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7. In Paris

(1820-1821.)

»Während sich die Pariser zu sinnlichen Genüssen drängen, muß man sie zu geistigen fast an den Haaren herbeiziehen.«

Spohr.

Die Schilderung der Zustände des musikalischen Paris der zwanziger Jahre, die Spohr macht, gewinnt uns um so größeren Antheil ab, als sich gerade an ihnen, freilich auf sehr verschieden geartete Weise die beiden Genien Liszt und Wagner zur künstlerischen Mannheit erzogen: Liszt nahm die einseitige aber bis dahin unerhörte Virtuosität jener Tage auf, um damit auch in geistiger Weise Unerhörtes auszudrücken, Wagner ward durch jenen falschen Glanz und Schimmer erst völlig auf das einfach Echte und Wahrhaftige in unserer Kunst geführt. Es ist ein Zeichen der innerlich sicheren Künstlernatur, daß Spohr von all diesem Gleißen und Flimmern völlig unberührt blieb und ein tapfrer Deutscher »ging seines Weges Schritt vor Schritt.«

Die volle Naivetät des französischen Selbstbewußtseins, das ja damals in höchster Blüte stand, hatte Spohr bereits einige Zeit vorher in Brüssel kennen gelernt, wo der durch seine Aehnlichkeit mit Napoleon bekannte Alexander Boucher aus Paris sich hören ließ. »Er hatte sich die Haltung des verbannten Kaisers, seine Art den Hut aufzusetzen, eine Prise zu nehmen möglichst getreu eingeübt,« erzählt Spohr. »Kam er nun in eine Stadt, wo er noch unbekannt war, so präsentirte er sich sogleich mit diesen Künsten auf der Promenade oder im Theater. In Lille hatte er sogar sein letztes Concert so angekündigt: ›Eine unglückliche Aehnlichkeit zwingt mich zur Verbannung, ich werde jedoch, ehe ich mein schönes Vaterland verlasse, ein Abschiedsconcert geben.‹ Auch andere Charlatanerien hatte jene Ankündigung enthalten, wie ›Ich werde jenes berühmte Concert in E moll von Viotti spielen, dessen Ausführung mir in Paris den Namen des Alexander der Violinisten erworben hat‹.« Solche Ruhmredigkeit abgerechnet erwies er sich aber gegen Spohr sehr liebenswürdig gefällig und gab ihm einen Empfehlungsbrief nach Lille mit, in dem es nach einer Charakteristik des Spieles unseres Künstlers hieß: »Genug, wenn ich, wie man behauptet, der Napoleon der Geiger bin, ist Herr Spohr gewiß der Moreau.«

Recht komische Züge solcher Naivetät der kindlichen Selbstgefälligkeit erfuhr Spohr noch in Lille selbst. Einmal nämlich hatte der »Napoleon der Geiger« mitten im Spiele, als ihm seiner Meinung nach etwas nicht recht geglückt war, plötzlich aufgehört und ohne auf die Begleitenden Rücksicht zu nehmen, die verunglückte Stelle wiederholt, indem er sich laut zurief: »Das war nicht richtig, auf, Boucher, noch einmal!« Im letzten Concert hatte er als letzte Nummer ein Rondo von seiner Composition gewählt, welches am Schluß eine improvisirte Cadenz hatte. Bei der Probe bat er die Dilettanten, die ihn begleiteten, nach dem Triller seiner Cadenz ja recht kräftig einzusetzen, er werde ihnen dazu das Zeichen durch Niedertreten geben. Am Concertabend war es nun schon recht spät, als die Schlußnummer begann und die Herren mochten sich nach dem Souper sehnen. Als daher die Cadenz, in der Boucher noch einmal all seine Kunststücke vorführte, gar nicht enden wollte, legten einige der Herren ihre Instrumente fort und schlichen sich davon. Dies ward so ansteckend, daß binnen wenig Minuten das ganze Orchester verschwunden war. Boucher, der in der Begeisterung nichts davon gemerkt hatte, hob schon beim Beginn seines Schlußtrillers den Fuß auf, um auf das Zeichen vorher aufmerksam zu machen. Als er es nun am Ende wirklich gab, war er des Erfolges, nämlich des kräftigsten Einsatzes des Orchesters und des dadurch hervorgerufenen Beifalles der entzückten Zuhörer ganz gewiß. Man denke sich also sein Erstaunen, als er außer seinem eigenen derben Fußtritte nichts weiter hörte. Erschreckt sah er um sich und entdeckte nun die verlassenen Pulte. Das Publikum aber, das diesen Augenblick hatte kommen sehen, brach in schallendes Gelächter aus, in welches Boucher wohl oder übel mit einstimmte.

So kannte Spohr die guten wie die üblen Seiten dieser französischen Künstler recht gut und eben der Umstand, daß Paris künstlerisch in der That damals so gut wie die Welt bedeutete, reizte seinen deutschen Muth auch hier den Kampf aufzunehmen: es war in gewisser Weise ebenfalls ein Kampf mit dem Drachen, nämlich des hornfesten allgemeinen Vorurtheils.

»Mit klopfendem Herzen fuhr ich durch die Barrière,« beginnt er seine schon damals veröffentlichten Reiseberichte. »Der Gedanke, daß mir nun die Freude zutheil werden würde die Künstler persönlich kennen zu lernen, deren Werke mich schon in der frühesten Kindheit begeistert hatten, erregte diese lebhafte Bewegung in mir. Ich versetzte mich in Gedanken in die Zeit meiner Knabenjahre zurück, als Cherubini mein Idol war. Den Schöpfer des Wasserträgers und mehrere andere Männer, deren Werke auf meine Ausbildung als Componist und Geiger den entschiedensten Einfluß gehabt hatten, sollte ich nun bald sehen.« Von allen diesen ward er denn auch freundlich empfangen und Cherubim, der ihm als gegen Fremde zurückhaltend, ja finster geschildert worden war, lud ihn ein, seinen Besuch so oft er wolle zu wiederholen. Besonders wurde ihm Derjenige befreundet, den Beethoven im Jahre 1798 in Wien als Begleiter des französischen Gesandten Bernadotte kennen gelernt hatte und dem er wenig Jahre später seine berühmte Kreutzer-Sonate gewidmet hat, Viotti's Schüler Rudolph Kreutzer, der ebenfalls als Componist thätig war.

Sogleich der erste Eindruck einer Oper war aber der denkbar mißlichste. Man gab in der Grand' Opéra Les mystères d'Isis, die Zauberflöte. Dabei enthüllte sich ihm der französische Kunstgeschmack nach all seinen Richtungen. Die Entstellung des Werkes war der Art, daß die Franzosen selbst diese Verballhornung Les misères d'ici nannten. »Man schämt sich, daß es Deutsche sind, die sich so an dem unsterblichen Meister versündigen,« schreibt er. »Es ist nichts unangetastet geblieben als die Ouvertüre: alles übrige ist durcheinander geworfen, verändert und verstümmelt. Die Oper fängt mit dem Schlußchore an, dann folgt der Marsch aus Titus, dann bald dieses bald jenes Bruchstück aus anderen Mozartschen Opern, sogar auch ein Stückchen einer Haydnschen Symphonie, dazwischen denn Recitative von des Herrn Lachuith eigener Fabrik. Aerger aber als dies ist es, daß die Bearbeiter vielen freundlichen, selbst komischen Stellen ernsten Text untergelegt haben, wodurch die Musik nun zur Parodie des Textes und der Situation wird. So singt Papagena die Arie des Mohren, und das Terzett der drei Knaben ›Seid uns zum zweitenmal willkommen‹ wird von drei Damen gesungen. Aus dem Duett ›Bei Männern, welche Liebe fühlen‹ ist ein Terzett geworden, und so giebt es der Versündigungen mehr. Man muß den Franzosen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie diese vandalische Verstümmelung entschieden gemißbilligt haben. Aber wie kommt es, daß die mystères demungeachtet seit 18-20 Jahren ruhig auf dem Repertoire bleiben, da doch hier das Publikum so despotisch im Theater regiert und alles durchzusetzen weiß was es will?« Die ernste Antwort darauf geben die Verstümmelung wie die Wiederherstellung des »Freischütz«, von der seinerzeit R. Wagner berichtet hat, und die rohe Mißhandlung seines »Tannhäuser« im Jahre 1861.

Er trug auch bald von seinen Werken vor: »Die Componisten sagten mir viel Schönes über meine Composition, die Geiger über mein Spiel.« Es waren Viotti, Kreutzer, Baillot, Lafont, Habeneck, alles Namen von europäischem Klang. Allein selbst Cherubini war nicht weit genug vorgeschritten, er sagte: »Ihre Musik wie überhaupt die Form und der Stil dieser Musikgattung ist mir noch so fremd, daß ich mich nicht sogleich hineinfinden und gehörig folgen kann; es würde mir daher sehr lieb sein, wenn Sie das soeben gespielte Quartett sogleich noch einmal spielten.« Er kannte nur erst Haydns Quartette! Was war da von den bloßen Virtuosen zu erwarten? Henry Herz gab selbst in der Gesellschaft von Künstlern nur »halsbrechende Kunststücke« zum Besten. »Daß bei solchem Verfahren der Geist getödtet werden muß ist leicht begreiflich. Man hört daher selten oder nie ein ernstes gediegenes Musikstück, etwa ein Quartett von neueren großen Meistern, jeder reitet nur sein Paradepferd vor, da giebt es denn nichts als Airs variées, Rondos favoris, Nocturne und dergleichen Bagatellen mehr, und wenn dies alles auch noch so incorrect und fade ist, es verfehlt seine Wirkung nie, wenn es nur recht glatt und süß vorgetragen wird,« erzählt Spohr, – wer dächte dabei nicht an die Romanzen der Loisa Puget, gegen die ein Wagner mit seinen Liedern nicht ankommen konnte? »Ebenso ist es in den Theatern; der tonangebende große Haufen weiß durchaus das Schlechteste nicht vom Besten zu unterscheiden; man braucht nicht lange hier zu sein, um der Meinung beizutreten, daß die Franzosen ein unmusikalisches Volk sind,« heißt es kurzab. Im Don Juan blieben die herrlichsten Stücke, das erste Duett, das Quartett, das große Sextett ohne Eindruck, der Beifall zweier Nummern galt mehr den Sängern als dem Componisten. Spohrs ganzer Bericht ist eine vortreffliche Erläuterung zu den bekannten Briefen Wagners vom Jahre 1840-41.

Dazu die Anmaßung, dennoch auch in diesem Punkte die grande nation zu sein! Spohr giebt auch davon köstliche Beispiele, indem er uns Urtheile über sein eigenes Concert überliefert.

»In all diesen Berichten spricht sich die französische Eitelkeit recht selbstgefällig aus,« sagt er. »Alle fangen damit an, ihre eigenen Künstler und ihre Kunstbildung über die aller übrigen Nationen zu erheben; sie meinen, das Land, welches die Herren Baillot, Lafont, Habeneck besitzt, brauche kein anderes um seine Geiger zu beneiden, und wenn man hier demungeachtet einen Fremden mit Enthusiasmus aufgenommen habe, so sei dies ein Beweis, wie gastfreundlich die Franzosen überhaupt seien. Diese Eitelkeit abgerechnet sind die Berichte aber sehr widersprechend. Der Eine sagte: ›Spohr ergreift mit unglaublicher Kühnheit die größten Schwierigkeiten und man weiß nicht was mehr erstaunt, seine Kühnheit oder die Sicherheit, mit der diese Schwierigkeiten ausgeführt werden.‹ Der Andere: ›Das vorgeführte Concert ist durchaus nicht mit Schwierigkeiten überladen‹.« Seine Compositionen fand man gut, ohne indessen zu sagen warum. Ein Blatt aber sagte: »Das ist eine Art germanischen Harmonie- und Enharmonie-Gepäcks, die als Contrebande, ich weiß nicht aus welcher Gegend Deutschlands, eingeführt wird.« Dafür ist aber Rossini dessen Mann: »Dieser moderne Orpheus hat das Concert mit seinem Gesange freigehalten und es genügte dazu eine kleine Arie und ein kleines komisches Duett.« Als Geiger fand Spohr jedoch hier mehr Gnade. Er sei ein Mann von Verdienst, hieß es da, er habe zwei seltene und kostbare Eigenschaften: »Reinheit und Richtigkeit«. Dann aber kommt folgender Schluß: »Wenn er einige Zeit in Paris bleibt, kann er seinen Geschmack vervollkommnen und zurückgekehrt den der guten Deutschen bilden.« »Wenn doch der gute Mann wüßte, was die bons Allemands von dem Kunstgeschmacke der Franzosen denken!« endigt Spohr.

Zum Abschlusse geben wir noch einige Urtheile Spohrs über Kunst und Künstler des Paris jener Tage, die auf Liszt, Chopin, Wagner warteten und den genialen Berlioz schon halbbekannt in sich bargen.

Die Sorgfältigkeit der Ausführung in der einmal ergriffenen Aufgabe rühmt Spohr wie Wagner an den Pariser Künstlern als einen Vorzug vor der deutschen Gewohnheit. Doch vermißt er andererseits deutschen Werken gegenüber die Energie und Zartheit, die unsere Musik zugleich erfordere. Das Orchester der großen Oper nennt er wegen seiner Discretion im Begleiten mit Recht berühmt und stellt es darin selbst manchem deutschen als Muster hin. Von den Geigern setzt er Lafont obenan, nur mangele ihm wie allen Franzosen in der Musik wahres tiefes Gefühl und er sei zu einseitig in seinen Stücken. Auch Baillots nüancenreiches Spiel, das besonders Beethovens Romanze »so schön sang«, litt unter der sonst waltenden Gehaltlosigkeit der Compositionen. Im höchsten Grade ausgezeichnet fand er die Bläser. »Es ist unmöglich einen schöneren Ton zu hören,« lobt er von dem berühmten Tulou. »Seitdem ich ihn gehört, kommt es mir nicht mehr so unpassend vor, wenn unsere Dichter den Wohllaut einer schönen Stimme dem Flötenton vergleichen.« Auch die vollkommene Gleichheit des Tones und des Ansatzes der Oboe, sowie den Vortrag »voll Grazie und Geschmack« des Spielers bewundert er, doch weist dessen Name Georg Vogt auf deutsche Herkunft, er war im Elsaß geboren. Man weiß heute in höherem Maße durch R. Wagner, was solche Einzelinstrumente dem dramatischen Componisten bedeuten.

Von lebenden Componisten waren dort am bedeutsamsten Reicha und Cherubini. Ersterer, als Freund Beethovens und Lehrer Liszts für immer der Kunstgeschichte angehörend, war ein geborener Böhme. »Deutsche Gründlichkeit und Tüchtigkeit sind auch dieses Meisters schönste Zierden,« sagt Spohr. Das Urtheil über Cherubini zeigt uns den Künstler, dem es um seine Kunst Ernst ist. Er bedauert, daß auch dieser Meister sich vom wahren Kirchenstil entferne und in seinen Messen oft den Theaterstil vorherrschen lasse, sodaß der klug berechnete Effect und ein »ausschweifender Stil« den reinen Kunstgenuß zurückdränge. »Was würde dieser Mann geleistet haben, wenn er anstatt für Franzosen immer für Deutsche geschrieben hätte!« schließt er und erinnert dabei lebhaft an das milde Wort Wagners über den blitzenden Genius Rossinis, der von dem schlaffen Geist der Restaurationsepoche in die Arme der Sinnenlust gezogen und so in seiner besten Entwicklung gehemmt wurde.


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