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›Dieser Stuhl ist ja noch sehr gut erhalten!‹ sagte eine fremde Stimme, und dann fiel ein heller Sonnenstrahl auf mich. Ich war wirklich staubig und häßlich geworden. Aber mein Bein war wieder bombenfest angewachsen, und wenn man mich nur wieder reinigte, konnte ich überall bestehen.

›Vielleicht wollen Sie diesen Stuhl verschenken! Madame Wolf!‹ sagte dieselbe Stimme wieder, die, wie ich jetzt sah, einer häßlichen kleinen Frau gehörte. Sie trug eine große Schürze, gehörte offenbar zu den Leuten, die die Häuser auf den Kopf stellen und uns Mobilien mit Rotwein und Öl zu Leibe gehen, bis wir fast krank werden vor Angegriffenheit. Und geschenkt wollen diese Frauen auch alles haben: ich konnte ihrem Gesicht ansehen, daß sie Gier nach meinem Besitz empfand.

Aber ein sanftes Gesicht beugte sich über mich, strich leise über meinen fleckigen Überzug und erwiderte ruhig, daß dieser Stuhl sehr gut sei und im Wohngemach stehen sollte.

Mamsell Riekchen hatte sich als Madame Wolf etwas verändert. Sie war nicht mehr so schlank und sie trug eine große Haube, durch die man damals anzeigte, daß man in die Gilde der Verheirateten aufgenommen war. Aber ihre Augen waren noch ebenso blau wie ehemals, und ihr Lächeln recht nachdenklich geworden. So mußte Frau Hansen, die Scheuerfrau, mich bearbeiten, daß ich fast bewußtlos wurde, und dann stand ich in einem Gemach, darin die Sonne schien, und Herr Melchior Wolf betrachtete mich zufrieden.

›Er ist wieder frisch geworden, der alte Kerl!‹ sagte er. ›Und macht eine so unschuldsvolle Miene, als hätte er mir einstmals nicht nach dem Leben getrachtet!‹

›Von selbst ist er aber nicht aus dem Fenster geworfen!‹ erwiderte seine Frau, und Herr Michael streichelte mich von neuem.

›Das weiß ich wohl, ich bin dem Stuhl ja auch nur dankbar. Denn ohne ihn hätte ich niemals gewagt, noch einmal mit dir zu sprechen, da du mir bis dahin jedesmal, so oft ich es versuchte, einen Abschlag gabest. Manchmal habe ich gefürchtet, du hättest dein Herz an einen jener windigen Franzosen gehängt, die damals unsere Stadt unsicher machten, und war sehr dankbar, daß diese Annahme sich als ein Irrtum herausstellte!‹

Er umfaßte seine Frau und sie lächelte mit sehr ernsthaften Augen. Aber als dann einige Kinder gesprungen kamen, wurde sie wieder freundlich. Ich meine aber doch, daß Madame Wolf sich freute, daß ich nicht in ihrer Sprache reden konnte. Allerdings, ich würde niemals etwas verraten haben!«

Der Mond lächelte, daß das ganze Zimmer mit lachte.

»Mein Lieber,« sagte er. »Rühme dich nicht mit deiner Schweigsamkeit. Denke an mich: was ich alles sah und hörte, seit vielen tausend Jahren! Wenn ich alles verraten wollte, du liebe Zeit! Die Welt wäre schon lange zugrunde gegangen und ihr, die hier herumsteht und alle etwas erlebt habt, ihr wäret im Weltenraum verschwunden, wie diese ganze Erde. Ich entsinne mich übrigens der Madame Riekchen Wolf sehr wohl. Sie war eine stattliche Frau geworden und ihr Ehemann hatte allen Grund, stolz auf sie zu sein. Ganz oft bin ich ihr nicht begegnet, weil sie viel im Haus und mit ihren Kindern zu tun hatte: es ist mir auch manchmal so gewesen, als scheute sie mein Licht. Einige Menschen geben mir ja die Schuld, wenn irgend etwas geschehen ist, wovon ich ein unfreiwilliger Zeuge war, und es ist immerhin möglich, daß das kleine Riekchen sich einmal von dem leichtfertigen Franzosen in meiner Gegenwart küssen ließ. Ich weiß mich dessen aber nicht zu erinnern. Damals mußte ich manche Torheit ansehen und möchte sie lieber vergessen, als noch an alte Geschichten denken. Einmal indessen habe ich Madame Riekchen Wolf doch sehr lange an der Elbe gesehen. Dort stand, unweit des Ufers, ein schönes altes Haus, und viele Gäste gingen darin aus und ein. Gäste aus aller Herren Länder: Franzosen, Engländer, Deutsche, wie es gerade kam. Mit Freundlichkeit wurde alles aufgenommen und der Gesang von dem guten alten Claudius, ›Guter Mond, du gehst so stille!‹ ist oft zu meinen Ehren angestimmt worden. Und einmal war auch Madame Wolf unter denen, die ernsthaft und doch bewegt zu mir aufblickten, und neben ihr stand ein geschniegelter Herr: Es war der Franzose, der sich einstmals Hareng nannte und bei seinen Landsleuten Graf Louis hieß. Er sprach eifrig auf Madame Wolf ein, legte die Hand aufs Herz und berichtete, wie es ihm ergangen war. Er hatte nach Frankreich zurückkehren dürfen und bekleidete jetzt ein großes Amt unter dem Kaiser Napoleon. Und er hatte sich nach Hamburg versetzen lassen, in dem Wunsch, noch einmal mit der reizenden Frau zusammenzutreffen, die einstmals Demoiselle Riekchen hieß, und der er viele und schöne Stunden verdankte, bis die ungeschickte alte Tante diesem angenehmen Verhältnis ein trauriges Ende bereitete. Der Graf konnte gut sprechen, und Riekchen hörte ihm aufmerksam zu. Aber als er nun geendet hatte und sie leise mit sich auf einen Platz ziehen wollte, auf dem es ganz dunkel war und mein Licht nicht hindringen konnte, da richtete sich Madame Wolf auf:

›Wir wollen hier im Scheine des Mondes und bei der anderen Gesellschaft bleiben, Herr Graf! Ich suche außerdem meinen Gemahl, mit dem ich dies Fest verlassen möchte, da ich noch ein ganz kleines Kind habe, das gewartet sein will. Die größeren Geschwister sorgen zwar dafür, aber das Auge der Mutter muß doch überall sein!‹

Sie wandte sich vom Grafen, der stehen blieb und nachher leise einen Fluch ausstieß. Er war, wie ich wußte, an billige Siege gewöhnt und konnte es nicht begreifen, daß es in dem langweiligen und unkultivierten Deutschland wirkliche Mütter gab.«

Der Mond schwieg, und der Stuhl begann wieder zu sprechen.

»Natürlich, lieber Mond, du weißt tausendmal mehr als ich; dagegen zu streiten wäre vermessen. Die Geschichte mit Madame Riekchen ist sicherlich so gewesen, wie du es dir denkst: und sie hat ganz gewiß dem leichtfertigen Franzosen keinen Gedanken mehr geschenkt. Leider ist sie mit ihrem Gemahl sehr bald aufs Land verzogen, und ich kann nicht sagen, was aus ihr geworden ist. Sie hat mich und verschiedene andere Genossen nicht mitgenommen, da sie meinte, keinen Platz für uns zu haben. Wir sind auf eine Auktion gekommen, und ich bin hinterher lange bei einem Schuster gewesen, und habe in seinem kleinen Laden gestanden. Große und kleine Menschen sind gekommen, um auf mir zu sitzen, weil sie sich Maß für Stiefel und Schuhe nehmen ließen, und von diesem Leben könnte ich manches berichten. Aber wenn man in dem Zimmer einer wirklichen Herzogin gestanden hat, dann wird man verwöhnt, ich habe mich nicht sehr viel um die Kunden bekümmert. Und eines Tages bin ich ins Siechenhaus getragen worden. Dort lag eine alte Verwandte des Schusters und war mit ihrem einzigen Stuhl zusammengebrochen, weil er steinalt war und dazu aus Tannenholz. Es war eine lange und langwierige Zeit, die ich durchmachen mußte; wie viele Jahre sie dauerte weiß ich nicht. Viel Seufzen, viel Stöhnen mußte ich hören – bis eine gütige Frau mich einmal betrachtete und mich dann kaufte.

›Es ist altes, sehr gutes Mahagoni!‹ sagte der Tischler von mir. ›Nur den Überzug haben die Motten gefressen!‹

Nun bin ich neu aufgewichst und neu bezogen, und in mir fühle ich, daß ich wieder jung geworden bin. Darum bin ich auch wohl in das Gemach eines jungen Mädchens gebracht. Und wer weiß?« Der Stuhl hielt inne, und der Mond lächelte nachsichtig.

»Wer weiß?« wiederholte er und ließ sein Licht in den Beschlägen eines alten Sekretärs funkeln.

»Hast du denn gar nichts erlebt?« fragte er, und der Angeredete erwiderte nicht gleich etwas. Dann aber begann es leise in seinem Innern zu klingen. »Freut euch des Lebens, solange noch das Lämpchen glüht. Pflücket die Blume, ehe sie verblüht!«

»Aha!« Der Mond lächelte, »du gehörst zu den Schreibtischen, die in sich ein Spielwerk beherbergen. Das war eine Mode von ehemals, als es noch keine Ungeheuer gab, mit großen Schallrohren, und Platten zum drauflegen. Ehemals war man genügsamer, und wenn man einen Brief geschrieben hatte, der sechzehn Seiten und noch länger war, dann ließ man sich eine heitere Melodie vorspielen. Einigen Menschen, die zuhörten, gefiel es, anderen wieder nicht.«

 

»Meine Herrschaften waren immer sehr mit mir zufrieden!« erwiderte der Sekretär. »Zuerst hatte ich auch keine Spieldose im Leibe, es ist der französische Bischof gewesen, der sie mir einsetzen ließ. Er meinte, wenn er mich spielen hörte, dann vergäße er seine traurigen Gedanken. Eigentlich sollte ich lauter französische Liedchen spielen, aber die waren bei dem Mann, der mich arbeitete, nicht vorrätig: so mußte er sich mit den deutschen begnügen. Der Bischof hatte mich billig gekauft, er hatte auch Geld mitgebracht, und bekam nachher noch etwas, das ihm sein Diener brachte. Dieser Diener hieß Armand und war eine gute Seele. Ich bin nicht sehr für die Franzosen in der Stadt gewesen, weil ich Gelegenheit hatte, sie genau kennen zu lernen, aber dieser Armand war wirklich ein guter Franzose. Denkt euch, er blieb in Frankreich zurück, damit sein Herr unbemerkt fliehen konnte. Das bischöfliche Haus in der französischen Stadt wurde sehr genau bewacht, weil man den Bischof nicht entkommen lassen wollte. Da zog Armand das geistliche Gewand an, ging mit einem Gebetbuch im Garten spazieren, und benahm sich, als wäre er der Bischof. Und da man daran gewöhnt war, den Bischof nur aus der Ferne zu sehen, und wußte, daß er ein zurückgezogenes Leben führte, so ließen die Machthaber der Stadt sich einen ganzen Monat lang täuschen. Der Bischof war schon hier, da erst merkten sie den Betrug. Natürlich wurde Armand jetzt stark mißhandelt und dann ins Gefängnis geworfen. Er sollte mit einer ganzen Anzahl Gefangener nach Paris gebracht und dort enthauptet werden, aber dann gelang ihm doch das Entkommen aus dem Gefängnis, und er brachte noch zwei junge Französinnen mit, die sich ihm angeschlossen hatten. Sie waren aus guter Familie, und ihre Eltern waren beide hingerichtet. Sie sollten gleichfalls bestraft werden, weil sie nach der Ansicht des Tribunals hochverräterische Eltern gehabt hatten, aber dann verzögerte sich der Gerichtsspruch, und die Frau des Gefangenaufsehers, die ehemals Dienerin in einem der vornehmen Häuser gewesen, war, hatte Mitleid mit ihnen. Zu der Zeit gab es ja keinen Gott in Frankreich, wenigstens erklärten die Franzosen, daß sie ihn abgeschafft hätten und nur nach der reinen Vernunft leben wollten. Ob sich der liebe Gott an diese Kinderei kehrte, weiß ich nicht, jedenfalls hatte die Frau des Aufsehers einen bösen Traum, in dem sie von der Hölle und von allen möglichen Strafen träumte, die sie befallen würden, wenn sie nicht versuchte, den armen Opfern der Revolution etwas Gutes zu tun. Da ließ sie in einer dunklen Nacht die beiden Mädchen entfliehen, und weil sie allein wahrscheinlich gleich wieder eingefangen würden, mußte Armand sie begleiten. Denn die Frau wußte, daß er der Diener des Bischofs war, und sie wollte es mit der Geistlichkeit nicht verderben, da sie nicht an die reine Vernunft, sondern an einen Gott glaubte, dessen Stellvertreter doch der Bischof war.

So sind sie nun mit Armand durch einen großen Teil Frankreichs und dann durch Süddeutschland gewandert. Sie hießen Berthe und Marguerite und waren Kusinen. Sie trugen Bauernkleider und Holzschuhe, auch nachher, als sie in Koblenz waren, wo Verwandte von ihnen als Emigranten lebten. Hier hoffte Armand sie den Verwandten übergeben zu können, aber diese erklärten, sie hätten so viel mit sich selbst zu tun, daß sie unmöglich auch noch andere Menschen in ihre Obhut nehmen könnten. Armand hat nachher oft in meiner Gegenwart von den vornehmen Franzosen gesprochen, die sich in Deutschland wohl sein ließen, und nur an sich und ihr eigenes Vergnügen dachten. Sie waren unbarmherzig gegen ihre Landsleute. Wenn es ihnen selbst nur nach Wunsch erging, dann wären sie zufrieden. Das war überhaupt das Traurige bei den französischen Emigranten: sie lernten nichts und vergaßen auch nichts. Sie glaubten immer, sie hätten keine Schuld an den Zuständen in Frankreich, und schalten auf das Volk und die jetzigen Machthaber, ohne zu bedenken, daß sie sich selbst hätten anders benehmen müssen. Ich hörte viel von diesen Dingen reden, denn zum Bischof kamen viele Leute, die sich mit ihm aussprechen wollten. Er empfing sie dann, vor mir sitzend, und machte sich nachher Aufzeichnungen von dem, das er gehört hatte und nicht vergessen wollte. Er war ein guter Mann, und viel verständiger als die meisten seiner Landsleute. Daß er manchmal bei der alten Herzogin ein Glas Wein trank und dann vergnügt wurde, kann ich ihm nicht verdenken. Sonst erlebte er auch nur Trübseliges, und war doch gewöhnt, ein behagliches und sehr angesehenes Leben zu führen. Armand hat wohl der alten Köchin davon berichtet, wenn sie das Zimmer scheuerte oder die Möbel abrieb. Der Diener sprach etwas Deutsch und lernte es immer besser. Wie gesagt, er war ein guter Kerl, und er hat auch weiter für die jungen Mädchen gesorgt, um die der Bischof sich nicht so sehr viel bekümmern konnte, weil er eben von andern Hilfsbedürftigen ganz in Anspruch genommen wurde. Zuerst kamen Berthe und Marguerite häufiger zu uns, aber dann war es meistens Armand, der mit ihnen redete, und der Erlaubnis hatte, sie im Zimmer des Bischofs zu empfangen. Sie hatten herzlich wenig Geld, und nur die Kleider, die sie auf dem Leibe trugen, und mit denen konnten sie eigentlich nicht auftreten. Auch nicht mit ihren Holzpantoffeln, die sehr stark waren, aber nichts für die Stadt, und die vornehmen Emigranten, die sich alle putzten, als wären sie noch bei Hofe, bei dem armen König, der lange schon in der Kalkgrube lag. Armand aber sprach verständig mit den jungen Mädchen.

›Sie wissen, meine Damen, daß Sie hier nur bleiben können, wenn Sie arbeiten wollen. Die andern Herrschaften arbeiten auch: wenigstens viele von ihnen, und wer es nicht tut, wird von der Stadt bald abgeschoben werden. Denn die Stadt hat nicht viel Geld!‹

Berthe gefiel mir am besten. Sie war klein, ziemlich dick, hatte schwarze Haare und blitzende dunkle Augen. Sie rief:

›Ich bin im Kloster erzogen und habe Sticken und kleine Kuchen backen gelernt!‹


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