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11. Das Ende des Gerechten

(1844-1859.)

»Die Musik war bei ihm eng verbunden mit Glaube, Liebe, Hoffnung!«

Mit den steigenden Jahren unseres Altmeisters mehrten sich seine Ehren der Zahl wie dem Grade nach. Er genoß seines Ruhmes vollständig, während Mozart und Beethoven mit dem Bewußtsein ihn würdig verdient zu haben ins Grab sanken. Um ihn bei einer Aufführung seines Oratoriums »Der Fall Babylons« in Norwich zu haben, wandten sich Lord Aberdeen und der Herzog von Cambridge persönlich an den eigensinnigen Kurprinzen von Hessen, und als dies nichts fruchtete, kam eine Bittschrift der Repräsentanten der gesammten Grafschaft Norfolk (100 000 Menschen). Es nutzte zwar ebenfalls nichts, aber Spohrs Ruhm ward dadurch nur vergrößert. Bei einer kurz darauf folgenden Einladung nach London wurde er »gleich einem Fürsten bewillkommt, indem die ganze Versammlung sich freiwillig von ihren Sitzen erhob, um ihn zu begrüßen.« Ebenso versammelte bei einem Aufenthalte in Paris Habeneck zu seinen Ehren sogar während der Ferien das Orchester des Conservatoriums, um ihm seine Symphonie »Die Weihe der Töne« vorzuführen. Es ist begreiflich, daß es in beiden Städten, zumal in London, wo Mendelssohn womöglich noch höher gehalten war, später originalen Geistern wie Berlioz und Wagner schwer wurde durchzudringen: ihre Werke leben aber dafür dauernd.

Eine Folge der Einwirkung des »Fliegenden Holländers« war die 1844 »mit besonderer Vorliebe« componirte Oper »Die Kreuzfahrer« nach dem Kotzebueschen Schauspiele. Sie ist »ganz abweichend von der bisher gebräuchlichen Form sowie von dem Stil seiner früheren Opernmusik, das Ganze gleichsam als musikalisches Drama ohne Textwiederholungen und Ausschmückungen mit immer fortschreitender Handlung durchcomponirt«. Das Gleiche lobte er selbst auch an R. Schumanns »Genoveva«, obgleich er sonst an ihm öfter »Wohllaut und melodische Harmoniefolgen« vermißte. Die »Kreuzfahrer« fanden in Cassel eine »beispiellos glänzende« Aufnahme und hatten auch 1845 in Berlin einen »überaus glücklichen Erfolg«, – in Berlin, wo das Jahr zuvor der »Fliegende Holländer« nicht hatte durchdringen können! »Sieglinde starb, doch Siegfried, der genaß!« heißt es in Wagners Nibelungenring.

Die rücksichtslose Zurücksendung der Partitur des Werkes von Dresden brachte nun Spohr im Jahre 1846 auch in persönliche Bekanntschaft mit diesem jüngeren Meister. Er hatte ihm zu seinem Verdrusse zu melden, daß der Kurprinz die Aufführung des »Tannhäusers« abgeschlagen habe, und macht dabei ausführliche Mittheilung von dem unbegreiflichen Verfahren der Dresdener Intendanz. Wagner legte ebenfalls seine Entrüstung darüber in scharf bezeichnenden Ausdrücken an den Tag und ward darauf von Spohr zu einem Rendez-vous nach Leipzig eingeladen. Er ergriff die Idee mit großer Befriedigung und so wurde denn die längst gewünschte Bekanntschaft zu gegenseitiger größten Befriedigung gemacht. »Wir verleben hier wonnevolle Tage und schwelgen in den schönsten musikalischen Genüssen,« berichtete Frau Spohr nach Hause. Spohr spielte mit Mendelssohn Compositionen Beider, ein Diner bei Wagners Schwager Professor Brockhaus, »mit lauter geistreichen Menschen«, darunter H. Laube, lief sehr vergnügt ab. »Am besten gefiel uns Wagner, der mit jedemmal liebenswürdiger erscheint und dessen vielseitige Bildung wir immer mehr bewundern müssen,« heißt es dabei. »So äußerte er sich auch über politische Angelegenheiten mit einer Theilnahme und Wärme, die uns wahrhaft überraschte und umsomehr erfreute, da er in höchst liberalem Sinne sprach.« Den Abend fand man sich bei Mendelssohn wieder zusammen, der für Spohr »ganz rührend unverkennbare Liebe und Verehrung bezeugte«. Dieser spielte von seinen Quartetten, darunter auch das neueste dreißigste, bei welchem Mendelssohn und Wagner »mit entzückten Mienen« in der Partitur nachlasen: »Neidlos geb' ihrem Zauber ich mich hin«. Wagner nahm noch am Abend Abschied, was beiden Theilen sehr nahe ging. »Doch haben wir auch nach seiner Abreise uns noch viel mit ihm beschäftigt, indem er uns einen neu gedichteten Operntext zurückließ, der höchst eigenthümlich und anziehend ist,« heißt es vom Lohengrin. Ein Jahr später war Mendelssohn, als dessen »Reizendstes« auch Spohr die Musik zum Sommernachtstraum pries, todt und drei Jahre später Wagner in der Verbannung. »Sein Verlust ist sehr zu beklagen, da er der begabteste unter den jetzt lebenden Componisten und sein Kunststreben ein sehr edles war,« schreibt Spohr von Ersterem. Dem lebenden Meister aber bewahrte er die thätige Theilnahme und zwar obwohl er im Grunde die Bedeutung seines Schaffens nicht ermaß, er war dazu zuviel »Componist«. Wir vernehmen denn auch darüber Spohrs eigene Worte. Er schreibt im Jahre 1852 an Moritz Hauptmann:

»Wir studiren jetzt den Tannhäuser. Die Oper hat viel Neues und Schönes, aber auch manches ohrzerreißende Unschöne.« Und später: »Die Oper hat durch ihren Ernst und ihren Inhalt viel Freunde gewonnen, und vergleiche ich sie mit anderen Erzeugnissen der letzten Jahre, so geselle ich mich auch zu diesen. Manches was mir anfangs sehr zuwider war, bin ich durch das öftere Hören schon gewohnt geworden; nur das Rhythmuslose und der häufige Mangel an abgerundeten Perioden ist mir fortdauernd sehr störend. Die hiesige Aufführung ist wirklich eine sehr ausgezeichnete, man wird wenig so präcise in Deutschland hören. In den enorm schweren Ensembles im zweiten Akt ist gestern auch nicht eine Note weggeblieben. Dies hindert freilich nicht, daß sich diese an einigen Stellen zu einer wahrhaft schaudervollen Musik gestalten, besonders kurz vor der Stelle, ehe Elisabeth sich den auf Tannhäuser eindringenden Sängern entgegenwirft. Was würden Haydn und Mozart für Gesichter machen, müßten sie einen solchen Höllenlärm, den man jetzt für Musik ausgiebt, mit anhören! Die Chöre der Pilger wurden so rein intonirt, daß ich mich zum ersten Male mit den unnatürlichen Modulationen derselben einigermaßen versöhnte. Es ist merkwürdig, woran sich das menschliche Ohr nach und nach gewöhnt!« Ebenso sagt er nach Anhörung des »Benvenuto Cellini« in London: »Es geht dem Berlioz, wie den anderen Koryphäen der Zukunftsmusik: sie überlassen sich bei der Arbeit nicht ihrem natürlichen Gefühl, sondern speculiren auf Nochnichtdagewesenes. So geschieht es, daß diese begabten Musiker selten etwas Genießbares zustande bringen, besonders für Leute, die bei Haydn, Mozart und Beethoven groß gezogen sind.« Und ein andermal von der Oper seines Schülers Jean Bott: »Es ist mehr gute Musik, übersichtliche Form und rhythmisches Geschick darin als in den Wagnerschen Opern und doch gehört sie im Stil der sogenannten Zukunftsmusik an.«

Die Pilger-Chöre des »Tannhäuser« athmen, wie Liszt es treffend ausgedrückt, eine »gewisse Exstase und geheime überschwängliche Wonne des Reuegefühls«, – wie sollte da der bloße äußerliche Wohlklang herrschen! Den »Höllenlärm« aber verursachte und verursachen noch heute so oft in Wagnerschen Aufführungen die Ungeschicktheiten der Instrumentalisten, besonders der Bläser, die an solchen Stellen wie die des »Tannhäuser« Tod und Teufel darauf lostosen, statt auch hier den Ton geistig zu intoniren und sozusagen sprechen zu lassen.

Gleichwohl war Spohr sehr gespannt auch den »Lohengrin« zu hören. Allein der Kurfürst versagte die Genehmigung und so hörte er daraus 1855 nur einige »Nummern« in einem Concerte in Hannover. »Auch die Neunte Symphonie Beethovens, so abnorm manches darin, namentlich der letzte Satz sein mag, gewährte in dieser Vollendung einen wahrhaft hohen Genuß,« schreibt Frau Spohr 1853 von London aus. Woran sich das menschliche Ohr doch nicht gewöhnt! Hätte Spohr erst Werke wie Tristan und Parsifal hören können!

Während auf solche Weise auch Spohr der geistbeschränkenden Wirkung seiner Zeitepoche verfiel, der ja selbst größere und sogar genialische Geister oft nicht widerstanden haben, – faßte doch der alte Fritz den Genius Goethes nicht und Schopenhauer nicht den geistigfreien Dichter in R. Wagner! – ist eine Seite seines Daseins und Wirkens von dauerndem Gewinn für Kunst und Leben geblieben: er hat, wohin er kam, der Musik die weitesten Kreise der Bildung erobert und dem Musiker die entsprechende Geltung und Stellung in der Gesellschaft verschafft. Er ließ der Würde seiner Kunst auch in socialer Hinsicht niemals zu nahe treten und wie dem Sonverain der Kunsträume imponirte er so dem Souverain des Thrones. Konnte doch Friedrich Wilhelm IV. nicht umhin, ihn durch den damals weltberühmten Alexander von Humboldt persönlich zur königlichen Tafel laden zu lassen und besuchten die Potentaten, wo er weilte, die Productionen seiner Kunst! Der letzte Grund dieser Wirkung lag in seiner menschlichen Persönlichkeit, die sich durchaus mit seiner Kunst identificirte, weil diese eben ganz aus ihr, nicht aus einem angelernten Können stammte. Er hielt als Mann ebenso auf Freiheit und Ehre, wie als Künstler auf die Respectirung alles Idealen. Einige Beispiele aus seinen letzten Lebenstagen mögen uns diese wahrhaft würdige Künstler- und Manneserscheinung zum Abschluß völlig vergegenwärtigen.

Bei der Durchreise nach London trafen sie in Gent ein großes Sängerfest. Der Erkennung folgte die Nöthigung in den Festsaal einzutreten. »Meine Herren, der große Meister Spohr kommt soeben in unsere Stadt, da ist er!« – aus diesen Aufruf eines Mitgliedes erhob sich die ganze ungeheure Versammlung und rief: »Es lebe Spohr, der große Spohr!« »Die Scene hatte durch das ganz Ueberraschende etwas sehr Eigentümliches und fast Ueberwältigendes,« erzählt seine ihn begleitende Gattin. Die Märzrevolution von 1848 fand in Spohr einen lebhaften Vorkämpfer. »Geschrieben zur Zeit der glänzenden Volksrevolution zur Wiedererweckung der Freiheit, Einheit und Größe Deutschlands,« steht bei der Eintragung seines Sextetts Op. 140, und die Schilderung: »reich an lebensfrischen Melodien und wahrhaft ätherischem Wohlklang wie kaum ein anderes Werk Spohrs« bezeugt die freudige innere Antheilnahme an diesem ersten Emporblühen politischwürdigerer Zustände. »Ist auch die Einheit Deutschlands noch nicht gesichert, so ist es die Freiheit ganz gewiß und ich preise mich glücklich eine solche Zeit noch erlebt zu haben,« schrieb er und wies es ab in einer Stadt wie Breslau zu spielen, wo der Belagerungszustand proclamirt sei, denn da könne man nicht frei athmen, viel weniger aber musiciren! »Unsere Lage ist jetzt eine verzweiflungsvolle! In wenig Tagen wird der Kurfürst zurückkehren, mit ihm Hassenpflug und seine ...!« schrieb er 1850 und ließ von da an seine Geige, die er sonst so gern »zu Freude und Nutzen seiner Mitbürger« hatte ertönen lassen, öffentlich ferner nicht erklingen. Der Kurfürst wußte den renitenten Capellmeister durch Urlaubsverweigerung zu treffen und verhängte, als Spohr dennoch abgereist war, eine bedeutende Geldstrafe über ihn. Spohr processirte, verlor aber dabei, und sein einziger Trost war, daß das Geld an den von ihm gestifteten Pensionsfonds fiel. Zwar hatte er ihn im Jahre 1847 zu seinem fünfundzwanzigjährigen Capellmeisterjubiläum zum Generalmusikdirector mit »Hoffähigkeit« ernannt, aber er vermochte ihn auch nach dem Grundsatze des ancien regime: »Car tel est notre plaisir« 1857 gegen seinen Willen kaltblütigst zu pensioniren. Spohr jedoch ertrug, obwohl er noch rüstig genug gewesen wäre, auch diesen Schlag »mit der ihm eigenen Seelengröße«.

Ungleich schmerzlicher war es ihm, als er wegen mangelnder Fähigkeit seine Ideen zusammenzufassen, vom Componiren lassen mußte, sogar ein Requiem blieb unvollendet. Ein Armbruch, der den durch seine Körperschwere etwas unbeholfen Gewordenen traf, berührte ihn noch tiefer: der Arm zeigte die erforderliche Kraft und Elasticität nicht mehr, worauf er dann abermals »um eines seiner köstlichsten Lebenselemente ärmer geworden, trauernd die geliebte Geige zur Ruhe legte«. Ihr Erbe ward sein geliebtester Schüler, August Kömpel, Concertmeister in Weimar. Er weiß denn auch dieser Straduvari Töne zu entlocken, die uns Nachlebenden Spohrs Seelenweise zur erquickenden Empfindung bringen können.

Jetzt war er dieses Lebens müde, in dem er nichts mehr wirken konnte. Er habe ausgenossen, was das Erdenleben eben zu bieten vermöge, sagte er; er habe namentlich eine so weit verbreitete Anerkennung und Liebe für seine Musik erlebt, wie er es kaum je hätte hoffen können, jetzt wünsche er sehnlich sein Ende herbei. Es ward dem Fünfundsiebzigjährigen denn auch ohne besondere Krankheit am 22. October 1859 im Kreise seiner Lieben in vollster inneren Ruhe zutheil: »mit dem Ausdruck der größten Zufriedenheit in seinen schönen edlen Zügen« lag er auf dem Todesbette.

»Wer in allen unseren socialen Verhältnissen, namentlich in den Beziehungen der modernen Künstler zu einander die grenzenlos eigensüchtige Lieblosigkeit kennt, der muß mehr als erstaunt, er muß durch und durch entzückt sein, wenn er von dem Verhalten einer Persönlichkeit Wahrnehmungen macht, wie sie mir sich von jenem außerordentlichen Menschen aufdrängten,« sagt Wagner von seiner Begegnung mit Liszt im Jahre 1849. Ebenso erquickend und trostreich beglückend ist es zu sehen, wie sich über das ganze Leben dieses Altmeisters, des Nestors der Tonkunst seiner Tage »der uns das Bild des olympischen Zeus, mit dem Augenwink alles bewegend vergegenwärtigt«, ein schönes Gewebe von Freundschaft und Liebe gegen alles ihm Begegnende verbreitet. Den letzten Grund dieses so reich spendenden Wesens aber giebt uns seine Selbstbiographie an, wenn sie sagt, nichts sei ihm lieber gewesen, als wenn von seinen Tonwerken ein Rückschluß auf seine Gemüthsart und Religion gemacht worden sei: »seine Kunst war ihm ja auch heilig und Musik bei ihm eng verbunden mit Glaube, Liebe und Hoffnung!«

 

Ende.

 


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