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Aber einmal, lieber Mond, du warest noch nicht aufgegangen, der Himmel war blaßblau, wie er manchmal im Sommer ist, die Vögel sangen noch und der ganze Garten war voll Duft und Sommerlust, da holte mich Herr Louis wieder aus dem Zimmer der Herzogin ins dichte dunkle Gebüsch, und bald kam Riekchen und ließ sich von dem Franzosen einige Worte ins Ohr sagen, die ich leider nicht verstand. Sie schien sehr damit einverstanden, jedenfalls sagte sie, daß die Welt noch nie so schön gewesen wäre, wie gerade jetzt. Die Menschen sprechen ja solche Dinge; später hörte ich sie noch öfters, aber damals war ich selbst noch unerfahren, und ich freute mich über das kleine Riekchen und hoffte, daß der Herr Louis diesmal wirklich im Ernst wäre. Gerade wie diese Gedanken in mir entstehen, flammt ein Licht auf, und vor uns steht die Herzogin. Sie hat eine kleine Laterne in der Hand, die ihren Schein gerade auf Riekchen und den Franzosen wirft. Die Zwei fahren auseinander, und die Herzogin lacht. Sie scheint nicht gerade sehr überrascht. Sie sagt nur:

›Aber Louis, machst du wieder dumme Streiche?‹

Dann wendet sie sich an Riekchen.

›Liebe kleine Demoiselle, wie hübsch von Ihnen, daß Sie meinem Neffen so artig die Zeit vertreiben! Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar! Da er sich doch naturgemäß nach seiner Braut sehnt, die er in Frankreich zurücklassen mußte, sie aber hoffentlich bald heiraten wird, wenn all dieser Unfug mit der Republik und den Jakobinern wieder verflogen sein wird. Seine Braut ist die Marquise von Aubigny aus sehr altem Geschlecht, und von großem Reichtum, so wie er beschaffen ist, muß er auch reich und vornehm heiraten. Eine andere Frau würde ihm nicht genügen!‹

›Meine liebe Tante –‹ der Herr Louis will seine Tante schon lange unterbrechen, aber sie erhebt ihre Stimme immer mehr, und er muß schweigen. Auch Riekchen steht regungslos, gerade als wäre sie von Holz, wie ich. Dann aber geht sie wortlos durch den dunklen Garten und die Herzogin setzt sich auf mich, den leeren Stuhl. Denn Herr Louis hat sich lange erhoben.

›Liebe Tante –‹ wieder will der Graf sprechen, und wieder fällt sie ihm ins Wort.

›Ich weiß, was du sagen willst, mein Lieber! Nämlich, daß du keine reiche Braut in Frankreich hast, und daß es abscheulich von mir ist, deine süße Schäferstunde zu stören. Aber ich halte etwas von der Kleinen. Sie ist zwar nur eine Deutsche, aber das sind gewissermaßen auch menschliche Wesen. Als ich krank war, hat sie gut für mich gesorgt, besser als die alte Hexe Ninette, die nicht mit mir aus Frankreich fliehen wollte, obgleich sie seit dreißig Jahren meine Kammerfrau war und viele Wohltaten von mir empfing. Ich hoffe, daß der Herr von Paris, der liebenswürdige Henker, ihr noch einmal den Kopf abschlagen wird, wenn auch Ninette die vornehme Gesellschaft, in der sie zum Schafott fahren wird, kaum verdient. Aber der Teufel wird ihr schon einen Platz in seiner untersten Halle anweisen, wohin die aus guter Familie sicher nicht kommen!‹

›Liebe Tante!‹ Graf Louis steht noch immer vor der Herzogin und verhehlt nicht seine üble Laune. ›Diese Geschichte hat wenig mit dem kleinen Mädchen zu tun, an der ich einen guten Zeitvertreib hatte!‹

Die alte Dame hob die Laterne und betrachtete sie aufmerksam.

›Siehst du diese Laterne? Sie stammt von der schönen Königin Marie Antoinette, die sie mir einst als Geschenk gab. Ich sollte mit ihr in den dunklen Hecken von Versailles wandeln. Ich hab's getan, aber damals war sie mir nicht so nützlich wie in den unterirdischen Kellern Nordfrankreichs. Und nun leuchtet sie mir in einem Bürgergarten der Stadt Altona, von deren Vorhandensein meine Seele ehemals nichts ahnte. So haben die kleinen leblosen Sachen ihre Schicksale, wie die Menschen. Sie klagen nicht, und auch ich unterlasse das Klagen, wenn ich mich auch oft hier sehr fremd fühle. Man muß sein Schicksal mit Gelassenheit tragen und darf den Allmächtigen nicht beleidigen. Er hat mich vor der Guillotine gerettet und dich auch, mein lieber Louis. Denn wir zwei sind recht knapp dieser raubgierigen Maschine entkommen. Dafür wollen wir Gott Dank sagen und ihn durch gute Werke veranlassen, daß er seine Huld nicht von uns wendet. Wenn du aber dem kleinen Riekchen das Herz gebrochen hättest, würde Gott ein Recht haben, dir zu zürnen. Gott sei davor, daß du sie heiratest. Das würdest du auch deinem Stammbaum zuliebe nicht tun, nicht wahr?‹

›Ich denke nicht an Heiraten!‹ ruft Graf Louis. ›Aber in diesem verwünschten Lande bedarf man einer Auffrischung. Auch Sie, liebe Tante, haben Ihren Bischof!‹

›Aber wir küssen uns nicht und sitzen nicht auf einem Stuhl? erwidert die Herzogin streng und wundert sich, daß ihr Neffe laut lacht. Aber er erwidert nichts, küßt ihr die Hand und geleitet sie samt ihrer Laterne aus dem dunklen Garten. Kein Mensch dachte an mich – ich blieb im Gebüsch stehen und war vergessen. Die Nachtigallen sangen und der Flieder duftete, nachher aber kam der Regen und durchnäßte mich, daß ich sehr verdrießlich wurde. Mein Mahagoni konnte wohl die Nässe vertragen, aber mein Überzug, von Frau Schleppegrell selbst gearbeitet, war nicht an Regen gewöhnt. Wir sind ja hilflos dem Eigenwillen der Menschen ausgesetzt. Gottlob kann ich schlafen, wo ich soll; erst, als es Tag war, erwachte ich wieder und begann heftig zu frieren. Aber da stand schon das kleine Riekchen vor mir und trug mich schnell ins Haus. Es war noch früh am Tage und das Haus still und leer. Riekchen nahm mich in die Küche, rieb mich ab und suchte meinen Überzug zu trocknen, indem sie ihn von mir lostrennte und über die warme Herdflamme hing. Wahrlich, sie gab sich Mühe und ich hätte ihr gern ein freundliches Wort gesagt. Sah ich doch, wie blaß sie war und ihre Augen rot verweint. Die ganze Nacht hatte sie sicher nicht geschlafen und an den gedacht, der, sie wie ein Spielzeug behandelte.

Wenn ich hätte reden können! Dann würde ich ihr von der Unterredung der Herzogin mit ihrem Neffen berichtet und ihr vorgestellt haben, daß sie nicht zwischen diese gewissenlosen Franzosen paßte, wenn ich auch zugeben mußte, daß die Herzogin es nicht gerade schlecht mit der Kleinen meinte. Aber sie war doch hart mit ihr, anstatt sie sanft auf die große Enttäuschung vorzubereiten, die ihr bevorstand.«

»Große Ärzte machen immer einen tiefen Schnitt und helfen dadurch dem Kranken!« warf die Laute ein.

»Du magst recht haben, liebe Laute. Aber die großen Ärzte können auch nicht den Tod bannen, der oft nach glücklicher Operation eintritt!«

»Das kleine Riekchen ist nicht gestorben!« sagte die Laute trotzig.

»Weißt du, ob nicht irgend etwas in ihr entzweigebrochen ist? Du hast zersprungene Saiten, liebe Laute, und einen Riß in deinem Schalldeckel, der deinen Ton matt und brüchig macht. Du bist auch nicht an dem Riß gestorben, aber du hast dich doch recht verändert.«

»Zankt euch nicht!« ermahnte der Mond. Sein Licht war immer weißer geworden und füllte das Zimmer. An einigen Stellen lagen die Schatten und in ihnen stiegen einige Gestalten auf. Aber nur der Mond sah sie, weil er eben der Mond ist. Der Stuhl stand gerade aufgerichtet und träumte vor sich hin.

»Wie sollte ich mich mit einer kleinen Laute zanken,« sagte er verächtlich. »Die hat ihr halbes Leben hinter einem Himmelbett gehangen und nichts mehr von der Welt gesehen. Nur, als die alte Herzogin starb, ist sie wieder für einige Zeit zum Vorschein gekommen, aber dann gleich wieder in Ruhestellung. Ich habe ja alles mit erlebt. Sie starb ganz plötzlich, die alte Dame, nachdem sie noch den Abend vorher mit dem Bischof mehrere Flaschen Rotwein getrunken und dazu gesungen hatte. Aber es war ein schöner Tod, wie ihre Landsleute sagten, und sie erhielt in der Kirche an der kleinen Freiheit ein sehr anständiges Begräbnis. Dann kam der Gerichtsbeamte und ihr Nachlaß wurde untersucht. Irgendein Marquis tauchte auf, der ihr Haupterbe sein wollte; er und Graf Louis zankten sich derart, daß der Beamte dazwischenfahren und sie zur Ruhe verweisen mußte. Aber er konnte doch nicht verhindern, daß Graf Louis einen Stuhl nahm und diesen dem Marquis an den Kopf warf. Dieser Stuhl war ich, und ich hütete mich wohl, den Marquis zu treffen, von dem ich gar nichts Böses wußte, außer daß er eben ein Franzose und natürlich leichtfertig war. Aber ich machte eine verkehrte Bewegung und anstatt gegen die Wand, flog ich aus dem offen stehenden Fenster auf die Straße und fast dem Melchior Wolf auf den Kopf, der sich mit allerlei Papieren zu dem Nachlaß der Herzogin begeben wollte. Leider hatte ich die Herrschaft über meine Glieder verloren und fiel so schwer auf die Straße, daß mir ein Bein abflog. Es tat natürlich weh und ich krachte vor Schmerz. Da hob Melchior mich vorsichtig auf, nahm mein abgefallenes Bein und brachte mich zu Madame Schleppegrell, die mich kopfschüttelnd in Empfang nahm. Dabei sagte sie einige unfreundliche Worte über die Franzosen, die mit fremdem Gut leichtfertig umgehen und nicht einmal dankbar sind. Auch rief sie nach Mamsell Riekchen, die mich gleich wieder abbürsten und in Ordnung machen sollte. Sie erschien sofort und Herr Wolf bemühte sich redlich, ihr zu helfen. Mamsell Riekchen war sehr ernsthaft und sehr blaß, aber die guten Augen von Herrn Melchior sahen sie so liebevoll an und er sprach so viele und so liebe Worte, daß sie allmählich freundlicher wurde und einmal sogar lächelte. Leider wurde jetzt Leim gekocht, um mein Bein wieder zu heilen und ich kam in eine Art Krankenstube, die auf dem Boden war. Ganz dunkel war es und sehr still: ich bin sehr fest eingeschlafen und weiß nicht, wie lange ich warten mußte, bis ich wieder in Gebrauch genommen wurde. Ich fürchte, daß man mich vergessen hat. Jedenfalls war ich mit Staub bedeckt, als eine Hand mich aus altem Gerümpel hervorzog.


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