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2. Erste Erfolge

(1803-1806.)

»Wollen wir so fürs Leben miteinander musiciren?«

Die erste Probe seiner jetzigen Meisterschaft sollte Spohr bald bestehen. Der damals weltberühmte Rode besuchte Braunschweig. »Je öfter ich ihn hörte, desto mehr wurde ich von seinem Spiele hingerissen,« sagt er selbst. »Ja ich trug kein Bedenken, Rode's Spielweise, damals noch ganz der Abglanz der seines großen Meisters Viotti, über die meines Lehrers Eck zu stellen und mich eifrigst zu befleißigen, sie mir durch sorgfältiges Einüben möglichst anzueignen.« Er wurde so unter allen damaligen jungen Geigern die getreueste Copie von Rode, und sein erstes Auftreten war von so glänzendem Erfolge, daß dieser Tag einer der glücklichsten seines Lebens blieb.

Bald darauf ging es denn auch auf eine Kunstreise, zu der der treffliche Herzog den Urlaub leicht gewährte. Der Anfang war nach Wunsch, das Ziel sollte Paris sein. Allein auf der ersten Station, wo Concert gegeben werden sollte, fand sich zu des Künstlers höchstem Schrecken der Koffer vom Wagen los geschnitten und dieser enthielt das Reisegeld und was schlimmer war, die edle Guarneri-Geige. Mit gezogenem Hirschfänger rannte Spohr wie rasend zum Thore hinaus. Vergebens! Der leere Koffer ward am Morgen gefunden, der Violinkasten daneben, aber er enthielt nur den – Bogen. Nun blieb nichts übrig als zurückzukehren. Erst im Herbst 1804 ward dann eine zweite Reise unternommen, deren Ziel Leipzig war, das schon damals neben Wien einen musikalischen Ruf zu bekommen begann. Allein eine kleine Begebenheit zeigt uns, daß wie wir Nachlebenden es dort mit R. Wagner erfuhren, Spohr es damals mit Beethoven erlebte. Er war zu einer großen Abendgesellschaft dieser reichen Kaufleute eingeladen und wählte zum Vortrage eines der Quartette Op. 18, mit dem er in Braunschweig so oft entzückt hatte. Allein wenn schon seine Mitspieler mit dieser Musik noch unbekannt und daher unfähig waren in den Geist derselben einzudringen, so blieb die Gesellschaft diesen hehren Tönen, die einem Wagner noch in späten Jahren Thränen des wonnigsten Wehs entlocken konnten, so taub, daß sich sogar eine allgemeine Unterhaltung entspann, die das Quartett fast übertönte. Spohr sprang daher mitten im Spiele auf und eilte zu seinem Geigenkasten. Dies erregte große Bewegung und er entgegnete dem betroffenen Hausherrn: »Ich war bisher gewohnt, daß man meinem Spiele mit Aufmerksamkeit zuhörte; da dies hier nicht geschah, so glaubte ich der Gesellschaft gefällig zu sein, indem ich aufhörte.« Der Hausherr bat dann verlegen aber freundlich um etwas, was ihrem Geschmacke und Fassungsvermögen angemessener wäre, und Spohr fand dann mit einem Rodeschen Quartett eine lautlose Zuhörerschaft, ja mit seinem Paradepferd, den Rodeschen Variationen, volles Entzücken der sämmtlichen Anwesenden. Und dies war eines derjenigen Quartette Beethovens gewesen, von denen ihr eigener Schöpfer ausrief, man merke ihnen an, daß sie ein junger Mann von viel Empfindung geschrieben habe, – allerdings in einer Epoche seines Schaffens, in der er die höchsten Wunder wirkte, die es in diesem Style giebt, seine Letzten Quartette! Gerade durch seinen verständnisvollen Vortrag aber wurden dann hier in Leipzig jene Quartette Op. 18 zu voller Anerkennung gebracht und so auch Beethoven selbst der Weg zu dem Beutel dieser »reichen Handelsherren« besser geebnet. Von Spohrs Spiel aber heißt es damals: »Seine Individualität neigt ihn am meisten zum Großen und in sanfter Wehmuth Schwärmenden; Herr Spohr kann alles, aber durch jenes reißt er am meisten hin. Die Seele, der Flug der Phantasie, das Feuer, die Zartheit, die Innigkeit des Gefühles, der seine Geschmack und nun seine Einsicht in den Geist der verschiedenen Compositionen und seine Kunst, jede in diesem ihrem Geiste darzustellen, dies macht ihn zum wahren Künstler.« Dieser Bericht war von Mozarts Verehrer Rochlitz und stand in der Allgemeinen musikalischen Zeitung. Damit war also Spohrs Ruf in Deutschland begründet und das Lebensgeschick des kaum zwanzigjährigen Künstlers entschieden.

Spohr ward aber auch jetzt ein förmlicher Apostel Beethovens, und wie nothwendig solch persönliches Vertreten dieser Werke ward, zeigt der sogleich folgende Vorfall in Berlin. Es war beim Fürsten Radziwill, der die bekannte Musik zum Faust geschrieben hat und Beethoven aufrichtig verehrte. Es waren unter anderen ersten Künstlern der Stadt der berühmte Cellist Bernhard Romberg, der mit Beethoven gemeinsam in der Bonner Hofcapelle gestanden war, und Seidler anwesend. »Ich hatte Romberg noch nicht gehört und war entzückt von seinem Spiele,« erzählt Spohr. »Nun selbst zu einem Vortrage aufgefordert, glaubte ich solchen Künstlern und Kennern nichts Würdigeres bieten zu können als eines meiner Lieblingsquartette von Beethoven. Doch abermals mußte ich bemerken, daß ich einen Fehlgriff gethan hatte. Denn die Musiker Berlins kannten diese Quartette ebensowenig wie die Leipziger und wußten sie daher auch weder zu spielen noch zu würdigen. Nachdem ich geendigt, lobten sie zwar mein Spiel, sprachen aber sehr geringschätzend von dem, was ich vorgetragen hatte. Ja Romberg fragte mich geradezu: Aber lieber Spohr, wie können Sie nur so barockes Zeug spielen?«

Hier in Berlin lernte er auch den so sehr musikalischen Prinzen Louis Ferdinand kennen, der allerdings Beethoven besser verstand und sich kurz zuvor auf einem Besuche bei dessen Freunde Fürst Lobkowitz in Böhmen sogar die damals noch völlig mißverstandene Eroica hatte dreimal hintereinander vortragen lassen. Spohr war aber durch seine Erfahrungen »gewitzigt« und spielte nur Compositionen, in denen er als Geiger glänzen konnte. Von den Orgien aber, in die sich des Prinzen Musikpartien aufzulösen pflegten, war er um so weniger erbaut, als er dort von einer jungen italienischen Sängerin Rosa Alberghi begleitet war, deren Herz er sich zugewendet hatte.

Eine weitere Bekanntschaft war der dreizehnjährige Meyer Beer. »Der talentvolle Knabe erregte schon damals durch seine Virtuosität auf dem Pianoforte solches Aufsehen, daß seine Verwandten und Glaubensgenossen nur mit Stolz auf ihn blickten,« berichtet Spohr. »Man erzählte sich, daß einer von ihnen aus einer Vorlesung über Astronomie zurückkehrend den Seinen voll Freude zurief: Denkt euch, man hat unseren Beer schon unter die Sterne versetzt! Der Professor zeigte uns ein Sternbild, das ihm zu Ehren der ›kleine Beer‹ genannt wird.« Er war so klug, den jungen Virtuosen zur Mitwirkung in seinem Concerte einzuladen, was dem Besuche desselben sehr zustatten kam, denn es war das erste öffentliche Auftreten des Knaben und seine Glaubensgenossen wußten den Augenblick zu würdigen.

Derweilen hatte sich jene südlich feurige italienische Sängerin immer inniger an ihn angeschlossen und ihm unverhohlen ihre Zuneigung gezeigt. Er mußte sich aber bei näherer Bekanntschaft sagen, daß sie zu seiner Lebensgefährtin sich nicht eigne, und hatte daher jede Erklärung sorgfältig vermieden. Denn so liebenswürdig und unverdorben sie war, so fand er ihre Erziehung zu sehr vernachlässigt, und was ihn besonders abstieß, war die nationale Bigotterie, die sogar den lutherischen Ketzer selbst manchmal hatte bekehren wollen. Sie zerfloß beim Abschied in Thränen und drückte ihm bei der letzten Umarmung ein Andenken von ihrem schönen schwarzen Haare in die Hand. Ja im nächsten Frühjahr meldete sie ihre Ankunft in Braunschweig und war auf echt italienische Art in ihrer herzlichen Wiedersehensfreude so unbefangen, daß sie die Erwiderung ihrer Gefühle für zweifellos hielt und auf der Rückreise sich sogar bei seinen Eltern einführte, die sie denn auch ebenso unbefangen als seine Verlobte umarmten. Spohr war nicht wenig erschrocken und der Vater wollte einem »so herrlichen Mädchen« gegenüber seine Gründe nicht gelten lassen. Wir werden aber Spohrs Gefühl als wohlberechtigt erkennen. Denn ein verehrtes Mädchen ist noch lange nicht auch Gefährtin fürs Leben.

Im Sommer 1805 wurde Spohr zum Concertmeister in Gotha erwählt. Sein Alter mußte dabei der Capelle gegenüber um vier bis fünf Jahre erhöht werden. Sein Herzog bewies sich auch in diesem Falle als der gleiche gütige Herr, der nur das Wohl der Seinen im Auge hatte. »Mein lieber Spohr!« entgegnete er auf das Entlassungsschreiben. »Ich habe mit vieler Theilnahme den Beifall vernommen, welchen Ihr Spiel in Gotha gefunden hat. Das vortheilhafte Anerbieten ist von der Art, daß es ganz Ihren Talenten entspricht, und da ich jederzeit vielen Antheil an Ihrem Glück und Wohlergehen genommen habe, so kann ich nicht anders als Ihnen Glück zu der Stelle wünschen, worin Sie unstreitig mehr Gelegenheit finden werden Ihre Talente auszuüben.« Er enthielt sich dabei zum erstenmale des »wohlwollenden väterlichen Du« gegen seinen Schützling und sagte beim Abschied zu dem tiefgerührten jungen Manne: »Sollte es Ihnen, lieber Spohr. in Ihrer neuen Stellung nicht gefallen, so können Sie jeden Augenblick in meine Dienste zurückkehren.« Ein Jahr später und er erlag bei Jena den anstürmenden Franzosenmassen als einer der Führer der gleichen Preußen, mit denen er gegen diese zuerst seinen Feldherrnruf erworben hatte.

Das gleiche Schicksal traf bekanntlich den Prinzen Louis Ferdinand, von dem uns Spohr auch noch eine kleine Erinnerung bietet. Es war Manöver bei Magdeburg und Spohr war zu den Musikpartien geladen. Es wogte ein sonderbar wild bewegtes Leben um den Prinzen. Oft schon um sechs Uhr wurde er mit dessen Musikmeister Dussek aus dem Bette gejagt und im Schlafrock zu dem Prinzen beschieden, der bei der großen Sommerhitze sogar in noch leichterem Costüme am Clavier saß. Nun begann das Probiren für die Abendmusiken und dauerte oft so lange, bis der Saal sich mit besternten Offizieren gefüllt hatte. Dieser sonderbare Contrast genirte den Prinzen durchaus nicht. Es mußte erst alles gut gehen und dann ging's nach einem raschen Frühstück an das andere Exerciren. Von Honorirung war freilich diesmal nicht die Rede, es war wieder einmal Ebbe in der prinzlichen Kasse und sein baldiger Tod machte das Wiedereinholen des Versäumten unmöglich.

In Gotha standen tüchtige Künstler zu seiner Verfügung und des Herzog Augusts Musikliebe ist ja aus Webers Leben bekannt. Außer dieser künstlerischen Befriedigung ward Spohr aber auch hier bald die seines Herzens zutheil. Die Hofsängerin Frau Scheidler hatte eine achtzehnjährige Tochter Dorette, deren Virtuosität auf der Harfe ihm schon gerühmt worden war. »Ich erkannte in dieser reizenden Blondine das Mädchen wieder, welches ich bei meinem ersten Aufenthalte in Gotha bereits gesehen und deren freundliche Gestalt mir seitdem oft vorgeschwebt hatte,« erzählte er. »Sie saß nämlich bei dem Concerte, welches ich damals gab, in der ersten Zuhörerreihe neben einer Freundin, die bei meinem Auftreten, über eine so lange und schlanke Gestalt erstaunt, wohl lauter als sie es wollte, ausrief: ›Sieh doch, Dorette, welch eine Hopfenstange!‹ Da ich dies gehört hatte, warf ich einen Blick auf die Mädchen und sah Dorette verlegen erröthen. Mit einem solchen holden Erröthen stand sie jetzt abermals vor mir, wahrscheinlich sich jenes Vorfalls erinnernd. Um dieser für mich peinlichen Lage ein Ende zu machen, bat ich sie mir etwas vorzuspielen. Ohne Ziererei erfüllte sie meinen Wunsch.« Sie spielte vortrefflich, sodaß Spohr, der das Instrument einmal selbst geübt hatte, ausruft: »Ich war so ergriffen, daß ich kaum die Thränen zurückhalten konnte. Mit einer stummen Verbeugung schied ich, – mein Herz aber blieb zurück.«

Der Verkehr im Hause ward dann bald um so inniger, als zugleich die holdeste Muse die beiden unschuldsvollen Herzen verband. »Das waren glückliche Stunden!« ruft er aus, als er für sie und sich eine concertirende Sonate geschrieben und ihr aufs sorgfältigste eingeübt hatte. Bald darauf muß er sie im Wagen zu einem Hofconcerte abholen. »So zum erstenmal allein mit dem geliebten Mädchen drängte es mich ihr meine Gefühle zu gestehen,« erzählt er, »doch fehlte mir der Muth und der Wagen hielt, bevor ich nur eine Silbe hatte über die Lippen bringen können. Als ich ihr beim Aussteigen die Hand reichte, fühlte ich an dem Beben der ihrigen, wie bewegt auch sie war. Dies gab mir neuen Muth und fast wäre ich noch auf der Treppe mit meinem Geständnisse herausgeplatzt, hätte sich nicht soeben die Thüre zum Gesellschaftszimmer geöffnet.« Ebenso nahe aber stand die Eröffnung dieser Herzen. »Wir spielten an diesem Abende mit einer Begeisterung und einem Einklange des Gefühles, die nicht nur uns selbst ganz hinriß, sondern auch die Gesellschaft so elektrisirte, daß sie unwillkürlich aufsprangen, uns umringten und mit Lobsprüchen überhäuften,« heißt es weiter. »Die Herzogin flüsterte dabei Doretten einige Worte ins Ohr, welche sie erröthen machten. Ich deutete auch dies zu meinen Gunsten und so gewann ich auf der Rückfahrt den Muth zu fragen: Wollen wir so fürs Leben miteinander musiciren?« Mit hervorbrechenden Thränen sank sie mir in die Arme: das Band für das Leben war geschlossen! Ich führte sie zur Mutter hinauf, die segnend unsere Hände ineinander legte.«

Sein erster Brief war an die Eltern gerichtet, der zweite an die schwarzäugige Rosa. Dieser aber blieb unbeantwortet und Spohr hörte später in Dresden, daß sie nach Italien zurückgekehrt und von ihrer Frömmigkeit getrieben in ein Kloster gegangen sei. »Ich konnte nie ohne tiefe Wehmuth an das liebe Mädchen denken,« schließt er: sein Herz hatte ihn aber auch hier nicht getäuscht.

Nach wenig Wochen fand die Trauung statt, der Taufschein erwies zum Erstaunen der Betheiligten, daß der Herr Bräutigam in Gotha anstatt älter um einige Jahre jünger geworden war. Die Trauung fand der dabei interessirten gütigen Frau Herzogin wegen in der Schloßkapelle statt. Bei dem heiteren Hochzeitsfeste fehlte auch die Gespielin nicht, die den Bräutigam mit einer Hopfenstange verglichen hatte, sie mußte sich für solchen ungebührlichen Vergleich manche Neckerei gefallen lassen. Wie beglückend aber diese seine Ehe auf unseren Künstler wirkte, werden wir sehen: jetzt war sein Inneres in jeder Weise beseligt erfüllt und dies hat einen Strahl höheren Lichtes über sein ferneres Dasein als Künstler wie als Mensch geworfen.


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