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4. In Wien

(1813-1815.)

Die Berufung nach Wien wäre für unseren Künstler nahezu eine vergebliche gewesen. Beim Mittagstisch auf der Rückreise nach Gotha geschah ihm der Unfall, daß er beim Abschneiden des Schwarzbrodes auf einen Stein gerieth: das scharfe Messer sprang ab, fuhr in die Kuppe seines linken Zeigefingers und schnitt ein bedeutendes Stück Fleisch ab, das auf dem Teller vor ihm niederfiel. »Dieser Anblick oder vielmehr der Gedanke, daß es nun mit meinem Violinspiele zu Ende sei und ich nicht mehr im Stande sein werde, mich und die Meinigen zu ernähren, erschreckte mich so, daß ich bewußtlos vom Stuhle niedersank,« erzählt der Mann von dem »herkulischen Körperbau«. Als er nach etwa zehn Minuten die Besinnung wiedergewann, sah er die ganze Gesellschaft in Aufruhr und um ihm beschäftigt. Sein erster Blick fiel auf den Finger, den er mit einem großen Stück englischen Pflasters umwickelt fand. Es hatte sich fest in die Vertiefung hineingelegt. Denn wenn auch nicht die ganze Kuppe, so war doch fast die Hälfte derselben mit einem großen Stück Nagel fort. Der Arzt ließ zum Glück alles unberührt und so war bei der Rückkunft nach Wien die Wunde fast geheilt. »Zu meinem Erstaunen und noch viel mehr zu dem der Wundärzte,« erzählt er jedoch, »war unter dem englischen Pflaster neues Fleisch gewachsen und hatte sich bis zu dem früheren Umfange ausgedehnt. Auch das fehlende Stück Nagel war nachgewachsen, jedoch nur nothdürftig mit dem übrigen Nagel verbunden, sodaß eine Vertiefung zurückblieb.« Jedoch konnte er mit Hilfe eines Lederüberzuges den Finger wieder gebrauchen und war so auch der eigentlichen Lebenssorge bald baar.

Er führte nun ein sehr thätiges, im Genusse des Familienglückes auch höchst zufriedenes Leben und der Umgang mit Wiens Künstlern, überhaupt die ganze gerade in seiner Geistessphäre höchst angeregte Kaiserstadt schwellte ihm die Segel so, daß er wohl kaum je wieder in solcher frohen und ergiebigen Schaffenslaune sich befunden hat. »Der frühe Morgen fand mich schon am Clavier oder am Schreibtische,« erzählt er, »und auch jede andere Zeit, die mir der Orchesterdienst und mein Unterrichtgeben frei ließen, wurde der Composition gewidmet. Ja mein Kopf gährte und arbeitete so unaufhörlich, daß ich selbst auf dem Weg zu meinen Schülern, sowie auf Spaziergängen fortwährend componirte und dadurch bald die Fähigkeit gewann, lange Perioden, ja ganze Musikstücke im Kopfe völlig auszuarbeiten, die dann ohne weitere Nachhilfe niedergeschrieben werden konnten. Sobald dies geschehen, waren sie in meinem Gedächtnisse wie ausgelöscht und ich hatte wieder Raum für neue Combinationen. Dorette schmälte oft auf unseren Spaziergängen über dieses unaufhörliche Denken und war froh, wenn das Geplauder der Kinder mich davon abzuziehen vermochte. War dies einmal geschehen, so gab ich mich gern den äußeren Eindrücken hin; nur durfte man mich nicht in mein Grübeln zurückfallen lassen, was Dorette auch stets mit großer Gewandtheit zu verhüten wußte.«

Sie vergnügten sich mit ihren Kindern an all dem lebendigen Leben in und um Wien, am Prater, in Schönbrunn, bei der »Spinnerin am Kreuz«, in Laxenburg, Baden und der Brühl und er bekennt nur das ganze innige Gemüthsleben seiner deutschen Natur, wenn er noch in diesen späten Jahren der Aufzeichnung sagt: »Ich und meine Frau, im Gemüthe selbst noch halbe Kinder, nahmen an der Freude unserer Lieblinge bei diesen Caroussels, Puppen- und Hundecomödien und anderen Herrlichkeiten den innigsten Antheil. Es war eine schöne, frohe und sorgenlose Zeit.«

Sie zeugte denn auch Spohrs umfangreichstes dramatisches Werk, den » Faust«. Doch stammt die heutige Form der Partitur aus dem Jahre 1852.

Schon vor der Reise nach Gotha hatte er einen Opernstoff im Auge, den der damals so gefeierte Theodor Körner ihm bearbeiten sollte, der auch mit Beethoven wegen eines Operntextes verkehrte. Doch der Tod riß den liebenswürdigen Jüngling bald hinweg. Seine Freunde hatten ihm den Entschluß für die Befreiung seines Vaterlandes zu kämpfen auszureden getrachtet. Doch nicht allein diese Begeisterung war es, was ihn forttrieb, sondern zugleich eine unerwiderte Neigung zu der schönen Toni Adamberger, für die kurz zuvor Beethoven Clärchens Lieder im Egmont geschrieben hatte. Da trat denn ein anderer Freund Beethovens, der Dichter Carl Bernard ein, der das Volksbuch des Faust zu einem buntgemischten Operntext bearbeitet hatte. Spohr erzählt darüber:

»Aus dem Verzeichnis meiner Compositionen ersehe ich, daß ich diese Oper in weniger als vier Monaten, von Ende Mai bis Mitte Septembers, geschrieben habe. Noch jetzt ist mir erinnerlich, mit welcher Begeisterung und Ausdauer ich daran arbeitete. Hatte ich einige Nummern vollendet, so eilte ich damit zu Meyerbeer, der sich damals in Wien aufhielt, und bat ihn, sie mir aus der Partitur vorzuspielen, worin dieser sehr excellirte. Ich übernahm dann die Singstimme und trug sie in ihren verschiedenen Charakteren mit großer Begeisterung vor. Reichte meine Kehlfertigkeit nicht aus, so half ich mir mit Pfeifen, worin ich sehr geübt war. Meyerbeer nahm großes Interesse an dieser Arbeit, welches sich bis in die neueste Zeit erhalten zu haben scheint, da er sie während seiner Leitung der Berliner Oper von neuem in Scene setzte und mit großer Sorgfalt selbst einübte.«

Meyerbeer wußte wohl, was er mit der Einstudirung des »Faust« that. Hielt er so den damaligen Berliner oder eigentlich deutschen Geschmack auf seiner Bahn, so hemmte er den Strom des Neuen, der mit Richard Wagner ihm selbst wie allen »deutschen Kapellmeistern« mit vernichtendem Vergessen drohte. Denn Spohrs »Faust« ist, man gedenke nur seines eigenen Wortes »Nummern«, eben eine Oper alten Schlages, gute »deutsche Kapellmeistermusik«, wie Wagners Ausdruck lautete. Allein während in echt effecthaschender Weise Meyerbeer Himmel und Hölle aufbietet, um auch den so gesuchten rein äußerlichen Erfolg zu erreichen, irrt Spohr unbefangen naiv. Schon sein Textbuch ist kein Drama, sondern eben ein – Opernbuch. Contrastirende Scenen, aber keine stetige Handlung, die auch ohne Musik durch ihren einfach sicheren Gang unseren Antheil erweckte! Und so hat auch der Componist einzelne »Nummern« aus dem Werke gemacht, das in jedem der drei Acte ebenso der regelrechten »Finales« nicht ermangelt. Es sind eben die herrschende Compositionsform der Arie und was aus ihr gebildet worden, wie andererseits die sogenannte thematische Arbeit, dieses »ewige Wiederkäuen des Themas in allen Stimmen und Tonlagen«, wie ein Wiener Blatt von Spohrs Weise sagte, vor allem hier über den lebendig flutenden Inhalt geworfen, der doch auch dem verfehltesten Operntext als Naturart innewohnt, und darin ist hier in der dramatisch-musikalischen Kunst selbst nicht entfernt ein Fortschritt gemacht oder nur etwas dem Mozartschen und Beethovenschen Ideal Ebenbürtiges geschaffen worden.

Dagegen hat Spohr wohl Grund, von »verschiedenen Charakteren« in dem Werke zu sprechen. Denn wenn auch nicht entfernt in der Schärfe Wagners oder nur Webers ist innerhalb jener gegebenen festen Formen den einzelnen Gefühlszuständen und in beschränktem Maße sogar den einzelnen Personen eine gewisse eigene Physiognomie verliehen worden, die von der ernsten inneren Theilnahme des Autors und von seiner daher rührenden schöpferischen Kraft zeugt. Vor allem die Gemüthssaite der einzelnen Personen ist, wenn auch mit etwas sentimentaler Färbung, doch volltönend zur Geltung gebracht und erklingt in Lauten, wie sie außer Weber damals wenig Musiker der Welt beherrschten. Aber den norddeutschen Romantiker, dem das stille Weben der Natur eine stets erneuende Quelle eben dieses Gemüthslebens ist, verräth vor allem, was sich in Fausts Berührung mit dem Elementarwesen der Hexen und anderer Naturgeister darstellt: der Hexenchor schlägt neue Laute in der Musik an, die durch Weber erstarkt, erst in Wagner ihr volles Ertönen finden. Und wenn auch überall noch zünftig hergebracht, es ist doch Innigkeit und Ernst, was den Charakter dieser Musik ausmacht, nicht entfernt der Hautgout französischer Geistreichigkeit oder gar die fade und doch ebensowenig reine Weichheit italienischer Tonschwelgerei jener Tage.

Es bestätigt darum auch nur Wagners Wort über Spohrs redlichen Ernst in seinem künstlerischen Bestreben, wenn Weber eben aus Wien damals über Meyerbeer schreibt: »Mit Beer ist es so eine Sache, ich kam ihm mit der alten Liebe und Herzlichkeit entgegen und erwähnte nichts, auch er hat bis jetzt kein Wort von unserer Spannung gesprochen, es sieht so aus, als ob wir die alten wären, aber mein reines Vertrauen ist dahin. Sein Stolz und seine unsägliche Eitelkeit und Empfindlichkeit sind gleich groß und werden ewig jeden zurückstoßen.« Und von ihrem gemeinschaftlichen Lehrer Abbé Vogler meldet er, daß er ebenfalls fortwährend über seinen Schüler klage, wobei denn das charakteristische Wort fällt: »S'ist doch ein nachlässiger Hund, der keine Verhältnisse ehrt« (Musikerbriefe 1873 S. 229). Während er selbst seine Verecundia, die Schopenhauer dem gesammten jüdischen Volke abspricht, und ebenso die unverbrüchliche Treue gegen die zu ihm Gehörigen mit einer Nachricht an Gänsbacher bekundet, die vom Sommer 1816 aus Prag herrührt: »Spohrs Faust brachte ich noch auf die Bühne und er gefiel. Leider war es mir bis jetzt unmöglich etwas darüber öffentlich zu sagen, ja ihm selbst konnte ich noch nicht einmal diesen glücklichen Erfolg anzeigen, da ich nicht weiß, wo er jetzt steckt.« Meyerbeer warf sich zunächst der italienischen Opernmuse in die Arme, die allerdings noch mehr bloße Schablonenfiguren hatte als die deutsche, und fand später seine Gloriole in dem Potpourri der französischen großen Oper. Beide, Spohr wie Meyerbeer, das reine Licht wie das Blendfeuerwerk, sind dann freilich vor dem Stern der Wagnerschen Kunst erblichen, aber erste Spuren des Wagnerschen Herzensklanges findet man immer noch in Spohrs Faust, bei Meyerbeer nicht. Doch hat auch Spohr von der Bedeutung der Bühne in Betreff der Oper keine rechte Vorstellung gehabt. Wie er einmal, wenn auch nicht in unserem Sinne, von seinem »harmlosen Componiren« spricht, so ertrug er es auch »mit großer Gemüthsruhe«, daß sein Faust in der Bibliothek des Wiener Theaters aus einem rein zufälligen Grunde Jahre lang ungenützt ruhte. Einen größeren Gegensatz gegen die Riesenenergie Wagners, sich und nur sich auf diesen »Brettern die die Welt bedeuten« zur Geltung zu bringen, kann es kaum geben. Aber wer diese Bühne kennt, weiß, daß dies notwendig ist, um die Braut davon zu tragen. Gluck hat es ebenfalls gewußt.

Ein Hauptinteresse dieses Wiener Aufenthaltes bietet dann Spohr und uns Nachlebenden seine Bekanntschaft mit Beethoven. Er erzählt darüber Folgendes:

»Nach meiner Ankunft in Wien suchte ich Beethoven sogleich auf, fand ihn aber nicht und ließ deshalb meine Karte zurück. Ich hoffte nun, ihn in irgend einer der musikalischen Gesellschaften zu finden, zu denen ich häufig eingeladen wurde, erfuhr aber bald, Beethoven habe sich, seitdem seine Taubheit so zugenommen, daß er Musik nicht mehr deutlich und im Zusammenhange hören könne, von allen Musikpartien zurückgezogen und sei überhaupt sehr menschenscheu geworden. Ich versuchte es daher nochmals mit einem Besuche, doch wieder vergebens. Endlich traf ich ihn ganz unerwartet in einem Speisehause, wohin ich jeden Mittag mit meiner Frau zu gehen Pflegte. Ich hatte nun schon Concert gegeben und zweimal mein Oratorium ›Das jüngste Gericht‹ aufgeführt. Die Wiener Blätter hatten günstig darüber berichtet. Beethoven wußte daher von mir, als ich mich ihm vorstellte, und begrüßte mich ungewöhnlich freundlich. Wir setzten uns zusammen an einen Tisch und Beethoven wurde sehr gesprächig, was die Tischgesellschaft sehr verwunderte, da er gewöhnlich düster und wortkarg vor sich hinschaute. Es war aber eine saure Arbeit sich ihm verständlich zu machen, da man so laut schreien mußte, daß es im dritten Zimmer gehört werden konnte. Beethoven kam nun öfter in dieses Speisehaus und besuchte mich auch in meiner Wohnung. So wurden wir bald gute Bekannte. Beethoven war ein wenig derb, um nicht zu sagen roh. Doch blickte ein ehrliches Auge unter den buschigen Augenbrauen hervor.«

»Nach meiner Rückkehr aus Gotha traf ich ihn dann und wann im Theater an der Wien dicht hinterm Orchester, wo ihm Graf Palffy einen Freiplatz gegeben. Nach der Oper begleitete er mich gewöhnlich nach meinem Hause und verbrachte den Rest des Abends bei mir. Dann konnte er auch gegen Dorette und die Kinder sehr freundlich sein. Von Musik sprach er höchst selten. Geschah es, dann waren seine Urtheile sehr streng und so entschieden, als könne gar kein Widerspruch dagegen stattfinden. Für die Arbeiten Anderer nahm er nicht das geringste Interesse, ich hatte deshalb auch nicht den Muth ihm die meinigen zu zeigen. Sein Lieblingsgespräch in jener Zeit war eine scharfe Kritik der beiden Theaterverwaltungen des Fürsten Lobkowitz und des Grafen Palffy. Auf Letzteren schimpfte er oft schon überlaut, wenn wir noch innerhalb des Theaters waren, sodaß es nicht nur das ausströmende Publikum, sondern auch der Graf selbst in seinem Bureau hören konnte. Dies setzte mich sehr in Verlegenheit und ich war immer bemüht, das Gespräch auf andere Gegenstände zu lenken.«

»Das schroffe, selbst abstoßende Wesen Beethovens in jener Zeit rührte theils von seiner Taubheit her, die er noch nicht mit Ergebung zu tragen gelernt hatte, theils war es Folge seiner zerrütteten Vermögensverhältnisse. Er war kein guter Wirth und hatte noch das Unglück, von seiner Umgebung bestohlen zu werden. So fehlte es oft am Nöthigsten. In der ersten Zeit unserer Bekanntschaft fragte ich ihn einmal, nachdem er mehrere Tage nicht ins Speisehaus gekommen war: ›Sie waren doch nicht krank?‹ – ›Mein Stiefel war's, und da ich nur das eine Paar besitze, hatte ich Hausarrest‹, war die Antwort.«

»Aus dieser drückenden Lage wurde er aber nach einiger Zeit durch die Bemühungen seiner Freunde herausgerissen. Sein Fidelio, der 1805 und 1806 einen sehr geringen Erfolg gehabt hatte, wurde jetzt (1814) von den Regisseuren des Kärntnerthortheaters wieder hervorgesucht und zu ihrem Benefize in Scene gesetzt. Beethoven hatte sich bewegen lassen mit dem Werke Abänderungen vorzunehmen. In dieser neuen Gestalt machte nun die Oper großes Glück und erlebte eine lange Reihe zahlreich besuchter Ausführungen. Der Componist wurde am ersten Abend mehreremale herausgerufen und war nun wieder der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit.«

Das jetzt Folgende ist zwar historisch insofern unrichtig, als die Aufführung der neuesten Compositionen Beethovens vor der des Fidelio geschah und gerade aus denselben wieder aufmerksam gemacht hatte, enthält aber sonst nur Wahrheitsgetreues.

»Alles was geigen, blasen und singen konnte, wurde zur Mitwirkung eingeladen,« erzählt Spohr von dem Concerte zum Besten der Invaliden im December 1813 im großen Redoutensaale, »und es fehlte von den bedeutenderen Künstlern Wiens auch nicht einer. Ich und mein Orchester hatten uns natürlich auch angeschlossen und ich sah Beethoven zum erstenmale dirigiren. Obgleich mir schon viel davon erzählt war, so überraschte es mich doch in hohem Grade. Beethoven hatte sich angewöhnt, dem Orchester die Ausdruckszeichen durch allerlei sonderbare Körperbewegungen anzudeuten. So oft ein Sforzando vorkam, riß er beide Arme, die er vorher auf der Brust kreuzte, auseinander. Bei dem Piano bückte er sich nieder, und um so tiefer, je schwächer er es haben wollte. Trat dann ein Crescendo ein, so richtete er sich nach und nach wieder auf und sprang beim Eintritte des Forte hoch in die Höhe. Auch schrie er manchmal, um das Forte noch zu verstärken, ohne es zu wissen, mit hinein! Das Concert selbst hatte den glänzendsten Erfolg. Die neuen Compositionen gefielen außerordentlich, besonders die Symphonie in A dur. Der wundervolle zweite Satz wurde dacapo verlangt, er machte auch auf mich einen tiefen nachhaltigen Eindruck.«

Ueber das eigene Spiel des Meisters giebt er folgenden wehmuthvoll stimmenden Bericht: »Da Beethoven zu der Zeit, wo ich seine Bekanntschaft machte, bereits aufgehört hatte, sowohl öffentlich wie in Privatgesellschaften zu spielen, so habe ich nur ein einziges Mal Gelegenheit gefunden ihn zu hören, als ich zufällig zu der Probe eines neuen Trios (D dur ¾ Tact) in Beethovens Wohnung kam. Ein Genuß war's nicht. Denn erstlich stimmte das Pianoforte sehr schlecht, was Beethoven wenig kümmerte, da er nichts davon hörte, zweitens war von der früher so bewunderten Virtuosität des Künstlers in Folge dieser Taubheit fast gar nichts übrig geblieben. Im Forte schlug der arme Taube so darauf, daß die Saiten klirrten, im Piano spielte er wieder so zart, daß ganze Tongruppen ausblieben, sodass man das Verständnis verlor, wenn man nicht zugleich in die Klavierstimme blickte. Ueber ein so hartes Geschick fühlte ich mich von tiefer Wehmuth ergriffen. Ist es schon für jedermann ein großes Unglück taub zu sein, wie soll es ein Musiker ertragen, ohne zu verzweifeln! Beethovens fast fortwährender Trübsinn war mir nun kein Räthsel mehr.«

Der gleiche so tief bedauernswerte »Trübsinn« war aber zugleich die Quelle unendlich schöner Ergießungen seines Gemüthes: die Musik mußte ihm zugleich Trösterin sein und so hieß er sie reden. Dieser hohen Geistesfreiheit der Kunst vermochte aber der an hergebrachte Formen gefesselte Spohr nicht mehr ganz zu folgen. Die nachstehende Stelle aus seiner Selbstbiographie bestimmt genau den Stand seiner eigenen künstlerischen Entwicklung. »Bis zu diesem Zeitpunkte war eine Abnahme der Beethovenschen Schöpferkraft nicht zu bemerken,« schreibt er. »Da er aber von nun an bei immer zunehmender Taubheit gar keine Musik mehr hören konnte, so mußte dies lähmend auf seine Phantasie zurückwirken. Sein stetes Streben originell zu sein und neue Bahnen zu brechen, konnte nicht mehr wie früher vor Irrwegen bewahrt werden. War es daher zu verwundern, daß seine Arbeiten immer barocker, unzusammenhängender und unverständlicher wurden? Zwar giebt es Leute, die sich einbilden, sie zu verstehen und in ihrer Freude darüber sie weit über seine früheren Meisterwerke erheben. Ich gehöre aber nicht dazu und gestehe frei, daß ich den letzten Arbeiten Beethovens nie habe Geschmack abgewinnen können. Ja schon die viel bewunderte Neunte Symphonie muß ich zu diesen rechnen, deren drei erste Sätze mir trotz einzelner Genieblitze schlechter vorkommen als sämmtliche der acht früheren Symphonien, deren vierter Satz mir aber so monströs und geschmacklos und in seiner Auffassung der Schillerschen Ode (An die Freude) so trivial erscheint, daß ich immer noch nicht begreifen kann, wie ihn ein Genius wie der Beethovensche niederschreiben konnte. Ich finde darin einen neuen Beleg zu dem, was ich schon in Wien bemerkte, daß es Beethoven an ästhetischer Bildung und an Schönheitssinn fehle.«

Spohr nimmt in der Kunst einen Rang ein wie Rafaels Nachbildner Giulio Romano. Wie hätte er den Michelangelo der Tonkunst da begreifen sollen, wo er sich erst ganz als solchen zeigt? Und doch sollte gerade er unter den Zunftmeistern derselben zuerst Denjenigen verstehen, der allein diese Bahnen Beethovens fortgeschritten ist und sogar erweitert hat, Richard Wagner! Jedenfalls hatte ihm selbst dieser Aufenthalt in Wien den wahren Maßstab in seiner Kunst in die Hand gegeben. Er schied von der Kaiserstadt, nachdem ihm Beethoven in sein Album den Canon »Kurz ist der Schmerz, und ewig währt die Freude« mit folgenden Abschiedsworten geschrieben hatte:

»Möchten Sie doch, lieber Spohr, überall, wo Sie wahre Kunst und wahre Künstler finden, gerne meiner gedenken, Ihres Freundes

Wien; am 3. März 1815.
Ludwig van Beethoven.«


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