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Frau von Zehleneck war eine Zeitlang verreist; als aber der Herbst herannahte, kehrte sie zurück. Sie war sehr verstimmt weggegangen, weil sich Graf Rössing nicht um sie bekümmert hatte, ihre Laune wurde auch nicht besser, als sie bei ihrer Rückkehr erfuhr, er halte sich im Süden auf. Obgleich sie auf fünf Gütern zu Besuch gewesen war und ein ganzes Arsenal von Schönheitsmitteln verbraucht hatte, war es ihr doch schließlich klar geworden, daß diese Mittel ihren Zweck verfehlt hatten. Sie hätte mit ihrer Hilfe gern einen Mann gefangen, aber es hatte sich kein Mann fangen lassen.

Als sie nun an einem grauen Novembertage ihre Freundin Ada besuchte, lag die Welt ebenso grau vor ihr, und ihre Stimmung war so trübe, daß sie beinahe weinte.

Das Leben ist doch eine fatale Einrichtung! klagte sie nach der ersten Begrüßung. Man wird alt, die Kinder werden schauderhaft groß, und man weiß nicht, was man mit sich anfangen soll.

Ada fühlte sich selbst nicht ganz frisch, und wenn es ihr auch nicht ganz klar war, was ihr fehlte, so konnte sie doch begreifen, daß andre Menschen gerade so wie sie das Leben langweilig fänden.

Wo sind deine schönen silbernen Armleuchter geblieben? fragte Amelie, die Luchsaugen hatte und jede Lücke bemerkte.

Die Baronin zuckte die Achseln. Man muß sein Herz nicht an tote Gegenstände hängen, selbst wenn sie von Silber sind, sagte sie leichthin. Damit wußte Frau von Zehleneck, daß die alten, schön gearbeiteten Erbstücke verkauft seien. Dieser Gedanke heiterte sie etwas auf: sie hatte es gern, wenn es andern Leuten auch nicht besonders gut ging; und als sich nun vollends die Tür öffnete und Herr Neumann eintrat, wurde sie geradezu fröhlich. Reiche und ledige Gutsbesitzer waren für sie das Anziehendste, was es auf der Welt geben konnte; sie bedauerte nur immer, daß auf dieser armen Welt nur so wenig bevorzugte Menschen zu finden seien.

Bald waren Herr Neumann und Frau von Zehleneck in angenehmster Unterhaltung. Obgleich sie sich nur einmal gesehen hatten, war es doch, als kennten sie sich schon lange, und sie fanden die verschiedenartigsten Gesprächsstoffe. Sehr bedeutend war ihre Unterhaltung nicht; die funkelnden Augen Frau von Zehlenecks taten aber das ihrige, und Ada, die sich etwas abseits gesetzt hatte, seufzte erleichtert auf. Seit den vierzehn Tagen, die sie nun mit Neumann heimlich verlobt war, hatte sie sich schmählich mit ihm gelangweilt, ja manchmal war es ihr vorgekommen, als hätte er dasselbe öde und stumpfsinnige Gefühl, mit dem sie zu kämpfen hatte. Das war aber ein Irrtum gewesen. Neumann langweilte sich nicht bei der Baronin, oder wenn er es tat, dann hatte er niemals etwas andres getan. Aber er fühlte sich nicht ganz unbefangen in ihrer Gegenwart: es war ihm immer, als erwartete sie mehr von ihm, als er geben konnte, und diese Empfindung trug nicht zu seinem Behagen bei. In Frau von Zehleneck fühlte er mit richtigem Instinkt etwas Verwandtes; er und sie verstanden sich schnell.

Du solltest mich bald einmal wieder besuchen! sagte Ada, als Neumann fort war und nun auch Frau von Zehleneck sich anschickte, Abschied zu nehmen.

Ich komme morgen wieder! rief Amelie und umarmte die Freundin gerührt. – Sie wurde immer gerührt und zärtlich, wenn sie einen Mann zu erobern hoffte. Dieser Neumann ist wirklich sehr nett! fuhr sie fort. Wie hübsch von ihm, daß er dich oft zu besuchen scheint. Natürlich tut er es, weil dein guter Mann bei ihm gestorben ist. Wirklich sehr rücksichtsvoll! So etwas findet man nicht leicht bei der heutigen Männerwelt!

Als Frau von Ravenstein allein war, versuchte sie gleichfalls, Günstiges über Neumann zu denken. Aber es wurde ihr schwer. Besonders, weil sie ungern an ihn dachte. Manchmal nahm sie sich fest vor, wenigstens zehn Minuten an ihn zu denken, aber länger als eine Minute hatte sie es noch nie fertiggebracht. Sie wußte es nach der Uhr. Die Gedanken zerflatterten ihr fortwährend, und wenn sie sich besann, woran sie eigentlich gedacht hatte, war es immer ihr Mann gewesen. Sie sah ihn beständig vor sich: wie er mit seinen Pistolen geschossen, wie er so glücklich an seinem Buche geschrieben hatte, wie er immer zufrieden und gut mit ihr gewesen war. In den ersten Jahren ihrer Ehe war sie oft ungeduldig, launisch, verdrießlich gewesen. Das war damals, als sie noch Ansprüche ans Leben gemacht hatte, als dieses ihr viel geben sollte und ihr nach ihrer Meinung nichts gab als einen alten Mann. Aber dieser Mann war niemals anders als gut und geduldig gewesen. Er hatte sie nicht ausgelacht, wenn sie mit ihren kindischen Einfällen zu ihm kam, er war immer derselbe geblieben – immer. Würde Neumann auch so gut, so geduldig sein? Würde er Verständnis haben für ihre veränderlichen Stimmungen und Ansichten, die sich von heute auf morgen ändern konnten? Jetzt war er sehr höflich, sehr ruhig und gemessen; aber würde er so bleiben? War nicht manchmal ein sonderbar unruhiger Blick in seinen Augen, ein Zucken um seinen Mund, das ihr mißfiel? Wenn die Baronin bei diesem Punkte angelangt war, dann schob sie plötzlich alle Gedanken zurück, zündete sich eine Zigarette an und vertiefte sich in einen französischen Roman. Oder sie suchte den sonderbarsten alten Kram aus ihren Koffern hervor und breitete alles um sich aus. Es kam ja auch die Weihnachtszeit, wo sie billige Geschenke für die Armen haben wollte.

Frau von Zehleneck und Herr Neumann sahen sich nun öfter bei der Baronin. Zuerst wurde er sichtlich lebhafter; dann aber kam eine Zeit, wo er nachdenklich und still in seiner Sofaecke saß und auf das Gespräch der beiden Damen hörte, die sich hin und wieder miteinander unterhielten. Frau von Zehleneck war die interessantere. Sie wußte sehr viel gute Geschichten, sie war oft boshaft, und dann hatte sie eine sehr geschickte Art, die Unterhaltung auf ihre vornehmen Verwandten zu bringen, was Neumann sehr imponierte. Außerdem wurde sie täglich jünger und hübscher: wenigstens fand dies Neumann. Die Baronin dagegen sah sehr angegriffen aus und war blaß geworden. Sie dachte auch augenblicklich nicht daran, über andre Menschen zu sprechen, und ihre vornehme Verwandtschaft war ihr von ihrer Geburt an gleichgültig gewesen. Aber sie dachte viel an Weihnachten und daran, wie sie den armen Kindern eine Freude machen könnte, und wenn Frau von Zehleneck eine Geschichte beendet hatte, in der mindestens ein russischer Fürst vorkam, dann zog Ada Ravenstein ein Stück Wollenzeug auseinander und sagte zufrieden: Daraus kann noch eine kleine Unterjacke werden!

Um Weihnachten war sie immer so, etwas zerstreut und nachdenklich und in einem gewissen Wohltätigteitsrausch befangen. Das ging um Neujahr vorüber: dann erzählte sie selbst die lächerlichsten Geschichten von sich und erklärte Weihnachten für die dümmste Einrichtung der Welt. Neumann wußte das natürlich noch nicht, und wenn Frau von Zehleneck nicht gewesen wäre, würde er sich sehr unbehaglich gefühlt haben. Es war ihm schon fast zur Gewohnheit geworden, wenn Amelie ging, sich auch zu empfehlen und sie nach Hause zu begleiten. Dann sprachen sie meistens über Frau von Ravenstein. Das heißt, Amelie redete, und er hörte zu.

Natürlich fiel es Amelie nicht ein, Gutes von Ada zu reden, das tat sie über keinen Menschen; sie lachte über die Freundin und ihre Schwächen und hatte eine geschickte Art, ihre Fehler ins rechte Licht zu stellen.

Die arme Ada! sagte sie einmal. Sie hat ein merkwürdiges Talent, mit den größten Vermögen fertig zu werden. Rolf Ravenstein war reich, als er sie heiratete; nun ist kein Groschen mehr da, und sie muß ihr Silberzeug verkaufen. Und dabei haben diese Menschen nichts von ihrem Gelde gehabt.

In Wahrheit hatte Rolf Ravenstein niemals Vermögen gehabt; er war ein ebenso schlechter Haushalter gewesen wie seine Frau, die nur mit Hilfe einiger kleinen Erbschaften den Hausstand über Wasser gehalten hatte. Das wußte Neumann natürlich nicht, und so begann er sich zu ängstigen. Er wollte ja gern eine vornehme Frau haben; aber mußte es gerade Ada Ravenstein sein? Diese Fragen beschäftigten ihn täglich mehr und mehr; und eines Morgens, als er ganz unerwartet zu Ada eintrat, war er noch blasser als gewöhnlich.

Es war eben vor Weihnachten, und die Baronin hatte aus alten Zigarrenkisten allerhand Puppenmöbel gesägt, die sie jetzt eben zusammenpochte und leimte. Dabei summte sie ein Weihnachtslied vor sich hin und schien ganz fröhlich zu sein.

Guten Morgen, Neumann! sagte sie freundlich. Wollen Sie mir kleben helfen? Das ist nett von Ihnen! Ich habe auch noch ein paar sehr schwierige Nägel einzuschlagen, bei denen Sie mir Ihre kräftige Hand leihen müssen! Sie geben Ihren Leuten doch auch einen Tannenbaum?

Aber Neumann saß ihr schweigend und untätig gegenüber. Er fühlte sich so unbehaglich, daß er kaum wußte, was er antwortete, als ihn Frau von Ravenstein nach seinem Befinden fragte. Erst aus ihrem bedauernden Kopfschütteln entnahm er, daß er gesagt habe, es gehe ihm schlecht.

Luftveränderung ist immer gut, sagte sie freundlich. Sie sollten ein wenig reisen, denn Sie sehen wirklich schlecht aus. Ist das nicht eine allerliebste kleine Wiege? Nur aus Zigarrenholz! Können Sie nicht auch so etwas machen?

Nein! sagte Neumann. Er war aufgestanden und riß an seinem Hemdkragen, der ihm plötzlich zu eng wurde. Dann begann er in abgerissenen Sätzen zu sprechen. Was er sagte, wußte er später selbst nicht mehr; es ergab sich nur aus der Antwort der Baronin.

Sie hatte ihre kleinen Gerätschaften beiseite gelegt und war gleichfalls aufgestanden. Eine leichte Röte flog über ihr Gesicht, und sie streckte ihm beide Hände entgegen.

Lieber Herr Neumann, sagte sie, ich verstehe Sie – Ihr damaliger Wunsch war eine Übereilung. Ihr Wort gebe ich Ihnen zurück, und nicht wahr, wir wollen Freunde bleiben? Es ist auch besser so, setzte sie mit anmutigem Lächeln hinzu.

Neumann starrte sie mit dem dunkeln Gefühl an, eine große Dummheit begangen zu haben. Aber er war einmal im Zuge und wollte das tun, was er sich in der letzten schlaflosen Nacht ausgedacht hatte. Fünfzigtausend Mark! sagte er und legte ein großes Paket, das er schon die ganze Zeit unbeholfen unter dem Arm getragen hatte, in Adas Hände. Zur Bezahlung der Schulden! setzte er in einem Tone hinzu, der zugleich wohlwollend und ermahnend klingen sollte. Er hatte sich eigentlich eine ziemlich lange Rede ausgedacht, sie aber in diesem Augenblick vollständig vergessen. Besinnen konnte er sich auch nicht weiter darauf, denn sein Paket flog ihm vor die Füße, und Ada stand so hochaufgerichtet vor ihm, daß er unwillkürlich zusammenschrumpfte. Dann lachte sie hell auf und zeigte nach der Tür. Weiter tat sie nichts. Aber Neumann verstand sie doch. Er ging und nahm das Paket wieder mit sich. Als er langsam über die Straße schritt, kam es ihm vor, als hätte er Prügel bekommen, und als ihm ein kleines Kind vor die Füße lief, stieß er es um.

Ada stand einen Augenblick regungslos, dann ging sie schnell in das Zimmer ihres verstorbenen Mannes. Dort setzte sie sich vor den Schreibtisch und strich leise über die alte, häßliche Tischplatte.

Nun habe ich wirklich einmal etwas erlebt, Rolf! sagte sie leise. Aber es hat mir doch nicht besonders gefallen. Es wäre nicht geschehen, wenn du noch hier wärest, Rolf!

Sie weinte plötzlich bitterlich, und diesmal wußte sie warum. Als aber der Weihnachtsabend kam, war sie doch wieder heiter und lachte herzlich bei ihrer Armenbescherung über die kleinen Kinder, die sich alle an sie herandrängten und ihr ein Verschen aufsagen wollten. Sie blieben meist stecken bei ihren Deklamationen, besonders die Knaben, und ein kleiner Junge stammelte unter hervorquellenden Tränen: Ich bin klein, und mein Herz ist gar nicht rein!

Der hat die Menschheit erkannt! sagte Graf Rössing, der plötzlich neben ihr stand.

Sie faßte mit einem kleinen Jubellaut nach seiner Hand. Ach Wally, wie nett, daß Sie wieder da sind! Ist Ihre Gesundheit nun ganz in Ordnung?

Nein, sagte er verdrießlich. Ich fühle mich hundeelend und wollte mir schon zweimal das Leben nehmen. Nur über die Art und Weise war ich im unklaren, und darüber hab ichs vergessen. Aber Weihnachten im Süden ist eine so langweilige Geschichte, daß ich wirklich nach dem Norden mußte, um mir den Schwindel hier wieder einmal mit anzusehen.

Es ist kein Schwindel, sagte die Baronin ernsthaft.

Er zuckte die Achseln, stellte sich aber doch unter den brennenden Lichterbaum und sah in alle die kleinen glückstrahlenden Gesichter um ihn. Es war keine großartige Bescherung, sie bestand nur aus Kleinigkeiten; alle Beschenkten aber waren froh und dankbar, und das Zimmer war voll von Weihnachtsduft. Die Baronin war überall bei ihren Schützlingen. Hier half sie eine neue Jacke anziehen, dort malte sie Figuren auf eine neue Schiefertafel; mit Rössing sprach sie erst wieder, als die kleine Gesellschaft nach Absingen eines Weihnachtsliedes von ihren Angehörigen abgeholt worden war.

Wie die Bande falsch singt! murrte er, als beide zusammen in dem kleinen Wohnzimmer saßen. Holsatia non cantat. Da sollten Sie mal die kleinen Italiener singen hören!

Es war gar nicht so falsch, verteidigte die Baronin ihre Schützlinge. Und selbst wenn es falsch klang – an die richtige Adresse ist's doch gekommen! Aber nun sagen Sie einmal, Graf, weshalb sind Sie heute so entsetzlich mißgestimmt? Sind Sie nur nach dem Norden gekommen, um über alles zu brummen?

Graf Rössing antwortete nicht gleich. Er fuhr mit der Hand durch sein borstiges Haar und rückte auf seinem Stuhle hin und her.

Ich bin gar nicht schlechter Laune, versetzte er dann mit dem beleidigten Ton, den die meisten Leute annehmen, wenn ihnen die Wahrheit gesagt wird. Ich ärgere mich nur über allerlei. Zum Beispiel über diese Klatschsucht dieser vorzüglichen Kleinstadt. Wissen Sie, daß von Ihnen gesagt wird, Sie würden Neumann heiraten – diesen Neumann!

Das war kein Klatsch, das war die Wahrheit, erwiderte die Baronin ruhig. Aber es ist gottlob! vorübergegangen. Er sah es schließlich eher ein als ich, aber ich glaube doch, ich hätte es auch nicht fertig bringen können.

Sie müssen mir alles erzählen, sagte Rössing herrisch.

Sie gehorchte, wurde bei der Erzählung immer heitrer, und als sie zu dem Hauptpunkte, den fünfzigtausend Mark gekommen war, lachte sie.

Denken Sie, fünfzigtausend Mark! Ich weiß noch immer nicht, was er eigentlich damit gewollt hat. Jedenfalls hat er es fertig gebracht, mich eine Viertelstunde lang nicht zu langweilen. Aber was haben Sie, Rössing?

Der Graf war aufgestanden, kreidebleich, und holte schwer Atem.

Ich will nach Fresenhagen! Ihn zur Rede stellen – Reitpeitsche – der Halunke, der –

Er fand keine Worte, so daß ihn die Baronin wieder in den Sessel zurückdrückte. Seien Sie kein Narr, Rössing! Der Mann hat mich nicht beleidigen wollen, und wenn er es gewollt hätte – er könnte es gar nicht: ich lasse mich nicht von ihm beleidigen. Er tat mir überhaupt leid, als er so still mit seinem Mammon davonging; er kam mir vor wie ein geprügelter Hund. Hoffentlich findet er bald eine nette Frau.

Wie konnten Sie aber auch den Wahnsinn begehen und sich halb und halb mit diesem Kerl verloben! schalt der Graf, dessen Zorn sich nun gegen Ada wandte.

Sie senkte kleinlaut den Kopf. Es war sehr verkehrt von mir, aber ich dachte, es ginge vielleicht. Erinnern Sie sich nicht, daß ich immer meinte, ich würde noch etwas durch ihn erleben? Meine Ahnung hat mich nicht betrogen. Und dann war er doch meine erste Liebe.

Rössing mußte nun doch lachen. Da sehen Sie nun, was es mit der ersten Liebe auf sich hat! Ihre erste Liebe – begann Ada.

Aber er machte eine abwehrende Handbewegung: Verderben Sie mir den hübschen Abend nicht! Ich fühle mich schon bedeutend wohler und hätte nichts gegen ein Glas Punsch einzuwenden.

Und ich habe gestern in einem ganz versteckten Kästchen einen Diamantring gefunden, den ich lange verloren geglaubt hatte, rief die Baronin. Da habe ich einigen Gläubigern eine Weihnachtsfreude gemacht und mir eine gute Sorte Wein gekauft. Sie sollen sehen, mein Punsch wird Ihnen munden.

Worauf wollen wir denn anstoßen? fragte er, als die dampfende Kanne von Ada auf den Tisch gesetzt wurde.

Darauf, daß ich keine Dummheiten mehr mache! rief sie. Dann sah sie mit glänzenden Augen in die Ferne. Hoffentlich will mich kein Mensch mehr heiraten. Ich glaube, ich könnte ihn hassen. Rolf war doch der beste! Und sie trank hastig ihr Glas leer, weil ihr plötzlich die Stimme versagte. Dann aber wurde sie sehr heiter und konnte gar nicht begreifen, daß der Graf in sich gekehrt blieb.

Dieser reiste übrigens bald nach Neujahr wieder fort. Es wurde kalt, und er wollte dem rauhen Winter aus dem Wege gehen. So blieb denn die Baronin recht allein; Frau von Zehleneck kam plötzlich nicht mehr, und wenn sie einmal erschien, dann war es nur ein kurzer Besuch, den sie der Freundin machte. Aber Ada vermißte den Verkehr nicht. Sie hatte angefangen, für Geld zu malen, und freute sich wie ein Kind darüber, daß ihr eine Berliner Firma einige Schälchen und Gläser zu geringem Preis abgenommen hatte. Sie machte großartige Pläne, wie sie im Laufe des Frühlings und Sommers nach der Natur malen wollte, und entbehrte keinen Menschen. Auch nicht Herrn Neumann, der sich seit Weihnachten nur sehr selten in der Stadt zeigte und nicht ganz sicher schien, ob es ihm dort ferner gefallen würde. Im Februar aber erhielt er einen Brief von Frau von Zehleneck, die ihn fragte, ob er gestorben sei. Wenn nicht, dann möchte er sie doch einmal besuchen.

Neumann atmete tief auf, als er diesen Brief erhielt; dann schlug er in einem neu erworbnen Adelslexikon die Familie der Zehlenecks nach, grübelte lange und fuhr an demselben Nachmittag in die Stadt.

Auf einmal war es wieder Frühling geworden, Graf Rössing ging in dem grünenden Buchenwalde spazieren und hörte auf den Schlag der Nachtigall. Er ärgerte sich halb und halb über die süßen Laute, die ihn von Buche zu Buche verfolgten, und dann stand er doch wieder still und horchte auf sie.

Rössing hatte keinen sehr guten Winter gehabt, trotz der Riviera und der musikalischen Italiener. Das Podogra hatte ihn gequält, und sein Sohn, der eben zur Universität gegangen war, hatte die Weihnachtsferien benutzt, um mit einer niedlichen Tänzerin auf Reisen zu gehen. Das war gewiß recht unterhaltend für den jungen Mann gewesen, der Vater aber mußte den Beutel ziehen und fluchte. Er war so mißmutig geworden, daß er, obgleich er schon vierzehn Tage heimgekehrt war, die Baronin erst ein einziges Mal besucht hatte. Da hatte er sie sehr heiter vor ihrer Staffelei getroffen, den Kopf voller Pläne und dabei sehr entzückt von einem neuen Roman, den ihr eine Bekannte geschickt hatte. Über des Grafen Rückkehr freute sie sich sehr, aber nicht so, wie er es im stillen noch immer gehofft hatte. Er hatte nach Neumann und der Zehleneck gefragt. Sie wußte von beiden nichts, entsann sich aber dann doch, daß Herr Neumann in vielen Familien der Stadt verkehren sollte. Sie ging noch nicht wieder in Gesellschaft und schien es auch nicht zu entbehren.

Rössing mußte heute viel an sie denken, obgleich er sich vorgenommen hatte, es nicht zu tun. Sie war doch sehr einsam, wenn sie auch nicht darüber klagte, und diesem Neumann, diesem Spitzbuben, der es gewagt hatte, sie zu beleidigen, dem ging es gut, viel besser als andern Leuten! Als der Graf bei diesem Gedanken angelangt war, befand er sich mitten im Walde vor einem kleinen Buchenunterholz, in das ein schmaler Pfad hineinführte. Er schlug ihn ein und sah erst wieder um sich, als er an einer Lichtung stand. Hier war eine Bank unter mehreren hochragenden Buchen, und auf dieser Bank saßen Neumann und Frau von Zehleneck. Ob sie sich zärtlich umschlungen hielten, konnte der Graf zu seinem Bedauern nicht sehen, obgleich er sich eine Lorgnette vor die Augen hielt, aber er nahm es sofort an. Einen Augenblick stand er regungslos und hörte auf Amelie Zehlenecks Lachen. Es klang triumphierend durch den stillen Wald, und die Nachtigallen schienen zu erschrecken und schwiegen still. Dann aber sangen sie weiter, und auch der Graf wandte sich leise ab. Niemand hatte ihn bemerkt, und als ihn wieder das Waldesdunkel umfing, konnte er seinem Zorn nach Belieben Luft machen, wenn er welchen empfand. Aber er sagte kein Wort. Langsam und mit gefurchter Stirn wanderte er weiter. Erst nach einer Stunde kehrte er um und ging der Stadt wieder zu, und als er jetzt zum zweiten Male an dem Unterholz vorüberkam, trat Neumann gerade heraus. Er schien etwas zu erröten, grüßte aber mit großer Liebenswürdigkeit, fragte nach Rössings Befinden und schloß sich ihm ohne weiteres an. Dabei hatte er etwas Siegesbewußtes im Auftreten, was den Grafen um so mehr ärgerte, als er früher bescheiden gewesen war.

Sie sollten doch bald einmal nach Fresenhagen kommen, Herr Graf, sagte er während des Gesprächs. Ich baue jetzt, und es wird sehr hübsch dort.

An Fresenhagen knüpft sich für mich gerade keine angenehme Erinnerung, erwiderte Rössing etwas scharf.

Neumann zuckte die Achseln und veränderte ein wenig die Farbe. Nun ja, daß Herr von Ravenstein bei mir sterben mußte, war traurig, sehr traurig. Kein Mensch beklagt es mehr als ich. Aber sterben müssen wir nun alle einmal, und der alte Herr hatte doch schließlich sein Leben ausgelebt!

Er hatte mit höflicher Gleichgültigkeit gesprochen, und der Graf, der sich auch manchmal alt und nutzlos vorkam, sah ihn mit einem bösen Blick von der Seite an. Wenn er einmal tot wäre, würde Neumann ähnlich über ihn sprechen, dachte er.

Kannten Sie nicht Frau von Ravenstein von früher her? fragte er nach einer Weile.

Neumann stutzte, dann begann er etwas zu stottern. Gewiß – gewiß! Sie war sozusagen meine erste Liebe. Na, aber die erste Liebe – er stockte und wischte sich über die Stirn. Die erste Liebe, – wiederholte er noch einmal –, die hat ja meistens keinen Bestand!

Es fiel ihm noch ein andrer Satz ein, den er über die erste Liebe sagen wollte, aber Rössing kehrte ihm ohne Gruß den Rücken, und Neumann sah ihm mit unbehaglichen Gefühlen nach.

Als der Graf an diesem Nachmittage die Weinstube betrat, war sie, wegen des schönen Wetters, fast leer. Nur in einer Fensternische saß der dicke Bürgermeister und brütete über einem Brief, den er fortwährend hin und her wandte. Rössing beachtete das Stadtoberhaupt nicht weiter. Seitdem die Bürgermeister nicht mehr studierte Leute zu sein brauchten, verachtete er sie alle. Der Bürgermeister gehörte eigentlich gar nicht an seinen Stammtisch; nur gelegentlich, wenn er etwas ganz Neues wußte, durfte er dort sitzen. Heute aber schien er nichts zu wissen und hatte sich deshalb sofort ans Fenster gesetzt.

Der Graf trank langsam sein Glas Portwein und griff nach der Zeitung, aber er hatte keine Lust zu lesen, daher setzte er sich plötzlich zum Bürgermeister.

Nun, Stadtväterchen, haben Sie einen Liebesbrief bekommen, daß Sie ihn so oft lesen müssen?

Das nicht, Herr Graf! erwiderte der Gefragte, den Brief vorsichtig glättend. Ich glaube nur, daß er französisch ist, und es ist schon so lange her, daß ich das in der Schule gelernt habe. Nun wollte ich eigentlich einen der Herren hier fragen, ob sie mir nicht ein wenig bei der Übersetzung helfen wollten! Alles kann ich wirklich nicht verstehen!

Da der Bürgermeister ein ehemaliger Gutsverwalter war, so war seine Unkenntnis der fremden Sprachen verzeihlich, und Rössing nahm ihm ohne weiteres den Brief aus der Hand.

Er ist englisch geschrieben, bemerkte er nach einem flüchtigen Blick über das Schreiben.

So, englisch, sagte der Bürgermeister, der sich in seiner hohen Stellung natürlich keine Blöße geben durfte. Früher konnte ich es sehr gut, jetzt bin ich etwas aus der Übung.

Rössing hörte nicht auf ihn. Er hatte das Schreiben überflogen und faltete es langsam wieder zusammen.

Der Brief ist von dem amerikanischen Generalkonsulat in Hamburg. Das will von Ihnen erfahren, ob hier in der Nähe oder in der Stadt ein gewisser Fritz Neumann lebt, der früher in Nebraska, in Sandy Bluffs gewohnt hat. Wissen Sie, ob Herr Neumann auf Fresenhagen einmal in Nebraska gewesen ist?

Der Bürgermeister schüttelte den Kopf. Er machte ein ehrerbietiges Gesicht, denn der reiche Herr Neumann flößte ihm Hochachtung ein. Nein, ich weiß es nicht und habe auch nie etwas darüber gehört, sagte er. Das heißt – er besann sich plötzlich – es ist schon einmal ein Brief an mich gekommen. Der war wohl auch englisch, aber sehr schlecht geschrieben. Wir konnten ihn nicht entziffern, weder mein Sekretär noch ich. Der Schreiber nahm nachher die Briefmarke, weil es eine amerikanische war, und der Brief wanderte in den Papierkorb. Wir hielten die Sache für eine Bettelei, denn die jungen Leute sagten, der Brief wäre wohl von einer jungen Frau geschrieben.

Der Graf hatte scharf zugehört, nun trank er seinen Wein aus, bestellte sich noch ein Glas und steckte das Schreiben des Konsulats in die Tasche. Beantworten Sie diesen Brief noch nicht, sagte er. Ich muß doch in diesen Tagen Geschäfte halber nach Hamburg und kann mich einmal beim Konsul erkundigen, was die Sache eigentlich bedeutet. Ihre Antwort kommt noch immer früh genug.

Gewiß tut sie das! – Der Bürgermeister beantwortete deutsche Briefe nicht sehr eilig, fremdsprachige mußten noch ganz anders warten, wenn sie überhaupt erledigt wurden, und bei diesem Schreiben hoffte der Bürgermeister, der Graf würde auch die Antwort übernehmen. Man plauderte noch ein Weilchen zusammen, dann trat der Graf langsam den Heimweg an. Er war etwas heiterer gestimmt als vorher, deshalb ging er noch einen Augenblick bei seiner Kusine, der Komtesse Isidore, vor, die bei ihrem Tee saß und dabei Patience legte. Sie war sehr zufrieden, denn schon zum dritten Male war alles gut ausgegangen.

Gut, daß du kommst, Wally! rief sie ihrem Vetter entgegen. Du sollst heute in acht Tagen bei mir zu Abend essen. Ich gebe eine größere Gesellschaft: dreizehn Personen. Du weißt, ich nehme immer dreizehn Personen, weil ich die gerade setzen kann. Einer sagt ja auch meistens ab, und wenn nicht, dann schadet es nichts; ich bin nie abergläubisch gewesen, und dreizehn Personen haben sich immer am besten bei mir amüsiert.

Wer kommt denn? fragte Rössing.

Die Komtesse nannte einige Namen. Amelie Zehleneck und Neumann muß ich übrigens auch einladen, setzte sie etwas kleinlaut hinzu. Gegen Neumann hast du natürlich nichts einzuwenden – er ist still und reich, das sind Eigenschaften, gegen die kein Mensch etwas sagen kann. Aber Amelie – die alte Dame hustete etwas – ich mußte sie wirklich einmal nehmen, weil sie doch durch ihren Vetter Bodo halb und halb mit mir verwandt ist. Du sollst auch nicht bei ihr sitzen.

Ich werde wohl nicht kommen, murrte Rössing.

Aber Wally, ich habe neun Damen und vier Herren, du mußt kommen! Was tut es eigentlich, daß Amelie –

Meine erste Liebe war? ergänzte der Graf wieder heiter. Nein, es tut auch nichts. Wenn ich hier bin, erscheine ich, sonst aber darfst du nicht böse sein, wenn der Dreizehnte ausbleibt.

Er ging und nickte nur noch flüchtig, als ihm die Kusine nachrief, daß er nicht so spät kommen solle, da sie einen Fischauflauf geben wollte, der das Warten nicht vertragen könne.

Sind Sie Donnerstag bei Isidore? fragte er andern Tags die Baronin, die er eigentlich noch lange nicht hatte wieder besuchen wollen; jetzt saß er doch neben ihr, weil er sie fragen mußte, ob er ihr in Hamburg etwas besorgen könne.

Sie schüttelte den Kopf. Ich bin nicht eingeladen.

Neumann ist dort und Amelie. Man ladet sie schon zusammen ein, es wird also wohl bald eine Verlobung geben.

Wirklich? Frau von Ravenstein, die an ihrer Staffelei saß, mischte einige Farben und sah träumerisch auf ihre halbfertige, etwas unwahrscheinlich aussehende Landschaft.

Freuen Sie sich darüber, oder wundern Sie sich? fragte Rössing, der sie gespannt beobachtet hatte.

Keins von beiden! erwiderte sie ruhig. Vielleicht werden sie glücklich miteinander.

Meine erste Liebe und Ihre erste Liebe spottete er.

Sie lachte. Sie sind eifersüchtig, Wally. Mir scheint doch, daß Sie Neumann beneiden.

Nein, versetzte er kurz. Wenn mir einer von beiden Teilnahme einflößt, dann ist es nicht er – ich habe sogar ein Gefühl – er stand plötzlich auf. Haben Sie etwas in Hamburg zu besorgen? fragte er leichtern Tones. Ich habe dort eine Zusammenkunft mit meinem Bruder und werde wohl einige Tage fort sein.

Aber die Baronin hatte nichts zu besorgen, wie sie lachend versicherte. Er sah sie argwöhnisch an und ging mit verdrießlichem Gesicht davon. Sie aber hatte nur gelacht, weil sie augenblicklich gar kein Geld hatte, um etwaige Besorgungen damit zu bezahlen. Sie hatte gerade diesen Morgen ihr letztes Markstück einem Bettler gegeben, und aus Frankfurt, wohin sie ihr letztes Porzellan geschickt hatte, war noch keine Antwort gekommen.

Als Rössing aus Hamburg zurückkehrte, war es gerade Donnerstag, also der Tag, wo er bei seiner Kusine essen sollte. Aber er hatte keine Lust hinzugehen. Erstens hatte er sich in Hamburg mit seinem Bruder gezankt, was ihn nachträglich noch verstimmte, und dann war noch ein andrer Grund, der es ihm geraten erscheinen ließ, den Abend nicht in die Gesellschaft zu gehen. Er schrieb eine Absage und bekam sofort einen sehr aufgeregten Brief von der Komtesse, daß er sie nicht im Stich lassen dürfe. Drei Gäste hatten noch kurz vorher abgesagt, darunter ein Herr; Rössing mußte kommen.


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