wolfsschlucht! – In der Wolfsschlucht? Um Mitternacht? Die Haare sträuben sich ihm, denn jetzt begreift er alles. Er weiß aber auch, daß ihm kein Ausweg bleibt, die Hölle hat ihn doch gewonnen, gewinnt er nicht morgen die Braut. Ihr entsagen? Unmöglich! Nur sein Muth kann ihn retten und Muth hat er. So sagt er zu. Noch einmal kehrt er am späten Abend im Försterhause ein, bleich, mit düsterem Glanz im Auge tritt er zur Geliebten. Der Anblick des frommen reinen Mädchens beruhigt ihn heute nicht mehr, ihr Gottvertrauen weht ihn wie Hohn an: wer hilft ihm die Braut zu gewinnen? Sanft zittert das Laub um das einsame Haus, die Gespielin sucht das bekümmerte Paar zu erheitern, er starrt wild brütend in die Nacht hinaus. Die Geliebte umschlingt ihn, ihr zartes Flüstern wird ihm von dem grausigen Aechzen in jenen schwarzen Tannen übertäubt, das er immer wieder vernimmt, das ihn wie mit der Stimme der Todesangst im eigenen Herzen zu sich ruft. Da reißt er sich aus den Armen der furchtbar bangenden Braut, sie zu besitzen ist er bereit das Heil seiner Seele daran zu wagen.

So stürmt er hinaus, mit wunderbarer Sicherheit hält er die ungekannte Richtung ein, ihm scheint sich der Pfad zu erhellen, der ihn dahin führt, an die Schlucht des Grausens, wo sein Gefährte das finstere Werk schon vorbereitet hat. Vergebens erscheint ihm der warnende Geist seiner Mutter: das Bild der Braut, die er morgen verlieren muß, wenn er jetzt schwankt, treibt ihn vorwärts, er steigt in die Schlucht hinab und tritt in den Kreis des Höllenbeschwörers. Und die Hölle gehorcht: was dem Jüngling damals ahnte, als er der Schlucht am Tage nahte, jetzt erfüllt es sich um Mitternacht. Alles erwacht aus dem Todesschlafe, alles belebt sich, wirbelt und reckt sich, das Geheul wird zum Gebrüll, das Stöhnen zum Tosen, tausend Fratzen umgrinsen den Zauberkreis. Hier heißt es: nicht weichen, sonst sind wir verloren! Da braust die wilde Jagd über seinem Haupte dahin, ihm schwinden die Sinne, bewußtlos stürzt er zu Boden. Wie er wieder erwachte?

In dieser Nacht wurden sieben Freikugeln gegossen: sechs von ihnen treffen unfehlbar jedes beliebige Ziel, die siebente aber gehört dem, der jene sechs segnete und diese nun lenken wird, wie ihm beliebt (»Sechse treffen, sieben äffen«). Die beiden Schützen theilen: drei dem Kugelgießer, vier dem Brautwerber. Der Fürst ist zur Anordnung des Probeschusses eingetroffen. Im Wetteifer um seine Gunst vergeuden die Freischützen beim vorausgehenden Lustjagen ihre Kugeln. Es ist die siebente, welche der Bräutigam, der jetzt wieder stets fehlt, sich zum entscheidenden letzten Schusse aufhebt. Für diesen wird ihm eine gerade aufflatternde weiße Taube als Ziel angewiesen: er drückt ab, und seine Geliebte, die soeben von den Brautjungfern geleitet durch die Gebüsche sich zudrängt, liegt getroffen in ihrem Blute. Samiel hat sich bezahlt gemacht. Wird er den jungen Jäger für seine wilde Jagd erworben haben, den jetzt die Nacht des Wahnsinns umfaßt? –

Soweit Wagner. Ist es möglich, die besondere Eigenart, den Charakter und die ganze Poesie, die Webers Werk hat und die es zum Liebling jedes Volkes der Welt machen, uns deutlicher zu vergegenwärtigen? Wie wir den romantisch gesinnten Weber kennen, mußte ihn die Sage namenlos fesseln und all seine inneren Geister in Bewegung setzen. »Das Sujet ist trefflich, schauerlich und interessant,« schreibt er am 19. Februar 1817. Aber nach der ganzen wohlmeinenden Anschauung jener Tage, besonders in der Oper, ward der Abschluß der Katastrophe »glücklich« gemacht, das heißt die gleiche Kugel trifft Kaspar, den Waidgesellen, und Max wird vom Eremiten zu einem Probejahre begnadigt, worauf er die genesene Braut als Erbförster heimführen darf. War so zum Schlusse der tragischen Macht der Sage die Spitze abgebrochen und unser innerer Antheil an derselben auf Null zurückgeführt, so blieb doch der dämonische Charakter des Ganzen bestehen, und auf seinem dunklen Hintergrunde, den er mit harmonischen und rhythmischen Mitteln vortrefflich wiederzugeben verstand, malte der Künstler die schöne Gestalt vertrauender Liebe und der ewig versöhnenden Güte, die in seinen Melodien liegt.

Die äußere Geschichte des Werkes ist bald erzählt.

Weber war im Jahre 1817 nach Dresden berufen worden, um dort als Capellmeister eine deutsche Oper zu begründen. Die Aufgabe erschien ihm um so bedeutungs- und ehrenvoller, als bisher an diesem katholischen Hofe in Kunst und Gesellschaft alles italienisch geartet und nur der tiefinnen erwachende nationale Geist es war, der jene Forderung auch hier stellte. »Die Herren Italiener lassen natürlich Himmel und Hölle los, um mich und die ganze deutsche Oper zu vertreiben, sie finden aber an mir einen harten Klotz,« muß er schon in den Januartagen schreiben. Und wirklich setzten vor allem seine Begeisterung, Energie und Zähigkeit es durch, ein solches Unternehmen zu begründen, das wie in den 1770er Jahren der deutsche Gluck für die Grand' opéra in Paris es gethan, einen wirklichen Bestand auch in unsere musikalisch-dramatische Kunst brachte. »Die Italiener und Franzosen haben sich eine Operngestalt geformt, in der sie sich befriedigt hin und her bewegen, nicht so der Deutsche,« schrieb er selbst an die »kunstliebenden Bewohner Dresdens«. »Ihm ist es rein eigenthümlich, das Vorzügliche aller Uebrigen an sich zu ziehen. Aber er greift alles tiefer. Wo bei den anderen Nationen es meist auf die Sinnenlust einzelner Momente abgesehen ist, will er ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, in dem alle Theile sich zum schönen Ganzen runden und einen.« Die Italiener hingen von ihrem »schönen Gesang« ab, den Franzosen ging ihr »Chantez! Dansez!«. ihr Chor-Ballet über alles. Weber war also unverdrossen darauf bedacht, jene höhere Einheit von Handlung, Wort und Musik anzubahnen, die mit der Zeit der deutschen Oper den Sieg verschafft hat.

»Im Anfang war die That,« hieß es jedoch auch hier, und was konnte ihn mehr entzücken und beseelen, als daß er nun hier in Dresden auch den Poeten fand, der ihm zu einer Operndichtung in dem Style, wie er ihm im Sinne lag, die Hand bot: es war Friedrich Kind, und der Stoff der Dichtung jener Freischütz, den er schon 1810 auf dem Stift Neuburg bei Heidelberg in Apels Gespensterbuch gefunden und der ihn schon damals gerade mit seiner deutschen Waldesart sosehr ins Herz getroffen hatte. Trotz mancher Albernheiten und Uebertreibungen ist in Kinds Dichtung der Geist der deutschen Romantik so vortrefflich wie kaum anderswo wiedergegeben. Wir besitzen zum Glück auch Webers eigene Bekenntnisse über die tiefinnerliche Art, wie ihn dieser Stoff, damals noch die »Jägersbraut« genannt, gefangen nahm und festhielt. Er hatte sein tieferwachtes Gefühl für heimische Art berührt, und dieses Gefühl war jetzt nicht mehr eines neben anderen, es war sein Leben und Sein, der Haft aller übrigen Empfindungen und Anschauungen, und die Melodien quollen ihm hier, wie er selbst sagt, förmlich entgegen.

»Ich muß heute mit einem schweren Bekenntnisse zu dir kommen, welches du wohl nie von deinem Carl erwartet hättest, und doch befiehlt mir meiner eigenen Ruhe wegen mein ehrliebendes Gefühl, dir alles zu entdecken,« schreibt er im Mai 1817 neckisch heiter an seine etwas eifersüchtige geliebte Braut, die in Prag an der Bühne angestellt blieb. »Ja liebe Lina, ich kann es nicht länger verbergen, daß mich seit ein paar Tagen eine andere unwiderstehliche Neigung abgehalten hat, dir zu schreiben. Ein Mädchen, dessen Liebreiz ich dir hier nicht zu erzählen im Stande bin, hat mich ganz gefesselt und mit zwei Worten sei es gesagt, sie ist sogar meine Braut. Doppelt frevelhaft erscheint dieses Vergehen, weil sie auch die Braut eines anderen ist. Allein dies alles hilft nicht nur nichts, sondern kettet mich unbegreiflicherweise nur noch fester an sie. Ja, ich muß dir alles entdecken. Nur sie lebt in meiner Phantasie, jeden Augenblick schwebt ihr Bild mir vor. Mit glühender Liebe umfasse ich sie, und auch ihre Gegenliebe scheint mir gewiß, denn sie geht mit mir schlafen und verläßt mich keinen Augenblick. Ja sie hat ihres Vaters Haus verlassen, um mir ganz anzugehören. Giebt es größere Beweise von Liebe? Ich erkenne es aber auch an. In ihrer Blöße ist sie zu mir gekommen, ich will sie mit meinem Herzblut nähren und kleiden mit dem Besten, was ich habe. Sie hat eine unwiderstehliche Neigung zum Theater und ich will ihr dazu verhelfen, obwohl ich alle Gefahren kenne, die ihr da drohen. O meine geliebte Agathe, wirst du mir treu bleiben? rufe ich oft aus.«

»Du kennst nun meine ganze Schuld,« schließt er, »richte aber verdamme mich nicht. Wer kann für sein Gefühl! Und wenn sie mich ganz umfangen hält, kann ich dann Briefe schreiben? – Ja es ist wahr, Liebe, die verdammte Jägersbraut spukt mir recht im Kopfe, und wie es mir immer geht, wenn ich so eine Riesenarbeit vor mir sehe, so verliere ich anfangs allen Muth und verzweifle fast daran, es zu Stande zu bringen. Es geht aber dann doch immer am Ende und diese so oft bewährte Erfahrung tröstet mich. Die Oper ist wirklich vortrefflich geworden durch die neue Bearbeitung, und nun glaube ich, daß in dieser Gattung noch keine exisirt. Gott gebe seinen Segen dazu, es sind entsetzliche Aufgaben darin und mein Kopf wird mir oft brummen.« Caroline selbst, seine »Volksgalerie mit zwei Augen«, hatte sehr vortheilhafte Aenderungen mit der Dichtung vorgeschlagen. »Mitten hinein ins Volksleben mit dem Beginne der Volksoper, lasse sie mit der Scene vor der Waldschenke beginnen,« war ihr Entscheid gewesen.

Weber selbst hatte von Graf Brühl, dem Intendanten des Berliner Theaters, berichtet: »Als er hörte, daß ich eine Oper schreibe, nahm er den Hut ab und ich mußte ihm versprechen, sie selbst in Berlin aufzuführen.« Dies beflügelte seine Geister doppelt, und nicht lange, so war der erste Act des Werkes entworfen, ehe nur eine Note aufgeschrieben war. »Ich glaube, daß sich besonders viel Liebliches darin entwickelt, was dann im Contrast zu dem Schauerlichen desto wohlthätigere Wirkung thun wird,« schrieb er. Und bezeichnend ist noch das Wort vom Juni 1817: »Es ist curios, wie die Vorliebe zu allem, was nur in der entferntesten Beziehung auf meine Lina steht, sich so auffallend bewährt. Das Aennchen, das so ganz deine Rolle wäre, zieht mich vor allem an und ich muß unwiderstehlich diese Sachen zuerst componiren, wobei du mir immer lebhaft vor Augen schwebst. Du wirst also darin dein Portrait in einem neckischen Spitzbub wiederfinden.« Und doch faßt sich sein Gefühl in einer anderen Gestalt der Oper noch tiefer zusammen. »Gestern,« schreibt er am 21. August, »habe ich den ganzen Tag gearbeitet und recht viel an dich gedacht. Ich arbeite nämlich an einer Scene der Agathe, wo ich immer noch nicht das Feuer, die Sehnsucht, die Glut erreichen kann, die mir dunkel dazu vorschwebt.« Auch Mozart schrieb ja sein erstes Werk voll Gemüth und Seele, die »Entführung«, im Bräutigamsstande. Doch sollte Weber ebenfalls noch die schärfsten Proben der Kraft der Begeisterung für sein Werk zu bestehen haben, ehe nach fast drei Jahren dasselbe fertig dastand.

Schon die ganze sociale Verfassung des damaligen Dresden war dem offenen geraden Sinne unseres Künstlers schnurstracks entgegengesetzt. » Leise war 1817 moralisch und physisch der Ton des Dresdener geselligen Lebens. Leise! das Schiboleth von Vornehm und Gering. Leise! die Losung für jedes Thun und Streben,« sagt sein Biograph. Zwar der Hof selbst war ihm persönlich wohlgeneigt und der Ton der so schlichten Prinzen und Prinzessinnen gegen ihn ein natürlich herzlicher. Allein dies hinderte nicht, daß die Zwischenglieder, namentlich der allmächtige Minister Graf Einsiedel, der den Grundsatz des vollendeten Stillstands vertrat, ihm mancherlei Aerger, Kummer und Zurücksetzen zufügte. Zunächst schon bei Aufstellung des Orchesters, das in einer deutschen Oper, wo die Instrumente gewissermaßen das Gewissen der Darsteller bilden, eine ganz andere Bedeutung hat, als in der dort herrschenden italienischen! Nur mit großer Selbstbeschränkung und Beharrlichkeit gelangte er einigermaßen zu seinem Ziele. Ein schmerzliches Ereignis war der Verlust seiner und seiner Braut Ersparnisse bei einem Bankerotte. »Gott hat so weit geholfen, er wird auch weiter helfen, ich vertraue seiner Gnade,« schreibt er ins Tagebuch. Und doch war ihm die dauernde Verbindung mit seiner Lina stets mehr eine dringend bedurfte Sache. Denn er stand noch »freundlos und einsam da, kein Mensch trat ihm nahe, der ihm an Geist ebenbürtig, an Gradheit gleich, durch Gesinnung zur Freundschaft lockend erschienen wäre«. So war es ihm denn wie wahrer Himmelssegen, als ihm dieser Wunsch noch im Herbst des Jahres erfüllt ward. »Ach, armer Muks, all diese schönen Federn zu verlieren,« hatte er geschrieben, als sie im März in Prag als Papagena aufgetreten war, »Hermelin und Atlas mit der Küchenschürze zu vertauschen, nur applaudirt vom hungrigen Magen, nur herausgerufen von der Köchin und Dacapo vom Carl beim Küssen! Ach du gute Perle wirst aufgelöst im Essig des Ehestandes, verschluckt von Sorgen und dem brummbärigen Muks. 'S ist recht traurig und ich bin ganz gerührt davon, geschieht dir aber schon recht.« Wenn dies der neckische Ton des Freischütz ist, so erklingt das »Leise, leise, fromme Weise« der Agathe aus dem Worte seines Tagebuches, als sie nun miteinander verbunden waren: »Gott segne den Bund, der meine geliebte Lina zu meiner treuen Lebensgefährtin macht, und gebe mir Kraft und Fähigkeit, sie so glücklich und froh zu machen, als mein Herz es innig wünscht. Er leite mich in Thun und Lassen nach seiner Gnade!« Gleich Mozart hatte er mit der Braut am frühen Morgen gebeichtet und das Abendmahl genommen und dann sich noch eine Stunde allein eingeschlossen. »Ein stets heiterer fröhlicher Sinn, der meine wunde Seele pflegt und aufrichtet, dies innige Theilnehmen und Mittragen von Freud und Lust ist mit nichts zu vergleichen,« schreibt er bald darauf, und dieser ruhige Port war denn auch sein Trost, seine Hilfe im Leben und künstlerischen Schaffen, so lange oder vielmehr so kurz es noch währte.

Das folgende Jahr 1818 verging mit Gelegenheitscompositionen, von denen nur die »Jubelouvertüre« Ausbreitung und Dauer erlangt hat. Im Frühjahr 1819 waren dann nach dem Verlust ihres ersten Kindes beide Gatten schwer erkrankt, doch der Sommer ließ mit der Gesundheit auch die Freude wiedererstehen, deren lichter Ausdruck die so unendlich beliebte »Aufforderung zum Tanz« war, die dem Tanz selbst ganz neue und selbständige Bedeutung in der Kunstmusik verliehen hat. Da die gleiche Zeit erneute Anregung von Berlin brachte, so ward jetzt wieder mit voller Lust an die »Jägersbraut« gegangen und das Tagebuch sagt: »So das Jahr, das so viele Leiden brachte, froh beschlossen! Gott gebe seinen Segen weiter, und Dank und Preis ihm für die Kraft seine Prüfungen ertragen zu können!« Am 13. Mai 1820 war das Werk vollendet und wurde dann auf Brühls Wunsch der »Freischütz« genannt. Sogleich hinterher componirte er die Musik zur »Preciosa«, die den romantischen Ton desselben nur weiterklingen läßt und trotz ihrer spanischen und Zigeuner-Motive gut deutsch ist.

Die Aufführung des Werkes ward durch Spontini's »Olympia« mit ihrem ungeheuren scenischen Prunk, bei dem sogar ein Elephant mitspielt, etwas verzögert. Ueberhaupt führte dasselbe dort einen förmlichen Kampf um die deutsche Oper herbei. Der vom Könige begünstigte stolze »Napoleon der Musik« hatte, wie es schien, in Berlin »die musikalische Region ganz unter sich bekommen«. Allein der nationale Geist war doch bereits zu kräftig herangewachsen, um sich irgendwo zurückdrängen zu lassen, und der Freischütz sollte es sogar sein, der ihn auch in der Kunst zum ersten mächtigen Durchbruche in Berlin brachte. Seine Aufführung war wie eine neue That der Befreiung vom Drucke des Fremden. Wie tief gesammelt und wie sicher überzeugt von seinem Siege er war, geht übrigens auch daraus hervor, daß er an demselben 18. Juni das große Concertstück in Fmoll vollendete, das ebenfalls für die Ausbildung des Dramatischen selbst im bloßen Clavierspiele so hoch bedeutsam ist. »Abends als erste Oper im neuen Schauspielhaus (von Schinkel erbaut) der Freischütz; wurde mit dem unglaublichsten Enthusiasmus aufgenommen, alles ging aber auch vortrefflich, ich wurde herausgerufen, Gedichte und Kränze flogen. Einzig Gott die Ehre!« so steht in Webers Tagebuche. Eines der Gedichte aber lautete:

»Das Hurrah jauchzet, die Büchse knallt,
Willkommen du Freischütz im duftenden Wald!
Wir winden zum Kranze das grünende Reis
Und reichen dir freudig den rühmlichen Preis.

Du sangest uns Lützows verwegene Jagd,
Da haben wir immer nach dir gefragt.
Willkommen, willkommen in unserem Hain,
Du sollst uns der trefflichste Jäger sein!

So laß dir's gefallen in unserm Revier,
Hier bleiben! so rufen, so bitten wir.
Und wenn es auch keinem Elephanten gilt,
Du jagst wohl nach anderem, edlerem Wild.«

Weber selbst war allerdings persönlich verletzt über dieses Gedicht. Allein die Kritik erkannte an, daß mit diesem Werke eine neue Zeit für die Oper beginne und sein Sohn und Biograph hat nur Recht, wenn er sagt: »Wer kann sich jetzt noch deutsches Seelenleben ohne den Freischütz denken? Er ist ein Theil der Natur des Volkes geworden.« Und Derjenige, der dann später aus diesem Born des deutschen Gemüthes uns auch die große musikalisch-dramatische Kunst schuf, R. Wagner, spricht den allgemeinen Erfolg des Werkes mit folgenden Worten aus: »In der Bewunderung der Klänge dieser reinen und tiefen Elegie vereinigten sich seine Landsleute vom Norden und vom Süden, von dem Anhänger der ›Kritik der reinen Vernunft‹ Kants bis zu den Lesern des Wiener Modejournals. Es lallte der Berliner Philosoph: Wir winden dir den Jungfernkranz, der Polizeidirektor wiederholte mit Begeisterung: Durch die Wälder, durch die Auen, während der Hoflakai mit heiserer Stimme sang: Was gleicht wohl auf Erden? Der österreichische Grenadier marschirte nach dem Jägerchor, Fürst Metternich tanzte nach dem Ländler der böhmischen Bauern und die Jenaer Studenten sangen ihren Professoren den Spottchor vor. Von einem Ende Deutschlands zum andern wurde der Freischütz gehört, gesungen, getanzt.«

Der Probeschuß war gelungen, die Braut gewonnen.

Und diese unerhörte Volksthümlichkeit des Werkes bewährt sich aufs deutlichste, wenn man heute in dem Wirthshause eines Schwarzwalddorfes die junge Tochter nachfolgendes Silbenräthsel aufgeben hört:

»Die erste möcht' ein Jeder sein,
Die zweite streift durch Flur und Hain,
Das Ganze hat ein Kind erdacht,
Ein Weber hat's berühmt gemacht!«


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