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3. Die Wanderjahre.

(1810-1812)

 

Weber schreibt zu Ende 1810 in sein Tagebuch: »Da mit dem 26. Februar dieses Jahres eine neue Lebensepoche für mich begann, so rechne ich auch den Anfang des Jahres von diesem Zeitpunkte an. Gott hat mich zwar mit vielem Verdrusse und Widerwärtigkeiten kämpfen lassen, aber doch auch immer auf gute Menschen geführt, die mir das Leben wieder werth machten. Ich kann mit Beruhigung und Wahrheit sagen, daß ich in diesen zehn Monaten besser geworden bin: meine traurigen Erfahrungen haben mich gewitzigt, ich bin endlich in meinen Geschäften anhaltend fleißig geworden.«

Einer dieser »guten Menschen«, die in der tollen Stuttgarter Zeit mit rührender Liebe über ihm gewaltet hatten, war der Capellmeister Danzi, der jenes liebe Grethl Marchand geheirathet hatte, von der in Mozarts Briefen die Rede ist, und also schon durch persönliche Beziehungen ihm nahe stand, aber auch sein Talent und seinen liebenswürdigen Charakter dauernd zu schätzen wußte. »Sie wissen, daß eigentlich nur Ihr Beifall, Ihre Aufmunterung mich der Knust erhielten,« schreibt Weber noch 1824 an ihn. Er empfahl ihn zunächst nach Mannheim, wo der alten Ueberlieferung gemäß die Musik noch fleißig gepflegt ward, und Weber faßt den Eindruck dieses Aufenthaltes später in dem einen Worte zusammen: »Wirklich dieses Klümpchen Mannheim trage ich wie eine Geliebte im Herzen und keine Tageszeit giebt es, in der mich nicht fröhliche Momente an euch erinnern.«

Es waren der Jurist Gottfried Weber, der in der Musik als Theoretiker von Bedeutung geworden ist, und sein Schwager, der junge Beamte Alexander von Dusch, die hier seine Freunde wurden. Mit ihnen nebst Gänsbacher und dem jungen Meyer Beer, die er bei Vogler in Darmstadt fand, gründete er den sogenannten »Harmonischen Verein«, mit dem sie alle zur gegenseitigen Unterstützung in ihren geistigen und künstlerischen Bestrebungen sich verpflichteten und der denn auch ihm selbst in seiner öffentlichen Production vor allem dadurch zu gute kam, daß sowohl in persönlicher wie in literarischer Hinsicht dieselbe überall Vorschub und Empfehlung erfuhr. Denn es galt jetzt zunächst in der Welt sich Namen zu machen und dadurch eine sichere Stellung sowie Ruhe zu nachhaltigem Schaffen zu gewinnen. Dazu sollten anhaltende Kunstreisen verhelfen, und er wählte als einen geeigneten Mittelpunkt für eine solche Thätigkeit schon bald Darmstadt, wohin ein höchst musikliebender Fürst, der Großherzog Ludwig von Hessen seinen geliebten Lehrer Vogler berufen hatte.

Seine Erscheinung und Art von damals wird uns anschaulich genug geschildert. Seine Gestalt war unscheinbar, schwach und klein, obwohl durchaus nichts Mißgebildetes an ihm hervortrat, wenn man einen gar zu schlank und lang über den schmalen Schultern sich erhebenden Hals nicht als solchen Fehler ansehen will. Die Schwäche der Hüfte war damals noch nicht besonders bemerkbar. Schon damals trug er meist einen Leibrock von schwarzem Tuch, enganliegende Beinkleider, Jabot, weißes Halstuch und fast bis ans Knie reichende Pistolenstiefel. Wenn man den Blick auf die schöne Form des edelgeformten länglichen Kopfes, die tiefen blaugrauen Augen richtete, die von seinen Freunden als unausschöpfbarer Brunnen von Liebe und Freundlichkeit bezeichnet wurden, – wenn man den geistigen Ausdruck des Gesichts sah, in dem Humor, Jovialität, heiterer Lebenssinn, Schalkhaftigkeit und das Durchlauchtige der edelsten Empfindungen wechselten, und der fließenden Rede seiner sonoren Baßstimme lauschte, die nur im heftigen Affecte kurz abgebrochen ward, – wenn man endlich die unverkennbare Atmosphäre von Genialität, die sein ganzes Wesen umgab, auf sich wirken ließ, so mochte man es begreiflich finden, daß wenigstens die geistigeren unter den Frauen ihn sogenannten schönen Männern vorzogen. Ohne es zu wollen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, übte er eine eigene Oberherrschaft sogar über ältere und gereiftere Männer aus, die sich gern einem Joche fügten, von dem er in liebenswerther Bescheidenheit selbst am wenigsten zu wissen schien.

So ward denn diese Epoche der Kunstreisen, die den zugleich cavaliermäßig gebildeten Mann allüberall in die feinsten gesellschaftlichen und Bildungskreise brachten, trotz aller Widerwärtigkeiten und Aergernisse, welche dieselben nothwendig mit sich führen, zur Begründung seiner vollen künstlerischen Tüchtigkeit und dann einer Lebensstellung, in der er das Seine wirken konnte und den dauernden Ruhm erwarb, der eigentliche Sänger seiner Nation als ausgeprägter Volksart zu sein. Was aber aus dem Herzen des Volkes ertönt, hallt allüberall in der Welt im Volke wieder, und so ist gewiß unter allen Operncomponisten der so recht eigentlich volksthümliche Carl Maria von Weber. Daß er dabei nicht die höchste Stufe der Idealität und des künstlerischen Gestaltens erreichte, sondern im liedmäßigen Genre verweilte, raubt ihm nichts von diesem Ruhme. Besonders im charakteristischen Ausdruck des Einzelnen durch Gesang und Instrumente sind seine Partituren denn auch geradezu überreich und zugleich eine Fortbildung der dramatisch-musikalischen Darstellung überhaupt geworden. Welche entzückenden Melodien, bald in ritterlichem Schwunge, bald innigst gemüthvoll, bald humoristisch! Welche charakteristischen Motive, rein portraitähnliche Züge, wie Menschengestalten vor uns herwandeln, lebendige Gesichter uns mit Augen anschauen! Dazu verhalf ihm zum Theil eben dieses lange Umherirren unter den verschiedensten Verhältnissen und Menschen, die er stets durch seine Kunst und Darstellung zu gewinnen und sich dienstbar zu machen hatte: dadurch erlebte er an sich, was auf die Gemüther wirkt, und lernte selbst stets mehr auf sie wirken.

Das Einzelne dieser Reisen und längeren Verweilungen gehört nicht hierher. In Heidelberg berührte er sich auch innig mit dem nationalen Studentenleben, das Schillers »deutschen Jüngling« noch am treusten bewahrt und am ehesten vorstellen kann, da wohl noch eine gewisse Enge der Bildung und Anschauung, aber nicht eine fremdartige Cultur oder Civilisation ihn beherrscht. Dieser »deutsche Jüngling« war es denn auch, der den »Lohengrin« zuerst verstand, der ja ohne Webers Vorläuferschaft nicht vorhanden wäre. Auf dem Stift Neuburg im schönen Neckarthale fand Weber in einem Gespensterbuche damals denjenigen Stoff, an dem er als der Begründer der deutschen Oper erwachsen sollte, die Freischützensage. Am gleichen Tage nach Mannheim zurückgereist saßen er und Freund Dusch, der zuerst auf den »superben Text« gekommen war, noch beim Grauen des Tages »rastlos mit bleichen Wangen aber leuchtenden Auges« über dem Scenarium der Oper, aus dem zwanzig Jahre später unser populärstes Opernwerk werden sollte. In Darmstadt verlebte er wieder nebst Gänsbacher und Meyerbeer mit Vogler »sehr, sehr selige Abende«. Niemals habe dieser, so versicherte Weber, in seinen Phantasien so unmittelbar aus dem Urquell des Schönen getrunken, als wenn er nur vor seinen drei lieben Jüngern in den Engelstimmen oder Donnerworten der Orgel wirkte. »O wenn ich hätte aus der Welt gehen sollen, ehe ich diese Beiden ausgebildet, welches Weh würde ich empfunden haben!« soll er von Weber und Meyerbeer gesagt haben. »Es ruht in mir etwas, das ich nicht hervorrufen konnte. Diese Beiden werden es thun.«

Weber sang zu dem Geburtstage des Meisters:

»Vor dir verband sich so noch nie
Das Wissen mit dem Genius!«

und schrieb einen besonderen Aufsatz über ihn, worin er ihn den Ersten nennt, der in der Musik rein systematisch zu Werke ging und den man anstaune, weil man ihn nicht zu ergründen wage. Allein gerade Vogler blieb doch der Lichtschirm, der ihm selbst noch vor Beethoven, also vor dem Hohen stand, das der Genius der Menschheit soeben in der Musik hervorrufen sollte. Im Sommer 1809 schrieb Weber für das Stuttgarter Morgenblatt jenes »Fragment einer musikalischen Reise, die vielleicht erscheinen wird«, das bei Erwähnung der Eroica von »neu und originell Scheinenwollen « spricht und von der soeben erschienenen Vierten Symphonie Beethovens das »Recept« giebt: »Erstens ein langsames Tempo voll kurzer abgerissener Ideen, wo ja keine mit der anderen Zusammenhang haben darf, alle Viertelstunde drei bis vier Noten, das spannt, dann ein dumpfer Paukenwirbel und mysteriöse Bratschensätze, alles mit der gehörigen Portion Generalpausen und Halte geschmückt, endlich nachdem der Zuhörer vor lauter Spannung auf das Allegro Verzicht gethan, ein wüthendes Tempo, in welchem aber hauptsächlich dafür gesorgt sein muß, daß kein Hauptgedanke hervortritt!« Aber wenn er dabei diese Art auch noch den Weg nennt, ein großer Componist oder ein Narr zu werden, – der »göttliche riesenhafte Ideenschwung«, der die hölzernen Mittelglieder des alten Symphonie-Herkommens kühnlichst überfliegt, dämmert ihm doch schon hier, und ein Jahr später spricht er gegen den Begründer des schweizerischen Männergesanges, H. G. Nägeli, von der »feurigen, ja beinahe unglaublichen Erfindungsgabe« und den »himmlischen Genieblitzen« desjenigen Meisters, der allein ihn selbst später die Bahn geleiten sollte, auf der auch ihm jene Einwirkung auf die Zeitgenossen zu Theil ward, die er dann an dem so ungleich größeren Bruder bescheidentlich selbst bewunderte und dem ebenso ungleich größeren Richard Wagner hinterließ.

Auch merkten die Drei da allmählich bei dem alten geistlichen Herrn das Faustische »Urväterhausrath vollgepfropft« und schüttelten sich, wie Weber sagt, den Staub aus dem Pelz, wenn sie abends wieder auf die Straße hinaus kamen und Melodien sammeln, das heißt da Wein trinken gingen, wo Gesang ertönte oder die Zither schwirrte. Vor den Soldaten und ihren Mädchen verschwanden der künstlerische Zopf und das ganze »lederne Darmstadt«, wo man damals noch ans Fenster lief, wenn einmal einer ohne Uniform und ohne Schritthalten durch die Straßen ging. Weber konnte dann die Guitarre um den Hals werfen, auf den Tisch steigen und wie in der tollsten Zeit seines Stuttgarter Lebens Schelmen- und Liebeslieder singen, bis der Tabaksrauch oder das Uebermaß sie aus der Kneipe jagte. Die »Aufforderung zum Tanz« und Theile der Balletmusik zum »Oberon« empfingen dabei ihre erste Anregung so gut wie die ächt populären Lieder, deren Weber so viel eben dem Volke selbst nachsang.

Ebenso an selig durchträumten Mondscheinabenden bot Weber den treuen Freunden Melodien wie den Elfenchor des Oberonanfanges und das Lied Abu Hassans an Fatime. Letzteres hatte er vergessen und rief, als Dusch es sich gelegentlich wiederholte, aufschreiend aus: »Kerl, das hast du mir aus meinem Kopfe gestohlen, in dem ich es ein bischen verlegt hatte!« Zwar schrieb er von Darmstadt selbst, es sei dort, als wenn man gar keinen ordentlichen Gedanken kriegen könne, er sei wie vernagelt. Allein immerhin regte der Improvisationswettstreit mit dem hochbegabten Meyerbeer, mit dem er hier Freundschaft bis aufs Blut der Wahrhaftigkeit schloß, auch die musikalischen Gestaltungsgeister, die erfinderischen Nibelungenschmiede der Phantasie lebhaft an. Und war es zunächst auch nur vorwiegend Wiedererzeugen oder Nachbilden des Vorhandenen der Kunst, dieses selbst eignete er sich doch wie eine Muttersprache völlig an und vermochte auch in ihr geläufig und bestimmt zu sprechen, sobald er einmal etwas völlig Eigenes zu sagen hatte. Mit diesem »Eigenen« sollte dann freilich Weber die gleichen Erfahrungen des »Neuscheinenwollens« machen, wie er es an Beethoven rügen zu müssen meinte.

Eine besondere Genugthuung für sein moralisches Gefühl hatte er damals noch durch eine Unterredung mit dem gütigen Herzog von Würtemberg, als derselbe im Sommer dieses Jahres 1810 durch das nahe Frankfurt reiste. Weber eilte sofort zu dem ebenso geliebten wie verehrten schlesischen Gönner und klärte auf, entschuldigte, erbat Nachsicht. Der Herzog empfing ihn mit offenen Armen und Thränen im Auge, ja er durfte bis zu dem Augenblick der Abreise nicht von ihm fort. Der alte Herr legte sich ins Bette, Weber mußte sich aufs Sopha strecken und so kam unter ernsten Besprechungen der Morgen, der Weber noch einmal an der Brust des Fürsten und mit einem Ringe von seiner eigenen Hand beschenkt sah, – gewiß ein Beweis, daß die ganze Schuld von Stuttgart her nur Leichtsinn und Unerfahrenheit war.

In Baden-Baden konnte Weber zwar kein Concert zu Stande bringen, traf aber dort den späteren König Ludwig I. von Bayern, der oft ganze Nächte mit ihm umherzog, wenn er seine losen Ständchen brachte, also auch hier die Genialität mit Sicherheit ahnte. Nach Frankfurt ging er zur ersten Aufführung seiner »Sylvana«. Als am Schlusse der Componist nebst der Hauptdarstellerin von der höchst angeregten Zuhörerschaft lebhaft hervorgerufen ward, wollte diese beim Heraustreten seine Hand ergreifen, die der jugendliche Künstler jedoch beschämt und ängstlich verweigerte. Diese »kleine lachende, zierliche« Sylvana mit ihrem nymphenhaften Wuchs war die siebzehnjährige Caroline Brandt, nachmals Webers so innig geliebte Gattin. Bei dem Musikverleger André in Offenbach sah er die ersten Mozart'schen Partituren. Es durchzuckte den soeben Gefeierten mit doppelter Gewalt, er drückte gebeugten Knies Lippen und Stirn auf das vergilbte Papier und sagte mit feuchten Augen: »Wie glücklich ist das Papier, auf dem seine Hand gelegen hat!«

Im nächsten Jahre 1811 ging es über Würzburg und Augsburg nach München, ja er hatte als Reiseziel Berlin und Kopenhagen im Auge. »Gott weiß es wie es gehen wird,« schreibt er, »ich muß wirklich manchmal alle Vernunft zusammennehmen, um nicht nachlässig und verdrießlich zu werden. Denn giebt es etwas Elenderes als bei fremden Menschen umher zu laufen, jedem etwas vorzududeln, damit er sieht, daß man etwas kann, und unter dreißig kaum auf einen zu stoßen, der Antheil nimmt und thätig ist?« Ja einmal klagt er über den »vortrefflichen Glauben, den ihm die Hundeseelen von Menschen mit Gewalt aufgeprügelt hätten«. Um so wohlthuender war ihm der Aufenthalt in München, der denn auch bis in den Herbst verlängert wurde. Das vortreffliche Orchester dort, die Schöpfung Mannheims, war ihm sehr zugethan, sein Singspiel »Abu Hassan« hatte solchen Erfolg, daß er hoffnungsreich schreibt: »Ich warte mit Schmerzen auf einen guten neuen Operntext, denn wenn ich keine Oper unter den Fäusten habe, ist mir nicht wohl.« Er sollte jedoch noch fast zehn Jahre warten, dann war es aber auch der »Freischütz«, was er bekam.

Im Herbst besuchte er die Schweiz. »Ich fühle in Gottes Natur, aber davon reden mag ich nicht,« schreibt er von der herrlichen Alpenwelt, die auch ihm den Busen und den Blick erweiterte. Dann ging's wieder in die Ferne und zwar diesmal in Gemeinsamkeit mit dem berühmten Clarinettisten Bärmann, dessen Sohn unsere Zeit noch in »Tristan« und den »Meistersingern« bewundern konnte. In Prag hatte der alte Freund Gänsbacher bestens vorgesorgt, der Erfolg war auch in jener Hinsicht ein vollständiger, als der Theaterdirector Liebich ihm seine beiden Opern abkaufte und ihn zur eigenen Einstudirung derselben aufs nächste Frühjahr einlud. Um so zuversichtlicher konnte er seinen Wanderstab weiter setzen. »Wie sehr der Aufenthalt in dem ledernen Leipzig gegen unser liebes gastfreies und herzliches Prag absticht, kannst du denken,« schreibt er an Gänsbacher. Doch eröffneten sich ihm bei den »langweiligen Nullenkrämern« Aussichten, die ihn seiner vorbestimmten Laufbahn aufs neue zu entfremden drohten: er kam in die lebhaften literarischen Kreise Leipzigs, lernte die aus Beethovens Leben bekannten Musikschriftsteller Rochlitz und Wendt kennen, empfing mancherlei literarische Anregungen und Aufträge und gedachte jetzt seinen längst beabsichtigten Roman »Tonkünstlers Erdenwallen« auszuarbeiten. Wie sehr ihm dieses Letztere ebenfalls eine Herzenssache war, beweist ein Seelenerguß vom 18. Januar dieses Jahres 1811 »nachts elf Uhr«. Derselbe beginnt: »Dem Gesellschaftscirkel entronnen betrete ich mein stilles einsames Zimmer und wohlthätig umfaßt mich die Oede, die mir wenigstens erlaubt, den selbstauferlegten Zwang abzulegen, der mein Inneres vor der Welt verschließt ... Nur unter dem Druck hebt sich die Welle und die ungünstigen Verhältnisse nur gebaren große Männer? Dann steht die Anwartschaft zum großen Geiste und Ziele fest begründet in mir, denn nie hat wohl ein Sterblicher sich widerlicherer, unterdrückenderer und talentlähmenderer Umstände zu rühmen gehabt als ich.« Ein anderer dahin zielender Ausruf stammt eben hier aus Leipzig: »Welches Leben ist wohl erfüllter mit widerlich kleinen Zufällen und Erbärmlichkeiten als das eines Künstlers! Frei wie ein Gott sollte er dastehen, im Gefühle seiner Kraft und gestählt durch die Kunst. Sein dünkt ihm die Welt, so lange er sie nicht wirklich betritt, – verschwunden sind alle diese Träume und Kräfte, befindet er sich im schalen Wirkungskreise der Alltagsmenschen!«

Zum Glück warf alle solche Pläne die Einladung des wunderlichen aber höchst kunstbegeisterten Herzogs August von Sachsen-Gotha um, der ihn zu sich einlud und wieder mitten in den Strom der lebendigen Uebung seiner Kunst führte. Dann besuchte er noch Weimar, wo übrigens Goethe sich gegen ihn kühl verhielt, Wieland aber ihn so herzlich aufnahm, wie er sich einst in Mannheim gegen Mozart benommen hatte, dessen Spuren ja Weber wesentlich nachging. Nach einem kurzen Aufenthalte in Dresden, wo die königliche Familie ihn besonders verheißungsvoll in ihr Herz schloß, ging es dann nach Berlin, und in dieser wenn auch nicht vorzugsweise künstlerisch gebildeten, doch allgemein geistig sehr entwickelten Stadt sollte sich für unseren Künstler ebenfalls ein Stück Leben abschließen, indem sich seine eigene Bildung hier entscheidend ergänzte und abrundete und so den ganzen Menschen Weber herstellte.

Das Erste und Letzte blieb ihm natürlich auch hier die Aufführung seiner Opern. Am 16. Mai 1812 war eine Privatprobe der »Sylvana«, der sehr viele Kunstnotabilitäten beiwohnten und die trotz des Beifalls eine scharfe Probe für das Werk selbst wurde. Weber bekam hier sehr ungeschminkte Wahrheiten zu hören und es zeugt für die Aechtheit des Feuers, mit dem er nach seiner eigenen Versicherung immer vorwärts strebte, daß er sie beherzigte. »Sollte ich keine Mannigfaltigkeit der Ideen besitzen, so fehlt mir offenbar Genie,« sagte er sich selbst, »und sollte ich mein ganzes Leben hindurch all mein Streben, all meinen Fleiß, all meine glühende Liebe einer Kunst geopfert haben, zu welcher Gott mir nicht den ächten Beruf in die Seele gelegt hätte? Diese Ungewißheit macht mich höchst unglücklich! – Doch ich will meinem Wahlspruch keine Schande machen: Beharrlichkeit führt zum Ziel! Ich werde streng über mich wachen und die Zeit wird mich und die Welt belehren, ob ich ächte treue Meinungen von Freunden redlich benutzt habe.« Er componirte ganze neue Stücke an Stelle derjenigen, die als zu »bunt« erschienen waren, und fand selbst die Oper dadurch wesentlich gehoben. »Ich habe bemerkt, daß ich sehr über meine Manieren wachen muß,« schreibt er nach der übrigens glänzend aufgenommenen Aufführung. »In meinen Melodieformen sind die Vorhalte zu oft und vorherrschend, auch in Hinsicht der Tempos und des Rhythmus muß ich künftig mehr Abwechslung suchen. Selbst meine Feinde gestehen mir Genie zu, und so will ich denn bei aller Anerkennung meiner Fehler doch mein Selbstvertrauen nicht verlieren und, muthig und vorsichtig über mir wachend, vorschreiten auf der Bahn der Kunst!«

Er fand Freunde von hoher Einsicht und Bildung: unter den Männern voran den Zoologen Lichtenstein, der »allen ohne Umstände die Leidenschaftsbrillen von der Nase nahm«, unter den Frauen jene Amalie Sebald, die auch auf Beethoven solch dauernden Eindruck machte, daß er ihr tiefste Laute seiner Seele geweiht hat. Er kam dadurch zugleich selbst mehr zu dem Gefühle, daß das lange Umherschweifen »schlecht mache«. Schon nach dem Tode seines Vaters im April 1812, der ihn trotz dessen Alters tief erschütterte, hatte er sich auf eine Aeußerung Hofrath Rochlitz' entschuldigt, es gebe nur diesen Weg, sich schneller bekannt zu machen und vielseitige Bildung zu erlangen, und dann sei es für ihn schwer, einen Wirkungskreis zu finden, in dem er wahrhaft der Kunst zum Nutzen leben könne. »Kommt Zeit, kommt Rath! Ich gehe ruhig meinen Weg und bin so fleißig wie möglich,« schließt er. »Der Aufenthalt in Berlin wirkte sehr wohlthätig auf Weber, ja er brachte die Entscheidung seines Lebensziels,« sagt sein Freund Lichtenstein. Früher in Jugendthorheiten befangen, habe ihn der Erfolg seiner Oper, der innig ergebene Freundeskreis und die Verbindung mit einem guten Verleger zu dem Entschlusse gebracht, sich ein festes Bestehen zu gründen. Dazu kamen vortheilhafte Anträge von außen, sein Dasein schloß sich allmählich zu ruhigerem Wollen und Wirken zusammen. Berlin war dafür entscheidend geworden.

Zugleich hatte er hier in Zelters »Liedertafel« die Anregung zu einem Compositionsgenre gewonnen, in dem er schon damals glänzte und später ganz eigenthümlich Schönes bieten sollte, zu dem deutschen Männergesang. Und während es ihm sonst mit den angesehenen Meistern Berlins nicht recht glücken wollte, indem sie ihn meist für zu unbedeutend und dilettantisch nahmen und sogar meinten, er werde nie etwas Erträgliches zu Stande bringen, erzählt doch Lichtenstein von einer seiner so beliebten Clavier-Improvisationen, die jüngeren Künstler seien vor ihm auf die Kniee gesunken, andere hätten seine Schultern umarmt und alles sich um ihn gedrängt: »Statt des Blumenkranzes war sein Haupt von einem Kreise freundlicher glücklicher Gesichter wie gekrönt, und die feierlich wehmüthige Stimmung, in die ihn dieser Beifall versetzte, klang bis spät in die Nacht in den tiefsten und ernsteren Weisen nach, die ich je von ihm habe hervorbringen hören.«

So hatte er doch hier für Geist und Herz gefunden, was er suchte: die eine Melodie, die er sinnend dort fand, – es ist das spätere Lied: »Sind es Schmerzen, sind es Freuden?« (Ed. Peters Nr. 17) – sagt uns, was er damals empfand. Er sang es zum Abschied von den Freunden, die es alle tief rührte. Für Berlin aber ward wenig Jahre später der »Freischütz« geschrieben.


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